Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 22. März 2017 - L 7 VE 12/15

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2017:0322.L7VE12.15.00
bei uns veröffentlicht am22.03.2017

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Juli 2015 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

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Die im Jahr 1963 geborene Klägerin betrieb in der ehemaligen DDR im Zeitraum von September 1976 bis April 1982 beim SC ... als sog. "Riemerin" Rudern als Hochleistungssport. Bis Juli 1979 besuchte sie parallel hierzu die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in B.

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Vom 30. Juni bis 11. Juli 1980 wurde die Klägerin wegen einer Bandscheibenvorwölbung stationär behandelt. Gemäß der Epikrise habe sich eine Steilstellung der Lendenwirbelsäule (LWS) mit einer Einschränkung der Ventralflexion ohne Sensibilitätsstörung und ohne motorische Ausfälle gezeigt. Vom 24. Juli bis 17. August 2000 erfolgte eine stationäre Behandlung der Klägerin in der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der M.-L.-Universität (MLU) H.-W. In der Epikrise wird eine schwer degenerativ veränderte Wirbelsäule diagnostiziert. Nach dem ergänzenden Befund von Professor Dr. B., Klinik für Neurochirurgie der MLU, vom 4. August 2000 leide die Klägerin außerdem an Nackenkopfschmerzen nach einer Halswirbelsäulen (HWS)-Manualtherapie, Migräne mit typischer Aura und rezidivierenden Lumboischialgien.

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In einem für die W.-Lebensversicherung gefertigten Gutachten (zur Frage der Berufsunfähigkeit) vom 16. Januar 2002 konstatierte Professor Dr. B. starke Schmerzen im HWS-Bereich im Sinne von Nackenschmerzen, die über den Hinterkopf in Richtung des gesamten Gesichtsschädels ausstrahlten und mit Übelkeit, Brechreiz, Sehstörungen und Schwindel verbunden seien. Es handele sich um Beschwerden im Sinne eines zervikocephalen Syndroms auf der Basis degenerativer Veränderungen der HWS. Die Kopfschmerzattacken sprächen zusätzlich für eine klassische zervikale Migräne. Das Schmerzerleben werde durch eine psychogene Komponente mitgeprägt. Über längere Sicht zeige sich eine Tendenz zur Verschlechterung der Beschwerden. Die Klägerin sei als selbstständige Handelsvertreterin und als Einkäuferin und Filialleiterin im Einzelhandel mit mehr als 50 % berufsunfähig.

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Ein ärztliches Gutachten des arbeitsmedizinischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 1. März 2002 stellt bei der Klägerin gesundheitliche Einschränkungen in physischer und psychischer Hinsicht fest. Sie klage über Migräneanfälle, die bereits bei leichten Drehbewegungen der HWS ausgelöst würden. Die Kopfschmerzattacken seien mit vegetativen Störungen verbunden. Es lägen ein allgemeiner psychovegetativer Erschöpfungszustand und ein Wirbelsäulenleiden vor. Nach Aussteuerung durch ihre Krankenkasse sei sie noch nicht wieder in der Lage, eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen.

6

Die Klägerin stellte im Februar 2000 einen Antrag auf Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Mit Bescheid vom 7. Juli 2000 wurde wegen Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Kopfschmerzen und Krampfadern zunächst ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 festgestellt. Eine auf den Widerspruch der Klägerin hin eingeholte gutachterliche Stellungnahme vom 29. September 2000 gelangte zu dem Ergebnis, dass sie an einem schwerwiegenden HWS-Syndrom und einer degenerativen LWS mit erheblich ausstrahlenden Beschwerden leide. Die Beschwerden seien mit einem GdB von 40 zu bewerten. Für ein Krampfaderleiden sei mangels weiterer Funktionsbeeinträchtigungen ein GdB von 10 anzusetzen. Der Gesamt-GdB liege bei 40. Mit dem daraufhin erlassenen Teilabhilfebescheid wurde ab dem 28. Februar 2000 ein GdB von 40 festgestellt und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen. In dem vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg geführten Klageverfahren einigten sich die Beteiligten auf eine zusätzliche Berücksichtigung der Migräne. Mit Bescheid vom 20. August 2004 erfolgte die Feststellung eines GdB von 50.

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Am 15. Januar 2003 stellte die Klägerin einen Antrag auf finanzielle Hilfe nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz (DOHG). Hierzu gab sie an, ihr seien während ihrer aktiven Zeit als Ruderin beim SC Dynamo B. Anabolika als angebliche "Vitamintabletten" verabreicht worden. Weiterhin habe sie Vitamin B 17 mit Eiweißzusatzstoffen zu sich nehmen müssen. Die genaue Zusammensetzung sei ihr nicht bekannt. 1981 sei ihr eine Infusion unbekannten Inhalts verabreicht worden.

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Im Gutachten vom 25. Februar 2003 gelangte der Facharzt für Neurochirurgie PD Dr. H., MLU, zu dem Ergebnis, die ausgeprägte Degeneration der mobilen Segmente der Wirbelsäule (HWS und LWS) sei nicht altersentsprechend. Die Klägerin habe vom 13. bis 19. Lebensjahr als Ruderin Leistungssport betrieben. Damit sei die gesamte Wirbelsäule täglich mehrstündigen Extrembelastungen in Form von Scherstress der Drehbewegungen ausgesetzt gewesen. Es habe sich dabei zusätzlich negativ ausgewirkt, dass sie sich in diesem Zeitraum in ihrer Hauptwachstumsperiode befunden habe. Der Gutachter könne nicht einschätzen, ob und in welcher Form der Klägerin "unterstützende Mittel" appliziert worden seien. Jedenfalls seien die mehrjährige Extrembelastung unter absolut unphysiologischen Bedingungen und die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verabreichten Dopingpräparate ursächlich für die überdurchschnittlichen reaktiv-degenerativen Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule. Die Klägerin sei nur noch äußerst eingeschränkt belastbar und aktuell nicht mehr in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

9

In einer ärztlichen Bescheinigung vom 5. November 2004 gab die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. H. an, bei Einsichtnahme in die gynäkologische Behandlungskarte der Klägerin für den Zeitraum von November 1976 bis November 1981 habe sie Eintragungen zu Gaben von "7 mal" bzw. "24 mal T/m" festgestellt. Nach eigener Literaturrecherche habe das "T" in DDR-Dokumentationen bei Leistungssportlern für die Gabe von Testosteron, einem Anabolikum, gestanden. Das "m" bedeute insoweit "Monat". Eine Androgenisierung bestehe bei der Klägerin fort und äußere sich in tiefer Stimme, Hirsutismus/männlichem Behaarungstyp, Oligo-menorrhoe/seltener Regelblutung und maskulinem Muskelverteilungsmuster. Dies lasse sich als irreversible Folge einer Hormonbehandlung mit Androgenen im jugendlichen Alter gut vereinbaren. Der Klägerin wurden insgesamt Leistungen nach dem DOHG in Höhe von 13.938,71 EUR bewilligt.

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Im August 2008 stellte die Klägerin einen Neufeststellungsantrag nach dem SGB IX und stützte sich u. a. auf den Entlassungsbericht der T. Fachklinik B. über eine Rehabilitationsmaßnahme vom 31. Juli bis 21. August 2008. Hiernach könne die Klägerin aus orthopädischer Sicht nur weniger als drei Stunden täglich – mit diversen Leistungseinschränkungen – leichte körperliche Tätigkeiten verrichten und sei mit diesem Leistungsbild auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar. Aufgrund nicht gezahlter Beiträge zur Rentenversicherung habe sie indes keinen Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

11

Mit Bescheid vom 17. April 2009 wurde eine Neufeststellung des GdB abgelehnt. In einer auf den Widerspruch der Klägerin eingeholten gutachterlichen Stellungnahme vom 3. Oktober 2009 wurden die Minderbelastung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 40, die Migräne mit einem Einzel-GdB von 30 und die Krampfadern mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet, woraus sich ein Gesamt-GdB von 50 ergebe. In Bezug auf die HWS bestünden Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Einschränkungen und hinsichtlich der LWS mit mittelgradigen Einschränkungen. Nach Zurückweisung des Widerspruchs verurteilte das SG M. (Aktenzeichen: S 2 SB 21/10) den dortigen Beklagten mit Urteil vom 16. Oktober 2013 zur Feststellung eines GdB von 70 und stützte sich dabei auf ein Gutachten von PD Dr. R. Bei der Klägerin lägen schwerste Schädigungen aller drei Wirbelsäulenabschnitte mit teils deutlichen Bewegungseinschränkungen vor, was bereits einen Einzel-GdB von 70 rechtfertige.

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Die Klägerin stellte am 26. Februar 2007 einen Antrag auf Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem OEG: Sie sei sowohl vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als auch vom Unternehmen J. als Dopingopfer anerkannt worden und habe Entschädigungsleistungen erhalten. Als Ruderin beim SC Dynamo B. habe sie zunächst "Vitamintabletten" einnehmen müssen und außerdem kleine Tütchen mit Pulver bekommen, bei dem es sich um das Vitamin B 17 gehandelt haben solle. Nach zwei weiteren Jahren habe sie unterstützende Mittel in Form von Zusatzeiweißgetränken verabreicht bekommen und unter strenger Kontrolle zu sich nehmen müssen. Dies habe sich täglich über einige Wochen hinweg fortgesetzt. Sie habe in dieser Zeit auch die ersten Veränderungen an sich bemerkt: Sie sei muskulöser geworden und habe mit einem kleinen Bart zu kämpfen gehabt. Ab dem Alter von 15 Jahren habe sie sich die Pille verordnen lassen müssen und schon zu dieser Zeit immer häufiger unter Rücken- und Kopfschmerzen gelitten. Mit etwa 16 Jahren habe sie – insbesondere zu Wettkämpfen – immer häufiger Spritzen erhalten und weiterhin Veränderungen an ihrem Körper bemerkt. Während einer Grippewelle habe sie bei sich eine Körpertemperatur von 40 °C festgestellt, ohne jedoch das Fieber überhaupt bemerkt oder irgendwelche Krankheitssymptome festgestellt zu haben. Der ihr verabreichte Eiweißtrunk sei in der Folge durch "Schokoladenpralinen" ersetzt worden, die mit einem grau-weißen Pulver gefüllt gewesen seien. Wegen der Behandlung ihres Bandscheibenvorfalls sei ihr lediglich mitgeteilt worden, dass sie angeblich an Muskelverspannungen gelitten habe. Kurz nach ihrem 18. Geburtstag sei sie offiziell zur Einnahme von Anabolika aufgefordert worden, da sie nunmehr Olympiakader sei. Im Mai 1982 habe sie ihre Ausbildung abgeschlossen und auf die Beendigung ihrer leistungssportlichen Laufbahn gedrängt.

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Im Verwaltungsverfahren holte der Beklagte ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Professor Dr. N., Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums Münster, ein. Nach dem Gutachten vom 22. August 2009 sei – nach mehreren Jahrzehnten – der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme von Dopingmitteln und den erheblichen Gesundheitsschäden sehr schwierig zu führen. Hier komme erschwerend hinzu, dass die Dosierung der anabol-androgenen Steroide (AAS) nicht bekannt sei. Im damaligen Zeitraum sei das AAS Oral-Turinabol von der Firma J. verbreitet gewesen, welches vornehmlich anabol und nur mäßig androgen gewirkt habe: Es habe zu einer ausgeprägten Zunahme der Muskelmasse während intensiven Trainings geführt. Die geringe Androgenität habe zu einem verbreiteten Einsatz bei weiblichen Athletinnen geführt. Der Wirkstoff sei im Körper schnell abgebaut und beim Dopingtest 5 bis 7 Tage später nicht mehr nachweisbar gewesen. Die AAS hätten insbesondere die Hypertrophie der Skelettmuskulatur, die durch intensives Training zu Stande gekommen sei, verstärkt, den Fettanteil am Gesamtkörpergewicht und den Eiweißabbau verringert, eine positive Stickstoffbilanz sowie eine geringe Vermehrung der Erythrozyten und der Hämoglobinkonzentration bewirkt. Bei langjähriger Anwendung habe es theoretisch zur Entwicklung einer Arteriosklerose und – als deren Folge – zu einer koronaren Herzerkrankung kommen können. AAS könnten auch eine linksventrikuläre Myokardhypertrophie verursachen. Als Nebenwirkungen seien außerdem Leberstrukturveränderungen und eine beschleunigte Skelettreifung bei Jugendlichen nachgewiesen worden, ebenso wie androgene Auswirkungen (Akne, Haarausfall, Hirsutismus). Weiterhin seien eine gestörte Glukosetoleranz und depressive Verstimmungen beobachtet worden.

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Bei der Klägerin seien Arteriosklerose, Myokardhypertrophie, Leberveränderungen und Hirsutismus nicht nachzuweisen. Außerdem sei über einen regelmäßigen Zyklus berichtet worden. 1985 habe die Klägerin einen Sohn geboren. Die diskret vermehrte Gesichtsbehaarung hätte im Übrigen nach Absetzung der Anabolika verschwinden müssen. Der Fortbestand deute darauf hin, dass – wie bei vielen Frauen, die keine Anabolika eingenommen hätten – eine andere endogene Ursache vorliege. Im Rahmen der psychologischen Diagnostik habe sich eine schwere psychophysische Erschöpfung mit depressiven Verstimmungszuständen gezeigt.

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Der Gutachter konstatierte darüber hinaus, dass er bei der Recherche der einschlägigen medizinwissenschaftlichen Literatur keine Quelle gefunden habe über einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Anabolika und einer degenerativen Erkrankung der Wirbelsäule. Im Übrigen sei es "schwer definitiv zu sagen", ob die frühe Verabreichung von Oral-Turinabol allein zur Entwicklung einer Spinalkanalstenose geführt habe. Die Erhöhung der Knochendichte im Bereich der Wirbelsäule durch die Einnahme von Anabolika sei möglich. Bei der ausgeprägten Belastung der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur durch den Rudersport sei das Rückenverletzungsrisiko der Klägerin deutlich erhöht gewesen, was auch durch den Bandscheibenprolaps im Alter von 17 Jahren bestätigt werde. Die Fortsetzung des die Wirbelsäule stark belastenden Rudersports müsse sich ungünstig auf die Wirbelsäule ausgewirkt haben.

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Insgesamt sei für die Klägerin, deren Skelettsystem durch den Hochleistungssport außergewöhnlichen und zu Spätfolgen prädisponierenden Belastungen ausgesetzt gewesen sei, ein kausaler Zusammenhang zwischen der Zufuhr anaboler Steroide und den heute gegebenen Gesundheitsstörungen auszuschließen.

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Der Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 15. Oktober 2009 ab: Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der früheren Verabreichung von Dopingsubstanzen und den vorliegenden Gesundheitsstörungen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 5. November 2009 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2010 zurück.

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Die Klägerin hat am 2. Februar 2011 Klage vor dem SG Magdeburg erhoben. Hierbei hat sie den Beklagten als "Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin" bezeichnet. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr seien bereits im jugendlichen Alter – ohne ihr Wissen – Dopingmittel verabreicht worden. Dies und die darauf beruhende extreme Überlastung während ihrer aktiven Zeit als Sportlerin hätten zu zahlreichen Gesundheitsstörungen geführt, weshalb ihr ein Anspruch nach dem OEG zustehe. Leistungen seien rückwirkend ab September 2003 zu gewähren, da sie bereits im August 2003 einen Antrag auf Rehabilitierung nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG) gestellt habe, der mit Bescheid vom 9. August 2004 vom Beklagten abgelehnt worden sei. Sie hätte bereits zu diesem Zeitpunkt über die Möglichkeit der Gewährung von Leistungen nach dem OEG informiert werden müssen.

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Das SG hat zunächst eine ergänzende Stellungnahme von Professor Dr. N. vom 10. April 2012 eingeholt: Gynäkologische Schädigungsfolgen seien nicht nachgewiesen. Aus der gynäkologischen Behandlungskarte gehe ein regelmäßiger Zyklus mit und ohne Pille hervor. Auch im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik B. vom August 2008 zeigten sich keine gynäkologischen Auffälligkeiten. Dort seien auch keine Zeichen einer Hyperandrogenisierung erwähnt worden. Bezüglich der Auswirkungen von AAS auf das Skelettsystem sei auch nach der aktuellen wissenschaftlichen Literatur kein Kausalzusammenhang herzustellen. Es würden sich in der Literatur vielmehr Hinweise auf eine schützende und anti-entzündliche Wirkung von Androgenen auf das Gelenkgewebe und bei rheumatischer Arthritis finden. Training und Wettkämpfe im Rudern hätten eine ungeheure Belastung für das Skelettsystem und die gesamte Wirbelsäule bedeutet. Eine aktuelle Untersuchung unter American-Football-Spielern habe häufigere Verletzungen des Muskel- und Skelettapparates bei Spielern ergeben, die regelmäßig AAS eingenommen hätten. American Football sei jedoch nicht mit dem Rudern vergleichbar. American Football habe ohnehin ein höheres Verletzungsrisiko. Außerdem seien die dort verabreichten Dosen deutlich höher gewesen. Die Erhebung sei daher insgesamt nicht aussagekräftig.

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Das SG hat ein Gutachten vom 13. Mai 2013 eingeholt bei PD Dr. R., Institut für Sportwissenschaft der Universität W. (Beweisanordnung vom 25. September 2012). Nach dessen Feststellungen hätten sich weder in der englischsprachigen Literatur bis zum Jahr 2009 noch in den darauf basierenden deutschsprachigen Doping-Fachbüchern klare Hinweise auf Korrelationen zwischen Wirbelsäulenschäden und der Einnahme von anabolen Steroiden finden lassen.

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Der Sachverständige hat auf eine Untersuchung von PD Dr. S., H.-U. B., aus den Jahren 2004 und 2007 verwiesen: Dort sei aus einer Gesamtgruppe von vermutlich 1000 schwerbeschädigten DDR-Sportlern eine Stichprobe von 52 Personen aus 24 Disziplinen gezogen worden. 92 % der Befragten hätten dabei Skeletterkrankungen angegeben. Bei einer schwedischen Untersuchung von 4000 Anabolikakonsumenten aus der Bodybuilding Szene seien hingegen Skeletterkrankungen nicht angegeben worden.

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Nach den Publikationen von PD Dr. S. gehe aus den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR hervor, dass ein beim SC Dynamo B. tätiger Mediziner 1988 angegeben habe, dort hätten gegenwärtig alle Sportlerinnen des Spitzenbereichs der Sektion Turnen erhebliche Schäden vor allem im Wirbelsäulenbereich. Eine Weiterführung in der bisherigen Form würde Dauerschäden nach sich ziehen.

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Auch bei einer umfangreichen Studie über mehr als 2500 ehemalige amerikanische Profi-Footballspieler von 2009 habe sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen Bandscheibenvorfällen und der Einnahme anaboler Steroide ergeben. Im Hinblick auf den konkreten Wirkmechanismus werde vermutet, dass wegen der Muskelhypertrophie und der damit verbundenen höheren Kräfte die anderen Strukturen des Bewegungsapparates bezüglich der Belastungstoleranz nicht Schritt halten könnten und hierdurch entsprechende Sportschäden entstünden.

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Beim Rudern handele es sich grundsätzlich um eine Sportart mit geringem akutem Verletzungsrisiko. Die häufigsten Überlastungsschäden träten im Bereich der unteren Wirbelsäule auf. Bei der Klägerin ließen sich insbesondere die starken Veränderungen an der HWS nach den einschlägigen sporttraumatologischen Lehrbüchern nicht mit der speziellen Biomechanik des Ruderns erklären. Die Wirbelsäulenschädigungen der Klägerin seien in erster Linie als Folge einer unphysiologischen Überlastung durch gewaltige Trainingsvolumina und Trainingsintensitäten zu bewerten, die der noch in der Wachstumsphase befindliche jugendliche Körper der Klägerin nur durch die Gabe anaboler Steroide habe durchhalten können.

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Bei der Klägerin bestünde eine Wirbelsäulenschädigung im Sinne eines LWS-, HWS- und Brustwirbelsäulen (BWS)-Syndroms. Außerdem sei die diagnostizierte Ulkuskrankheit letztlich Folge der schmerzbedingten Einnahme nicht-steroidaler Antirheumatika. Auch der Nackenkopfschmerz mit zervikaler Migräne, der psychophysische Erschöpfungszustand mit depressiven Verstimmungszuständen bei chronischem Schmerzsyndrom, der Hirsutismus und eine septale linksventrikuläre kardiale Hypertrophie seien kausal auf die Einnahme anaboler Steroide zurückzuführen. Die Wirbelsäulenbeschädigung sei mit einem Grad der Schädigung (GdS) von 70, die Ulkuskrankheit mit einem GdS von 10, der Nackenkopfschmerz mit der zervikalen Migräne mit einem GdS von 60, der psychophysische Erschöpfungszustand mit einem GdS von 70, der Hirsutismus mit einem GdS von 10 und die septale linksventrikuläre kardiale Hypertrophie mit einem GdS von 10 zu bewerten. Hieraus folge ein Gesamt-GdS von 100. Professor Dr. N. habe bei seiner Begutachtung insbesondere die Untersuchung von PD Dr. S. nicht berücksichtigt. Außerdem sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass sich bei der Klägerin nicht die üblicherweise zu erwartenden Wirbelsäulenschäden im BWS- und LWS-Bereich gezeigt hätten, sondern besonders gravierend im HWS-Bereich. Weiterhin sei das Fehlen von Wirbelsäulenbeschwerden im näheren Familienkreis relevant, welches gegen eine familiäre Disposition spreche.

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Der Beklagte hat zum Gutachten von PD Dr. R. eine weitere gutachterliche Stellungnahme von Professor Dr. N. vom 19. Januar 2014 eingeholt: Der in Bezug genommenen Studie von PD Dr. S. habe keine medizinische Untersuchung zu Grunde gelegen, sondern lediglich eine einfache Befragung. Es sei völlig offen, wie viele der 52 befragten Teilnehmer weibliche Ruderinnen gewesen seien. Ebenso habe eine adäquate Kontrollgruppe gefehlt. Die Studie habe keinerlei Aussagekraft. Wegen der Studie zu American-Football-Spielern sei zu berücksichtigen, dass diese Sportart von aggressivem Körperkontakt mit hohem Verletzungsrisiko geprägt sei, was mit dem Rudersport nicht vergleichbar sei. Es habe sich um eine retrospektive Befragung gehandelt. Viele Spieler hätten erst nach einer Verletzung AAS eingenommen, um schneller fit zu werden. Zudem seien dort um ein vielfaches höhere Dosen verabreicht worden. Auch bei Ruderern sei die HWS nicht von möglichen Schäden ausgenommen. Die Diagnose des Hirsutismus durch den gerichtlich bestellten Gutachter sei zu beanstanden. Eine vermehrte Gesichtsbehaarung sei hierfür nicht ausreichend; sonstige Zeichen einer Virilisierung (Vermännlichung) seien nicht beschrieben worden. Die Diagnose einer Myokardhypertrophie könne ebenso wenig bestätigt werden. Die im Echokardiogramm beschriebene Septumdicke von 12,4-13 mm bei sonst normweiten Herzbinnendiametern und ohne diastolische Funktionseinschränkungen trage diese Diagnose nicht.

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Darüber hinaus legte der Beklagte eine fachpsychiatrische Stellungnahme des Sozialmediziners Dr. S., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 21. Februar 2014 vor. Dr. S. wandte sich gegen die Beschreibung der zervikalen Migräne bzw. des Nackenkopfschmerzes als eigenständige neurologische Erkrankungen. Diese seien vielmehr als Begleitsymptomatik des HWS-Syndroms zu bewerten. Selbst als eigenständige neurologische Erkrankung könne hieraus aber allenfalls ein GdS von 30 resultieren. Die Diagnose einer psychisch-physischen Erschöpfung sei fachfremd erfolgt. Hierfür hätte es eines psychiatrischen Kausalitätsgutachtens bedurft.

28

Schließlich legte der Beklagte eine fachchirurgisch-versorgungsärztliche Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. H., Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie, vom 24. September 2014 vor. Hiernach seien die schweren degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule Ausdruck von Verschleißprozessen, die den über mehrere Jahre andauernden enormen Belastungen des Stütz- und Bewegungsapparates durch den Hochleistungssport geschuldet seien. Aus den Gutachten gehe außerdem hervor, dass der klinische Befund bezüglich der Wirbelsäule äußerst kurz sei. Detaillierte Funktionsbefunde für die Wirbelsäule seien nicht dokumentiert. Die GdS-Bewertung mit 70 sei daher nicht nachvollziehbar. Hierzu bedürfe es einer fachchirurgisch-orthopädischen Begutachtung.

29

Das SG hat am 25. Juli 2014 eine weitere Beweisanordnung erlassen bezüglich der Einholung eines chirurgischen Sachverständigengutachtens bei Professor Dr. M., Medizinisches Gutachteninstitut D. Nach dem Gutachten von Professor Dr. M. vom 4. Januar 2015 liege bei der Klägerin eine hochgradige Funktionseinschränkung der HWS nach Bandscheibenersatz und Fusion, eine Funktionseinschränkung der LWS, eine endgradige Funktionseinschränkung beider Kniegelenke und Übergewicht vor. Zwischen der Einnahme anaboler Steroide und den Wirbelsäulenschäden bestehe kein kausaler Zusammenhang. Vielmehr seien diese das Ergebnis des früher ausgeübten Hochleistungssports mit außergewöhnlichen und zu Spätfolgen prädisponierenden Belastungen. Es lägen mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor. Diese seien mit einem Einzel-GdS von 40 zu bewerten. Die Bewertung mit einem GdS von 70 sei nicht mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) zu vereinbaren. Große Teile der Wirbelsäule seien nicht versteift. Es sei auch keine anhaltende Ruhigstellung durch eine Rumpfendoprothese, die drei Wirbelsäulenabschnitte erfasse, erfolgt. Ebenso wenig liege eine Skoliose mit einem Winkel nach COBB von 70° und mehr vor: Die Befunderhebung im Gutachten von PD Dr. R. sei nicht ausreichend. Darüber hinaus ist Professor Dr. M. der Bewertung des Nackenkopfschmerzes und der zervikalen Migräne mit einem GdS von 60 entgegengetreten.

30

Am 15. Januar 2015 hat das SG den Sachverständigen Professor Dr. M. auf die nicht vollständige Beantwortung der Beweisfragen hingewiesen. Es wurde um Mitteilung gebeten, ob eine Ergänzung des neurologisch-psychiatrischen Teils sowie eine Beurteilung der Ulkuskrankheit, des Hirsutismus und der linksventrikulären kardialen Hypertrophie möglich sei. Eine Beauftragung des Medizinischen Gutachteninstituts sei gerade wegen des Angebots einer fachübergreifenden Begutachtung erfolgt.

31

Hierauf hat Professor Dr. M. mitgeteilt, die am Gutachteninstitut tätige Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erstatte keine Gutachten mehr für Sozialgerichte in Sachsen-Anhalt. Er hat für den neurologisch-psychiatrischen Teil des Gutachtens die Beauftragung eines mit dem Gutachteninstitut kooperierenden Mediziners in D. (Dr. P.) empfohlen. Daraufhin hat das SG eine weitere Beweisanordnung vom 6. Februar 2015 bezüglich Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei Dr. P. erlassen. In der Folge hat der Sachverständige darüber informiert, dass die Klägerin nicht bereit sei, sich begutachten zu lassen. Auf ein diesbezügliches Hinweisschreiben des SG vom 10. April 2015 hat die Klägerin mitgeteilt, da (weitere) Behandlungen und Untersuchungen mit erheblichen Schmerzen verbunden seien, lehne sie diese ab. Im Übrigen seien die vorliegenden "prozessrelevanten Unterlagen" (einschließlich der bereits eingeholten Gutachten) ausreichend. Darüber hinaus hat sie ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Fachgutachten/Therapiebericht von Dr. L., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, L., vom 19. Februar 2015 übersandt, nach welchem bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung gegeben sei. Aktueller Auslöser für die jetzige Therapie sei das zunehmende Empfinden, einen regelrechten Missbrauch am eigenen Körper erlebt zu haben im Sinne der Ausnutzung von Fremdbestimmung und Schutzlosigkeit. Diese Art von Ohnmacht gegenüber einem System, das der Klägerin als Schwerbeschädigter die ihr zustehende Opferrente bis heute verweigere, verunmögliche ihr die eigenständige Nachreifung einer gesunden Autonomie. Sie definiere sich in den letzten Jahren überwiegend über den juristischen Kampf um Anerkennung und Rehabilitation.

32

Mit Urteil vom 10. Juli 2015 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2010 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung einer hochgradigen Funktionseinschränkung der HWS nach Bandscheibenersatz und Fusion mit Nackenkopfschmerz und zervikaler Migräne mit typischer Aura und einer Funktionseinschränkung der LWS mit einem Einzel-GdS von 50 sowie einer Ulkuskrankheit mit einem Einzel-GdS von 10 als Schädigungsfolgen ab dem 1. Februar 2007 eine Beschädigtenversorgung nach einem Gesamt-GdS von 60 zu gewähren, wobei der Anspruch ab dem 1. Oktober 2007 mit 4 v. H. zu verzinsen sei. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach § 10a Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Sie sei in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis ... 1990 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG geworden. Die vorsätzliche Verabreichung von Dopingsubstanzen an Sportler könne eine vorsätzliche Beibringung von Gift darstellen. Allein die Gabe des Präparates Oral-Turinabol sei ausreichend für das Vorliegen eines tätlichen Angriffs. Die Verabreichung dieser Substanz während der aktiven Zeit der Klägerin als Hochleistungssportlerin von September 1976 bis April 1982 sei jedenfalls im Sinne von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) glaubhaft gemacht. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin Leistungen nach dem DOHG und eine Entschädigung vom Unternehmen J. pharm erhalten habe. Versagungsgründe nach § 2 Abs. 1 OEG seien nicht gegeben. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar für eine Einwilligung der Klägerin in die Einnahme der Dopingsubstanzen. Im Übrigen wäre eine solche Einwilligung angesichts des damals jugendlichen Alters der Klägerin unbeachtlich.

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Als Schädigungsfolgen seien eine hochgradige Funktionseinschränkung der HWS nach Bandscheibenersatz und Fusion mit Nackenkopfschmerz und zervikaler Migräne bei typischer Aura und eine Funktionseinschränkung der LWS sowie eine Ulkuskrankheit anzuerkennen, die jeweils auf die Gabe anaboler Steroide in der Zeit von September 1976 bis April 1982 zurückzuführen seien. Hinsichtlich des Kausalzusammenhangs zwischen den Wirbelsäulenschäden und der Einnahme anaboler Steroide folge das SG den Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. R. im Gutachten vom 13. Mai 2013 und den Ausführungen von PD Dr. H. im Gutachten vom 25. Februar 2003. PD Dr. R. habe überzeugend dargelegt, dass die Wirbelsäulenschädigung primär als Folge einer unphysiologischen Überlastung durch gewaltige Trainingsvolumina und -intensitäten anzusehen sei, die der – noch in der Wachstumsphase befindliche – jugendliche weibliche Körper nur durch die Gabe anaboler Steroide habe durchhalten können. Auch PD Dr. H. habe ausgeführt, dass die mehrjährige Extrembelastung unter absolut unphysiologischen Bedingungen und bei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verabreichten Dopingpräparaten zur Leistungssteigerung ursächlich für die überdurchschnittlichen reaktiv-degenerativen Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule seien. Die medizinischen Sachverständigen (einschließlich der Gutachter Professor Dr. M. und Professor Dr. N., die im Ergebnis eine Ursächlichkeit der Dopinggabe verneint haben) seien sich weitgehend einig, dass die Extrembelastung durch den Rudersport für die Schäden an der Wirbelsäule verantwortlich sei. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Schäden ohne die Einnahme von Oral-Turinabol nicht oder nicht in dieser Schwere aufgetreten wären. Professor Dr. N. habe zu den allgemeinen Wirkungen von Oral-Turinabol ausgeführt, dass hierdurch vor allem die durch intensives Training zu Stande kommende Hypertrophie der Skelettmuskulatur verstärkt werde. Es komme zu einem Muskelmassezuwachs, der ohne die Einnahme von Oral-Turinabol nicht zu verzeichnen wäre. Jedenfalls könnten sich Sportler durch die Anwendung von Oral-Turinabol stärker belasten und fühlten sich nach hohen Belastungen schneller wiederhergestellt. PD Dr. R. habe hierzu angemerkt, hinsichtlich der Schäden am Bewegungsapparat werde ein Wirkmechanismus dahingehend vermutet, dass wegen der Muskelhypertrophie und der damit verbundenen höheren Kräfte die anderen Strukturen des Bewegungsapparates bezüglich der Belastungstoleranz nicht Schritt halten könnten und so entsprechende Wirbelsäulen-Sportschäden entstünden. Insoweit könne die Extrembelastung während der Zeit als Hochleistungssportlerin nicht von der Einnahme des Oral-Turinabol getrennt werden. Die Klägerin habe auch anschaulich das deutlich herabgesetzte Schmerzempfinden geschildert. Die von PD Dr. R. in Bezug genommene Untersuchungen wiesen auf einen direkten Zusammenhang zwischen der Gabe von anabolen Steroiden und Wirbelsäulenschädigungen hin. Auch wenn es sich bei den Erhebungen von PD Dr. S. nicht um eine verwertbare Studie handele, so beinhalte diese zumindest ein Indiz für einen Kausalzusammenhang. Entsprechendes gelte auch für die zitierte Studie aus dem Jahr 2009 zur Untersuchung von mehr als 2500 ehemaligen American-Football-Spielern, die einen signifikanten Zusammenhang von Rückenschmerzen und der Einnahme von Anabolika zeigten. Nach den Ausführungen von PD Dr. R. träten beim Rudern Überlastungsschäden im Bereich der unteren Wirbelsäule auf, während bei der Klägerin die HWS am stärksten betroffen sei. Die Migräne mit typischer Aura und Nackenkopfschmerz sei keine eigenständige Schädigungsfolge, sondern der Schädigung im HWS-Bereich zuzuordnen.

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Als weitere Schädigungsfolge sei die Ulkuskrankheit anzuerkennen. PD Dr. R. habe hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass dies letztlich Folge der Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika sei, die die Klägerin wegen der massiven Schmerzen habe einnehmen müssen. Insoweit sei die Erkrankung Folge der Schmerzmitteleinnahme, die wiederum durch die dopingverursachten Wirbelsäulenschäden notwendig geworden sei.

35

Ein Hirsutismus sei demgegenüber bei der Klägerin nicht als Schädigungsfolge anzuerkennen, da erhebliche Zweifel an der entsprechenden Diagnose bestünden. Professor Dr. N. habe hierzu in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2014 angegeben, es handele sich um ein definiertes Krankheitsbild mit vermehrter Haaransammlung im Bereich der Oberlippe, der Wangen, des Kinns, der Brust sowie der Linea albea. Entsprechendes sei in den bis dahin vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht dokumentiert. Diese Einschätzung habe sich auch durch den persönlichen Eindruck des SG in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Soweit heute noch eine leicht vermehrte Gesichtsbehaarung bestehen sollte, könne diese nicht mehr im Zusammenhang mit einer Einnahme von anabolen Steroiden vor 30 Jahren stehen.

36

Auch die Diagnose einer Myokardhypertrophie sei zu beanstanden. Wenn im Echokardiogramm eine Septumdicke von 12,4-13 mm bei sonst normweiten Herzbinnendiametern und ohne diastolische Funktionseinschränkung beschrieben werde, seien diese Befunde mit der Diagnose nicht vereinbar. Von pathologischer Myokardhypertrophie könne erst bei einer Dicke des Septums von mehr als 13 mm mit erweitertem Herzbinnendiametern und einer diastolischen Funktionseinschränkung ausgegangen werden.

37

Hinsichtlich einer chronischen Varikosis (beidseits nach mehreren Operationen) sei ein Kausalzusammenhang nicht belegt.

38

Die Diagnose einer psychophysischen Erschöpfung mit depressiven Verstimmungszuständen bei chronischem Schmerzsyndrom sei von PD Dr. R. fachgebietsfremd gestellt worden; Entsprechendes gelte für die Annahme eines Kausalzusammenhangs mit der Verabreichung anaboler Steroide. Die für den Nachweis von Schädigungsfolgen beweisbelastete Klägerin habe sich indes geweigert, einen Termin zwecks Anfertigung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgutachtens beim hierzu bestellten gerichtlichen Gutachter wahrzunehmen, was zu ihren Lasten gehe. Soweit die Klägerin auf das von ihr übersandte psychiatrisch-psychotherapeutische Fachgutachten von Dr. L. vom 19. Februar 2015 Bezug nehme, enthalte dieses keine Ausführungen zu einem möglichen Kausalzusammenhang zwischen einer psychiatrischen Erkrankung und der Verabreichung von Dopingsubstanzen.

39

Die hochgradige Funktionseinschränkung der HWS nach Bandscheibenersatz und Fusion mit Nackenkopfschmerz und zervikaler Migräne mit typischer Aura und einer Funktionseinschränkung der LWS sei mit einem Einzel-GdS von 50 zu bewerten (vgl. Nr. 18.9 VMG). Professor Dr. M. habe im Gutachten vom 4. Januar 2015 überzeugend dargelegt, dass eine hochgradige Funktionseinschränkung an der HWS bestehe, die einer funktionellen Versteifung gleichkomme. Die komplexen Bewegungen von BWS und HWS seien überhälftig reduziert. Es lägen mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor. Ein GdS von 70 komme indes nicht in Betracht: Große Teile der Wirbelsäule seien nicht versteift; es erfolge keine Ruhigstellung durch eine Rumpfendoprothese, die drei Wirbelsäulenabschnitte erfassen würde; auch eine schwere Skoliose liege nicht vor. Die Wirbelsäulenschäden seien für sich mit einem Einzel-GdS von 40 zu bewerten. Da der Nackenkopfschmerz und die zervikale Migräne mit typischer Aura dieser Funktionseinschränkung zuzuordnen seien, ergebe sich insgesamt ein GdS von 50. Für die Ulkuskrankheit sei auf der Grundlage der Ausführungen von Dr. R. ein Einzel-GdS von 10 anzusetzen, was indes nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdS führe. Dennoch sei der Gesamt-GdS gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit auf 60 zu erhöhen. Nach dem Gutachten von Dr. B. vom 16. Januar 2002 (für eine private Berufsunfähigkeitsversicherung) sei die Klägerin wegen der Beschwerden im Sinne eines zervikocephalen Syndroms auf Basis degenerativer Veränderungen der HWS nicht mehr in der Lage, ihren Beruf als Handelsvertreterin bzw. Einkäuferin und Filialleiterin im Einzelhandel auszuüben. Aufgrund der HWS-Erkrankung sei sie seit dem 11. April 2000 arbeitsunfähig. Mit dem sich aus dem Entlassungsbericht zur Rehabilitationsmaßnahme von Juli/August 2008 ergebenden Leistungsbild sei sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar. Sie erhalte lediglich eine private Berufsunfähigkeitsrente von ca. 780,00 EUR. Nach alldem sei die Klägerin im Sinne von § 10a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OEG in Verbindung mit § 31 Abs. 2 BVG schwer beschädigt und auch bedürftig im Sinne von § 10a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 10a Abs. 2 OEG. Der Leistungsbeginn sei im Hinblick auf die Antragstellung am 26. Februar 2007 nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG auf den 1. Februar 2007 festzulegen. Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, aus dem sich ggf. ein früherer Leistungsbeginn ableiten ließe, seien nicht nachgewiesen worden.

40

In dem Urteil ist der Beklagte bezeichnet worden als "Land Brandenburg, vertreten durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin". Die Zustellung des Urteils erfolgte an das "Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin". Ein unterzeichnetes Empfangsbekenntnis hierzu findet sich nicht in der Akte.

41

Der Beklagte hat am 3. September 2015 (mit handschriftlich unterzeichnetem Schriftsatz vom 27. August 2015) "gegen das am 10.07.2015 verkündete und am 03.08.2015 zugestellte Urteil" Berufung eingelegt: Gemäß der fachchirurgischen versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24. August 2015 sei ein Kausalzusammenhang zwischen den geltend gemachten Schädigungsfolgen und der Verabreichung von Dopingsubstanzen zu verneinen. Das SG habe sich hinsichtlich der Kausalität auf ein fachfremdes Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin und für Innere Medizin PD Dr. R. gestützt. Demgegenüber habe der orthopädische und vom Gericht bestellte Gutachter Professor Dr. M. in seinem Gutachten vom 4. Januar 2015 chirurgisch-orthopädische Schädigungsfolgen verneint. Im Übrigen sei auch die Bildung des GdS nicht korrekt. Eine Begründung der Ursächlichkeit für das Migräneleiden sei dem Gutachten von PD Dr. R. nicht zu entnehmen. Demgemäß könne die Migräne mangels Kausalität den GdS für das Wirbelsäulenleiden nicht erhöhen. Darüber hinaus habe sich bislang noch keine der an Spitzensportlern durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen mit der Frage beschäftigt, welche Folgewirkungen durch übermäßiges Training im Hochleistungssport (hier: Rudersport von Frauen) entstünden und inwieweit zusätzliche bzw. weitergehende Schäden (welche hier allein maßgeblich sein könnten) bei Hochleistungssportlern entstünden, die Dopingmittel erhielten.

42

Der Beklagte beantragt,

43

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Juli 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

44

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

45

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.

46

Sie ist der Auffassung, die Berufung sei "nicht rechtskräftig, wegen fehlender Unterschrift". Im Übrigen sei "Beklagter im Urteil" des SG das Land Brandenburg. Dieses habe aber keine Berufung eingelegt. In der Sache sei durch zahlreiche Gutachten nachgewiesen worden, dass die seit 2000 bestehende volle Erwerbsunfähigkeit ihre Ursache allein im "Doping-Schaden an der Wirbelsäule" habe. Es bestünden außerdem ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch und eine "rückwirkende Schadensersatzpflicht" wegen "Nichtbeachtung durch die zuständigen BRD-Behörden ab August 2003" auf Grundlage des Antrages auf Versorgung nach dem VwRehaG.

47

Mit Schreiben vom 2. November 2015 hat das Land Brandenburg – Landesamt für Soziales und Versorgung – beim SG beantragt, "das Rubrum in dem Urteil vom 10.07.2015 ( ) zu ändern". Am 9. Februar 2016 hat das SG das Passivrubrum des Urteils vom 10. Juli 2015 gemäß § 138 Sozialgesetz (SGG) dahingehend geändert, dass es "Land Berlin" heiße. Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 12. Juli 2016 als unbegründet zurückgewiesen (Aktenzeichen: L 7 VE 2/16 B).

48

Der Senat hat der Klägerin mit Schreiben vom 28. Januar 2016 mitgeteilt, dass zur Aufklärung des Sachverhaltes Ermittlungen hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens, der Migräne und der Ulkuskrankheit über den Zeitraum von 2014 bis heute angezeigt seien. Sie ist deshalb gebeten worden, eine Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht sowie einen Fragebogen zu den durchgeführten medizinischen Behandlungen auszufüllen und unterschrieben zurückzusenden. Hierauf hat die Klägerin, die sich nunmehr als Bürgerin des "Freistaates Preußen" bezeichnet, mit Schreiben vom 2. Februar 2016 reagiert. Hierin hat sie ausgeführt, dass es sich beim LSG "um kein staatliches Gericht" handele und es daher auch "keine richterlichen staatlichen Hoheitsbefugnisse Preußens" habe, sondern "nur für juristische Personen der BRD zuständig" sei. Darüber hat sie erneut geltend gemacht, das "Landesamt für Soziales und Versorgung Cottbus" (also das Land Brandenburg) habe "bis heute keine Berufung eingelegt".

49

Mit Schreiben vom 14. November 2016 hat der Senat die Klägerin gemäß § 106a SGG aufgefordert, binnen einer Frist von sechs Wochen mitzuteilen, ob sie im vorliegenden Verfahren Auskunft über die sie behandelnden und untersuchenden Mediziner erteile und diese von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbinde und hierzu ggf. um Rücksendung der mit gerichtlichem Schreiben vom 28. Januar 2016 übermittelten – unterschriebenen – Unterlagen gebeten. Die Klägerin wurde über die sich aus dem fruchtlosen Ablauf der Frist gemäß § 106a Abs. 3 SGG ergebenden rechtlichen Folgen belehrt. Auch hierauf hat die Klägerin am 24. Dezember 2016 wiederum mit Verweis auf die nach ihrer Auffassung fehlende Zuständigkeit des Senats für "Staatsangehörige des Freistaates Preußen" reagiert. Das vom Senat "rechtswidrig geführte Verwaltungsverfahren" sei unverzüglich einzustellen.

50

Mit gerichtlichem Schreiben vom 28. Dezember 2016 hat der Senat der Klägerin mitgeteilt, ihr Begehren auf "Einstellung des Verfahrens" könnte ggf. dahin verstanden werden, dass sie die Klage zurücknehmen wolle, da nur auf diese Weise eine von ihr herbeigeführte Verfahrensbeendigung erfolgen könnte. Sie möge dabei berücksichtigen, dass (vorläufige) Grundlage der derzeit an sie gezahlten monatlichen Leistungen der Beschädigtenversorgung das (noch nicht rechtskräftige) erstinstanzliche Urteil des SG vom 10. Juli 2015 sei, welches indes bei Klagerücknahme wirkungslos würde. Die Klägerin ist in diesem Zusammenhang um Klarstellung ihres prozessualen Begehrens gebeten worden. Auch hierauf hat sie im Wesentlichen auf das nach ihrer Auffassung fehlende Vorliegen einer Berufung und eine vermeintliche Unzuständigkeit des Senats für eine Entscheidung verwiesen.

51

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

52

Der Senat konnte den Rechtsstreit in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG.

53

Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 SGG auch statthafte Berufung des Beklagten ist begründet.

54

1. Insbesondere ist die Berufung durch den richtigen Beklagten (und Berufungskläger) eingelegt worden, das Land Berlin (vertreten durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales). Die Klägerin hat ihren Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG beim zuständigen Berliner Landesamt gestellt, bei dem sodann das gesamte Verwaltungsverfahren geführt worden ist. Sie hat – entgegen dem hier maßgeblichen Rechtsträgerprinzip – die Klage nicht ausdrücklich gegen das Land Berlin gerichtet, dessen Behörde (Landesamt für Gesundheit und Soziales) den angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat, sondern gegen die Behörde als rechtlich unselbstständiger Verwaltungseinheit. Das SG hat gleichwohl – zu Recht – unter entsprechender Anwendung der Prinzipien des § 123 SGG (bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes) die Klage zu Gunsten der Klägerin dahin ausgelegt, dass sie sich gegen den "richtigen Beklagten" wendet, also das Land Berlin als dem Rechtsträger des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, wobei das Landesamt das beklagte Land lediglich vertritt.

55

Da sich die Erfassung des Beklagten beim SG zunächst offenbar an der Bezeichnung der Beteiligten im Klageschriftsatz orientiert hatte, hat das SG sämtliche Schreiben im erstinstanzlichen Verfahren an den Beklagten lediglich unter der Bezeichnung als (Berliner) "Landesamt" gerichtet. Es sind indes keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Gericht oder die Beteiligten davon ausgegangen wären, dass das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin – entgegen der föderalstaatlichen Verwaltungsorganisation der Bundesrepublik Deutschland – etwa ein anderes Bundesland vertreten würde als seinen eigenen Rechtsträger. Wenn sodann in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2015 und in dem in dieser Verhandlung ergangenen Urteil der Beklagte (erstmals) bezeichnet wird als "Land Brandenburg, vertreten durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin", handelt es sich um eine ohne Weiteres erkennbare offenbare Unrichtigkeit. Bei dem – von der Klägerin selbst während des gesamten Verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahrens in Anspruch genommenen – Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin kann es sich (wie bereits aus der Behördenbezeichnung unzweifelhaft zu entnehmen ist) nur um eine Behörde des Landes Berlin handeln, nicht um eine solche des Landes Brandenburg. Demgemäß war auch für die Klägerin evident erkennbar, dass ihre Klage gegen das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin gegen einen Bescheid eben dieses Berliner Landesamtes ausschließlich zu einer Verurteilung des Landes Berlin führen konnte, die Benennung eines anderen Bundeslandes im Rubrum des Urteils also einen offenkundigen Fehler im Ausdruck des Willens des Gerichts beinhalten musste, zumal sich in den Entscheidungsgründen auch keine Ausführungen dazu finden, dass und weshalb eine Berliner Behörde hier ggf. ein anderes Land hätte vertreten sollen. Aus diesen Gründen hat das SG auch eine entsprechende Rubrumsberichtigung gemäß § 138 Satz 1 SGG mit Beschluss vom 9. Februar 2016 vorgenommen und das LSG die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 12. Juli 2016 zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es mithin für die Zulässigkeit der Berufung unerheblich, dass das Land Brandenburg keine Berufung eingelegt hat. Denn das Land Brandenburg war offensichtlich zu keiner Zeit Beteiligter des Verfahrens.

56

2. Das SG hat den Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2010 zu Unrecht aufgehoben und den Beklagten verurteilt, unter Anerkennung der im Urteil näher bezeichneten Schädigungsfolgen ab dem 1. Februar 2007 eine Beschädigtenversorgung nach einem Gesamt-GdS von 60 zu gewähren und diesen Anspruch ab dem 1. Oktober 2007 zu verzinsen. Demgegenüber hatte der Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden zu Recht die Anerkennung von Schädigungsfolgen und eine hierauf beruhende Beschädigtenversorgung nach dem OEG abgelehnt.

57

a) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

58

aa) Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein.

59

bb) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zu Grunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Für den Beweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Ergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG bzw. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände viel für diese Möglichkeit spricht.

60

Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R, juris; Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R, juris; Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B, juris).

61

b) Zwar hat die Klägerin den geltend gemachten Angriff (Verabreichung von Dopingsubstanzen) nicht im Geltungsbereich des OEG (Bundesrepublik Deutschland) erlitten, sondern in einem Zeitraum von September 1976 bis April 1982 auf dem Gebiet der damaligen DDR. Gemäß § 10a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 OEG erhalten jedoch auch Personen eine Versorgung, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (ehemalige DDR) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum ... 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie (nunmehr) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Demgemäß steht der räumliche Geltungsbereich des Gesetzes wegen der Regelungen des § 10a Abs. 1 OEG einem möglichen Anspruch der Klägerin nicht entgegen.

62

c) Das allgemeine Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, wonach ein Entschädigungsanspruch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff voraussetzt, ist vorliegend gegeben. Dabei ist die Gabe von Dopingmitteln wegen der die Gesundheit zerstörenden Wirkung der verabreichten Dopingsubstanz unter den Tatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG zu subsumieren. § 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG steht das vorsätzliche Beibringen von Gift einem tätlichem Angriff gleich. Deshalb kann die Frage, ob bei der Gabe von Dopingmitteln die für den tätlichen Angriff nach § 1 Abs. 1 OEG vorausgesetzte "feindliche Willensrichtung" des Täters (hier: in der Regel des Trainers) vorliegt oder nachzuweisen ist, dahinstehen (so auch SG B., Urteil vom 27. September 2013 – S 181 VG 167/07, juris).

63

Davon, dass der Klägerin tatsächlich Dopingsubstanzen (hier: Oral-Turinabol) verabreicht worden sind, ist zur Überzeugung des Senats jedenfalls auf der Grundlage einer hinreichenden Glaubhaftmachung im Sinne von § 15 KOVVfG in Verbindung mit § 6 Abs. 3 OEG auszugehen. Denn die Angaben der Klägerin zur Verabreichung von entsprechenden Substanzen sind glaubhaft.

64

Sie hat die Zeitpunkte und die Umstände der Verabreichung von entsprechenden Substanzen in Form angeblicher "Vitamintabletten", "Schokoladenpralinen" oder "Eiweißgetränke" nachvollziehbar und detailliert geschildert. Dass sie dabei keine spezifizierten Angaben machen konnte zu den im Einzelnen konkret verabreichten Mitteln und Dosierungen steht dem nicht entgegen. Vielmehr lag es gerade "in der Natur der Sache", dass unter den Verhältnissen einer – sich (nach der offiziellen DDR-Staatspropaganda) vorgeblich als dem "Wohl des Volkes" verpflichtet gerierenden – totalitären Diktatur die Verabreichung von erheblich gesundheitsschädigenden Substanzen an Kinder und Jugendliche systematisch "im Geheimen" ablief. Es entsprach der sportpolitischen Ideologie der verantwortlichen SED-Partei- und Sportfunktionäre, das internationale Ansehen der DDR u. a. durch Erfolge im Weltsport (insbesondere bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften) positiv zu beeinflussen. Dem aus ideologischen Gründen angestrebten – und auch tatsächlich erzielten – Erfolg bei den großen internationalen Sportereignissen (z. B. Platz 2 in der Medaillenwertung der letzten Olympischen Sommerspiele mit DDR-Beteiligung im Jahr 1988 mit 102 Medaillen, davon 37 Goldmedaillen) waren die Rechte und Belange des einzelnen Menschen (einschließlich der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen) vollständig untergeordnet. Dies galt auch und gerade mit Blick auf die Zuführung von leistungssteigernden, aber die Gesundheit gefährdenden Mitteln. Diese Linie wurde schwerpunktmäßig in besonders "medaillenträchtigen" Sportarten verfolgt, in der aufgrund der Vielzahl von Disziplinen und Wettbewerben eine große "Medaillenausbeute" zu erzielen war. Hierzu zählte neben dem Schwimmen, der Leichtathletik oder dem Kanurennsport nicht zuletzt das Rudern. Insofern korrespondieren die Angaben der Klägerin ohne Weiteres mit den zur "Dopingpraxis" in der ehemaligen DDR gerichtsbekannten Umständen.

65

Die Überzeugung des Senats wird im Übrigen auch gestützt durch eine Anleitung der "Forschungsgruppe Zusätzliche Leistungsreserven" des "Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport" zur "Anwendung von unterstützenden Mitteln im Trainingsprozess sowie bei der Vorbereitung von Wettkämpfen (Materialien für die Weiterbildung von Ärzten und Trainern)" vom Mai 1982 über den Einsatz von "unterstützenden Mitteln", insbesondere "in dem Vorbereitungsprozess auf sportpolitische Höhepunkte". Zu den aufgezählten "Pharmaka", die zum Einsatz kommen sollten, zählte beispielsweise neben Testosteron oder Oxytozin (B 17) auch Oral-Turinabol. Die Anleitung spricht insoweit ausdrücklich von anabolen Steroiden und Androgenen. Als dabei besonders relevante Sportarten werden u. a. der Kanurennsport und das Rudern benannt. Die Materialien setzen sich darüber hinaus damit auseinander, dass sich innerhalb des DDR-Sports "eine fast fetischistische Auffassung zu den unterstützenden Mitteln entwickelt" habe: Ihnen werde eine universelle Wirkung nachgesagt und in einigen Fällen würden sie als letzte Rettung gesehen, um unbefriedigende Leistungen spontan beeinflussen zu können. Dies äußere sich darin, dass unterstützende Maßnahmen, die (an sich) für sportliche Höhepunkte vorgesehen seien, zur alltäglichen Norm würden, indem etwa die Dosierung der Mittel "unbegründet erhöht und hektisch nach neuen unterstützenden Mitteln gefahndet" würde. Auf der Ebene der DDR-Sportpolitik wurde also zumindest intern eingeräumt, dass anabole Steroide nicht nur unmittelbar vor größeren Wettkämpfen zum Einsatz kamen, sondern vor allem in den Sportarten, in denen "bestimmte Komponenten des zellulären Energiestoffwechsels (Kanurennsport, Rudern) von Bedeutung sind", geradezu selbstverständlich und alltäglich zum Einsatz gekommen sind.

66

Dass dies im konkreten Einzelfall der Klägerin anders gewesen sein sollte, kann somit praktisch ausgeschlossen werden, zumal sie ihren Hochleistungssport als Ruderin beim SC Dynamo B. betrieben hat: Der SC Dynamo B. war das Zentrum leistungssportlicher Förderung der Sportvereinigung Dynamo, deren Träger das Ministerium des Innern bzw. die "Deutsche Volkspolizei" sowie das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR waren. Er war daher durch eine besonders intensive "Verflechtung" mit dem politischen System der DDR geprägt. Dass gerade dort die gesundheitlichen Belange des einzelnen Menschen den politisch-ideologischen Zielsetzungen des Staates untergeordnet waren, liegt auf der Hand.

67

Darüber hinaus hat die Klägerin auch typische Folgen der Einnahme von Anabolika (z. B. die subjektive "Unempfindlichkeit" gegenüber Erkrankungen und Schmerzen) nachvollziehbar beschrieben, beispielsweise eine mit Fieber von 40 °C verbundene Grippeerkrankung 1978, die bei ihr jedoch kein adäquates Krankheitsempfinden ausgelöst habe.

68

Weiterhin enthält die gynäkologische Behandlungskarte der Klägerin wegen der dort befindlichen "doping-typischen" Anmerkungen für die Jahre 1976 und 1977 ganz erhebliche Hinweise zumindest auf die Verabreichung von Testosteron.

69

Die Überzeugung des Senats von der Verabreichung gesundheitsschädlicher Dopingsubstanzen an die Klägerin korrespondiert im Übrigen auch mit der Gewährung von Entschädigungsleistungen zu Gunsten der Klägerin nach dem DOHG sowie durch das Unternehmen J.pharm, welches das Anabolikum Oral-Turinabol entwickelt und vertrieben hatte.

70

d) Hingegen steht es nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass die vom SG angenommenen Schädigungsfolgen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kausal auf der Verabreichung von anabolen Steroiden (insbesondere Oral-Turinabol) beruhen.

71

aa) Dies gilt zunächst für die zentrale – vom SG mit einem Einzel-GdS von 50 bewertete – hochgradige Funktionseinschränkung der HWS nach Bandscheibenersatz und Fusion mit Nackenkopfschmerz und zervikaler Migräne mit typischer Aura und einer Funktionseinschränkung der LWS.

72

Das SG hat sich insoweit im Wesentlichen auf die Feststellungen der Sachverständigen PD Dr. R. und PD Dr. H. gestützt. Danach seien die Wirbelsäulenschädigungen der Klägerin primär Folge einer unphysiologischen Überlastung durch enorme Trainingsvolumina und -intensitäten, die der (noch in der Wachstumsphase befindliche) jugendliche Körper der Klägerin nur durch die Gabe anaboler Steroide durchgehalten habe. PD Dr. H. bezeichnet ebenfalls sowohl den Hochleistungssport als auch das Doping (offenbar gerade in dieser Kombination) als ursächlich.

73

Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des SG und der Sachverständigen an, dass von einer Schädigungsfolge im Sinne des Opferentschädigungsrechts nicht etwa nur dann ausgegangen werden kann, wenn die der Klägerin verabreichten Substanzen durch ihre unmittelbaren (biochemischen) Wirkmechanismen bestimmte gesundheitliche Schäden verursacht haben. Vielmehr muss es gemäß dem Schutzzweck des OEG im Grundsatz ausreichen, dass die Klägerin nur durch die Gabe anaboler Steroide eine körperliche Leistungsfähigkeit erreicht hätte, die es ihr überhaupt ermöglicht hat, die letztlich zu den Wirbelsäulenschädigungen führenden immensen Trainingsintensitäten zu absolvieren. Auch eine solche mittelbare Folge wäre jedenfalls in einer ununterbrochenen Kausalkette auf die Verabreichung der Substanzen zurückzuführen. Entsprechendes gilt im Hinblick auf den nach den Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. R. vermuteten generellen Wirkmechanismus. Dieser geht davon aus, dass wegen der durch die anabolen Steroide hervorgerufenen Muskelhypertrophie und der damit verbundenen höheren Kräfte die anderen Strukturen des Bewegungsapparates hinsichtlich der Belastungstoleranz nicht Schritt halten könnten. Damit würden faktisch auch aufgrund der besonderen Leistungsfähigkeit, die sich jedoch schwerpunktmäßig nur an bestimmten "Stellen" des Körpers auswirkt, Schäden hervorgerufen in Bezug auf andere Teile des Körpers, auf die sich die leistungssteigernde Wirkung der Dopingsubstanzen nicht in vergleichbarer Weise bezieht.

74

Der Senat ist allerdings nicht davon überzeugt, dass hier tatsächlich von solchen mittelbaren Schädigungsfolgen ausgegangen werden kann. Denn sowohl der bereits im Verwaltungsverfahren von der Beklagten beauftragte Sachverständige Professor Dr. N. als auch der gerichtlich bestellte Gutachter Professor Dr. M. haben einen Kausalzusammenhang verneint. Auch Dr. H. hat die Verschleißprozesse durch den Hochleistungssport als solchen als kausal angesehen.

75

Professor Dr. N. hat ausgeführt, nach Auswertung der wissenschaftlichen Medizinliteratur seien keine Quellen ersichtlich über einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Anabolika und degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule. Bereits dies deute darauf hin, dass kein gehäuftes Auftreten der Symptomatik und damit der Erkrankung wegen der Einnahme anaboler Steroide festzustellen seien. Es sei schwer feststellbar, ob die frühe Verabreichung von Oral-Turinabol allein zur Entwicklung einer Spinalkanalstenose geführt habe. Professor Dr. N. hält es für möglich, dass durch die Anabolikaeinnahme eine Erhöhung der Knochendichte im Bereich der Wirbelsäule entstanden sei. Auch verstärkten anabole Steroide die Hypertrophie der Skelettmuskulatur, die auf intensivem Training beruhe. Dies führe indes zu einer Stabilisierung der Wirbelsäule und unterstütze insgesamt das Skelettsystem. Er spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem schützenden Effekt. Der Sachverständige geht insofern also von einer eher positiven Wirkung aus und nimmt – anders als PD Dr. R. – auch keine mittelbaren negativen Folgen im Hinblick auf andere Strukturen des Bewegungsapparates an. Vielmehr stellt er darauf ab, dass der Rudersport als solcher zu einer ausgeprägten Belastung der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur führe, woraus wiederum ein erhöhtes Rückenverletzungsrisiko resultiere. Wenn die Klägerin dann zunächst den die Wirbelsäule stark belastenden Rudersport trotz ihres bereits im Alter von 17 Jahren erlittenen Bandscheibenprolaps fortgesetzt habe, habe sich dies ungünstig auf die Wirbelsäule auswirken müssen. Das Skelettsystem der Klägerin sei durch den Hochleistungssport außergewöhnlichen und zu Spätfolgen prädisponierenden Belastungen ausgesetzt gewesen. Ein kausaler Zusammenhang der geltend gemachten Gesundheitsstörungen gerade mit der Einnahme anabole Steroide könne indes ausgeschlossen werden. Der Sachverständige stellt also wesentlich auf die Auswirkungen des Ruderns als Hochleistungssport als solchem ab. Aus diesen Ausführungen folgt gerade nicht, dass ein zu Wirbelsäulenschäden führender Trainingsumfang überhaupt nur wegen der Einnahme von Oral-Turinabol möglich gewesen wäre. Vielmehr lässt sich den Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. N. entnehmen, dass sich letztlich in den gesundheitlichen Folgen das dem "Hochleistungs-Rudern" selbst innewohnende Risiko für die Wirbelsäulenregion verwirklicht habe, unabhängig von der (zusätzlichen) Einnahme anaboler Steroide.

76

Der Sachverständige Professor Dr. M. verneint ausdrücklich einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme anaboler Steroide und den Wirbelsäulenschäden. Auch er geht vielmehr davon aus, dass die festzustellenden Folgezustände das Ergebnis des Hochleistungssports selbst mit außergewöhnlichen und zu Spätfolgen prädisponierenden Belastungen seien. Wegen der Feststellungen von PD Dr. R. auf orthopädischem Gebiet weist er – zu Recht – darauf hin, dass diese fachfremd durch einen Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin erfolgt seien.

77

Der Senat vermag nicht aus eigener medizinischer Sachkunde festzustellen, dass trotz der gegenteiligen Feststellungen der Sachverständigen Professor Dr. N. und Professor Dr. M. (sowie Dr. H.) den Schlussfolgerungen von PD Dr. R. (und PD Dr. H.) zu folgen wäre. Gerade bei medizinischen Fragen, die über die bloße Feststellung bestehender Gesundheitsschäden hinausgehen und stattdessen höchst komplexe Kausalitätsfragen betreffen, ist in aller Regel trotz der langjährigen Befassung des Senats mit medizinischen Fragen eine fundierte medizinisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung durch sachverständige Fachärzte erforderlich, auf deren Grundlage der Senat die gebotenen medizinischen und rechtlichen Schlüsse ziehen kann.

78

Etwas anderes folgt auch nicht aus den von PD Dr. R. wiedergegebenen Untersuchungen, auf die wiederum in den Publikationen von PD Dr. S. verwiesen wurde. Der Senat folgt den Einwendungen von Professor Dr. N., wonach von einer hinreichend relevanten Aussagekraft der Erhebungen für weibliche Ruderinnen nicht ausgegangen werden kann. Die Befragungen von letztlich nur 52 ehemaligen DDR-Sportlern lassen nicht erkennen, ob und inwieweit sich hierunter eine für statistische Erhebungen ausreichende Zahl von Ruderinnen befunden hat. Die Erhebungen unter schwedischen Bodybuildern würden sogar eher gegen einen kausalen Zusammenhang sprechen. Auch der Senat sieht zur Sportart des American Football so gravierende Unterschiede in der Art der Belastung in Training und Wettkampf, dass eine Heranziehung der hierzu gefundenen Ergebnisse nicht in Betracht kommt. Hinzu kommen die wohl deutlich höheren Dosen, die den US-Profisportlern verabreicht worden sind und die Gefahr von "Zirkelschlüssen", da offenbar ein wesentlicher Anteil der getesteten Athleten anabole Steroide gerade zum Zwecke der schnelleren Regeneration nach erlittenen Verletzungen eingenommen hat. Wenn außerdem ein Mediziner des SC Dynamo 1988 angegeben hat, dass dort gegenwärtig alle Sportlerinnen zumindest der Sektion Turnen unter erheblichen Schäden im Wirbelsäulenbereich litten, kann hieraus kein zwingender Rückschluss auf die Ursächlichkeit gezogen werden, weil – ähnlich wie der Rudersport – auch das Turnen selbst bereits mit einer außergewöhnlichen Belastung für die Wirbelsäule verbunden ist. Dies gilt jedenfalls für die Trainingsintensitäten im Bereich des Hochleistungssports unter den Bedingungen der ehemaligen DDR.

79

Darüber hinaus hält der Senat das Gutachten von PD Dr. R. hinsichtlich der von ihm hergestellten Zusammenhänge und Schlussfolgerungen jedenfalls nicht in der Weise für überzeugend, dass er seine Entscheidung hierauf stützen könnte. Nach den – insoweit nachvollziehbaren – Ausführungen des Sachverständigen wirke sich die typische Extrembelastung des Ruderns nicht primär im Bereich der HWS, sondern in den anderen Wirbelsäulenabschnitten aus. Dass die Klägerin in erster Linie gesundheitliche Schädigungen im HWS-Bereich habe, spreche deshalb gegen eine Kausalität des Rudersports als solchem, was – nach Auffassung von PD Dr. R. – wiederum auf eine Ursächlichkeit der Dopinggabe hindeute. Diese Schlussfolgerung ist aus Sicht des Senats aber nicht zwingend. Denn abgesehen davon, dass sich der Sachverständige nicht mit etwaigen weiteren Konkurrenzursachen auseinandersetzt, korrespondieren diese Rückschlüsse nach dem Verständnis des Senats nicht mit dem nach den eigenen Ausführungen des Sachverständigen vermuteten generellen Wirkmechanismus. Diesen beschreibt PD Dr. R. dahingehend, dass wegen der (dopingbedingten) Muskelhypertrophie und der damit verbundenen höheren Kräfte die anderen Strukturen des Bewegungsapparates bezüglich der Belastungstoleranz nicht Schritt halten könnten und durch Überlastung entsprechende Wirbelsäulen-Sportschäden entstünden. Nach dem Verständnis des Senats müsste dieser Wirkmechanismus aber zur Folge haben, dass die hiernach (zumindest mittelbar) auf die Gabe von anabolen Steroiden zurückzuführenden gesundheitlichen Schädigungen primär in den Wirbelsäulenabschnitten auftreten müssten, die typischerweise den Extrembelastungen des Rudersports besonders ausgesetzt sind. Denn gerade dort würden sich die Muskelhypertrophie und die damit einhergehenden größeren Kräfte auswirken, ebenso wie der Umstand, dass andere Strukturen des Bewegungsapparates mit dieser Belastungstoleranz nicht Schritt halten könnten. Demnach würde die Konstellation, dass die Klägerin zwar auch gesundheitliche Beeinträchtigungen an der LWS aufweist, der Schwerpunkt der Wirbelsäulenbeschädigungen indes im Bereich der HWS liegt, eher gegen als für einen kausalen Zusammenhang mit der Gabe von Dopingsubstanzen sprechen.

80

Auch aus dem noch während der aktiven Zeit als Ruderin beim SC Dynamo B. 1980 erlittenen Bandscheibenprolaps ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die nunmehr geltend gemachten gesundheitlichen Schäden auf der Verabreichung von Dopingsubstanzen beruhen würden. Denn die damaligen Beeinträchtigungen betrafen eine Bandscheibenvorwölbung bzw. Steilstellung der LWS, die nicht – insbesondere nicht im Sinne eines etwaigen Brückensymptoms – in einem hinreichenden Zusammenhang mit den nunmehr geltend gemachten Beschwerden gesehen werden kann, die sich zumindest schwerpunktmäßig auf die HWS beziehen.

81

Darüber hinaus hätte es auch deshalb weiterer Ermittlungen zur gesundheitlichen Situation bedurft, weil sich aus den Akten nahezu keine Hinweise auf die "Krankengeschichte" der Klägerin im Zeitraum von 1980 bis 2000 entnehmen lassen. Entsprechendes gilt für die sonstigen Lebensumstände der Klägerin in diesem Zeitraum, die aus den vorliegenden Materialien allenfalls rudimentär hervorgehen. Daher kann der Senat ohne weitere Befunderhebungen und ggf. hierauf beruhenden Begutachtungen weder Feststellungen zu etwaigen Brückensymptomen innerhalb dieses ca. 20-jährigen Zeitraums zwischen den bekannten stationären Aufenthalten der Klägerin treffen noch zu den sonstigen Lebensumständen und deren etwaiger Relevanz im Hinblick auf gesundheitliche Schädigungen, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule.

82

Aus diesem Grunde hat der Senat der Klägerin bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 28. Januar 2016 mitgeteilt, dass weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts (u. a. hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens) angezeigt sind. In Vorbereitung einer in Betracht kommenden Einholung eines weiteren (chirurgisch-orthopädischen) Gutachtens war insoweit die Einholung aktueller Befundberichte erforderlich, wozu es entsprechende Angaben der Klägerin zu den sie behandelnden Medizinern und einer Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht bedurft hätte. Eine solche Mitwirkung hat die Klägerin indes mit mehreren Schreiben ausdrücklich zurückgewiesen, zuletzt in Reaktion auf die gerichtliche Aufforderung gemäß § 106a SGG vom 14. November 2016. Dies stimmt im Übrigen mit ihrem Verhalten im Verfahren vor dem SG überein, in dem sie bereits im April 2015 die erforderliche Mitwirkung im Hinblick auf ambulante Untersuchungen zur Erstellung weiterer Gutachten ausdrücklich abgelehnt hatte.

83

Obwohl es hinsichtlich der Kausalität nicht des Vollbeweises im engeren Sinne bedarf, sondern eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend ist, liegt auch insoweit die objektive Beweislast bei der Klägerin, d. h., sie trägt das Risiko bzw. den Nachteil, dass sich eine Tatsache (oder eine hinreichende Wahrscheinlichkeit) nicht beweisen und feststellen lässt (non liquet; vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RS 4/16 R, juris). Ohne weitere spezifische Befunderhebungen sowie eine vom Senat in Auftrag gegebene weitere orthopädische Begutachtung zur Klärung der Frage, welchen der bislang vorliegenden (sich im Ergebnis widersprechenden) Gutachten zu folgen ist (und mit der Möglichkeit spezifischer Nachfragen des Senats zu den konkreten Differenzen der bisher vorliegenden medizinischen Bewertungen auf der Grundlage aktueller Befunde), kann sich der Senat jedoch die Überzeugung von einer solchen hinreichenden Wahrscheinlichkeit in Bezug auf eine außergewöhnlich komplexe Kausalitätsbetrachtung zu bis zu mehr als 40 Jahren zurückliegenden Zeiträumen nicht bilden. Wegen der objektiven Beweislast geht dies zu Lasten der Klägerin. Dies gilt neben den unmittelbaren Funktionseinschränkungen von HWS und LWS auch für die Migräne mit typischer Aura und den Nackenkopfschmerz, da der Senat diese Beeinträchtigungen im Ergebnis der eingeholten Gutachten und Befundberichte – dem SG folgend – nicht als eigenständige Schädigungsfolge ansieht, sondern den Wirbelsäulenschädigungen im HWS-Bereich zuordnet.

84

bb) Wegen der Ulkuskrankheit als Schädigungsfolge hat sich das SG ebenfalls maßgeblich auf das Gutachten von PD Dr. R. gestützt. Der Sachverständige geht von einer Folge der Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika aus, die die Klägerin aufgrund massiver Schmerzen habe einnehmen müssen. Das SG stellt – PD Dr. R. folgend – darauf ab, dass die Erkrankung Folge der durch die dopingverursachten Wirbelsäulenschäden notwendigen Schmerzmitteleinnahme war. Da nach Auffassung des Senats jedoch die Ursächlichkeit der Verabreichung von Dopingsubstanzen für die Wirbelsäulenschäden und mithin der hierdurch verursachten Schmerzen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, kann auf dieser Grundlage auch nicht von einer Ursächlichkeit für die Ulkuskrankheit ausgegangen werden.

85

cc) Hinsichtlich der nicht in Betracht kommenden Anerkennung des Hirsutismus, einer Myokardhypertrophie, einer chronischen Varikosis (Krampfaderleiden) und eines psychophysischen Erschöpfungszustandes mit depressiven Verstimmungszuständen bei chronischem Schmerzsyndrom als Schädigungsfolgen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt.

86

Mangels anzuerkennender gesundheitlicher Schädigung infolge des (gegebenen) tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 Satz 1 und 2 OEG kommt es auf die Frage der Bemessung eines konkreten GdS (einschließlich der Auswirkungen einer etwaigen besonderen beruflichen Betroffenheit) nicht mehr an. Entsprechendes gilt für die besonderen Voraussetzungen eines Versorgungsanspruchs gemäß § 10a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 OEG.

87

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

88

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt nicht vor.


Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 22. März 2017 - L 7 VE 12/15

Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 22. März 2017 - L 7 VE 12/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 22. März 2017 - L 7 VE 12/15 zitiert 25 §§.

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 30


(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereich

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 123


Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 1 Anspruch auf Versorgung


(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 1


(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädig

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 31


(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen1.von 30in Höhe von 171 Euro,2.von 40in Höhe von 233 Euro,3.von 50in Höhe von 311 Euro,4.von 60in Höhe von 396 Euro,5.von 70in Höhe von 549 Euro,6.von 80in Höhe v

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 110


(1) Der Vorsitzende bestimmt Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Die Beteiligten sind darauf hinzuweisen, daß im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kan

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 60


(1) Die Beschädigtenversorgung beginnt mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eint

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106a


(1) Der Vorsitzende kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. (2) Der Vorsitzende kann einem Beteiligten unter Fristsetzung

Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG | § 15


Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verl

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 6 Zuständigkeit und Verfahren


(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig 1. wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 138


Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil sind jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Der Vorsitzende entscheidet hierüber durch Beschluß. Der Berichtigungsbeschluß wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen verme

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 10a Härteregelung


(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie 1. allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und2. bedürftig sind und3. im Geltungsbereich dieses Gesetze

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 2 Versagungsgründe


(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auc

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.

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(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Die Beschädigtenversorgung beginnt mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. War der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so verlängert sich diese Frist um den Zeitraum der Verhinderung. Für Zeiträume vor dem Monat der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft oder aus ausländischem Gewahrsam steht keine Versorgung zu.

(2) Absatz 1 Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine höhere Leistung beantragt wird; war der Beschädigte jedoch ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so beginnt die höhere Leistung mit dem Monat, von dem an die Verhinderung nachgewiesen ist, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrunds gestellt wird. Die höhere Leistung beginnt jedoch wegen einer Minderung des Einkommens oder wegen einer Erhöhung der schädigungsbedingten Aufwendungen unabhängig vom Antragsmonat mit dem Monat, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Änderung oder nach Zugang der Mitteilung über die Änderung gestellt wird. Der Zeitpunkt des Zugangs ist vom Antragsteller nachzuweisen. Entsteht ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich (§ 30 Abs. 3 oder 6) infolge Erhöhung des Vergleichseinkommens im Sinne des § 30 Abs. 5, so gilt Satz 2 entsprechend, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten gestellt wird.

(3) Wird die höhere Leistung von Amts wegen festgestellt, beginnt sie mit dem Monat, in dem die anspruchsbegründenden Tatsachen einer Dienststelle der Kriegsopferversorgung bekanntgeworden sind. Ist die höhere Leistung durch eine Änderung des Familienstands, der Zahl zu berücksichtigender Kinder oder das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze bedingt, so beginnt sie mit dem Monat, in dem das Ereignis eingetreten ist; das gilt auch, wenn ein höherer Berufsschadensausgleich (§ 30 Abs. 3 oder 6) auf einer Änderung des Vergleichseinkommens im Sinne des § 30 Abs. 5 beruht.

(4) Eine Minderung oder Entziehung der Leistungen tritt mit Ablauf des Monats ein, in dem die Voraussetzungen für ihre Gewährung weggefallen sind. Eine durch Besserung des Gesundheitszustands bedingte Minderung oder Entziehung der Leistungen tritt mit Ablauf des Monats ein, der auf die Bekanntgabe des die Änderung aussprechenden Bescheides folgt. Beruht die Minderung oder Entziehung von Leistungen, deren Höhe vom Einkommen beeinflußt wird, auf einer Erhöhung dieses Einkommens, so tritt die Minderung oder Entziehung mit dem Monat ein, in dem das Einkommen sich erhöht hat.

(1) Der Vorsitzende kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt.

(2) Der Vorsitzende kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.

(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

(1) Der Vorsitzende bestimmt Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Die Beteiligten sind darauf hinzuweisen, daß im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kann.

(2) Das Gericht kann Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(3) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil sind jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Der Vorsitzende entscheidet hierüber durch Beschluß. Der Berichtigungsbeschluß wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig

1.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land hat, die Behörden dieses Landes; es finden die Übergangsregelungen gemäß § 4 Absatz 2 und 3 beschränkt auf die Zuständigkeit der Behörde entsprechend Anwendung, davon ausgenommen sind Versorgungen bei Schädigungen an einem Ort im Ausland,
2.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat, die Behörden des Landes, das die Versorgung von Kriegsopfern in dem Wohnsitz- oder Aufenthaltsland durchführt.
Abweichend von Satz 2 Nummer 2 sind, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist, die Behörden des Landes zuständig, in dem das Schiff in das Schiffsregister eingetragen ist oder in dem der Halter des Luftfahrzeugs seinen Sitz oder Wohnsitz hat.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der Behörden bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung.

(3) Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, mit Ausnahme der §§ 3 bis5,sowie die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

(4) Absatz 3 gilt nicht, soweit die Versorgung in der Gewährung von Leistungen besteht, die den Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den §§ 25 bis 27h des Bundesversorgungsgesetzes entsprechen.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch im Revisionsverfahren seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind die Rücknahme der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und von Unterhaltsgeld (Uhg) für die Zeit vom 23.7.2003 bis 31.5.2004.

2

Der Kläger bezog im Anschluss an Arbeitslosengeld (Alg) und Uhg ab 23.7.2003 Alhi (Bescheid vom 12.8.2003). Im Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" hatte er angegeben, einen Freistellungsauftrag erteilt zu haben und über ein Girokonto mit 2,00 Euro Guthaben zu verfügen. Im Übrigen verneinte er die Fragen nach vorhandenem Vermögen. Nach Wiederaufnahme seiner Umschulungsmaßnahme erhielt er ab 1.9.2003 erneut Uhg (Verfügung vom 7.10.2003).

3

Im Mai 2004 erfuhr die Beklagte, dass der Freistellungsauftrag der C. (nachfolgend C-Bank) erteilt worden war. Auf Anfrage legte der Kläger einen Kontoauszug ("Finanzreport") per 2.6.2003 vor, der ein Guthaben von insgesamt 7108,55 Euro auswies, und teilte mit, es handele sich um ein Tagesgeldkonto mit Onlinedepot, das er vor Jahren eingerichtet habe, weil allein für die Einrichtung WEB.DE-Aktien im Wert von 100,00 DM gutgeschrieben worden seien. Danach sei es nur von seinem Vater verwendet worden, dem er auch alle Online-Zugangsdaten überlassen habe. In der Folgezeit legte er eine eidesstattliche Versicherung seines Vaters vor, welcher die Angaben des Klägers bestätigte.

4

Die Beklagte hob die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 23.7. bis 31.8.2003 und von Uhg für die Zeit vom 1.9.2003 bis 31.5.2004 auf und forderte die Erstattung der gewährten Leistungen sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 7784,76 Euro (Bescheid vom 1.7.2004). Den Widerspruch, den der Kläger mit zwei größeren Einzahlungen seiner Großmutter und des Käufers einer Küchenzeile zugunsten seines Vaters begründete, wies die Beklagte zurück. Der Kläger habe mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Leistungen gehabt. Die Ausführungen, wonach es sich um Vermögen seines Vaters gehandelt habe, seien nicht überzeugend (Widerspruchsbescheid vom 28.10.2005).

5

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 21.11.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Anhörung des Klägers und erneuter Beweiserhebung die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es sei nach seiner Überzeugung nicht nachgewiesen, dass das auf dem Konto bei der C-Bank vorhandene Vermögen dem Kläger zuzuordnen sei. Soweit letzte Zweifel an der Zuordnung des Geldes bestünden, gingen diese zu Lasten der Beklagten. Für eine Beweislastumkehr sei kein Raum (Urteil vom 4.11.2009).

6

Mit der Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und eine Verletzung materiellen Rechts, indem das LSG sie als beweisbelastet angesehen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehe es zu Lasten des Arbeitslosen, wenn seiner Sphäre zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar seien. Davon sei auch auszugehen, wenn nach Ausschöpfung aller Beweismittel Restzweifel an der Zuordnung von Vermögenswerten verblieben. Da beim LSG trotz der für die Darstellung des Klägers sprechenden Umstände letzte Zweifel verblieben seien, habe es eine Beweislast des Klägers annehmen müssen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Das angefochtene Urteil verletzt die Beklagte nicht in ihren Rechten. Nach den für das Revisionsgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist das LSG rechtsfehlerfrei im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger bei Bewilligung der Alhi über ein den Freibetrag übersteigendes Vermögen verfügt hat. Die Rücknahme der Bewilligung von Alhi (unter 1.) und Uhg (unter 2.) ist aus diesem Grund rechtswidrig.

11

1. Rechtsgrundlage der zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) angegriffenen Rücknahme der Alhi-Bewilligung durch den Bescheid vom 1.7.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2005 ist § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 330 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Rechtsgrundlage der daran anknüpfenden Rückforderung ist im Hinblick auf zu Unrecht erbrachte Leistungen § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X und bezogen auf die gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge § 335 Abs 1 Satz 1 und Abs 5 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2848 (zum insoweit geltenden Recht, wenn der Widerspruchsbescheid aus der Zeit nach dem 1.1.2005 datiert und der Ersatzanspruch vor dem 1.1.2005 entstanden ist: vgl BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1).

12

Für die vorrangige Frage der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung kommt es in erster Linie darauf an, ob der Bescheid über die Bewilligung der Alhi vom 12.8.2003 als den Kläger begünstigender Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig ist. Die anfängliche Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung wiederum hängt nach den Umständen des Falles davon ab, ob bei der Bewilligung von Alhi ab 23.7.2003 die Voraussetzungen eines Alhi-Anspruchs gegeben waren. Das richtet sich nach § 190 Abs 1 Nr 1 bis 5 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24.3.1997 (BGBl I 594); fraglich ist hier insbesondere, ob der Kläger bedürftig war (Abs 1 Nr 5). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen die Gewährung von Alhi nicht gerechtfertigt ist ( § 193 Abs 2 SGB III idF des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften; Lebenspartnerschaften vom 16.2.2001, BGBl I 266).

13

Nähere Bestimmungen zur Berücksichtigung von Vermögen trifft die insoweit auf der Verordnungsermächtigung nach § 206 Nr 1 SGB III idF des AFRG beruhende Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV 2002) vom 13.12.2001 (BGBl I 3734). Danach ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt (§ 1 Abs 1 Nr 1 AlhiV 2002). Freibetrag ist, soweit hier von Bedeutung, ein Betrag von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen, der jedoch 13 000,00 Euro nicht übersteigen darf (§ 1 Abs 2 Satz 1 AlhiV 2002 idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4607, mit Wirkung vom 1.1.2003). Für den am 23.12.1975 geborenen Kläger ergab sich demnach zu Beginn des streitigen Zeitraums (Alhi-Bezug ab 23.7.2003) ein Freibetrag von 5400,00 Euro (200,00 Euro x 27), weil er am 23.12.2002 das 27. Lebensjahr vollendet hatte.

14

Das zu Beginn des streitigen Zeitraums vorhandene Guthaben auf dem Konto bei der C-Bank überstieg damit zwar den persönlichen Freibetrag. Die Vorinstanzen sind aber zu Recht davon ausgegangen, dass nicht allein deswegen eigenes Vermögen vorhanden war und die Bedürftigkeit des Klägers fehlte. Durch die Einrichtung und Unterhaltung des Kontos im eigenen Namen hat zwar der Kläger den vor allem für seine Rechtsbeziehungen zur Bank bedeutsamen Eindruck hervorgerufen, dass er als Kontoinhaber Vertragspartner der Bank ist und damit auch Gläubiger von Kontoguthaben (vgl Gößmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl 2007, § 29 RdNr 9 ff). Der dadurch gesetzte Rechtsschein allein genügt aber nach der Rechtsprechung des Senats nicht, um das Kontoguthaben zu Lasten des Klägers als ein die Bedürftigkeit ausschließendes Vermögen zu behandeln. Denn bei der Bedürftigkeitsprüfung ist nur Vermögen zu berücksichtigen, das dem Arbeitslosen nicht nur dem äußeren Schein nach, sondern auch nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts als ihm gehörend zuzuordnen ist.

15

Diesen Grundsatz hat der Senat mit Urteil vom 24.5.2006 ( B 11a AL 7/05 R , BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4) anhand der behaupteten stillen Zession des Anspruchs auf ein Sparguthaben herausgearbeitet sowie in einer Parallelentscheidung vom selben Tag für den Fall einer verdeckten Treuhand hinsichtlich eines Sparguthabens ( B 11a AL 49/05 R ). In weiteren Entscheidungen zu angeblich verdeckten Treuhandverhältnissen vom 13.9.2006 ( B 11a AL 13/06 R und B 11a AL 19/06 R ), vom 21.3.2007 (B 11a AL 21/06 R) und vom 28.8.2007 (B 7/7a AL 10/06 R) haben die in Angelegenheiten der Arbeitsförderung zuständigen Senate diese Rechtsprechung fortgeführt und bestätigt. Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung, auch wenn der vom LSG festgestellte Sachverhalt einer verdeckten Überlassung der Verfügung über ein Bankkonto ("Kontenüberlassung") teilweise anders gelagert ist als die Tatbestände, mit denen sich das BSG bereits befasst hat. Denn entscheidend ist, dass der durch die Vorinstanz festgestellte Sachverhalt eine mit dem äußeren Anschein übereinstimmende rechtliche Zuordnung des Vermögens ausschließt.

16

a) Hiernach hat der Kläger das Konto zwar ursprünglich zur Erlangung einer Werbeprämie (Gutschrift von Aktien) eigennützig eingerichtet, aber dann nicht mehr selbst verwendet, sondern intern seinem Vater für Bankgeschäfte auf dessen eigene Rechnung überlassen. Für das Innenverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Vater ist insoweit auf eine Rechtsbeziehung zu schließen, die im Hinblick auf die Frage der Vermögenszuordnung nicht anders zu behandeln ist als eine verdeckte Treuhand. Da es keinen gesetzlich typisierten Treuhandvertrag gibt, richten sich die Rechtsbeziehungen innerhalb eines als Treuhand bezeichneten Vertragsverhältnisses nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach den jeweiligen Absprachen (vgl BGH WM 1969, 935). Gemeinsames Merkmal rechtsgeschäftlicher Treuhandverhältnisse ist aber jedenfalls, dass dem Treuhänder nach außen hin eine Rechtsmacht eingeräumt ist, in deren Ausübung er im Innenverhältnis zum Treugeber als dem wirtschaftlichen Eigentümer durch eine schuldrechtliche Treuhandabrede beschränkt ist (vgl BGHZ 157, 178; Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl 2010, § 903 RdNr 33; Palandt/Ellenberger, aaO, Überblick vor § 104 RdNr 25).

17

Von einer damit wenigstens vergleichbaren rechtlichen Konstellation ist auch nach den insoweit von der Beklagten nicht angegriffenen und demgemäß bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG auszugehen. Danach sind sich der Kläger und sein Vater stillschweigend darüber einig gewesen, dass der Kläger ungeachtet der Rechtsmacht, die er im Verhältnis zur Bank aufgrund seiner Stellung als deren Vertragspartner sowie formaler Kontoinhaber und Gläubiger von Guthaben inne hatte, nicht zu eigennützigen Verfügungen über das auf Rechnung des Vaters angelegte Geld befugt war. Das gilt insbesondere für die Zahlungen der Großmutter des Klägers und des Käufers einer Küchenzeile, ohne die sich gar kein den Freibetrag übersteigendes Guthaben ergeben hätte. Denn dabei handelte es sich um Leistungen, mit denen diese Personen bewusst und zielgerichtet das Vermögen des Vaters mehren wollten, so dass sich der außerhalb dieser Leistungsbeziehungen stehende Kläger ohne rechtlichen Grund bereichert hätte (§ 812 Abs 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), falls er unter Ausnutzung der ihm als Kontoinhaber im Außenverhältnis zur Bank zukommenden Rechtsstellung auf eigene Rechnung über die seinem Vater zugedachten Geldbeträge verfügt hätte.

18

b) Das LSG durfte sich auf der Grundlage erschöpfender Ermittlungen rechtsfehlerfrei auch davon überzeugen, es sei nicht nachgewiesen, das am 23.7.2003 und in der Folgezeit auf dem Konto bei der C-Bank vorhandene Vermögen sei dem Kläger zuzuordnen. Im Rahmen der Amtsermittlung (§ 103 SGG) hat es - was von der Beklagten nicht beanstandet wird - alle verfügbaren Erkenntnisquellen durch Einholung von Auskünften und Befragung von Zeugen ausgeschöpft, um die nötigen Feststellungen treffen zu können, und entsprechend dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) alle Besonderheiten des konkreten Falles in tatsächlicher Hinsicht erfasst und gewürdigt. Die Beklagte rügt (zu Recht) weder die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG ) durch die ergänzende Übernahme von Ergebnissen der erstinstanzlichen Ermittlungen (zu den Grenzen vgl BSG SozR 4-1500 § 128 Nr 7; BSG Urteil vom 8.9.2010 - B 11 AL 4/09 R) noch die Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung durch einen Verstoß gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze (hierzu BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8; BSGE 95, 244, 254 = SozR 4-3100 § 1a Nr 1, jeweils RdNr 53 f).

19

Soweit die Beklagte demgegenüber eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ausdrücklich damit rügt, dass nach Ausschöpfung aller Beweismittel beim LSG Restzweifel verblieben seien, die nicht zu ihren Lasten gehen könnten, macht sie inhaltlich keinen Verfahrensmangel geltend. Denn die Revision beanstandet der Sache nach gar nicht, dass sich das LSG keine tatsächliche Überzeugung vom Vorhandensein eines die Bedürftigkeit ausschließenden Vermögens des Klägers bilden konnte. Die Rüge der Beklagten beschränkt sich im Kern vielmehr darauf, dass "letzte Zweifel an der Zuordnung des Geldes" das LSG nicht zu einer Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen zu ihren Gunsten veranlasst haben. Dieser Angriff betrifft indessen keinen Fehler bei der Beweiswürdigung, sondern die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Entscheidung aufgrund der objektiven Beweislast (Feststellungslast).

20

Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann ("non liquet"), und sie bestimmen, zu wessen Lasten diese Unaufklärbarkeit geht (vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Die objektive Beweislast kennzeichnet mit anderen Worten das Risiko, wegen der Nichterweislichkeit rechtlich erheblicher Tatsachen im Prozess zu unterliegen. Welchen Beteiligten dieses Risiko trifft, ist grundsätzlich eine Frage des materiellen Rechts, weil sich die Beweislastverteilung nach dem Regelungsgefüge der jeweils maßgebenden Norm richtet (vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG, Art 19 Abs 4 RdNr 228, Stand 2003; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 103 RdNr 19a jeweils mwN). Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast darf allerdings - wie ausgeführt - erst getroffen werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und sich das Gericht dennoch keine Überzeugung in der einen oder anderen Richtung bilden konnte. Im sozialgerichtlichen Verfahren stellt sich die Frage der Beweislastverteilung daher nur, wenn es dem Tatrichter trotz Erfüllung seiner insbesondere durch § 103 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise nicht gelungen ist, eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit zu beseitigen(stRspr, vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7 mwN; BSGE 96, 238, 245 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4; zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 8.9.2010, B 11 AL 4/09 R).

21

Beweismaßstab ist im sozialgerichtlichen Verfahren insoweit grundsätzlich der Vollbeweis. Das Gericht muss sich die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung reichen nicht aus (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Übertragen auf den vorliegenden Fall hindern deshalb auch die vom LSG parallel zur Überzeugung des fehlenden Nachweises der mangelnden Bedürftigkeit des Klägers geäußerten letzten Zweifel an der Zuordnung des Geldes den Vollbeweis nicht. Es steht daher mit der nötigen wie auch ausreichenden Gewissheit fest, dass die maßgeblichen aus Überweisungen zugunsten des Vaters stammenden Gelder auf dem Konto der C-Bank nicht dem Vermögen des Klägers zuzurechnen sind. Ist somit bereits nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts der Vollbeweis erbracht, lösen die erwähnten Restzweifel entgegen der Auffassung der Revision keine Entscheidung nach der objektiven Beweislast und erst recht keine Beweislastumkehr aus.

22

Selbst wenn indes mit der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht von einem "non liquet" ausgegangen würde, ergäbe sich hieraus keine Entscheidung zu ihren Gunsten. Im Rahmen der Rücknahme einer Leistungsbewilligung obliegt grundsätzlich der Beklagten die objektive Beweislast für das Vorhandensein der Rücknahmevoraussetzungen, hier mithin für die Rechtswidrigkeit der Bewilligung, konkret für das Fehlen der Bedürftigkeit als Voraussetzung des Alhi-Anspruchs (vgl zur Beweislast bei Aufhebung von Bewilligungsentscheidungen zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 8.9.2010, B 11 AL 4/09 R). Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht grundsätzlich zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten will. Die in arbeitsförderungsrechtlichen Angelegenheiten zuständigen Senate haben allerdings ausgesprochen, dass unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Beweisnähe des Arbeitslosen eine Umkehr der Beweislast gerechtfertigt sein kann, wenn in seiner Sphäre wurzelnde Vorgänge nicht mehr aufklärbar sind (BSGE 96, 238, 245 f = SozR 4-4220 § 6 Nr 4; BSG Urteil vom 24.5.2006, B 11a AL 49/05 R; BSG Urteile vom 13.9.2006, B 11a AL 13/06 R und B 11a AL 19/06 R; BSG Urteil vom 21.3.2007, B 11a AL 21/06 R; BSG Urteil vom 28.8.2007, B 7a AL 10/06 R). Das bedeutet aber keineswegs eine Beweislastumkehr stets und in allen Fällen, in denen nicht zweifelsfrei geklärte Tatsachen die persönliche Sphäre des Arbeitslosen betreffen. Die Grundsätze der Beweislastumkehr können jedoch dann eingreifen, wenn es um in der Sphäre des Arbeitslosen liegende Tatsachen geht, die die Beklagte in Ermangelung entsprechender Angaben des Arbeitslosen nicht kennt und nicht kennen muss (vgl BSG SozR 4-1500 § 128 Nr 5 RdNr 17 unter Hinweis auf BSGE 71, 256, 263 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Auf dieser Linie liegt es, dass das BSG im Urteil vom 24.5.2006 und in den nachfolgenden Entscheidungen (aaO) als Beispiele für eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe, die eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen kann, Verhaltensweisen des Arbeitslosen genannt hat, welche zu einer Erschwerung oder Verhinderung der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen führen. Anhaltspunkte für ein solches Verhalten des Klägers sind nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht behauptet. Insoweit bedarf hier keiner näheren Vertiefung, dass - wie bereits vom LSG ausgeführt - der Kläger selbst beim Antrag auf Alhi angegeben hat, einen Freistellungsauftrag erteilt zu haben.

23

2. Sind damit die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Alhi nicht gegeben, ist zugleich die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich der Bewilligung des Uhg hinfällig. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Bewilligung des Uhg nach Maßgabe der §§ 153 ff SGB III idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4607) überhaupt von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig war (vgl § 158 Abs 1 Satz 2 SGB III) oder nach Wiederaufnahme der Umschulung zum 1.9.2003 wegen der Klammerwirkung der zum 21.7.2003 abgebrochenen Weiterbildung und des dann entscheidenden Vorbezugs von Alg das Uhg nach dieser Leistung (vgl § 158 Abs 1 Satz 1 SGB III) zu bemessen war (hierzu BSG SozR 4-4300 § 158 Nr 3, BSG SozR 4-4300 § 158 Nr 4).

24

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

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2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

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Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig

1.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land hat, die Behörden dieses Landes; es finden die Übergangsregelungen gemäß § 4 Absatz 2 und 3 beschränkt auf die Zuständigkeit der Behörde entsprechend Anwendung, davon ausgenommen sind Versorgungen bei Schädigungen an einem Ort im Ausland,
2.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat, die Behörden des Landes, das die Versorgung von Kriegsopfern in dem Wohnsitz- oder Aufenthaltsland durchführt.
Abweichend von Satz 2 Nummer 2 sind, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist, die Behörden des Landes zuständig, in dem das Schiff in das Schiffsregister eingetragen ist oder in dem der Halter des Luftfahrzeugs seinen Sitz oder Wohnsitz hat.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der Behörden bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung.

(3) Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, mit Ausnahme der §§ 3 bis5,sowie die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

(4) Absatz 3 gilt nicht, soweit die Versorgung in der Gewährung von Leistungen besteht, die den Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den §§ 25 bis 27h des Bundesversorgungsgesetzes entsprechen.

(1) Der Vorsitzende kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt.

(2) Der Vorsitzende kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.

(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. März 2016 abgeändert und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 22. Mai 2015 in vollem Umfang zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren darüber, ob die Beklagte die bisherigen Höchstwertfestsetzungen von Arbeitsentgelten, die der Kläger während seiner Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Zusatzversorgungssystem Nr 1 der Anl 1 zum AAÜG - AVItech) tatsächlich erzielt hat, im sog Überführungsbescheid zurücknehmen und zusätzlich Jahresendprämien als weiteres Arbeitsentgelt für die Jahre 1975 bis 1990 feststellen muss.

2

Der 1950 geborene Kläger war vom 18.9.1972 bis 30.6.1990 zunächst als Konstrukteur, später als Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung im volkseigenen Betrieb (VEB) P bzw im VEB Druckmaschinenwerk P beschäftigt. Die Beklagte stellte das Vorliegen der Voraussetzungen von § 1 AAÜG, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 18.9.1972 bis 30.6.1990 als "nachgewiesene Zeiten" der AVItech sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest, ohne dabei Jahresendprämien zu berücksichtigen (Überführungsbescheid vom 16.3.2005). Im Juni 2014 beantragte der Kläger die Berücksichtigung von Jahresendprämien als glaubhaft gemachtes Entgelt und legte eine Zeugenerklärung vor. Nachdem die Beklagte den Zeugen schriftlich befragt hatte, lehnte sie es ab, den Überführungsbescheid zurückzunehmen und Jahresendprämien als weitere Arbeitsentgelte festzustellen, weil ihr Zufluss weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht sei (Bescheid vom 18.11.2014 und Widerspruchsbescheid vom 29.1.2015).

3

Das SG Dresden hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 22.5.2015). Auf die Berufung des Klägers hat das Sächsische LSG den Gerichtsbescheid abgeändert und die Beklagte "unter Aufhebung des Bescheides vom 18.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2015 verurteilt, den Bescheid vom 16.3.2005 dahingehend abzuändern, dass für die Jahre 1975 bis 1990 weitere Arbeitsentgelte des Klägers wegen zu berücksichtigender Jahresendprämienzahlungen im Rahmen der bereits festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe" in geschätzter und genau bezifferter Höhe "zu berücksichtigen sind". Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 1.3.2016): Es sei überwiegend wahrscheinlich und daher glaubhaft gemacht, dass dem Kläger für die Beschäftigungs- und Planjahre 1974 bis 1989 in den jeweils nachfolgenden Jahren 1975 bis 1990 Jahresendprämien tatsächlich zugeflossen seien, weil er gemäß § 117 Abs 1 des Arbeitsgesetzbuches der DDR (AGB-DDR) vom 16.6.1977 (GBl I, 185) dem Grunde nach Anspruch auf Jahresendprämien gehabt habe. Denn die Zahlung von Jahresendprämien sei für sein Arbeitskollektiv glaubhaft in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart gewesen, sein Arbeitskollektiv habe glaubhaft die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt und er sei in den Jahren 1974 bis 1989 während des gesamten Planjahres nachweislich Angehöriger der jeweiligen VEBs gewesen. Dagegen sei die konkrete Höhe der gezahlten Jahresendprämien weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Deshalb mache das Gericht von seiner Schätzbefugnis Gebrauch, die sich aus § 202 SGG iVm § 287 Abs 2, Abs 1 S 1 ZPO ergebe. Wie das BSG bereits in der Vergangenheit implizit bestätigt habe, handele es sich bei der Feststellung weiterer Arbeitsentgelte zumindest mittelbar und sekundär um eine vermögensrechtliche Streitigkeit iS von § 287 Abs 2 ZPO, weil das von der Beklagten nach § 6 Abs 1 S 1 AAÜG festzustellende und dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung mitzuteilende(§ 8 Abs 1 S 1 und S 2 AAÜG)erzielte Arbeitsentgelt Grundlage der Berechnung der Höhe einer Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung sei. Darüber hinaus sei die vollständige Aufklärung aller für die Berechnung der konkret zugeflossenen Jahresendprämienbeträge maßgebenden Umstände (jährliche Betriebskollektivverträge, individuelle und kollektive Leistungskennziffern, Berechnungsmethoden und Berechnungsgrundlagen ausgehend von den Zielvorgaben der staatlichen Planauflagen, beispielsweise in einer Betriebsprämienordnung) auch mit Schwierigkeiten iS von § 287 Abs 2 ZPO verbunden, die zur Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stünden. Die Schätzung gestalte sich im konkreten Fall wie folgt: Als jährlicher Basiswert der Jahresendprämienhöhe sei der im Planjahr erzielte durchschnittliche Bruttomonatslohn zugrundezulegen, der im Überführungsbescheid jeweils ausgewiesen sei. Denn bei der Jahresendprämie habe es sich um ein sog 13. Monatsgehalt in der (Mindest-)Höhe eines Bruttomonatslohns gehandelt, und ein anderer Ausgangswert sei nicht vorhanden, weil die Grundlagen der konkreten Leistungskennziffern gänzlich unbekannt seien. In diesen Fällen sei auch nach den maßgeblichen DDR-rechtlichen Regelungen von den im Betrieb üblichen Bedingungen auszugehen, wobei vergleichende Feststellungen der an andere Betriebsangehörige als Jahresendprämie gezahlte Beträge als Anhaltspunkte dienen könnten. Auch die maßgeblichen staatlichen Prämienverordnungen selbst hätten in ihren abstrakten Rahmenvorgaben hinsichtlich der Höhe der Jahresendprämie an den durchschnittlichen Monatsverdienst angeknüpft. Von diesem jährlichen Basiswert sei ein Abschlag iHv 30 % vorzunehmen, der dem Umstand Rechnung trage, dass die konkrete Höhe der jeweiligen jährlichen Jahresendprämien von einer Vielzahl von individuellen und kollektiven Faktoren abhängig gewesen sei, die rückschauend betrachtet in ihrer Gesamtheit nicht mehr im Einzelnen nachvollzogen werden könne. Von den somit zugrunde gelegten (geschätzten) 70 % eines monatlichen Bruttodurchschnittsverdienstes sei ein weiterer Abzug in Höhe eines Sechstels als sachgerecht zu veranschlagen, sodass im Ergebnis lediglich fünf Sechstel von 70 % zu berücksichtigen seien. Dieser zusätzliche Abschlag sei aus zwei Gründen gerechtfertigt: Zum einen werde damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger den Zufluss der Jahresendprämie dem Grunde nach nicht nachgewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht habe (Rechtsgedanke des § 6 Abs 6 AAÜG). Zum anderen sei dieser Abschlag auch wegen eines Erst-Recht-Schlusses gerechtfertigt: Wenn schon das Gesetz in § 6 Abs 6 AAÜG eine Berücksichtigung von fünf Sechsteln bei nur glaubhaft gemachter Höhe des weiteren Arbeitsentgelts vorsehe, dann müsse dies erst recht gelten, wenn die Höhe nicht einmal glaubhaft gemacht sei, sondern lediglich vom Gericht geschätzt werden könne. Das geschätzte Ergebnis (fünf Sechstel von 70 % = ca 58,33 %) nähere sich damit stark dem unter Bezugnahme auf verschiedene Betriebsprämienordnungen einzelner Betriebe angegebenen Mindestwert von Jahresendprämien (60 %) an, was die Schätzung zusätzlich bestätige. Soweit der Kläger höhere Arbeitsentgelte sowie solche für das Zuflussjahr 1974 begehre, sei die Berufung unbegründet und zurückzuweisen.

4

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzungen von § 128 Abs 1 S 1, § 202 S 1 SGG iVm § 287 Abs 2, Abs 1 S 1 ZPO; § 6 Abs 1 S 1, § 8 Abs 2 S 2 AAÜG: Ob das Tatsachengericht im Rahmen freier Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 S 1 SGG) von seiner Schätzbefugnis und damit von einer Beweiserleichterung Gebrauch mache, stehe in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Vorliegend sei dem LSG ein Ermessensfehlgebrauch unterlaufen. Es habe die Grenzen richterlicher Beweiswürdigung verletzt, weil es zur Schätzung der Höhe der Jahresendprämien nicht befugt gewesen sei. Ein Rückgriff auf die Vorschrift des § 287 Abs 2 ZPO im geschlossenen System des Nachweises bzw der Glaubhaftmachung von Entgelten in der gesetzlichen Rentenversicherung sei systemwidrig. Die Regelung des § 6 Abs 6 AAÜG zur Glaubhaftmachung sei abschließend, und eine Schätzung deshalb von vornherein ausgeschlossen, wie die Landessozialgerichte Mecklenburg-Vorpommern(Urteile vom 2.3.2016 - L 7 R 311/12 sowie vom 18.2.2015 - L 7 R 1L 7 R 147/11 - Juris RdNr 50 f) und Berlin-Brandenburg (Urteil vom 28.4.2016 - L 33 R 6/15 - Juris RdNr 49) bereits entschieden hätten. Das Berufungsgericht verkenne, dass sämtliche Tatumstände, die es unter die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 117 Abs 1 AGB-DDR subsumiere, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dh im Vollbeweis, nachgewiesen sein müssten, was auch das BSG im sog "Jahresendprämien-Urteil"(vom 23.8.2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr 4) fordere. Die bloße Glaubhaftmachung iS einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit genüge somit nicht; das Beweismaß der Glaubhaftmachung in § 6 Abs 6 AAÜG gelte nicht für den Feststellungsanspruch dem Grunde nach, sondern nur für dessen Höhe. Zudem dürfe "die Höhe einer Forderung" nach § 287 Abs 2 ZPO nur geschätzt werden, wenn die Tatsachen voll erwiesen seien, mit denen das "Ob" der Forderung, dh der Zahlungsanspruch als solcher, begründet werde, worauf das LSG Berlin-Brandenburg(aaO, Juris RdNr 51) zu Recht hinweise. Schließlich seien dem Berufungsgericht bei der Art und Weise, wie es den Schätzvorgang gestalte, "Verfahrensfehler" unterlaufen. Soweit es das durchschnittliche Monatsbruttogehalt im jeweiligen Planjahr als Anknüpfungstatsache heranziehe, sei dieser Basiswert - schon nach den rechtlichen Regularien der DDR - untauglich und rechtlich nicht tragfähig. Die davon erfolgenden Abschläge von 30 % und nochmals einem Sechstel seien aus der Luft gegriffen und methodisch nicht haltbar. Abschließend sei festzustellen, dass dem Berufungsgericht sowohl bei der Beantwortung der Frage, ob es überhaupt schätzen durfte als auch bei der Durchführung der Schätzung selbst Fehler unterlaufen seien, die die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Hierauf beruhe das angefochtene Urteil.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. März 2016 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 22. Mai 2015 in vollem Umfang zurückzuweisen.

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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Das BSG habe bereits im Urteil vom 4.5.1999 (B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr 3) entschieden, dass hilfsweise eine Schätzung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts gemäß § 287 ZPO in Betracht komme, wenn sich dessen Höhe in Kalenderjahren mit Arbeitsausfalltagen nicht unmittelbar feststellen lasse. Vorliegend habe das LSG die Voraussetzungen des § 117 Abs 1 AGB-DDR auf Basis der bindenden Tatsachenfeststellungen zu Recht bejaht. Die Beklagte verkenne, dass unterschiedliche Beweismaßstäbe zum Beleg der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 117 Abs 1 AGB-DDR möglich seien. Es ergebe sich aus keiner gesetzlichen Grundlage, dass hier ausschließlich der Strengbeweis zu fordern sei und eine Glaubhaftmachung gerade nicht genüge. Soweit das LSG bei der Bestimmung der Höhe der Jahresendprämie an den durchschnittlichen Monatsverdienst anknüpfe, sei dies unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsverordnungen nachvollziehbar. Zwar sei es richtig, dass über die Höhe des Abschlags im Rahmen der Schätzung gestritten werden könne. Insoweit komme dem Gericht jedoch ein nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu, der erst überschritten werde, wenn die Schätzungsgrundlagen schlichtweg unvertretbar seien. Davon könne jedoch nicht ausgegangen werden. Denn es sei kein Fall bekannt, in dem die Jahresendprämie nicht wenigstens 70 % eines monatlichen Bruttodurchschnittsverdienstes betragen habe. Alle Anspruchssteller und Zeugen tendierten eher dahin, die Höhe der Jahresendprämie mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von mindestens 90 % anzugeben. Vor diesem Hintergrund sei es vertretbar, den Abschlag so hoch anzusetzen, dass sämtliche Unwägbarkeiten Berücksichtigung finden könnten, sodass es nahezu ausgeschlossen sei, dass hier Arbeitsentgelte berücksichtigt würden, die tatsächlich nicht erzielt worden seien. Es sei auch vertretbar, quasi als zusätzliche Sicherheit, noch auf die Regelung des § 6 Abs 6 AAÜG zurückzugreifen. Insofern sei entscheidend, dass das LSG die Schätzungsgrundlagen offengelegt und diese nachvollziehbar dargelegt habe.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat der Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) überwiegend stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide sind indes rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die bisherigen Höchstwertfestsetzungen von Arbeitsentgelten im sog Überführungsbescheid vom 16.3.2005 zurückzunehmen und zusätzlich geschätzte Jahresendprämien als weiteres Arbeitsentgelt für die Jahre 1975 bis 1990 vorzumerken. Denn dem Kläger steht kein entsprechender Anspruch auf Feststellung höherer Arbeitsverdienste zu.

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Der Kläger begehrt im Wege der Kombination (§ 56 SGG) einer Anfechtungs- und mehrerer Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1 und 3 SGG), die Ablehnungsentscheidung im Bescheid vom 18.11.2014 und den Widerspruchsbescheid vom 29.1.2015 (§ 95 SGG) aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, die bestandskräftigen (§ 77 SGG) Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) über die Festsetzung des jeweiligen Höchstbetrages seiner Arbeitsentgelte für die Jahre 1975 bis 1990 im Überführungsbescheid vom 16.3.2005 zurückzunehmen und anstelle der alten Entgelthöchstbetragsregelungen jeweils eine neue Höchstbetragsregelung unter Einbeziehung von Jahresendprämien festzusetzen. Da der Kläger das Berufungsurteil vom 1.3.2016 nicht angegriffen hat, soweit es seine Berufung zurückweist, ist der Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 22.5.2015 insofern rechtskräftig (§ 141 Abs 1 SGG)und der Bescheid vom 18.11.2014 für die Beteiligten in der Sache insofern bindend (§ 77 SGG) geworden, als die Beklagte darin die Feststellung höherer Arbeitsentgelte für das Zuflussjahr 1974 verneint und es gleichzeitig abgelehnt hat, für die Zuflussjahre 1975 bis 1990 höhere Arbeitsentgelte festzusetzen, die über diejenigen hinausgehen, die im angefochtenen Urteil zugesprochen worden sind.

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1. Die insoweit erstrebte Rücknahme richtet sich nach § 44 SGB X, der auch im Rahmen des AAÜG anwendbar ist(§ 8 Abs 3 S 2 AAÜG; vgl auch Senatsurteil vom 15.6.2010 - B 5 RS 6/09 R - Juris RdNr 13 und ausführlich BSGE 77, 253, 257 = SozR 3-8570 § 13 Nr 1 S 5). Danach ist ein (iS von § 45 Abs 1 SGB X) nicht begünstigender Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit er (anfänglich) rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt ist immer mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Abs 2 S 1 aaO), soweit er noch Rechtswirkungen hat, also noch nicht iS von § 39 Abs 2 SGB X erledigt ist. Die Rücknahme hat (gebundene Entscheidung) für die Vergangenheit zu erfolgen, wenn wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts "Sozialleistungen" zu Unrecht nicht erbracht oder "Beiträge" zu Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs 1 S 1 SGB X). Das Gebot zur rückwirkenden Rücknahme gilt nicht in bestimmten Fällen der Bösgläubigkeit (Abs 1 S 2 aaO). Im Übrigen "kann" (Ermessen) der anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakt auch in sonstigen Fällen, also über die Fälle des Abs 1 S 1 aaO hinaus, für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs 2 S 2 aaO).

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Da sich § 44 Abs 1 SGB X nur auf solche bindenden Verwaltungsakte bezieht, die - anders als die feststellenden Verwaltungsakte im Überführungsbescheid vom 16.3.2005 - unmittelbar Ansprüche auf nachträglich erbringbare "Sozialleistungen" (§ 11 S 1 SGB I) iS der §§ 3 ff und 18 ff SGB I betreffen(BSGE 69, 14, 16 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3), kann sich der Rücknahmeanspruch des Klägers nur aus Abs 2 aaO ergeben. Nach dieser Vorschrift ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar (und damit zugleich bindend) geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (S 1). Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (S 2). Die Feststellungen über die Höhe der erzielten Arbeitsentgelte im Überführungsbescheid vom 16.3.2005, die jeweils einzelne feststellende Verwaltungsakte iS des § 31 S 1 SGB X sind und die in Bezug auf die geltend gemachten Jahresendprämien keinen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt haben(nicht begünstigender Verwaltungsakt iS von § 45 Abs 1 SGB X), waren jedoch im Zeitpunkt ihres Erlasses (Bekanntgabe iS von § 37 SGB X)rechtmäßig. Denn die geltend gemachten Jahresendprämien sind nicht als tatsächlich erzieltes Arbeitsentgelt festzustellen.

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2. Als Anspruchsgrundlage für die begehrten rechtlichen Feststellungen kommt allein § 8 Abs 2, Abs 3 S 1 und Abs 4 Nr 1 AAÜG in Betracht. Nach § 8 Abs 3 S 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträgerin für das Zusatzversorgungssystem der Anl 1(§ 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG) dem Berechtigten durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach Abs 2 aaO bekannt zu geben. Diese Mitteilung hat ua "das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen" (= Arbeitsverdienste) zu enthalten.

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3. Maßstabsnorm, nach der sich bestimmt, welche Arbeitsverdienste den Zugehörigkeitszeiten zu einem (Zusatz-)Versorgungssystem der DDR zuzuordnen sind, ist § 6 Abs 1 S 1 AAÜG. Danach ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl § 5 aaO) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrundezulegen. Der Begriff des Arbeitsentgelts iS des § 6 Abs 1 S 1 AAÜG bestimmt sich nach § 14 SGB IV, wie der erkennende Senat(BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 6 RdNr 15) im Einklang mit dem 4. Senat des BSG (SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 24 ff), der früher für das Recht der Rentenüberleitung zuständig gewesen ist, bereits entschieden hat. Dabei ist durch die Rechtsprechung des 4. Senats, der sich der erkennende Senat anschließt, gleichermaßen geklärt, dass die sog Jahresendprämien einmalige Einkünfte aus einer Beschäftigung iS des § 14 Abs 1 S 1 SGB IV waren und diese bundesrechtliche Qualifizierung nicht durch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB IV iVm § 1 ArEV vom 18.12.1984 (BGBl I 1642) ausgeschlossen ist (BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 27, 33). Gleichzeitig folgt für die Feststellung von Bezug und Höhe dieser einmaligen Einkünfte aus der Formulierung "erzieltes Arbeitsentgelt" in § 6 Abs 1 S 1 AAÜG im Zusammenhang mit § 5 Abs 1 S 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt handeln muss, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also in bestimmter Höhe tatsächlich gezahlt worden ist(BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 19).

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4. Für den Zufluss von Entgeltbestandteilen wie der sog Jahresendprämie trägt der Zahlungsempfänger die Feststellungs- bzw objektive Beweislast (BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 42), dh das Risiko bzw den Nachteil, dass sich diese Tatsache nicht beweisen und feststellen lässt (non liquet). Der Tatbestand öffentlich-rechtlicher Normen ist regelmäßig nur dann erfüllt, wenn ein einschlägiger Sachverhalt nach Ausschöpfung grundsätzlich aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisgrundlagen bis zur Grenze der Zumutbarkeit (Senatsbeschluss vom 2.3.2010 - B 5 R 208/09 B - Juris RdNr 9; BVerwG Urteil vom 26.8.1983 - 8 C 76/80 - Buchholz 310 § 86 Abs 1 VwGO Nr 147 S 9 und Beschluss vom 18.2.2015 - 1 B 2/15 - Juris RdNr 4; vgl auch BVerfG Beschluss vom 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 - Juris RdNr 67) mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl zB BSG Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7) im Vollbeweis, dh zur vollen Überzeugung des hierzu berufenen Anwenders iS einer subjektiven Gewissheit feststeht. Für das sozialgerichtliche Verfahren ergibt sich dies aus § 103 S 1 Halbs 1, § 128 Abs 1 S 1 SGG. Abweichungen (Gewissheit, hinreichende Wahrscheinlichkeit oder Glaubhaftmachung) von diesem Regelbeweismaß bedürfen einer gesetzlichen Grundlage (BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4 - Juris RdNr 4; vgl auch BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R - BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3; BVerwG Beschluss vom 3.8.1988 - 9 B 257/88 - NVwZ-RR 1990, 165; Bolay in Lüdtke, SGG, 4. Aufl 2012, § 128 RdNr 13 ff; Höfling/Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl 2014, § 108 RdNr 87; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl 2016, § 108 RdNr 5; Kühl in Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl 2014, § 118 RdNr 3 ff). Nur dann ist gewährleistet, dass normativ angeordnete Rechtsfolgen allein Fällen der gesetzlich vorgesehenen Art zugeordnet werden und im Streitfall effektiver Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) gewährleistet ist. Die in § 6 Abs 6 AAÜG normierten Beweiserleichterungen verhelfen der Klage indessen nicht zum Erfolg.

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5. Zwar hat das LSG auf dieser Grundlage für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass dem Kläger in den jeweils ausgeurteilten Jahren tatsächlich Jahresendprämien zugeflossen sind, weil dies zwar nicht (im Vollbeweis) nachgewiesen, aber glaubhaft gemacht, dh "überwiegend wahrscheinlich" sei (vgl dazu § 23 Abs 1 S 2 SGB X; § 202 S 1 SGG iVm § 294 ZPO). Dabei geht das LSG zu Recht davon aus, dass dieser - im Vergleich zum Regelbeweismaß - abgesenkte Beweisgrad ausreicht, um im Einzelfall den tatsächlichen Zufluss von Arbeitsentgelt anzunehmen und festzustellen (so auch Bayerisches LSG Urteil vom 23.6.2015 - L 1 RS 3/14 - Juris LS; LSG Mecklenburg-Vorpommern Urteil 18.2.2015 - L 7 R 147/11 - Juris RdNr 42 ff; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.10.2014 - L 33 R 151/13 - Juris RdNr 37; Thüringer LSG Urteil vom 27.5.2014 - L 6 R 1280/12 - Juris RdNr 19 ff; offen gelassen LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 12.2.2014 - L 1 RS 28/13 - Juris RdNr 25 ff). Dies ergibt die Auslegung des § 6 Abs 6 AAÜG. Danach wird der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird. Die Formulierungen "der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes" und "der andere Teil" sind prinzipiell weit und ermöglichen es, die Glaubhaftmachung dieses Verdienstteils sowohl auf dessen Höhe als auch auf dessen Zufluss oder auf beides zu beziehen, während der Nachweis des übrigen Verdienstteils schon logisch Zufluss und Höhe erfassen muss. Angesichts der klaren gesetzlichen Differenzierung des Gesamtverdienstes in einen glaubhaft gemachten und einen nachgewiesenen Teil liegt es indes fern, die Glaubhaftmachung auf die Höhe des Verdienstes bei nachgewiesenem Zufluss zu beschränken. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Norm mit dem Erfordernis, dass Zufluss und Höhe eines Verdienstteils im Vollbeweis nachgewiesen sein müssen, bereits ausdrücklich das strenge Regelbeweismaß anlegt und damit einen starken Anker schafft, was spiegelbildlich Abstriche beim Beweismaß für Höhe und Zufluss des anderen Verdienstteils legitimiert und ggf Rückschlüsse aufgrund zuvor oder anschließend erzielten Arbeitsentgelts erlaubt (vgl dazu BSG Urteil vom 28.10.1996 - 8 RKn 19/95 - SozR 3-2600 § 123 Nr 1 S 4; Spegel, MittLVA Württ 1996, 164 jeweils zu § 256c SGB VI). Zudem findet die einschneidende Rechtsfolge, die einen erheblichen Abschlag in Höhe eines Sechstels vorsieht, auch und gerade in Fällen ihre Rechtfertigung, in denen neben der Höhe auch der Zufluss von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nur glaubhaft gemacht werden kann und damit die Verdienstfeststellung in ihrer anteiligen Gänze auf Wahrscheinlichkeitsüberlegungen beruht.

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6. Ebenso für das Revisionsgericht verbindlich hat das Berufungsgericht aber auch (negativ) festgestellt, dass die Höhe der einschlägigen Zahlungen weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist. Insofern ist unerheblich, dass das angegriffene Urteil möglicherweise nicht auf diesen Feststellungen beruht (vgl dazu BSG Urteil vom 10.11.1993 - 11 RAr 47/93 - BSGE 73, 195 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3; Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 15). Soweit das LSG die Höhe der Jahresendprämien jedoch auf 58,33 % eines im jeweiligen Beschäftigungsvorjahr erzielten monatlichen Bruttodurchschnittsbetrages geschätzt hat, ist der Senat an diese weitergehenden Feststellungen (§ 163 SGG) nicht gebunden. Denn das Berufungsgericht geht insofern von rechtlich unzutreffenden Annahmen hinsichtlich des Beweismaßes aus, die der sachlichen Prüfung durch das BSG unterliegen. Das AAÜG enthält jedenfalls für Fälle der vorliegend zur Entscheidung stehenden Art abschließende Regelungen zu Möglichkeiten und Folgen einer Beweiserleichterung hinsichtlich der Höhe des zugrundezulegenden Verdienstes. Zusätzliche Beweiserleichterungen des materiellen (a) oder des sog formellen Rechts (b) greifen daneben nicht ein.

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a) § 6 Abs 6 AAÜG erlaubt es dem Versicherten ausnahmsweise, die Höhe eines Verdienstteils glaubhaft zu machen, wenn der andere Teil des Verdienstes nachgewiesen ist und eröffnet insoweit zu seinen Gunsten im beschränkten Umfang eine Beweismaßreduzierung, allerdings auf Kosten eines Abschlags in Höhe eines Sechstels des glaubhaft gemachten Teils des Verdienstes. Eine weitere Verminderung des Beweismaßstabes im Sinne einer Schätzungswahrscheinlichkeit sieht § 6 AAÜG nicht vor. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzbefugnis schaffen wollen, so hätte er dies gesetzlich anordnen und Regelungen sowohl zu ihrer Reichweite (Schätzung des Gesamtverdienstes oder nur eines Teils davon) als auch zum Umfang der Anrechnung des geschätzten Verdienstes treffen müssen, nachdem er schon für den strengeren Beweismaßstab der Glaubhaftmachung nur die Möglichkeit einer begrenzten Berücksichtigung (zu fünf Sechsteln) ermöglicht hat.

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Auch aus § 6 Abs 5 AAÜG iVm § 256b Abs 1 und § 256c Abs 1 und 3 S 1 SGB VI ergibt sich keine materiell-rechtliche Schätzbefugnis. Rechtsfolge einer fehlenden Nachweismöglichkeit des Verdienstes ist hiernach stets die Ermittlung eines fiktiven Verdienstes nach Tabellenwerten, nicht jedoch die erleichterte Verdienstfeststellung im Wege der Schätzung im Sinne einer Überzeugung von der bloßen Wahrscheinlichkeit bestimmter Zahlenwerte. Insofern kann offenbleiben, ob Abs 5 überhaupt neben Abs 6 zur Anwendung kommen kann (idS BT-Drucks 13/2590 S 33).

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b) Die prozessuale Schätzbefugnis gemäß § 287 ZPO, die nach § 202 S 1 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren lediglich subsidiär und "entsprechend" anzuwenden ist(vgl zB BSG Urteile vom 14.7.1988 - 11/7 RAr 41/87 - SozR 4100 § 115 Nr 2; vom 20.5.1987 - 10 RKg 12/85 - BSGE 62, 5 = SozR 1750 § 287 Nr 1; vom 15.3.1979 - 9 RVs 16/78 - SozR 3870 § 3 Nr 5; vom 27.7.1978 - 2 RU 37/78 - Juris RdNr 21), greift hier von vornherein nicht ein. Denn § 6 Abs 6 AAÜG regelt als vorrangige und bereichsspezifische Spezialnorm die vorliegende Fallkonstellation (ein Verdienstteil ist nachgewiesen, ein anderer glaubhaft gemacht) abschließend und lässt für die allgemeine Schätzungsvorschrift des § 287 ZPO keinen Raum. Indem § 6 Abs 6 AAÜG die Höhe des glaubhaft gemachten Verdienstteils selbst pauschal auf fünf Sechstel festlegt, bestimmt er gleichzeitig die mögliche Abweichung gegenüber dem Vollbeweis wie die Rechtsfolge der Glaubhaftmachung selbst und abschließend. Eine einzelfallbezogene Schätzung scheidet damit aus. Andernfalls käme es zu unauflösbaren Widersprüchen, wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt: Bei der Schätzmethode des LSG handelt es sich um ein in sich geschlossenes Konstrukt, in das mit einer nachträglichen Kürzung des Schätzergebnisses um ein Sechstel derart intensiv eingegriffen würde, dass von einer Schätzung nicht mehr die Rede sein kann. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzung zulassen wollen, so hätte er das Schätzverfahren weiter ausgestalten und festlegen müssen, ob und ggf wie mit dem Abschlag im Rahmen der Schätzung umzugehen ist. Das Fehlen derartiger Bestimmungen belegt im Sinne eines beredten Schweigens zusätzlich den abschließenden Charakter der Ausnahmeregelung in § 6 Abs 6 AAÜG als geschlossenes Regelungskonzept.

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Aber selbst wenn man § 287 ZPO in Fällen der vorliegenden Art für anwendbar hält, scheidet eine Schätzung gemäß § 287 Abs 1 ZPO schon mangels "Schadens" von vornherein aus. Schließlich sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 287 Abs 2 ZPO nicht erfüllt. Denn diese Norm greift - als Ausnahme von den Grundsätzen in § 286 ZPO und § 128 Abs 1 S 1 SGG - nur ein, wenn eine "Forderung" dem Grunde nach mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht, dh im Vollbeweis belegt ist, und nur noch ihre "Höhe … streitig ist"(vgl BSG Urteil vom 28.5.2003 - B 3 P 6/02 R - SozR 4-3300 § 15 Nr 1 RdNr 12; BGH Urteile vom 17.12.2014 - VIII ZR 88/13 - Juris RdNr 45 und vom 25.10.1984 - IX ZR 76/83 - MDR 1985, 494 Juris RdNr 13; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, § 63 RdNr 85; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl 2016, § 287 RdNr 11; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl 2016, § 287 RdNr 1; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl 2013, § 287 RdNr 11 und 29; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl 2016, § 287 RdNr 20; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl 2016, § 287 RdNr 7; Saenger, ZPO, 6. Aufl 2015, § 287 RdNr 11). Die Schätzbefugnis und die damit verbundene Beweismaßreduzierung beschränkt sich somit auf die Höhe nachgewiesener Forderungen; nur wenn und soweit allein die Forderungshöhe streitig ist, darf der Richter insofern Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen. Andernfalls käme es zu doppelten Wahrscheinlichkeitsüberlegungen und zu dem Problem, dass hinsichtlich des "Ob" des Zuflusses (Glaubhaftmachung iS einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit) und mit Blick auf die Höhe der Forderung (Schätzungswahrscheinlichkeit) unterschiedliche Erwägungen zu unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsgraden anzustellen wären. Damit würde aber das rechtswidrige Ergebnis in Kauf genommen, dass beide Faktoren in ihrer Überlagerung bzw Kombination nicht mehr wahrscheinlich, sondern lediglich möglich wären. Eine derart weite Loslösung von der Wirklichkeit und die damit verbundene Aufweichung der Feststellungslast sieht § 287 Abs 2 ZPO nicht vor; die bloße Möglichkeit, dass dem Versicherten Arbeitsentgelt in geschätzter Höhe zugeflossen ist, genügt keinesfalls (vgl zB BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4). Schließlich erscheint es methodisch ausgeschlossen, die Schätzbefugnis nach § 287 Abs 1 S 1 ZPO erst nach mehrfacher entsprechender Anwendung dieser Vorschrift zu eröffnen: Über die Verweisung in § 202 S 1 SGG ist § 287 ZPO überhaupt nur "entsprechend anzuwenden" und innerhalb dieser zivilprozessualen Norm ist die Schätzbefugnis in § 287 Abs 1 S 1 SGG über Abs 2 aaO ihrerseits ebenfalls nur "entsprechend anzuwenden", und zwar vorliegend erst, nachdem dessen Regelungsbereich zuvor auf Fallkonstellationen mit ungeklärter Haftungsgrundlage erweitert worden ist, obgleich die insofern einschlägigen tatsächlichen Umstände gerade zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen müssen(§ 286 ZPO).

21

Fragestellungen zur Ermittlung und Feststellung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Kalenderjahren mit Arbeitsausfalltagen, die der Entscheidung des 4. Senats in seinem Urteil vom 4.5.1999 (B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr 3) zugrunde liegen, waren vorliegend nicht zu beantworten. In diesem Fall ebenso wie in dem Urteil vom 23.8.2007 (SozR 4-8570 § 6 Nr 4) ging es dem Grunde nach um nachgewiesene Zahlungen.

22

c) Da die Höhe der glaubhaft erzielten Jahresendprämien weder im Vollbeweis noch im Wege der Glaubhaftmachung belegt ist und der Kläger insofern die Feststellungslast trägt, hat er keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Rücknahme der bisherigen Entgelthöchstbetragsregelung eine neue Höchstbetragsregelung unter Einbeziehung geschätzter Jahresendprämien festsetzt.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.