Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 4 MB 24/18

ECLI:ECLI:DE:OVGSH:2018:0326.4MB24.18.00
bei uns veröffentlicht am26.03.2018

Tenor

Das Beschwerdeverfahren des Antragstellers wird entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 21. Dezember 2017 geändert:

Dem Antragsgegner wird untersagt, vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die zum Az. 1 A 59/17 beim Verwaltungsgericht anhängigen Hauptsacheklage aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber der Antragstellerin durchzuführen. Die Verpflichtung, sich auf Anordnung der Antragsgegnerin (fach)ärztlich untersuchen zu lassen, bleibt hiervon unberührt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte.

Gründe

1

Der Prozessbevollmächtigte hat die Beschwerde mit Schriftsatz vom 2. Februar 2018 auf die Antragstellerin  beschränkt. Das Beschwerdeverfahren des Antragstellers war deshalb entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

2

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie hat auch Erfolg.

3

Der Senat sieht das Vorliegen eines Duldungsgrundes wegen Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG spätestens nach der im Beschwerdeverfahren erfolgten Vorlage der ärztlichen Stellungnahme zur Reisefähigkeit vom 22. Februar 2018 als glaubhaft gemacht an. Ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt u.a. dann vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben und damit für die in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Grundrechte zu befürchten ist. Besteht diese Gefahr unabhängig vom konkreten Zielstaat, kommt ein sogenanntes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen Reiseunfähigkeit in Betracht und dies in zwei Fällen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange ein Ausländer wegen einer Erkrankung transportunfähig ist, das heißt, wenn sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des Reisens wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne). Außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs kann sich zum anderen eine konkrete Gesundheitsgefahr aus dem ernsthaften Risiko ergeben, dass sich der Gesundheitszustand gerade durch die Abschiebung als solche wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (sogenannte Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Die beschriebenen Gefahren können sich auch aus einer festgestellten psychischen Erkrankung ergeben (OVG Schleswig, Beschl. v. 9. Dezember 2011 – 4 MB 63/11 – Umdruck S. 4; Bayr. VGH, Beschl. v. 5. Juli 2017 – 19 CE 17.657 -, juris Rn. 20, jeweils m.w.N.). Dabei bedarf es im Falle der Geltendmachung einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne wegen psychischer Erkrankung einer Abgrenzung zur Fallgruppe des sogenannten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG, dessen Nichtvorliegen im Asylverfahren vorliegend gemäß § 42 Satz 1 AsylG mit Bindungswirkung für die Ausländerbehörde festgestellt worden ist.

4

Das inlandsbezogene Abschiebungshindernis der Reiseunfähigkeit (im weiteren Sinne) liegt dann vor, wenn – ohne Berücksichtigung der allgemeinen Versorgungssituation im Zielstaat – eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes gerade infolge der Abschiebung zu erwarten wäre. Erforderlich ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Abschiebevorgang (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10. August 2017 – 11 S 1724/17 -, juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es in Einzelfällen zur Wahrung der Grundrechte der Betroffenen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer Abschiebung mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stellen, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten. Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 17.September 2014 – 2 BvR 732/14 -, juris Rn. 14).

5

Die Ausländerbehörden sind gehalten, zu prüfen, ob eine „vorläufige“ beziehungsweise „momentane“ Reiseunfähigkeit im Zeitpunkt des Vollzugs der Abschiebung noch andauert (BVerfG, Kammerbeschl. v. 26. Februar 1998 – 2 BvR 185/98 -, juris Rn. 4). Dies folgt aus dem Umstand, dass es sich bei einer geltend gemachten Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne und einer möglicherweise daraus oder aus den besonderen Belastungen einer Abschiebung resultierenden Selbstmordgefahr um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände handelt. Auch bei einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitbedingtes Abschiebungshindernis vor, wenn die Abschiebung von der Ausländerbehörde so gestaltet werden kann, dass der Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (Bayr. VGH, Beschl. v. 5. Juli 2017 – 19 CE 17.657 -, juris Rn. 29). Ob dies hinreichend sichergestellt ist, kann allerdings nicht abstrakt, sondern nur unter Würdigung der Einzelfallumstände beantwortet werden.

6

Ferner ist in den Blick zu nehmen, dass nach der Bestimmung des mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 – BGBl. I, S. 390) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG gesetzlich vermutet wird, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände enthalten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben (Satz 3). Bereits zuvor entsprach es der Rechtsprechung, dass vom Ausländer selbst vorgelegte ärztliche Stellungnahmen zu psychischen Erkrankungen nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände anzugeben hatten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt war (Befundtatsachen) sowie gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung zu benennen hatten. Ferner waren die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) nachvollziehbar ebenso darzulegen wie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles richten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 2. November 2017 - OVG 11 B 8.16 - , juris Rn. 23; BVerwG, Urt. v. 10. September 2007 – 10 C 10/17 -, juris Rn. 15).

7

Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass durch die ärztlichen Stellungnahmen des Zentrums für Integrative Psychiatrie (ZIP) vom 8. Februar 2016, 4. August 2016 und vom 24. März 2017 die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt worden sei. Die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen stellten nur fest, dass eine Reiseunfähigkeit vorliege, ohne konkret darzulegen, dass sich das Krankheitsbild infolge einer Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Es werde nur auf die möglichen Folgen einer Unterbrechung oder eines Abbruchs der Behandlung abgestellt. Es sei nicht nachvollziehbar, auf welchen Befundtatsachen die prognostischen Diagnosen beruhten. Aus der ärztlichen Feststellung einer behandlungsbedürftigen Erkrankung könne nicht ohne die erforderliche qualifizierte Begründung gefolgert werden, die Antragstellerin sei nicht reisefähig. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen sei, wie es zur prognostischen Diagnose komme und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, sei nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen. Im Übrigen könne einer Suizidgefahr mit der verfügten Maßgabe begegnet werden, dass die Abschiebung nur in Begleitung eines Arztes / einer Ärztin unter Mitgabe eines Vorrats von erforderlichen Medikamenten durchgeführt werden dürfe und die Empfangnahme der Antragstellerin am Flughafen des Zielstaats durch einen Arzt sichergestellt sei, der über die eventuell erforderliche weitere Behandlung – etwa eine stationäre Aufnahme – entscheide.

8

Die vom Verwaltungsgericht angesprochenen Defizite rechtfertigen es spätestens nach Vorlage der im Beschwerdeverfahren zuletzt noch eingereichten aktuellen Stellungnahme nicht, die Ausführungen zur Suizidgefahr im Kontext der Abschiebung unberücksichtigt zu lassen.

9

Gemäß § 60a Abs. 2 c Satz 2 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Jedenfalls unter Berücksichtigung der weiteren aktuellen ärztlichen Stellungnahme zur Reisefähigkeit des Zentrums für Integrative Psychiatrie vom 22. Februar 2018 dürfte eine Glaubhaftmachung erfolgt sein. Die Leiterin des Ambulanzzentrums Dr. W. sowie die behandelnde psychologische Psychotherapeutin, die Dipl.-Psychologin Dr. K. führen aus, diagnostisch lägen bei der Antragstellerin eine schwergradige komplexe posttraumatische Belastungsstörung basierend auf erlebten Traumatisierungen im Herkunftsland und auf der Flucht mit dissoziativen Tendenzen sowie eine rezidivierende depressive Störung mit einer bereits nunmehr sehr lang anhaltenden schweren depressiven Episode einschließlich immer wiederkehrender suizidaler Gedanken und Impulse und somatischem Syndrom vor. Die diagnostische Einschätzung beruhe auf einem qualifizierten klinischen Interview, welches durch eine erfahrene Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie durch eine psychologische Psychotherapeutin und Traumatherapeutin durchgeführt worden sei. Die Diagnosen würden im Behandlungsverlauf anhand von diagnostischen Gesprächen immer wieder überprüft. Aktuell liege bei der Antragstellerin eine deutlich verminderte Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Merkfähigkeit, ausgeprägtes Grübeln, Denken, eingeengt auf das Erlebte und das bei Abschiebung Befürchtete, ausgeprägte innere Unruhe, ständige Nervosität, Zittern, Schwitzen, Frieren, permanente ausgeprägte Muskelanspannung einschließlich Zähnepressen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle, Übelkeit, gelegentliches Erbrechen, Magen- und Darmprobleme, Taubheitsgefühle, massive Schmerzen an vielen Körperstellen, ausgeprägt depressive Stimmung mit fehlender Schwingungsfähigkeit, Interessenlosigkeit, Freudlosigkeit, ausgeprägte Antriebsstörung, schnelle Erschöpfung, ein deutlich herabgesetztes Aktivitätsniveau, diverse massive Ängste mit Meideverhalten (z.B. Meiden, das Haus zu verlassen, Meiden von Menschenmengen oder öffentlichen Verkehrsmitteln oder dies nur in Begleitung; Angst vor der prüfenden Betrachtung durch andere Menschen, Angst vor Ärzten und körperlichen Untersuchungen, Angst vor Ämtern und Behörden, ständige Sorge, den Kindern oder dem Mann könne etwas zustoßen, Angst vor der Angst), Derealisations- und Depersonalisationserleben, tagsüber und nachts Intrusionen, ausgeprägte Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz, ausgeprägtes Misstrauen, Teilnahmslosigkeit, sozialer Rückzug, deutlich vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von Wertlosigkeit, eine extrem negative und pessimistische Zukunftsperspektive, Hoffnungslosigkeit, Dysphorie, eine massive Ein- und Durchschlafstörung mit Früherwachen und fehlender Schlaferholsamkeit und Tagesschläfrigkeit, Morgentief, verminderter Appetit, Libidoverlust, Störung der Stress- und Emotionsregulation, leichte Kontroll- und Reinigungszwänge, interaktionelle Defizite, Somatisierung, Köperproblematik, ausgeprägte Suizidgedanken mit der authentischen Aussage, sich bei Rückkehr ins Herkunftsland zu suizidieren, vor. Neben psychotherapeutischen Gesprächen sei aufgrund der Schwere der Symptomatik zusätzlich eine medikamentöse Therapie eingeleitet worden. Frau X, die sich seit Juli 2015 in regelmäßiger ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung im Ambulanzzentrum des Zentrums für Integrative Psychiatrie in Kiel befinde, benötige eine engmaschige und längerfristige psychotherapeutische Behandlung. Neben der Anamneseerhebung, Diagnostik und Beziehungsaufbau seien bisher in ersten Schritten die gemeinsame Erarbeitung eines plausiblen Entstehungs- und Aufrechterhaltungsmodells, Psychoedukation zu den einzelnen Störungsbildern, Aufbau einer tragfähigen Tagesstruktur, Aufbau von Ressourcen, Ruheinseln, Entspannung, Bewegung, Ausbau an Selbstfürsorge, Unterstützung beim Beziehungsmanagement, Vermittlung von Fertigkeiten zur Anspannungs- und Emotionsregulation, Vermittlung von Selbstberuhigungs-, Stabilisierungs-, Distanzierungs- und Dissoziations-Stopp-Techniken sowie eine psycho-pharmakologische Beratung und Psychopharmakotherapie erfolgt. Ausschlaggebend für das Ausbleiben einer nachhaltigen Linderung der Symptomatiken sei vor allem der unklare Aufenthaltsstatus der Patientin. Sobald sich Frau X mit der Möglichkeit der Rückführung in ihr Herkunftsland konfrontiert sieht, gerate sie in eine schwere suizidale Krise und äußere glaubhaft, sich bei Rückkehr umzubringen („ich werde nur tot wieder zurückgehen“). Bei einer Unterbrechung der Behandlung und Abschiebung der Familie X in den Kosovo sei nicht nur mit einer zusätzlichen massiven Verschlimmerung des Leidens zu rechnen, sondern es sei hoch wahrscheinlich, dass sich Frau X bei Rückkehr in den Kosovo suizidieren werde. Dies äußere sie konsistent, authentisch und glaubwürdig. Der Leidensdruck sei immens. Bei der Auseinandersetzung mit der Rückführung dekompensiere die Patientin sofort und reagiere suizidal. Sowohl die fachärztliche als auch die fach-psychologische Einschätzung auf dem Boden regelmäßiger therapeutischer Kontakte und des ausführlich beschriebenen psychopathologischen Befundes würden die Einschätzung untermauern, dass sich Frau X bei Durchsetzung der Rückführung suizidieren würde. Es drohe zum einen eine lebensbedrohliche Gesundheitsgefährdung im Falle der Abschiebung; zum anderen seien akute suizidale Handlungen konkret zu befürchten. Frau X benenne ganz klar wiederholt, nachdrücklich und glaubhaft, sich das Leben zu nehmen, wenn sie in den Kosovo zurück müsse. Eine Reisefähigkeit – jenseits der Transportfähigkeit – sei daher aus therapeutischer Sicht nicht gegeben. Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht könnten medizinische Maßnahmen aktuell eine Reisefähigkeit nicht herstellen.

10

Die im Beschwerdeverfahren eingereichte ergänzende Stellungnahme des ZIP ist im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Etwa verbleibenden Zweifeln – beispielsweise werden in keiner der Stellungnahmen des ZIP die konkrete Anzahl der bisher absolvierten Beratungstermine benannt (vgl. dazu BVerwG, U. v. 11. September 2007 – 10 C 8/07 – , juris  Rn 15) – muss gegebenenfalls im anhängigen Hauptsacheverfahren (1 A 59/17) nachgegangen werden. Selbst wenn man eines oder mehrere der in § 60a Abs. 2 c Satz 3 AufenthG bezeichneten Qualitätskriterien als nicht (hinreichend) gegeben ansehen wollte, sind im vorliegenden Falle die Stellungnahmen des ZIP zumindest als „anderweitige tatsächliche Anhaltspunkte“ für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung im Sinne von § 60 a Abs. 2 d Satz 2 AufenthG im Wege einer Gesamtschau unter Einbeziehung aller bisher verfügbaren Erkenntnisse zu berücksichtigen (vgl. zur Aufklärungspflicht der Ausländerbehörde unter Einschaltung medizinischen Sachverstands bereits Senat, Beschl. v. 23. Februar 2018 - 4 MB 96/17 -).

11

Vorliegend ist in die Gesamtschau zum einen einzustellen, dass mit den Stellungnahmen des ZIP vom 8. Februar 2016, 4. August 2016, 24. März 2017, 18. September 2017 und – im Beschwerdeverfahren eingereicht – 22. Februar 2018 gleichbleibend und vertiefend eine hohe Wahrscheinlichkeit suizidaler Handlungen im Kontext der Abschiebung prognostiziert wird und zum anderen seinerzeit der Amtsarzt Dr. Kampen aufgrund einer Untersuchung vom 6. Oktober 2016 in seiner Stellungnahme vom 10. Oktober 2016 ebenfalls von einer behandlungsbedürftigen Depression und von Angststörungen ausging und ärztlicherseits ein transportbedingt erhöhtes Risiko einer erheblichen Verschlechterung der Krankheit konstatiert hat. Ferner hat er seinerzeit angenommen, bei Vollzug der Abschiebung werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach eine Selbstgefährdung ergeben und es auch bei der Mitreise einer medizinisch und psychologisch geschulten Begleitperson als fraglich angesehen, ob das Risiko während oder zum Ende der Reise verringert werde.

12

Zwar hat aufgrund der behördlicherseits veranlassten Untersuchung vom 28. März 2017 im Kreishaus Rendsburg-Eckernförde der hinzugezogene Arzt B. in seiner Stellungnahme vom 28. März 2017 ausgeführt, aus ärztlicher Sicht bestünden keine Bedenken bei der geplanten Rückführungsmaßnahme auf dem Luftwege, sofern eine Begleitung durch einen Arzt sowie die Gabe von sedierenden Medikamenten (Tavor) bei Impulsdurchbrüchen erfolge. Herrn B. standen bei der Untersuchung alle dem Antragsgegner bekannten Berichte, amtsärztlichen und ärztlichen Stellungnahmen zu dem Gesundheitszustand der Antragstellerin zur Verfügung, jedoch setzt sich seine Stellungnahme weder mit der zurückliegenden Stellungnahme des Amtsarztes Dr. Kampen noch mit den bis dahin vorliegenden Stellungnahmen des ZIP auseinander.

13

Spätestens nach Vorliegen der aktuellen Stellungnahme des ZIP vom 22. Februar 2018 ist jedenfalls für das vorliegende Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass die Antragstellerin eine Erkrankung glaubhaft gemacht hat, die die Abschiebung beeinträchtigen kann.

14

Der Senat hat erwogen, ob die Maßgabe des Verwaltungsgerichts, mit der der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen worden ist, ausreicht, um die gesundheitlichen Belange der Antragstellerin zu wahren. Unter Berücksichtigung des grundsätzlich „momentanen“ Charakters einer Reiseunfähigkeit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26. Februar 1998, a.a.O.) und der gebotenen Abgrenzung zur Problematik des zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses kann eine solche Maßgabe im Einzelfall ausreichend sein, um sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen während der Abschiebung und rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, juris Rn. 14). Gesundheitsgefahren, die mit einer drohenden Dekompensation und einer ärztlich bescheinigten Suizidalität während der Abschiebung einhergehen, kann häufig durch eine ärztliche Begleitung während des Fluges sowie einer ärztlich veranlassten Medikation begegnet werden. Im vorliegenden Falle wird eine erstmals durch das Gericht verfügte, eher abstrakte Maßgabe dem gebotenen Schutz von Art. 2 Abs. 2 GG jedoch nicht gerecht (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 6. September 2017 – 2 M 83/17 – juris, Rn. 3). Bereits die (vom Verwaltungsgericht nicht zitierte) ärztliche Stellungnahme des ZIP v. 18. September 2017 führt unter der Überschrift „Reisefähigkeit“ aus, die Abschiebung würde bei der Antragstellerin mit Sicherheit eine massive Verschlechterung des psychischen Befundes herbeiführen, akute suizidale Impulse und Handlungen wären konkret zu  befürchten. Unter Berücksichtigung dieser und der weiteren im Beschwerdeverfahren eingereichten Stellungnahme (s.o.) hält der Senat eine erstmalige und notwendigerweise eher abstrakte Maßgabe durch die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Eilverfahren für nicht hinreichend. Dabei ist im vorliegenden Einzelfall auch zu berücksichtigen, dass nicht nur die Durchführung eines Suizids, sondern  auch das Eintreten einer massiven Gesundheitsbeeinträchtigung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Abschiebung verhindert werden muss (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10. August 2017 – 11 S 1724/17 -, juris Rn. 31 f.).

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1, Abs. 2 VwGO.

16

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Urteilsbesprechung zu Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 4 MB 24/18

Urteilsbesprechungen zu Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 4 MB 24/18

Referenzen - Gesetze

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili
Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 4 MB 24/18 zitiert 8 §§.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 92


(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der münd

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 42 Bindungswirkung ausländerrechtlicher Entscheidungen


Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Über den späteren Eintritt und Wegfall der Voraussetzungen des

Referenzen - Urteile

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 4 MB 24/18 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 4 MB 24/18 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2017 - 19 CE 17.657

bei uns veröffentlicht am 05.07.2017

Tenor I. Die Beschwerden werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin dafür Sorge trägt, dass die Abschiebung des Antragstellers zu 1 medizinisch betreut und er im Zielstaat der Abschiebung an hinreichend qualifizie

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 06. Sept. 2017 - 2 M 83/17

bei uns veröffentlicht am 06.09.2017

Gründe I. 1 Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 05.09.2017 – 1 B 967/17 HAL – den Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Abschiebungsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, bei der Antragstellerin zu 1 liege keine Reise

Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 17. Sept. 2014 - 2 BvR 732/14

bei uns veröffentlicht am 17.09.2014

Tenor Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 09. Dez. 2011 - 4 MB 63/11

bei uns veröffentlicht am 09.12.2011

Tenor Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 14. Oktober 2011 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 4 MB 24/18.

Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 23. Mai 2018 - W 8 S 18.50234

bei uns veröffentlicht am 23.05.2018

Tenor I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt. II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Der Antrag auf Bewilligung von

Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Beschluss, 09. Jan. 2019 - 1 B 137/18

bei uns veröffentlicht am 09.01.2019

Tenor Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Gründe 1 Das Gericht legt das vorläufige Rechtsschutzbe

Verwaltungsgericht Aachen Beschluss, 05. Dez. 2018 - 6 L 1708/18.A

bei uns veröffentlicht am 05.12.2018

Tenor Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. 1G r ü n d e 2Der - sinngemäß gestellte - Antrag, 3die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrum

Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Beschluss, 26. Juli 2018 - 11 B 85/18

bei uns veröffentlicht am 26.07.2018

Tenor Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 18.06.2018 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11.06.2018 (Gz. ) wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Der Ant

Referenzen

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 14. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf     5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2011 ist unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage.

2

Die Beschwerdeführerin ist russische Staatsangehörige und nach erfolglos durchgeführtem Asylverfahren vollziehbar ausreisepflichtig; ihre Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. November 2005 nahm sie in der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2009 zurück, nachdem sie eingeräumt hatte, dass ihre im Asylverfahren vorgetragenen Angaben darüber, dass sie vergewaltigt worden sei, unzutreffend gewesen seien. Seitdem waren ihr und ihrem mittlerweile volljährigen Sohn X Duldungen im Hinblick auf dessen Erkrankung an einer schwerwiegenden Hörminderung und zunächst auch wegen Nichtvorliegens von Passpapieren erteilt worden. 2008 kehrte ihr Mann zusammen mit dem jüngeren gemeinsamen Sohn freiwillig in die Russische Föderation zurück. Der Antragsgegner lehnte einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit Bescheid vom 31. August 2010 ab; einen verwaltungsgerichtlicher Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des hiergegen eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht im Verfahren 6 B 45/10 mit Beschluss vom 3. November 2010 ab, weil keine Reiseunfähigkeit gegeben sei. Mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Dezember 2010 wurde der Widerspruch daraufhin zurückgenommen. Am 22. September 2011 stellte die Beschwerdeführerin beim Antragsgegner unter Hinweis auf ihre eigenen gesundheitlichen Schwierigkeiten sowie auf die verschlechterte gesundheitliche Situation des Sohnes X einen erneuten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Einen Asylfolgeantrag im Hinblick auf ihre gesundheitlichen Einschränkungen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 30. Juni 2011 ab; hiergegen ist beim Verwaltungsgericht ein Klageverfahren – 1 A 217/11 – anhängig. Mit Beschluss vom 27. Juli 2011 hat das Verwaltungsgericht den auf die Berücksichtigung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses wegen Suizidalität der Antragstellerin gerichteten asylrechtlichen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt, weil deren psychische Erkrankung auch in der Russischen Föderation behandelbar sei. Im vorliegenden, gegen den Antragsgegner als Ausländerbehörde gerichteten Eilverfahren hat sich die Beschwerdeführerin auf eine psychologisch-gutachterliche Stellungnahme des Diplom-Psychologen Y vom 30. Dezember 2010 bezogen, der ihre Belastung durch die langjährige Erfahrung familiärer Gewalt schildert und bei ihr eine schwere depressive Episode sowie Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion gemischt diagnostiziert hat. Die Beschwerdeführerin sei bislang durch eine 14-tägig durchgeführte Therapie nur mäßig stabilisiert worden. Sie sei weiterhin auf eine intensive und langandauernde Behandlung angewiesen. Ohne diese Möglichkeit bestünden große Risiken, dass die latent vorhandenen Suizidgedanken in eine aktuelle Suizidalität münden könnten.

3

Das Verwaltungsgericht hat den gegen die Ausländerbehörde gerichteten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit Beschluss vom 14. Oktober 2011 abgelehnt, weil zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote bereits Gegenstand des erfolglosen asylrechtlichen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes gewesen seien und keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beschwerdeführerin durch die Abschiebung als solche in eine ernsthafte suizidale Krise geraten würde. Sollten solche Anhaltspunkte geltend gemacht werden, werde der Antragsgegner verpflichtet sein, durch entsprechende Maßnahmen zu reagieren.

4

Die Beschwerde trägt im Wesentlichen vor, es lägen gegenüber dem vorhergehenden Verfahren veränderte Umstände vor. Der Kontakt mit der Russischen Föderation sei für die Beschwerdeführerin stressbehaftet und angstauslösend. Die Ursache hierfür liege in der Krankheit der Beschwerdeführerin und damit im Inland. Es sei ausweislich einer ergänzenden Einschätzung des Psychologen Y vom 7. Oktober 2011 – welche nach Verfahrensabschluss an das Verwaltungsgericht übersandt worden ist – eine weitere Verstärkung der depressiven Symptomatik zu erwarten. Diese mit einer weiteren ärztlichen Bescheinigung eines Dr. Z vom 28. Oktober 2011 bestätigten Beschwerden bestünden unabhängig von der Frage der Sedierung oder Fixierung während der Abschiebung, weil sie im Heimatland fortwirkten.

5

Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

6

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes kann lediglich eine Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber der Ausländerbehörde aufgrund eines inlandsbezogenen Abschiebungsverbots sein; hiervon geht auch die Beschwerde aus. In Abgrenzung zur – vorliegend allein im Asylverfahren gebotenen - Berücksichtigung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote, welche durch die spezifischen Verhältnissen des Zielstaats bedingt sind, hat die Ausländerbehörde in ihrem Vollstreckungsverfahren, gegebenenfalls durch die Ausgestaltung der Abschiebung, als krankheitsbedingtes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis eine Verschlimmerung der Erkrankung zu berücksichtigen, die allein als Folge der Abschiebung als solche, in welchen Staat auch immer, eintritt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 -, AuAS 2003, 106). Eine Abschiebung scheidet aus, wenn sich der Gesundheitszustand des betreffenden Ausländers transportbedingt wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde und hiergegen geeignete medizinische Maßnahmen nicht getroffen werden können (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne). Ein inlandsbezogenes, am Abschiebungsvorgang ansetzendes Vollstreckungshindernis liegt im Falle einer psychischen Erkrankung darüber hinaus aber auch vor, wenn im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Ausländers droht, der nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise wirksam begegnet werden kann, oder wenn dem Ausländer als unmittelbare Folge der Abschiebung eine erhebliche und nachhaltige Verschlechterung seines Gesundheitszustandes droht, die nicht erst durch die Konfrontation mit den Gegebenheiten im Zielstaat bewirkt wird (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 29.11.2010 – 18 B 910/10 -, NVwZ-RR 2011, 300; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 29.03.2011 – 8 LB 121/08 -, Juris).

7

Sind bei der Ankunft im Zielstaat Übergangsschwierigkeiten in eine für den Betroffenen erforderliche Betreuung durch Familienangehörige oder staatliche bzw. karitative Versorgungssysteme zu erwarten, so hängen diese noch unmittelbar mit der Art und Weise der Abschiebung zusammen und sind deshalb dem Vollstreckungsverfahren der Ausländerbehörde zuzurechnen (ebd.). Ihnen ist ebenfalls durch die im Bedarfsfall von der Ausländerbehörde im Einzelnen darzulegende Art und Weise der Ausgestaltung der Abschiebung, etwa durch Einschaltung der deutschen Auslandsvertretung, durch Abgabe von Kostenübernahmeerklärungen für medizinische Behandlungen oder durch Gewährleistung einer psychosozialen Unterstützung bis zur Übernahme durch die Versorgungssysteme des Zielstaates, Rechnung zu tragen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, ebd.; OVG Land Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 -, AuAS 2011, 197). Entsprechende Gewährleistungspflichten zur Verhütung von Gefahren – ggf. auch durch eine etwa erforderliche stationäre Unterbringung des Betroffenen - treffen die Ausländerbehörde, sofern sie hierzu Veranlassung haben muss, im Zeitraum von der Ankündigung einer Abschiebung bis zu deren Durchführung. Welche konkreten Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung im Einzelnen erforderlich sind, um einer ernsthaften Suizidgefahr zu begegnen, hat die Ausländerbehörde auf Grundlage einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der Gefahrenlage zu ermitteln (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 -, NVwZ-RR 2008, 284; BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 -, Juris).

8

Voraussetzung für die Annahme eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses wegen Gesundheitsgefahren ist allerdings stets, dass eine konkrete Gesundheitsverschlechterung von erheblichem Gewicht zu erwarten ist, die nach der Wertung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einer Abschiebung entgegenstünde. Beeinträchtigungen unterhalb dieser Schwelle, die aufgrund der Aussichtslosigkeit des Bleiberechts für Deutschland und der bevorstehenden Abschiebung in den Zielstaat eintreten, führen für sich genommen nicht zu einer Reiseunfähigkeit und werden dem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer vom Gesetzgeber (vgl. § 58 AufenthG) zugemutet (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 29.11.2010 – 18 B 910/10 -, a.a.O.).

9

Nach diesem Maßstab ist ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot bei der Beschwerdeführerin nicht gegeben. Aus der Stellungnahme des Psychologen Y lässt sich eine Reiseunfähigkeit im oben beschriebenen Sinne selbst bei weitem Verständnis nicht ableiten. Die in der Stellungnahme vom 30. Dezember 2010 angesprochenen Risiken der Verstärkung latent vorhandener Suizidgedanken bis hin zu einer akuten Suizidalität werden für den Fall einer nicht bestehenden Möglichkeit der Weiterführung einer intensiven und langandauernden Therapie gesehen. An diese Einschätzung knüpft der Psychologe auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. Oktober 2011 an. Dort heißt es weiterhin, die Beschwerdeführerin könne sich nur außerhalb ihres Heimatlandes mit den dortigen traumatisierenden Gewalterfahrungen auseinandersetzen. Abschiebung bedeute eine extreme Konfrontation mit den Erinnerungen an Gewalt und Ohnmacht, der die Beschwerdeführerin nicht gewachsen erscheine, so dass zu befürchten sei, dass sie noch stärker in die Depression geraten und dann mit weiteren schweren somatischen und ggf. mit psychotischen Beschwerden reagieren würde. Aus diesen Ausführungen lässt sich ein inlandsbezogenes, allein am Abschiebevorgang ansetzendes, oberhalb der Schwelle der wesentlichen Beeinträchtigung liegendes und nicht durch erforderlichenfalls vom Antragsgegner zu gewährleistende medizinische Maßnahmen zu begegnendes Abschiebungshindernis nicht ableiten. Die Frage, ob die Weiterführung einer Therapie im Heimatland gewährleistet werden kann, ist allein im asylrechtlichen Verfahren zu prüfen und dort vom Verwaltungsgericht bereits bejaht worden. Sie betrifft – da hier das Eingreifen russischer Versorgungsmöglichkeiten unmittelbar nach einer Ankunft nicht in Zweifel steht – allein die Verhältnisse im Zielstaat.

10

Ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot ergibt sich für die Beschwerdeführerin schließlich auch nicht im Hinblick auf die Wahrung der Beistandsgemeinschaft zu ihrem volljährigen Sohn und ein für diesen etwa bestehendes Abschiebungsverbot, da der Senat auch dessen Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom heutigen Tage – 4 MB 62/11 – zurückgewiesen hat.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

12

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).


Tenor

I. Die Beschwerden werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin dafür Sorge trägt, dass die Abschiebung des Antragstellers zu 1 medizinisch betreut und er im Zielstaat der Abschiebung an hinreichend qualifiziertes medizinisches Personal übergeben wird.

II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller zu 1 und 2, nach eigenen Angaben am 28. November 2004 eingereiste armenische Staatsangehörige, und die Antragsteller zu 3 und 4, ihre 2005 und 2012 in der Bundesrepublik geborenen Kinder ebenfalls armenischer Staatsangehörigkeit, begehren nach rechtskräftig negativem Abschluss der jeweiligen Asylerst- und Folgeverfahren, im Wege der einstweiligen Anordnung ihre von der Antragsgegnerin beabsichtigte Abschiebung nach Armenien zu untersagen.

Die Antragsteller zu 1 und 2 reisten am 28. November 2004 in die Bundesrepublik ein und beantragten am 8. Dezember 2004 unter Angabe falscher Personalien und Behauptung der russischen Staatsangehörigkeit Asyl, was mit Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 18. Januar 2005 abgelehnt wurde. Die dagegen gerichteten Klagen wurden durch Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2006 abgewiesen, die Berufungen durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 14. April 2011 zurückgewiesen und die Nichtzulassungsbeschwerden vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 verworfen.

Die Antragsteller zu 3 und 4 wurden am 22. Juni 2005 und am 18. September 2012 in der Bundesrepublik geboren. Der Asylantrag des Antragstellers zu 3 wurde mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 abgelehnt.

Die Antragsteller waren seit dem 26. Januar 2012 im Besitz von Duldungen. Asylfolgeanträge vom 26. und 29. Juli 2012 wurden mit Bescheiden vom 26. und 28. Juni 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, Klagen und Eilanträge gegen den Bescheid vom 28. Juni 2016 blieben vor dem Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2016 und Urteil vom 23. Januar 2017 erfolglos. Der Asylantrag der Antragstellerin zu 4 wurde mit Bescheid vom 2. Juni 2016 abgelehnt.

Im September 2012 stellte sich heraus, dass die Antragsteller entgegen ihrer Angaben im Asylverfahren armenische Staatsangehörige sind. Die Antragsteller zu 1 und 2 legten am 7. November 2012 Kopien armenischer Nationalpässe, am 2. März 2015 gültige armenische Nationalpässe vor; Anträge auf Erteilung von Passersatzpapieren für die Antragsteller zu 3 und 4 wurden seitens der Antragsteller zu 1 und 2 nicht ausgefüllt.

Der Antragsteller zu 1 ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Wegen Diebstahls wurde er mit Strafbefehl vom 7. Februar 2005 zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu 10 Euro verurteilt; des Weiteren wurde er mit Strafbefehl vom 22. September 2005 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 10 Euro, wegen eines weiteren Diebstahls mit Urteil des Amtsgerichts O. vom 20. April 2006 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit Strafbefehl vom 19. Dezember 2007 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu 5 Euro, wegen Bedrohung durch Urteil vom Amtsgericht O. vom 8. Oktober 2008 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 5 Euro und wegen Diebstahls durch Urteil des Amtsgerichts A. vom 21. Juni 2010 zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

Der Antragsteller zu 1 steht seit 6. März 2015 unter gesetzlicher Betreuung. Ausweislich eines hausärztlichen Attestes vom 16. Januar 2014 leidet er unter einer schweren Depression. Im Arztbrief der Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses L. vom 29. Mai 2013 nach einer ambulanten Vorstellung wurde eine „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome und ohne Anhaltspunkte für Eigen- oder Fremdgefährdung“ diagnostiziert. Im ärztlichen Attest des Bezirkskrankenhauses L. vom 17. Januar 2014 nach einem stationären Aufenthalt vom 9. Januar bis 17. Januar 2014 in der Kriseninterventionsstation wird die drohende Abschiebung für die Erkrankung prognostisch ungünstig gesehen. Laut des Attestes eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie vom 28. Januar 2014 ist der Antragsteller zu 1 zu dieser Zeit wegen depressiver Störung in Behandlung gewesen; die Wohnheimsituation sei belastend. In der amtsärztlichen Untersuchung des Gesundheitsamtes des Landratsamtes A. vom 25. Februar 2014 wird eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung diagnostiziert; der Zustand sei stabil und Reisefähigkeit gegeben. Vom 27. November bis zum 22. Dezember 2015 befand sich der Antragsteller zu 1 in stationärer Behandlung im psychiatrischen Bezirkskrankenhaus L. mit der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung und einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen, wobei eine artifizielle Störung vermutet wurde. Der Arztbrief der Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses L. vom 17. Februar 2016 weist eine schwere depressive Episode mit psychotischen Anteilen bei rezidivierender depressiver Störung aus. Im ärztlichen Befundbericht der Institutsambulanz der Tagesklinik des Bezirkskrankenhauses L. vom 29. Februar 2016 wurde wiederum eine depressive Episode mit psychotischen Anteilen diagnostiziert; eine artifizielle Störung wurde in Erwägung gezogen bzw. nach dem letzten stationären Aufenthalt vom 27. November bis 22. Dezember 2015 vermutet. Vom 1. März bis 14. März 2016 befand sich der Antragsteller zu 1 in stationärer Behandlung der Tagesklinik und Kriseninterventionsstation des Bezirkskrankenhauses A.. Ein weiterer Befundbericht der Institutsambulanz der Tagesklinik des Bezirkskrankenhauses A. vom 17. März 2016 weist als Diagnosen eine depressive Störung mit psychotischen Symptomen sowie Verdacht auf artifizielle Störung aus. Anhand der klinischen Verhaltensbeobachtung habe kein konsistentes, zu seinen angegebenen Symptomen entsprechendes Verhalten beobachtet werden können, was den Verdacht auf eine artifizielle Störung erhärte. Vom 27. September bis zum 6. Oktober 2016 folgte ein stationärer Aufenthalt im Klinikum A. wegen Gastritis und Verdacht auf Morbus Crohn.

Mit Bescheid vom 21. April 2016 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. § 25a AufenthG mit der Begründung ab, es liege keine unverschuldete Verhinderung an der Ausreise vor, es bestehe ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen lägen wegen Nichterfüllung der Passpflicht nicht vor und der Antragsteller zu 3 sei nicht als Jugendlicher im Sinne von § 25a AufenthG anzusehen. Die dagegen gerichtete Klage vom 30. Mai 2016 ist vor dem Verwaltungsgericht W. anhängig (Az. W 7 K 16.568).

Mit Bescheid vom 23. März 2016, zugestellt am 17. Mai 2016 wurden die Antragsteller zu 1 und 2 ausgewiesen; die hiergegen gerichtete Klage vom 7. Juni 2016 ist vor dem Verwaltungsgericht W. anhängig (Az. W 7 K 16.593).

Die im Wege der einstweiligen Anordnung am 16. Februar 2017 begehrte Aussetzung von Abschiebemaßnahmen lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. März 2017 mit der Begründung ab, ein Anordnungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehe nicht, da die Abschiebung nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich sei. Eine effektive Rechtsverfolgung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 bzw. § 25a Abs. 1, Abs. 2 AufenthG werde nicht erschwert, da der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe und die Antragsteller nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert seien. Der Antragsteller zu 3 weise nicht das nach § 25a Abs. 1 AufenthG erforderliche Mindestalter von 14 Jahren auf. Es bestehe keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung wegen gesundheitlicher Probleme, da keine ärztlichen Bescheinigungen vorgelegt worden seien, die eine Reiseunfähigkeit belegten, und damit von der Vermutung nach § 60a Abs. 2c Sätze 1 und 2 AufenthG auszugehen sei.

Mit der Beschwerde wird unter Vorlage der gutachterlichen Stellungnahme eines psychiatrischen Facharztes der sozialpsychiatrischen Migrationsambulanz in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge vom 30. März 2017 geltend gemacht, die Abschiebungen seien wegen akuter Lebensgefahr des Antragstellers zu 1 aus gesundheitlichen Gründen unmöglich. Ein Suizid des Antragstellers zu 1 sei entsprechend der psychiatrischen Begutachtung als sehr wahrscheinlich zu beurteilen. Die Verabreichung zwingend notwendiger Medikamente sei in Armenien nicht möglich. Der Antragsteller zu 1 sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht transportfähig. Die Suizidgefahr begründe eine Kindeswohlgefährdung. Das Fehlverhalten einer jahrelangen Identitätstäuschung sei wegen der gesundheitlichen Probleme nicht mehr für das Abschiebungshindernis ursächlich; das Verhalten sei im Lichte der psychischen Erkrankung zu betrachten.

Die Antragsteller beantragen,

unter Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Antragsgegnerin vorläufig zur Erteilung einer Duldung und zur Aussetzung von Abschiebungsmaßnahmen zu verpflichten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin verweist auf die jahrelange Identitätstäuschung der Antragsteller sowie die Nichterfüllung der Passpflicht und der Mitwirkungsverpflichtung. Das ärztliche Gutachten vom 30. März 2017 behandle entgegen des sozialmedizinischen Gutachtensauftrages durch das Sozialgericht ausschließlich die Frage einer möglichen Abschiebung, sehe die Ursache der Erkrankung in der behördlicherseits aufrecht erhaltenen Belastungssituation und stütze sich auf Informationen eines Helferkreises. Soweit der Gutachter die Erforderlichkeit einer stationären psychiatrischen Behandlung attestiere, sei verwunderlich, dass der u.a. für die Gesundheitsfürsorge gerichtlich bestellte Betreuer eine solche psychiatrische Unterbringung nicht veranlasse. Dies nähre die Vermutung, dass es nicht um eine möglichst zeitige Therapie der geltend gemachten Erkrankung, sondern um eine „Konservierung“ eines Krankheitsbildes zum Schutz vor Abschiebung gehe. Die Attestierung, eine Abschiebung sei aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, berücksichtige nicht die Möglichkeiten der Gesundheitsfürsorge und -sicherung von mit Suizidalität bedrohten Personen im Rahmen des Abschiebungsvorgangs. Dem Antragsteller zu 1 könnten alle benötigten Medikamente auch für einen längeren Zeitraum im Zielstaat mitgegeben werden. Vor Vollzug einer Abschiebung werde eine amtsärztliche Untersuchung der Reisefähigkeit erfolgen. Die Abschiebung werde durch medizinisches Begleitpersonal flankiert. Ein vom Sozialgericht in Auftrag gegebener ärztlicher Untersuchungsauftrag zum Behinderungsgrad des Antragstellers zu 1 sei planmäßig zum Zweck der Verhinderung einer Abschiebung missbraucht worden. Das ärztliche Gutachten sei entgegen von § 60a Abs. 2d Satz 1 AufenthG der Antragsgegnerin nicht unverzüglich vorgelegt worden.

II.

Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.

Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Erteilung einer Duldung oder zum vorläufigen Absehen von einer Abschiebung abgelehnt hat.

Es ist kein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht. Die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) des Antragstellers zu 1 ist durch das im Beschwerdeverfahren vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 30. März 2017 nicht widerlegt (1.). Im Übrigen wäre selbst dann, wenn eine Suizidgefahr glaubhaft gemacht worden wäre, nicht zwangsläufig von einem krankheitsbedingten Abschiebungshindernis auszugehen; vielmehr genügt die Ausländerbehörde durch die von ihr angekündigten und vom Senat als Maßgaben in den Beschlusstenor aufgenommenen Sicherheitsvorkehrungen (wie die medizinische Begleitung im Abschiebungsvorgang und medikamentöse Versorgung für einen längeren Zeitraum im Zielstaat) ihrer Schutzpflicht, einer Suizidgefahr wirksam zu begegnen (2.).

1. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 17; B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953; B.v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlandsbezogene Abschiebungsverbote. Eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fällen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen der Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne; vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750 – juris Rn. 3 m.w.N.).

Wegen der Bindungswirkung nach § 42 AsylG der vorliegenden asylrechtlichen Entscheidungen betreffend das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG können im vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote in Betracht kommen (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953). Nach den rechtskräftigen Urteilen des Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2017 und den somit bestandskräftigen Bescheiden des Bundesamtes vom 28. Juni 2016 und 1. Juli 2016 droht den Antragstellern, insbesondere dem Antragsteller zu 1 keine individuelle, erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Armenien. Danach sind depressive Störungen mit psychotischen Symptomen in Armenien bei kostenloser medizinischer Behandlung auf gutem Standard behandelbar. Damit geht der Beschwerdevortrag hinsichtlich einer fehlenden Krankenversicherung im Heimatland und der Verfügbarkeit von Medikamenten ins Leere, da er sich mit der Situation des Antragstellers nach erfolgter Abschiebung in seine Heimat und der ihn dort erwartenden medizinischen und sonstigen Situation befasst.

Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBl I S. 390 –) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen enthalten, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Legt der Ausländer fachärztliche Berichte vor, sind diese zum Beweis für eine Reiseunfähigkeit nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. Insbesondere ist es dem Arzt, der ein Attest ausstellt, untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen (BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 10.7.2003 – S 2262/02 – juris Rn. 12). Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 19; B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 7).

Der Zweck der gesetzlichen Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18 ff.) folgendermaßen umschrieben: „Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind. (…) Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt. Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 (die Gesetzesbegründung bezieht sich hier auf § 60 Abs. 7 AufenthG) darstellen. (…) Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert (…). Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren.“

Die von der Antragstellerseite im Beschwerdeverfahren vorgelegte gutachterliche Stellungnahme vom 30. März 2017 genügt diesen Anforderungen nicht hinreichend. Zwar handelt es sich bei Dr. F., dem Ersteller des Gutachtens, um einen Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und forensische Psychiatrie, so dass von der erforderlichen ärztlichen Qualifikation auszugehen ist. Gleichwohl ist das Gutachten vom 30. März 2017 keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG und somit keine taugliche Grundlage für eine Beschwerdestattgabe. Es leidet an einer Vielzahl von fachlichen Mängeln. Dieser Umstand, das Tätigwerden des Gutachters im Rahmen einer „Sozialpsychiatrische Migrationsambulanz in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge“ sowie die Entstehungsgeschichte des Gutachtens erlauben es auch nicht, von einer Unvoreingenommenheit des Gutachters auszugehen. Wenngleich die fachärztliche Begutachtung vom 30. März 2017 anlässlich einer vom Sozialgericht beschlossenen sozialmedizinischen Beweiserhebung zum Grad der gesundheitlichen Einschränkungen im Sinne einer Behinderung erfolgte, bewegt sich die Begutachtung aber völlig außerhalb des vom Sozialgericht gestellten Beweisthemas und befasst sich ausschließlich mit den gesundheitlichen Konsequenzen einer drohenden Abschiebung. Das Gutachten ist insoweit als ein im Auftrag des Antragstellers zu 1 erstelltes Privatgutachten der Partei anzusehen. Die gutachterliche Stellungnahme vom 30. März 2017 sieht die bevorstehende Abschiebung als Ursache der Ausbildung eines depressiven Syndroms schweren Ausmaßes mit psychotischen Symptomen und Suizidandrohungen. Das psychische Störungsbild sei aufgrund der behördlich aufrechterhaltenen Belastungssituation therapieresistent. Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, dass das Krankheitsbild aus der Sicht des Antragstellers zu 1 mit sekundären Vorteilen verbunden und deshalb therapieresistent ist, erfolgt seitens des Gutachters nicht. Das Gutachten lässt nicht erkennen, welche ärztlichen Vorbefunde mit einbezogen wurden, vielmehr wird lediglich behauptet, es liege „unzweifelhaft“ eine schwere depressiv-suizidale Episode mit erheblichen psychotischen Anteilen vor. Die Exploration stützt sich maßgeblich auf die Angaben der Anwesenden, insbesondere des gesetzlichen Betreuers und Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu 1. Somatische Beschwerden des Antragstellers zu 1 wie Hyperventilieren, Herzbeschwerden und Atemnot werden wiedergegeben und beschrieben, ohne dass hierzu medizinische Untersuchungen dokumentiert sind. Auch die angeführte psychotische Symptomatik in Form von paranoiden Phänomenen durch Verfolgungsideen und akustischen Halluzinationen stützt sich ausschließlich auf die vom Patienten angegebene Kommunikation mit einem „weißen Stein“.

Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, dass eine artifizielle Störung vorliegt, ist dem Gutachten vom 30. März 2017 nicht zu entnehmen. Zufolge Nr. F68.1 der ICD-10 werden bei der artifiziellen Störung körperliche oder psychische Symptome oder Behinderungen absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht; alternative Bezeichnungen sind „Münchhausen-Syndrom“ und „Hospital-hopper-Syndrom“. Hierzu hätte aufgrund der Vorbefunde ein gewichtiger Anlass bestanden. Nach einem stationären Aufenthalt vom 1. März bis zum 14. März 2016 in der Tagesklinik und Kriseninterventionsstation des Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie in A., in dem sich der Antragsteller zu 1 seit dem 22. Januar 2016 in kontinuierlicher Behandlung befunden hat, führte der behandelnde Arzt im Arztbrief vom 17. März 2016 aus, anhand der klinischen Verhaltensbeobachtung habe im Verlauf kein konsistentes, zu den angegebenen Symptomen entsprechendes Verhalten beobachtet werden können, was den Verdacht auf eine artifizielle Störung erhärte. Eine artifizielle Störung ist darüber hinaus auch schon vom Bezirkskrankenhaus L. nach dem stationären Aufenthalt vom 27. November 2015 bis 22. Dezember 2015 sowie im Bericht vom 29. Februar 2016 vermutet worden. Diese Vorbefunde beruhen überwiegend auf mehrwöchigen stationären Beobachtungen und somit auf einer breiten Befunderhebung, der die Befunderhebung des Gutachters vom 30. März 2017 nicht annähernd gleichwertig ist. Die Vorbefunde stehen darüber hinaus mit der Tatsache im Einklang, dass die Krankheitserscheinungen in der Bundesrepublik erst zu einem Zeitpunkt begonnen haben, zu dem eine Aufenthaltsbeendigung erstmals ernsthaft betrieben worden ist, und dass sie in der seither vergangenen Zeit, in der die Behörde ihre Bemühungen fortgesetzt hat, therapieresistent gewesen sind.

Die „unzweifelhafte“ Annahme der vom Gutachter gestellten Diagnose hat somit keine tragfähige Grundlage. Nach den Ausführungen des medizinischen Gutachters ist aufgrund der „zweifellos“ bestehenden Eigengefährdung, der instabilen Gesamtsituation, der anhaltenden psychiatrischen Therapieresistenz nicht von einer Transportfähigkeit auszugehen. Wegen des vorangegangenen Verweises auf defizitäre Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat (Belege für diese Annahme werden nicht genannt; der Gutachter beruft sich insoweit auf Angaben eines Helferkreises) erscheint darüber hinaus bereits unklar, ob der Begriff der „Transportfähigkeit“ tatsächlich im Sinne einer Reisefähigkeit im engeren Sinn gebraucht wurde. Die in der gutachterlichen Stellungnahme aufgestellte Behauptung, von einer Transportfähigkeit sei nicht einmal in Ansätzen auszugehen, lässt jedenfalls nicht erkennen, weshalb die depressive Störung mit den aufgeführten Symptomen eine Transportunfähigkeit (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) – auch unter begleitenden Vorsorgemaßnahmen – bewirken soll (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Die wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) wird unter Verweis auf Angaben des unterstützenden Helferkreises zur Möglichkeit einer Krankenversicherung im Heimatstaat und der Erhältlichkeit der Medikamente – und entgegen der bestandskräftigen Feststellungen des Bundesamtes – durch das fachärztliche Attest ebenfalls lediglich behauptet. Der Gutachter stellt keinerlei Erwägungen zu möglichen Sicherungs- und Begleitmaßnahmen an, mit Hilfe derer einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes während des Abschiebungsvorgangs und nach Ankunft im Zielstaat begegnet werden könnte. Ungeachtet der Einbettung des Antragstellers zu 1 in familiäre Strukturen wird behauptet, es bestünden keine stabilisierenden oder präventiven Parameter, die das schwere psychische Störungsbild aufgrund der anhaltenden existentiellen und bedrohlichen Gesamtsituation in irgendeiner Weise deeskalierend beeinflussen könnten. Insgesamt ist auch für die Behauptung, dass bei Aufrechterhaltung der Abschiebebestrebungen ein Suizid des Patienten sehr wahrscheinlich sei, eine hinreichende Grundlage nicht zu erkennen, zumal trotz angenommener Eigengefährdung und der vom Gutachter gestellten Indikation zur stationären psychiatrischen Behandlung weder seitens des Arztes noch seitens des für die Gesundheitsfürsorge bestellten gesetzlichen Betreuers ein solcher stationärer Aufenthalt in die Wege geleitet worden ist. Die pauschale Negierung einer Transportfähigkeit in der ärztlichen Bescheinigung vom 30. März 2017 unter Verweis auf das „unzweifelhaft“ bestehende Krankheitsbild einer schweren depressiv suizidalen Episode mit erheblichen psychotischen Anteilen ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention, besondere Anforderungen an die Validität ärztlicher Bescheinigungen gerade bei behaupteter Suizidgefahr zu stellen, ungeeignet, die Annahme einer fehlenden Reisefähigkeit im engeren Rechtssinn zu begründen.

Genügt ein vom Ausländer vorgelegtes Gutachten nicht den Anforderungen an den Nachweis einer Reiseunfähigkeit, bleibt die Ausländerbehörde gleichwohl verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn sich aus den vorliegenden ärztlichen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand 2/2016, A 1, § 60a AufenthG, Rn. 61 mit Verweis auf VGH BW, B.v. 6.2.2008 – 11 S 2439/07 – juris Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 10).

Entsprechend der Vielzahl an ärztlichen Vorbefunden, die im Wesentlichen aus dem vielfachen Aufsuchen psychiatrischer Einrichtungen seit dem Stadium einer drohenden Aufenthaltsbeendigung resultieren und denen zufolge der Antragsteller zu 1 eine Erkrankung depressiver Art mit begrenzten Auswirkungen (in der amtsärztlichen Untersuchung durch das Gesundheitsamt am 25. Februar 2014 wurde eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung bei stabilem Zustand und bestehender Reisefähigkeit attestiert; Suizidversuche in der Vergangenheit sind nicht belegt) hat, bei der mit Wahrscheinlichkeit eine artifizielle Störung mitwirkt, und unter Berücksichtigung der seit 2015 bestehenden gesetzlichen Betreuung des Antragstellers zu 1 steht mit der Gewissheit fest, die in Fällen der vorliegenden Art zu gewinnen ist, dass der Antragsteller zu 1 eine psychische Erkrankung hat, die allerdings einer Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen steht. Zusätzliche Erkenntnisse (über diejenige aufgrund mehrwöchiger stationärer Beobachtungen hinaus) sind von einer weiteren Begutachtung nicht zu erwarten. Bei dieser Art der Erkrankung ist die Antragsgegnerin gehalten, im Rahmen der von ihr erkannten rechtlichen Schutzpflicht des Staates bei der Abschiebung – als einer besonderen Belastungs- und Ausnahmesituation – einer möglichen (Eigen-) Gefährdung des Ausländers entgegen zu wirken.

2. Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr handelt es sich bei einer behaupteten Reiseunfähigkeit und einer möglicherweise aus den besonderen Belastungen einer Abschiebung resultierenden Suizidgefahr um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände (vgl. BVerfG, B.v. 26.2.1998 – 2 BvR 185/98 – juris Rn. 3). Die Abschiebung ist von der Ausländerbehörde dann so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 16.4.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 14) kann es in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, um gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende Gefährdungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten und durch entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen präventiven Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, a.a.O., Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750).

Die Antragsgegnerin trägt dem hinreichend Rechnung. Neben Vorkehrungen vor Selbstgefährdung im Rahmen des von medizinischem bzw. ärztlichem Personal begleiteten Abschiebungsvorgangs hat sie die Bereitstellung der erforderlichen Medikation im Zielstaat über die deutsche Botschaft auch für einen längeren Zeitraum zugesagt.

Damit genügt die Antragsgegnerin ihrer staatlichen Schutzpflicht im Rahmen des Abschiebungsvorgangs sowohl im engeren als auch im weiteren Sinne in hinreichender Weise. Eine von Antragstellerseite geltend gemachte Kindswohlgefährdung durch eine Suizidalität des Antragstellers zu 1) ist nicht ersichtlich.

Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass wegen der Angabe einer falschen Identität und Nationalität und der fehlenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung für die Kinder eine unverschuldete Hinderung an der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 3, 4 AufenthG nicht vorlag und damit auch aus anderen rechtlichen Gründen die Abschiebung nicht unmöglich ist. Ein Ausreisehindernis ist auch dann verschuldet, wenn es auf einem Fehlverhalten in der Vergangenheit beruht. Auch unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 und ihrer besonderen Art ist die Angabe einer zutreffenden Identität und Nationalität eine zumutbare Anforderung. Es widerspräche Sinn und Zweck einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, einen Ausländer, der sich den Aufenthalt in Deutschland von vornherein durch Täuschung erschlichen hat, dadurch zu privilegieren, dass nach Aufdeckung der Täuschung der Aufenthalt legalisiert wird (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C-3/10 – juris Rn. 19). Im Übrigen steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Darüber hinaus teilen auch gut in Deutschland integrierte Kinder grundsätzlich das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern (vgl. OVG Saarl, B.v. 6.10.2015 – 2 B 166/15 – juris Rn. 8).

Die Beschwerden waren somit mit den getroffenen und im Wesentlichen von Antragsgegnerseite zugestandenen Maßgaben zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung entspricht § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Über den späteren Eintritt und Wegfall der Voraussetzungen des § 60 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes entscheidet die Ausländerbehörde, ohne dass es einer Aufhebung der Entscheidung des Bundesamtes bedarf.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer sind äthiopische Staatsangehörige und Eltern eines am 12. Februar 2014 geborenen Sohnes. Sie reisten im März 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag; zuvor hatten sie bereits in Italien einen Asylantrag gestellt. Sie wenden sich gegen einen am 3. März 2014 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Februar 2014, mit dem ihnen Eilrechtsschutz gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 27a AsylVfG gestützte Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 3. Februar 2014 versagt wurde, sie auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II) nach Italien abzuschieben.

2

1. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführer mit der Maßgabe ab, dass die angeordnete Abschiebung unter Berücksichtigung einer zweimonatigen "Mutterschutzfrist" (in Anlehnung an § 6 MuSchG) nicht vor dem 1. Mai 2014 vollzogen werden dürfe. Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung bestehe nicht. Weder sei ein Ausnahmefall nach dem Konzept der normativen Vergewisserung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 ff.) gegeben, noch lägen systemische Mängel des italienischen Asyl- und Aufnahmesystems im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) vor, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass der Asylbewerber oder Flüchtling tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Systemische Mängel, die eine Aussetzung der Abschiebung in Anwendung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gebieten könnten, seien auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle von Italien aufgrund der Auskunftslage derzeit nicht erkennbar (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336).

3

2. Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer am 3. April 2014 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG.

4

a) Die Beschwerdeführer befürchten unter Bezugnahme insbesondere auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien vom Oktober 2013, bei einer Rückkehr nach Italien wie die große Mehrheit der Schutzbedürftigen obdachlos zu werden und keinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Nahrungsmitteln zu erhalten. Schutzbedürftige Dublin-Rückkehrer seien einem sehr hohen Risiko der Verelendung ausgesetzt; ihre Situation sei wesentlich prekärer als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befinde. Etwas anderes gelte allenfalls für besonders schutzbedürftige Personen. Allerdings gälten Familien mit beiden Elternteilen in Italien nicht als verletzlich. Auch wenn es zu einer staatlichen Unterbringung kommen sollte, bestehe die Gefahr, dass sie nicht als Familie untergebracht würden, sondern dass es zu einer Unterbringung von Mutter und Kind in der einen, des Vaters aber in einer anderen Einrichtung komme. Eine Trennung der Familie, um die Wahrscheinlichkeit der Unterbringung zu erhöhen, könne ihnen jedoch nach Art. 8 EMRK nicht zugemutet werden. Gerade im Hinblick auf ihr neugeborenes Kind erscheine die Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung und Nahrung dramatisch.

5

b) Das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, die Berufung auf das Asyl-Grundrecht werde in Dublin-Fällen durch Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossen. Die Dublin-Fälle richteten sich vielmehr allein nach der - spezielleren - Vorschrift des Art. 16a Abs. 5 GG und den Vorgaben des - zwischenzeitlich vergemeinschafteten - europäischen Asylsystems. Während Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG den materiell-rechtlichen Gewährleistungsinhalt des Grundrechts auf Asyl grundsätzlich einschränke und den Prüfungsmaßstab nach dem Konzept der normativen Vergewisserung festlege, liege der Kompetenzübertragung nach Art. 16a Abs. 5 in Verbindung mit Art. 23 GG die Idee zugrunde, dass die Bundesrepublik den Gewährleistungsinhalt von Art. 16a Abs. 1 GG einer europäischen Zuständigkeitsregelung unterwerfe und zugleich an ihr normsetzend mitwirke. Die Pflichten, die die Bundesrepublik sich mit Art. 16a Abs. 1 GG auferlegt habe, könne sie danach nur soweit delegieren, wie die Verheißung eines im Gebiet der Dublin-Verordnung geltenden Flüchtlingsschutzes im anderen Mitgliedstaat auch wirklich eingelöst werde. Sei dies nicht der Fall, treffe die Bundesrepublik kraft des wechselseitigen und auf Solidarität sowie Mindeststandards beruhenden Lastenausgleichssystems die Rolle eines "Ausfallbürgen". Europäische Asylstandards würden in Italien jedoch nicht gewahrt; nach allem, was über die dortige Situation von Asylbewerbern bekannt sei, würden dort entscheidende Bestimmungen aus der Verfahrens-, Aufnahme- und Qualifikationsrichtlinie ebenso verletzt wie Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK.

6

Aus der Pflicht der Bundesrepublik zu gewährleisten, dass die Beschwerdeführer bei Überstellung an einen Dublin-Zielstaat keine Rechtsverletzungen an anderen Rechtsgütern erlitten, folge, dass die Bundesrepublik sich derartige Rechtsverletzungen zurechnen lassen müsse. Ihnen drohe in Italien Obdachlosigkeit und eine defiziente Gesundheits- und Lebensmittelversorgung, die in die reale Gefahr der Verelendung führe; hierin liege eine Verletzung sowohl der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als auch eine Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Verwaltungsgericht habe im Übrigen auch gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, indem es die einfachgesetzlich geltenden Normen der EMRK verfehlt interpretiert habe. In ihrem Falle sei Art. 3 EMRK zu berücksichtigen gewesen, der mit dem Verbot "unmenschlicher" oder "erniedrigender" Behandlung nach allgemeiner Auffassung gerade die Situation der Verelendung umschreibe, die durch den Zielstaat der Überstellung zu unterbleiben habe. Die drohende Trennung der Familie verletze Art. 6 GG.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>); sie ist unzulässig (dazu 1. und 2.). Hiervon unabhängig besteht allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden in dem vorliegenden Einzelfall geeignete Vorkehrungen zum Schutz des von der Rückführung betroffenen Kleinkindes der Beschwerdeführer zu treffen haben (dazu 3.).

8

1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG und Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK rügen, zeigen sie schon die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht auf (vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108, 370 <386 f.>). Die Beschwerdeführer setzen sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 <95 ff.>), des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR , Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) nicht auseinander, die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegt.

9

2. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG aufgrund einer drohenden Obdachlosigkeit und einer Trennung der Eltern von ihrem neugeborenen Kind bei einer Abschiebung geltend machen, legen sie nicht hinreichend substantiiert dar, dass sie in Italien mit Obdachlosigkeit und Trennung der Familie zu rechnen haben und ihrem Sohn als Folge der Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Es bedarf daher keiner Klärung, ob dahingehende systemische Mängel des italienischen Aufnahmesystems bestehen und ob solche strukturelle Defizite in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen Sonderfall darstellen können (vgl. dazu nur Moll/Pohl, ZAR 2012, S. 102 <104 ff.>; zu den Darlegungslasten für die Begründung eines solchen Sonderfalles vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Hierbei wäre ohnehin zu berücksichtigen, dass etwaige mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind (vgl. BVerfGE 128, 224 <226>).

10

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings - unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241 <242>).

11

a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311> auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris).

12

Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).

13

b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).

14

Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).

15

c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.

16

Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 der neugefassten Verordnung Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin III-Verordnung) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 15 Abs. 1 und 2 der Dublin II-Verordnung und Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.

17

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

I. Die Beschwerden werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin dafür Sorge trägt, dass die Abschiebung des Antragstellers zu 1 medizinisch betreut und er im Zielstaat der Abschiebung an hinreichend qualifiziertes medizinisches Personal übergeben wird.

II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller zu 1 und 2, nach eigenen Angaben am 28. November 2004 eingereiste armenische Staatsangehörige, und die Antragsteller zu 3 und 4, ihre 2005 und 2012 in der Bundesrepublik geborenen Kinder ebenfalls armenischer Staatsangehörigkeit, begehren nach rechtskräftig negativem Abschluss der jeweiligen Asylerst- und Folgeverfahren, im Wege der einstweiligen Anordnung ihre von der Antragsgegnerin beabsichtigte Abschiebung nach Armenien zu untersagen.

Die Antragsteller zu 1 und 2 reisten am 28. November 2004 in die Bundesrepublik ein und beantragten am 8. Dezember 2004 unter Angabe falscher Personalien und Behauptung der russischen Staatsangehörigkeit Asyl, was mit Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 18. Januar 2005 abgelehnt wurde. Die dagegen gerichteten Klagen wurden durch Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2006 abgewiesen, die Berufungen durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 14. April 2011 zurückgewiesen und die Nichtzulassungsbeschwerden vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 verworfen.

Die Antragsteller zu 3 und 4 wurden am 22. Juni 2005 und am 18. September 2012 in der Bundesrepublik geboren. Der Asylantrag des Antragstellers zu 3 wurde mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 abgelehnt.

Die Antragsteller waren seit dem 26. Januar 2012 im Besitz von Duldungen. Asylfolgeanträge vom 26. und 29. Juli 2012 wurden mit Bescheiden vom 26. und 28. Juni 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, Klagen und Eilanträge gegen den Bescheid vom 28. Juni 2016 blieben vor dem Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2016 und Urteil vom 23. Januar 2017 erfolglos. Der Asylantrag der Antragstellerin zu 4 wurde mit Bescheid vom 2. Juni 2016 abgelehnt.

Im September 2012 stellte sich heraus, dass die Antragsteller entgegen ihrer Angaben im Asylverfahren armenische Staatsangehörige sind. Die Antragsteller zu 1 und 2 legten am 7. November 2012 Kopien armenischer Nationalpässe, am 2. März 2015 gültige armenische Nationalpässe vor; Anträge auf Erteilung von Passersatzpapieren für die Antragsteller zu 3 und 4 wurden seitens der Antragsteller zu 1 und 2 nicht ausgefüllt.

Der Antragsteller zu 1 ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Wegen Diebstahls wurde er mit Strafbefehl vom 7. Februar 2005 zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu 10 Euro verurteilt; des Weiteren wurde er mit Strafbefehl vom 22. September 2005 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 10 Euro, wegen eines weiteren Diebstahls mit Urteil des Amtsgerichts O. vom 20. April 2006 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit Strafbefehl vom 19. Dezember 2007 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu 5 Euro, wegen Bedrohung durch Urteil vom Amtsgericht O. vom 8. Oktober 2008 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 5 Euro und wegen Diebstahls durch Urteil des Amtsgerichts A. vom 21. Juni 2010 zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

Der Antragsteller zu 1 steht seit 6. März 2015 unter gesetzlicher Betreuung. Ausweislich eines hausärztlichen Attestes vom 16. Januar 2014 leidet er unter einer schweren Depression. Im Arztbrief der Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses L. vom 29. Mai 2013 nach einer ambulanten Vorstellung wurde eine „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome und ohne Anhaltspunkte für Eigen- oder Fremdgefährdung“ diagnostiziert. Im ärztlichen Attest des Bezirkskrankenhauses L. vom 17. Januar 2014 nach einem stationären Aufenthalt vom 9. Januar bis 17. Januar 2014 in der Kriseninterventionsstation wird die drohende Abschiebung für die Erkrankung prognostisch ungünstig gesehen. Laut des Attestes eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie vom 28. Januar 2014 ist der Antragsteller zu 1 zu dieser Zeit wegen depressiver Störung in Behandlung gewesen; die Wohnheimsituation sei belastend. In der amtsärztlichen Untersuchung des Gesundheitsamtes des Landratsamtes A. vom 25. Februar 2014 wird eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung diagnostiziert; der Zustand sei stabil und Reisefähigkeit gegeben. Vom 27. November bis zum 22. Dezember 2015 befand sich der Antragsteller zu 1 in stationärer Behandlung im psychiatrischen Bezirkskrankenhaus L. mit der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung und einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen, wobei eine artifizielle Störung vermutet wurde. Der Arztbrief der Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses L. vom 17. Februar 2016 weist eine schwere depressive Episode mit psychotischen Anteilen bei rezidivierender depressiver Störung aus. Im ärztlichen Befundbericht der Institutsambulanz der Tagesklinik des Bezirkskrankenhauses L. vom 29. Februar 2016 wurde wiederum eine depressive Episode mit psychotischen Anteilen diagnostiziert; eine artifizielle Störung wurde in Erwägung gezogen bzw. nach dem letzten stationären Aufenthalt vom 27. November bis 22. Dezember 2015 vermutet. Vom 1. März bis 14. März 2016 befand sich der Antragsteller zu 1 in stationärer Behandlung der Tagesklinik und Kriseninterventionsstation des Bezirkskrankenhauses A.. Ein weiterer Befundbericht der Institutsambulanz der Tagesklinik des Bezirkskrankenhauses A. vom 17. März 2016 weist als Diagnosen eine depressive Störung mit psychotischen Symptomen sowie Verdacht auf artifizielle Störung aus. Anhand der klinischen Verhaltensbeobachtung habe kein konsistentes, zu seinen angegebenen Symptomen entsprechendes Verhalten beobachtet werden können, was den Verdacht auf eine artifizielle Störung erhärte. Vom 27. September bis zum 6. Oktober 2016 folgte ein stationärer Aufenthalt im Klinikum A. wegen Gastritis und Verdacht auf Morbus Crohn.

Mit Bescheid vom 21. April 2016 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. § 25a AufenthG mit der Begründung ab, es liege keine unverschuldete Verhinderung an der Ausreise vor, es bestehe ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen lägen wegen Nichterfüllung der Passpflicht nicht vor und der Antragsteller zu 3 sei nicht als Jugendlicher im Sinne von § 25a AufenthG anzusehen. Die dagegen gerichtete Klage vom 30. Mai 2016 ist vor dem Verwaltungsgericht W. anhängig (Az. W 7 K 16.568).

Mit Bescheid vom 23. März 2016, zugestellt am 17. Mai 2016 wurden die Antragsteller zu 1 und 2 ausgewiesen; die hiergegen gerichtete Klage vom 7. Juni 2016 ist vor dem Verwaltungsgericht W. anhängig (Az. W 7 K 16.593).

Die im Wege der einstweiligen Anordnung am 16. Februar 2017 begehrte Aussetzung von Abschiebemaßnahmen lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. März 2017 mit der Begründung ab, ein Anordnungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehe nicht, da die Abschiebung nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich sei. Eine effektive Rechtsverfolgung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 bzw. § 25a Abs. 1, Abs. 2 AufenthG werde nicht erschwert, da der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe und die Antragsteller nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert seien. Der Antragsteller zu 3 weise nicht das nach § 25a Abs. 1 AufenthG erforderliche Mindestalter von 14 Jahren auf. Es bestehe keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung wegen gesundheitlicher Probleme, da keine ärztlichen Bescheinigungen vorgelegt worden seien, die eine Reiseunfähigkeit belegten, und damit von der Vermutung nach § 60a Abs. 2c Sätze 1 und 2 AufenthG auszugehen sei.

Mit der Beschwerde wird unter Vorlage der gutachterlichen Stellungnahme eines psychiatrischen Facharztes der sozialpsychiatrischen Migrationsambulanz in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge vom 30. März 2017 geltend gemacht, die Abschiebungen seien wegen akuter Lebensgefahr des Antragstellers zu 1 aus gesundheitlichen Gründen unmöglich. Ein Suizid des Antragstellers zu 1 sei entsprechend der psychiatrischen Begutachtung als sehr wahrscheinlich zu beurteilen. Die Verabreichung zwingend notwendiger Medikamente sei in Armenien nicht möglich. Der Antragsteller zu 1 sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht transportfähig. Die Suizidgefahr begründe eine Kindeswohlgefährdung. Das Fehlverhalten einer jahrelangen Identitätstäuschung sei wegen der gesundheitlichen Probleme nicht mehr für das Abschiebungshindernis ursächlich; das Verhalten sei im Lichte der psychischen Erkrankung zu betrachten.

Die Antragsteller beantragen,

unter Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Antragsgegnerin vorläufig zur Erteilung einer Duldung und zur Aussetzung von Abschiebungsmaßnahmen zu verpflichten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin verweist auf die jahrelange Identitätstäuschung der Antragsteller sowie die Nichterfüllung der Passpflicht und der Mitwirkungsverpflichtung. Das ärztliche Gutachten vom 30. März 2017 behandle entgegen des sozialmedizinischen Gutachtensauftrages durch das Sozialgericht ausschließlich die Frage einer möglichen Abschiebung, sehe die Ursache der Erkrankung in der behördlicherseits aufrecht erhaltenen Belastungssituation und stütze sich auf Informationen eines Helferkreises. Soweit der Gutachter die Erforderlichkeit einer stationären psychiatrischen Behandlung attestiere, sei verwunderlich, dass der u.a. für die Gesundheitsfürsorge gerichtlich bestellte Betreuer eine solche psychiatrische Unterbringung nicht veranlasse. Dies nähre die Vermutung, dass es nicht um eine möglichst zeitige Therapie der geltend gemachten Erkrankung, sondern um eine „Konservierung“ eines Krankheitsbildes zum Schutz vor Abschiebung gehe. Die Attestierung, eine Abschiebung sei aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, berücksichtige nicht die Möglichkeiten der Gesundheitsfürsorge und -sicherung von mit Suizidalität bedrohten Personen im Rahmen des Abschiebungsvorgangs. Dem Antragsteller zu 1 könnten alle benötigten Medikamente auch für einen längeren Zeitraum im Zielstaat mitgegeben werden. Vor Vollzug einer Abschiebung werde eine amtsärztliche Untersuchung der Reisefähigkeit erfolgen. Die Abschiebung werde durch medizinisches Begleitpersonal flankiert. Ein vom Sozialgericht in Auftrag gegebener ärztlicher Untersuchungsauftrag zum Behinderungsgrad des Antragstellers zu 1 sei planmäßig zum Zweck der Verhinderung einer Abschiebung missbraucht worden. Das ärztliche Gutachten sei entgegen von § 60a Abs. 2d Satz 1 AufenthG der Antragsgegnerin nicht unverzüglich vorgelegt worden.

II.

Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.

Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Erteilung einer Duldung oder zum vorläufigen Absehen von einer Abschiebung abgelehnt hat.

Es ist kein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht. Die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) des Antragstellers zu 1 ist durch das im Beschwerdeverfahren vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 30. März 2017 nicht widerlegt (1.). Im Übrigen wäre selbst dann, wenn eine Suizidgefahr glaubhaft gemacht worden wäre, nicht zwangsläufig von einem krankheitsbedingten Abschiebungshindernis auszugehen; vielmehr genügt die Ausländerbehörde durch die von ihr angekündigten und vom Senat als Maßgaben in den Beschlusstenor aufgenommenen Sicherheitsvorkehrungen (wie die medizinische Begleitung im Abschiebungsvorgang und medikamentöse Versorgung für einen längeren Zeitraum im Zielstaat) ihrer Schutzpflicht, einer Suizidgefahr wirksam zu begegnen (2.).

1. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 17; B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953; B.v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlandsbezogene Abschiebungsverbote. Eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fällen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen der Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne; vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750 – juris Rn. 3 m.w.N.).

Wegen der Bindungswirkung nach § 42 AsylG der vorliegenden asylrechtlichen Entscheidungen betreffend das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG können im vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote in Betracht kommen (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953). Nach den rechtskräftigen Urteilen des Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2017 und den somit bestandskräftigen Bescheiden des Bundesamtes vom 28. Juni 2016 und 1. Juli 2016 droht den Antragstellern, insbesondere dem Antragsteller zu 1 keine individuelle, erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Armenien. Danach sind depressive Störungen mit psychotischen Symptomen in Armenien bei kostenloser medizinischer Behandlung auf gutem Standard behandelbar. Damit geht der Beschwerdevortrag hinsichtlich einer fehlenden Krankenversicherung im Heimatland und der Verfügbarkeit von Medikamenten ins Leere, da er sich mit der Situation des Antragstellers nach erfolgter Abschiebung in seine Heimat und der ihn dort erwartenden medizinischen und sonstigen Situation befasst.

Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBl I S. 390 –) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen enthalten, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Legt der Ausländer fachärztliche Berichte vor, sind diese zum Beweis für eine Reiseunfähigkeit nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. Insbesondere ist es dem Arzt, der ein Attest ausstellt, untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen (BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 10.7.2003 – S 2262/02 – juris Rn. 12). Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 19; B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 7).

Der Zweck der gesetzlichen Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18 ff.) folgendermaßen umschrieben: „Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind. (…) Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt. Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 (die Gesetzesbegründung bezieht sich hier auf § 60 Abs. 7 AufenthG) darstellen. (…) Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert (…). Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren.“

Die von der Antragstellerseite im Beschwerdeverfahren vorgelegte gutachterliche Stellungnahme vom 30. März 2017 genügt diesen Anforderungen nicht hinreichend. Zwar handelt es sich bei Dr. F., dem Ersteller des Gutachtens, um einen Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und forensische Psychiatrie, so dass von der erforderlichen ärztlichen Qualifikation auszugehen ist. Gleichwohl ist das Gutachten vom 30. März 2017 keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG und somit keine taugliche Grundlage für eine Beschwerdestattgabe. Es leidet an einer Vielzahl von fachlichen Mängeln. Dieser Umstand, das Tätigwerden des Gutachters im Rahmen einer „Sozialpsychiatrische Migrationsambulanz in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge“ sowie die Entstehungsgeschichte des Gutachtens erlauben es auch nicht, von einer Unvoreingenommenheit des Gutachters auszugehen. Wenngleich die fachärztliche Begutachtung vom 30. März 2017 anlässlich einer vom Sozialgericht beschlossenen sozialmedizinischen Beweiserhebung zum Grad der gesundheitlichen Einschränkungen im Sinne einer Behinderung erfolgte, bewegt sich die Begutachtung aber völlig außerhalb des vom Sozialgericht gestellten Beweisthemas und befasst sich ausschließlich mit den gesundheitlichen Konsequenzen einer drohenden Abschiebung. Das Gutachten ist insoweit als ein im Auftrag des Antragstellers zu 1 erstelltes Privatgutachten der Partei anzusehen. Die gutachterliche Stellungnahme vom 30. März 2017 sieht die bevorstehende Abschiebung als Ursache der Ausbildung eines depressiven Syndroms schweren Ausmaßes mit psychotischen Symptomen und Suizidandrohungen. Das psychische Störungsbild sei aufgrund der behördlich aufrechterhaltenen Belastungssituation therapieresistent. Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, dass das Krankheitsbild aus der Sicht des Antragstellers zu 1 mit sekundären Vorteilen verbunden und deshalb therapieresistent ist, erfolgt seitens des Gutachters nicht. Das Gutachten lässt nicht erkennen, welche ärztlichen Vorbefunde mit einbezogen wurden, vielmehr wird lediglich behauptet, es liege „unzweifelhaft“ eine schwere depressiv-suizidale Episode mit erheblichen psychotischen Anteilen vor. Die Exploration stützt sich maßgeblich auf die Angaben der Anwesenden, insbesondere des gesetzlichen Betreuers und Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu 1. Somatische Beschwerden des Antragstellers zu 1 wie Hyperventilieren, Herzbeschwerden und Atemnot werden wiedergegeben und beschrieben, ohne dass hierzu medizinische Untersuchungen dokumentiert sind. Auch die angeführte psychotische Symptomatik in Form von paranoiden Phänomenen durch Verfolgungsideen und akustischen Halluzinationen stützt sich ausschließlich auf die vom Patienten angegebene Kommunikation mit einem „weißen Stein“.

Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, dass eine artifizielle Störung vorliegt, ist dem Gutachten vom 30. März 2017 nicht zu entnehmen. Zufolge Nr. F68.1 der ICD-10 werden bei der artifiziellen Störung körperliche oder psychische Symptome oder Behinderungen absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht; alternative Bezeichnungen sind „Münchhausen-Syndrom“ und „Hospital-hopper-Syndrom“. Hierzu hätte aufgrund der Vorbefunde ein gewichtiger Anlass bestanden. Nach einem stationären Aufenthalt vom 1. März bis zum 14. März 2016 in der Tagesklinik und Kriseninterventionsstation des Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie in A., in dem sich der Antragsteller zu 1 seit dem 22. Januar 2016 in kontinuierlicher Behandlung befunden hat, führte der behandelnde Arzt im Arztbrief vom 17. März 2016 aus, anhand der klinischen Verhaltensbeobachtung habe im Verlauf kein konsistentes, zu den angegebenen Symptomen entsprechendes Verhalten beobachtet werden können, was den Verdacht auf eine artifizielle Störung erhärte. Eine artifizielle Störung ist darüber hinaus auch schon vom Bezirkskrankenhaus L. nach dem stationären Aufenthalt vom 27. November 2015 bis 22. Dezember 2015 sowie im Bericht vom 29. Februar 2016 vermutet worden. Diese Vorbefunde beruhen überwiegend auf mehrwöchigen stationären Beobachtungen und somit auf einer breiten Befunderhebung, der die Befunderhebung des Gutachters vom 30. März 2017 nicht annähernd gleichwertig ist. Die Vorbefunde stehen darüber hinaus mit der Tatsache im Einklang, dass die Krankheitserscheinungen in der Bundesrepublik erst zu einem Zeitpunkt begonnen haben, zu dem eine Aufenthaltsbeendigung erstmals ernsthaft betrieben worden ist, und dass sie in der seither vergangenen Zeit, in der die Behörde ihre Bemühungen fortgesetzt hat, therapieresistent gewesen sind.

Die „unzweifelhafte“ Annahme der vom Gutachter gestellten Diagnose hat somit keine tragfähige Grundlage. Nach den Ausführungen des medizinischen Gutachters ist aufgrund der „zweifellos“ bestehenden Eigengefährdung, der instabilen Gesamtsituation, der anhaltenden psychiatrischen Therapieresistenz nicht von einer Transportfähigkeit auszugehen. Wegen des vorangegangenen Verweises auf defizitäre Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat (Belege für diese Annahme werden nicht genannt; der Gutachter beruft sich insoweit auf Angaben eines Helferkreises) erscheint darüber hinaus bereits unklar, ob der Begriff der „Transportfähigkeit“ tatsächlich im Sinne einer Reisefähigkeit im engeren Sinn gebraucht wurde. Die in der gutachterlichen Stellungnahme aufgestellte Behauptung, von einer Transportfähigkeit sei nicht einmal in Ansätzen auszugehen, lässt jedenfalls nicht erkennen, weshalb die depressive Störung mit den aufgeführten Symptomen eine Transportunfähigkeit (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) – auch unter begleitenden Vorsorgemaßnahmen – bewirken soll (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Die wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) wird unter Verweis auf Angaben des unterstützenden Helferkreises zur Möglichkeit einer Krankenversicherung im Heimatstaat und der Erhältlichkeit der Medikamente – und entgegen der bestandskräftigen Feststellungen des Bundesamtes – durch das fachärztliche Attest ebenfalls lediglich behauptet. Der Gutachter stellt keinerlei Erwägungen zu möglichen Sicherungs- und Begleitmaßnahmen an, mit Hilfe derer einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes während des Abschiebungsvorgangs und nach Ankunft im Zielstaat begegnet werden könnte. Ungeachtet der Einbettung des Antragstellers zu 1 in familiäre Strukturen wird behauptet, es bestünden keine stabilisierenden oder präventiven Parameter, die das schwere psychische Störungsbild aufgrund der anhaltenden existentiellen und bedrohlichen Gesamtsituation in irgendeiner Weise deeskalierend beeinflussen könnten. Insgesamt ist auch für die Behauptung, dass bei Aufrechterhaltung der Abschiebebestrebungen ein Suizid des Patienten sehr wahrscheinlich sei, eine hinreichende Grundlage nicht zu erkennen, zumal trotz angenommener Eigengefährdung und der vom Gutachter gestellten Indikation zur stationären psychiatrischen Behandlung weder seitens des Arztes noch seitens des für die Gesundheitsfürsorge bestellten gesetzlichen Betreuers ein solcher stationärer Aufenthalt in die Wege geleitet worden ist. Die pauschale Negierung einer Transportfähigkeit in der ärztlichen Bescheinigung vom 30. März 2017 unter Verweis auf das „unzweifelhaft“ bestehende Krankheitsbild einer schweren depressiv suizidalen Episode mit erheblichen psychotischen Anteilen ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention, besondere Anforderungen an die Validität ärztlicher Bescheinigungen gerade bei behaupteter Suizidgefahr zu stellen, ungeeignet, die Annahme einer fehlenden Reisefähigkeit im engeren Rechtssinn zu begründen.

Genügt ein vom Ausländer vorgelegtes Gutachten nicht den Anforderungen an den Nachweis einer Reiseunfähigkeit, bleibt die Ausländerbehörde gleichwohl verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn sich aus den vorliegenden ärztlichen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand 2/2016, A 1, § 60a AufenthG, Rn. 61 mit Verweis auf VGH BW, B.v. 6.2.2008 – 11 S 2439/07 – juris Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 10).

Entsprechend der Vielzahl an ärztlichen Vorbefunden, die im Wesentlichen aus dem vielfachen Aufsuchen psychiatrischer Einrichtungen seit dem Stadium einer drohenden Aufenthaltsbeendigung resultieren und denen zufolge der Antragsteller zu 1 eine Erkrankung depressiver Art mit begrenzten Auswirkungen (in der amtsärztlichen Untersuchung durch das Gesundheitsamt am 25. Februar 2014 wurde eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung bei stabilem Zustand und bestehender Reisefähigkeit attestiert; Suizidversuche in der Vergangenheit sind nicht belegt) hat, bei der mit Wahrscheinlichkeit eine artifizielle Störung mitwirkt, und unter Berücksichtigung der seit 2015 bestehenden gesetzlichen Betreuung des Antragstellers zu 1 steht mit der Gewissheit fest, die in Fällen der vorliegenden Art zu gewinnen ist, dass der Antragsteller zu 1 eine psychische Erkrankung hat, die allerdings einer Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen steht. Zusätzliche Erkenntnisse (über diejenige aufgrund mehrwöchiger stationärer Beobachtungen hinaus) sind von einer weiteren Begutachtung nicht zu erwarten. Bei dieser Art der Erkrankung ist die Antragsgegnerin gehalten, im Rahmen der von ihr erkannten rechtlichen Schutzpflicht des Staates bei der Abschiebung – als einer besonderen Belastungs- und Ausnahmesituation – einer möglichen (Eigen-) Gefährdung des Ausländers entgegen zu wirken.

2. Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr handelt es sich bei einer behaupteten Reiseunfähigkeit und einer möglicherweise aus den besonderen Belastungen einer Abschiebung resultierenden Suizidgefahr um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände (vgl. BVerfG, B.v. 26.2.1998 – 2 BvR 185/98 – juris Rn. 3). Die Abschiebung ist von der Ausländerbehörde dann so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 16.4.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 14) kann es in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, um gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende Gefährdungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten und durch entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen präventiven Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, a.a.O., Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750).

Die Antragsgegnerin trägt dem hinreichend Rechnung. Neben Vorkehrungen vor Selbstgefährdung im Rahmen des von medizinischem bzw. ärztlichem Personal begleiteten Abschiebungsvorgangs hat sie die Bereitstellung der erforderlichen Medikation im Zielstaat über die deutsche Botschaft auch für einen längeren Zeitraum zugesagt.

Damit genügt die Antragsgegnerin ihrer staatlichen Schutzpflicht im Rahmen des Abschiebungsvorgangs sowohl im engeren als auch im weiteren Sinne in hinreichender Weise. Eine von Antragstellerseite geltend gemachte Kindswohlgefährdung durch eine Suizidalität des Antragstellers zu 1) ist nicht ersichtlich.

Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass wegen der Angabe einer falschen Identität und Nationalität und der fehlenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung für die Kinder eine unverschuldete Hinderung an der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 3, 4 AufenthG nicht vorlag und damit auch aus anderen rechtlichen Gründen die Abschiebung nicht unmöglich ist. Ein Ausreisehindernis ist auch dann verschuldet, wenn es auf einem Fehlverhalten in der Vergangenheit beruht. Auch unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 und ihrer besonderen Art ist die Angabe einer zutreffenden Identität und Nationalität eine zumutbare Anforderung. Es widerspräche Sinn und Zweck einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, einen Ausländer, der sich den Aufenthalt in Deutschland von vornherein durch Täuschung erschlichen hat, dadurch zu privilegieren, dass nach Aufdeckung der Täuschung der Aufenthalt legalisiert wird (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C-3/10 – juris Rn. 19). Im Übrigen steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Darüber hinaus teilen auch gut in Deutschland integrierte Kinder grundsätzlich das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern (vgl. OVG Saarl, B.v. 6.10.2015 – 2 B 166/15 – juris Rn. 8).

Die Beschwerden waren somit mit den getroffenen und im Wesentlichen von Antragsgegnerseite zugestandenen Maßgaben zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung entspricht § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer sind äthiopische Staatsangehörige und Eltern eines am 12. Februar 2014 geborenen Sohnes. Sie reisten im März 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag; zuvor hatten sie bereits in Italien einen Asylantrag gestellt. Sie wenden sich gegen einen am 3. März 2014 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Februar 2014, mit dem ihnen Eilrechtsschutz gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 27a AsylVfG gestützte Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 3. Februar 2014 versagt wurde, sie auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II) nach Italien abzuschieben.

2

1. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführer mit der Maßgabe ab, dass die angeordnete Abschiebung unter Berücksichtigung einer zweimonatigen "Mutterschutzfrist" (in Anlehnung an § 6 MuSchG) nicht vor dem 1. Mai 2014 vollzogen werden dürfe. Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung bestehe nicht. Weder sei ein Ausnahmefall nach dem Konzept der normativen Vergewisserung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 ff.) gegeben, noch lägen systemische Mängel des italienischen Asyl- und Aufnahmesystems im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) vor, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass der Asylbewerber oder Flüchtling tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Systemische Mängel, die eine Aussetzung der Abschiebung in Anwendung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gebieten könnten, seien auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle von Italien aufgrund der Auskunftslage derzeit nicht erkennbar (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336).

3

2. Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer am 3. April 2014 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG.

4

a) Die Beschwerdeführer befürchten unter Bezugnahme insbesondere auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien vom Oktober 2013, bei einer Rückkehr nach Italien wie die große Mehrheit der Schutzbedürftigen obdachlos zu werden und keinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Nahrungsmitteln zu erhalten. Schutzbedürftige Dublin-Rückkehrer seien einem sehr hohen Risiko der Verelendung ausgesetzt; ihre Situation sei wesentlich prekärer als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befinde. Etwas anderes gelte allenfalls für besonders schutzbedürftige Personen. Allerdings gälten Familien mit beiden Elternteilen in Italien nicht als verletzlich. Auch wenn es zu einer staatlichen Unterbringung kommen sollte, bestehe die Gefahr, dass sie nicht als Familie untergebracht würden, sondern dass es zu einer Unterbringung von Mutter und Kind in der einen, des Vaters aber in einer anderen Einrichtung komme. Eine Trennung der Familie, um die Wahrscheinlichkeit der Unterbringung zu erhöhen, könne ihnen jedoch nach Art. 8 EMRK nicht zugemutet werden. Gerade im Hinblick auf ihr neugeborenes Kind erscheine die Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung und Nahrung dramatisch.

5

b) Das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, die Berufung auf das Asyl-Grundrecht werde in Dublin-Fällen durch Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossen. Die Dublin-Fälle richteten sich vielmehr allein nach der - spezielleren - Vorschrift des Art. 16a Abs. 5 GG und den Vorgaben des - zwischenzeitlich vergemeinschafteten - europäischen Asylsystems. Während Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG den materiell-rechtlichen Gewährleistungsinhalt des Grundrechts auf Asyl grundsätzlich einschränke und den Prüfungsmaßstab nach dem Konzept der normativen Vergewisserung festlege, liege der Kompetenzübertragung nach Art. 16a Abs. 5 in Verbindung mit Art. 23 GG die Idee zugrunde, dass die Bundesrepublik den Gewährleistungsinhalt von Art. 16a Abs. 1 GG einer europäischen Zuständigkeitsregelung unterwerfe und zugleich an ihr normsetzend mitwirke. Die Pflichten, die die Bundesrepublik sich mit Art. 16a Abs. 1 GG auferlegt habe, könne sie danach nur soweit delegieren, wie die Verheißung eines im Gebiet der Dublin-Verordnung geltenden Flüchtlingsschutzes im anderen Mitgliedstaat auch wirklich eingelöst werde. Sei dies nicht der Fall, treffe die Bundesrepublik kraft des wechselseitigen und auf Solidarität sowie Mindeststandards beruhenden Lastenausgleichssystems die Rolle eines "Ausfallbürgen". Europäische Asylstandards würden in Italien jedoch nicht gewahrt; nach allem, was über die dortige Situation von Asylbewerbern bekannt sei, würden dort entscheidende Bestimmungen aus der Verfahrens-, Aufnahme- und Qualifikationsrichtlinie ebenso verletzt wie Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK.

6

Aus der Pflicht der Bundesrepublik zu gewährleisten, dass die Beschwerdeführer bei Überstellung an einen Dublin-Zielstaat keine Rechtsverletzungen an anderen Rechtsgütern erlitten, folge, dass die Bundesrepublik sich derartige Rechtsverletzungen zurechnen lassen müsse. Ihnen drohe in Italien Obdachlosigkeit und eine defiziente Gesundheits- und Lebensmittelversorgung, die in die reale Gefahr der Verelendung führe; hierin liege eine Verletzung sowohl der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als auch eine Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Verwaltungsgericht habe im Übrigen auch gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, indem es die einfachgesetzlich geltenden Normen der EMRK verfehlt interpretiert habe. In ihrem Falle sei Art. 3 EMRK zu berücksichtigen gewesen, der mit dem Verbot "unmenschlicher" oder "erniedrigender" Behandlung nach allgemeiner Auffassung gerade die Situation der Verelendung umschreibe, die durch den Zielstaat der Überstellung zu unterbleiben habe. Die drohende Trennung der Familie verletze Art. 6 GG.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>); sie ist unzulässig (dazu 1. und 2.). Hiervon unabhängig besteht allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden in dem vorliegenden Einzelfall geeignete Vorkehrungen zum Schutz des von der Rückführung betroffenen Kleinkindes der Beschwerdeführer zu treffen haben (dazu 3.).

8

1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG und Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK rügen, zeigen sie schon die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht auf (vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108, 370 <386 f.>). Die Beschwerdeführer setzen sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 <95 ff.>), des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR , Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) nicht auseinander, die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegt.

9

2. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG aufgrund einer drohenden Obdachlosigkeit und einer Trennung der Eltern von ihrem neugeborenen Kind bei einer Abschiebung geltend machen, legen sie nicht hinreichend substantiiert dar, dass sie in Italien mit Obdachlosigkeit und Trennung der Familie zu rechnen haben und ihrem Sohn als Folge der Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Es bedarf daher keiner Klärung, ob dahingehende systemische Mängel des italienischen Aufnahmesystems bestehen und ob solche strukturelle Defizite in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen Sonderfall darstellen können (vgl. dazu nur Moll/Pohl, ZAR 2012, S. 102 <104 ff.>; zu den Darlegungslasten für die Begründung eines solchen Sonderfalles vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Hierbei wäre ohnehin zu berücksichtigen, dass etwaige mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind (vgl. BVerfGE 128, 224 <226>).

10

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings - unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241 <242>).

11

a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311> auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris).

12

Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).

13

b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).

14

Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).

15

c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.

16

Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 der neugefassten Verordnung Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin III-Verordnung) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 15 Abs. 1 und 2 der Dublin II-Verordnung und Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.

17

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Gründe

I.

1

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 05.09.2017 – 1 B 967/17 HAL – den Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Abschiebungsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, bei der Antragstellerin zu 1 liege keine Reiseunfähigkeit vor. Es sei weder glaubhaft gemacht noch sonst zu erkennen, dass eine akute Suizidalität bestehe oder sich durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ergebe. Das aktuelle psychologische Attest der Psychologin (G.) des Psychosozialen Zentrums für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 14.03.2017 stelle keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG dar. Die weiteren Atteste, z.B. das Attest des Facharztes für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie (P.) vom 03.12.2013, seien mangels Aktualität nicht aussagekräftig und genügten auch nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG. Die Antragstellerin zu 1 sei auch nicht unverschuldet gehindert gewesen, eine diesen Anforderungen entsprechende Bescheinigung einzuholen, da sie sich zumindest seit 2015 in fachärztlicher Behandlung bei Herrn Dr. (M.) bzw. Frau Dr. (H.) befinde. Auch aus einer Gesamtschau ergäben sich keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Soweit der Amtsarzt des Antragsgegners die Erkrankung der Antragstellerin zu 1 (schwere depressive Erkrankung und Posttraumatische Belastungsstörung) mit möglicher suizidaler Gefahr bestätige, vermöge das beschließende Gericht dem nicht zu folgen. Aus dem psychologischen Attest vom 14.03.2017 ergebe sich nichts anderes. Weiterer Aufklärungsbedarf bestehe nicht. Es bestünden vielmehr erhebliche Zweifel am Vorliegen einer schweren psychischen Erkrankung der Antragstellerin zu 1 und erst Recht, eine Erkrankung unterstellt, an einer wesentlichen Verschlechterung dieser Erkrankung im Falle ihrer Abschiebung. Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr oder Verschlechterung liege kein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor. Der Antragsgegner habe Vorkehrungen zum Schutz vor einer Selbstgefährdung der Antragstellerin zu 1 im Rahmen des von medizinischem bzw. berufserfahrenen ärztlichem Personal begleiteten Abschiebevorgangs getroffen und ihre Übernahme am Zielflughafen durch Ärzte an das dortige Medical Center abgesichert. Nach der Stellungnahme des Bundesamtes vom 13.07.2015 stünden der Abschiebung auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG entgegen.

II.

2

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Die von ihnen dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

3

Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 01.12.2014 – 2 M 119/14 –, juris RdNr. 7) eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht. Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –, juris RdNr. 4).

4

Es entspricht ferner der bisherigen Rechtsprechung des Senats, dass die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde, wenn ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend macht oder sich sonst konkrete Hinweise darauf ergeben, verpflichtet ist, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –, juris RdNr. 5).

5

Bei der Beurteilung der Reisefähigkeit im Rahmen des § 60a Abs. 2 AufenthG sind die Regelungen des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG zu beachten. Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Wird die geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, wird die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nicht widerlegt.

6

Ist eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht und die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit damit nicht widerlegt, kommt eine Aussetzung der Abschiebung in der Regel nicht in Betracht. Eine Ermittlungspflicht der Ausländerbehörde besteht in diesem Fall grundsätzlich nicht (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –, juris RdNr. 21). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Ausländer unverschuldet an der Einholung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c AufenthG gehindert war oder anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Dies folgt aus § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG. Danach darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, wenn der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG verletzt, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Soweit Letzteres der Fall ist, hat die Ausländerbehörde diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und in Anwendung des § 24 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA eine (erneute) ärztliche Untersuchung anzuordnen, die hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet und diese sich im Fall einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Nur wenn der Ausländer einer Anordnung zur Durchführung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, ist die Behörde gemäß § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, obwohl der Ausländer unverschuldet an der Einholung einer Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG gehindert war oder anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für eine Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG vorliegen.

7

Nach diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass eine Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 1 weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich ist und auch kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Die Antragstellerin zu 1 hat die von ihr geltend gemachte psychische Erkrankung, die ihre Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG glaubhaft gemacht (dazu 1). Damit ist die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nicht widerlegt. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass die Antragstellerin zu 1 nicht unverschuldet gehindert war, eine den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entsprechende Bescheinigung einzuholen (dazu 2) und keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkte i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG für eine schwere psychische Erkrankung der Antragstellerin zu 1, die sich durch eine Abschiebung verschlechtern kann, vorliegen (dazu 3).

8

1. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Attest der Psychologin (G.) des Psychosozialen Zentrums für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 14.03.2017 keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG ist. Hiergegen erheben die Antragsteller mit ihrer Beschwerde auch keine Einwände. Das psychologische Attest vom 14.03.2017 ist daher ebenso wenig wie die psychologischen Stellungnahmen vom 04.08.2014, 16.12.2014 und 30.11.2015 geeignet, die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG zu widerlegen. Mit der Beschränkung der berücksichtigungsfähigen Unterlagen auf qualifizierte ärztliche Bescheinigungen wollte der Gesetzgeber den Schwierigkeiten bei der Bewertung von Bescheinigungen nur schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art, insbesondere der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Rechnung tragen (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 19 f.). Atteste von Psychotherapeuten, Psychologen oder psychosozialen Zentren bleiben danach gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG bei der Beurteilung der Reisefähigkeit grundsätzlich außer Betracht (vgl. Beschl. d. Senats v. 30.08.2016 – 2 O 31/16 –, juris RdNr. 9). Ebenso zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass auch die weiteren vorgelegten Atteste, z.B. das Attest des Facharztes für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie (P.) vom 03.12.2013, den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG nicht gerecht werden. Das gilt auch für die Stellungnahme des Amtsarztes des Antragsgegners Dr. med. (P.) vom 17.01.2017 sowie für dessen ergänzende Beurteilung vom 04.09.2017. Auch diese Unterlagen reichen nicht aus, die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG zu widerlegen.

9

2. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin zu 1 geltend, es könne ihr nicht als eigenes Verschulden zugerechnet werden, dass sie keine den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG genügende ärztliche Stellungnahme vorgelegt habe, da sie sich mit Schreiben vom 16.02.2017 an Frau Dr. (H.) gewandt habe, diese aber keine Stellungnahme verfasst habe. Dies entkräftet das Argument des Verwaltungsgerichts nicht, welches darauf abgestellt hat, dass sich die Antragstellerin zumindest seit 2015 in fachärztlicher Behandlung befunden habe, ohne dass ersichtlich sei, weshalb sie keine qualifizierte Bescheinigung ihrer Fachärzte habe beibringen können. Auch nach dem Vorbringen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren bleibt unklar, weshalb die fehlende Einholung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung trotz der bereits seit langem andauernden fachärztlichen Behandlung im Sinne des § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG unverschuldet gewesen sein soll.

10

3. Aus den vorgelegten Attesten und Stellungnahmen, die den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG nicht entsprechen, ergeben sich auch keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG. Derartige Atteste können in der Regel nur ergänzend zu anderen Erkenntnissen im Wege einer Gesamtschau zu anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG beitragen (vgl. Beschl. d. Senats v. 30.08.2016 – 2 O 31/16 –, a.a.O. RdNr. 9). Allein mit der Vorlage ärztlicher und psychologischer Bescheinigungen, die nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechen, können grundsätzlich keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d AufenthG begründet werden, da andernfalls eine Aushöhlung der gesetzlichen Wertungen des § 60a Abs. 2c AufenthG droht. Es bedarf keiner Vertiefung, ob in Ausnahmefällen auch allein aufgrund von Arztberichten, die den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG nicht genügen, ausreichende Anhaltspunkte i.S.v. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG vorliegen können, die weitere Ermittlungen veranlassen (vgl. VGH BW, Beschl. v. 01.06.2017 – 11 S 658/17 –, juris RdNr. 5; Beschl. v. 10.08.2017 – 11 S 1724/17 –, juris RdNr. 30), denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

11

Zwar führt der Amtsarzt des Antragsgegners in seiner Stellungnahme vom 17.01.2017 aus, es sei gesichert, dass bei der Antragstellerin zu 1 eine schwere depressive Erkrankung sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung vorlägen. Auch bestehe bei Durchführung einer Rückführung durch diese Gesundheitsstörung ein hohes Suizidrisiko. Gleichwohl ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass sich hieraus keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG ergeben, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Zu Recht hat es bereits die Aussage des Amtsarztes bezweifelt, es sei gesichert, dass bei der Antragstellerin zu 1 eine schwere depressive Erkrankung sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung vorlägen. Zur Begründung hat es ausgeführt, fehl gehe schon die Annahme des Amtsarztes, die Erkrankung der Antragstellerin zu 1 sei aufgrund des Schreibens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen vom 13.07.2015 gesichert, denn das Schreiben verhalte sich dazu nicht, sondern stelle nur die Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten im Zielstaat Serbien dar. Die vom Amtsarzt ebenfalls – offenkundig unkritisch – herangezogenen Berichte des Psychosozialen Zentrums für Migrantinnen und Migranten seien mangels Qualifikation i.S.v. § 60a Abs. 2c AufenthG nicht tragfähig. Eigene Befunderhebungen und -auswertungen würden von ihm nicht mitgeteilt. Er ziehe auch keine nachvollziehbaren Schlussfolgerungen hinsichtlich der Ausprägung der Gesundheitsstörung und eines Suizidrisikos. Überdies setze er sich weder mit der Tatsache auseinander, dass die Antragstellerin zu 1 eine stationäre Behandlung verweigert habe, noch vermisse er ein fachärztliches Attest. Er setze sich auch weder mit den seit Jahren erfolgten bisherigen Therapien und deren Erfolg auseinander noch mit der Wirksamkeit und Angemessenheit der Medikation. Mit diesen plausiblen Einwänden gegen das amtsärztliche Attest vom 17.01.2017 haben sich die Antragsteller in ihrer Beschwerde nicht näher auseinandergesetzt.

12

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht weiterhin angenommen, dass sich auch aus dem psychologischen Attest vom 14.03.2017 nichts anderes ergebe. Es sei nicht schlüssig, soweit akute Suizidgedanken festgestellt würden, ohne einen stationären Aufenthalt, den die Antragstellerin zu 1 seit Jahren ablehne, in die Wege zu leiten. Zudem werde auf eine kontinuierliche psychologische und psychiatrische Behandlung verwiesen, die bei dem Facharzt aber lediglich auf pharmakologischer Basis erfolge, ohne dass ersichtlich sei, dass die Medikation nicht angemessen und wirksam eingesetzt werde. Das Attest sei schließlich auch deshalb nicht verwertbar, weil die Psychologin ausdrücklich ausgeführt habe, sie sei bereit, ihre Stellungnahme auf Wunsch zu ändern. Dies lege den Schluss nahe, dass es sich um ein "Gefälligkeitsgutachten" handele. Auch hierauf gehen die Antragsteller in ihrer Beschwerde nicht näher ein.

13

Hiernach genügen die vorgelegten psychologischen Stellungnahmen, auch in Verbindung mit der amtsärztlichen Stellungnahme vom 17.01.2017, nicht, um nach den im Beschluss des Senats vom 01.12.2014 – 2 M 119/14 – dargestellten Grundsätzen einen Anspruch auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung zu begründen. Tatsächliche Anhaltspunkte, die über die vorgelegten Atteste und Stellungnahmen, die letztlich allein auf den Angaben der Antragstellerin zu 1 beruhen, hinausgehen und auf eine Suizidgefahr hindeuten, etwa ein (dokumentierter) Selbstmordversuch, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Gegenteil deuten die vom Antragsgegner in seinem Schreiben vom 06.09.2017 wiedergegebenen Beobachtungen der Ärztin Frau Dr. (M.), die bei der Abholung der Antragsteller in ihrer Unterkunft in A-Stadt zugegen war, eher darauf hin, dass der Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 1 nicht wesentlich beeinträchtigt ist. Hiernach sei die Antragstellerin von Frau Dr. (M.) zu ihrem Befinden befragt worden, worauf geantwortet worden sei, dass "alles gut" sei. Die Frage nach der Einnahme oder Notwendigkeit von Medikamenten sei verneint worden. Zudem sei von dem Antragsteller zu 2 darauf hingewiesen worden, dass die Antragstellerin zu 1 schon eine ganze Weile keine Medikamente mehr nehme. Es gehe ihr gut. Frau Dr. (M.) habe erklärt, dass die Antragstellerin zu 1 nicht dem angegebenen Krankheitsbild entspreche und einen guten Eindruck mache. Der Senat sieht keinen Anlass, die Richtigkeit der in dem Schreiben des Antragsgegners vom 06.09.2017 wiedergegebenen Tatsachen zu bezweifeln.

14

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob im vorliegenden Fall die bei hoher Suizidgefahr bestehenden Anforderungen an die Ausgestaltung des Abschiebevorgangs sowie an die sich daran anschließenden Übergabe des Betroffenen an medizinisch hinreichend qualifiziertes Personal im Zielstaat der Abschiebung (vgl. hierzu VGH BW, Beschl. v. 10.08.2017 – 11 S 1724/17 –, a.a.O. RdNr. 31) erfüllt sind.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

16

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.