Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 06. Okt. 2017 - 2 Ws 161/17

bei uns veröffentlicht am06.10.2017

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Mai 2016 (Az.: 162 Gs 507/16), zuletzt bestätigt durch Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 2, vom 13. Juni 2017, aufgehoben.

Die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.

Gründe

1

Der wegen besonderer Eilbedürftigkeit zunächst ohne Gründe ergangene Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2017 wird wie folgt ergänzt:

I.

2

Der Angeklagte G. ist in einem gegen ihn wegen des Vorwurfs des Totschlags zu Lasten der Geschädigten M. geführten Strafverfahren am 12. Mai 2016 polizeilich festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Mai 2016 fortlaufend in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl war auf die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr sowie der Schwerkriminalität gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3, Abs. 3 StPO gestützt.

3

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen den Angeklagten am 5. August 2016 Anklage zum Landgericht Hamburg, Große Strafkammer - Schwurgericht - erhoben. Die zuständige Große Strafkammer 2 des Landgerichts hat nach vorsorglicher zeitnaher Absprache möglicher Hauptverhandlungstermine mit Beschluss vom 12. September 2016 das Hauptverfahren eröffnet und die Untersuchungshaft aus den Gründen des amtsgerichtlichen Haftbefehls aufrechterhalten.

4

Nach Durchführung der Hauptverhandlung in der Zeit vom 26. Oktober 2016 bis zum 13. Juni 2017 hat die Große Strafkammer den Angeklagten mit Urteil vom 13. Juni 2017 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und mit Beschluss vom selben Tage den amtsgerichtlichen Haftbefehl unter Bezugnahme auf die Gründe seines Erlasses aufrechterhalten sowie die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

5

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner am 27. September 2017 bei dem Landgericht eingelegten und insbesondere auf den Gesichtspunkt während der Durchführung der landgerichtlichen Hauptverhandlung eingetretener Verfahrensverzögerungen gestützten Beschwerde, der die Große Strafkammer 2 mit Beschluss vom 29. September 2017 nicht abgeholfen hat.

6

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

7

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Großen Strafkammer 2 des Landgerichts Hamburg zu den Gründen für die geringe Termindichte bei Anberaumung und Durchführung der Hauptverhandlung eingeholt und hierzu den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt. Ein Verteidiger des Angeklagten hat ergänzend Stellung genommen.

II.

8

Auf die zulässige Beschwerde (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO) des Angeklagten war der Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg, zuletzt bestätigt durch Haftfortdauerbeschluss der Großen Strafkammer 2 des Landgerichts Hamburg vom 13. Juni 2017, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufzuheben und der Angeklagte aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

9

1. Zwar liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 112 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StPO weiterhin vor. Insbesondere besteht gegen den Angeklagten weiterhin der nunmehr durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Juni 2017 näher konkretisierte dringende Tatverdacht des Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB.

10

Ferner besteht auch weiterhin die Gefahr, dass der Angeklagte sich dem Strafverfahren entziehen werde, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Ebenfalls sind außerdem die Voraussetzungen des aus § 112 Abs. 3 StPO für bestimmte Formen der Schwerkriminalität folgenden Haftgrundes erfüllt. Ob nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils weiterhin der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO besteht, kann hier dahinstehen. Mildere Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft i. S. d. § 116 Abs. 1 StPO sind zur Verfahrenssicherung nicht hinreichend geeignet.

11

Schließlich steht die Anordnung der Haft auch ersichtlich nicht i. S. d. §§ 112 Abs. 1 Satz 2, 120 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Bedeutung der Sache und der durch die landgerichtliche Verurteilung vorläufig auf ein Maß von acht Jahren Freiheitsstrafe konkretisierten Straferwartung außer Verhältnis.

12

2. Jedoch erweist sich die Fortdauer der Untersuchungshaft aufgrund eines Verstoßes gegen das Gebot besonders beschleunigter Verfahrensführung in Haftsachen als unverhältnismäßig, da es im Verfahrensablauf zu erheblichen und vermeidbaren sowie dem Angeklagten nicht zurechenbaren Verfahrensverzögerungen gekommen ist.

13

a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen ist der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenüberzustellen, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgebliche Bedeutung zukommt (BVerfG Beschl. v. 13. Oktober 2016, Az.: 2 BvR 1275/16 (juris); BVerfG StV 2015, 39 ff.). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfG StV 2013, 160 ff.). Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung (BVerfG StV 2015, 39 ff.).

14

Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem Beschuldigten nicht zu vertreten, sondern vermeidbar und sachlich nicht gerechtfertigt sind. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (BVerfG Beschl. v. 13. Oktober 2016, Az.: 2 BvR 1275/16 (juris); BVerfG StV 2015, 39 ff.).

15

Die Angemessenheit der Haftfortdauer ist im Rahmen einer Abwägung zwischen Freiheitsanspruch des Betroffenen und Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen, insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (BVerfG StV 2015, 39 ff.).

16

Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (BVerfG StV 2013, 640 ff.). Bei der Beurteilung der Planung und Durchführung der Hauptverhandlung unter Beschleunigungsgesichtspunkten kommt es nicht allein auf eine retrospektive Beurteilung des tatsächlichen Verhandlungsablaufs und eine rein rechnerische Betrachtung der Hauptverhandlungszeiten, sondern vorrangig auf eine sachgerechte gerichtliche Planung an. Insbesondere wird in aller Regel auch eine rein rechnerische Erfassung der durchgeführten Hauptverhandlungszeiten für die Beurteilung vermeidbarer Verfahrensverzögerungen nicht maßgeblich sein, da der tatsächliche Verlauf der Hauptverhandlung häufig durch zahlreiche dem gerichtlichen Einfluss entzogene Faktoren mitbestimmt werden kann (vgl. KG Beschl. v. 7. März 2014, Az.: 4 Ws 21/14 (juris)). In die Würdigung kann einfließen, ob einzelne Verfahrensbeteiligte durch ihr Prozessverhalten dazu beigetragen haben, dass die Verhandlungsdichte entgegen der ursprünglichen Planung des Tatgerichts absinken musste (vgl. KG aaO.). Gleichwohl kann das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auch dadurch verletzt werden, dass an den jeweiligen Sitzungstagen nur kurze, den Sitzungstag nicht ausschöpfende Zeit verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend gefördert wird (BVerfG StV 2013, 640 ff.).

17

Unterbrechungen der Hauptverhandlung aus Urlaubsgründen stellen als solche keinen Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen dar. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht bei der Bestimmung der durchschnittlichen Hauptverhandlungsdichte zum Teil Urlaubszeiten unberücksichtigt gelassen (vgl. BVerfG StV 2013, 640 ff.; vgl. auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 22. Mai 2014, Az.: 1 Ws 153-154/14 (juris)). Jedoch ist das Tatgericht jedenfalls in länger andauernden Verfahren gehalten, Verzögerungen der Hauptverhandlung, die durch urlaubsbedingte Abwesenheit von Verfahrensbeteiligten unvermeidbar werden, durch engere Terminierung der Hauptverhandlung zu anderen Zeiten zumindest teilweise auszugleichen.

18

Kommt es zu Verfahrensverzögerungen, kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts nicht Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein (BVerfG Beschl. v. 13. Oktober 2016, Az.: 2 BvR 1275/16 (juris)). Dies gilt selbst dann, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfG aaO.; BVerfG StV 2015, 39 ff.).

19

Ist in einer Haftsache ein erstinstanzliches Urteil ergangen, verliert das Beschleunigungsgebot dadurch nicht seine Bedeutung. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten. Allerdings vergrößert sich, auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, mit der Verurteilung das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da bereits einmal aufgrund einer gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Verurteilten als erwiesen angesehen worden ist (vgl. BVerfG StraFo 2009, 375 ff.).

20

b) Nach diesen Grundsätzen sind in der vorliegenden Sache erhebliche gegen das Gebot besonderer Beschleunigung in Haftsachen verstoßende, in erster Linie durch strukturelle Überlastung der Strafkammer verursachte und damit aus justizieller Sicht vermeidbare Verfahrensverzögerungen entstanden, die der Fortdauer der Untersuchungshaft entgegenstehen.

21

aa) Nicht zu beanstanden ist allerdings zunächst der Verlauf des durch die Staatsanwaltschaft Hamburg geführten Ermittlungsverfahrens in der Zeit von der Festnahme des Angeklagten am 12. Mai 2016 bis zur am 5. August 2016 erfolgten Erhebung der Anklage.

22

Angesichts der bestreitenden Einlassung des Angeklagten und seiner Angabe, die Geschädigte müsse sich seiner Ansicht nach selbst getötet haben, sind seitens der Staatsanwaltschaft insbesondere nachvollziehbar umfangreiche Ermittlungen zum Vorleben der Geschädigten und ihrer sie mit dem Angeklagten verbindenden Beziehungsgeschichte durchgeführt sowie eine - vorübergehend von Seiten der Verteidigung durch sachlich eher schwer nachvollziehbare Einwände gegen vorgeschlagene Sachverständige verzögerte - Begutachtung des Angeklagten veranlasst worden, die neben den weiteren für eine Schwurgerichtssache typischen Ermittlungen zur mittleren bis leicht überdurchschnittlichen Komplexität der Sache beigetragen haben. Der bis zur Anklageerhebung verstrichene Zeitraum von etwa zwei Monaten und drei Wochen ist deshalb als angemessene bis zügige Sachbehandlung zu beurteilen.

23

bb) Ebenfalls zügig ist die Sache zunächst nach Anklageerhebung von der damit befassten Großen Strafkammer 2 des Landgerichts gefördert worden. Nach Eingang der Verfahrensakten am 5. August 2016 erfolgten bereits am 10. August 2017 - unter dem Vorbehalt einer späteren Eröffnung des Hauptverfahrens - Absprachen über anzuberaumende Hauptverhandlungstermine mit dem bestellten Pflichtverteidiger.

24

Anschließend beschloss die Strafkammer am 12. September 2017 und damit etwa fünf Wochen nach Eingang der Sache über die Eröffnung des Hauptverfahrens und beraumte die zuvor abgesprochenen Hauptverhandlungstermine an. Die Hauptverhandlung begann nach weiteren etwa sechs Wochen am 26. Oktober 2016 und damit insgesamt etwa zwei Monate und drei Wochen nach Anklageerhebung.

25

Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Komplexität der Sache ist auch der hier etwa zwei Monate und drei Wochen nach Anklageerhebung erfolgte Beginn der Hauptverhandlung als angemessen bis zügig zu bewerten.

26

cc) Die Planung, Durchführung der Hauptverhandlung und Verfahrensgestaltung bis zur Fertigstellung des Protokolls werden demgegenüber den Anforderungen des Gebotes besonderer Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen deutlich nicht gerecht.

27

(1) Die Anberaumung der Hauptverhandlungstermine ist vorliegend im Wesentlichen in drei Abschnitten erfolgt. Zunächst hat die Kammervorsitzende am 12. September 2016 im Zusammenhang mit der Eröffnung des Hauptverfahrens die bereits am 10. August 2016 abgestimmten 13 Hauptverhandlungstage im Zeitraum vom 26. Oktober 2016 bis zum 19. Januar 2017 anberaumt, wobei es sich um 9 ganztätig (in der Zeit von 9.15 Uhr bis 16.00 Uhr), drei halbtägig (über etwa drei Stunden) sowie einen lediglich auf eine Stunde angesetzten Termin handelte.

28

Diese ursprüngliche Planung der Hauptverhandlung erscheint hinreichend vorausschauend. Insbesondere ist aus der insoweit maßgeblichen ex-ante Perspektive der Strafkammer nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht zu beanstanden, dass offenbar zunächst davon ausgegangen wurde, binnen der vorgenannten Hauptverhandlungsdauer von etwa zehneinhalb vollen Verhandlungstagen das Verfahren erstinstanzlich durch Urteil abschließen zu können. Auch musste es sich zu dieser Zeit der Strafkammer nicht aufdrängen, dem Angeklagten zur Verfahrenssicherung einen anderen oder weiteren Verteidiger zu bestellen.

29

(2) Zu beachtlichen und aus Perspektive der staatlichen Justiz vermeidbaren Verfahrensverzögerungen erheblichen Ausmaßes ist es indes im Rahmen der weiteren Anberaumung der Hauptverhandlung gekommen.

30

Die Kammervorsitzende hat zunächst am 22. Dezember 2016 insgesamt sechs weitere Hauptverhandlungstermine für den Zeitraum nach dem 19. Januar 2017 bis zum 6. April 2017 bestimmt, wobei es sich um vier etwa halbtätig angesetzte sowie zwei kurze, jeweils auf eine Stunde bzw. 75 Minuten anberaumte Termine handelte. Die gesamte geplante Hauptverhandlungsdauer in diesem Zeitraum entsprach damit nur etwa zweieinhalb vollen Hauptverhandlungstagen.

31

Ferner sind am 10. und 15. Februar 2017 weitere sechs Hauptverhandlungstermine für den Zeitraum nach dem 6. April 2017 bis zum 7. Juni 2017 anberaumt worden, wobei es sich um vier ganztätig und zwei etwa halbtägig angesetzte Termine handelte. Schließlich wurde am 7. Juni 2017 ergänzend der 13. Juni 2017 als zweistündiger Termin zur Verkündung des Urteils der Kammer festgesetzt. Die Hauptverhandlungsdauer dieses letzten Terminierungsabschnittes entspricht mithin etwa fünfeinhalb vollen Hauptverhandlungstagen.

32

Insgesamt wurde demnach für den etwas mehr als 20 Wochen umfassenden Zeitraum vom 20. Januar 2017 bis zum 13. Juni 2017 eine etwa acht vollen Hauptverhandlungstagen entsprechende Verhandlungszeit anberaumt. Wäre diese Hauptverhandlungszeit in einer dem vorstehend erläuterten Mindestmaß von mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche entsprechenden Terminierung anberaumt worden, hätte die Hauptverhandlung etwa zweieinhalb bis drei Monate früher als geschehen, mithin etwa Mitte bis Ende März 2017, abgeschlossen werden können.

33

(3) Die sich hieraus ergebende Verfahrensverzögerung vertieft sich bei einer Betrachtung der tatsächlichen Dauer der Hauptverhandlungszeit.

34

(a) Zwar kommt es, wie vorstehend (oben Ziff. 2. a)) erläutert, für die vorliegende Prüfung vorrangig auf eine hinreichend vorausschauende Planung der Hauptverhandlung und lediglich in zweiter Linie auf die tatsächliche Hauptverhandlungsdauer an, da der konkrete Ablauf der einzelnen Hauptverhandlungstermine sich häufig exakter Planung entzieht und ein verspäteter Beginn, zwischenzeitliche Pausen oder ein früheres Ende der Hauptverhandlung häufig auf kaum vorhersehbaren Umständen beruhen.

35

Auch sind in der vorliegenden Sache mehrere Abweichungen der tatsächlichen von der geplanten Hauptverhandlungsdauer dem Verhalten des Angeklagten und seines Verteidigers geschuldet. So wurde etwa am 26. Oktober 2016 die Hauptverhandlung von 10.00 Uhr bis 11.50 Uhr auf Antrag des Verteidigers unterbrochen, ferner wurde am 1. Dezember 2016 von der Vernehmung einer bereits in den Saal gerufenen Zeugin an diesem Tage auf Bitten des Verteidigers abgesehen, der mitgeteilt hatte, er habe bisher keine Gelegenheit zur Erörterung etwaigen Fragebedarfs mit seinem Mandanten gehabt. Am 4. sowie neuerlich am 10. Mai 2017 wurde ferner die Vernehmung der Sachverständigen Dr. B.-J. jeweils aufgrund einer Mitteilung des Verteidigers nicht abgeschlossen, wonach noch weitere Fragen an die Sachverständige zu stellen seien, dies aber erst am jeweils nächsten Hauptverhandlungstag geschehen könne.

36

(b) Das vorliegende Verfahren weist jedoch über die vorgenannten Umstände und Unwägbarkeiten hinaus in so erheblichem Umfang deutliche Unterschreitungen der tatsächlichen gegenüber der geplanten Verhandlungsdauer auf, dass sich hieraus auch eine unzureichende Wahrung des Beschleunigungsgebotes durch die Strafkammer bei der tatsächlichen Durchführung der Hauptverhandlung ergibt. Lediglich beispielhaft ist insoweit anzuführen, dass - bei jeweils ursprünglich ganztätig angesetzter Hauptverhandlung - am 8. Dezember 2016 lediglich etwa eine Stunde und 45 Minuten, am 15. und 22. Dezember 2016 sowie am 9. und 12. Januar 2017 jeweils etwa dreieinhalb Stunden, am 19. Januar 2017 über lediglich etwa eineinhalb Stunden sowie am 23. Januar 2017 anstelle der ursprünglich angesetzten vier Stunden nur etwa eineinhalb Stunden tatsächlich verhandelt worden ist.

37

Durch das insofern ungewöhnliche Ausmaß der tatsächlichen Unterschreitung der ursprünglich festgesetzten Hauptverhandlungsdauer wird die vorstehend bereits für die Hauptverhandlungsplanung festgestellte Verfahrensverzögerung weiter vertieft.

38

(4) Im weiteren Verlauf des Verfahrens nach der Urteilsverkündung am 13. Juni 2017 ist zunächst die volle Ausnutzung der nach § 275 Abs. 1 StPO hier 11 Wochen betragenden und damit am 29. August 2017 ablaufenden Frist zur Absetzung der - 40 Seiten umfassenden - schriftlichen Urteilsgründe durch die Strafkammer noch nicht durchgreifend zu beanstanden.

39

Eine weitere vermeidbare Verfahrensverzögerung liegt indes darin, dass das Protokoll der Hauptverhandlung erst am 14. September 2017 und damit etwa zwei Wochen nach Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe fertiggestellt worden ist. Zu den Anforderungen an die Erstellung des Hauptverhandlungsprotokolls unter den Bedingungen des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Protokollerstellung parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgen muss (BVerfG StV 2006, 81 ff.) und es in Haftsachen „keineswegs angängig“ sei, dass die Fertigstellung des Protokolls der Hauptverhandlung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehme, als für die Absetzung des Urteils benötigt werde (BVerfG NJW 2006, 1336; Senatsbeschluss vom 7. Mai 2015 (Az.: 2 Ws 108/15)).

40

Da außergewöhnliche oder unvorhersehbare Gründe für die verspätete Fertigstellung des Protokolls nicht mitgeteilt noch sonst ersichtlich sind, liegt hierin eine zusätzliche vermeidbare Verfahrensverzögerung von etwa zwei Wochen.

41

(5) Die vorstehend erörterten Verfahrensverzögerungen waren vermeidbar und sind weit überwiegend der staatlichen Justiz zuzurechnen.

42

(a) Auf Nachfrage des Senats nach den Ursachen der geringen Hauptverhandlungsdichte hat die Strafkammer mitgeteilt, dass sie während der Dauer der Hauptverhandlung in der vorliegenden Sache vom 26. Oktober 2016 bis zum 13. Juni 2017 in bis zu fünf weiteren Verfahren gleichzeitig verhandelt und in diesen anderen Verfahren (bei denen es sich mit einer Ausnahme, auf die lediglich zwei Hauptverhandlungstermine entfallen, ebenfalls um Haftsachen handelte) in dem genannten Zeitraum weitere knapp 130 Hauptverhandlungstermine unterschiedlicher Dauer durchgeführt hat.

43

Soweit sich hieraus ergibt, dass die geringe Hauptverhandlungsdichte in der vorliegenden Sache maßgeblich auf die Belastung der Strafkammer mit anderen, ebenfalls mit besonderer Beschleunigung zu fördernden Verfahren zurückzuführen ist, haben die hierdurch eingetretenen Verzögerungen nach den vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätzen als der justiziellen Sphäre zuzurechnen und zugleich als vermeidbar zu gelten, da es in die Verantwortung der staatlichen Gemeinschaft fällt, die Gerichte sachlich und personell in einer Art und Weise auszustatten, die eine sachgerechte, den Anforderungen des besonderen Beschleunigungsgebotes in Haftsachen genügende Bearbeitung der Verfahren ermöglicht. Dass der Belastung der Kammer eine kurzfristige, nicht vorhersehbare und deshalb nicht in den Verantwortungsbereich der staatlichen Justiz fallende „Belastungsspitze“ zugrunde gelegen haben könnte, ist weder von der Strafkammer mitgeteilt worden, noch sonst ersichtlich.

44

(b) Zu keiner wesentlich abweichenden Bewertung führt auch der Umstand, dass ein nicht erheblicher Teil der verhandlungsfreien Zeiträume in der vorliegenden Sache auf Urlaube sowohl des Verteidigers des Angeklagten als auch der Mitglieder der Strafkammer zurückzuführen ist.

45

Zwar ist, soweit die Hauptverhandlung während der relativ umfangreichen Urlaubszeiten des Verteidigers - insgesamt etwa sieben Wochen in den Zeiträumen vom 26. Oktober bis zum 23. November 2016 und vom 24. Februar bis zum 17. März 2017 - nicht stattfinden konnte, hierin zunächst grundsätzlich keine der staatlichen Verantwortungssphäre zuzurechnende Verfahrensverzögerung zu sehen. Gleiches gilt für die in die Hauptverhandlungszeit fallenden Urlaube der richterlichen und nichtrichterlichen Mitglieder der Strafkammer, die abzüglich der Überschneidungen mit den vorgenannten Urlauben des Verteidigers weitere etwa sechseinhalb Wochen umfassen, wobei anzumerken ist, dass etwa die Hälfte dieser Urlaubszeit auf die der Kammer angehörenden Schöffen entfällt, während offenbar die drei Berufsrichter(innen) der Kammer bei der Wahl ihrer Urlaubszeiten - überobligatorische - Rücksicht auf die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung genommen haben.

46

Der Urlaub von Verfahrensbeteiligten ist Teil der normalen und auch zwingend erforderlichen justiziellen Abläufe. Die hierdurch bedingten verhandlungsfreien Zeiten hat auch der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte grundsätzlich hinzunehmen, sie stellen als solche keine vermeidbaren Verfahrensverzögerungen dar. Führt allerdings der Urlaub von Verfahrensbeteiligten - wie hier mit einem Ausmaß von etwa 13 Wochen - zu ganz erheblichen die Untersuchungshaft deutlich verlängernden Verhandlungsunterbrechungen, so sind die dadurch eingetretenen Zeitverluste jedenfalls bei länger andauernden Verfahren zumindest teilweise durch eine intensivere Terminierung und Verhandlung in den verbleibenden Zeiträumen auszugleichen (vgl. oben Ziff. 2. a)).

47

Das ist in der vorliegenden Sache nicht geschehen.

48

(c) Schließlich verlagert es die Verantwortlichkeit für die eingetretene Verfahrensverzögerung auch nicht maßgeblich in die Sphäre des Angeklagten, dass die Strafkammer ausweislich dreier Vermerke der Kammervorsitzenden vom 10. Februar, vom 15. Februar sowie vom 28. September 2017 in der dritten der vorgenannten Terminierungsphasen weitere mögliche Hauptverhandlungstermine am 7. und 9. März, am 13., 24., 26. und 27. April sowie am 5., 15. 17. und 18. Mai 2017 in Aussicht gestellt hatte, an deren Wahrnehmung der Verteidiger jedoch terminlich verhindert war.

49

Zwar ist grundsätzlich auch der Verteidiger gehalten, in seiner Terminplanung ausreichenden Raum für die Wahrnehmung der Hauptverhandlung seiner Mandanten zu belassen. Nimmt ein Verteidiger übermäßig viele Mandate an und ist er aus diesem Grunde verhindert, an einer ordnungsgemäßen, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen Rechnung tragenden Durchführung des Verfahrens mitzuwirken, so können dadurch entstehende Verfahrensverzögerungen nicht von Vornherein der staatlichen Justiz zugerechnet werden.

50

Das Tatgericht ist allerdings gehalten, entsprechenden Konflikten durch rechtzeitige und vorausschauende Abstimmung der Hauptverhandlungsplanung entgegenzuwirken, woran es vorliegend in der dritten Terminierungsphase am 10. und 15. Februar 2017 zumindest teilweise fehlt. Auch muss das Tatgericht, sofern durch übermäßige Terminsverhinderungen von Verteidigern erhebliche Verfahrensverzögerungen drohen und andere Abhilfe nicht möglich erscheint, rechtzeitig die Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidigers erwägen, was hier ebenfalls, soweit ersichtlich, nicht geschehen ist.

51

Mit Blick auf die dem Verteidiger angebotenen Verhandlungstermine am 7. und 9. März 2017 war daher vorliegend zu berücksichtigen, dass angesichts des eher geringen zeitlichen Vorlaufs von etwas weniger als einem Monat bei der Terminierung am 10. bzw. 15. Februar 2017 von dem Verteidiger nicht mehr erwartet werden konnte, diese Termine für die Hauptverhandlung in der vorliegenden Sache freigehalten zu haben.

52

Ferner sind die möglichen Hauptverhandlungstermine am 13., 24., 26. und 27. April 2017 irrtümlich in Aussicht gestellt worden, da in dieser Zeit wegen Urlaubs der der Strafkammer angehörenden Schöffen keine Hauptverhandlung hätte stattfinden können. Am 5. Mai 2017 fanden außerdem vormittags wie nachmittags Hauptverhandlungen der Strafkammer in zwei anderen Haftsachen statt, ferner fallen die Termine vom 17. und 18. Mai 2017 in die Urlaubszeit richterlicher Mitglieder der Strafkammer, wobei der Senat insoweit allerdings davon ausgeht, dass diese letztgenannten drei Termine zur Zeit der entsprechenden Erörterung mit dem Verteidiger noch für eine Verhandlung in der vorliegenden Sache zur Verfügung gestanden hätten und die entsprechende Hauptverhandlungs- und Urlaubsplanung erst später erfolgt ist.

53

Gleichwohl kann bei dieser Sachlage nicht davon ausgegangen werden, dass die geringe Terminierungsdichte im Zeitraum von März bis Mai 2017 vorwiegend auf Verhinderungen des Verteidigers zurückzuführen ist, die nicht bei frühzeitigerer Planung und Anberaumung weiterer Hauptverhandlungstermine weitgehend hätten vermieden werden können.

54

(6) Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung war zunächst zu berücksichtigen, dass das Verfahren aufgrund des besonders schweren Tatvorwurfs von hoher Bedeutung ist und die Straferwartung des Angeklagten sich durch die erstinstanzliche Verurteilung auf das hohe Maß von acht Jahren Freiheitsstrafe konkretisiert hat. Ergänzend war zu beachten, dass sich das daraus resultierende gewichtige Strafverfolgungsinteresse durch den Erlass eines erstinstanzlichen Urteils verstärkt hat (vgl. oben Ziff. 2. a)).

55

Diesen Gesichtspunkten waren die mit derzeit etwa einem Jahr und fünf Monaten lange, wenn auch noch nicht sehr lange, Dauer der bisherigen Untersuchungshaft des Angeklagten sowie insbesondere das ganz erhebliche Ausmaß der eingetretenen Verfahrensverzögerung gegenüberzustellen, die auch lediglich in geringem Umfang durch die angemessene bis zügige Förderung des Verfahrens im Stadium vor Beginn der Hauptverhandlung aufgewogen werden.

56

Im Hinblick auf das Gewicht der Tat war schließlich relativierend zu beachten, dass nach den vorgenannten Rechtsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Dauer der Untersuchungshaft auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen setzt und entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen, allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen vermögen (vgl. oben Ziff. 2. a)).

57

Nach Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte rechtfertigt das Gewicht des Strafverfolgungsinteresses in der vorliegenden Sache die Fortdauer der Untersuchungshaft insbesondere angesichts des Umfangs der vermeidbaren Verfahrensverzögerung nicht mehr.

III.

58

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt entsprechend § 467 Abs. 1 StPO die Staatskasse.

Urteilsbesprechung zu Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 06. Okt. 2017 - 2 Ws 161/17

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Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 06. Okt. 2017 - 2 Ws 161/17 zitiert 7 §§.

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(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßr

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 304 Zulässigkeit


(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

Strafprozeßordnung - StPO | § 116 Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls


(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werd

Strafprozeßordnung - StPO | § 275 Absetzungsfrist und Form des Urteils


(1) Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hau

Referenzen - Urteile

Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 06. Okt. 2017 - 2 Ws 161/17 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 06. Okt. 2017 - 2 Ws 161/17 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 13. Okt. 2016 - 2 BvR 1275/16

bei uns veröffentlicht am 13.10.2016

Tenor 1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 - 1 Ws 56/16 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. D

Referenzen

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich

1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden,
2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen,
3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen,
4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.

(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.

(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.

(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn

1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,
2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder
3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 - 1 Ws 56/16 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft durch eine Beschwerdeentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts.

I.

2

Das Zollfahndungsamt Frankfurt am Main leitete gegen den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 22. Februar 2013 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Tabaksteuerhinterziehung ein.

3

Der Beschwerdeführer wurde am 27. November 2014 wegen des Verdachts der bandenmäßigen Tabaksteuerhinterziehung aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. November 2014 festgenommen. Er befand sich, zuletzt auf Grundlage des Beschlusses der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 5. November 2015, bis zum 22. Juli 2016 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen.

4

Am 9. September 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) Anklage gegen den Beschwerdeführer. Ihm wurde darin vorgeworfen, sich mit fünf weiteren Angeklagten zu einer Bande zusammengeschlossen zu haben, welche in 33 Fällen arbeitsteilig und in wechselnder Besetzung in Italien produzierte Zigaretten in ein Lager nach Nauen in Deutschland geschmuggelt und sie anschließend dem illegalen Wirtschaftskreislauf zugeführt habe. Dabei sei ein Steuerschaden in Höhe von 58.463.622,32 Euro entstanden.

5

Am 5. November 2015 eröffnete das Landgericht Potsdam - Wirtschaftsstrafkammer - das Hauptverfahren und bestimmte deren Beginn auf den 27. November 2015.

6

Ungeachtet einer von dem Vorsitzenden der zuständigen 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam am 6. Oktober 2015 erstatteten Überlastungsanzeige begann am 27. November 2015 die Hauptverhandlung. Diese musste nach dem sechsten Verhandlungstag, der am 8. Januar 2016 stattgefunden hatte, gemäß § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO am 26. Januar 2016 ausgesetzt werden, weil die Höchstdauer der zulässigen Unterbrechung von drei Wochen nicht eingehalten werden konnte. Dem lag zugrunde, dass die für den 14. und 15. Januar 2016 angesetzten Verhandlungstage wegen Erkrankung eines beisitzenden Richters der Strafkammer aufgehoben werden mussten und die darauffolgenden Verhandlungstage aufgrund eines Sportunfalls des Vorsitzenden der Strafkammer ebenfalls nicht stattfinden konnten.

7

Am 8. Februar 2016 terminierte der stellvertretende Kammervorsitzende unter erstmaliger Anordnung der Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters und eines Ergänzungsschöffen die Fortführung der Hauptverhandlung auf den 26. Februar 2016.

8

Mit Verfügung vom 24. Februar 2016 mussten die Verfahrensbeteiligten jedoch vor Beginn der Hauptverhandlung aufgrund Erkrankung des Berichterstatters wieder abgeladen werden.

9

Bis dahin stand auch kein Ergänzungsrichter für das Verfahren zur Verfügung. In einem Vermerk des stellvertretenden Kammervorsitzenden vom 25. Februar 2016 heißt es dazu: "Darüber hinaus gestaltete sich die Suche nach einem Vertreter für den erkrankten VRiLG […]und einem Ergänzungsrichter sehr schwierig, da sich sämtliche Strafrichter und die überwiegende Zahl der Zivilrichter für verhindert erklärt haben. Eine diesbezügliche Mitteilung des Präsidenten des LG, der über die Terminsaufhebung für den morgigen Freitag informiert ist, liegt mir auch jetzt nicht vor, so dass derzeit noch nicht einmal die Gerichtsbesetzung mitgeteilt werden kann."

10

Die Hauptverhandlung begann am 10. März 2016 ein zweites Mal. Allerdings musste der stellvertretende Kammervorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilen, dass der zwischenzeitlich bestellte Ergänzungsrichter erkrankt sei. Das Verfahren wurde daraufhin zum zweiten Mal ausgesetzt.

11

Noch in der Hauptverhandlung vom 10. März 2016 waren die Verfahrensbeteiligten zu einem neuen Termin auf den 17. März 2016 geladen worden. In der Hauptverhandlung vom 17. März 2016 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers eine Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 222a Abs. 2 StPO, um die Ordnungsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung überprüfen zu können. Darüber hinaus stellte einer der Mitangeklagten, wie auch schon beim ersten Beginn der Hauptverhandlung, einen Befangenheitsantrag gegen den stellvertretenden Kammervorsitzenden, dem sich der Beschwerdeführer anschloss. Im Hinblick darauf wurde die Hauptverhandlung im Anschluss an die Verlesung der Anklageschrift unterbrochen und der auf den 18. März 2016 anberaumte Hauptverhandlungstermin aufgehoben.

12

Mit Beschluss vom 14. März 2016 ordnete das Brandenburgische Oberlandesgericht erneut Haftfortdauer an. Bereits zuvor hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschlüssen vom 16. Juni 2015 und vom 1. Oktober 2015 Haftfortdauer angeordnet.

13

Die Hauptverhandlung wurde am 31. März 2016 fortgesetzt. Im Termin am 31. März 2016 rügte der Verteidiger des Beschwerdeführers die fehlerhafte Besetzung des Gerichts. Dem lag zugrunde, dass der stellvertretende Vorsitzende mit Verfügung vom 11. März 2016 einen Hauptschöffen an den Hauptverhandlungstagen vom 17. und 18. März 2016 von der Dienstleistung entbunden hatte, obwohl dieser lediglich angezeigt hatte, vom 4. bis 8. April sowie am 22. April 2016 an der Dienstleistung gehindert zu sein.

14

Im Hinblick darauf stellte das Gericht mit Beschluss vom 6. April 2016 fest, dass es aus den Gründen der erhobenen Rüge fehlerhaft besetzt sei.

15

Die Hauptverhandlung wurde daraufhin zum dritten Mal ausgesetzt.

16

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 14. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise, ihn gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Mit Beschluss vom 19. April 2016 half das Landgericht Potsdam der Haftbeschwerde nicht ab.

17

Die Hauptverhandlung begann am 29. April 2016 erneut.

18

Zu Beginn der Hauptverhandlung teilte der wieder in den Dienst zurückgekehrte Vorsitzende Richter der Strafkammer den Verfahrensbeteiligten mit, dass sich die mitgeteilte Gerichtsbesetzung wegen Erkrankung einer Hauptschöffin geändert habe.

19

Der Verteidiger des Beschwerdeführers beantragte daraufhin zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Besetzung die Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 222a Abs. 2 StPO.

20

Der Vorsitzende ordnete im Hinblick darauf nach Verlesung der Anklageschrift die Unterbrechung der Hauptverhandlung an, welche am 11. Mai 2016 fortgesetzt wurde.

21

Zu Beginn der Hauptverhandlung am 11. Mai 2016 erhob der Verteidiger des Beschwerdeführers abermals eine Besetzungsrüge. Für eine aus gesundheitlichen Gründen von der Hauptschöffenliste gestrichene Hauptschöffin hatte der Vorsitzende eine Hilfsschöffin aus der Hilfsschöffenliste herangezogen. Bei richtiger Rechtsanwendung hätte jedoch gemäß § 48 Abs. 2 GVG die bereits geladene Ergänzungsschöffin als Hauptschöffin in die Kammer einrücken müssen.

22

Zur Prüfung der Besetzungsrüge wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen. Bei ihrer Fortsetzung am 12. Mai 2016 verkündete der Vorsitzende zu Beginn den Beschluss der Strafkammer vom selben Tage, wonach das Gericht aus den in der Rüge genannten Gründen mit der Hauptschöffin nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Als Folge wurde die Hauptverhandlung zum vierten Male ausgesetzt.

23

Mit hier angefochtenem Beschluss vom 23. Mai 2016 verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht die Haftbeschwerde als unbegründet. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft stehe auch angesichts der langen Verfahrensdauer von fast einem Jahr und sechs Monaten zur Bedeutung der Sache, die auch in dem hohen Gesamtsteuerschaden von über 58 Millionen Euro zum Ausdruck komme, nicht außer Verhältnis. Dem in Haftsachen im besonderen Maße geltenden Beschleunigungsgebot sei Genüge getan. Hierbei sei zunächst der extrem große Aktenumfang zu berücksichtigen, in den sich Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidiger hätten einarbeiten müssen. Das Beschleunigungsgebot habe bereits im Ermittlungsverfahren hinreichend Beachtung gefunden. Auch seitens der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Potsdam sei das Verfahren nach Eingang der Anklageschrift ohne Verzögerung bearbeitet worden. Der Verteidigung sei zwar darin beizupflichten, dass mehrfache Terminsaufhebungen und Aussetzungsentscheidungen ihre Ursache in der Sphäre der Justiz hätten, jedoch führe nicht jede Terminsaufhebung oder Aussetzung zugleich zu einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot. So stelle beispielsweise der unfall- und damit krankheitsbedingte längerfristige Ausfall des Kammervorsitzenden ein für alle Beteiligten unvorhersehbares Ereignis dar. Die durch die Aussetzung der Hauptverhandlung bedingte Verfahrensverzögerung habe die Wirtschaftsstrafkammer teilweise durch eine zügige Anberaumung des Neubeginns der Hauptverhandlung unter Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters sowie eines Ergänzungsschöffen kompensiert. Der krankheitsbedingte Ausfall des berichterstattenden Richters stelle ebenfalls ein für alle Beteiligten unvorhersehbares Ereignis dar. Die Verlegung des Neubeginns der Hauptverhandlung auf den nächstmöglichen Termin, der wegen Verhinderung der Verteidigung eines Mitangeklagten erst auf den 10. März 2016 bestimmt werden konnte, sei als überaus zügig anzusehen. Dass der für diesen Termin vorgesehene Ergänzungsrichter wenige Tage zuvor erkrankt sei und sich kurzfristig kein weiterer Ergänzungsrichter habe finden lassen, stelle ebenfalls noch kein gerichtsorganisatorisches Versäumnis dar, das einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründen könnte. Die Anberaumung des Beginns der Hauptverhandlung auf den 17. März 2016 dokumentiere vielmehr das Bemühen der Kammer, das Verfahren weiterhin zügig durchzuführen. Die Aussetzung der Hauptverhandlung durch die Beschlüsse der Wirtschaftsstrafkammer vom 6. April 2016 und vom 12. Mai 2016 infolge fehlerhafter Schöffenbesetzung habe zwar zu einer Verfahrensverzögerung von zweieinhalb Monaten geführt. Diese Verzögerung sei jedoch durch eine - angesichts der am Verfahren beteiligten neun Verteidiger, vier Richter und drei Schöffen - überaus zügige Neuterminierung minimiert worden. Noch am Tag des letzten Aussetzungsbeschlusses habe der Kammervorsitzende einen neuen Termin zur Hauptverhandlung für den 2. Juni 2016 anberaumt und die Fortsetzungstermine für den Zeitraum bis zum 22. August 2016 bestimmt. All dies zeige, dass die Strafkammer auf Krankheitsfälle und fehlerhafte Gerichtsbesetzung überaus schnell reagiert habe; sowohl durch die zügige Neuterminierung als auch durch die enge Verhandlungsdichte habe die Wirtschaftsstrafkammer die eingetretene Verzögerung zumindest teilweise kompensiert. Eine Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung sei ihr nicht vorzuwerfen. Die fehlerhafte Besetzung des Gerichts führe zu einem Rechtsfehler, der nicht identisch sei mit einem Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz. Die Wirtschaftsstrafkammer werde indes die eingetretene Verfahrensverzögerung im Falle eines Schuldspruchs gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung werde sie eine Kompensation nach der Vollstreckungslösung zu erwägen haben.

24

Die Hauptverhandlung begann am 2. Juni 2016 erneut. Seitdem ist am 2., 9., 10., 15., 16., 22., 23. und 30. Juni 2016, am 1., 7., 14., 21. und 22. Juli, am 22. und 23. August 2016 sowie am 15., 16., 20., 23., 27. und 30. September 2016 verhandelt worden. Für den 4., 7., 11. und 14. Oktober 2016 und den 14. November 2016 sind weitere Hauptverhandlungstermine anberaumt worden.

25

Mit Beschluss vom 21. Juli 2016 hat die 5. Strafkammer des Landgerichts Potsdam den Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. November 2014 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 5. November 2015 gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000 Euro und Abgabe sämtlicher inländischen und ausländischen Identitätspapiere außer Vollzug gesetzt. Der Beschwerdeführer hat diese Bedingungen am 22. Juli 2016 erfüllt und wurde am selben Tag unter anderem mit der Auflage aus der Untersuchungshaft entlassen, das Gebiet der Länder Berlin und Brandenburg nicht ohne vorherige Genehmigung des Landgerichts Potsdam zu verlassen und sich in denjenigen Wochen, in denen keine Hauptverhandlungstage anberaumt seien, zweimal wöchentlich bei der für seinen Wohnort zuständigen Dienststelle zu melden.

26

Die Hauptakte besteht aus 54 Bänden mit insgesamt über 11.000 Seiten, Sonderbänden mit insgesamt über 24.000 Seiten sowie zehn Ergänzungsbänden mit über 2.500 Seiten. Darüber hinaus sind Parallelverfahren relevant, die gegen 17 mutmaßliche Abnehmer und Vertreiber der geschmuggelten Zigaretten geführt werden und weitere 38 Bände Hauptakten mit insgesamt über 7.000 Seiten umfassen.

II.

27

Mit seiner am 20. Juni 2016 gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 erhobenen Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Brandenburgische Oberlandesgericht habe seine Haftbeschwerde verworfen, obwohl der damit einhergehende weitere Vollzug der Untersuchungshaft aufgrund gravierender rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen gegen das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot verstoße.

28

Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen resultiere zunächst daraus, dass bei Terminierung der Hauptverhandlung auf den 27. November 2015 unterlassen worden sei, die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters anzuordnen. Der Beschwerdeführer habe aufgrund dessen Untersuchungshaft vom 27. November 2015 bis zum 17. März 2016 verbringen müssen, ohne dass eine für das Verfahren relevante Hauptverhandlung stattgefunden habe. Diese Verfahrensverzögerung sei rechtsstaatswidrig und vermeidbar. Aufgrund der bisherigen Untersuchungshaft, der Anzahl der Hauptverhandlungstage und des Aktenumfanges sei die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters gemäß § 192 Abs. 2 GVG offensichtlich erforderlich und geboten gewesen. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg wäre verpflichtet gewesen, für die ausreichende personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam Sorge zu tragen. Die infolge der mangelhaften personellen Ausstattung eingetretene Verzögerung verletze das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot.

29

Auch die weiteren Verzögerungen seien durch die falsche Besetzung des Gerichts bei der Hauptverhandlung am 6. April 2016 als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu werten. Auch diese Ursache liege ausschließlich in der Sphäre der Justiz. Gleiches gelte für den Besetzungsfehler, der zur Aussetzung der am 12. Mai 2016 begangenen Hauptverhandlung geführt habe.

30

Die im Hauptverfahren eingetretenen Verfahrensverzögerungen seien bereits jeweils für sich betrachtet, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit, in gravierender Weise geeignet, gegen das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu verstoßen. Damit sei der weitere Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer unverhältnismäßig geworden. Dies habe das Oberlandesgericht verkannt.

31

Das Oberlandesgericht habe in den Gründen des angegriffen Beschlusses zudem selbst anerkannt, dass es zu relevanten Verfahrensverzögerung gekommen sei, deren Rechtsstaatswidrigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Allerdings gehe das Oberlandesgericht zugleich davon aus, dass die festgestellten Verzögerungen des Verfahrens keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot darstellten, sondern diesem hinreichend Rechnung getragen worden sei. Diese Ausführungen seien in sich widersprüchlich. Das Gericht könne dem Beschwerdeführer nicht eine Kompensation für mögliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen in Aussicht stellen, gleichzeitig aber konstatieren, dem Beschleunigungsgebot sei in jedem Fall Genüge getan.

32

Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2016 hat der Beschwerdeführer im Anschluss an die Außervollzugsetzung des Haftbefehls den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Anträge aus der Verfassungsbeschwerde insoweit für erledigt erklärt, als beantragt worden ist, anzuordnen, ihn unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Verfassungsbeschwerde aufrechterhalten.

III.

33

1. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof werden die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung unter Berücksichtigung der hier geforderten Begründungstiefe den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vollständig gerecht. Die Entscheidung lasse besorgen, dass das Gericht bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates die Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht ausreichend berücksichtigt habe. Die Entscheidung weise nicht die für eine Haftfortdauerentscheidung erforderliche Begründungstiefe auf. Denn die Begründung lasse eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses nicht in dem von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG geforderten Maße zu. Es lasse sich schon nicht sicher feststellen, ob der Entscheidung der zutreffende Maßstab zugrunde gelegt worden sei.

34

2. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg hat, soweit der Beschwerdeführer eine mangelnde personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam und eine Verletzung der Justizgewährungspflicht gerügt hat, darauf hingewiesen, dass die Personalausstattung unter Zugrundelegung des bundesweit einheitlich angewandten Berechnungssystems dem Personalbedarf Rechnung trage. Es sei nicht möglich und auch durch den Justizgewährleistungsanspruch nicht geboten, richterliche Arbeitskraft in solchem Umfang in Reserve zu halten, dass jeder unvorhergesehene krankheitsbedingte Ausfall sofort ausgeglichen werden könne. Im Übrigen hat das Ministerium von einer Stellungnahme abgesehen.

35

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens in elektronischer Form vorgelegen.

B.

36

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

37

Das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers ist nicht dadurch entfallen, dass der Haftbefehl nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde außer Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Januar 1995 - 2 BvR 2846/93 -, juris, Rn. 14). Trotz der Außervollzugsetzung ist der Fortbestand des Haftbefehls insbesondere unter Berücksichtigung der erteilten freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers verbunden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Dezember 2000 - 2 BvR 1706/00 -, juris, Rn. 12).

II.

38

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, weil er den an eine Haftfortdauerentscheidung zu stellenden Anforderungen zur verfassungsrechtlich gebotenen Begründungstiefe nicht genügt.

39

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

40

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen.

41

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <370 f.>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 32).

42

Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>; 19, 428 <433>).

43

Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 15, 474, <480>; 17, 517, <523>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, juris, Rn. 42 und vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 41).

44

Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (BVerfGK 7, 140 <155>).

45

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein (vgl. BVerfGE 36, 264 <273 ff.>). Vielmehr kann sie selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (BVerfGE 36, 264 <273 ff.>). Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264 <275>).

46

Im Rahmen der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen; insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 37). Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei auch unter Berücksichtigung der genannten Aspekte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 45 und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36).

47

Da der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>), unterliegen Haftfortdauerentscheidungen insofern einer erhöhten Begründungstiefe (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>; BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrer Gewichtigkeit verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 39).

48

Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl. Sie sind darüber hinaus auch für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl (§ 116 StPO) von Bedeutung (vgl. BVerfGE 53, 152 <159>; BVerfGK 6, 384 <391>). Beschränkungen, denen der Beschuldigte durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <397>). Denn auch dann, wenn Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, kann allein schon die Existenz eines Haftbefehls für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung darstellen, weil sich mit ihm regelmäßig die Furcht vor einem (erneuten) Vollzug verbindet (vgl. BVerfGE 53, 152 <161>; BVerfGK 6, 384 <391>).

III.

49

Diesen Maßstäben genügt die angegriffene Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht. Sie enthält keine in jeder Hinsicht verfassungsrechtlich tragfähige Begründung für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft.

50

1. Soweit das Oberlandesgericht allerdings angenommen hat, dass während des Ermittlungsverfahrens und des Zwischenverfahrens das Beschleunigungsgebot hinreichend Beachtung gefunden habe, ist die Entscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Durchgreifende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot sind - wovon das Oberlandesgericht zutreffend ausgegangen ist - angesichts des erkennbaren Umfangs und der Komplexität des zu klärenden Sachverhalts nicht ersichtlich.

51

2. Ein Verfassungsverstoß ist auch nicht darin zu erkennen, dass die angegriffene Entscheidung die unterbliebene Bestellung eines Ergänzungsrichters vor Beginn der Hauptverhandlung im November 2015 als noch nicht zurechenbare Verzögerung des Verfahrens gewertet hat. Das Landgericht musste sich zu diesem Zeitpunkt zur Bestellung eines Ergänzungsrichters (noch) nicht gedrängt sehen. Der spätere Verlauf des Verfahrens, der die mehrfache Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich machte, war zu diesem Zeitpunkt für das Landgericht nicht absehbar.

52

3. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum krankheitsbedingten Ausfall des Kammervorsitzenden und des berichterstattenden Richters lassen einen Verfassungsverstoß ebenfalls nicht erkennen. Krankheitsbedingte Ausfälle stellen unvorhersehbare Ereignisse dar, die nicht in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft fallen. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen gebietet in solchen Fällen indes, dass das Tatgericht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreift, um einen zügigen Fortgang der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Die Gründe der angegriffenen Entscheidung lassen erkennen, dass sich das Oberlandesgericht mit diesem Gesichtspunkt in der gebotenen Tiefe auseinandergesetzt hat. Indem es dargelegt hat, dass das Landgericht auf die mit den krankheitsbedingten Ausfällen einhergehenden unvermeidbaren Verzögerungen jeweils mit zügiger Neuterminierung reagiert hat, ist es zu einem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt.

53

4. Die Würdigung der jeweiligen Besetzungsfehler hält der verfassungsrechtlichen Kontrolle hingegen nicht stand. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts erreichen die verfassungsrechtlich gebotene Begründungstiefe insoweit nicht; sie machen bereits den Maßstab, welcher der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer zugrunde gelegt worden ist, nicht deutlich.

54

Zunächst geht das Oberlandesgericht davon aus, die durch die Besetzungsfehler eingetretene Verfahrensverzögerung von zweieinhalb Monaten sei durch die rasche Neuterminierung der Strafkammer "minimiert" worden. An anderer Stelle wird ohne nähere Erläuterung ausgeführt, die Verzögerung sei auch durch die nachfolgende enge Verhandlungsdichte "zumindest teilweise kompensiert" worden. Dies legt den Schluss nahe, dass das Oberlandesgericht von vermeidbaren und damit für das Beschleunigungsgebot in Haftsachen relevanten Verfahrensverzögerungen ausgegangen ist, die nachfolgend nicht, jedenfalls nicht vollständig ausgeglichen worden sind.

55

Demgegenüber stellt das Oberlandesgericht im Anschluss daran fest, eine Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung sei der Kammer nicht vorzuwerfen, denn die bei der Besetzung begangenen Rechtsfehler seien "nicht identisch mit einem Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz".

56

Dieser Widerspruch wird dadurch verstärkt, dass das Oberlandesgericht zum Abschluss seiner rechtlichen Würdigung ausführt, die Wirtschaftsstrafkammer werde die eingetretene Verfahrensverzögerung im Falle eines Schuldspruchs "gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen" und im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung "eine Kompensation nach der Vollstreckungslösung erwägen müssen".

57

Angesichts dessen lassen die Gründe der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend erkennen, welchen Maßstab das Oberlandesgericht der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer zugrunde gelegt hat. Es bleibt unklar, ob das Oberlandesgericht bei seiner Wertung von einer verfassungsrechtlich relevanten, im Ergebnis nur teilweise kompensierten Verfahrensverzögerung, von einer nicht zurechenbaren Verfahrensverzögerung oder sogar von einer insgesamt rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ausgegangen ist.

58

Diese Abgrenzung durfte das Oberlandesgericht nicht offen lassen. Vor dem Hintergrund, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits seit 18 Monaten in Untersuchungshaft befunden hat und der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder zu dem Erlass des Urteils nur in ganz besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 45 und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36), unterlag die angegriffene Entscheidung einer erhöhten Begründungstiefe, die in sich schlüssige und widerspruchsfreie Ausführungen zum zugrunde gelegten Prüfungsmaßstab gebietet. Diesen Anforderungen hat das Oberlandesgericht ersichtlich nicht genügt.

IV.

59

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Der angegriffene Beschluss ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht wird - nachdem der Haftbefehl inzwischen außer Vollzug gesetzt worden ist - unter Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen erneut zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen der Untersuchungshaft noch vorliegen. Andernfalls wird es den Haftbefehl aufzuheben haben.

V.

60

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

VI.

61

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Da die Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen erfolgreich ist und sie auch, soweit sie der Beschwerdeführer für erledigt erklärt hat, offensichtlich Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, erscheint es angemessen, dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten.

VII.

62

Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen und beträgt mindestens 5.000 Euro. Er liegt höher, wenn der Verfassungsbeschwerde aufgrund einer Entscheidung der Kammer stattgegeben wird. Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.


63

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 - 1 Ws 56/16 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft durch eine Beschwerdeentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts.

I.

2

Das Zollfahndungsamt Frankfurt am Main leitete gegen den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 22. Februar 2013 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Tabaksteuerhinterziehung ein.

3

Der Beschwerdeführer wurde am 27. November 2014 wegen des Verdachts der bandenmäßigen Tabaksteuerhinterziehung aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. November 2014 festgenommen. Er befand sich, zuletzt auf Grundlage des Beschlusses der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 5. November 2015, bis zum 22. Juli 2016 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen.

4

Am 9. September 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) Anklage gegen den Beschwerdeführer. Ihm wurde darin vorgeworfen, sich mit fünf weiteren Angeklagten zu einer Bande zusammengeschlossen zu haben, welche in 33 Fällen arbeitsteilig und in wechselnder Besetzung in Italien produzierte Zigaretten in ein Lager nach Nauen in Deutschland geschmuggelt und sie anschließend dem illegalen Wirtschaftskreislauf zugeführt habe. Dabei sei ein Steuerschaden in Höhe von 58.463.622,32 Euro entstanden.

5

Am 5. November 2015 eröffnete das Landgericht Potsdam - Wirtschaftsstrafkammer - das Hauptverfahren und bestimmte deren Beginn auf den 27. November 2015.

6

Ungeachtet einer von dem Vorsitzenden der zuständigen 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam am 6. Oktober 2015 erstatteten Überlastungsanzeige begann am 27. November 2015 die Hauptverhandlung. Diese musste nach dem sechsten Verhandlungstag, der am 8. Januar 2016 stattgefunden hatte, gemäß § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO am 26. Januar 2016 ausgesetzt werden, weil die Höchstdauer der zulässigen Unterbrechung von drei Wochen nicht eingehalten werden konnte. Dem lag zugrunde, dass die für den 14. und 15. Januar 2016 angesetzten Verhandlungstage wegen Erkrankung eines beisitzenden Richters der Strafkammer aufgehoben werden mussten und die darauffolgenden Verhandlungstage aufgrund eines Sportunfalls des Vorsitzenden der Strafkammer ebenfalls nicht stattfinden konnten.

7

Am 8. Februar 2016 terminierte der stellvertretende Kammervorsitzende unter erstmaliger Anordnung der Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters und eines Ergänzungsschöffen die Fortführung der Hauptverhandlung auf den 26. Februar 2016.

8

Mit Verfügung vom 24. Februar 2016 mussten die Verfahrensbeteiligten jedoch vor Beginn der Hauptverhandlung aufgrund Erkrankung des Berichterstatters wieder abgeladen werden.

9

Bis dahin stand auch kein Ergänzungsrichter für das Verfahren zur Verfügung. In einem Vermerk des stellvertretenden Kammervorsitzenden vom 25. Februar 2016 heißt es dazu: "Darüber hinaus gestaltete sich die Suche nach einem Vertreter für den erkrankten VRiLG […]und einem Ergänzungsrichter sehr schwierig, da sich sämtliche Strafrichter und die überwiegende Zahl der Zivilrichter für verhindert erklärt haben. Eine diesbezügliche Mitteilung des Präsidenten des LG, der über die Terminsaufhebung für den morgigen Freitag informiert ist, liegt mir auch jetzt nicht vor, so dass derzeit noch nicht einmal die Gerichtsbesetzung mitgeteilt werden kann."

10

Die Hauptverhandlung begann am 10. März 2016 ein zweites Mal. Allerdings musste der stellvertretende Kammervorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilen, dass der zwischenzeitlich bestellte Ergänzungsrichter erkrankt sei. Das Verfahren wurde daraufhin zum zweiten Mal ausgesetzt.

11

Noch in der Hauptverhandlung vom 10. März 2016 waren die Verfahrensbeteiligten zu einem neuen Termin auf den 17. März 2016 geladen worden. In der Hauptverhandlung vom 17. März 2016 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers eine Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 222a Abs. 2 StPO, um die Ordnungsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung überprüfen zu können. Darüber hinaus stellte einer der Mitangeklagten, wie auch schon beim ersten Beginn der Hauptverhandlung, einen Befangenheitsantrag gegen den stellvertretenden Kammervorsitzenden, dem sich der Beschwerdeführer anschloss. Im Hinblick darauf wurde die Hauptverhandlung im Anschluss an die Verlesung der Anklageschrift unterbrochen und der auf den 18. März 2016 anberaumte Hauptverhandlungstermin aufgehoben.

12

Mit Beschluss vom 14. März 2016 ordnete das Brandenburgische Oberlandesgericht erneut Haftfortdauer an. Bereits zuvor hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschlüssen vom 16. Juni 2015 und vom 1. Oktober 2015 Haftfortdauer angeordnet.

13

Die Hauptverhandlung wurde am 31. März 2016 fortgesetzt. Im Termin am 31. März 2016 rügte der Verteidiger des Beschwerdeführers die fehlerhafte Besetzung des Gerichts. Dem lag zugrunde, dass der stellvertretende Vorsitzende mit Verfügung vom 11. März 2016 einen Hauptschöffen an den Hauptverhandlungstagen vom 17. und 18. März 2016 von der Dienstleistung entbunden hatte, obwohl dieser lediglich angezeigt hatte, vom 4. bis 8. April sowie am 22. April 2016 an der Dienstleistung gehindert zu sein.

14

Im Hinblick darauf stellte das Gericht mit Beschluss vom 6. April 2016 fest, dass es aus den Gründen der erhobenen Rüge fehlerhaft besetzt sei.

15

Die Hauptverhandlung wurde daraufhin zum dritten Mal ausgesetzt.

16

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 14. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise, ihn gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Mit Beschluss vom 19. April 2016 half das Landgericht Potsdam der Haftbeschwerde nicht ab.

17

Die Hauptverhandlung begann am 29. April 2016 erneut.

18

Zu Beginn der Hauptverhandlung teilte der wieder in den Dienst zurückgekehrte Vorsitzende Richter der Strafkammer den Verfahrensbeteiligten mit, dass sich die mitgeteilte Gerichtsbesetzung wegen Erkrankung einer Hauptschöffin geändert habe.

19

Der Verteidiger des Beschwerdeführers beantragte daraufhin zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Besetzung die Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 222a Abs. 2 StPO.

20

Der Vorsitzende ordnete im Hinblick darauf nach Verlesung der Anklageschrift die Unterbrechung der Hauptverhandlung an, welche am 11. Mai 2016 fortgesetzt wurde.

21

Zu Beginn der Hauptverhandlung am 11. Mai 2016 erhob der Verteidiger des Beschwerdeführers abermals eine Besetzungsrüge. Für eine aus gesundheitlichen Gründen von der Hauptschöffenliste gestrichene Hauptschöffin hatte der Vorsitzende eine Hilfsschöffin aus der Hilfsschöffenliste herangezogen. Bei richtiger Rechtsanwendung hätte jedoch gemäß § 48 Abs. 2 GVG die bereits geladene Ergänzungsschöffin als Hauptschöffin in die Kammer einrücken müssen.

22

Zur Prüfung der Besetzungsrüge wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen. Bei ihrer Fortsetzung am 12. Mai 2016 verkündete der Vorsitzende zu Beginn den Beschluss der Strafkammer vom selben Tage, wonach das Gericht aus den in der Rüge genannten Gründen mit der Hauptschöffin nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Als Folge wurde die Hauptverhandlung zum vierten Male ausgesetzt.

23

Mit hier angefochtenem Beschluss vom 23. Mai 2016 verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht die Haftbeschwerde als unbegründet. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft stehe auch angesichts der langen Verfahrensdauer von fast einem Jahr und sechs Monaten zur Bedeutung der Sache, die auch in dem hohen Gesamtsteuerschaden von über 58 Millionen Euro zum Ausdruck komme, nicht außer Verhältnis. Dem in Haftsachen im besonderen Maße geltenden Beschleunigungsgebot sei Genüge getan. Hierbei sei zunächst der extrem große Aktenumfang zu berücksichtigen, in den sich Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidiger hätten einarbeiten müssen. Das Beschleunigungsgebot habe bereits im Ermittlungsverfahren hinreichend Beachtung gefunden. Auch seitens der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Potsdam sei das Verfahren nach Eingang der Anklageschrift ohne Verzögerung bearbeitet worden. Der Verteidigung sei zwar darin beizupflichten, dass mehrfache Terminsaufhebungen und Aussetzungsentscheidungen ihre Ursache in der Sphäre der Justiz hätten, jedoch führe nicht jede Terminsaufhebung oder Aussetzung zugleich zu einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot. So stelle beispielsweise der unfall- und damit krankheitsbedingte längerfristige Ausfall des Kammervorsitzenden ein für alle Beteiligten unvorhersehbares Ereignis dar. Die durch die Aussetzung der Hauptverhandlung bedingte Verfahrensverzögerung habe die Wirtschaftsstrafkammer teilweise durch eine zügige Anberaumung des Neubeginns der Hauptverhandlung unter Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters sowie eines Ergänzungsschöffen kompensiert. Der krankheitsbedingte Ausfall des berichterstattenden Richters stelle ebenfalls ein für alle Beteiligten unvorhersehbares Ereignis dar. Die Verlegung des Neubeginns der Hauptverhandlung auf den nächstmöglichen Termin, der wegen Verhinderung der Verteidigung eines Mitangeklagten erst auf den 10. März 2016 bestimmt werden konnte, sei als überaus zügig anzusehen. Dass der für diesen Termin vorgesehene Ergänzungsrichter wenige Tage zuvor erkrankt sei und sich kurzfristig kein weiterer Ergänzungsrichter habe finden lassen, stelle ebenfalls noch kein gerichtsorganisatorisches Versäumnis dar, das einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründen könnte. Die Anberaumung des Beginns der Hauptverhandlung auf den 17. März 2016 dokumentiere vielmehr das Bemühen der Kammer, das Verfahren weiterhin zügig durchzuführen. Die Aussetzung der Hauptverhandlung durch die Beschlüsse der Wirtschaftsstrafkammer vom 6. April 2016 und vom 12. Mai 2016 infolge fehlerhafter Schöffenbesetzung habe zwar zu einer Verfahrensverzögerung von zweieinhalb Monaten geführt. Diese Verzögerung sei jedoch durch eine - angesichts der am Verfahren beteiligten neun Verteidiger, vier Richter und drei Schöffen - überaus zügige Neuterminierung minimiert worden. Noch am Tag des letzten Aussetzungsbeschlusses habe der Kammervorsitzende einen neuen Termin zur Hauptverhandlung für den 2. Juni 2016 anberaumt und die Fortsetzungstermine für den Zeitraum bis zum 22. August 2016 bestimmt. All dies zeige, dass die Strafkammer auf Krankheitsfälle und fehlerhafte Gerichtsbesetzung überaus schnell reagiert habe; sowohl durch die zügige Neuterminierung als auch durch die enge Verhandlungsdichte habe die Wirtschaftsstrafkammer die eingetretene Verzögerung zumindest teilweise kompensiert. Eine Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung sei ihr nicht vorzuwerfen. Die fehlerhafte Besetzung des Gerichts führe zu einem Rechtsfehler, der nicht identisch sei mit einem Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz. Die Wirtschaftsstrafkammer werde indes die eingetretene Verfahrensverzögerung im Falle eines Schuldspruchs gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung werde sie eine Kompensation nach der Vollstreckungslösung zu erwägen haben.

24

Die Hauptverhandlung begann am 2. Juni 2016 erneut. Seitdem ist am 2., 9., 10., 15., 16., 22., 23. und 30. Juni 2016, am 1., 7., 14., 21. und 22. Juli, am 22. und 23. August 2016 sowie am 15., 16., 20., 23., 27. und 30. September 2016 verhandelt worden. Für den 4., 7., 11. und 14. Oktober 2016 und den 14. November 2016 sind weitere Hauptverhandlungstermine anberaumt worden.

25

Mit Beschluss vom 21. Juli 2016 hat die 5. Strafkammer des Landgerichts Potsdam den Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. November 2014 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 5. November 2015 gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000 Euro und Abgabe sämtlicher inländischen und ausländischen Identitätspapiere außer Vollzug gesetzt. Der Beschwerdeführer hat diese Bedingungen am 22. Juli 2016 erfüllt und wurde am selben Tag unter anderem mit der Auflage aus der Untersuchungshaft entlassen, das Gebiet der Länder Berlin und Brandenburg nicht ohne vorherige Genehmigung des Landgerichts Potsdam zu verlassen und sich in denjenigen Wochen, in denen keine Hauptverhandlungstage anberaumt seien, zweimal wöchentlich bei der für seinen Wohnort zuständigen Dienststelle zu melden.

26

Die Hauptakte besteht aus 54 Bänden mit insgesamt über 11.000 Seiten, Sonderbänden mit insgesamt über 24.000 Seiten sowie zehn Ergänzungsbänden mit über 2.500 Seiten. Darüber hinaus sind Parallelverfahren relevant, die gegen 17 mutmaßliche Abnehmer und Vertreiber der geschmuggelten Zigaretten geführt werden und weitere 38 Bände Hauptakten mit insgesamt über 7.000 Seiten umfassen.

II.

27

Mit seiner am 20. Juni 2016 gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 erhobenen Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Brandenburgische Oberlandesgericht habe seine Haftbeschwerde verworfen, obwohl der damit einhergehende weitere Vollzug der Untersuchungshaft aufgrund gravierender rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen gegen das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot verstoße.

28

Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen resultiere zunächst daraus, dass bei Terminierung der Hauptverhandlung auf den 27. November 2015 unterlassen worden sei, die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters anzuordnen. Der Beschwerdeführer habe aufgrund dessen Untersuchungshaft vom 27. November 2015 bis zum 17. März 2016 verbringen müssen, ohne dass eine für das Verfahren relevante Hauptverhandlung stattgefunden habe. Diese Verfahrensverzögerung sei rechtsstaatswidrig und vermeidbar. Aufgrund der bisherigen Untersuchungshaft, der Anzahl der Hauptverhandlungstage und des Aktenumfanges sei die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters gemäß § 192 Abs. 2 GVG offensichtlich erforderlich und geboten gewesen. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg wäre verpflichtet gewesen, für die ausreichende personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam Sorge zu tragen. Die infolge der mangelhaften personellen Ausstattung eingetretene Verzögerung verletze das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot.

29

Auch die weiteren Verzögerungen seien durch die falsche Besetzung des Gerichts bei der Hauptverhandlung am 6. April 2016 als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu werten. Auch diese Ursache liege ausschließlich in der Sphäre der Justiz. Gleiches gelte für den Besetzungsfehler, der zur Aussetzung der am 12. Mai 2016 begangenen Hauptverhandlung geführt habe.

30

Die im Hauptverfahren eingetretenen Verfahrensverzögerungen seien bereits jeweils für sich betrachtet, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit, in gravierender Weise geeignet, gegen das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu verstoßen. Damit sei der weitere Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer unverhältnismäßig geworden. Dies habe das Oberlandesgericht verkannt.

31

Das Oberlandesgericht habe in den Gründen des angegriffen Beschlusses zudem selbst anerkannt, dass es zu relevanten Verfahrensverzögerung gekommen sei, deren Rechtsstaatswidrigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Allerdings gehe das Oberlandesgericht zugleich davon aus, dass die festgestellten Verzögerungen des Verfahrens keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot darstellten, sondern diesem hinreichend Rechnung getragen worden sei. Diese Ausführungen seien in sich widersprüchlich. Das Gericht könne dem Beschwerdeführer nicht eine Kompensation für mögliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen in Aussicht stellen, gleichzeitig aber konstatieren, dem Beschleunigungsgebot sei in jedem Fall Genüge getan.

32

Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2016 hat der Beschwerdeführer im Anschluss an die Außervollzugsetzung des Haftbefehls den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Anträge aus der Verfassungsbeschwerde insoweit für erledigt erklärt, als beantragt worden ist, anzuordnen, ihn unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Verfassungsbeschwerde aufrechterhalten.

III.

33

1. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof werden die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung unter Berücksichtigung der hier geforderten Begründungstiefe den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vollständig gerecht. Die Entscheidung lasse besorgen, dass das Gericht bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates die Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht ausreichend berücksichtigt habe. Die Entscheidung weise nicht die für eine Haftfortdauerentscheidung erforderliche Begründungstiefe auf. Denn die Begründung lasse eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses nicht in dem von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG geforderten Maße zu. Es lasse sich schon nicht sicher feststellen, ob der Entscheidung der zutreffende Maßstab zugrunde gelegt worden sei.

34

2. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg hat, soweit der Beschwerdeführer eine mangelnde personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam und eine Verletzung der Justizgewährungspflicht gerügt hat, darauf hingewiesen, dass die Personalausstattung unter Zugrundelegung des bundesweit einheitlich angewandten Berechnungssystems dem Personalbedarf Rechnung trage. Es sei nicht möglich und auch durch den Justizgewährleistungsanspruch nicht geboten, richterliche Arbeitskraft in solchem Umfang in Reserve zu halten, dass jeder unvorhergesehene krankheitsbedingte Ausfall sofort ausgeglichen werden könne. Im Übrigen hat das Ministerium von einer Stellungnahme abgesehen.

35

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens in elektronischer Form vorgelegen.

B.

36

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

37

Das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers ist nicht dadurch entfallen, dass der Haftbefehl nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde außer Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Januar 1995 - 2 BvR 2846/93 -, juris, Rn. 14). Trotz der Außervollzugsetzung ist der Fortbestand des Haftbefehls insbesondere unter Berücksichtigung der erteilten freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers verbunden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Dezember 2000 - 2 BvR 1706/00 -, juris, Rn. 12).

II.

38

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, weil er den an eine Haftfortdauerentscheidung zu stellenden Anforderungen zur verfassungsrechtlich gebotenen Begründungstiefe nicht genügt.

39

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

40

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen.

41

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <370 f.>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 32).

42

Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>; 19, 428 <433>).

43

Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 15, 474, <480>; 17, 517, <523>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, juris, Rn. 42 und vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 41).

44

Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (BVerfGK 7, 140 <155>).

45

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein (vgl. BVerfGE 36, 264 <273 ff.>). Vielmehr kann sie selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (BVerfGE 36, 264 <273 ff.>). Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264 <275>).

46

Im Rahmen der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen; insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 37). Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei auch unter Berücksichtigung der genannten Aspekte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 45 und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36).

47

Da der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>), unterliegen Haftfortdauerentscheidungen insofern einer erhöhten Begründungstiefe (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>; BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrer Gewichtigkeit verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 39).

48

Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl. Sie sind darüber hinaus auch für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl (§ 116 StPO) von Bedeutung (vgl. BVerfGE 53, 152 <159>; BVerfGK 6, 384 <391>). Beschränkungen, denen der Beschuldigte durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <397>). Denn auch dann, wenn Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, kann allein schon die Existenz eines Haftbefehls für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung darstellen, weil sich mit ihm regelmäßig die Furcht vor einem (erneuten) Vollzug verbindet (vgl. BVerfGE 53, 152 <161>; BVerfGK 6, 384 <391>).

III.

49

Diesen Maßstäben genügt die angegriffene Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht. Sie enthält keine in jeder Hinsicht verfassungsrechtlich tragfähige Begründung für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft.

50

1. Soweit das Oberlandesgericht allerdings angenommen hat, dass während des Ermittlungsverfahrens und des Zwischenverfahrens das Beschleunigungsgebot hinreichend Beachtung gefunden habe, ist die Entscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Durchgreifende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot sind - wovon das Oberlandesgericht zutreffend ausgegangen ist - angesichts des erkennbaren Umfangs und der Komplexität des zu klärenden Sachverhalts nicht ersichtlich.

51

2. Ein Verfassungsverstoß ist auch nicht darin zu erkennen, dass die angegriffene Entscheidung die unterbliebene Bestellung eines Ergänzungsrichters vor Beginn der Hauptverhandlung im November 2015 als noch nicht zurechenbare Verzögerung des Verfahrens gewertet hat. Das Landgericht musste sich zu diesem Zeitpunkt zur Bestellung eines Ergänzungsrichters (noch) nicht gedrängt sehen. Der spätere Verlauf des Verfahrens, der die mehrfache Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich machte, war zu diesem Zeitpunkt für das Landgericht nicht absehbar.

52

3. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum krankheitsbedingten Ausfall des Kammervorsitzenden und des berichterstattenden Richters lassen einen Verfassungsverstoß ebenfalls nicht erkennen. Krankheitsbedingte Ausfälle stellen unvorhersehbare Ereignisse dar, die nicht in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft fallen. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen gebietet in solchen Fällen indes, dass das Tatgericht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreift, um einen zügigen Fortgang der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Die Gründe der angegriffenen Entscheidung lassen erkennen, dass sich das Oberlandesgericht mit diesem Gesichtspunkt in der gebotenen Tiefe auseinandergesetzt hat. Indem es dargelegt hat, dass das Landgericht auf die mit den krankheitsbedingten Ausfällen einhergehenden unvermeidbaren Verzögerungen jeweils mit zügiger Neuterminierung reagiert hat, ist es zu einem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt.

53

4. Die Würdigung der jeweiligen Besetzungsfehler hält der verfassungsrechtlichen Kontrolle hingegen nicht stand. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts erreichen die verfassungsrechtlich gebotene Begründungstiefe insoweit nicht; sie machen bereits den Maßstab, welcher der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer zugrunde gelegt worden ist, nicht deutlich.

54

Zunächst geht das Oberlandesgericht davon aus, die durch die Besetzungsfehler eingetretene Verfahrensverzögerung von zweieinhalb Monaten sei durch die rasche Neuterminierung der Strafkammer "minimiert" worden. An anderer Stelle wird ohne nähere Erläuterung ausgeführt, die Verzögerung sei auch durch die nachfolgende enge Verhandlungsdichte "zumindest teilweise kompensiert" worden. Dies legt den Schluss nahe, dass das Oberlandesgericht von vermeidbaren und damit für das Beschleunigungsgebot in Haftsachen relevanten Verfahrensverzögerungen ausgegangen ist, die nachfolgend nicht, jedenfalls nicht vollständig ausgeglichen worden sind.

55

Demgegenüber stellt das Oberlandesgericht im Anschluss daran fest, eine Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung sei der Kammer nicht vorzuwerfen, denn die bei der Besetzung begangenen Rechtsfehler seien "nicht identisch mit einem Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz".

56

Dieser Widerspruch wird dadurch verstärkt, dass das Oberlandesgericht zum Abschluss seiner rechtlichen Würdigung ausführt, die Wirtschaftsstrafkammer werde die eingetretene Verfahrensverzögerung im Falle eines Schuldspruchs "gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen" und im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung "eine Kompensation nach der Vollstreckungslösung erwägen müssen".

57

Angesichts dessen lassen die Gründe der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend erkennen, welchen Maßstab das Oberlandesgericht der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer zugrunde gelegt hat. Es bleibt unklar, ob das Oberlandesgericht bei seiner Wertung von einer verfassungsrechtlich relevanten, im Ergebnis nur teilweise kompensierten Verfahrensverzögerung, von einer nicht zurechenbaren Verfahrensverzögerung oder sogar von einer insgesamt rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ausgegangen ist.

58

Diese Abgrenzung durfte das Oberlandesgericht nicht offen lassen. Vor dem Hintergrund, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits seit 18 Monaten in Untersuchungshaft befunden hat und der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder zu dem Erlass des Urteils nur in ganz besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 45 und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36), unterlag die angegriffene Entscheidung einer erhöhten Begründungstiefe, die in sich schlüssige und widerspruchsfreie Ausführungen zum zugrunde gelegten Prüfungsmaßstab gebietet. Diesen Anforderungen hat das Oberlandesgericht ersichtlich nicht genügt.

IV.

59

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Der angegriffene Beschluss ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht wird - nachdem der Haftbefehl inzwischen außer Vollzug gesetzt worden ist - unter Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen erneut zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen der Untersuchungshaft noch vorliegen. Andernfalls wird es den Haftbefehl aufzuheben haben.

V.

60

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

VI.

61

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Da die Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen erfolgreich ist und sie auch, soweit sie der Beschwerdeführer für erledigt erklärt hat, offensichtlich Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, erscheint es angemessen, dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten.

VII.

62

Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen und beträgt mindestens 5.000 Euro. Er liegt höher, wenn der Verfassungsbeschwerde aufgrund einer Entscheidung der Kammer stattgegeben wird. Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.


63

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. Nach Ablauf der Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. Die Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein.

(2) Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter der Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der Schöffen bedarf es nicht.

(3) Die Bezeichnung des Tages der Sitzung sowie die Namen der Richter, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, die an der Sitzung teilgenommen haben, sind in das Urteil aufzunehmen.

(4) (weggefallen)

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.