Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 24. Jan. 2017 - 3 Sa 244/16

ECLI:ECLI:DE:LARBGSH:2017:0124.3SA244.16.0A
bei uns veröffentlicht am24.01.2017

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 11.08.2016 – Az. 2 Ca 244 c/16 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung vom 19.02.2016 mit dem Vorwurf der Beleidigung des Geschäftsführers und des ehemaligen Geschäftsführers.

2

Der Kläger ist am ...1954 geboren, war bei der Kündigung also 62 Jahre alt. Er ist verheiratet. Seit dem 28.10.1992 ist er bei der Beklagten als Geselle im Bereich der Gas- und Wasserinstallation in N... beschäftigt. Der Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt durchschnittlich 3.315,42 EUR.

3

Im Betrieb der Beklagten sind unter Einschluss des Klägers insgesamt drei Gesellen und die Mutter der Geschäftsführer als Büroangestellte beschäftigt, außerdem ein Auszubildender. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zuletzt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 31.01.2007 (Anl. K1, Bl. 6-11 d.A.).

4

Mit Schreiben vom 19.02.2016 (Anl. K3, Bl. 18 f d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos sowie vorsorglich ordentlich und vorsorglich fristgerecht zum nächstmöglichen Kündigungstermin, das ist der 30.09.2016. Der Kündigung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

5

Am Ende eines Arbeitstages suchte der Kläger das Büro der beiden Geschäftsführer der Beklagten auf, um zwei auf einer aktuellen Baustelle aufgetauchte Fragen zu klären. Dort befand sich auch der Vater der beiden, der ehemalige (Senior)-Geschäftsführer H... B.. Da der Geschäftsführer F... B. telefonierte, wandte sich der Kläger an den Vater. Er fragte ihn, wie er eine Steuerleitung (Pneumaschlauch) verlängern könne, da sich die Pumpe und der dazugehörige Schaltschrank nicht in einem Raum befanden und Originalteile nicht vorhanden waren. Der Senior verwies ihn - mit welcher Tonlage auch immer - zunächst u.a. an vorhandene Teile. Ob er auch gesagt hat, zur Not solle sich der Kläger was „schnitzen“, ist streitig. Unstreitig gab er dem Kläger im Verlaufe des Gesprächs aber auch Recht, dass er vor einem objektiv bestehenden, vom Lieferanten ungelösten Problem stehe. Auf die weitere Frage des Klägers, wie er den Schwimmer der Pumpe besser gegen „Absturz“ sichern könne, antwortete der ehemalige Geschäftsführer, dass dieser doch als ehemaliger Seemann verschiedene Knoten könne. Das empfand der Kläger als sarkastische Provokation, weil s. E. ein Knoten in einem Stahlseil nicht hält und er die Anspielung auf die Seemannstätigkeit unpassend fand. Der weitere Verlauf ist streitig. Der Kläger sah das Gespräch dann mangels sachlich zutreffender Lösungsmöglichkeit als beendet an. Als er grußlos und mit nicht näher bezeichneten Worten den Raum verlassen wollte, kommentierte der ebenfalls anwesende Geschäftsführer F... B. das Ganze noch hörbar für den Kläger sinngemäß als „Kinderkram/ Sind wir hier im Kindergarten?“

6

Am Morgen des 16.02.2016 betrat der Kläger das Büro. Sowohl er als auch die anwesenden Geschäftsführer waren angespannt und gereizt. Der Kläger brachte zum Ausdruck, dass von ihm das Gespräch vom Vortag keineswegs als „Kinderkram“ verstanden werde. Der Kläger beschwerte sich auch über eine Abmahnung vom 16.11.2015 aus Anlass einer von ihm verlangten, aber verweigerten Nachschulung (Bl. 24 d. A.). Dann kam es zu einem Wortgefecht. Der Verlauf ist streitig. Der Kläger äußerte unstreitig nach eigenem Vorbringen mindestens auch, dass F.... B. gerne den Chef raushängen lasse und dass sein Vater sich am Vortag ihm gegenüber wie ein „Arsch“ verhalten hätte. Der Geschäftsführer F... B. sei auf dem besten Wege, seinem Vater den Rang abzulaufen (Kläger-Schriftsatz vom 04.04.2016 - Bl. 34 d. A.). Des Weiteren sagte der Kläger mindestens: „Dann kündigt mich doch“ (Bl. 52 d.A.), worauf der GF F... B... erwiderte: „Damit wir dann als soziale Arschlöcher dastehen“. Er erwähnte auch eine zurückliegende Tätigkeit des Klägers als „Taxifahrer“. Der Kläger erwiderte unstreitig, dass die Firma dies bereits sowieso schon sei (Bl. 34 d. A.). Darauf beendete der Geschäftsführer das Gespräch. Der Kläger nahm die Arbeit auf und wurde abends telefonisch zum Abbau von Arbeitszeitguthaben für drei Tage freigestellt. Anschließend wurde ihm bis zum 24.2.2016 Urlaub gewährt.

7

Die Beklagte betrachtete die Äußerungen des Klägers insbesondere vom 16.02.2016 als Beleidigung. Die Geschäftsführer warteten noch drei Tage ab, ob der Kläger sich entschuldigend an sie herantrete, was nicht geschah. Schließlich sprach die Beklagte mit Schreiben vom 19.02.2016, zugegangen am 23.02.2016, die streitbefangene fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung aus (Anlage K 3, Bl. 18 f. d. A.), gegen die der Kläger am 24.02.2016 Klage erhob. Den Versuch einer Entschuldigung unternahm der Kläger erstmals nach eindringlichem Anraten des Arbeitsgerichts im Kammertermin am 11.08.2016 im Rahmen einer Unterbrechung der Verhandlung.

8

Der Kläger hat stets die Ansicht vertreten, er sei vom Seniorgeschäftsführer der Beklagten zu den Äußerungen provoziert worden. Am Folgetag, dem 16.02.2016 habe er sich auch aufgrund der Äußerungen des Vortages in die Ecke gedrängt gefühlt, weswegen in ihm die Emotionen hochgekocht seien. Die Äußerung sei ein Augenblicksversagen, und ihm hätten die Worte, nachdem er sie ausgesprochen hätte, sofort leidgetan. Das Gespräch sei weiter eskaliert. Das sei aber nicht ihm anzulasten.

9

Die Äußerungen, die ihm vorgehalten werden, seien aus einem Affekt heraus getätigt worden, verursacht durch Provokationen der aktuellen wie des ehemaligen Geschäftsführers der Beklagten. Es liege insoweit auch keine schwerwiegende Beleidigung vor, sondern nur eine noch von der Meinungsfreiheit gedeckte Meinungsäußerung zum Verhalten der Firma gegenüber ihrem langjährigen Mitarbeiter. Auch die Tatsache, dass er, der Kläger, nach dieser Diskussion noch seiner Arbeit habe nachgehen können und nicht umgehend freigestellt worden sei, mache deutlich, dass es der Beklagten zumutbar sei, ihn, den Kläger, weiter zu beschäftigen.

10

Die Beklagte hat stets vorgetragen, sie habe den Kläger nicht provoziert. Beide Geschäftsführer hätten dem Kläger am 16.02.2016 deutlich gemacht, dass sie das vom Kläger am Vortag dem Vater gegenüber an den Tag gelegte Verhalten nicht akzeptieren würden. Daraufhin sei der Kläger sehr unvermittelt massiv ausfällig geworden. Ein Augenblicksversagen sei schon deshalb nicht gegeben, weil eine mehrstündige Unterbrechung zwischen der angeblichen Provokation vom 15.02.2016 und den Beleidigungen am Folgetag läge. Die Wortwahl des Klägers stelle eine drastische persönliche Beleidigung sowohl eines der Geschäftsführer wie auch dessen Vaters dar und sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt; der Kläger habe durch sein Verhalten das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört.

11

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.08.2016 die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.

12

Gegen diese dem Kläger am 22.08.2016 zugestellte Entscheidung hat er am 16.09.2016 Berufung eingelegt, die nach Fristverlängerung bis zum 24.11.2016 am 03.11.2016 begründet wurde.

13

Der Kläger ergänzt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen.

14

Der Kläger beantragt,

15

unter Abänderung des am 11.08.2016 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Neumünster, Aktenzeichen 2 Ca 244 c/16,

16

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.02.2016 nicht aufgelöst worden ist;

17

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die hilfsweise ordentliche, fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 19.02.2016 aufgelöst werden wird;

18

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 19.02.2016 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Geselle „Gas- und Wasserinstallateur“ in N... weiterzubeschäftigen.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend.

22

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.

24

Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen und dabei insbesondere darauf abgestellt, dass der Kläger den Geschäftsführer F... B... und dessen Vater, den ehemaligen Geschäftsführer H... B..., ohne Vorhandensein einer Affektsituation nachhaltig beleidigt hat, ohne sich hierfür aufrichtig entschuldigen zu wollen. Vor diesem Hintergrund sei der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend, wird Folgendes ausgeführt:

25

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund darstellt, vollzieht sich zweistufig: Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (vgl. nur BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 - zitiert nach Juris Rz. 18 m.w.N.; BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – zitiert nach Juris Rz. 16 m.w.N.).

26

2. Bei der Prüfung des wichtigen Grundes kommt es nicht darauf an, wie ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich zu würdigen ist, sondern darauf, ob der Gesamtsachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Zweck einer Kündigung wegen einer Vertragsverletzung darf regelmäßig nicht die Sanktion einer Vertragsverletzung sein. Die Kündigung dient der Vermeidung des Risikos weiterer Vertragsverletzungen. Das ist unter dem Gesichtspunkt der negativen Zukunftsprognose zu betrachten. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes trägt der Arbeitgeber (BAG a.a.O.).

27

3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.02.2016 wirksam. Die gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe rechtfertigen eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallsituation ist der Beklagten als Kleinbetrieb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Auslaufen der siebenmonatigen Kündigungsfrist unzumutbar.

28

a) Grobe Beleidigungen können grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Dabei ist die strafrechtliche Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend. Was als grobe Beleidigung anzusehen ist, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Zu berücksichtigen ist hierbei, ob und inwieweit die Auseinandersetzung vom Arbeitgeber mitverursacht wurde. Von Bedeutung sind weiterhin der betriebliche bzw. der branchenübliche Umgangston und die Gesprächssituation. Bei Vorliegen einer groben Beleidigung des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, kann sich der Arbeitnehmer nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 Abs. 1 GG berufen (BAG vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01 – zitiert nach Juris Leitsatz 1 m.w.N.; LAG Rheinland-Pfalz vom 18.05.2016 – 4 Sa 350/15 – Rz. 31 f).

29

b) Maßgeblich abzustellen ist auf das Gespräch am Morgen des 16.02.2016. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Geschäftsführer F... B. und dessen Vater H... B. wortwörtlich als „große Arschlöcher“ bezeichnet hat. Denn unstreitig hat der Kläger mindestens gesagt, dass der Vater des Geschäftsführers F... B. sich ihm gegenüber „wie ein Arsch“ verhalten hätte und dass der Geschäftsführer F... B. auf dem besten Wege sei, seinem Vater den Rang abzulaufen. Das war nach der Überzeugung der Kammer ein Frontalangriff auf den Geschäftsführer F... B. und dessen Vater. Des Weiteren hat der Kläger unstreitig auf den Satz des Geschäftsführers F... B. „Damit wir dann als soziale Arschlöcher dastehen“ erwidert, dass die Firma dies bereits sowieso schon sei. Diese Äußerungen stellen eine gezielte ehrverletzende, durch nichts gerechtfertigte Beschimpfung der Geschäftsführer und deren Vater, dem ehemaligen Geschäftsführer, dar. Eine ca. 10 Jahre zurückliegende nicht aufrechterhaltene betriebsbedingte Kündigung rechtfertigt eine derartige Äußerung nicht, wie der Kläger meint. Ebenso wenig rund acht Jahre zurückliegende Veränderungen des Arbeitsvertrages zum Nachteil des Klägers, gegen die er sich, wie er in der Berufungsverhandlung eingeräumt hat, noch nicht einmal gewehrt hat.

30

Das Gespräch am Abend des 15.02.2016 mit dem ehemaligen Geschäftsführer H... B. über eine Verlängerung der Steuerleitung sowie eine Sicherung des Schwimmers ist ebenfalls nicht geeignet, die o. g. Äußerungen des Klägers abzumildern. Die Kammer vermag schon in den Antworten des ehemaligen Geschäftsführers H... B. keine Provokation zu erkennen, selbst wenn sie ggf. teilweise in einem süffisanten Tonfall erfolgt sein sollten. Auch der Hinweis auf die ehemalige Seemannstätigkeit des Klägers bleibt noch im Rahmen der Sachlichkeit. Gleiches gilt für die vom Geschäftsführer F... B. erwähnte Formulierung „Kinderkram/Sind wir im Kindergarten?“, als der Kläger grußlos und mit nicht näher bezeichneten Worten den Raum verlassen wollte.

31

Auch die am 16.02.2016 erfolgte Erwähnung der zurückliegenden Tätigkeit des Klägers als „Taxifahrer“ stellt keine Provokation dar, die die verbale und ehrverletzende Entgleisung des Klägers auch nur ansatzweise rechtfertigen könnte. Die Kammer ist vielmehr davon überzeugt, dass sich der Kläger an diesen Worten aufhängt, um seine Entgleisung und sein unkontrolliertes Verhalten nachträglich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.

32

Von besonderem Gewicht ist vorliegend auch, dass nahezu 16 Stunden zwischen der vom Kläger behaupteten Provokation durch den ehemaligen Geschäftsführer H... B. und den ehrverletzenden wiederholten Beleidigungen der Geschäftsführer und ihres Vaters liegen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, sind die Äußerungen gerade nicht unmittelbar aus einer Affektsituation nach einer – streitigen - Provokation erfolgt. Vielmehr hatte der Kläger einen ganzen Abend und eine ganze Nacht Zeit, sich zu beruhigen und auf sachlicher Ebene das zu formulieren, was ihn an der Gesprächsführung des Vorabends gestört hat. Das hat er jedoch gerade nicht getan, vielmehr die Geschäftsführer erst Stunden später nach der behaupteten Provokation als „soziale Arschlöcher“ bezeichnet. Angesichts dessen besteht kein Raum, für eine erfolgreiche Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 Abs. 1 GG.

33

c) Die streitbefangene fristlose Kündigung erweist sich – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht wegen Fehlens einer vorherigen Abmahnung als unwirksam. Im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung bedurfte es einer solchen Abmahnung des Klägers nicht. Das Verhalten des Klägers zeigt nach der Überzeugung des Gerichts ein hohes Risiko weiterer Vertragsverletzungen. Der Kläger war auch im Kammertermin noch nicht tatsächlich einsichtsfähig. Er sah es überhaupt nicht ein, dass er Grenzen überschritten hat und dass er auf die Geschäftsführer der Beklagten hätte zugehen müssen. Er fühlt sich nach wie vor im Recht. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer auch nicht ansatzweise Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich nach einer etwaigen Abmahnung tatsächlich und nachhaltig verbal anders und mit der gebotenen Wertschätzung gegenüber den Geschäftsführern der Beklagten sowie dessen Vater verhalten hätte.

34

d) Auch im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist das Arbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass hier die außerordentliche Kündigung wirksam ist. Der Beklagten war selbst unter Berücksichtigung der mehr als 23-jährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers und seiner aktuellen Rentennähe die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. In diesem Zusammenhang ist für die Kammer von besonderer Bedeutung, dass nach wie vor eine Entschuldigung des Klägers fehlt. Zu berücksichtigen ist, dass die Geschäftsführer der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung drei Tage gewartet haben, ob der Kläger ggf. auf sie zukommt und versucht, die verbale Entgleisung zu bereinigen. Das ist nicht geschehen. Der Kläger meint auch heute noch, dass er das nicht hätte tun müssen. Die Kündigungsfrist ist mit sieben Monaten zum Monatsende äußerst lang, mit der Folge, dass die Geschäftsführer der Beklagten ebenso wie deren Vater und deren im Betrieb tätige Mutter täglich mit dem Nachhall, „soziale Arschlöcher zu sein“, und mit der Uneinsichtigkeit des Klägers konfrontiert gewesen wären. Zu berücksichtigen war ferner, dass es sich um einen kleinen Familienbetrieb handelt, in dem sich die agierenden Personen nicht ausweichen können und in dem man viel mehr emotionale Nähe hat, als in einem Großbetrieb. Die hohe und nachhaltige Betroffenheit der vier im Betrieb arbeitenden Mitglieder der Geschäftsführerfamilie wurde durch die in jeder Hinsicht sachlichen Schilderungen der beiden Geschäftsführer in der Berufungsverhandlung ganz besonders deutlich. Sie fühlen sich und ihre Betriebsphilosophie immer noch komplett in Frage gestellt und haben jegliches Vertrauen in den Kläger und ein gedeihliches Miteinander verloren. Obgleich der Kläger bei Ausspruch der Kündigung bereits 62 Jahre alt war und bereits 23 ½ Jahre lang in einem Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten stand, war unter Abwägung aller o. g. Faktoren es der Beklagten nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende fortzusetzen.

35

4. Nach alledem war der Kündigungsschutzantrag unbegründet. Die Kündigung der Beklagten vom 19.02.2016 hat das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos beendet. Die Klage ist zu Recht abgewiesen worden, so dass die Berufung zurückzuweisen war.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

37

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.


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Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

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(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

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Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.5.2015, Az.: 3 Ca 2039/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Darüber hinaus begehrt die Klägerin von dem Beklagten die Entfernung von Abmahnungsschreiben aus ihrer Personalakte.

2

Die am … 1969 geborene Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 01.12.1994 als Kinderkrankenschwester beschäftigt. Aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung.

3

Unter dem Datum vom 07.07.2014 erteilte der Beklagte der Klägerin drei Abmahnungen. Die erste Abmahnung ist überschrieben mit "Abmahnung wegen Entfernen vom Arbeitsplatz" und betrifft einen Vorfall vom 27.06.2014. Die zweite Abmahnung ist überschrieben mit "Abmahnung wegen Beleidigung" und betrifft eine Äußerung der Klägerin gegenüber ihrer Gruppenleiterin. Die dritte Abmahnung ist überschrieben mit "Abmahnung wegen Tätlichkeit und betrifft einen Vorfall vom 01.07.2014 zwischen der Klägerin und ihrer Kollegin O. S.. Wegen des Inhalts der Abmahnungen im Einzelnen wird auf Blatt 11, 13 und 16 d.A. Bezug genommen.

4

Am Abend des 30.09.2014 versandte die Klägerin (nach vorherigem Alkoholgenuss) an ihre Arbeitskollegin O. S. eine SMS folgenden Wortlauts:

5

"Hi Arschloch. Meine liebe I. könnt sich heute noch bekotzen, dass du sie umarnt hast u. dich verabschiedet hast! Der L. kam auf mich zu wegen Hygiene, habe gesagt dass du bereit warst Tuberkulose ins Haus einzuschleppen, und du gendrell 5 Kinder aus Feinheit nicht betreut hast. Er hat mich um HYGIENe Gebeten, ich konnte ihn die faule Sau O.S.sagen"

6

Mit Schreiben vom 13.10.2014, welches der Klägerin am 14.10.2014 zuging, kündigte der Beklagte nach vorheriger Anhörung der Mitarbeitervertretung das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 30.06.2015.

7

Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.05.2015 (Bl. 189 - 196 d.A.).

8

Die Klägerin hat beantragt,

9

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2014, noch durch die mit dem selben Schreiben vorsorglich ausgesprochene außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zum nächstmöglichen Zeitpunkt, nach der Berechnung des Beklagten zum 30.06.2015, aufgelöst wurde.

10

1. den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Kinderkrankschwester im Haus Sankt M., B. Straße 7, I., weiter zu beschäftigen.

11

2. den Beklagten zu verpflichten, die der Klägerin erteilten drei Abmahnungen, jeweils datierend vom 07.07.2014, aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

12

Der Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Sch., S., H., L., K., Ha., B. und W.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.05.2015 (Bl. 160 ff d.A.) verwiesen.

15

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.05.2015 den Beklagten verurteilt, die Abmahnung vom 07.07.2014 mit der Überschrift "Abmahnung wegen Entfernen vom Arbeitsplatz" aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf Bl. 10 - 24 dieses Urteils (Bl. 197 - 211 d.A.) verwiesen.

16

Gegen das ihr am 06.07.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.08.2015 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 04.09.2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 06.10.2015 begründet.

17

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, bezüglich der Abmahnung vom 07.07.2014 "wegen Beleidigung" habe das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen, dass innerhalb der Gruppe insgesamt einer legerer Ton herrsche und die Zeugin W. sie - die Klägerin - schon mit Worten wie "na, Alte wie geht's?" oder "für unsere Rentner" angesprochen habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass sie die Zeugin nicht habe beleidigen wollen, sondern sich lediglich bei ihrer darüber habe beschweren wollen, warum sie und die weiter in der Gruppe betroffenen Mitarbeiterinnen nicht zeitgerecht informiert worden seien. Sie sei deshalb davon ausgegangen, Kritik äußern zu dürfen. Die betreffende Abmahnung sei überdies bereits deshalb fehlerhaft, weil sich der betreffende Vorfall nicht am 30.06.2014 abgespielt haben könne. Dies ergebe sich - wie bereits erstinstanzlich dargetan - aus dem seinerzeitigen Dienstplan. Der Vorfall müsse sich daher am 01.07.2015 abgespielt haben. Bezüglich der Abmahnung "wegen Tätlichkeit" habe das Arbeitsgericht die Zeugenaussagen fehlerhaft gewürdigt. Die Aussage der Zeugin S. sei im Wesentlichen frei erfunden und erlogen. Der betreffende Vorfall sei vielmehr von der Zeugin B., die vom Arbeitsgericht als unglaubwürdig erachtet worden sei, zutreffend geschildert worden. Der Beklagte habe nicht den Beweis für die Richtigkeit der in dem betreffenden Abmahnungsschreiben enthaltenen Behauptungen geführt. Den Inhalt der an die Zeugin S. am 30.09.2014 versandten SMS bedauere sie und schäme sich auch dafür. Sie habe sich bei Frau S. dafür entschuldigt. Der SMS könne jedoch nicht ein solches Gewicht beigemessen werden, um ein fast 20 Jahre lang bestehendes Arbeitsverhältnis zu beenden. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass sämtliche Abmahnungen einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten könnten. In Abwägung der beiderseitigen Interessen hätte es daher genügt, ihr wegen der SMS eine Abmahnung zu erteilen. Es habe sich um einen einmaligen "Ausrutscher" gehandelt, der zwar schwer wiege, aber den Tatbestand eines wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB noch nicht erfülle. Die fristlose Kündigung sei daher unverhältnismäßig. Infolge der Unwirksamkeit der drei Abmahnungen erweise sich auch die Einleitung und Durchführung der Beteiligung der Mitarbeitervertretung als unwirksam.

18

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 05.08.2015 (Bl. 242 - 254 d.A.) Bezug genommen.

19

Die Klägerin beantragt,

20

das erstinstanzliche Urteil teilweise abzuändern und wie folgt zu erkennen:

21

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2014, noch durch die mit dem selben Schreiben vorsorglich ausgesprochene außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zum nächstmöglichen Zeitpunkt, nach der Berechnung des Beklagten zum 30.06.2015, aufgelöst wurde;

22

2. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Krankenschwester Im Haus Sankt M., B. Straße 7, I., weiter zu beschäftigen;

23

3. Der Beklagte wird verpflichtet, auch die beiden weiteren, der Klägerin gegenüber erteilten Abmahnungen, jeweils datierend vom 07.07.2014 (überschrieben: "wegen Beleidigung" und "wegen Tätlichkeit") aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

24

Der Beklagte beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 21.12.2015 (Bl. 280 - 284 d.A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

27

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

II.

28

1. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 13.10.2014 aufgelöst worden. Die Kündigung erweist sich wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB sowie in Ermangelung sonstiger Unwirksamkeitsgründe als rechtswirksam.

29

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendenden AVR-Caritas kann ein Arbeitsverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden.

30

Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB ist nach der allgemeinen gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d.h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen. Einem Arbeitnehmer, der - wie vorliegend die Klägerin gemäß § 14 Abs. 5 AVR-Caritas - ordentlich unkündbar ist, kann dann fristlos gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber seine Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der "fiktiven Frist" zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist (BAG v. 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1; BAG v. 15.11.2001 - 2 AZR 605/00 - Ap Nr. 175 zu § 626 BGB).

31

Es ist allgemein anerkannt, dass grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine außerordentliche, fristlose Kündigung an sich rechtfertigen. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen (BAG v. 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1, m.w.N.).

32

Vorliegend steht aufgrund des unstreitigen Sachverhalts fest, dass die Klägerin am 30.09.2014 ihre Arbeitskollegin in besonders grober Weise beleidigt hat. Die von der Klägerin am Abend des betreffenden Tages an ihre Kollegin S. versandte SMS enthält mehrere schwerwiegende Beleidigungen ("Arschloch", "faule Sau", "…könnte sich bekotzen, dass du sie umarmt hast…") bzw. beleidigende Anschuldigungen ("dass du bereit warst, Tuberkulose ins Haus einzuschleppen, dass du generell 5 Kinder aus Feinheit nicht betreut hast"). Die SMS hat ihrem Inhalt nach auch einen eindeutigen dienstlichen Bezug und kann daher nicht ausschließlich dem privaten Lebensbereich der Klägerin zugeordnet werden. Das Verhalten der Klägerin stellt zweifellos einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar.

33

Die streitbefangene fristlose Kündigung erweist sich - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht wegen Fehlens einer vorherigen Abmahnung als unwirksam. Zum einen bedurfte es einer solchen vorliegend im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung der Klägerin nicht. Zum anderen war die Klägerin bereits einschlägig abgemahnt worden.

34

Zwar ist eine Abmahnung bei einem steuerbaren Verhalten grundsätzlich erforderlich. Bei schweren Pflichtverletzungen gilt dies aber nur, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (BAG v. 21.06.2001 - 2 AZR 325/00 - AP Nr. 5 zu § 54 BAT - m.w.N.). Vorliegend konnte die Klägerin keinesfalls annehmen, ihr Verhalten gegenüber der Mitarbeiterin S. am 30.09.2014 werde von dem Beklagten nicht als bestandsgefährdendes Verhalten angesehen. Ein Arbeitgeber, der erfährt, dass eine Arbeitnehmerin eine Arbeitskollegin schwerwiegend beleidigt, wird dies keinesfalls dulden.

35

Darüber hinaus war die Klägerin bereits mit Schreiben des Beklagten vom 07.07.2014 einschlägig abgemahnt worden, da sie unstreitig die Gruppenleiterin als "linke Bazille" bezeichnet und damit beleidigt hatte. Hinsichtlich der Berechtigung des Beklagten zur Erteilung dieser Abmahnung folgt das Berufungsgericht den Ausführungen des Arbeitsgerichts unter B I. der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Soweit die Klägerin geltend macht, der der Abmahnung zugrundeliegende Vorfall habe sich nicht am 30.06.2014, sondern erst am 01.07.2014 abgespielt, so erweist sich dieses Vorbringen für die Prüfung der Wirksamkeit der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung als unerheblich, da der Abmahnung auch bei einer falschen Datumsangabe jedenfalls die erforderliche Warnfunktion zukommt.

36

Letztlich steht auch das Ergebnis der bei jeder Kündigung vorzunehmenden Interessenabwägung der Wirksamkeit der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung nicht entgegen. Zwar spricht zugunsten der Klägerin deren lange Betriebszugehörigkeit von fast 20 Jahren bei Kündigungsausspruch. Demgegenüber ist jedoch zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen, dass er als Arbeitgeber schwerwiegende Beleidigungen unter seinen Beschäftigten schlichtweg nicht dulden kann. Überdies war das Fehlverhalten der Klägerin geeignet, den Betriebsfrieden irreparabel zu zerstören. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, die das Fehlverhalten der Klägerin einem günstigeren Licht erscheinen lassen könnten. Auch wenn die Klägerin durch den vorherigen Genuss von Alkohol enthemmt gewesen sein sollte, so fällt dies im Rahmen der Interessenabwägung nicht zu ihren Gunsten ins Gewicht. Unter Berücksichtigung aller Umstände war es dem Beklagten nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende (§ 14 Abs. 2 AVR-Caritas) fortzusetzen.

37

Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB hat der Beklagte zweifellos eingehalten.

38

Die Kündigung erweist sich schließlich auch nicht wegen fehlerhafter Beteiligung der Mitarbeitervertretung als unwirksam. Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter C III. der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen der Klägerin bietet insoweit keinen Anlass zu eigenen, weitergehenden Ausführungen seitens des Berufungsgerichts.

39

2. Da die Kündigungsschutzklage der Abweisung unterliegt, erweist sich auch der Weiterbeschäftigungsantrag als unbegründet.

40

3. Die von der Klägerin im Berufungsverfahren weiterverfolgte Klage auf Entfernung von zwei weiteren Abmahnungen ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.

41

a) Die Klage ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere - trotz zwischenzeitlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses - nicht das für jede Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (BAG v. 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung).

42

b) Die gegen die Abmahnungen gerichtete Klage ist jedoch infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unbegründet.

43

Es ist zwar anerkannt, dass die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechte und Pflichten begründen kann. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt aber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Regelfall zu dem Ergebnis, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte nicht mehr zusteht. Etwas anderes kann dann gelten, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG vom 14.09.1994, a.a.O.; BAG v. 19.04.2012 - 2 AZR 233/11 - AP Nr. 34 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung). Die Klägerin hat keine diesbezüglichen Anhaltspunkte vorgetragen.

III.

44

Nach alledem war die Berufung der Klägerin mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

45

Für die Zulassung der Revision bestand nach den Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.