Oberlandesgericht Hamm Urteil, 04. Okt. 2016 - 21 U 142/15
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24. Juni 2015 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 20. Zivilkammer des Landgerichts Essen (20 O 124/14) teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 61.466,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. April 2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Auf die Widerklage wird festgestellt, dass der Klägerin für den Zeitraum vom 1. März bis zum 30. April 2014 keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits tragen die Klägerin 54,7 % und die Beklagte 45,3 %, von den zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 48,7 % und die Beklagte 51,3 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung der jeweils gegnerischen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den Gegner vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht jener vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Gründe:
2I.
3Die Parteien streiten um von der Klägerin geforderten Werklohn für Leistungen des Winterdienstes.
4Die Klägerin betreibt ein Unternehmen mit Sitz in C, dessen Gegenstand neben dem Garten- und Landschaftsbau u.a. Straßenreinigung und Winterdienst sind. Die Beklagte hat ihren Sitz in F und verwaltet Immobilien.
5Die Klägerin hatte bereits im Winter 2012/2013 Winterdienstleistungen für die Beklagte, die seinerzeit unter W GmbH firmierte, in C erbracht, als die Beklagte derartige Leistungen auch für die Winterperiode 2013/2014 ausschrieb. Sie gab aufgrund der Ausschreibung unter dem 29.8.2013 ein Angebotsblatt ab (Anl. K2), nach dessen Inhalt für insgesamt 8 von 9 ausgeschriebenen Losen Nettopauschalpreise je m² pro Saison inklusive Streugutbeseitigung sowie Pauschalpreise für Zwischenberäumungen je m² beziffert wurden. Die Lose 2 (K, L) und 6 (M) umfassten jeweils 18 Objekte und Gesamtflächen von 19.725,15 m² sowie 25.435,60 m². Die einzelnen Flächen ergaben sich aus von der Beklagten erstellten Objektübersichten (Anl. K3, K4).
6Anschließend verhandelten die Parteien auf Grundlage eines von der Beklagten vorgelegten Entwurfs über einen Rahmenvertrag für die Erbringung von Winterdienst gem. § 3 StrReinG (Anl. K1), der u.a. eine Laufzeit vom 1.11.2013 bis 30.4.2014 sowie die Schriftform – auch für deren Abbedingung - vorsah und den Sitz der Beklagten als Gerichtsstand und Erfüllungsort bestimmte.
7Der Rahmenvertrag nahm zur Konkretisierung der zu erbringenden Leistungen auf die Objektlisten als Anlagen Bezug und sah vor, dass die Klägerin die zur Leistungserbringung erforderlichen qualifizierten Mitarbeiter in der notwendigen Anzahl sowie Material zur Verfügung zu stellen hatte. Die Rechnungslegung sollte in 6 Teilen des Gesamtpreises je Saison nach einem durch die Beklagte vorgegebenen Muster erfolgen.
8Zwischen den Parteien ist streitig, ob mit diesem Inhalt zwischen ihnen ein Vertrag wirksam zustande kam, weil die Vertragsurkunde, die von Vertretern beider Parteien auf jeder Seite paraphiert ist, zwar seitens der Klägerin am 16.12.2013 unterzeichnet wurde, von einem Vertreter der Beklagten jedoch nicht.
9Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass die Klägerin den Zuschlag für die ausgeschriebenen Lose 2 – L - und 6 – M - erhielt, wobei einvernehmlich die Saisonpreise abweichend vom Angebot auf 2,70 €/m² für das Los 6 und 2,85 €/m² für das Los 2 festgelegt wurden. Unstreitig ist darüber hinaus, dass anschließend der Vertrag in Vollzug gesetzt wurde.
10Im November 2013 waren witterungsbedingt keine Räum- oder Streueinsätze im Winterdienst erforderlich. Die Klägerin hielt indes Personal und Gerät vor. Sie rechnete unter dem 15.1. und dem 24.3.2014 über den Zeitraum vom 1.11. bis 30.11.2013 einen Gesamtbetrag von 25.149,72 € objektweise in einzelnen Rechnungen ab (K5-K40). Darin waren jeweils zur Kennzeichnung „WHG-Nummern“ angegeben, die den mit „WI“ überschriebenen Kennziffern aus der Objektübersicht entsprachen, die abgerechneten Flächen entsprachen ebenfalls denen aus der Objektübersicht. Die Beklagte glich nur einige dieser Rechnungen aus. Insgesamt zahlte sie auf die Rechnungen der Klägerin 2.659,28 €.
11Dieselbe Gesamtsumme stellte die Klägerin am 15.1. sowie 24.3.2014 für den Zeitraum vom 1.12.- 31.12.2013 objektweise in Rechnung (K41-K76), nachdem sie die erforderlichen Leistungen ordnungsgemäß und vertragsgerecht erbracht hatte. Darauf leistete die Beklagte Zahlungen in Höhe eines Gesamtbetrags von 2.350,38 €.
12Die von der Beklagten geleistete Zahlung bzw. eine von ihr vorgenommene Verrechnung mit einer Forderung aus einer Gutschrift der Klägerin bezogen sich ausschließlich auf unter dem 15.1.2014 erteilte Rechnungen. Teilweise erstellte die Klägerin insoweit später inhaltlich abweichende Rechnungen.
13Im Januar 2014 bemängelte die Beklagte die durch die Klägerin in diesem Monat erbrachten Leistungen. Infolgedessen kam es am 30.1.2014 zu einem Gesprächstermin, an dem Vertreter der Beklagten und die Geschäftsführer der Klägerin teilnahmen. Ausweislich des durch einen Mitarbeiter der Beklagten aufgenommenen Protokolls (K152, Bl. 29-31) war Gegenstand des Gesprächs u.a., dass wegen einer unzureichenden Leistungserbringung der Klägerin die Beklagte den Rahmenvertrag kündige und mit ihr entstandenen Kosten aufrechne. Die Kündigung wurde mit Schreiben vom 30.1.2014 ausgesprochen (K149). Außerdem erklärte die Beklagte mit Schreiben vom selben Tag, dass sie von ihrem in §§ 3 (2), 9 (4) des Rahmenvertrags vorgesehenen Recht zur Minderung der Flächen derart Gebrauch mache, dass sie diese mit sofortiger Wirkung auf „0“ setze, so dass die Klägerin ab dem 1.2.2014 von der Winterdiensterbringung befreit sei (B1, Bl. 18-19).
14Am 10.2.2014 erörterten der Geschäftsführer der Klägerin und der Mitarbeiter der Beklagten T telefonisch eine mögliche Vereinbarung zur einvernehmlichen Beendigung des Vertrags. Der genaue Inhalt des Telefonats ist zwischen den Parteien streitig.
15Im Anschluss daran übermittelte der Geschäftsführer der Klägerin Z eine e-Mail an Herrn T mit dem Betreff: “Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche.“ Darin hieß es: „... wie soeben besprochen, anbei die besprochene Vereinbarung.“ Als Anhang war ein PDF-Dokument mit dem Titel „2014-02-10 Vereinbarung – Verzicht auf gegenseitige Forderungen“ beigefügt.
16Das angehängte Dokument war als Vereinbarung überschrieben und enthielt die Bezeichnung der Parteien. Die Betreffzeile darin lautete: „Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche, infolge der Kündigung des Rahmenvertrags für den Winterdienst vom 30.1.2014.“ Inhaltlich war vorgesehen, dass die Klägerin der Beklagten eine Gutschrift über insgesamt 8.973,24 €, nämlich 1.513,88 € Aufwendungen für Ersatzvornahmen sowie 7.459,36 € Mehraufwand Administration aus dem Winterdienstvertrag vom 16.12.2013, erteilt und danach die Beklagte die Januar-Rechnung in voller Höhe abzüglich des gutgeschriebenen Betrags ausgleicht. Damit sollte „beiderseitig auf sämtliche etwaigen Forderungsansprüche, aus dem am 30.01.2014 gekündigten Rahmenvertrag für den Winterdienst vom 16.12.2013, verzichtet“ werden.
17Unter der Datumsangabe 10.2.2014 enthielt das Dokument Felder für die Unterschriften der Vertreter beider Parteien.
18Mit e-Mail vom folgenden Tag erklärte die Beklagte ihre Zustimmung zu der Vereinbarung und bat um unterzeichnete Rücksendung (K154, 48). Mit e-Mail vom 19.2.2014 übermittelte sie eine ihrerseits unterzeichnete Fassung (K155, 48a-49). Darin führte ihr Mitarbeiter T u.a. aus: „Wir wollen alle gegenseitigen Forderungen zum Ausgleich bringen, aber ohne Gutschrift ist uns dies nicht möglich.“
19Am 30.1. und am 24.3.2014 stellte die Klägerin Winterdienstleistungen auch für die Zeiträume vom 1.1.- 31.1. sowie vom 1.2.- 28.2.2014 in Rechnung. Für beide Zeiträume summierten sich die Rechnungen wiederum auf je 25.149,72 €. Darauf leistete die Beklagte keinerlei Zahlungen mehr.
20Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die Kündigung der Beklagten sei nicht begründet und daher unwirksam. Dasselbe gelte hinsichtlich der Flächenreduzierung. Aus dem Zeitraum vom 1.11.2013 bis 28.2.2014 stehe ihr noch eine offene Forderung in Höhe von insgesamt 95.589,22 € zu. Wegen des Zeitraums vom 1.3. bis 30.4.2014 hat sie sich eine Klageerweiterung vorbehalten. Sie habe nicht wirksam auf ihre Ansprüche verzichtet, weil eine Vereinbarung mit dem Wortlaut vom 10.2.2014 nicht getroffen worden sei. Zu dem Zeitpunkt habe ihr Geschäftsführer nicht gewusst, dass die Rechnungen für die Zeiträume November und Dezember 2013 noch weitgehend unbezahlt waren.
21Die Beklagte hat sich mit dem Vorbringen verteidigt, der Rahmenvertrag sei mangels Unterzeichnung ihrerseits und wegen des Fehlens der in der Vertragsurkunde vorgesehenen Unterschrift eines Vertreters der E GmbH formunwirksam. Die Kündigung und die Flächenminderung seien wirksam und jedenfalls sei eine mündliche Vereinbarung derart geschlossen worden, dass sie nach Erteilung einer Gutschrift über 8.973,24 € lediglich die Januar-Rechnung in voller Höhe zahle. Weitergehende Ansprüche der Klägerin seien daher ausgeschlossen.
22Wegen des weiteren Sachvortrags und der gestellten Anträge im ersten Rechtszug wird auf die Darstellung im mit der Berufung angegriffenen Urteil verwiesen.
23Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 16.176,48 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.4.2014 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Widerklage der Beklagten hin hat es festgestellt, dass der Klägerin für den Zeitraum vom 1.3.2014 bis 30.4.2014 keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
24Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der Rahmenvertrag formwirksam geschlossen worden sei, weil jedenfalls am 10.2.2014 ein Vergleich im Sinne des § 779 BGB zwischen den Parteien wirksam zustande gekommen sei, der eine Novation bewirkt habe. Die e-Mail der Klägerin vom 10.2.2014 sei als kaufmännisches Bestätigungsschreiben anzusehen. Eine mögliche Unkenntnis von den offenen Salden sei als Motivirrtum unbeachtlich.
25Daher könne die Klägerin die Vergütung für Januar 2014 abzüglich des vereinbarten Gutschriftbetrags verlangen. Ein Zurückbehaltungsrecht stehe der Beklagten, weil diese sich selbst auch nicht vertragstreu verhalten habe, nicht zu. Darüber hinaus bestünden infolge des wirksam erklärten Verzichts keine Ansprüche der Klägerin, so dass die Widerklage zulässig und begründet sei.
26Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Diese begründet sie unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und ihren mit Beschluss des Landgerichts vom 2.10.2015 (Bl. 87-88) zurückgewiesenen Tatbestandsberichtigungsantrag vom 20.7.2015 (Bl. 76-77) einerseits damit, dass mangels Protokollierung eines entsprechenden Antrags in der mündlichen Verhandlung vom 6.5.2015 (Bl. 50-51) eine Entscheidung über die Widerklage nicht habe ergehen dürfen. Andererseits rügt sie, das Landgericht habe der e-Mail vom 10.2.2014 eine falsche Bedeutung beigemessen und zu Unrecht die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens angewandt. Es sei deutlich zum Ausdruck gekommen, dass ein Zustandekommen erst durch beiderseitige Unterzeichnung erfolgen sollte. Das gebiete auch die im Rahmenvertrag enthaltene qualifizierte Schriftformklausel.
27Sie beantragt,
281. unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Essen vom 24.6.2015 - 20 O 124/14 - die Beklagte, Widerklägerin und Berufungsbeklagte - nachfolgend Beklagte – zu verurteilen, an die Klägerin über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 79.412,74 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Betrag von 52.651,36 seit dem 18.4.2015 sowie auf den Betrag von 26.761,38 € seit dem 6. 20. 5. 2014 zu zahlen;
292. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Essen vom 24.6.2015 - 20 O 124/14 - die Widerklage abzuweisen;
30hilfsweise,
31unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Essen vom 24.6.2015 - 20 O 124/14 - den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Essen zurückzuverweisen.
32Die Beklagte beantragt,
33die Berufung zurückzuweisen.
34Sie verteidigt das mit der Berufung angegriffene Urteil unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und behauptet darüber hinaus: zwischen den Parteien habe Streit über die Qualität der seitens der Klägerin erbrachten Leistungen bestanden. Gegenstand der mündlichen Vergleichsverhandlungen bei dem Telefonat vom 10.2.2014 seien neben der Januar-Rechnung der Klägerin sämtliche bereits fälligen und künftigen Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Rahmenvertrag gewesen, während die für den Gutschriftsbetrag maßgeblichen Mehrkosten für Ersatzvornahmen und administrative Tätigkeit allein den Zeitraum Januar 2014 betroffen hätten.
35Aufgrund Auflagen- und Beweisbeschlusses des Senats vom 23.6.2016, mit dem der Beklagten aufgegeben worden ist, zu den Zeitpunkten der bis dahin unstreitigen Leistungshandlungen näher vorzutragen (Bl. 141-142) legt die Beklagte einen Auszug aus ihrer Buchhaltung in Bezug auf das Geschäftsverhältnis zur Klägerin vor (B3, Bl. 154). Daraus ergibt sich anhand ihrer Erläuterungen, dass die Beklagte mit der ihr aus einer Gutschrift zur Rechnung Nr. 50015 zustehenden Forderung in Höhe von 3.285,39 € gegen die von ihr aufgeführten Rechnungen der Klägerin (B3) aufrechnete und zum Ausgleich des Saldos am 23.1.2014 den Betrag von 2.940,33 € zahlte.
36In Bezug auf die folgenden Rechnungen stimmen der Vortrag der Klägerin und die von der Beklagten in Bezug genommene Aufstellung B3 hinsichtlich Rechnungssumme und –datum überein:
37Rg.-Nr. |
Datum |
Anl. |
Betrag |
Zahlbetrag |
52659 |
15.01.2014 |
K35 |
113,45 € |
113,45 € |
52662 |
15.01.2014 |
K33 |
154,88 € |
154,88 € |
52664 |
15.01.2014 |
K31 |
392,28 € |
392,28 € |
52665 |
15.01.2014 |
K30 |
73,22 € |
73,22 € |
52672 |
15.01.2014 |
K23 |
360,39 € |
360,39 € |
52676 |
15.01.2014 |
K19 |
154,89 € |
154,89 € |
52681 |
15.01.2014 |
K15 |
335,50 € |
335,50 € |
52682 |
15.01.2014 |
K14 |
86,23 € |
86,23 € |
52687 |
15.01.2014 |
K10 |
124,93 € |
124,93 € |
52699 |
15.01.2014 |
K71 |
113,45 € |
113,45 € |
52702 |
15.01.2014 |
K69 |
154,88 € |
154,88 € |
52705 |
15.01.2014 |
K66 |
73,22 € |
73,22 € |
52712 |
15.01.2014 |
K59 |
360,39 € |
360,39 € |
52716 |
15.01.2014 |
K55 |
154,89 € |
154,89 € |
52721 |
15.01.2014 |
K51 |
335,50 € |
335,50 € |
52722 |
15.01.2014 |
K50 |
86,23 € |
86,23 € |
52727 |
15.01.2014 |
K46 |
124,93 € |
124,93 € |
3.199,26 € |
Hinsichtlich folgender Teilbeträge werden unterschiedliche Rechnungsnummern und -daten als Belege für die von beiden Parteien betragsmäßig übereinstimmend vorgetragenen Zahlungen benannt:
39Betrag |
Rg.-Nr. Kl. |
Datum |
Anl. |
Rg.-Nr. Bekl. |
Datum |
Bl. |
442,62 € |
53465 |
24.03.2014 |
K8 |
52688 |
15.01.2014 |
176-177 |
83,38 € |
53461 |
24.03.2014 |
K43 |
52698 |
15.01.2014 |
178 |
442,62 € |
53467 |
24.03.2014 |
K44 |
52728 |
15.01.2014 |
179-180 |
Die Summe der Beträge aus den von der Beklagten in ihrer Aufstellung (B3) als Belege für die Zahlungsleistungen aufgeführten Rechnungen beläuft sich auf insgesamt 4.167,88 €.
41Darüber hinaus trägt die Klägerin weitere Zahlungen der Beklagten vor, die in der seitens der Beklagten vorgelegten Aufstellung (B3) nicht auftauchen. Insofern sind folgende, grundsätzlich als unstreitig anzusehende Zahlbeträge betroffen:
42Rg.-Nr. |
Datum |
Anl. |
Betrag |
Zahlung lt. Kl. |
52691 |
15.01.2014 |
K39 |
289,18 € |
289,18 € |
52693 |
15.01.2014 |
K37 |
131,71 € |
131,71 € |
52695 |
15.01.2014 |
K75 |
289,18 € |
289,18 € |
52697 |
15.01.2014 |
K73 |
131,71 € |
131,71 € |
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf ihre zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
44Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen T sowie durch gegenbeweisliche Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin Z. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4.10.2016 und den dazu gefertigten Berichterstattervermerk verwiesen.
45II.
46Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Ihre zulässige Klage ist im sich aus dem Tenor ergebenden Umfang überwiegend begründet.
47Die zulässige Widerklage ist ebenfalls als wirksam erhoben und begründet anzusehen. Insofern ist die Berufung daher unbegründet.
481.
49Die zulässige Leistungsklage ist hinsichtlich einer Hauptforderung in Höhe von 61.466,26 € begründet. Der Anspruch ergibt sich aus § 631 I BGB in Verbindung mit § 9 (1) des Rahmenvertrags (Anl. K1).
50a)
51Es ist von einem wirksamen Vertragsschluss der Parteien auf Grundlage des vorgelegten Rahmenvertrags im Sinne eines Werkvertrags auszugehen, denn der Klägerin wurde unstreitig aufgrund ihres Angebots der Zuschlag für die Lose 2 und 6 erteilt. Anschließend wurde der schriftlich vorliegende Vertragstext beiderseits paraphiert, und der Vertrag wurde unstreitig ab dem 1.11.2013 in Vollzug gesetzt, wobei ersichtlich beide Vertragsparteien von seiner Wirksamkeit ausgingen.
52aa)
53Eine Unterzeichnung der Vertragsurkunde durch einen Vertreter der E GmbH hatte dabei keine konstitutive Bedeutung. Die E GmbH war im Vertragstext nicht erwähnt und sollte insbesondere nach dem Inhalt des Vertrags nicht Vertragspartei sein. Darüber hinaus enthielt der Vertrag keine aufschiebende Bedingung hinsichtlich einer Genehmigung der E oder eine vergleichbare Klausel.
54Die Beklagte ist als juristische Person durch ihre Organe und Vertreter selbständig handlungsfähig. Dass und warum ihre Vertragserklärung einer Genehmigung durch die E GmbH hätte bedürfen sollen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass der Klägerin jedenfalls mündlich bezüglich der ausgeschriebenen Lose 2 und 6 jeweils seitens der Beklagten der Zuschlag zu vom Angebot abweichenden Preisen erteilt wurde, ist unstreitig. Es kam mithin zu einer Einigung der Parteien durch übereinstimmende Willenserklärungen, die auf die schriftliche Vertragsurkunde Bezug nahmen. Diese Bezugnahme wurde durch die beiderseits vorgenommene Paraphierung bekräftigt.
55bb)
56Aus Sicht der Klägerin bestand daher kein Anlass, an der Wirksamkeit des Vertragsschlusses zu zweifeln, und auch die Beklagte ging u.a. ausweislich des von ihr selbst am 30.1.2014 aufgestellten Protokolls (Anl. K152) zu TOP 1 davon aus, dass der Vertrag unter dem 16.12.2014 – gemeint war wohl 2013 – wirksam unterzeichnet und paraphiert worden war, so dass seine Bestimmungen, insbesondere bezüglich der Flächenaufmaße, verbindlich waren. Aus den von ihr unstreitig geleisteten Zahlungen auf von der Klägerin gestellte Rechnungen sowie aus den abgegebenen Erklärungen – insbesondere der Kündigungserklärung - ergibt sich zweifelsfrei, dass auch die Beklagte selbst davon ausging, dass der in Vollzug gesetzte Vertrag der Parteien wirksam zustande gekommen war.
57b)
58Die mit der Klage geltend gemachten Werklohnforderungen für den Leistungszeitraum vom 1.11.2013 bis 31.1.2014 waren entstanden und zur Zahlung fällig.
59Nach dem Inhalt des Vertrags in Verbindung mit dem Angebot der Klägerin war das vereinbarte Entgelt nach Zeitabschnitten pauschal abzurechnen, ohne dass es darauf ankam, ob und in welcher Anzahl Einsätze im Winterdienst erforderlich würden.
60Die nach flächenbezogenen Einheitspreisen bestimmten Entgelte waren in 6 Teilen bei 6 Monaten Laufzeit unabhängig davon zu entrichten, ob und in welchem Umfang es tatsächlich zu Winterdiensteinsätzen kam, § 9 (1) und (4) des Vertrags (Anl. K1). Nach den Bestimmungen in §§ 2 (2), 5 (2) und 7 (1) war die Klägerin verpflichtet, während der Laufzeit des Vertrags qualifizierte Mitarbeiter, Gerät und Material in ausreichender Menge bereit zu halten, um die Leistungen erbringen zu können. Ihr vertraglicher Vergütungsanspruch entstand dementsprechend unabhängig davon, ob sie Winterdienstleistungen tatsächlich ausführte oder nicht.
61aa)
62Der Behauptung der Klägerin, im November 2013 seien Winterdienste witterungsbedingt nicht erforderlich gewesen, sie habe aber die erforderlichen Ressourcen bereit gehalten, ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Vielmehr hat auch der von der Beklagten als Zeuge benannte Herr T diese Darstellung ausdrücklich bestätigt.
63Für den Zeitraum vom 1.12.- 31.12.2013 hat die Klägerin schon erstinstanzlich konkret und unter Beweisantritt behauptet, dass die witterungsbedingt erforderlichen Einsätze ordnungsgemäß und vertragsgerecht durchgeführt worden seien (Bl. 6). Auch diesen Tatsachenvortrag hat die Beklagte bis zum Erlass des landgerichtlichen Urteils nie bestritten. Die Mangelfreiheit auch der in Dezember 2013 abgerechneten Winterdienstleistungen der Klägerin ist dementsprechend ebenfalls als unstreitig anzusehen (vgl. Bl. 135). Im Berufungsverfahren hat die Beklagte lediglich vorgetragen, zwischen den Parteien habe Streit über die Ordnungsmäßigkeit der Leistungserbringung bestanden, konkrete Mängel aber weiterhin nicht substantiiert vorgetragen oder unter Beweis gestellt. Zudem haben der Geschäftsführer der Klägerin Z sowie der Zeuge T als Mitarbeiter der Beklagten im Rahmen der Beweisaufnahme vor dem Senat übereinstimmend bekundet, dass im Dezember 2013 ebenfalls Schneeräumungen nicht erforderlich waren und Beanstandungen der klägerischen Leistung insoweit nicht erfolgten.
64Die vereinbarte Vergütung für die gesamten Lose 2 und 6 war demnach seitens der Beklagten geschuldet, ohne dass ihr für November und Dezember 2013 Ansprüche wegen Nicht- oder Schlechterfüllung hätten zustehen können.
65Dasselbe gilt zunächst auch für die Vergütung der Klägerin aufgrund der im Januar 2014 erbrachten Winterdienstleistungen. Auch insoweit steht die vertragsgerechte Leistungserbringung im Grundsatz fest, weil die Beklagte den entsprechenden Sachvortrag der Klägerin nicht explizit bestritten hat.
66Allerdings steht aufgrund der anlässlich seiner persönlichen Anhörung durch den Geschäftsführer der Klägerin gemachten Angaben in Verbindung mit dem Inhalt seiner E-Mail vom 10.2.2014 dennoch ebenfalls fest, dass es jedenfalls Schwierigkeiten bei der Ausführung der vertraglich übernommenen Leistungen durch die Klägerin gab und sie deshalb im Ergebnis bereit war, der Beklagten die gewünschte Gutschrift zu erteilen, um damit Mängelfolgen zu kompensieren.
67bb)
68Konkrete Einwendungen gegen die formelle und inhaltliche Richtigkeit der seitens der Klägerin erteilten Abrechnungen, die den Vorgaben des Vertrags in Verbindung mit den Objektlisten entsprachen, hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt vorgebracht.
69Eine Abnahme war ausnahmsweise nicht Fälligkeitsvoraussetzung, weil eine Abnahme des vertraglich übernommenen Winterdienstes seiner Natur nach gem. § 646 BGB ausscheidet (BGH NJW 2013, 3022, 3023).
70c)
71Darüber hinaus steht der Klägerin aus dem Winterdienstvertrag keine Werklohnforderung gegen die Beklagte mehr zu. Insbesondere kann sie für Februar 2014 das geforderte Entgelt nicht beanspruchen.
72Trotz der mit der Berufung dagegen vorgebrachten Einwände ist nämlich die Annahme einer wirksamen Einigung der Parteien im Sinne von § 779 BGB im angegriffenen Urteil rechtsfehlerfrei getroffen worden.
73aa)
74Aus Sicht der Beklagten war unter Betrachtung von einem objektivierten Empfängerhorizont der Inhalt der e-Mail des Geschäftsführers der Klägerin vom 10.2.2014 in Verbindung mit dem als PDF-Dokument angehängten Text der Vereinbarung als Vertragsangebot auf Abschluss eines Vergleichs zu verstehen, mit dem im Wege gegenseitigen Nachgebens die aufgrund unterschiedlicher Rechtsstandpunkte bestehenden Unsicherheiten endgültig geklärt werden sollten. Denn die E-Mail stellte eine unmittelbare Reaktion auf das vorangegangene Telefongespräch dar, in dem der Abschluss einer solchen Vereinbarung erörtert worden war.
75Auch die vom Geschäftsführer der Klägerin Z anlässlich seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat gemachten Angaben sprechen für die Auslegung seiner E-Mail als wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs. Er hat ausdrücklich erklärt, dass die mit der E-Mail verschickte Vereinbarung ein Vorschlag sein sollte, den er auf den Weg bringen wollte, um weitere Forderungen gegen sein Unternehmen auszuschließen. Er handelte demnach mit Erklärungsbewusstsein und Rechtsbindungswillen.
76Dieses Angebot hat die Beklagte mit der e-Mail ihres Mitarbeiters T vom 11.2.2014 (K154) ausdrücklich angenommen.
77bb)
78Die sich aus dem Zusammentreffen der wechselseitigen Erklärungen ergebende Einigung ist formwirksam zustande gekommen, denn die telekommunikative Übermittlung der beiderseitigen Willenserklärungen per e-Mail war jedenfalls gem. § 127 II BGB ausreichend, um die gewillkürte Schriftform zu erfüllen (OLG Frankfurt, Beschluss v. 16.03.2015, Az. 4 U 265/14, BeckRS 2016, 02467 = IBR 2016, 2472; OLG Hamburg, Beschluss vom 06.05.2013, Az. 2 W 35/13, BeckRS 2013, 08576; MüKo/Einsele, BGB, 7. Aufl., § 127 Rn. 10-11).
79Ein anderer Wille ist hier nicht anzunehmen, nachdem die Parteien schon den Winterdienstvertrag auch ohne Unterzeichnung in Vollzug gesetzt hatten. Zwar bat der Mitarbeiter der Beklagten um Unterzeichnung der Vereinbarung und die Beklagte übermittelte dann am 19.2.2014 noch eine ihrerseits unterzeichnete Fassung der Vereinbarung, jedoch hält sie nach ihren eigenen Ausführungen die getroffene Abrede auch ohne beiderseitige Unterzeichnung für bindend. Aus dem Inhalt der vom Geschäftsführer der Klägerin abgegebenen Erklärung hingegen ergab sich kein Hinweis darauf, dass er die Leistung einer Unterschrift als konstitutives Erfordernis ansah.
80cc)
81Im Übrigen wäre eine Einigung auch nach den Grundsätzen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens zustande gekommen. Das Landgericht hat in der E-Mail vom 10.2.2014 einschließlich des Anhangs zu Recht ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben gesehen, mit dem der Inhalt der Vereinbarung als Vergleich im Sinne von § 779 BGB bestätigt wurde. Zu diesem Ergebnis ist es im Wege der Auslegung gekommen, indem es den Wortlaut der Erklärungen vor dem Hintergrund der weiteren Umstände des Sachverhalts interpretiert hat.
82Der unstreitige Inhalt der vom Geschäftsführer der Klägerin an die Beklagte versandten e-Mail kann sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach den zeitlichen Zusammenhängen als kaufmännisches Bestätigungsschreiben in Bezug auf das unstreitig vorangegangene Telefongespräch zu verstehen sein.
83Da für das kaufmännische Bestätigungsschreiben außer dem Erfordernis der Schriftlichkeit keine besonderen Formerfordernisse gelten, kann es auch per Telefax oder e-Mail erfolgen (Lettl, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, JuS 2008, 849, 851). Als kaufmännisches Bestätigungsschreiben kann daher insbesondere eine e-Mail anzusehen sein, der – wie hier - ein PDF-Dokument mit einem Vertragstext angehängt ist (OLG Koblenz, Beschluss v. 15.6.2010, Az. 2 U 1247/09, BeckRS 2010, 33238).
84dd)
85Durch die wirksam zustande gekommene Vereinbarung akzeptierte die Klägerin die vorzeitige Vertragsbeendigung und verzichtete auf zukünftige Ansprüche.
86Das ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut und dem Betreff der Vereinbarung sowie aus dem Inhalt der E-Mail. Der Geschäftsführer der Klägerin hat ausdrücklich bei seiner Anhörung bestätigt, dass nach seinem Verständnis aufgrund der Vereinbarung Ansprüche für die Zukunft beiderseits ausgeschlossen sein sollten. Dafür spricht auch die Aussage des Zeugen T, der berichtet hat, dass durch die zu erteilende Gutschrift auch Mehrkosten enthalten sein sollten, die durch die Beauftragung eines Drittunternehmers anstelle der Klägerin entstanden.
87Infolge der Einigung der Parteien war dementsprechend die Vertragsbeendigung wirksam und Werklohnansprüche der Klägerin für die Zeit danach wurden ausgeschlossen. Insoweit weist das mit der Berufung angegriffene Urteil keinen Rechtsfehler auf.
88d)
89Hinsichtlich bereits vor dem 30.1.2014 entstandener Forderungen hatte die Einigung der Parteien über die Vertragsbeendigung allerdings nicht den vom Landgericht angenommenen Inhalt. Diesbezüglich ist die Berufungsrüge begründet.
90Der Senat hat als Berufungsgericht nach §§ 513 I, 546 ZPO die erstinstanzliche Auslegung einer Individualvereinbarung - auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen - in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob die Auslegung überzeugt. Hält er die erstinstanzliche Auslegung lediglich für eine zwar vertretbare, letztlich aber - bei Abwägung aller Gesichtspunkte - nicht für eine sachlich überzeugende Auslegung, so hat er selbst die Auslegung vorzunehmen, die er als Grundlage einer sachgerechten Entscheidung des Einzelfalls für geboten hält (BGH NJW 2004, 2751, 2752).
91Die unter Beachtung von §§ 133, 157 BGB vorzunehmende Auslegung individualvertraglicher Vereinbarungen, in deren Rahmen in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen ist (BGH NJW 2002, 3248, 3249; NJW 2000, 2099), muss stets den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung berücksichtigen (BGH NJW-RR 2005, 34, 36; NJW 2002, 3248, 3250; NJW 2000, 2099). Aufgrund entsprechender Anhaltspunkte kann sich dabei auch ein vom Wortlaut abweichendes Verständnis der vertraglichen Regelung ergeben (BGH NJW 2002, 3248, 3249). Denn der übereinstimmende Parteiwille geht dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vor. Der Zweck der Abrede und die Interessenlage der Parteien sind zu berücksichtigen (BGH, Urteil v. 5.10.2014, Az. XII ZR 111/12, BeckRS 2014, 21522 [Rz. 48]; Jauernig/Mansel, BGB, 16. Aufl., § 133 Rn. 9).
92Diesen Grundsätzen wird die Auslegung, welche das Landgericht seiner mit der Berufung angegriffenen Entscheidung zugrunde gelegt hat, nicht in vollem Umfang gerecht.
93Mit den geltenden allgemeinen Auslegungsgrundsätzen unvereinbar ist nämlich die Annahme, dass nach dem Wortlaut der Vereinbarung sämtliche Ansprüche der Klägerin aus dem Winterdienstvertrag einschließlich des bereits verdienten Werklohns allein durch Zahlung des vereinbarten Entgelts für den Monat Januar – unter Abzug des Gutschriftbetrags – abgegolten sein sollten.
94Obwohl dort formuliert war, dass mit dem vollständigen Ausgleich der Januar-Rechnung nach Abzug der Gutschrift über 8.973,24 € netto beiderseitig auf „sämtliche etwaigen Forderungsansprüche“ aus dem gekündigten Rahmenvertrag für den Winterdienst verzichtet würde, ist die Erklärung vielmehr so auszulegen, dass alle zu dem Zeitpunkt berechtigten Forderungen der Klägerin unter Abzug des gutgeschriebenen Betrags ausgeglichen werden sollten, um dann auf alle weiteren Ansprüche zu verzichten.
95aa)
96Für die Auslegung, wonach durch die Regelung vom 10.2.2014 auf den bereits verdienten Werklohn der Klägerin für die Monate November und Dezember 2013 nicht verzichtet werden sollte, spricht die nach Aktenlage gerechtfertigte Annahme, dass die vereinbarte Gutschrift in Höhe von 8.973,24 € sämtliche seitens der Beklagten geltend gemachten Gegenansprüche für den gesamten Leistungszeitraum, also einschließlich November und Dezember 2013 umfasste. Nach dem Inhalt des durch die Beklagte aufgestellten Gesprächsprotokolls (K152, Bl. 29-31) waren nämlich am 30.1.2014 die von ihr geltend gemachten Gegenforderungen bereits beziffert. Es hieß dort unter „Absprachen“, dass die Klägerin 1.) ein Dokument zur Leistungsbefreiung gem. § 3 Abs. 2 des Rahmenvertrags und 2.) ein Dokument zur ordentlichen Kündigung gem. § 11 Abs. 2 erhalte sowie 3.) für alle Aufwendungen geradestehe, wobei sich eine „genaue Aufstellung zu Punkt 3“ im Weiteren befinden sollte. Gleichzeitig wurde die Aufrechnung erklärt, was eine Konkretisierung der Gegenansprüche voraussetzte.
97Zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung vom 10.2.2014 bestand zwischen den Parteien Uneinigkeit darüber, ob der Vertrag aufgrund der am 30.1.2014 von der Beklagten abgegebenen Erklärungen vorzeitig beendet worden bzw. die Klägerin von der Leistungspflicht befreit war. Über die für die Vertragsbeendigung angeführten Gründe hatte am 30.1.2014 ein Gespräch stattgefunden, hinsichtlich dessen seitens der Beklagten das genannte Protokoll aufgestellt wurde.
98Dabei ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Klägerin im November 2013 jedenfalls Personal und Gerät bereit gehalten sowie in Dezember 2013 und Januar 2014 Winterdienstleistungen erbracht und der Beklagten in Rechnung gestellt hatte. Die mangelfreie Leistungserbingung durch die Klägerin ist als unstreitig anzusehen (s.o. Ziff. II. 1. b) aa)). Zudem haben der Geschäftsführer der Klägerin Z und der Zeuge T übereinstimmend berichtet, dass auch im Dezember 2013 in C kein Schneefall zu verzeichnen war und deshalb keine nennenswerten Winterdiensteinsätze erforderlich wurden.
99Unstreitig ist darüber hinaus, dass aus den von der Klägerin insoweit gestellten Rechnungen für November 2013 noch ein Gesamtbetrag in Höhe von 22.490,44 € und für Dezember noch eine Summe von 22.799,44 € offen standen. Vereinbarungsgemäß abgerechnet waren die im Vertrag pauschalierten Entgelte. Die ausgesprochene Kündigung stand der Geltendmachung des pauschalierten Werklohns für den bereits verstrichenen Zeitraum, also für bereits erbrachte Leistungen, unabhängig von ihrer Wirksamkeit als fristlose Kündigung nicht entgegen.
100Angesichts dieser Umstände entspricht es nicht einer interessengerechten Auslegung, anzunehmen, die Klägerin habe aufgrund der Vereinbarung die von der Beklagten im Hinblick auf etwaige Mängel der erbrachten Leistungen bezifferten Gegenforderungen im Wege einer Gutschrift von ihren Entgeltforderungen für bereits erbrachte Leistungen in Abzug bringen und gleichzeitig nicht nur auf sämtliche Ansprüche aus der weiteren Vertragslaufzeit, sondern auch auf die noch offenen Forderungen aus November und Dezember 2013 verzichten wollen.
101bb)
102Die Beweislast dafür, dass dennoch auch die verdienten Entgelte der Klägerin für den Zeitraum vom 1.11. bis 31.12.2013 von der Abgeltungsklausel umfasst sein sollten, liegt dementsprechend bei der Beklagten.
103Dabei kommt es insoweit auf die Qualität des PDF-Dokuments als mögliche Parteiurkunde nicht an, weil unstreitig ist, dass die Erklärung mit dem schriftlich dokumentierten Inhalt vom Geschäftsführer der Klägerin abgegeben wurde. Die Erklärung ist indes – wie jede Willenserklärung – gem. §§ 133, 157 BGB hinsichtlich des tatsächlichen Willens auszulegen, ohne am wörtlichen Ausdruck zu haften.
104An die Feststellung eines Verzichtswillens sind nämlich strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden (BGH NJW 2007, 368, 369; 2006, 1511, 1512). Gerade bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlass oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollen, muss das Gebot einer interessengerechten Auslegung beachtet werden und haben die der Erklärung zu Grunde liegenden Umstände besondere Bedeutung. Wenn feststeht oder davon auszugehen ist, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben (BGH NJW 2002, 1044, 1046; NJW 1994, 379, 380; NJW-RR 1989, 1373, 1374). Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht deshalb nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind (BGH NJW 2007, 368, 369; 2006, 1511, 1512; 2002, 1044, 1046).
105Über den knappen Wortlaut der Vereinbarung hinaus ist deshalb nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen davon auszugehen, dass eine einvernehmliche Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Wirkung zum 31.1.2014 unter endgültiger Abrechnung dadurch erreicht werden sollte, dass die von der Beklagten angegebenen Kosten aus Ersatzvornahmen und administrativem Mehraufwand von dem bis dahin – insgesamt - verdienten Werklohn in Abzug gebracht wurden. Dazu gehörte es, auch wenn das im Text nicht wörtlich so formuliert war, dass auch die zu dem Zeitpunkt noch offenen älteren Entgeltforderungen der Klägerin aus dem Winterdienstvertrag in die Abrechnung eingestellt würden. Denn nur diese Auslegung wird den Interessen beider Parteien gleichermaßen gerecht.
106Der Vortrag der Beklagten in deren Schriftsatz vom 13.4.2016, wonach die Gutschrift sich allein zu im Januar 2016 entstandenen Gegenforderungen verhalten habe, ist insofern unerheblich, weil ohnehin feststeht, dass ihr aus Schlechtleistungen in November oder Dezember 2013 keine weiteren Gegenforderungen zustehen konnten. Die Tatsache lässt daher keinen Rückschluss auf einen Verzichtswillen der Klägerin hinsichtlich ihrer Entgelte für November und Dezember 2013 zu.
107Die Beklagte erlangte infolge der Vereinbarung vom 10.2./ 11.2.2014 Rechtssicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit der Vertragsbeendigung und des Verzichts der Klägerin auf Zahlungsansprüche für den weiteren Zeitraum bis zum 30.4.2014. Außerdem wurden die von ihr hinsichtlich der ausgeführten Winterdienstleistungen vorgebrachten Beanstandungen und die daraufhin geltend gemachten Gegenforderungen anspruchsmindernd berücksichtigt. Da der Vertrag über Winterdienstleistungen als Werkvertrag anzusehen ist, wobei aber eine Abnahme der Natur der zu erbringenden Werkleistung nach ausscheidet, kam eine sofortige Minderung des Werklohns in Betracht, soweit die Klägerin ihrer Räumpflicht nicht oder nur unzureichend nachgekommen war (BGH NJW 2013, 3022, 3023; BeckOK/Voit, BGB, 37. Edition, § 631 Rn. 30a). Es bestand indes durchaus Unsicherheit darüber, ob auch eine fristlose Kündigung des Vertrags möglich war, ohne dass die Klägerin zumindest nach § 649 S. 2 BGB hätte abrechnen können.
108Zudem umfasste nach der Aussage des Zeugen T der aufgrund der Vereinbarung durch die Klägerin gutzuschreibende Betrag auch die Mehrkosten, die durch die anschließende Beauftragung der Fa. Y anfielen.
109Demgegenüber gewann auch die Klägerin Rechtssicherheit. Sie konnte hinsichtlich der Restlaufzeit des Vertrags auf die weitere Vorhaltung von Personal und Gerät verzichten und ihrerseits davon ausgehen, dass ihre nach Abzug des vereinbarten Gutschriftbetrags verbliebene Entgeltforderung zeitnah ausgeglichen würde. Eine weitere Haftung wegen Schlechterfüllung der übernommenen Leistungspflichten, die auch ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung zu Gewährleistungsansprüchen der Beklagten führen konnte (BGH, a.a.O.), war danach ausgeschlossen.
110Das so beschriebene Verständnis vom Inhalt der Vereinbarung wird auch durch den Wortlaut der in Fettdruck hervorgehobenen Betreffzeile gestützt, denn diese setzte den gegenseitigen Forderungsverzicht in unmittelbaren Bezug zu der Vertragskündigung vom 30.1.2014. Das ließ darauf schließen, dass der Verzicht sich maßgeblich auf etwaige Ansprüche hinsichtlich der Restlaufzeit, etwa aus § 649 S. 2 BGB, oder Gewährleistungsansprüche aufgrund der als Kündigungsgrund angeführten Beanstandungen beziehen sollte. Aus Sicht der Beklagten bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Klägerin ein Grund bestanden hätte, darüber hinaus trotz Erteilung der Gutschrift auch noch auf die Entgelte für die abgearbeiteten Leistungszeiträume in 2013 gänzlich zu verzichten. Vielmehr spricht auch der Wortlaut ihrer durch den Mitarbeiter T verfassten e-Mail vom 19.2.2014 (K155) dafür, dass auch aus ihrer Sicht die gesamte offene Entgeltforderung der Klägerin maßgeblich sein sollte. Denn dort hieß es u.a.: „Wir wollen alle gegenseitigen Forderungen schnellstens zum Ausgleich bringen, aber ohne Gutschrift ist uns dies nicht möglich.“
111cc)
112Die vor dem Senat durchgeführte Beweisaufnahme hat keine Umstände ergeben, aufgrund derer eine davon abweichende Auslegung der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung naheläge.
113Der als Zeuge vernommene Mitarbeiter der Beklagten T hat ausgeschlossen, dass Schadensmeldungen Dritter in Bezug auf Stürze in den von der Klägerin zu bearbeitenden Losen Thema des der E-Mail vom 10.2.2014 vorangegangenen Telefonats waren. Tatsächlich wurden solche Schadensfälle nach den Ausführungen des Zeugen auch ausschließlich mit Hilfe der Ergo-Versicherung abgewickelt und reguliert. Dementsprechend ist nicht anzunehmen, dass derartige Schadensfälle der Klägerin hätten Anlass geben können, auf ihre bereits verdienten Ansprüche zu verzichten.
114Ob die fälligen Forderungen der Klägerin für die Monate November und Dezember 2013 Gegenstand des Telefongesprächs und der Erörterungen einer möglichen Einigung waren, konnte der Zeuge T nicht erinnern. Er hat die entsprechende Behauptung der Beklagten demnach nicht bestätigt. Eine sichere Erinnerung hatte er lediglich daran, dass die Forderung der Klägerin für Januar und die Gegenforderungen der Beklagten aus demselben Monat, die bereits beziffert waren, Gesprächsgegenstand waren. Diese Darstellung deckt sich mit der des Geschäftsführers der Klägerin.
115Dass auch ein der Beklagten angedrohtes Bußgeld oder eine seitens der Beklagten ihrer Auftraggeberin erteilte Gutschrift thematisiert worden und so Gegenstand der Einigungsüberlegungen gewesen wären, lässt sich den Erklärungen des Zeugen T nicht entnehmen. Zudem ist jedenfalls auch nicht klar, ob und inwieweit dies nicht ggf. Gegenstand der vereinbarten Kompensation für Mehraufwand der Beklagten in der Administration war, so dass sich auch hinsichtlich dieser Punkte kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass für die Klägerin Veranlassung bestanden hätte, im Rahmen der erörterten Einigung auf ihre wirksam entstandenen und fälligen Forderungen über insgesamt 45.289,88 € zu verzichten – zumal die insofern vom Zeugen T genannten Beträge sich lediglich auf da. 12.400 € summiert hätten, wovon sich im Ergebnis nach seiner Schilderung nur ca. 2.519 € als Schaden der Beklagten realisierten. Die Relation der Beträge spricht gegen die Annahme, dass die Klägerin, zusätzlich zur Erteilung der Gutschrift in Höhe von beinahe 9.000 €, auf bereits entstandene und fällige Ansprüche in Höhe von ca. 45.000 € hätte verzichten wollen, weil mögliche aber noch nicht endgültig eingetretene Schäden der Beklagten von ca. 12.500 € im Raum standen.
116Demgegenüber hat der Geschäftsführer der Klägerin ausdrücklich erklärt, dass die bereits verdienten Forderungen für Dezember und Januar nicht Thema des Telefonats waren und auch nicht abgegolten sein sollten. Vielmehr sollten aus seiner Sicht lediglich Ansprüche für die Zukunft beiderseits ausgeschlossen und Gewährleistungsansprüche durch die Gutschrift abgegolten sein.
117Die Angaben der beiden Auskunftspersonen sind in den meisten Punkten inhaltlich ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen. Beide sind erkennbar um eine möglichst präzise und wertfreie Aussage bemüht gewesen und haben Erinnerungsschwierigkeiten jeweils offen eingeräumt. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben begründen würden, sind daher nicht ersichtlich.
118Der Geschäftsführer der Klägerin hat nachvollziehbar erklärt, dass er nach dem Gespräch mit seinem Rechtsanwalt vorsorglich in der Hoffnung weiter abrechnete, sich auf eine Unwirksamkeit der Einigung sowie der fristlosen Kündigung der Beklagten berufen zu können. Dies entspricht seinem prozessualen Vortrag in erster Instanz.
119Die Vernehmung des durch die Beklagte benannten Zeugen T ist im Ergebnis als unergiebig anzusehen. Die Beweisaufnahme hat die Behauptung, Gegenstand der mündlichen Vergleichsverhandlungen bei dem Telefonat vom 10.2.2014 seien neben der Januar-Rechnung der Klägerin sämtliche bereits fälligen und künftigen Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Rahmenvertrag gewesen, nicht bestätigt.
120Dementsprechend ergibt sich eine begründete Hauptforderung der Klägerin in Höhe von insgesamt 61.466,26 € für den Zeitraum vom 1.12.2013 bis zum 30.1.2014. Davon sind erstinstanzlich 16.176,48 € tituliert worden, ohne dass die Beklagte das angegriffen hätte, so dass sich eine noch offene Forderung von 45.289,78 € als begründet ergibt.
121e)
122Bezogen auf die in der genannten Höhe begründete Hauptforderung besteht auch die geltend gemachte Nebenforderung.
123Die Voraussetzungen eines Zinsanspruchs der Klägerin aus Verzug gem. §§ 288 II, 280 I, II, 286 III BGB sind erfüllt, denn die Einigung vom 10.2.2014 bewirkte keine Novation und beeinträchtigte die bereits entstandenen und berechneten Forderungen nicht.
124Die Beklagte geriet daher mit Ablauf der im anwaltlichen Mahnschreiben vom 15.4.2014 (B150) bis zum 25.4.2014 gesetzten Frist mit dem Ausgleich der für den Leistungszeitraum vom 1.11.2013 bis 31.1.2014 gestellten Rechnungen in Verzug. Dass bereits zuvor Zahlungsverzug bestand, lässt sich hingegen nicht mit ausreichender Gewissheit feststellen, da sich aus den zur Akte gereichten Urkunden in Verbindung mit den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin ergibt, dass zwischen den Buchhaltungsabteilungen der Parteien ein Austausch über die Modalitäten der Rechnungslegung stattfand und Rechnungen nachträglich geändert und neu erstellt wurden.
1252.
126Darüber hinaus bestehen Zahlungsansprüche der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Vertrag nicht. Insbesondere für den Zeitraum vom 1.3. bis 30.4.2014 können keine vertragsgemäßen Entgelte verlangt werden. Die zulässige Widerklage ist insoweit begründet.
127a)
128Soweit die Berufung darauf gestützt wird, das angegriffene Urteil beruhe auf einem wesentlichen Verfahrensfehler, weil über den Widerklageantrag entschieden worden ist, vermag die Klägerin damit nicht durchzudringen.
129Wie das Landgericht in seinem Beschluss vom 2.10.2015 zutreffend ausgeführt hat, erbringt der Tatbestand des Urteils gem. § 314 S. 1 ZPO den Beweis für das mündliche Parteivorbringen, zu dem auch Prozesserklärungen einschließlich der Anträge gehören (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 314 Rn. 4). Ausweislich des Tatbestands der am 24.6.2015 verkündeten Entscheidung wurden der Widerklageantrag und der Antrag auf Abweisung der Widerklage gestellt. Der Beweis kann gem. § 314 S. 2 ZPO nur anhand des Sitzungsprotokolls entkräftet werden. Aussagen von Zeugen oder der Inhalt der Schriftsätze können zur Widerlegung des Tatbestands hingegen nicht genutzt werden (BeckOK/Elzer, ZPO, 19. Edition, § 314 Rn. 27b).
130Die Entkräftung des Beweises setzt voraus, dass die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift ausdrücklich oder wenigstens unzweideutig dem Tatbestand widersprechen, während Lücken des Protokolls oder sein Schweigen über bestimmte Vorgänge nicht ausreichen (Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rn. 6; Musielak in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 314 Rn. 7; BeckOK/Elzer, a.a.O., Rn. 28). Ein unzweideutiger Widerspruch zwischen dem Tatbestand und dem Sitzungsprotokoll ist dem Umstand allein, dass dieses die Stellung eines bestimmten (Hilfs-)Antrags nicht ausdrücklich ausweist, nicht zu entnehmen (BGH NJW-RR 2013, 1334, 1335). Denn aus dem Protokoll ergibt sich nicht unzweideutig, dass die Antragstellung unterblieb.
131Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin kommt es für diese Würdigung nicht entscheidend darauf an, ob sich aus einem früheren Sitzungsprotokoll ein Hinweis auf eine Bezugnahme auf den im Tatbestand wiedergegebenen Antrag ergab. Als Sitzungsprotokoll im Sinne des § 314 S. 2 ZPO kommt nämlich nur das Protokoll über die Verhandlung in Betracht, aufgrund derer das Urteil ergangen ist (Zöller/Vollkommer, a.a.O.).
132Da das Landgericht den Tatbestandsberichtigungsantrag zurückgewiesen hat, weil weder die Vorsitzende noch der gegnerische Prozessbevollmächtigte eine sichere Erinnerung daran hatten, ob der Widerklageantrag gestellt wurde oder nicht, entfaltet der Tatbestand insoweit seine Beweiswirkung.
133b)
134Wegen der Wirksamkeit des Vergleichs und des damit verbundenen Verzichts der Klägerin auf Ansprüche für die Zukunft (s.o.) kommen Vergütungsansprüche der Klägerin für den Zeitraum nach der Kündigung vom 30.1.2014 nicht mehr in Betracht.
135Die Widerklage ist deshalb begründet.
136III.
137Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 I, 97 I, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
138Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 542 II ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, denn die Entscheidung beruht auf der Auslegung einer individualvertraglichen Parteivereinbarung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls, über die Beweis erhoben worden ist. Eine Entscheidung des BGH ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die vom BGH in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Auslegungsgrundsätze sind uneingeschränkt angewandt worden.
Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Hamm Urteil, 04. Okt. 2016 - 21 U 142/15
Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Hamm Urteil, 04. Okt. 2016 - 21 U 142/15
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Oberlandesgericht Hamm Urteil, 04. Okt. 2016 - 21 U 142/15 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 16.176,48 € nebst Zinsen in Höhe von 8%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.04.2014 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Auf die Widerklage wird festgestellt, dass der Klägerin für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis zum 30.04.2014 keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 9 %, die Klägerin zu 91 %.
Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein Unternehmen, das unter anderem im Bereich der Schnee – und Eisglättebekämpfung tätig ist. Die Beklagte schrieb im Jahr 2013 in der Stadt C 9 Lose zur Erbringung von Winterdienst aus. Die Klägerin, die bereits im Vorjahr für die Beklagte tätig war, bewarb sich ausweislich der Anl. K2 der Akte mit ihrem Angebot vom 29.08.2013 um 8 der 9 Lose. Aufgrund dieses Angebotes kam es zu Verhandlungen zwischen den Parteien. Grundlage dieser Verhandlungen war der von der Beklagten vorgelegte, mit "Rahmenvertrag für den Winterdienst" überschriebene, Vertrag, der für die Zeit vom 1.11.2013 bis zum 30.4.2014 befristet war. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es zum Abschluss dieses Vertrages gekommen ist. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag am 16.12.2013. Eine Unterzeichnung seitens der Beklagten erfolgte nicht.
3Die Klägerin erbrachte in den Losen 2 und 6, also in den Stadtteilen O, U und T ab November 2013 Dienstleistungen, die sie für die Monate November 2013 bis Februar 2014 in Höhe von insgesamt 100.598,88 € in Rechnung stellte. Die Beklagte beglich Teilbeträge in Höhe von 5.009,66 €, so dass noch Forderungen i.H.v. insgesamt 95.589,22 € ( 22.490,44 € für November 2013 / 22.799,34 € für Dezember 2013 / jeweils 25.149,72 € für Januar und Februar 2014) offen sind, die die Klägerin mit der Klage geltend macht. Eine Klageerweiterung hinsichtlich des Leistungszeitraumes März und April 2014 behält sie sich ausdrücklich vor.
4Am 30.1.2014 kam es zu einem Gespräch zwischen den Parteien über die von der Klägerin erbrachten Leistungen, die die Beklagte bemängelte. Wegen des genauen Inhaltes des Gesprächs wird auf das Gesprächsprotokoll vom 30.1.2014 ( Anlage K 152 - Bl. 29 ff d.A.) Bezug genommen. Im Anschluss an dieses Gesprächs erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 30.1.2014 ( Bl. 18 f d.A.) die fristlose Kündigung des Rahmenvertrages und minderte zugleich die vereinbarten Flächen unter Berufung auf § 3 Abs. 2 bzw. § 9 Abs. 4 des Rahmenvertrages auf Null. Außerdem erklärte sie mit Bezug auf § 10 des Rahmenvertrages die Aufrechnung. Die Wirksamkeit dieser Reduzierung und der Kündigung ist zwischen den Parteien streitig
5Am 10.2.2014 kam es zu einem Telefonat zwischen den Parteien. Nach diesem Telefonat schickte der Geschäftsführer der Klägerin, Herr C1, der Beklagten eine E-Mail, die in der Betreffzeile den Vermerk: "Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche" und in der Anlage ein mit "Vereinbarung" überschriebenes Schreiben enthielt. Wegen des genauen Inhaltes dieser E-Mail und des beigefügten Schreibens wird auf Bl. 20 und 21 der Akten Bezug genommen. . Mit E-Mail vom 11.2.2014 stimmt die Beklagte dem Text der Vereinbarung zu und bat um unterzeichnete Rücksendung der Vereinbarung. Eine Unterzeichnung seitens der Klägerin erfolgte nicht. Mit E-Mail vom 19.2.2014 übersandte die Beklagte der Klägerin ein unterschriebenes Exemplar der Vereinbarung.
6Die Klägerin ist der Auffassung, ihr Vergütungsanspruch ergebe sich aus dem Rahmenvertrag, der wirksam zu Stande gekommen sei. Eine etwaige Formbedürftigkeit sei jedenfalls durch Invollzugsetzung des Vertrages geheilt. Eine Reduzierung des Leistungsumfanges auf Null stehe der Beklagten nicht zu. Bei der am 10.2.2014 übersandten Datei handele es sich ersichtlich nur um einen Entwurf einer Vereinbarung, welche zu ihrer Wirksamkeit der beiderseitigen Unterzeichnung bedurft hätte. Eine vergleichsweise Einigung mit dem von der Beklagten behaupteten Inhalt läge nicht vor. Bei dem Telefonat sei dem Geschäftsführer suggeriert worden, dass nur der Monat Januar 2014 in Streit stehe und die Rechnungen der vorangegangenen Monate in voller Höhe ausgeglichen worden seien. Er habe erst später erfahren, dass auf die Rechnungen in November und Dezember 2013 nur Teilbeträge gezahlt worden seien.
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an sie 95.589,22 € nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Betrag i.H.v. 68.897,84 € seit dem 18.4.2014 sowie auf den Betrag i.H.v. 46.761,38 € seit dem 26. 5. 2014 zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Im Wege der Widerklage beantragt sie,
12festzustellen, dass der Klägerin keine Ansprüche gegen die Beklagte für die Erbringung von Winterdienstleistungen im Zeitraum vom 1.3.2014 bis 30.4.2014 in den Stadtteilen O, U und T der Stadt C zustehen.
13Die Klägerin beantragt,
14die Widerklage abzuweisen.
15Die Beklagte ist der Auffassung, ein Vertrag sei nicht wirksam zu Stande gekommen, weil weder die Geschäftsführung der Beklagten noch die Geschäftsführung der H den als Anl. K1 beigefügten Vertrag unterschrieben haben. Die vereinbarte Schriftform sei daher nicht eingehalten. Ein Vergütungsanspruch aus der Vereinbarung vom 10.2.2014 sei noch nicht fällig, weil die Klägerin der Beklagten noch nicht die vereinbarte Gutschrift erteilt habe.
16Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Die Klage ist nur teilweise begründet. Die Widerklage ist zulässig und begründet.
19Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 16.176,48 € aus der Vereinbarung vom 10.2.2014 i.V.m. § 779 BGB. Weitergehende Ansprüche der Klägerin bestehen aufgrund dieser Vereinbarung nicht, so dass die weitergehende Klage abzuweisen und der Widerklage stattzugeben war.
20Es kann dahinstehen, ob zwischen den Parteien ein wirksamer Werkvertrag über die Erbringung von Winterdiensten in C in den Losen 2 und 6 geschlossen wurde, auch wenn die Tatsache, dass die Beklagte einen Teil der Rechnungen bezahlte und zudem mit Schreiben vom 30.1.2014“ die Kündigung des Rahmenvertrages“ erklärte, dafür spricht. Ebenso kann dahinstehen, ob die Klägerin ihre Leistungen aus dem Rahmenvertrag ordnungsgemäß erbracht hat, denn die Parteien haben eine Vereinbarung geschlossen (§ 779 BGB), mit der die gegenseitigen Ansprüche der Parteien geregelt wurden. Dieser Vergleich schafft für die eingegangene Leistungspflicht eine neue Rechtsgrundlage, die ein Zurückgreifen auf den alten Vertrag nicht mehr erlaubt. Danach kann die Klägerin aus den Rechnungsforderungen nur den im Vergleich festgelegten Betrag von der Beklagten fordern.
21Die Vereinbarung vom 10.2.2014 erfüllt alle Voraussetzungen eines Vergleichs gemäß § 779 BGB. Hiernach ist gegenseitiges Nachgeben erforderlich, d.h. ein Zugeständnis irgendwelcher Art um zu einer Einigung zu kommen. Wie sich aus dem von der Klägerin überreichten Gesprächsprotokoll vom 30.1.2014 ergibt, bestand zwischen den Parteien Streit über die Qualität der von der Klägerin erbrachten Leistungen und der Ansprüche, die sich für beide Parteien für die Vergangenheit und auch für die Zukunft daraus ergaben. Diesen Streit haben die Parteien in einem Gespräch vom 10.2.2014 durch einen Vergleich gemäß § 779 BGB beseitigt. Inhalt dieses Vergleiches war, dass die Beklagte nach Erstellung einer Gutschrift über 8973,24 € netto die Januarrechnung der Klägerin abzüglich dieses Gutschriftbetrages in voller Höhe begleicht und damit beiderseitig auf sämtliche etwaigen Forderungsansprüche aus dem am 30.1.2014 gekündigten Rahmenvertrag für den Winterdienst vom 16.12.2013 verzichtet werde.
22Den Inhalt dieses Vergleiches hat die Klägerin durch ihre E-Mail vom 10.2.2014 schriftlich bestätigt. Dieses Schreiben stellt ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben dar.
23Unter einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben ist ein von dem einen Vertragspartner an den anderen gerichtetes Schreiben zu verstehen, in dem der Absender seine Auffassung über das Zustandekommen und den Inhalt eines mündlich, fernmündlich oder telegrafisch geschlossenen Vertrages mitteilt. Es verkörpert die im Handelsverkehr übliche Art, den Inhalt eines in solcher Weise abgeschlossenen Geschäfts zu Beweiszwecken niederzulegen. Um als kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu gelten, muss ein Schreiben nach seinem äußeren Erscheinungsbild zur Wiedergabe der Verhandlungen wenigstens deren wesentlichem Inhalt nach bestimmt sein. Nach Treu und Glauben und kaufmännischer Verkehrssitte ist der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens verpflichtet, unverzüglich zu widersprechen, wenn er den Inhalt des Schreibens nicht gegen sich gelten lassen will. Unterlässt er den Widerspruch, so gilt der Vertrag als mit dem bestätigten Inhalt als geschlossen.
24Die Voraussetzungen für ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben liegen vor.
25Die Parteien sind Kaufleute und die Klägerin hat der Beklagten eine Vereinbarung übersandt, die den aus ihrer Sicht verhandelten Vertragsgegenstand abschließend wiedergegeben hat.
26Dafür spricht der Wortlaut der Betreffzeile der E-Mail vom 10.2.2014 ( Bl. 20 d.A.) und auch der sonstige Wortlaut. Denn dort ist die Rede von einem "Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche" und es wird Bezug genommen auf "die soeben besprochene Vereinbarung". Der E-Mail angefügt ist zudem ein mit "Vereinbarung" überschriebenes Dokument, ohne dass irgendwie - z.B. mit einer Bitte um Gegenbestätigung - kenntlich gemacht wird, dass es sich hierbei möglicherweise nur um einen Entwurf handeln soll. Dies alles spricht nach der Auffassung der Kammer dafür, dass eine Vereinbarung schon mündlich zum Abschluss gebracht wurde und das Schreiben dazu dienen soll, den Inhalt der mündlichen Vereinbarung zu bestätigen.
27Obwohl bereits ein Schweigen der Beklagten auf diese E-Mail der Klägerin für die verbindliche Wirkung der Vereinbarung ausgereicht hätte, hat die Beklagte diesem Text auch noch ausdrücklich mit ihrer E-Mail vom 11.2.2014 zugestimmt. Die Beklagte muss daher den Inhalt dieses Schreibens gegen sich gelten lassen. Dies gilt aber ebenso für die Klägerin. Diese kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass es nach der Vereinbarung der Parteien zur Wirksamkeit dieser Vereinbarung auch noch der Unterzeichnung durch die Parteien bedurfte (§ 126 BGB). Zwar sieht die Vereinbarung am Ende Unterschriftszeilen vor und die Beklagte hat sie auch nicht nur gegengezeichnet, sondern auch die Klägerin um Unterzeichnung gebeten; da aber - wie bereits oben ausgeführt - der Wortlaut der E-Mails vom 10.2./11.2.2014 dafür spricht, dass eine Vereinbarung schon mündlich zum Abschluss gebracht wurde und das Bestätigungsschreiben nur dazu dienen soll, die mündliche Vereinbarung zu beurkunden, kommt ihm auch nur die Bedeutung eines Beweismittels zu, so dass die fehlende Unterzeichnung für die Wirksamkeit der Vereinbarung unbeachtlich ist.
28Die Vereinbarung ist auch nicht aufgrund eines Irrtums der Klägerin gemäß §§ 779 BGB unwirksam. Der Vortrag der Klägerin, sie habe sich bei Vertragsschluss über die Begleichung der Rechnungen für die Monate November und Dezember 2013 geirrt und erst im Nachgang des Vergleichs festgestellt, dass für diese Monate nur Teilbeträge gezahlt worden sein, lässt die Ungewissheit unberührt. Unabhängig davon, ob die Klägerin die Anfechtung überhaupt unverzüglich erklärt hat, war sie dazu jedenfalls nicht berechtigt. Denn die Unkenntnis der Begleichung von Rechnungen von November und Dezember 2013 stellt sich als unbeachtlicher Motivirrtum dar, der zulasten der Klägerin geht.
29Aufgrund des Vergleichs vom 10.2.2014 ist die Beklagte daher verpflichtet, die Januar-Rechnung i.H.v. 25.149,72 € auszugleichen, jedoch abzüglich des Guthabenbetrags i.H.v. 8.973,24 €, so dass ein Betrag von 16.176,48 € zu zahlen ist. Ein Zurückbehaltungsrecht und damit eine Zug um Zug Verurteilung stand der Beklagten hier nicht zu. Denn die Beklagte hat durch ihren Klageabweisungsantrag deutlich gemacht, dass sie selbst nicht an dieser Vereinbarung festhalten will, so dass sie sich selbst nicht vertragstreu verhalten hat.
30Die Beklagte ist aber aufgrund der Verzichtsvereinbarung der Parteien in dem Vergleich vom 10.2.2014 nicht zu weiteren Zahlungen, weder für die Monate November und Dezember 2013, noch für die Monate Februar bis April 2014 verpflichtet. Dies folgt nach der Auffassung der Kammer aus dem Wortlaut und dem Hintergrund der abgegebenen Erklärungen. Denn zwischen den Parteien bestand Streit über die Qualität der von der Klägerin erbrachten Leistungen. Die Beklagte wollte deshalb keine weiteren Leistungen der Klägerin mehr und hat das Vertragsverhältnis durch Kündigung beendet. Es standen Gegenansprüche der Beklagten wegen der von der Klägerin erbrachten Leistungen und wegen der Beendigung des Vertrages im Raum. Ferner war die Wirksamkeit der Kündigungserklärung im Streit. Wenn vor diesem Hintergrund die Erklärung abgegeben wird: „Damit werden beiderseitig auf sämtliche etwaigen Forderungsansprüche, aus dem am 30.1.2014 gekündigten Rahmenvertrag für den Winterdienst vom 16.12.2013, verzichtet" und zugleich die Vereinbarung wie folgt im Fettdruck überschrieben wird: „Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche, infolge der Kündigung des Rahmenvertrages für den Winterdienst vom 30.1.2014“, ist dies ein eindeutiger Verzicht für die Klägerin auf etwaige Zahlungsansprüche aus dem Rahmenvertrag.
31Die Widerklage ist zulässig und begründet. Da die Klägerin sich Ansprüche für die Monate März und April 2014 berühmt, hat die Beklagte ein rechtliches Interesse im Sinne des §§ 256 ZPO an der Feststellung, dass der Klägerin für diese Zeit keine weiteren Ansprüche zustehen.
32Die Widerklage ist auch begründet, da der Klägerin – wie oben ausgeführt – tatsächlich keine weitergehenden Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
33Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO
(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 16.176,48 € nebst Zinsen in Höhe von 8%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.04.2014 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Auf die Widerklage wird festgestellt, dass der Klägerin für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis zum 30.04.2014 keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 9 %, die Klägerin zu 91 %.
Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein Unternehmen, das unter anderem im Bereich der Schnee – und Eisglättebekämpfung tätig ist. Die Beklagte schrieb im Jahr 2013 in der Stadt C 9 Lose zur Erbringung von Winterdienst aus. Die Klägerin, die bereits im Vorjahr für die Beklagte tätig war, bewarb sich ausweislich der Anl. K2 der Akte mit ihrem Angebot vom 29.08.2013 um 8 der 9 Lose. Aufgrund dieses Angebotes kam es zu Verhandlungen zwischen den Parteien. Grundlage dieser Verhandlungen war der von der Beklagten vorgelegte, mit "Rahmenvertrag für den Winterdienst" überschriebene, Vertrag, der für die Zeit vom 1.11.2013 bis zum 30.4.2014 befristet war. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es zum Abschluss dieses Vertrages gekommen ist. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag am 16.12.2013. Eine Unterzeichnung seitens der Beklagten erfolgte nicht.
3Die Klägerin erbrachte in den Losen 2 und 6, also in den Stadtteilen O, U und T ab November 2013 Dienstleistungen, die sie für die Monate November 2013 bis Februar 2014 in Höhe von insgesamt 100.598,88 € in Rechnung stellte. Die Beklagte beglich Teilbeträge in Höhe von 5.009,66 €, so dass noch Forderungen i.H.v. insgesamt 95.589,22 € ( 22.490,44 € für November 2013 / 22.799,34 € für Dezember 2013 / jeweils 25.149,72 € für Januar und Februar 2014) offen sind, die die Klägerin mit der Klage geltend macht. Eine Klageerweiterung hinsichtlich des Leistungszeitraumes März und April 2014 behält sie sich ausdrücklich vor.
4Am 30.1.2014 kam es zu einem Gespräch zwischen den Parteien über die von der Klägerin erbrachten Leistungen, die die Beklagte bemängelte. Wegen des genauen Inhaltes des Gesprächs wird auf das Gesprächsprotokoll vom 30.1.2014 ( Anlage K 152 - Bl. 29 ff d.A.) Bezug genommen. Im Anschluss an dieses Gesprächs erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 30.1.2014 ( Bl. 18 f d.A.) die fristlose Kündigung des Rahmenvertrages und minderte zugleich die vereinbarten Flächen unter Berufung auf § 3 Abs. 2 bzw. § 9 Abs. 4 des Rahmenvertrages auf Null. Außerdem erklärte sie mit Bezug auf § 10 des Rahmenvertrages die Aufrechnung. Die Wirksamkeit dieser Reduzierung und der Kündigung ist zwischen den Parteien streitig
5Am 10.2.2014 kam es zu einem Telefonat zwischen den Parteien. Nach diesem Telefonat schickte der Geschäftsführer der Klägerin, Herr C1, der Beklagten eine E-Mail, die in der Betreffzeile den Vermerk: "Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche" und in der Anlage ein mit "Vereinbarung" überschriebenes Schreiben enthielt. Wegen des genauen Inhaltes dieser E-Mail und des beigefügten Schreibens wird auf Bl. 20 und 21 der Akten Bezug genommen. . Mit E-Mail vom 11.2.2014 stimmt die Beklagte dem Text der Vereinbarung zu und bat um unterzeichnete Rücksendung der Vereinbarung. Eine Unterzeichnung seitens der Klägerin erfolgte nicht. Mit E-Mail vom 19.2.2014 übersandte die Beklagte der Klägerin ein unterschriebenes Exemplar der Vereinbarung.
6Die Klägerin ist der Auffassung, ihr Vergütungsanspruch ergebe sich aus dem Rahmenvertrag, der wirksam zu Stande gekommen sei. Eine etwaige Formbedürftigkeit sei jedenfalls durch Invollzugsetzung des Vertrages geheilt. Eine Reduzierung des Leistungsumfanges auf Null stehe der Beklagten nicht zu. Bei der am 10.2.2014 übersandten Datei handele es sich ersichtlich nur um einen Entwurf einer Vereinbarung, welche zu ihrer Wirksamkeit der beiderseitigen Unterzeichnung bedurft hätte. Eine vergleichsweise Einigung mit dem von der Beklagten behaupteten Inhalt läge nicht vor. Bei dem Telefonat sei dem Geschäftsführer suggeriert worden, dass nur der Monat Januar 2014 in Streit stehe und die Rechnungen der vorangegangenen Monate in voller Höhe ausgeglichen worden seien. Er habe erst später erfahren, dass auf die Rechnungen in November und Dezember 2013 nur Teilbeträge gezahlt worden seien.
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an sie 95.589,22 € nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Betrag i.H.v. 68.897,84 € seit dem 18.4.2014 sowie auf den Betrag i.H.v. 46.761,38 € seit dem 26. 5. 2014 zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Im Wege der Widerklage beantragt sie,
12festzustellen, dass der Klägerin keine Ansprüche gegen die Beklagte für die Erbringung von Winterdienstleistungen im Zeitraum vom 1.3.2014 bis 30.4.2014 in den Stadtteilen O, U und T der Stadt C zustehen.
13Die Klägerin beantragt,
14die Widerklage abzuweisen.
15Die Beklagte ist der Auffassung, ein Vertrag sei nicht wirksam zu Stande gekommen, weil weder die Geschäftsführung der Beklagten noch die Geschäftsführung der H den als Anl. K1 beigefügten Vertrag unterschrieben haben. Die vereinbarte Schriftform sei daher nicht eingehalten. Ein Vergütungsanspruch aus der Vereinbarung vom 10.2.2014 sei noch nicht fällig, weil die Klägerin der Beklagten noch nicht die vereinbarte Gutschrift erteilt habe.
16Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Die Klage ist nur teilweise begründet. Die Widerklage ist zulässig und begründet.
19Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 16.176,48 € aus der Vereinbarung vom 10.2.2014 i.V.m. § 779 BGB. Weitergehende Ansprüche der Klägerin bestehen aufgrund dieser Vereinbarung nicht, so dass die weitergehende Klage abzuweisen und der Widerklage stattzugeben war.
20Es kann dahinstehen, ob zwischen den Parteien ein wirksamer Werkvertrag über die Erbringung von Winterdiensten in C in den Losen 2 und 6 geschlossen wurde, auch wenn die Tatsache, dass die Beklagte einen Teil der Rechnungen bezahlte und zudem mit Schreiben vom 30.1.2014“ die Kündigung des Rahmenvertrages“ erklärte, dafür spricht. Ebenso kann dahinstehen, ob die Klägerin ihre Leistungen aus dem Rahmenvertrag ordnungsgemäß erbracht hat, denn die Parteien haben eine Vereinbarung geschlossen (§ 779 BGB), mit der die gegenseitigen Ansprüche der Parteien geregelt wurden. Dieser Vergleich schafft für die eingegangene Leistungspflicht eine neue Rechtsgrundlage, die ein Zurückgreifen auf den alten Vertrag nicht mehr erlaubt. Danach kann die Klägerin aus den Rechnungsforderungen nur den im Vergleich festgelegten Betrag von der Beklagten fordern.
21Die Vereinbarung vom 10.2.2014 erfüllt alle Voraussetzungen eines Vergleichs gemäß § 779 BGB. Hiernach ist gegenseitiges Nachgeben erforderlich, d.h. ein Zugeständnis irgendwelcher Art um zu einer Einigung zu kommen. Wie sich aus dem von der Klägerin überreichten Gesprächsprotokoll vom 30.1.2014 ergibt, bestand zwischen den Parteien Streit über die Qualität der von der Klägerin erbrachten Leistungen und der Ansprüche, die sich für beide Parteien für die Vergangenheit und auch für die Zukunft daraus ergaben. Diesen Streit haben die Parteien in einem Gespräch vom 10.2.2014 durch einen Vergleich gemäß § 779 BGB beseitigt. Inhalt dieses Vergleiches war, dass die Beklagte nach Erstellung einer Gutschrift über 8973,24 € netto die Januarrechnung der Klägerin abzüglich dieses Gutschriftbetrages in voller Höhe begleicht und damit beiderseitig auf sämtliche etwaigen Forderungsansprüche aus dem am 30.1.2014 gekündigten Rahmenvertrag für den Winterdienst vom 16.12.2013 verzichtet werde.
22Den Inhalt dieses Vergleiches hat die Klägerin durch ihre E-Mail vom 10.2.2014 schriftlich bestätigt. Dieses Schreiben stellt ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben dar.
23Unter einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben ist ein von dem einen Vertragspartner an den anderen gerichtetes Schreiben zu verstehen, in dem der Absender seine Auffassung über das Zustandekommen und den Inhalt eines mündlich, fernmündlich oder telegrafisch geschlossenen Vertrages mitteilt. Es verkörpert die im Handelsverkehr übliche Art, den Inhalt eines in solcher Weise abgeschlossenen Geschäfts zu Beweiszwecken niederzulegen. Um als kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu gelten, muss ein Schreiben nach seinem äußeren Erscheinungsbild zur Wiedergabe der Verhandlungen wenigstens deren wesentlichem Inhalt nach bestimmt sein. Nach Treu und Glauben und kaufmännischer Verkehrssitte ist der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens verpflichtet, unverzüglich zu widersprechen, wenn er den Inhalt des Schreibens nicht gegen sich gelten lassen will. Unterlässt er den Widerspruch, so gilt der Vertrag als mit dem bestätigten Inhalt als geschlossen.
24Die Voraussetzungen für ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben liegen vor.
25Die Parteien sind Kaufleute und die Klägerin hat der Beklagten eine Vereinbarung übersandt, die den aus ihrer Sicht verhandelten Vertragsgegenstand abschließend wiedergegeben hat.
26Dafür spricht der Wortlaut der Betreffzeile der E-Mail vom 10.2.2014 ( Bl. 20 d.A.) und auch der sonstige Wortlaut. Denn dort ist die Rede von einem "Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche" und es wird Bezug genommen auf "die soeben besprochene Vereinbarung". Der E-Mail angefügt ist zudem ein mit "Vereinbarung" überschriebenes Dokument, ohne dass irgendwie - z.B. mit einer Bitte um Gegenbestätigung - kenntlich gemacht wird, dass es sich hierbei möglicherweise nur um einen Entwurf handeln soll. Dies alles spricht nach der Auffassung der Kammer dafür, dass eine Vereinbarung schon mündlich zum Abschluss gebracht wurde und das Schreiben dazu dienen soll, den Inhalt der mündlichen Vereinbarung zu bestätigen.
27Obwohl bereits ein Schweigen der Beklagten auf diese E-Mail der Klägerin für die verbindliche Wirkung der Vereinbarung ausgereicht hätte, hat die Beklagte diesem Text auch noch ausdrücklich mit ihrer E-Mail vom 11.2.2014 zugestimmt. Die Beklagte muss daher den Inhalt dieses Schreibens gegen sich gelten lassen. Dies gilt aber ebenso für die Klägerin. Diese kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass es nach der Vereinbarung der Parteien zur Wirksamkeit dieser Vereinbarung auch noch der Unterzeichnung durch die Parteien bedurfte (§ 126 BGB). Zwar sieht die Vereinbarung am Ende Unterschriftszeilen vor und die Beklagte hat sie auch nicht nur gegengezeichnet, sondern auch die Klägerin um Unterzeichnung gebeten; da aber - wie bereits oben ausgeführt - der Wortlaut der E-Mails vom 10.2./11.2.2014 dafür spricht, dass eine Vereinbarung schon mündlich zum Abschluss gebracht wurde und das Bestätigungsschreiben nur dazu dienen soll, die mündliche Vereinbarung zu beurkunden, kommt ihm auch nur die Bedeutung eines Beweismittels zu, so dass die fehlende Unterzeichnung für die Wirksamkeit der Vereinbarung unbeachtlich ist.
28Die Vereinbarung ist auch nicht aufgrund eines Irrtums der Klägerin gemäß §§ 779 BGB unwirksam. Der Vortrag der Klägerin, sie habe sich bei Vertragsschluss über die Begleichung der Rechnungen für die Monate November und Dezember 2013 geirrt und erst im Nachgang des Vergleichs festgestellt, dass für diese Monate nur Teilbeträge gezahlt worden sein, lässt die Ungewissheit unberührt. Unabhängig davon, ob die Klägerin die Anfechtung überhaupt unverzüglich erklärt hat, war sie dazu jedenfalls nicht berechtigt. Denn die Unkenntnis der Begleichung von Rechnungen von November und Dezember 2013 stellt sich als unbeachtlicher Motivirrtum dar, der zulasten der Klägerin geht.
29Aufgrund des Vergleichs vom 10.2.2014 ist die Beklagte daher verpflichtet, die Januar-Rechnung i.H.v. 25.149,72 € auszugleichen, jedoch abzüglich des Guthabenbetrags i.H.v. 8.973,24 €, so dass ein Betrag von 16.176,48 € zu zahlen ist. Ein Zurückbehaltungsrecht und damit eine Zug um Zug Verurteilung stand der Beklagten hier nicht zu. Denn die Beklagte hat durch ihren Klageabweisungsantrag deutlich gemacht, dass sie selbst nicht an dieser Vereinbarung festhalten will, so dass sie sich selbst nicht vertragstreu verhalten hat.
30Die Beklagte ist aber aufgrund der Verzichtsvereinbarung der Parteien in dem Vergleich vom 10.2.2014 nicht zu weiteren Zahlungen, weder für die Monate November und Dezember 2013, noch für die Monate Februar bis April 2014 verpflichtet. Dies folgt nach der Auffassung der Kammer aus dem Wortlaut und dem Hintergrund der abgegebenen Erklärungen. Denn zwischen den Parteien bestand Streit über die Qualität der von der Klägerin erbrachten Leistungen. Die Beklagte wollte deshalb keine weiteren Leistungen der Klägerin mehr und hat das Vertragsverhältnis durch Kündigung beendet. Es standen Gegenansprüche der Beklagten wegen der von der Klägerin erbrachten Leistungen und wegen der Beendigung des Vertrages im Raum. Ferner war die Wirksamkeit der Kündigungserklärung im Streit. Wenn vor diesem Hintergrund die Erklärung abgegeben wird: „Damit werden beiderseitig auf sämtliche etwaigen Forderungsansprüche, aus dem am 30.1.2014 gekündigten Rahmenvertrag für den Winterdienst vom 16.12.2013, verzichtet" und zugleich die Vereinbarung wie folgt im Fettdruck überschrieben wird: „Verzicht auf gegenseitige Forderungsansprüche, infolge der Kündigung des Rahmenvertrages für den Winterdienst vom 30.1.2014“, ist dies ein eindeutiger Verzicht für die Klägerin auf etwaige Zahlungsansprüche aus dem Rahmenvertrag.
31Die Widerklage ist zulässig und begründet. Da die Klägerin sich Ansprüche für die Monate März und April 2014 berühmt, hat die Beklagte ein rechtliches Interesse im Sinne des §§ 256 ZPO an der Feststellung, dass der Klägerin für diese Zeit keine weiteren Ansprüche zustehen.
32Die Widerklage ist auch begründet, da der Klägerin – wie oben ausgeführt – tatsächlich keine weitergehenden Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
33Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO
Ist nach der Beschaffenheit des Werkes die Abnahme ausgeschlossen, so tritt in den Fällen des § 634a Abs. 2 und der §§ 641, 644 und 645 an die Stelle der Abnahme die Vollendung des Werkes.
(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.
Tenor:
Das Urteil des Landgerichts wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 40.463,50 € festgesetzt.
Gründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache nach einstimmiger Überzeugung des Senats jedoch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und ist deshalb auf der Grundlage von § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Zur Begründung wird zunächst auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 10. Februar 2015 Bezug genommen.
Die Stellungnahme der Klägerin mit Schriftsatz vom 04.03.2015 rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest, dass die Klägerin keine weitere Vergütung aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages verlangen kann, weil der Vertrag wirksam mit Kündigung vom 29.11.2013 zum 31.12.2013 beendet wurde. Wie bereits dargelegt, entspricht das mit der Anlage K 3 vorgelegte Schreiben der zwischen den Parteien vereinbarten Schriftform, weil es in ausgedruckter Form keinerlei Unklarheiten bei der Klägerin entstehen ließ, von wem dieses Schreiben stammt, und dass damit die Kündigung des Werkvertrages zum 31.12.213 begehrt wird. Das Schreiben weist den Briefkopf der Beklagten aus sowie Unterschriften des Geschäftsführers Zeuge 2 und der Prokuristin Zeugin 3. Ob es sich bei diesem Schreiben um ein zunächst ausgedrucktes, dann unterschriebenes und später wieder eingescanntes Schreiben handelt oder ob dieses Schreiben samt Unterschriften mechanisch hergestellt worden ist, ist unerheblich, da diesbezüglich bei der nach § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB möglichen elektronischen Übermittlung keine Unterscheidung gemacht wird.
Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien die Übermittlungsform des § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB abbedingen wollten, liegen nicht vor. Sie ergeben sich weder aus dem per Einschreiben mit Rückschein zugesandten Rügeschreiben der Beklagten vom 02.09.2013, da diese Abmahnung anders als die vorliegende Kündigung nicht an bestimmte Fristen gebunden war, noch aus der Formulierung unter § 1 Ziffer 1.2.10 des Vertrages, der vorsieht, dass „personelle Änderungen aus diesem Grund rechtzeitig schriftlich anzumelden und abzustimmen“ sind. Dass es sich bei dieser Formulierung um eine andere Bedeutung der gewählten Schriftform im Vergleich zu der Regelung in § 4 Ziffer 4.3 handeln soll, kann aus den unterschiedlich gewählten Formulierungen im Vertrag nicht hergeleitet werden. Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass es sich bei diesen Formulierungen einmal um ein deklaratorisches und einmal um ein konstitutives vereinbartes Formerfordernis handeln soll, so ist nicht verständlich, warum die Klägerin die Beklagte auf diese unterschiedliche Auslegungsmöglichkeit nicht unverzüglich hingewiesen hat, nachdem sie die Kündigung per E-Mail erhalten hat. Insbesondere aufgrund der in der E-Mail befindlichen Einleitung, dass „aufgrund der zeitlich angespannten Situation“ die bereits angekündigte Kündigung „nun auf diesem Wege“ zugesandt wird, wäre ein unverzüglicher Hinweis der Klägerin erforderlich gewesen, soweit sie diese Art der Schriftform als nicht ausreichend ansieht.
Die Ausführungen der Klägerin zu der doppelten Schriftformklausel, nach der gemäß § 6 Ziffer. 6.1. des Vertrages Änderungen des Vertrages zu ihrer Wirksamkeit ebenfalls der Schriftform bedürfen, sind im vorliegenden Fall unerheblich, weil die Beklagte bei der Kündigungserklärung nicht von der vereinbarten Schriftform abgewichen ist, sondern die Schriftform im Sinne des § 127 BGB eingehalten hat.
Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Eine mündliche Verhandlung erscheint unter Berücksichtigung von Umfang und Schwierigkeitsgrad der Sache sowie ihrer Bedeutung für die Parteien nicht geboten.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 63 Abs. 3 GKG, 3 ZPO.
(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger verlangt von der Beklagten die Auszahlung von Umsatzsteuerrückerstattungen , die diese aufgrund einer geänderten steuerrechtlichen Beurteilung vom Finanzamt erhalten hat.
- 2
- Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer im Jahr 1949 aus der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung eines Fahrzeugbauunternehmens entstandenen Betriebsgesellschaft (WKG). Die Beklagte ist die aus dieser Umstrukturierung entstandene Besitzgesellschaft (WKO). Mit Vertrag vom 30. Januar 1949 verpachtete die Beklagte Betriebsgrundstücke und Produktionsanlagen an die Betriebsgesellschaft. Der Vertrag regelt unter § 3 Buchst. a), dass die Betriebsgesellschaft als Teil des Pachtzinses "die öffentlichen Abgaben und Steuern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu tragenden Einkommens- und Vermögenssteuern" zu übernehmen hat.
- 3
- Dabei gingen die Vertragsparteien in Übereinstimmung mit dem Finanzamt davon aus, dass wegen der Verflechtungen beider Gesellschaften eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft bestehe und nur die Beklagte als im Außenverhältnis umsatzsteuerpflichtige Organträgerin anzusehen sei. Im nicht festsetzungsverjährten Zeitraum zahlte die Betriebsgesellschaft als Teil der nach § 3 Buchst. a) geschuldeten Pacht für die Beklagte Umsatzsteuer in Höhe von rund 162.500.000 € direkt an das Finanzamt.
- 4
- Nachdem mit Beschluss vom 29. Juni 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Betriebsgesellschaft eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt worden war, vertrat die Beklagte die Auffassung, dass jedenfalls ab Insolvenzantragstellung die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nicht mehr bestünden. Auf der Grundlage eines entsprechenden Antrags der Beklagten erließ das Finanzamt im November 2009 geän- derte Umsatzsteuerbescheide für die Monate März bis Juni 2009. Dabei ging das Finanzamt ebenfalls vom Nichtbestehen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft aus und meldete seine gegen die Betriebsgesellschaft gerichteten Umsatzsteuerforderungen in Höhe von 15,4 Mio. € beim Kläger zur Insolvenztabelle der Betriebsgesellschaft an. Bereits zuvor hatte die Beklagte ihrerseits unter Hinweis auf den Pachtvertrag Ansprüche auf Zahlung von Umsatzsteuer und Erstattung von Vorsteuer für die Monate März bis Juni 2009 in Höhe von rund 19,0 Mio. € gegenüber dem Kläger zur Insolvenztabelle angemeldet.
- 5
- Zur Beilegung ihrer Streitpunkte schlossen die Parteien im März 2010 eine notarielle Vergleichsvereinbarung. Diese enthält unter Ziffer 12 der Präambel die Feststellung, dass die Besitzgesellschaft "zur Insolvenztabelle Umsatzsteuerforderungen aus Organschaft für den Zeitraum ab 03/2009 bis 06/2009 angemeldet" habe, obwohl sie gegenüber dem Finanzamt die Ansicht vertrete, "dass eine solche umsatzsteuerrechtliche Organschaft seit Beschluss des Amtsgerichts … über die Insolvenzantragstellung" nicht bestehe.
- 6
- In den Ziffern 7 und 13 der Vergleichsvereinbarung ist unter anderem folgendes geregelt:
- 7
- "7.1 Der Insolvenzverwalter verzichtet für sich und die WKG unwiderruflich auf die Geltendmachung der in seinem Gutachten vom 16. Oktober 2009 dargestellten sowie sonstiger sich etwaig aus den darin dargestellten Sachver- halten ergebender Ansprüche gegen die WKO. …"
- 8
- "7.2 Der Insolvenzverwalter versichert, dass ihm, seinen Mitarbeitern und den für ihn im Rahmen der Insolvenzverwaltung tätigen Personen im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses keinerlei Umstände bekannt sind oder Anhaltspunkte vorliegen, die Ansprüche gegen die WKO, … sowie deren jeweilige Organe und Gesellschafter begründen oder begründen könnten. Sofern dem Insolvenzver- walter, seinen Mitarbeitern oder den für ihn im Rahmen der Insolvenzverwaltung tätigen Personen zu diesem Zeitpunkt Umstände bekannt sind oder An- haltspunkte für Ansprüche gegen die WKO, … sowie deren Organe oder Ge- sellschafter vorliegen, erklärt der Insolvenzverwalter hiermit unwiderruflich seinen Verzicht auf die Geltendmachung dieser Ansprüche."
- 9
- "13.1 Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit Wirksamwerden dieser Vereinbarung sämtliche Ansprüche des Insolvenzverwalters und der WKG gegenüber der WKO, …, die sich aus den wechselseitigen Geschäfts- und Rechtsbeziehungen bis zum Abschluss dieser Vergleichsvereinbarung ergeben, abgegolten sind ...
- 10
- 13.2 Diese Abgeltungsklausel findet keine Anwendung für folgende Ansprüche : …
- 11
- 13.2.4 Für die umsatzsteuerliche Organschaft zwischen WKO und WKG bzw. für die zur Insolvenztabelle angemeldeten/anzumeldenden Forderungen der WKO, soweit sie die angemeldete Umsatzsteuer (zuzüglich Nebenforderungen ) betreffen, gilt die folgende abschließende Sonderregelung:
- 12
- a) Die WKO und das Veranlagungs-Finanzamt der WKO haben die Umsatzsteuer für den Zeitraum März bis Juni 2009 zur Insolvenztabelle angemeldet (ca. EUR 20.500.000,-). Das Finanzamt hat Forderungen zur Insolvenztabelle der WKG angemeldet, weil es das Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft entsprechend dem Antrag der WKO für die Monate März bis Juni 2009 abgelehnt hat. Offen ist zur Zeit, ob das Finanzamt diese rechtliche Beurteilung aufrecht erhält. Dies bleibt einer abschließenden Betriebsprüfung bzw.
- 13
- b) Insoweit und angesichts des für beide Parteien bestehenden latenten Umsatzsteuerrisikos aus der Organschaft findet die Abgeltungsklausel keine Anwendung auf die umsatzsteuerliche Organschaft. Die WKO wird daher aufgrund der Vergleichsvereinbarung nicht verpflichtet, die zur Insolvenztabelle angemeldete Umsatzsteuer (zuzüglich Nebenforderung) zurückzunehmen. Die WKO ist indes verpflichtet, die vollständige Rücknahme zu erklären, wenn das Finanzamt … oder ein zur Entscheidung berufenes Gericht die im Rahmen des Einspruchsverfahrens ergangene Entscheidung der Veranlagungsdienststelle zur Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft bestandskräftig bestätigt. In diesem Falle soll sich die Abgeltungsklausel auch auf die umsatzsteuerliche Organschaft zwischen WKO und WKG beziehen. …"
- 14
- Nach einer im April 2010 erfolgten Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (BFH ZIP 2010, 1491) erließ das Finanzamt im Dezember 2010 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2008 und erstattete der Beklagten das sich hieraus ergebende Steuerguthaben. Zudem meldete das Finanzamt im August 2011 gegen die Betriebsgesellschaft gerichtete Umsatzsteuerforderungen für die Jahre 2006 bis 2009 in Höhe von rund 180.000.000 € zur Insolvenztabelle an.
- 15
- Im Mai 2011 erließ das Finanzamt für die Umsatzsteuer der Monate März bis Juni 2009 auf § 74 AO gestützte Haftungsbescheide gegen die Gesellschafter der Beklagten. Über die hiergegen gerichteten Rechtsbehelfe ist noch nicht rechtskräftig entschieden, das Finanzsamt hat die Vollziehung aber jeweils gegen Sicherheitsleistung widerruflich ausgesetzt. Zudem kündigte das Finanzamt wegen der Umsatzsteuerschuld der Betriebsgesellschaft für die Jahre 2006 bis 2008 den Erlass weiterer Haftungsbescheide an. In Höhe der Inanspruchnahme ihrer Gesellschafter durch die Haftungsbescheide vom Mai 2011 hat die Beklagte die Aufrechnung mit der Klageforderung erklärt.
- 16
- Erstinstanzlich hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Herausgabe der vom Finanzamt erlangten Beträge nebst Zinsen sowie zur Abtretung etwaiger weiterer Umsatzsteuererstattungsansprüche für die Jahre 2006, 2007 und 2009 an ihn und hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur Auszahlung entsprechender Steuererstattungen verpflichtet sei. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufungen beider Parteien das Urteil abgeändert und - insoweit dem zuletzt gestellten Zahlungsantrag des Klägers entsprechend - die Beklagte verurteilt , an den Kläger 162.484.282,96 € zu zahlen. Soweit der Kläger neben Zahlung dieses Betrags noch Zahlung von aus der Umsatzsteuerrückerstattung für 2008 gezogenen Nutzungen sowie im Wege der Stufenklage Auskunft über gezogene Nutzungen aus der Umsatzsteuerrückerstattung für die Jahre 2006, 2007 und 2009 sowie deren Herausgabe verlangt hat, hat es die Klage abgewiesen. Die Aufrechnung der Gegenforderung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieser vorbehalten und den Rechtsstreit insoweit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Haftung der Gesellschafter der Beklagten für die Umsatzsteuerschulden ausgesetzt.
- 17
- Gegen das Berufungsurteil richten sich die zugelassenen Revisionen beider Parteien.
Entscheidungsgründe:
- 18
- Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur vorbehaltlosen Verurteilung der Beklagten.
A.
- 19
- Das Berufungsgericht hat seine in juris veröffentlichte Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
- 20
- Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der von der Beklagten vereinnahmten Steuerrückzahlung folge aus der Bestimmung des zwischen der Beklagten und der Betriebsgesellschaft geschlossenen Pachtvertrags vom 30. Januar 1949, nach der die Betriebsgesellschaft als Teil des Pachtzinses "die öffentlichen Abgaben und Steuern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu tragenden Einkommens- und Vermögenssteuern" zu tragen habe. Diese Bestimmung sei ergänzend dahin auszulegen, dass die Betriebsgesellschaft als Pachtzins nur diejenigen Steuern schulde, die auch tatsächlich abgabenrechtlich abzuführen gewesen seien. Die erfolgten Rückzahlungen seien an die Betriebsgesellschaft auszuzahlen, da es sonst zu dem von den Vertragsparteien keinesfalls gewollten Ergebnis komme, dass fehlerhaft festgesetzte Steuerbeträge unter Umständen von der Betriebsgesellschaft doppelt, nämlich einmal als Pachtzins an die Besitzgesellschaft und einmal an das Finanzamt, zu zahlen seien.
- 21
- Dieser vertragliche Anspruch sei nicht durch die notarielle Vergleichsvereinbarung vom März 2010 ausgeschlossen. Bei deren Auslegung seien Wortlaut und Parteiwille zu berücksichtigen und zu beachten, dass an die Auslegung einer Willenserklärung, die zum Rechtsverlust führe, strenge Anforderungen zu stellen seien, da ein Rechtsverzicht niemals zu vermuten sei. Schließlich seien auch Begleitumstände des Vertragsschlusses in die Auslegung einzubeziehen.
- 22
- Danach könne sich die Verzichtsklausel in Ziffer 7 der Vergleichsvereinbarung nach ihrer systematischen Stellung in der Vereinbarung und wegen der an einen Rechtsverzicht zu stellenden strengen Anforderungen nicht auf die streitgegenständliche Forderung beziehen. Ziffer 13 der Vereinbarung enthalte eine Sonderregelung für die der Klageforderung zu Grunde liegende Rechtsproblematik , in der Präambel seien die dem Verzicht unterfallenden Forderungen des Klägers benannt und der bei Vergleichsabschluss den Parteien jedenfalls als möglich bekannte Klageanspruch übersteige mit seinem Volumen von ca. 180 Mio. € das Gesamtvolumen der Vergleichsvereinbarung um ein Mehrfaches.
- 23
- Die unter Ziffer 13.2.4 getroffene Regelung der Vergleichsvereinbarung erfasse den streitgegenständlichen Anspruch ebenfalls nicht, weil diese sich nur auf die von Finanzamt und Besitzgesellschaft zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung wegen der Umsatzsteuer für den Zeitraum März bis Juni 2009 beziehe. Dies folge daraus, dass Ziffer 13.2.4 Buchst. a) der Vereinbarung diesen Sachverhalt beschreibe, in Ziffer 13.2.4 Buchst. b) die Anwendung der Abgeltungsklausel nur für diesen Fall geregelt sei und weitergehende Ansprüche an keiner Stelle der Vergleichsvereinbarung Erwähnung fänden.
- 24
- Der streitgegenständliche Anspruch werde auch durch die allgemeine Abgeltungsklausel in Ziffer 13.1 der Vergleichsvereinbarung nicht erfasst. Dies ergebe sich aus dem Gesamtbild der Vergleichsvereinbarung. Die Präambel erwähne die Streitpunkte, vor deren Hintergrund die Vereinbarung abgeschlossen worden sei, und das damit jeweils verbundene wirtschaftliche Interesse. Die in Ziffer 13 der Vereinbarung getroffene Regelung benenne zwar auch das Problem der geänderten Beurteilung der umsatzsteuerlichen Organschaft durch das Finanzamt, beschränke dies aber auf den Zeitraum März bis Juni 2009. Mögliche Ansprüche wegen früherer Zeiträume seien in der Präambel nicht erwähnt , obwohl sie von den Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit einem Volumen von ca. 180 Mio. € beziffert worden seien. Sie seien daher von der Vergleichsvereinbarung nicht erfasst. Die Motivation der Parteien , durch den Vergleichsabschluss sämtliche Streitpunkte zu erledigen, spreche nicht gegen dieses Auslegungsergebnis, da es sich bei den jetzt streitgegenständlichen Ansprüchen zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses allenfalls um in ihrem Bestand noch ungewisse Eventualpositionen gehandelt habe. Ob die Besitzgesellschaft noch für andere Zeiträume als März bis Juni 2009 geänderte Umsatzsteuererklärungen einreichen würde, sei von den Vertragsparteien ersichtlich zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht abschließend diskutiert gewesen.
- 25
- Dass sich die Parteien der Vergleichsvereinbarung vor deren Abschluss nicht über eine Erledigung oder Abgeltung der streitgegenständlichen Forderung verständigt hätten, ergebe sich aus der Würdigung des vom Landgericht dazu erhobenen Zeugenbeweises. Damit habe die Beklagte den ihr obliegenden Beweis für einen Verzicht auf die Klageforderung oder deren Abgeltung nicht geführt. Die Beweisaufnahme rechtfertige darüber hinaus sogar die Feststellung , dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Anspruchs gerade keine Einigung der Vertragsparteien, sondern ein bloßer "Scheinkonsens" vorliege.
- 26
- Im Übrigen scheitere die Annahme eines Verzichts des Klägers auch daran , dass ein solcher unwirksam wäre, weil er dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zuwiderlaufe und der darin liegende Pflichtverstoß des Klägers für einen verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich gewesen sei. Einem Verzicht in der in Rede stehenden Höhe stehe kein angemessener Vorteil für die Insolvenzmasse gegenüber. Der Betrag sei sogar erheblich höher als die gesamte Insolvenzmasse.
- 27
- Der Zahlungsanspruch des Klägers sei auch fällig. Ihm stehe allerdings die zur Aufrechnung gestellte Forderung der Beklagten auf Übernahme derjenigen Beträge gegenüber, zu denen die Gesellschafter der Beklagten über die erlassenen Haftungsbescheide für die Steuerverbindlichkeiten herangezogen würden. Dabei handele es sich um eine Forderung der Beklagten, da sie "faktisch" Schuldnerin der jeweiligen Beträge sei. Die Haftung aus § 74 AO sei keine persönliche Haftung der Gesellschafter, sondern sie beziehe sich lediglich auf das der Betriebsgesellschaft pachtweise zur Verfügung gestellte Vermögen der Beklagten. Anspruchsgrundlage für einen entsprechenden Freistellungsanspruch gegen den Kläger sei ebenfalls der - insoweit ergänzend auszulegende - Pachtvertrag. Der Freistellungsanspruch sei nach § 257 Abs. 1 BGB in einen Zahlungsanspruch umgewandelt, da die Inanspruchnahme der Gesellschafter aufgrund der bereits ergangenen Haftungsbescheide feststehe bzw. mit Sicherheit zu erwarten sei.
- 28
- Der Anspruch der Beklagten sei ein selbständiger Anspruch, mit dem diese aufrechnen könne. Es handele sich bei den wechselseitigen Ansprüchen der Parteien nicht um unselbständige und im Wege der Verrechnung auszugleichende Rechnungsposten im Rahmen eines Abrechnungsverhältnisses. Dies ergebe sich zwar nicht aus einer ergänzenden Auslegung des Pachtvertrages, da insoweit jeder Anhaltspunkt fehle, wie die Parteien die Regelungslücke gefüllt hätten. Jedoch seien vorliegend die wechselseitigen Forderungen auf völlig unterschiedliche Lebenssachverhalte zurückzuführen, auch wenn sie auf derselben vertraglichen Regelung beruhten. Im Falle der Insolvenz sei außerdem zu beachten, dass die Annahme einer bloßen Verrechnung für den berechtigten Insolvenzgläubiger zu einem nicht zu rechtfertigenden Vorteil gegenüber den anderen Gläubigern führe, was dem Ziel des Insolvenzverfahrens zuwiderlaufe, einen Ausgleich der Gläubigerinteressen zu schaffen.
- 29
- Die Aufrechnungslage sei erst während des Insolvenzverfahrens entstanden. Die sich gegenüberstehenden Forderungen hätten zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits bestanden, seien aber erst danach fällig geworden. Der Ausgleichsanspruch der Beklagten sei mit Ablauf des Vorsteueranmeldezeitraums Januar bis Juni 2009, also vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens , entstanden und seit dem 1. Juli 2011, dem Datum des Ablaufs der in den Haftungsbescheiden vom 31. Mai 2011 enthaltenen Zahlungsaufforderung , fällig. Die Klageforderung sei mit der Entstehung des auszukehrenden Steuererstattungsanspruchs insolvenzrechtlich entstanden. Dies sei ebenfalls vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Fall gewesen, weil die umsatzsteuerliche Organschaft unstreitig vor dem Eröffnungsbeschluss nicht bestanden habe. Da der Ausgleichsanspruch der Beklagten vor dem Anspruch des Klägers fällig geworden sei, stehe § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO einer Aufrechnung nicht entgegen.
- 30
- Über die Aufrechnungsforderung der Beklagten sei eine abschließende Entscheidung allerdings noch nicht möglich, so dass durch Vorbehaltsurteil zu entscheiden sei. Ob die Forderung bestehe, hänge davon ab, ob das Finanzamt nach § 74 AO vorgehen könne. Dies sei offen und nicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG durch das Berufungsgericht zu klären, sondern durch die Finanzbehörden und -gerichte. Für die Klärung einer für eine Aufrechnungsforderung unabdingbaren Vorfrage müsse dasselbe gelten wie für die Aufrechnung mit einer Forderung , die in den Kompetenzbereich einer anderen Gerichtsbarkeit falle. Daher sei das Verfahren im Umfang des Vorbehalts auszusetzen, bis eine rechtskräftige finanzgerichtliche Entscheidung über die Haftung nach § 74 AO vorliege.
- 31
- Ansprüche des Klägers auf Nutzungsersatz - und demnach auch vorgelagerte Auskunftsansprüche - bestünden nicht, da der Anspruch eine vertragliche Rechtsgrundlage habe und keine bereicherungsrechtliche. Der Zinsanspruch folge aus §§ 386 Abs. 1 Satz 1, 288 Satz 2 BGB.
B.
- 32
- Die Revisionen sind uneingeschränkt zulässig.
- 33
- Das Berufungsgericht hat die im Urteilsausspruch enthaltene Revisionszulassung nicht eingeschränkt. Zwar ist in den Entscheidungsgründen ausgeführt , die Revisionszulassung erfolge wegen der "verschiedenen vertrags-, insolvenz - und abgaberechtlichen Fragen". Sollte hierin aus der Sicht des Berufungsgerichts eine Beschränkung der Revisionszulassung auf eine bestimmte Rechtsfrage liegen, wäre diese unbeachtlich. Die Zulassung der Revision kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs nur auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt werden , der Gegenstand eines Teilurteils sein oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Unzulässig ist es, die Zulassung auf einzelne von mehreren Anspruchsgrundlagen oder auf bestimmte Rechtsfragen zu beschränken (Senatsurteil vom 30. April 2014 - XII ZR 146/12 - NJW 2014, 2102 Rn. 18 mwN).
- 34
- Danach scheidet hier eine Beschränkung der Zulassung der Revision aus. Wollte man die vom Berufungsgericht genannten Fragen trotz ihrer Allgemeinheit bereits als ausreichend bestimmte Rechtsfragen ansehen, so würde es sich um solche handeln, die für den gesamten Rechtsstreit entscheidungserheblich sind. Bei einer unzulässigen Beschränkung der Revisionszulassung muss das angefochtene Urteil in vollem Umfang überprüft werden (Senatsurteil vom 30. April 2014 - XII ZR 146/12 - NJW 2014, 2102 Rn. 20).
C.
- 35
- Die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil halten nicht in vollem Umfang der rechtlichen Nachprüfung stand.
- 36
- I. Revision der Beklagten
- 37
- Die Beklagte greift mit ihrer Revision die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 3 Buchst. a) des Pachtvertrages sowie dessen Auslegung der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 an, wonach die Ansprüche des Klägers auf Erstattung der Umsatzsteuerrückzahlungen davon nicht erfasst werden.
- 38
- Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Auslegung von Individualvereinbarungen grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dessen Auslegung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung dahin, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, sonstige Erfahrungs- sätze oder die Denkgesetze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 2010 - XII ZR 148/07 - NJW-RR 2010, 1508 Rn. 30; BGHZ 194, 301 = NJW 2012, 3505 Rn. 14 mwN). Danach ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags sowie der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
- 39
- 1. Soweit das Berufungsgericht der Regelung in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Auszahlung der erfolgten Umsatzsteuerrückerstattungen entnommen hat, vermag die Revision der Beklagten keine revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler aufzuzeigen.
- 40
- a) Die Beklagte wendet sich in diesem Zusammenhang vornehmlich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Klageanspruch sei bereits "entstanden bzw. fällig", obwohl die Gesellschafter der Beklagten nach § 74 AO in Anspruch genommen würden. Damit habe das Berufungsgericht gegen das Gebot der beiderseits interessengerechten Auslegung verstoßen, weil redliche und verständige Parteien keinen derartigen Anspruch vereinbart hätten. Denn die Beklagte treffe bei einer Inanspruchnahme ihrer Gesellschafter nach § 74 AO das Risiko, die Steuerrückzahlung nicht für die Ablösung der Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt verwenden zu können, wenn sie sie an den Kläger auskehren müsse.
- 41
- b) Damit kann die Revision der Beklagten nicht durchdringen. Das Gebot der beiderseits interessengerechten Auslegung (vgl. etwa BGHZ 150, 32 = NJW 2002, 3248, 3250 und BGHZ 131, 136 = NJW 1996, 248) steht unter dem Vorbehalt , dass eine solche Auslegung möglich ist. Es kann dann nicht verletzt sein, wenn ein mögliches Auslegungsergebnis dem Interesse der einen Seite, ein anderes aber dem der anderen Seite entgegenkommt, ohne dass ein Mittelweg ersichtlich ist (MünchKommBGB/Busche 6. Aufl. § 133 Rn. 63).
- 42
- So liegt der Fall hier. Ergebnis der Auslegung kann vorliegend nur sein, ob die Betriebsgesellschaft bzw. den Kläger oder die Beklagte das Risiko der Haftung gegenüber dem Finanzamt trifft, ohne diese Zahlung durch die von der Beklagten vereinnahmte Steuerrückzahlung kompensieren zu können. Soweit die Beklagte insoweit geltend macht, es verstoße auch gegen den in § 4 Satz 2 des Pachtvertrages geschützten Vermögensstand der Beklagten, wenn sie mit diesem Risiko belastet werde, so hat die Beklagte auf diese Regelung zwar bereits mit der Berufungsbegründung hingewiesen, und das Berufungsgericht hat diesen Gesichtspunkt nicht erwogen. Allerdings ist auch nicht erkennbar, inwiefern dieser für die hier im Rahmen der Auslegung zu entscheidende Frage der Risikoverteilung aussagekräftig hätte sein können. Angesichts des Umstands, dass das beschriebene Risiko nur entweder den Kläger oder die Beklagte treffen kann, ist aus dem Gebot der beiderseitig interessengerechten Auslegung kein entscheidender Gesichtspunkt abzuleiten, der es geboten hätte, dieses Risiko dem Kläger zuzuweisen.
- 43
- 2. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung, wonach sich aus Ziffer 7.2 der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 kein Verzicht des Klägers auf die streitgegenständlichen Ansprüche ergibt, begegnet ebenfalls keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
- 44
- a) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Berufungsgerichts , dass sich aus dem Wortlaut der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 ein eindeutig erklärter Verzicht des Klägers auf Rückzahlungsansprüche wegen möglicher an die Beklagte geleisteter Umsatzsteuererstattungen nicht ergibt. Zu Recht hat das Berufungsgericht daher durch Auslegung der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 ermittelt, ob sich den dort enthaltenen Regelungen ein Verzicht des Klägers auf die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche entnehmen lässt.
- 45
- b) Die Revision der Beklagten rügt insoweit ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe bei der Auslegung von Ziffer 7 der Vereinbarung anerkannte Grundsätze der Vertragsauslegung missachtet.
- 46
- aa) Die Revision macht geltend, das Berufungsgericht habe seinen Auslegungserwägungen nur die systematische Stellung der Regelung im Gesamtvertrag zugrunde gelegt statt sich vorrangig mit dem Wortlaut der Verzichtsklausel zu befassen. Deshalb habe es bei der Auslegung nicht beachtet, dass die streitgegenständlichen Ansprüche bereits von dem Generalverzicht in Ziffer 7.2 Satz 2 der Vereinbarung erfasst würden. Danach solle sich der Verzicht ausdrücklich auch auf diejenigen Ansprüche beziehen, für deren Vorhandensein dem Insolvenzverwalter oder seinen Mitarbeitern im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Umstände bekannt gewesen seien oder für die Anhaltspunkte vorgelegen hätten. Dies sei für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Auszahlung der Umsatzsteuerrückzahlung der Fall, weil der Anspruch bereits bei den Verhandlungen über die Vergleichsvereinbarung zwischen den Parteien thematisiert worden sei. Zudem habe das Berufungsgericht bei der Auslegung nicht berücksichtigt, dass die Parteien mit der Vergleichsvereinbarung und der Verzichtsklausel den Zweck verfolgt hätten, im Hinblick auf den geplanten Verkauf des Betriebsgeländes eine endgültige Erledigung der wechselseitigen Ansprüche der Parteien zu erreichen. Schließlich spreche - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch die systematische Stellung der Klausel im Gesamtvertrag dafür, dass die streitgegenständlichen Ansprüche von der Verzichtsklausel erfasst seien.
- 47
- bb) Damit kann die Revision der Beklagten nicht durchdringen.
- 48
- (1) Zwar ist bei der Auslegung von Individualvereinbarungen in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen (vgl. BGHZ 150, 32 = NJW 2002, 3248, 3249 mwN). Zu den anerkannten Grundsätzen für die Auslegung einer Individualvereinbarung gehört aber auch, dass zwar der Wortlaut einer Individualvereinbarung den Ausgangspunkt der Auslegung bildet, der übereinstimmende Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation jedoch vorgeht (Senatsbeschluss vom 30. April 2014 - XII ZR 124/12 - juris Rn. 17). Der Tatrichter hat daher bei seiner Willenserforschung auch den mit der Absprache verfolgten Zweck und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 7. September 2011 - XII ZR 114/10 - GuT 2012, 268 Rn. 17). Wegen des sich aus den §§ 133, 157 BGB ergebenden Verbots einer sich ausschließlich am Wortlaut orientierenden Interpretation darf der Richter schließlich einer Erklärung sogar eine Deutung geben, die von ihrem nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eindeutigen Wortsinn abweicht, wenn Begleitumstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGHZ 150, 32 = NJW 2002, 3248,
3250).
- 49
- (2) Nach diesen Maßgaben bestehen gegen das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts, wonach der in Ziffer 7.2 Satz 2 der Vergleichsvereinbarung enthaltene Verzicht die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers nicht erfasst, keine rechtlichen Bedenken.
- 50
- Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob der Wortlaut der Regelung in Ziffer 7.2 Satz 2 der Vergleichsvereinbarung tatsächlich so ein- deutig ist, wie die Revision der Beklagten annimmt. Auch ein klarer und eindeutiger Wortlaut einer Erklärung bildet keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände. Die Revision der Beklagten verkennt insoweit, dass sich die Feststellung, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, erst durch eine alle Umstände berücksichtigende Auslegung treffen lässt (Senatsurteil vom 19. Dezember 2001 - XII ZR 281/99 - NJW 2002, 1260, 1261 mwN). Daher ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht bei der Auslegung die Regelungssystematik der Vergleichsvereinbarung berücksichtigt hat. Die damit verbundene Annahme des Berufungsgerichts, die Parteien hätten in Ziffer 13 der Vergleichsvereinbarung eine ausdrückliche Regelung für Ansprüche getroffen, die sich aus dem Nichtbestehen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft ergeben, weshalb sich der in Ziffer 7.2 Satz 2 der Vergleichsvereinbarung enthaltene Verzicht nicht auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Auszahlung der von der Beklagten vereinnahmten Umsatzsteuerrückerstattung beziehe, ist eine vertretbare Schlussfolgerung, die sich im Rahmen der tatrichterlichen Verantwortung bewegt.
- 51
- Entgegen der Auffassung der Revision der Beklagten konnte das Berufungsgericht bei seinen Erwägungen zur Auslegung der Verzichtsvereinbarung auch berücksichtigen, dass an die Auslegung einer Willenserklärung, die zum Verlust einer Rechtsposition führt, strenge Anforderungen zu stellen sind und in der Regel eine insoweit eindeutige Willenserklärung erforderlich ist, weil ein Rechtsverzicht niemals zu vermuten ist. Das Berufungsgericht hat insoweit eine anerkannte Auslegungsregel angewendet (vgl. BGH Urteile vom 20. Dezember 1983 - VI ZR 19/82 - NJW 1984, 1346, 1347; vom 16. November 1993 - XI ZR 70/93 - NJW 1994, 379, 380 und vom 22. Juni 1995 - VII ZR 118/94 - WM 1995, 1677, 1678 f.) und mit der Annahme, dass ein Verzicht auf mögliche Ansprüche aus der den Parteien bei Abschluss der Vergleichsvereinbarung bereits bekannten Problematik der Nichtanerkennung der jahrelang praktizierten umsatzsteuerrechtlichen Organschaft einer ausdrücklichen Regelung bedurft hätte, eine vertretbare und aus Rechtsgründen nicht zu beanstandende Schlussfolgerung gezogen.
- 52
- c) Soweit die Revision der Beklagten schließlich meint, das Berufungsgericht habe seine Auslegung nicht auf den Gesichtspunkt stützen dürfen, dass der den Parteien bei Vergleichsabschluss jedenfalls als möglich bekannte Klageanspruch seinem Volumen nach das Gesamtvolumen der Vergleichsvereinbarung um ein Mehrfaches übersteige, ergibt sich hieraus ebenfalls kein revisionsrechtlich relevanter Auslegungsfehler. Bei dieser Erwägung des Berufungsgerichts handelt es sich ersichtlich um die bloße Berücksichtigung eines Begleitumstands , der für das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis nicht tragend ist.
- 53
- 3. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Abgeltungsklausel in Ziffer 13 der Vergleichsvereinbarung ist ebenfalls aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
- 54
- a) Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung der bereits dargelegten anerkannten Auslegungsregeln umfassend und sorgfältig die von den Parteien in Ziffer 13 der Vergleichsvereinbarung gewählte Regelungssystematik analysiert und ist dabei zu dem - von der Revision der Beklagten auch hingenommenen - Auslegungsergebnis gekommen, dass sich die Regelung in Ziffer 13.2.4 der Vergleichsvereinbarung nur auf mögliche Ansprüche wegen der bereits von der Beklagten und dem Veranlagungs-Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldeten Umsatzsteuer für die Monate März bis Juni 2009 erstreckt. Anders als das Berufungsgericht möchte die Revision der Beklagten hieraus aber den Schluss ziehen, dass die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers von der in Ziffer 13.1 der Vergleichsvereinbarung enthaltenen all- gemeinen Abgeltungsklausel erfasst werden. Sie rügt auch insoweit, dass das Berufungsgericht bei der Auslegung den eindeutigen Wortlaut der Abgeltungsklausel nicht ausreichend berücksichtigt habe und unzutreffend davon ausgegangen sei, dass sich die Abgeltungsklausel nur auf die in der Präambel erwähnten Ansprüche, mithin nur auf die Ansprüche wegen der Umsatzsteuerforderungen für den Zeitraum März bis Juni 2009, erstrecken sollte.
- 55
- b) Auch diesen Angriffen halten die Auslegungserwägungen des Berufungsgerichts stand.
- 56
- Zwar könnte der Wortlaut der Regelung in Ziffer 13.1 der Vergleichsvereinbarung auch die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche erfassen, womit diese auch abgegolten sein könnten. Das Berufungsgericht hat jedoch bei seinen Auslegungserwägungen zu Recht auch die weiteren in der Vereinbarung enthaltenen Regelungen in den Blick genommen. Vor dem Hintergrund, dass nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vergleichsvereinbarung nur die Umsatzsteuer für den Zeitraum März bis Juni 2009 vom Finanzamt neu festgesetzt und es deshalb keineswegs sicher war, ob auf die Vertragsparteien wegen der Nichtanerkennung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft auch für vorangehende Zeiträume weitere Umsatzsteuerforderungen zukommen, ist das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis nicht zu beanstanden. Den Parteien war bekannt , dass aufgrund der Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die über viele Jahre praktizierte umsatzsteuerrechtliche Organschaft von den Finanzbehörden zwischenzeitlich nicht mehr anerkannt wird. Sie mussten daher damit rechnen, dass für die nicht verjährten Festsetzungszeiträume vor 2009 geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen werden, die zu Umsatzsteuernachforderungen und -rückzahlungen führen konnten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist diese Problematik bei den vor Abschluss der Vergleichs- vereinbarung geführten Gesprächen thematisiert worden, wobei den Parteien auch die ungefähre Größenordnung möglicher Ansprüche bekannt war. Unter diesen Umständen hätte es - wie vom Berufungsgericht angenommen - nahegelegen , entsprechende Zahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte ausdrücklich in die Abgeltungsklausel aufzunehmen. Letztlich haben die Parteien sich jedoch darauf beschränkt, in Ziffer 13.2.4 der Vergleichsvereinbarung nur insoweit Regelungen im Zusammenhang mit der Nichtanerkennung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zu treffen, als zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bereits geänderte Steuerbescheide vorlagen und über die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der beteiligten Gesellschaften und Gesellschafter Klarheit herrschte.
- 57
- Schließlich hat das Berufungsgericht bei der Auslegung auch den von den Parteien verfolgten Zweck, sich möglichst endgültig zu trennen und alle zwischen ihnen noch offenen Fragen zu regeln, berücksichtigt.
- 58
- c) Die Angriffe der Revision der Beklagten zu den Ausführungen des Berufungsgerichts , denen zufolge die erstinstanzliche Beweisaufnahme sogar die "positive Feststellung" rechtfertige, dass hinsichtlich der betroffenen Ansprüche "gerade keine Einigung" der Parteien des Vergleichsvertrages vorliege, können ebenfalls keinen Erfolg haben. Das Berufungsurteil wird bereits durch die rechtlich nicht zu beanstandenden Überlegungen zur Vertragsauslegung und zur erstinstanzlichen - von der Revision nicht angegriffenen - Beweisaufnahme getragen. Die von der Revision beanstandeten Ausführungen sind ersichtlich vom Berufungsgericht angestellte Hilfserwägungen, die das Auslegungsergebnis nur zusätzlich stützen sollen.
- 59
- d) Gleiches gilt für die von der Revision der Beklagten angegriffenen Überlegungen des Berufungsgerichts zur Insolvenzzweckwidrigkeit eines Ver- zichts des Klägers auf die Klageforderung. Auch insoweit handelt es sich lediglich um alternative Erwägungen ("unabhängig davon") im Berufungsurteil, auf die es nicht gestützt ist, da dieses bereits durch die Überlegungen zur Vertragsauslegung getragen wird.
- 60
- II. Revision des Klägers
- 61
- Der Kläger wendet sich mit der Revision zu Recht gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ergebe sich aus § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags ein Ausgleichsanspruch der Beklagten wegen der Haftung ihrer Gesellschafter für die Umsatzsteuerschuld der Betriebsgesellschaft nach § 74 AO, mit dem sie gegen den Anspruch des Klägers auf Auszahlung der Umsatzsteuerrückerstattungen nebst Zinsen aufrechnen könne, und gegen den damit verbundenen Erlass eines Vorbehaltsurteils.
- 62
- 1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht ein Vorbehaltsurteil gemäß § 302 ZPO erlassen, weil der Beklagten ein aufrechenbarer Gegenanspruch nicht zusteht.
- 63
- Voraussetzung für den Erlass eines Vorbehaltsurteils ist neben der Entscheidungsreife der Klageforderung das Bestehen einer aufrechenbaren Gegenforderung , über die im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch nicht entschieden werden kann. Steht fest, dass die Aufrechnung unzulässig ist oder die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht besteht, kann das Gericht auch über die Gegenforderung entscheiden. Ein Vorbehaltsurteil darf dann nicht ergehen (vgl. MünchKommZPO/Musielak 4. Aufl. § 302 Rn. 4; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 302 Rn. 4).
- 64
- 2. So liegen die Dinge hier. Der Beklagten steht gegen den Kläger kein aufrechenbarer Gegenanspruch zu. Denn die Annahme des Berufungsgerichts, aus § 3 Buchst. a) des Pachtvertrages ergebe sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Zahlung des Betrages, in dessen Höhe die Gesellschafter der Beklagten durch Haftungsbescheide nach § 74 AO in Anspruch genommen werden, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
- 65
- a) Zwar unterliegt die Auslegung des Berufungsgerichts auch insoweit nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung (vgl. dazu Senatsurteile vom 11. Januar 2012 - XII ZR 40/10 - NJW 2012, 844 Rn. 23 und vom 21. Januar 2009 - XII ZR 79/07 - NJW-RR 2009, 593 Rn. 18; BGHZ 194, 301 = NJW 2012, 3505 Rn. 14 mwN). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Regelung in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags zum Pachtzins weise im Hinblick auf die Haftung der Gesellschafter der Beklagten für die nach § 74 AO vom Finanzamt geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen der Betriebsgesellschaft eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke auf, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei, begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn es hat wesentlichen Auslegungsstoff nicht ausreichend berücksichtigt und die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung verkannt. Insoweit unterliegt das Urteil der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 2010 - XII ZR 148/07 - NJW-RR 2010, 1508 Rn. 30).
- 66
- b) Das Berufungsgericht ist bei seinen Auslegungserwägungen bereits von der unzutreffenden Annahme ausgegangen, dass sich die Haftung der vom Finanzamt in Anspruch genommenen Gesellschafter nur auf die der Betriebsgesellschaft zur Verfügung gestellten Grundstücke und Betriebsanlagen, die im Eigentum der Beklagten stehen, beschränkt und daher diese faktisch Schuldnerin der mit den Haftungsbescheiden geltend gemachten Steuerforderungen sei. Insoweit hat das Berufungsgericht die sich aus § 74 AO ergebenden Rechtsfol- gen nicht in vollem Umfang erkannt und damit wesentlichen Auslegungsstoff unberücksichtigt gelassen.
- 67
- aa) Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO haftet der Eigentümer von Gegenständen , die einem Unternehmen dienen, aber nicht dem Unternehmer, sondern einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person gehören, mit diesen Gegenständen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Diese Regelung soll die Durchsetzung von Steueransprüchen im Wege der Vollstreckung für den Fall sichern, dass das Unternehmen (auch) mit Gegenständen betrieben wird, die im Eigentum eines Dritten stehen (vgl. Klein/Rüsken AO 12. Aufl. § 74 Rn. 1). Die nach § 74 AO in Anspruch genommenen Gesellschafter haften grundsätzlich persönlich, dabei aber gegenständlich beschränkt, weil nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO der Eigentümer nur "mit" den Gegenständen haftet, die er dem Unternehmen überlassen hat (dazu Pahlke/Koenig/Intemann Abgabenordnung 2. Aufl. § 74 Rn. 14 mwN). Die Haftung ist danach auf Zahlung eines Geldbetrags durch den Haftungsschuldner gerichtet (Pahlke/Koenig/Intemann Abgabenordnung 2. Aufl. § 74 Rn. 34) und wird durch Haftungsbescheid nach § 191 AO geltend gemacht. Die gegenständliche Haftungsbeschränkung wirkt sich nur aus, wenn die Steuerschuld, auf die sich die Haftung bezieht, im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden muss. Dann ist der Vollstreckungszugriff der Finanzbehörde auf die dem Unternehmen zur Betriebsführung überlassenen Gegenstände beschränkt
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- bb) Im vorliegenden Fall wirkt sich die Heranziehung der Gesellschafter der Beklagten als Haftungsschuldner nach § 74 AO also nur dann auf das Gesamthandsvermögen der Beklagten als Kommanditgesellschaft aus, wenn die in Haftung genommenen Gesellschafter auf die Haftungsbescheide keine Leistung erbringen können oder wollen. Hierzu hat das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Der Umstand, dass einzelne Gesellschafter wegen ihrer Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die gegen die Betriebsgesellschaft gerichteten Umsatzsteuernachforderungen bereits Ausgleichsforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet haben, legt zudem die Vermutung nahe, dass die Gesellschafter die Haftungsschuld persönlich begleichen würden und die Haftungsbescheide daher nicht im Vollstreckungswege durchgesetzt werden müssten. Ob sich der Erlass der Haftungsbescheide überhaupt auf das Vermögen der Beklagten auswirken wird, ist somit noch völlig ungewiss. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann daher nicht angenommen werden, dass faktisch die Beklagte Schuldnerin der mit den Haftungsbescheiden geltend gemachten Steuerforderungen sei.
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- c) Zudem rügt die Revision des Klägers zu Recht, dass der Pachtvertrag auch keine planwidrige Regelungslücke aufweist, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist.
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- aa) Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist das Bestehen einer Regelungslücke, also einer planwidrigen Unvollständigkeit der Bestimmungen des Rechtsgeschäfts (BGHZ 90, 69 = NJW 1984, 1177, 1178), die nicht durch die Heranziehung von Vorschriften des dispositiven Rechts sachgerecht geschlossen werden kann (BGHZ 137, 153 = NJW 1998, 450, 451). Allein der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält, besagt nicht, dass es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit handelt. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre (Senatsurteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 40/10 - NJW 2012, 844 Rn. 24 mwN). Die ergänzende Vertragsausle- gung muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem Gesamtzusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch zu dem nach dem Inhalt des Vertrags tatsächlich Vereinbarten stehen würde. Zudem darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einer wesentlichen Erweiterung des Vertragsinhalts führen (BGHZ 40, 91 = NJW 1963, 2071, 2075).
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- bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage begegnet die Annahme des Berufungsgerichts , § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags weise im Hinblick auf die Haftung der Gesellschafter der Beklagten für die gegen die Betriebsgesellschaft gerichteten Umsatzsteuerforderungen eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke auf, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn zur Verwirklichung des mit dem Abschluss des Pachtvertrags verfolgten Regelungsplans der Vertragsparteien ist es nicht erforderlich, die in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags enthaltene Vereinbarung zum Pachtzins auf mögliche Ausgleichsforderungen der Beklagten wegen der steuerrechtlichen Haftung ihrer Gesellschafter für Umsatzsteuerschulden der Betriebsgesellschaft auszudehnen.
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- Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde der Pachtvertrag 1949 im Rahmen einer Umstrukturierung des damaligen Fahrzeugbauunternehmens abgeschlossen. Voraussetzung für die mit der Betriebsaufspaltung beabsichtigten haftungs- und steuerrechtlichen Ziele war dabei nur, dass die Besitzgesellschaft der Betriebsgesellschaft eine ihrer Funktion nach wesentliche Betriebsgrundlage zur Nutzung überlässt. Die seinerzeit beteiligten Vertragsparteien mussten daher lediglich die Nutzungsüberlassung der im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke und Betriebsanlagen an die Betriebsgesellschaft vertraglich regeln. Ausreichend hierfür war ein Pachtvertrag, der die insoweit wesentlichen Regelungen, wie etwa die Bezeichnung der Pachtgegenstände, Pachtdauer und die zu zahlende Pacht, beinhaltet. Eine darüberhinausgehende Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten als Besitzgesellschaft und der Betriebsgesellschaft war für die mit der Betriebsaufspaltung verfolgten Zielen nicht erforderlich und von den Parteien nach dem übrigen Inhalt des Pachtvertrags auch nicht beabsichtigt.
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- Die in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags enthaltene Regelung, wonach die Betriebsgesellschaft als Teil des Pachtzinses "die öffentlichen Abgaben und Steuern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu tragenden Einkommensund Vermögenssteuern" zu übernehmen hat, beruhte dabei ersichtlich auf dem Umstand, dass - bis zu der entsprechenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - die Beklagte als Organträgerin die im Organkreis anfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen hatte, die steuerbaren Umsätze jedoch im Wesentlichen bei der Betriebsgesellschaft anfielen. Mit der Verpflichtung der Betriebsgesellschaft, die von der Beklagten zu tragenden Steuern und öffentlichen Abgaben als Pacht zu zahlen, wollten die Vertragsparteien erreichen , dass letztlich die Umsatzsteuer von der Gesellschaft getragen wird, bei der die steuerrechtlich relevanten Umsätze auch verwirklicht werden.
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- Anlass, in den Pachtvertrag weitere Regelungen zu den Rechtsbeziehungen zwischen der Besitz- und der Betriebsgesellschaft aufzunehmen, insbesondere einen Ausgleichsanspruch der Beklagten für den Fall vorzusehen, dass die Gesellschafter der Beklagten als Haftungsschuldner für nicht entrichtete Steuern der Betriebsgesellschaft in Anspruch genommen werden, bestand zum Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrags nicht.
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- Eine auszufüllende Regelungslücke besteht auch deshalb nicht, weil ein angemessener und interessengerechter Ausgleich zwischen den Haftungsschuldnern und der Betriebsgesellschaft als Steuerpflichtige bereits durch das dispositive Gesetzesrecht gewährleistet wird. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 AO haf- ten Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften, als Gesamtschuldner. Diese Vorschrift gilt nicht nur zwischen mehreren Steuerschuldnern oder einer Mehrzahl von Haftenden , sondern auch dann, wenn die Finanzbehörde den einen als Steuerschuldner , den anderen dagegen als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen kann (BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586 mwN). Der Ausgleich zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Haftungsschuldner bestimmt sich daher gemäß § 426 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift haften Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen, sofern nichts anderes bestimmt ist. Etwas anderes iSv § 426 Abs. 1 BGB ist auch dann bestimmt, wenn sich eine abweichende Regelung des Innenverhältnisses aus der Natur der Sache ergibt (BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586).
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- Aus dem Zweck einer Betriebsaufspaltung und im vorliegenden Fall zusätzlich auch aus der in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags getroffenen Regelung zum Pachtzins lässt sich die Absicht der Vertragsparteien entnehmen, dass die innerhalb des Organkreises anfallenden Steuern im Innenverhältnis allein von der Gesellschaft getragen werden sollen, die ohne die Organschaft steuerpflichtig wäre. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall, dass die durch die Tätigkeit der Betriebsgesellschaft angefallene Umsatzsteuer im Innenverhältnis von dieser allein zu tragen wäre. Folglich hätten die Gesellschafter der Beklagten, soweit sie als Haftungsschuldner Umsatzsteuerschulden der Betriebsgesellschaft bezahlen, gegen den Kläger einen entsprechenden Regressanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB. Ein Bedürfnis, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen zusätzlichen Ausgleichsanspruch der Beklagten anzunehmen, besteht daher nicht.
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 26.10.2011 - 1 O 3113/10 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 07.08.2012 - 12 U 129/11 -
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Ist dem Vertrag ein Kostenanschlag zugrunde gelegt worden, ohne dass der Unternehmer die Gewähr für die Richtigkeit des Anschlags übernommen hat, und ergibt sich, dass das Werk nicht ohne eine wesentliche Überschreitung des Anschlags ausführbar ist, so steht dem Unternehmer, wenn der Besteller den Vertrag aus diesem Grund kündigt, nur der im § 645 Abs. 1 bestimmte Anspruch zu.
(2) Ist eine solche Überschreitung des Anschlags zu erwarten, so hat der Unternehmer dem Besteller unverzüglich Anzeige zu machen.
Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.