Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Urteil, 08. Sept. 2016 - 4 K 395/16.NW

ECLI:ECLI:DE:VGNEUST:2016:0908.4K395.16.NW.0A
bei uns veröffentlicht am08.09.2016

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine vom Beklagten den Beigeladenen nachträglich erteilte Baugenehmigung.

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Die Klägerin ist seit 2013 Alleineigentümerin des von ihr und ihrem Ehemann seit 1966 bewohnten Grundstücks mit der Flurstück-Nr. ...., A-Straße .. in Haßloch. Östlich grenzt das ebenfalls im Eigentum der Klägerin stehende über 1.200 m² große Grundstück Flurstück-Nr. …… an, das als Garten genutzt wird. Die Beigeladenen sind seit 1994 Eigentümer des mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks Flurstück-Nr. 6483/1, A-Straße ... Dieses grenzt im Osten vollständig an das Gartengrundstück des Beigeladenen an.

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Zur Veranschaulichung der örtlichen Verhältnisse mag die nachfolgende Skizze dienen:

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Abbildung
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Die Grundstücke Flurstück-Nrn. .... und …. liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „A-Straße“ der Gemeinde Haßloch aus dem Jahre 1995, geändert im Jahre 1999. Dieser weist das gesamte Plangebiet als Mischgebiet aus. Das Grundstück mit der Flurstück-Nr. …... befindet sich nur teilweise innerhalb der Grenzen des Bebauungsplans. Gemäß Ziffer 5.4 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs. 1 der Baunutzungsverordnung, die nach Rechtskraft des Bebauungsplanes errichtet werden, nur innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zulässig. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung können nach den Festsetzungen die Werte in Anpassung an die vorhandene Bebauung gemäß § 17 Abs. 9 Baunutzungsverordnung für die bereits bebauten Grundstücke überschritten werden.

6

Der Bebauungsplan weist auf dem Grundstück der Beigeladenen mit der Flurstück-Nr. ….. neben einem vorhandenen Wohngebäude ein bestehendes Nebengebäude aus, das sich 5 m außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche und der Baugrenze befindet. Auch auf dem Grundstück der Klägerin, Flurstück-Nr. .... weist der Bebauungsplan ein vorhandenes Nebengebäude auf, das sich ebenfalls 5 m außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen befindet.

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Das Wohngebäude und auch der Anbau der Beigeladenen wurden bereits vor Inkrafttreten des Bebauungsplans errichtet und werden im Bebauungsplan als grenzständige Bestandsgebäude dargestellt. Baugenehmigungsunterlagen hierzu sind beim Beklagten nicht auffindbar.

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Nachdem im Jahre 1987 der damalige Eigentümer des Grundstücks Flurstück-Nr. ……, Herr C, den vorhandenen grenzständigen Anbau um ein weiteres Geschoss erhöhen wollte, beschwerte sich die Klägerin über die Bauarbeiten. Am 23. Juni 1987 erteilte der Beklagte Herrn C daraufhin eine Baugenehmigung zum „Umbau des Nebengebäudes“ des Anbaus. Auf diesem Anbau befindet sich mindestens seit 1987 ein Balkon unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Klägerin mit der Flurstück-Nr. ……. Im Jahre 1990 ersteigerte ein Immobilienmakler das Grundstück Flurstück-Nr. ….. und schließlich erwarben die Beigeladenen dieses Grundstück im Jahre 1994. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Anbau nach Angaben der Beigeladenen bereits zu Wohnzwecken genutzt. Nach dem Einzug der Beigeladenen nutzten zunächst deren Sohn und anschließend deren Tochter das an den Balkon im Obergeschoss angrenzenden Raum als Kinder- bzw. Jugendzimmer.

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Im September 2008 beantragte der Beigeladene zu 2) die Erteilung einer Baugenehmigung für die zuvor bereits vorgenommene Überdachung des Balkons an der Grenze zum Grundstück der Klägerin mit der Flurstück-Nr. …... In den eingereichten Bauplänen war im Grundriss Obergeschoss des Anbaus ein Kinderzimmer direkt anschließend an das Elternschlafzimmer im Hauptgebäude eingezeichnet. Die Klägerin, die dem Baugenehmigungsverfahren beteiligt wurde, war nicht bereit, der Überdachung des Balkons zuzustimmen. Mit Bescheid vom 24. September 2009 lehnte der Beklagte daraufhin den Bauantrag des Beigeladenen zu 2) ab.

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Die Klägerin ging wegen der Balkonüberdachung zivilrechtlich gegen die Beigeladenen vor. Mit Urteil vom 18. April 2012 – 2 S 369/11 – wies das Landgericht Frankenthal die Berufung der Klägerin gegen das zuvor ergangene Urteil des Amtsgerichts Neustadt vom 27. Oktober 2011 u.a. mit der Begründung zurück, die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin seien verjährt.

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Wegen der Nutzung des Anbaus zu Wohnzwecken verlangte der Beklagte von den Beigeladenen in der Folgezeit einen entsprechenden Nutzungsänderungsantrag. Diesen reichten die Beigeladenen am 24. Februar 2015 ein und baten um Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Abstellraums in Wohnraum. Das im 1. Obergeschoss des Nebengebäudes befindliche Zimmer sollte danach als Kinderzimmer genutzt werden. Zudem beantragten die Beigeladenen eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Überschreitung des Baufensters durch die Wohnnutzung um 2,5 m. Die Eigentümer der nördlich und südlich angrenzenden Nachbargrundstücke, Flurstück-Nrn. …. und ….. stimmten dem Bauvorhaben zu. Die Gemeinde Haßloch erteilte das Einvernehmen zu einer Befreiung bezüglich der Überschreitung des Baufensters mit einer Hauptnutzung bis zu einem Maß von 2 m.

12

Der Beklagte informierte die Gemeinde Haßloch daraufhin, dass für das beantragte Bauvorhaben gemäß § 8 Abs. 12 Landesbauordnung – LBauO – keine Abstandsflächen nachzuweisen seien. Die Gemeinde Haßloch hielt an ihrer Entscheidung, das Einvernehmen nur eingeschränkt zu erteilen, fest.

13

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 erteilte der Beklagte den Beigeladenen im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Abstellraums in einen Wohnraum unter Ersetzung des nur eingeschränkt erteilten Einvernehmens der Gemeinde Haßloch.

14

Hiergegen legte die Klägerin am 28. Oktober 2015 Widerspruch mit der Begründung ein, die Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze sie in ihren nachbarlichen Rechten. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans lägen nicht vor. Durch die Überschreitung des Baufensters werde gerade von solchen nachbarlichen Interessen abgewichen, für die der Bebauungsplan einen Ausgleich geschaffen habe. Der Beklagte habe das gemeindliche Einvernehmen rechtswidrig ersetzt. Wenn die Gemeinde Haßloch aufgrund ihrer Planungshoheit auf eine Einhaltung der Abstandsflächen bestehe, könne der Beklagte dies nicht einfach durch eine Ersetzung des Einvernehmens umgehen. Weder das Nebengebäude selbst (einschließlich des so bezeichneten Balkons) noch seine derzeitige Nutzung seien baurechtlich legal. Die Nutzungsänderung des Nebengebäudes sei nicht genehmigungsfähig, da der notwendige Grenzabstand von mindestens 3 m nicht eingehalten werde. Die Ausnahmevorschrift des § 8 Abs. 12 LBauO sei nicht anwendbar, da die Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt seien. So sei das Nebengebäude nur bei seiner ursprünglichen Errichtung zulässig gewesen, als es noch nicht über Aufenthaltsräume verfügt habe. Auf ein solches Gebäude ohne Aufenthaltsräume finde § 8 Abs. 12 LBauO keine Anwendung. Hinsichtlich der auf dem Nebengebäude errichteten Plattform handele es sich nicht um einen Balkon, sondern um eine illegal errichtete Terrasse. Da aufgrund der Nutzung der Terrasse zu Wohnzwecken auf das Grundstück der Klägerin die gleichen Wirkungen ausgingen wie von einem oberirdischen Gebäude, sei nach § 8 Abs. 8 Satz 1 LBauO zwingend ein Grenzabstand einzuhalten. Hiervon entbinde auch nicht § 8 Abs. 9 Salz 1 LBauO, da die 3,55 m hohe Brüstungsmauer der Terrasse die zulässige Wandhöhe von 3,20 m überschreite. Selbst wenn man die Plattform als Balkon einstufe, sei sie ordnungsrechtlich unzulässig, da ein solcher nach § 8 Abs. 5 Satz 2 LBauO eine Abstandsfläche von mindestens 2,00 m erfordere.

15

Der Kreisrechtsausschuss des Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2016 zurück. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss aus, das Vorhaben der Beigeladenen verstoße nicht gegen hier zu prüfende Vorschriften. Die Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Baugrenzen (Überschreitung des Baufensters) hätten hier keine nachbarschützende Funktion. Weder aus der Begründung noch aus den Festsetzungen des Bebauungsplans sei zu entnehmen, dass die Gemeinde im rückwärtigen Grundstücksbereich einen unantastbaren Ruhebereich habe schaffen wollen, der auch dem Nachbarschutz diene.

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Das Rücksichtnahmegebot sei ebenfalls nicht verletzt. Das folge schon daraus, dass das Vorhaben die Abstandsflächenvorschriften einhalte. Das Vorhaben der Beigeladenen müsse nämlich gemäß § 8 Abs. 12 Satz 1 LBauO keine Abstandsflächen einhalten. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen vor. Bei dem hinteren Anbau handele es sich um ein in zulässiger Weise errichtetes Gebäude, da der den Umbau des Nebengebäudes (Änderung der Dachkonstruktion des Anbaus) mit Bescheid vom 23. Juni 1987 genehmigt worden sei. Diese Genehmigung habe das grenzständige Nebengebäude legalisiert. Bereits vor Inkrafttreten des Bebauungsplans bestehende und im Bebauungsplan als vorhanden ausgewiesene Nebengebäude hätten toleriert werden sollen. Das Gebäude diene der Innenentwicklung der Gemeinde im Sinne des § 8 Abs. 12 Nr. 2 LBauO. Aufgabe dieser zukunftsgerichteten städtebaulichen Entwicklung sei es, bereits bestehende, erschlossene Bauflächen im Innenbereich durch eine bauliche Verdichtung auszunutzen und auf die Inanspruchnahme landschaftlicher, im Außenbereich liegender Flächen als Bauflächen weitestgehend zu verzichten. Dieses Ziel könne durch die vorliegend begehrte Nutzungsänderung erreicht werden, da durch die Schaffung von Wohnraum in dem Nebengebäude und die damit einhergehende Ausnutzung der bereits bestehenden, erschlossenen Bausubstanz die Inanspruchnahme von Grünflächen im Außenbereich vermieden werden könne. Das Gebäude verfüge auch über eine erhaltenswerte Substanz und werde durch die Nutzungsänderung in seiner äußeren Gestalt in keiner Weise verändert.

17

Da für das Bauvorhaben der Beigeladenen gemäß § 8 Abs. 12 LBauO keine Abstandsflächen nachzuweisen seien, könne auch nicht festgestellt werden, dass von der Nutzungsänderung am Nebengebäude rücksichtslose, erdrückende Wirkungen oder unzumutbare Belästigungen auf das Grundstück der Klägerin ausgingen. Deren Grundstück sei im Bereich der Grundstücksgrenze zum Grundstück der Beigeladenen unbebaut, so das durch das Bauvorhaben keinerlei Beeinträchtigungen zu erwarten seien, durch welche bei der Klägerin der Eindruck des Eingesperrtseins oder eine Verletzung ihrer Privatheit hervorgerufen werden könne. Auch sei weiterhin eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung des Grundstücks der Klägerin gewährleistet.

18

Die Klägerin hat am 24. Mai 2016 Klage erhoben. Sie führt aus, das Nebengebäude der Beigeladenen sei offenbar schon vor dem Kauf der Immobilie baurechtlich illegal genutzt worden. Insbesondere seien die Räume im Erdgeschoß (Waschküche/Abstellraum) und der Abstellraum im Obergeschoß im Nebengebäude tatsächlich baurechtswidrig als Aufenthaltsräume zum Wohnen genutzt worden. Ebenfalls baurechtswidrig sei bereits zu diesem Zeitpunkt eine über die Abschlusswand des Nebengebäudes erreichbare, über der ehemaligen Waschküche/Abstellraum gelegene Terrasse, die nachträglich von dem Beklagten am 23. Juni 1987 als sogenannte Balkonbrüstung genehmigt worden sei, zu Wohnzwecken genutzt worden.

19

Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung verletze sie, die Klägerin, auch in ihren Nachbarrechten, soweit in der Baugenehmigung eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zugelassen werde. Mit der Befreiung werde an der gemeinsamen hinteren Grenze eine Wohnnutzung genehmigt, die die hintere Baugrenze um 2,50 m überschreite. Die die Nutzungsänderung im 1. Obergeschoß des Nebengebäudes betreffende Genehmigung befreie hier auch - entgegen der Auffassung des Beklagten - von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans, ohne dass die gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen gegeben seien. Die Festsetzungen des Bebauungsplans „Meckenheimer Straße“ zur überbaubaren Grundstücksfläche dienten auch dem Nachbarschutz. Dem Bebauungsplan sei zu entnehmen, dass mit der Baulinien- und Baugrenzenfestsetzung auch ein nachbarschaftliches Austauschverhältnis habe begründet und nach dem Willen des Ortsgesetzgebers ein gegenseitiges Verhältnis der Rücksichtnahme geschaffen werden sollen, sodass der hinteren Baugrenze nachbarschützende Wirkung beizumessen sei. Die entgegen des Planungswillens der Gemeinde gleichwohl in der Baugenehmigung vorgenommene Ersetzung des Einvernehmens durch die Bauaufsichtsbehörde sei deshalb rechtswidrig erfolgt.

20

Die Baugenehmigung hätte auch nicht im vereinfachten Verfahren des § 66 Abs. 1 LBauO erteilt werden dürfen, weil der Beklagte ganz offensichtlich auch bauordnungsrechtliche Vorschriften geprüft und angewandt habe. Die Voraussetzungen des geprüften § 8 Abs. 12 LBauO lägen im Übrigen nicht vor.

21

Die Klägerin beantragt,

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die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. April 2016 aufzuheben

23

und

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die Hinzuziehung ihres Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

25

Der Beklagte beantragt,

26

die Klage abzuweisen.

27

Er ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 8 Abs. 12 LBauO seien gegeben.

28

Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,

29

die Klage abzuweisen.

30

Sie schließen sich den Ausführungen des Beklagten an und führen ergänzend aus, die Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Baugrenzen hätten keine nachbarschützende Funktion. Es sei angesichts der konkreten Situation auch nicht zu erkennen, dass der Bebauungsplan bei dem Acker der Klägerin jenseits des Plangebiets im rückwärtigen Grundstücksbereich einen unantastbaren Ruhebereich habe schaffen wollen, der auch dem Nachbarschutz diene.

31

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2016.

Entscheidungsgründe

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Die Klage kann keinen Erfolg haben.

33

1. Die Klage ist allerdings zulässig.

34

1.1. Die Klägerin ist gemäß § 42 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – klagebefugt. Insbesondere kann sie sich auch auf die mögliche Verletzung der drittschützenden bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 8 Landesbauordnung – LBauO – berufen, obwohl die angegriffene Baugenehmigung vom 15. Oktober 2015 im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt wurde. Zwar hat dies grundsätzlich zur Folge, dass nach § 66 Abs. 4 LBauO die bauordnungsrechtliche Vorschrift des § 8 LBauO nicht zu prüfen ist. Eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung hat nur Wirkung in Bezug auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, die in diesem Verfahren zu überprüfen waren. Bezüglich der übrigen gesetzlichen Regelungen enthält die Genehmigung weder eine Feststellung noch eine Freigabe, so dass sie insoweit auch weder den Bauherrn begünstigt, indem sie die Übereinstimmung des Vorhabens mit allen Vorschriften des öffentlichen Rechts feststellt, noch den Nachbarn belasten kann. Dieser ist daher durch die Baugenehmigung hinsichtlich der nicht geprüften Vorschriften nicht in seinen Rechten betroffen im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 1991 – 8 B 11955/91 –, NVwZ-RR 1992, 289).

35

Allerdings ist die Bauaufsichtsbehörde nicht daran gehindert, die – entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm – beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorha-bens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen (OVG Rhein-land-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153). Für eine solche Verfahrensweise besteht insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen oder zu erwarten sind und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen. Ist die Behörde zur isolierten Feststellung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit befugt, bestehen keine Hinderungsgründe, diese Regelung mit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilenden „schlanken“ Baugenehmigung zu verbinden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153). Hat daher die Bauaufsichtsbehörde im Baugenehmigungsverfahren oder der Rechtsausschuss im Widerspruchsverfahren abweichend vom gesetzlich vorgegebenen Prüfungsprogramm tatsächlich bestimmte bauordnungsrechtliche Vorschriften geprüft, werden diese Regelungsinhalt der Baugenehmigung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – u.a. zum Widerspruchsverfahren).

36

Vorliegend hat sowohl die Ausgangsbehörde in der Baugenehmigung vom 15. Oktober 2015 als auch der Kreisrechtsausschuss des Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 26. April 2016 tatsächlich die Einhaltung der Vorschrift des § 8 LBauO geprüft. Auch wenn die Einhaltung des § 8 LBauO im Rahmen der Ersetzung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 BaugesetzbuchBauGB – i.V.m § 71 LBauO erfolgte, enthält die streitgegenständliche Baugenehmigung eine entsprechende bauordnungsrechtliche Aussage in Bezug auf den § 8 LBauO und war damit Regelungsinhalt der Baugenehmigung geworden (vgl. VG Neustadt, Urteil vom 23. Juli 2015 – 4 K 43/15.NW –, juris m.w.N.). Hat aber eine faktische Prüfung der Abstandsflächen stattgefunden, ist ein Nachbar im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO befugt, sich auf einen möglichen Verstoß gegen § 8 LBauO zu berufen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – und 28. Mai 1993 – 8 B 11148/93.OVG –; VG Neustadt, Beschluss vom 7. August 2014 – 3 L 644/14.NW –, juris und Urteil vom 23. Juli 2015 – 4 K 43/15.NW –, juris

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1.2. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben. Insbesondere fehlt der Klage nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Da die Klägerin rechtzeitig gegen die Baugenehmigung vom 15. Oktober 2015 Widerspruch und Anfechtungsklage erhoben hat, scheidet eine – zur Unzulässigkeit der Klage führende (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 14. Juli 2015 – 2 Bs 131/15 –, juris) – Verwirkung einer verfahrensrechtlichen Position aus (näher zur Unterscheidung von verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Rechtspositionen s. BVerwG, Beschluss vom 18. März 1988 – 4 B 50/88 –, NVwZ 1988, 730).

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2. Die Klage ist in der Sache aber unbegründet.

39

Die angefochtene Baugenehmigung vom 15. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. April 2016 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin kann als Nachbarin zunächst nicht mit Erfolg geltend machen, der Beklagte habe zu Unrecht das fehlende Einvernehmen der Gemeinde Haßloch zu dem Vorhaben der Beigeladenen ersetzt (2.1.). Ferner kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, der Beklagte habe den Beigeladenen zu Unrecht eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes erteilt (2.2.). Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob die angefochtene Baugenehmigung gegen die bauordnungsrechtliche Vorschrift des § 8 LBauO verstößt (2.3.). Denn die Klägerin hat jedenfalls ihr diesbezügliches materiell-rechtliches Abwehrrecht schon vor und unabhängig von der Erteilung der Baugenehmigung vom 15. Oktober 2015 verwirkt (2.4.).

40

2.1. Soweit die Klägerin gerügt hat, die entgegen des Planungswillens der Gemeinde Haßloch vom Beklagten in der Baugenehmigung vorgenommene Ersetzung des Einvernehmens sei rechtswidrig erfolgt, kann sie damit im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden.

41

Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen. Hiervon hat der rheinland-pfälzische Gesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er in § 2 Nr. 1 der Landesverordnung über Zuständigkeiten nach dem BauGB die nach § 71 LBauO zuständige Behörde zur zuständigen Behörde zur Ersetzung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestimmt hat.

42

Die Vorschrift des § 36 BauGB betrifft allerdings ausschließlich das Verhältnis einer Gemeinde zur zuständigen Bauaufsichtsbehörde. Die Mitwirkung der Gemeinde nach § 36 BauGB sichert die gemeindliche Planungshoheit als Teil des verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz – GG –). Die Gemeinde bedarf dieses Schutzes, wenn sie nicht mit der Bauaufsichtsbehörde identisch ist, um der Gefahr zu begegnen, dass Bauvorhaben über ihren Kopf hinweg genehmigt werden. § 36 Abs. 1 BauGB dient aber nicht – auch nicht neben anderen Zwecken – dem Interesse des Bürgers, räumt ihm mithin keine Verfahrensrechte ein und gibt ihm damit nicht die Möglichkeit, einen etwa vorliegenden Verstoß gegen die aus § 36 Abs. 1 BauGB folgenden Beteiligungspflichten mit Erfolg zu rügen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1967 – IV C 94.66 –, BVerwGE 28, 268; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2014 – OVG 10 S 29.13 –, juris; VG Neustadt, Urteil vom 18. April 2016 – 3 K 818/14.NW –, juris).

43

2.2. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Beklagte habe den Beigeladenen zu Unrecht eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes erteilt, wonach Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs. 1 BaunutzungsverordnungBauNVO – nur innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zulässig seien. Abgesehen davon, dass der Beklagte in der angefochtenen Baugenehmigung keine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen erteilt hat – die Ziffer 5.4. der textlichen Festsetzungen des genannten Bebauungsplans greift hier nicht ein, da es sich bei dem „Nebengebäude“ der Beigeladenen nicht um ein solches handelt, das erst nach Rechtskraft des Plans errichtet worden ist –, haben Festsetzungen eines Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion, sondern erfolgen in der Regel nur aus städtebaulichen Gründen (s. näher OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 1. August 2016 – 8 A 10264/16 –, juris). Vorliegend sind dem Bebauungsplan keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Bestimmungen zu der überbaubaren Grundfläche neben städtebaulichen Belangen auch den Schutz nachbarlicher Interessen bezwecken.

44

2.3. Die Kammer lässt offen, ob vorliegend ein Verstoß gegen die hier im Mittelpunkt stehende Vorschrift des § 8 LBauO, die grundsätzlich auch bei Nutzungsänderungen einschlägig ist (näher dazu s. Jeromin in: Jeromin, Landesbauordnung RhPf, 4. Auflage 2016, § 8 Rn. 16 ff.), gegeben ist. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO sind grundsätzlich vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Abstandsflächen freizuhalten. Gemäß § 8 Abs. 6 Satz 2 LBauO muss die Tiefe der Abstandsfläche mindestens 3 m betragen.

45

Dies ist im Falle des genehmigten Kinderzimmers im Anbau der Beigeladenen nicht der Fall, denn dieses reicht bis zu 2,50 m und damit in die Abstandsflächen zum Grundstück der Klägerin mit der Flurstück-Nr. …. hinein. Die Ausnahmefälle der § 8 Abs. 1 Satz 2 LBauO, § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO und § 8 Abs. 9 LBauO greifen ersichtlich nicht ein.

46

Der Beklagte hat die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des Anbaus mit dem innerhalb der Abstandsflächen des § 8 Abs. 6 Satz 2 LBauO liegenden Kinderzimmer im 1. Obergeschoss des Grundstücks Flurstück-Nr. …. auf die Bestimmung des § 8 Abs. 12 Satz 1 LBauO gestützt. Wird danach in zulässiger Weise errichteten Gebäuden, deren Außenwände die nach diesem Gesetz erforderlichen Abstandsflächen gegenüber Grundstücksgrenzen nicht einhalten, Raum für die Wohnnutzung oder die Änderung und Entwicklung ansässiger, ortsüblicher Betriebe insbesondere des Weinbaus, Handwerks oder Gastgewerbes durch Ausbau oder Änderung der Nutzung geschaffen, gelten die Absätze 1 bis 4 und 6 nicht für diese Außenwände, wenn 1. die Gebäude in Gebieten liegen, die überwiegend dem Wohnen oder der Innenentwicklung von Städten und Gemeinden dienen, 2. die Gebäude eine erhaltenswerte Bausubstanz haben und 3. die äußere Gestalt des Gebäudes nicht oder nur unwesentlich verändert wird. Satz 1 gilt gemäß § 8 Abs. 12 Satz 2 LBauO nicht für Gebäude im Sinne des Absatzes 9.

47

Vorliegend ist problematisch, ob die Vorschrift des § 8 Abs. 12 LBauO Anwendung finden kann. § 8 Abs. 12 LBauO ist Ausfluss des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 17/90 –, NVwZ 1992, 165) und soll Nutzungsänderungen erleichtern, durch die Wohnraum in bestehenden, bislang anderweitig genutzten Gebäuden geschaffen wird. Der tatbestandliche Anwendungsbereich des Satzes 1 setzt voraus, dass es sich um ein legal errichtetes Gebäude handeln muss (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Mai 2001 – 8 B 10576/01.OVG –; Jeromin in: Jeromin, a.a.O., § 8 Rn. 154). Dies bedeutet, dass der Bestand des Gebäudes entweder durch eine Baugenehmigung abgedeckt oder materiell rechtmäßig gewesen sein muss. Im Hinblick auf den Wortlaut des § 8 Abs. 12 Satz 1 LBauO („in zulässiger Weise errichtet“) reicht es demgegenüber nicht aus, dass das Gebäude lediglich die Billigung der Bauaufsichtsbehörde gefunden haben muss (so aber Stich/Gabelmann/Porger, Landesbauordnung RhPf, Stand März 2016, Ziffer 14.2.1.).

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Die Beigeladenen, die als Grundstückseigentümer im Zweifelsfall zu beweisen haben, dass die bauliche Anlage formell oder materiell legal errichtet worden ist (s. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 7. Januar 2009 – 8 A 11199/08.OVG –), verfügen nicht über Baugenehmigungsunterlagen bezüglich der ursprünglichen Errichtung des Anbaus. Derartige Dokumente sind bei dem Beklagten ebenfalls nicht vorhanden. In der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2016 konnte auch nicht geklärt werden, wann Hauptgebäude und Anbau auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ….. errichtet worden sind. Der Umstand, dass der Anbau in dem im Jahre 1985 aufgestellten Bebauungsplan als Bestand eingezeichnet ist, führt jedenfalls nicht zu seiner Legalisierung.

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Eine formelle Legalisierung kann sich somit nur aus der Baugenehmigung vom 23. Juni 1987 ergeben. Zwar ist im Bauantrag die Rede von einem bewohnten Hausanbau. Zur Genehmigung gestellt wurde ausweislich der Baupläne und der Baubeschreibung des damaligen Grundstückseigentümers aber nur die Änderung der Dachkonstruktion des Anbaus, so dass sich Zweifel ergeben, ob diese Baugenehmigung zur formellen Legalisierung des gesamten Anbaus geführt hat.

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Eine materielle Legalität ist ebenfalls nicht offensichtlich.

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2.2. Dem Ganzen braucht nicht weiter nachgegangen zu werden, denn selbst dann, wenn man die Vorschrift des § 8 Abs. 12 Satz 1 LBauO hier nicht für einschlägig halten und einen Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO annehmen würde, gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Klägerin jedenfalls ihr materiell-rechtliches Abwehrrecht schon vor der Erteilung der Baugenehmigung vom 15. Oktober 2015 verwirkt hat.

52

Die Verwirkung des materiellen Abwehrrechts ist vom Vorliegen einer Baugenehmigung unabhängig; maßgeblich ist allein, ob der Nachbar länger als notwendig mit der Geltendmachung seiner Rechte zugewartet hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 4/89 –, NVwZ 1991, 1182 und Beschluss vom 18. März 1988 – 4 B 50/88 –, NVwZ 1988, 730; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. Mai 2008 – 8 A 10226/08.OVG –; Troidl, NVwZ 2004, 315, 316). Eigenständige Bedeutung hat die Verwirkung materieller Abwehrrechte im Falle der baurechtlichen Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung dann, wenn der Bauherr zunächst einen Schwarzbau errichtet hat und die Baugenehmigung erst nachträglich erteilt worden ist (s. z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. März 1999 – 10 A 2343/97 –, BauR 2000, 381). Dies ist hier der Fall, da das streitgegenständliche Kinderzimmer nicht erst nach Erteilung der Baugenehmigung am 15. Oktober 2015 sondern bereits spätestens im Jahre 1994 eingerichtet worden ist.

53

Das Rechtsinstitut der Verwirkung als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (s. z.B. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 – 4 C 11/13 –, NVwZ 2014, 1671). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (sog. Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (sog. Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (Vertrauensbetätigung). Das Rechtsverhältnis zwischen benachbarten Grundstückseigentümern ist durch ein besonderes nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis gekennzeichnet, das nach Treu und Glauben besondere Rücksicht der Nachbarn aufeinander fordert. Die Vertrauensgrundlage, dass ein Recht nach langer Zeit nicht mehr geltend gemacht wird, muss für die Dispositionen des Nachbarn grundsätzlich kausal geworden sein ((Bay. VGH München, Beschluss vom 16. November 2009 – 2 ZB 08.2389 –, juris). Die Voraussetzungen der Verwirkung können demnach in ein „Zeitmoment“ und ein „Umstandsmoment“ gegliedert werden, an deren Vorliegen jeweils strenge Anforderungen zu stellen sind (Troidl, NVwZ 2004, 315).

54

Die Nichterweislichkeit des Verwirkungstatbestandes geht zu Lasten desjenigen, der sich auf diesen Ausnahmetatbestand beruft (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 M 69/05 –, NordÖR 2005, 424). Erstreckt sich der Einwand der Verwirkung auf eine Mehrheit von Rechten, so sind die Verwirkungsvoraussetzungen für jedes einzelne Recht gesondert zu prüfen (BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 – 4 B 140/95 –, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 127).

55

Der Beginn des für eine Verwirkung maßgeblichen Zeitraums ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, in dem der Nachbar (vermeintlich) positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Baulichkeit erlangt hat. Anlass für die Geltendmachung eigener Rechte ist bereits der sichtbare Beginn von Bauarbeiten. Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Nachbarn, von der an im Hinblick auf die Gebote von Treu und Glauben von einer Verwirkung des Rechts die Rede sein kann, hängt entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 4/89 –, NVwZ 1991, 1182). Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis verpflichtet den Nachbarn, durch ein zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst gering zu halten (s. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. Mai 2008 – 8 A 10226/08.OVG –). Der Nachbar muss dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine Einwendungen geltend macht. Die verzögerte Rechtsausübung hat die Qualifizierung als treuwidrig dann verdient, wenn die zunächst gezeigte Untätigkeit des Nachbarn den Bauherrn zu bestimmten Reaktionen veranlasst hat, d.h. dieser darauf vertraut hat, dass das Nachbarrecht nicht mehr ausgeübt werde und er sich infolgedessen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Verwirkung kann etwa dann eintreten, wenn der Nachbar die Baustelle interessiert besichtigt (s. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. April 2003 – 8 A 11903/02.OVG –) oder in Kenntnis des Bauvorhabens sein Grundstück für die Durchführung von Bauarbeiten zur Verfügung stellt (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. April 1992 – 7 A 1521/90 –, NVwZ-RR 1993, 397) bzw. sich gar an der Herstellung des umstrittenen Bauvorhabens persönlich beteiligt hat (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. Juli 1996 – 8 B 11457/96.OVG –).

56

Aufgrund der besonderen Pflichten im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis kann auch eine bloße Untätigkeit des Nachbarn genügen, wenn sie vom Bauherrn als eine dem aktiven Tun gleichzusetzende Duldung seines Vorhabens verstanden werden kann. Da der Nachbar aufgrund des Gemeinschaftsverhältnisses verpflichtet ist, durch zumutbares aktives Handeln dazu beizutragen, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden, ergibt sich aus der Länge des Zeitraums der Untätigkeit bereits ein gewichtiger Hinweis darauf, dass der Nachbar sein an sich bestehendes Abwehrrecht nicht mehr geltend machen werde (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. April 2014 – 8 A 11183/13.OVG –).

57

In Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer der Auffassung, dass die Klägerin ihr eventuell bestehendes Nachbarrecht verwirkt hat.

58

Die Klägerin wohnt bereits seit dem Jahre 1966 in dem Anwesen auf dem Grundstück Flurstück-Nr. .... und nutzt seither das über 1.200 m² große Gartengrundstück Flurstück-Nr. …., das unmittelbar an das Grundstück der Beigeladenen Flurstück-Nr. …. angrenzt. Der grenzständige Anbau war der Klägerin also von Anfang an bekannt. Nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2016 hatte sie sich im Jahre 1987 gegenüber dem damaligen Grundstückeigentümer, Herrn C, beschwert, als dieser den Anbau unmittelbar an der Grenze aufstockte und die Aufstockung nach der Beschwerde auf einen Balkon zurückbaute. Weiter führte die Klägerin aus, nach dem Einzug der Beigeladenen im Jahre 1994 habe zunächst der Sohn und später, als dieser zur Bundeswehr gegangen sei, die Tochter das streitgegenständliche Zimmer im 1. Obergeschoss zu Wohnzwecken genutzt. Anfangs habe sich nur selten eine Person, etwa zum Rauchen, auf dem Balkon aufgehalten. Später sei die Nutzung des Balkons aber intensiviert worden. Wegen des Balkons und dessen im Jahre 2009 durch die Beigeladenen erfolgte Überdachung führte die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann ab dem Jahre 2011 einen zivilrechtlichen Rechtsstreit, der mit Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 18. April 2012 – 2 S 369/11 – für die Klägerin erfolglos beendet wurde.

59

Damit steht zweifelsfrei fest, dass der in den Bauplänen als „Kinderzimmer“ bezeichnete und in den Abstandsflächen liegende Wohnraum auf dem Grundstück der Beigeladenen mit der Flurstück-Nr. …. seit weit über 20 Jahren zu Wohnzwecken genutzt wird und der Klägerin dies auch von Anfang an bekannt war. Dennoch war die Klägerin in Bezug auf diesen Wohnraum im 1. Obergeschoss des Anbaus der Beigeladenen über 20 Jahre untätig geblieben. Dabei war schon von Anfang an das Ausmaß einer nachbarlichen Beeinträchtigung durch Verletzung der Vorschriften über die Abstandsflächen ohne Weiteres erkennbar.

60

Angesichts des verstrichenen Zeitraums von mehr als 20 Jahren und der Offenkundigkeit der Beeinträchtigung sowie der Pflicht eines Nachbarn, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden, war ein Vertrauen der Beigeladenen darauf entstanden, dass die Klägerin in Bezug auf das „Kinderzimmer“ ihr Abwehrrecht nicht mehr geltend machen würde. Hierauf haben sich die Beigeladenen, die in dem langen Zeitraum auch (mehrmals) Kosten verursachende Renovierungen in dem Zimmer vorgenommen haben, auch in einer Weise eingerichtet, nach der die verspätete Durchsetzung des Abwehrrechts einen unzumutbaren Nachteil entstehen lassen würde.

61

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie durch eine eigene Antragsstellung ein Kostenrisiko i. S. d. § 154 Abs. 3 VwGO eingegangen sind.

62

Das weitere Begehren der Klägerin, gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Hinzuziehung ihres Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, musste infolge der Klageabweisung ebenfalls erfolglos bleiben.

63

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZivilprozessordnungZPO –.

 

Beschluss

64

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG –).

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Urteil, 08. Sept. 2016 - 4 K 395/16.NW

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Urteil, 08. Sept. 2016 - 4 K 395/16.NW

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Urteil, 08. Sept. 2016 - 4 K 395/16.NW zitiert 16 §§.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 162


(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 42


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

Baugesetzbuch - BBauG | § 36 Beteiligung der Gemeinde und der höheren Verwaltungsbehörde


(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem ander

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 14 Nebenanlagen; Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen


(1) Außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen sind auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht wide

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Bei der Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung nach § 16 bestehen, auch wenn eine Geschossflächenzahl oder eine Baumassenzahl nicht dargestellt oder festgesetzt wird, folgende Orientierungswerte für Obergrenzen: 1234 BaugebietGrund- flächenzahl (

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Tenor Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 17. November 2010 abgeändert und die Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 aufgehoben.

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(1) Außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen sind auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Soweit nicht bereits in den Baugebieten nach dieser Verordnung Einrichtungen und Anlagen für die Tierhaltung, einschließlich der Kleintiererhaltungszucht, zulässig sind, gehören zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 auch solche für die Kleintierhaltung. Zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 gehören auch Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien. Im Bebauungsplan kann die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

(1a) In den Baugebieten nach den §§ 2 bis 11 sind Nebenanlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienen, zulässig; Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(2) Die der Versorgung der Baugebiete mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser sowie zur Ableitung von Abwasser dienenden Nebenanlagen können in den Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind. Dies gilt auch für fernmeldetechnische Nebenanlagen sowie für Anlagen für erneuerbare Energien, soweit nicht Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 1a Anwendung findet.

(3) Soweit baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen innerhalb von Gebäuden nicht bereits nach den §§ 2 bis 13 zulässig sind, gelten sie auch dann als Anlagen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1, wenn die erzeugte Energie vollständig oder überwiegend in das öffentliche Netz eingespeist wird. In Gewerbe-, Industrie- und sonstigen Sondergebieten gilt Satz 1 auch für sonstige baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie.

(4) In einem Gebiet nach § 11 Absatz 2 für Anlagen, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dienen, sind Anlagen zur Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff zulässig, wenn die Voraussetzungen entsprechend § 249a Absatz 4 gegeben sind. In Gewerbe- und Industriegebieten gilt Satz 1 entsprechend, wenn dort eine Anlage, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient und die keine Nebenanlage im Sinne dieser Vorschrift ist, tatsächlich vorhanden ist. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

Bei der Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung nach § 16 bestehen, auch wenn eine Geschossflächenzahl oder eine Baumassenzahl nicht dargestellt oder festgesetzt wird, folgende Orientierungswerte für Obergrenzen:

1234
BaugebietGrund-
flächenzahl (GRZ)
Geschoss-
flächenzahl (GFZ)
Bau-
massenzahl
(BMZ)
inKleinsiedlungsgebieten (WS)0,20,4
inreinen Wohngebieten (WR)
allgemeinen Wohngebieten (WA)
Ferienhausgebieten


0,4


1,2


inbesonderen Wohngebieten (WB)0,61,6
inDorfgebieten (MD)
Mischgebieten (MI)
dörflichen Wohngebieten (MDW)


0,6


1,2


inurbanen Gebieten (MU)0,83,0
inKerngebieten (MK)1,03,0
inGewerbegebieten (GE)
Industriegebieten (GI)
sonstigen Sondergebieten


0,8


2,4


10,0
inWochenendhausgebieten0,20,2

In Wochenendhausgebieten und Ferienhausgebieten dürfen die Orientierungswerte für Obergrenzen nach Satz 1 nicht überschritten werden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.


Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 17. November 2010 abgeändert und die Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge haben der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Beklagter und Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Änderungsbaugenehmigung, mit der die abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit des geänderten Vorhabens festgestellt wird.

2

Sie sind zusammen mit der Beigeladenen Miteigentümer des unbebauten Wegegrundstücks (Fahrweg) Flurstück-Nr. … in H. Dieser Fahrweg dient sowohl dem Wohngrundstück der Beigeladenen (F.straße …) als auch dem im Miteigentum der Kläger stehenden und östlich an den Fahrweg angrenzenden Wohngrundstück F.straße … als Zuwegung.

3

Die Beigeladene beantragte im Januar 2006 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung ihres Wohnhauses F.straße … . Der zweigeschossige, ca. 13 m lange Anbau an den vorhandenen Baubestand verläuft in seinem ersten Teil mit einer Länge von 1,25 m noch parallel zu der Wegeparzelle, die dann aber endet, so dass der weitere Teil des Anbaus wegen des dann breiteren Baugrundstücks abstandsflächenrechtlich keine Probleme aufwirft. Nach den vorgelegten Plänen sollte im Erdgeschoss des Wohnhausanbaus zum Fahrweg hin ein Kinderzimmer und im Obergeschoss ein Esszimmer errichtet werden.

4

Der Beklagte erteilte der Beigeladenen am 31. Januar 2006 die beantragte Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren.

5

Nachdem der Vater der Kläger als damaliger Miteigentümer des Fahrwegs Verletzungen des erforderlichen Grenzabstandes im Bereich des Kinder-/Esszimmers geltend gemacht hatte, zur Bewilligung einer Abstandsflächenbaulast auf der Wegefläche allerdings nicht bereit war, reichte die Beigeladene im Mai 2007 eine Tektur bei dem Beklagten des Inhalts ein, dass für das ursprünglich im Erdgeschoss des Wohnhausanbaus geplante Kinderzimmer nunmehr eine Nutzung als Abstellraum geplant sei. Nach dem vorgelegten Plan soll dieser Raum sowohl einen eigenen Eingang von dem Fahrweg aus als auch – wie bisher – eine Tür zum Flur des Wohnhauses aufweisen. Im Obergeschoss soll die Außenwand des dortigen Esszimmers derart zurückgebaut werden, dass in dem Bereich parallel des Fahrwegs ein Grenzabstand von 3 m eingehalten wird.

6

Mit Bescheid vom 21. Juni 2007 erteilte der Beklagte der Beigeladenen antragsgemäß die entsprechende Änderungsbaugenehmigung. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde – nach zwischenzeitlichem Scheitern von Vergleichsverhandlungen – durch Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Genehmigung sei rechtmäßig. Insbesondere könne die Beigeladene für den geplanten Abstellraum das Abstandsflächenprivileg nach § 8 Abs. 9 LBauO in Anspruch nehmen.

7

Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage haben die Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, bei dem Abstellraum im Erdgeschoss handele es sich nicht um ein eigenständiges Gebäude, was jedoch Voraussetzung zur Anwendung des § 8 Abs. 9 LBauO sei.

8

Nach dem neuerlichen Scheitern von Einigungsbemühungen zwischen den Klägern und der Beigeladenen hat das Verwaltungsgericht die Klage durch das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. November 2010 ergangene Urteil abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage stelle sich als rechtsmissbräuchlich dar, weil für das geltend gemachte Rückbaubegehren bezüglich des lediglich auf einer Länge von ca. 1,25 m vorliegenden Abstandsflächenverstoßes kein nachvollziehbarer sachlicher Grund erkennbar sei, ein faktisch wahrnehmbarer Vorteil für die Kläger als Nachbarn durch einen Rückbau des Erdgeschossraumes nicht entstünde und sie ganz offensichtlich die Klage als Druckmittel benutzten, um von einer Abstandsflächeneinhaltung völlig losgelöste Ziele zu verfolgen. Die Treuwidrigkeit sei umso mehr deshalb anzunehmen, weil der Abstandsflächenverstoß nur gering sei und für das Bauvorhaben eine Abweichung gemäß § 69 LBauO erteilt werden könnte. Den Klägern gehe es letztlich gar nicht um die Einhaltung der notwendigen Abstandsfläche des Vorhabens der Beigeladenen zu dem Fahrweg, sondern um die Einräumung von – ansonsten in einem separaten Zivilrechtsstreit gegen die Beigeladene zu verfolgenden – Sonderrechten an dem Fahrweg in Form der Einrichtung eines Stellplatzes und der Bewilligung eines Leitungsrechts.

9

Der Kläger trägt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen vor: Ihr Klagebegehren sei nicht rechtsmissbräuchlich. Der jetzige Streit sei Teil eines bereits Jahrzehnte schwelenden, unter den Rechtsvorgängern der jetzigen Parteien begonnenen Nachbarrechtsstreits. Es sei nicht treuwidrig, wenn im Rahmen der Erörterung einer einvernehmlichen Lösung des jetzigen Rechtsstreits für ein Nachgeben zusätzliche Forderungen erhoben würden. Dass sie sich auf solche Vergleichsgespräche eingelassen hätten, dürfe nicht zu ihren Lasten gewertet werden.

10

Die Kläger beantragen,

11

das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 17. November 2010 abzuändern und die Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 und den Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 aufzuheben.

12

Der Beklagte beantragt,

13

die Berufung zurückzuweisen.

14

Nach seiner Auffassung habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass die Voraussetzungen zur Erteilung einer Abweichung vom Abstandsflächengebot vorlägen. Ob die Geltendmachung der Abstandsflächenverletzung darüber hinaus rechtsmissbräuchlich erfolgt sei, könne dahingestellt bleiben.

15

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht entschieden, dass das Geltendmachen der Abstandsflächenverletzung rechtsmissbräuchlich sei, weil dieser Verstoß durch eine Abweichungszulassung legalisiert werden könne. Im Übrigen nutzten die Kläger auch weiterhin ihre Rechtsposition dazu aus, wirtschaftliche Vorteile von allen Seiten zu erzielen. Der Termin zur Beurkundung des ausgehandelten Vertrages sei kurzfristig mit der Begründung abgesagt worden, dass noch Regelungen mit dem Architekten zu treffen seien. Obwohl sie zwischenzeitlich den Zwischentrakt nicht nur im Obergeschoss, sondern auch im Untergeschoss zurückgebaut habe, sei sie nicht bereit, auf die Rechte aus der Änderungsbaugenehmigung zu verzichten.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung ist begründet.

20

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen, weil die angefochtene Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2008 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

21

Die angefochtene Baugenehmigung enthält die Feststellung, dass das geänderte Bauvorhaben der Beigeladenen mit den abstandsflächenrechtlichen Regelungen der Landesbauordnung vereinbar ist. Diese Feststellung ist rechtswidrig.

22

1. Zunächst begegnet es keinen Bedenken, dass der Beklagte die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt hat, obwohl es sich um ein Bauvorhaben nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBauO handelt und das Prüfungsprogramm der Bauaufsichtsbehörde nach § 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO auf die Kontrolle der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens sowie dessen Vereinbarkeit mit sonstigen öffentlichen Vorschriften, allerdings unter Ausklammerung bauordnungsrechtlicher Bestimmungen, beschränkt ist.

23

Wenn auch die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht befugt ist, das ihr gesetzlich vorgegebene Prüfungsprogramm und damit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die zu erteilende Baugenehmigung zu erweitern, so ist sie umgekehrt dennoch nicht gehindert, die – entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm – beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen. Besteht auf den Erlass einer dahingehenden Feststellung wegen der Zurücknahme des präventiven Kontrollprogramms auch kein Anspruch, so bleibt es der Bauaufsichtsbehörde doch unbenommen, zur Klärung der Rechtslage die aus ihrer Sicht gegebene bauordnungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens festzustellen. Für eine solche Verfahrensweise besteht insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen. Ist die Behörde zur isolierten Feststellung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit befugt, bestehen keine Hinderungsgründe, diese Regelung mit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilenden „schlanken“ Baugenehmigung zu verbinden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt: Urteil des Senats vom 22. Oktober 2008 – 8 A 10942/08.OVG –, BauR 2009, 799 und juris, Rn. 26; OVG Hamburg, Urteil vom 30. März 2011 -2 Bf 374/06-, NVwZ-RR 2011, 591[593]: Befugnis zu zusätzlichen Anordnungen).

24

Der Beklagte hat hier eine solche erweiterte Feststellungsregelung getroffen. Zwar äußert sich die Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 nicht ausdrücklich zur bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit, diese war indes wesentlicher Inhalt des Tekturantrags der Beigeladenen vom 18. Mai 1987; darüber hinaus hat die Bauaufsichtsbehörde in ihrem Begleitschreiben zur Baugenehmigung an die Kläger vom 22. Juni 2007 ausdrücklich erklärt, auch bauordnungsrechtliche Fragen geprüft zu haben; Letzteres ergibt sich auch aus dem Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008.

25

2. Das geänderte Bauvorhaben der Beigeladenen verstößt im Bereich des an den Altbestand unmittelbar anschließenden Bauteils (sog. Zwischentrakt) im Bereich des Erdgeschosses gegen das Abstandsflächenrecht.

26

Die Außenwand im Südostteil des Zwischentrakts hält die gebotene Abstandsfläche von mindestens 3 m (§ 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Satz 3 LBauO) nicht ein. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 LBauO muss die Abstandsfläche auf dem Grundstück selbst liegen. Die Außenwand der Südostecke des Zwischentrakts hält zu der benachbarten Wegeparzelle Nr. … jedoch nur einen Abstand von etwa 50 cm ein. Die in § 8 Abs. 2 Satz 2 LBauO erlaubte Erstreckung der Abstandsfläche bis zur Mitte einer Verkehrsfläche führt hier nicht zur Zulässigkeit des Vorhabens. Zum einen ist diese Erstreckung nur bei öffentlichen Verkehrsflächen, nicht hingegen bei privaten Wegeflächen – wie hier – erlaubt. Zum anderen beträgt die Hälfte der Wegeparzelle Nr. … nur etwa 2 m. Sie reicht damit nicht aus, um im Anschluss an die östliche Außenwand des Gebäudes eine Abstandsfläche von 3 m abzubilden.

27

Während im Obergeschoss des Zwischentraktes die gebotene Abstandsfläche infolge des vorgesehenen Rückbaus der Außenwand eingehalten wird, ragt die Abstandsfläche im genehmigten Erdgeschoss des Zwischentraktes über die eigene Grundstücksparzelle der Beigeladenen hinaus. Wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, kann sich die Beigeladene hierfür nicht auf das Abstandsflächenprivileg gemäß § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO berufen. Danach dürfen ohne Abstandsfläche oder mit einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche „sonstige Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten“ errichtet werden. Nach der Rechtsprechung beider Bausenate des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz findet das Abstandsflächenprivileg nach § 8 Abs. 9 Satz 1 LBauO nur Anwendung auf selbstständige Gebäude, was eine konstruktive und funktionale Trennung zwischen dem Hauptgebäude und dem – privilegierten – Nebengebäude voraussetzt (vgl. OVG RP, Urteil vom 25. Juni 2009 – 1 A 10050/09.OVG –, ESOVGRP; Beschluss des Senats vom 30. November 2009 – 8 A 10925/09.OVG –, Urteil vom 25. November 2009 – 8 A 10636/09.OVG –, ESOVGRP). An einer solchen konstruktiven und funktionalen Trennung fehlt es hier bereits deshalb, weil zwischen dem jetzt geplanten Abstellraum und der Wohnnutzung in den benachbarten Räumen eine Verbindungstür besteht. Aber auch im Übrigen fehlt es an der gebotenen Selbstständigkeit des Abstellraums, weil er konstruktiv in den ansonsten einheitlichen Baukörper integriert ist.

28

Weil die genannten abstandsflächenrechtlichen Bestimmungen nachbarschützend sind, folgt aus dem objektiv-rechtlichen Verstoß zugleich eine Verletzung der Klägerin in ihren Rechten.

29

Dass möglicherweise die Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung vom Abstandsflächengebot nach § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO vorliegen, wie der Beklagte annimmt, ist für die Rechtmäßigkeit der hier zu beurteilenden Änderungsbaugenehmigung ohne Belang. Denn der Beklagte hat dem Abweichungsantrag der Beigeladenen vom 19. November 2010 bislang noch nicht stattgegeben. Das bloße Vorliegen einer Abweichungslage genügt indessen nicht, die ohne Abweichungszulassung ergangene Baugenehmigung als rechtmäßig ansehen zu können (vgl. OVG RP, Beschluss vom 5. Februar 2010 – 1 B 11356/09.OVG –, ESOVGRP, für das Vorliegen einer Befreiungslage nach § 31 Abs. 2 BauGB).

30

3. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hält der Senat das Anfechtungsbegehren der Kläger unter Berufung auf die Abstandsflächenwidrigkeit des Bauvorhabens der Beigeladenen nicht für rechtsmissbräuchlich.

31

Es ist grundsätzlich legitim, bestehende Rechte geltend zu machen. Zwar unterliegt die Geltendmachung von Rechten dem die gesamte Rechtsordnung prägenden Grundsatz von Treu und Glauben, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. So kann die Ausübung eines – materiellen oder auch verfahrensrechtlichen – Rechts sich im Einzelfall als treuwidrig und damit unzulässig erweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 – IV C 2.72 -, BverwGE 44, 294 [298 f.]). Eine solche, ohnehin nur in engen Grenzen anzunehmende Fallgestaltung liegt hier nach Auffassung des Senats indes nicht vor.

32

Das Verwaltungsgericht führt zutreffend aus, dass sich ein Nachbar grundsätzlich gegen jede Unterschreitung der Mindestabstandsfläche zur Wehr setzen kann, ohne den Nachweis einer gerade dadurch hervorgerufenen tatsächlichen Beeinträchtigung führen zu müssen (vgl. VGH BW, Urteil vom 6. Juni 2008 – 8 S 18/07 –, VBlBW 2008, 483 und juris, Rn. 44). Einschränkungen mögen bei Abstandsflächenverstößen im Bagatellbereich angebracht sein (vgl. für den Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten: OVG RP, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 8 A 11062/05.OVG –). Im vorliegenden Fall überschreitet die Abstandsfläche vor der Außenwand an der Südostecke des Zwischentrakts das gebotene Maß indes um ca. 2,50 m.

33

Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die Kläger ihr Begehren treuwidrig allein als Druckmittel zur Durchsetzung völlig anderer Ziele einsetzen. Dass die Kläger im Rahmen der Vergleichsverhandlungen ihre Bereitschaft zur Duldung der Abstandsflächenverletzung mit der Forderung nach einem Entgegenkommen der Beigeladenen in anderer Hinsicht verbinden, macht diese Verfahrensweise noch nicht rechtsmissbräuchlich. Diese Praxis entspricht vielmehr dem üblichen Vorgang des Aushandelns einer einvernehmlichen Konfliktlösung. Eine unzulässige Kopplung der geltend gemachten Rechtsverletzung mit den Forderungen der Kläger liegt auch deshalb nicht vor, weil sich sowohl der Abstandsflächenverstoß der Beigeladenen als auch die Forderungen der Kläger nach Ausweisung eines Stellplatzes und Einräumung eines Leitungsrechts auf dieselbe Wegeparzelle beziehen. Auch kann ein schikanöses Überziehen der Kläger in ihren Forderungen mit der dafür gebotenen Offensichtlichkeit nicht festgestellt werden. Schließlich macht die vom Verwaltungsgericht angenommene Abweichungsfähigkeit des Bauvorhabens nach § 69 LBauO das Geltendmachen der durch die erteilte Baugenehmigung eingetretenen Rechtsverletzung nicht rechtsmissbräuchlich. Vielmehr fällt es in den Verantwortungsbereich des Beklagten und der Beigeladenen, von den Möglichkeiten zur Legalisierung des Abstandsflächenverstoßes Gebrauch zu machen.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO.

35

Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

36

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

37

Beschluss

38

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 GKG).

(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird; dies gilt nicht für Vorhaben der in § 29 Absatz 1 bezeichneten Art, die der Bergaufsicht unterliegen. Richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 30 Absatz 1, stellen die Länder sicher, dass die Gemeinde rechtzeitig vor Ausführung des Vorhabens über Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung nach den §§ 14 und 15 entscheiden kann. In den Fällen des § 35 Absatz 2 und 4 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung allgemein oder für bestimmte Fälle festlegen, dass die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist.

(2) Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde dürfen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagt werden. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.

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Tenor

Die Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2014 wird insoweit aufgehoben, als darin die Errichtung einer grenzständigen Überdachung auf dem Grundstück Flurstücks-Nr. …, A-Straße .., in Meckenheim genehmigt worden ist.

Die Beklagte und der Beigeladene haben die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Kläger je zur Hälfte zu tragen. Die Kosten des Vorverfahrens trägt der Beklagte. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte und der Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen eine vom Beklagten dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

2

Die Kläger sind Miteigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks mit der Flurstücks-Nr. ...... in der Gemarkung Meckenheim, B-Straße …. Es befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „B-Straße“. Die angrenzenden Grundstücke sind in diesem Bebauungsplan als Mischgebiet ausgewiesen. Der Beigeladene ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs und Eigentümer des nördlich unmittelbar angrenzenden Grundstücks mit der Flurstücks-Nr. …, A-Straße ... . Dieses Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, nimmt jedoch am Bebauungszusammenhang der Gemeinde Meckenheim teil.

3

Im Jahre 2010 errichtete der Beigeladene ohne vorherige Einholung einer Baugenehmigung unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Kläger auf einer Länge von 10 Metern zwischen der vorhandenen Scheune und der Grundstücksgrenze eine Überdachung mit einer Breite von 3,94 m und einer Firsthöhe von 3,90 m. Diese wurde unmittelbar an zwei bereits bestehende Unterstände an derselben Grundstücksgrenze mit einer Gesamtlänge von ca. 25 Metern angebaut. Daneben schließt sich in Richtung Norden eine weitere Überdachung an. Schon zuvor hatte der Beigeladene mehrere Container zur Unterbringung von Erntehelfern abweichend von einer ihm im März 2006 erteilten Baugenehmigung errichtet.

4

In der Folgezeit stellte der Beklagte fest, dass die Baumaßnahme nicht wie beantragt ausgeführt worden war. Er forderte den Beigeladenen deshalb auf, geänderte Antrags- und Planunterlagen für die tatsächlich errichteten baulichen Anlagen vorzulegen. Der Beigeladene kam dieser Aufforderung im Juni 2011 nach. Nach den Bauantragsunterlagen sollte der bereits verwirklichte Zustand genehmigt werden, u.a. die Überdachung (10,00 m x, 3,94 m, Firsthöhe 3,90 m) sowie ein Container mit einer Länge von 6 m jeweils an der Grenze zum Grundstück der Kläger.

5

Mit Bescheid vom 22. August 2012 lehnte der Beklagte den Bauantrag des Beigeladenen ab. Auf dessen Widerspruch verpflichtete der Kreisrechtsausschuss des Beklagten diesen mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 (KRA 235/12), über den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2013 vom Beigeladenen geänderten Bauantrag – der bisher als Wohncontainer genutzte Container sollte künftig als Lagercontainer weitergenutzt werden – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Kreisrechtsausschusses zu entscheiden. Die Kläger waren zu diesem Widerspruchsverfahren hinzugezogen worden. In dem Widerspruchsbescheid vertrat der Kreisrechtsausschuss die Auffassung, dass der Beigeladene u.a. einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Überdachung an der Grenze zum Grundstück der Kläger als Nebengebäude habe, da diese sich bauplanungsrechtlich einfüge.

6

Nachdem der Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 bestandskräftig geworden war, erteilte der Beklagte dem Beigeladenen am 18. Oktober 2013 eine Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren zur Aufstellung von drei Wohn- und einem Lagercontainer sowie zur Errichtung von zwei Überdachungen auf seinem Grundstück.

7

Die Kläger legten dagegen am 30. Dezember 2013 Widerspruch ein, den der Kreisrechtsausschuss des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 (KRA 9/14) zurückwies. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss u.a. aus, die Überdachung an der Grenze zum Grundstück der Kläger füge sich bauplanungsrechtlich in die nähere Umgebung ein. Da die Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren geprüft worden sei, habe der Beklagte bauordnungsrechtliche Vorschriften nicht zu prüfen gehabt. Da aber die Kläger mit ihrem Vorbringen einen Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Regelungen behaupteten, müsse der Kreisrechtsausschuss auf diesen Themenkreis eingehen, um zu prüfen, ob die Kläger gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten hätten. Dies sei nicht der Fall. Die Überdachung stelle nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO ein sonstiges Gebäude ohne Aufenthaltsraum und Feuerstätte dar. Ein gelegentlicher Aufenthalt von bei dem Beigeladenen beschäftigten Arbeitern unter der Überdachung mache letztere nicht zu einem Aufenthaltsraum. Das Verbringen der Freizeit von Menschen unter einer Überdachung sei bestenfalls ein vorübergehender Aufenthalt, der jedoch die Qualität eines Aufenthaltsraumes nicht erreiche. Als sonstiges Gebäude dürfe die Überdachung ohne Abstandsfläche errichtet werden.

8

Zwar sei den Klägern zuzugeben, dass sämtliche auf dem Grundstück des Beigeladenen vorhandenen Baulichkeiten die nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Landesbauordnung – LBauO – zugelassene maximale Länge von 18 Metern an allen Grundstücksgrenzen überschritten. Dennoch hätten die Kläger keinen Anspruch auf Aufhebung der beanstandeten Baugenehmigung. Maßgeblich sei hierbei insbesondere, dass das auf ihrem Grundstück stehende Wohngebäude mit einem Teil bis zur Grenze zum Grundstück des Beigeladenen errichtet sei. Dies bedeute, dass es auf ihrem Grundstück eine grenzständige Hauptnutzung gebe. Die Kläger könnten vom Beigeladenen nicht die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Regelungen verlangen, die sie selbst auf ihrem Grundstück missachteten. Nach den landesrechtlichen Abstandsvorschriften hätte ihr Wohngebäude zum Grundstück des Beigeladenen hin ein Grenzabstand von mindestens drei Metern einhalten müssen. Selbst wenn auf dem Grundstück des Beigeladenen ein Gebäude ohne Grenzabstand nicht zuzulassen wäre, so dürfte es doch zugelassen werden, weil die Kläger auf ihrem Grundstück ein Gebäude ohne Grenzabstand stehen hätten.

9

Die brandschutzrechtliche Vorschrift des § 30 LBauO sei nicht verletzt. Eine Brandwand sei im konkreten Fall deshalb nicht herzustellen, weil die Überdachung keinen Gebäudeabschluss habe.

10

Die Kläger haben am 15. Januar 2015 Klage erhoben. Sie führen u.a. aus, das Satteldachgebäude des Beigeladenen füge sich nicht in die Umgebung der mehrheitlich nur einseitig grenzständig bebauten Grundstücke ein. Der Genehmigung der Überdachung an der Grenze stünden im Übrigen auch bauordnungsrechtliche Gründe entgegen. Es liege zunächst ein Verstoß gegen § 8 LBauO vor. An der gemeinsamen Grundstücksgrenze befänden sich in unmittelbarem Anschluss an das Satteldachgebäude bereits zwei Unterstände mit einer Gesamtlänge von ca. 25 m. Das Satteldachgebäude mit einer Länge von 10 m entlang der Grundstücksgrenze sei bei der Berechnung gemäß § 8 Abs. 9 LBauO hinzuzurechnen. Es handele sich dabei um ein eigenständiges Nebengebäude. Durch das beanstandete Satteldachgebäude würden die Belichtungsverhältnisse des klägerischen Grundstücks vor allem im Erdgeschoß erheblich beeinträchtigt. Dies gelte insbesondere für das Badezimmer und den Wohnraum. Beide Räume hätten ausschließlich (Badezimmer) bzw. teilweise (Wohnraum) die Fenster nach Norden, also direkt zu dem Satteldachgebäude hin gerichtet. Aufgrund des Grenzabstandes des klägerischen Gebäudes zu dem Satteldachgebäude von nur 3 m und der Höhe des Satteldachgebäudes (Firsthöhe 3,90 m) komme es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Belichtungsverhältnisse.

11

Soweit der Beklagte darauf abstelle, dass sie, die Kläger, ihrerseits ihr Wohngebäude mit einem Teil bis zur Grenze zum Grundstück des Beigeladenen errichtet hätten und sie deshalb nicht von diesem verlangen könnten, bauordnungsrechtliche Regelungen einzuhalten, verfange dieses Argument nicht. Sie hätten lediglich ihre Garage direkt an die Grenze gestellt. Sie hätten ihr Wohngebäude insgesamt in Erfüllung der Vorgaben des geltenden Bebauungsplans „B-Straße“ erstellt. Ihnen gehe es bei der monierten fehlenden Abstandsfläche um den Bereich, in dem ihr eigenes Wohnhaus zur Grundstücksgrenze des Beigeladenen drei Meter betrage und die Abstandsfläche somit auch ihrerseits einzuhalten sei. Die beanstandete Überdachung befinde sich jedoch maßgeblich in dem Bereich, in dem eine Abstandsfläche des klägerischen Wohnhauses zu der Grundstücksgrenze bestehe.

12

Schließlich seien die Brandschutzvorschriften bei dem Satteldachgebäude nicht eingehalten. Es fehlten die gemäß § 30 LBauO erforderlichen Brandwände. Sollte es einmal in dem Satteldachgebäude zu einem Brand kommen, was schon deshalb nicht unwahrscheinlich sei, weil es von den Arbeitern als Aufenthaltsraum benutzt werde, könne sich das Feuer des lediglich in Holzständerbauweise erstellten Gebäudes ungehindert auf ihr Grundstück verbreiten.

13

Die Kläger beantragen,

14

den Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2014 insoweit aufzuheben, als darin die Errichtung einer grenzständigen Überdachung genehmigt worden ist.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er verweist zur Begründung auf den ergangenen Widerspruchsbescheid.

18

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

19

die Klage abzuweisen.

20

Er führt aus, im Jahr 2012 sei es zwischen ihm und den Klägern zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen, die darin gegipfelt hätten, dass sich die Kläger an die untere Bauaufsichtsbehörde des Beklagten gewandt hätten mit der Bitte, gegen die Überdachungen und Container auf seinem Grundstück einzuschreiten. Deshalb habe er seinerzeit eine Baugenehmigung beantragt, die schließlich nach Bestandskraft des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2013 im Oktober 2013 erteilt worden sei. Da die Kläger den Widerspruchsbescheid nicht angefochten hätten, sei über die Zulässigkeit der Überdachungen und der Wohncontainer rechtskräftig entschieden worden. Eine erneute Sachentscheidung verstoße gegen den Grundsatz „ne bis in idem“, weshalb die erhobene Klage bereits als unzulässig zu verwerfen sei. Die Kläger seien im ursprünglichen Widerspruchsverfahren beteiligt gewesen. Ihnen sei auch der Widerspruchsbescheid zugestellt worden, so dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, bereits gegen diesen zu klagen. Da es um den gleichen Lebenssachverhalt und die gleichen rechtlichen Fragen gehe, sei eine weitere Sachentscheidung nicht statthaft.

21

Im Übrigen sei die erteilte Baugenehmigung rechtmäßig und verletze die Kläger nicht in ihren Rechten.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 23. Juli 2015.

Entscheidungsgründe

23

Die Klage ist zulässig (1.) und auch in der Sache begründet (2.).

24

1. Die Kläger sind gemäß § 42 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – klagebefugt. Zwar sind sie mit ihren bauplanungsrechtlichen Einwendungen gegen die streitgegenständliche Überdachung auf dem Grundstück des Beigeladenen ausgeschlossen (1.1.). Jedoch können sie sich auf die mögliche Verletzung der drittschützenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften der §§ 8 und 30 LBauO berufen (1.2.).

25

1.1. Die Kläger können im vorliegenden Anfechtungsstreit nicht mehr geltend machen, die Überdachung füge sich nicht in die nähere Umgebung der mehrheitlich nur einseitig grenzständig bebauten Grundstücke ein und sei ihnen gegenüber rücksichtslos. Denn sie waren zu dem Widerspruchsverfahren KRA 235/12, das mit dem Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 27. Mai 2013 abgeschlossen wurde, hinzugezogen worden und hätten nach Auffassung der Kammer gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid Klage erheben müssen.

26

Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 22. August 2012 den Bauantrag des Beigeladenen, in dem es u.a. um die Genehmigung der streitgegenständlichen Überdachung ging, abgelehnt hatte, legte der Beigeladene dagegen Widerspruch ein. Der Kreisrechtsausschuss zog in diesem Vorverfahren die Kläger gemäß § 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 13 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes – VwVfG – (vgl. Kallerhoff in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 79 Rn. 31) hinzu und verpflichtete den Beklagten, über den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2013 vom Beigeladenen geänderten Bauantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Kreisrechtsausschusses zu entscheiden. Der Zweck der Hinzuziehung Drittbetroffener besteht u.a. darin, ihnen ähnlich wie bei der Beiladung nach § 65 VwGO für den Fall ihrer (Dritt)Betroffenheit bereits im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zum rechtlichen Gehör zu gewähren, einen effektiven (präventiven) (Grund-)Rechtsschutz schon im Behördenverfahren zu gewährleisten und eine Ausdehnung der Bindungswirkung der Behördenentscheidung auf sie zu erreichen (Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 13 Rn. 26). Folglich bindet der dem Hinzugezogenen wirksam bekannt gegebene Verwaltungsakt diesen (Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 15. Auflage 2014, § 13 Rn. 49; vgl. auch Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2010, § 13 VwVfG Rn. 15).

27

Ausgehend hiervon wären die Kläger nach Ansicht der Kammer verpflichtet gewesen, gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 27. Mai 2013 isoliert Anfechtungsklage gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu erheben, denn der genannte Widerspruchsbescheid beschwerte die hinzugezogenen Kläger erstmals, indem er ausführte, das Bauvorhaben des Beigeladenen sei bauplanungsrechtlich an der Grenze zulässig. Anerkannt ist, dass eine erstmalige Beschwer im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO vorliegt, wenn eine den Nachbarn in seinen Rechten verletzende Baugenehmigung von der Ausgangsbehörde versagt wird, auf den Widerspruch des Adressaten hin aber von der Widerspruchsbehörde erteilt wird (Brenner in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage 2014, § 79 Rn. 29; Pietzcker in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand April 2015, § 79 Rn. 9; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Februar 1992 – 3 S 3102/91 –, NVwZ 1992, 992 zur Aufhebung einer Abbruchanordnung durch die Widerspruchsbehörde).

28

Etwas anderes ergibt sich vorliegend nicht aus dem Umstand, dass der Kreisrechtsausschuss in dem Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 die vom Beigeladenen beantragte Baugenehmigung nicht selbst erteilt sondern lediglich die Ausgangsbehörde verpflichtet hat, die Baugenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Kreisrechtsausschusses zu erteilen. Zu einer solchen Verfahrensweise war der Kreisrechtsausschuss befugt; er konnte sich darauf beschränken, die Ausgangsbehörde zur Erteilung der Baugenehmigung zu verpflichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9/07 –, NVwZ 2008, 437).

29

Zwar erhält der Bauherr in der Konstellation, in der sich die Widerspruchsbehörde darauf beschränkt, die Ausgangsbehörde zur Erteilung der begehrten Genehmigung zu verpflichten, keine gegenüber nachträglichen Rechtsänderungen gesicherte Rechtsposition. Auch kommt dem Widerspruchsbescheid kein der Baugenehmigung vergleichbarer materiell-rechtlicher Regelungsgehalt zu. Er erschöpft sich in der Erklärung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch des Bauherrn die in Streit stehenden Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Baugenehmigung gegeben sind und daher die Ausgangsbehörde zur Erteilung verpflichtet wird. Der Widerspruchsbescheid stellt keine sachliche Teilentscheidung über die Baugenehmigung dar, sondern bedarf vielmehr noch der „Vollziehung“ seitens der Ausgangsbehörde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9/07 –, NVwZ 2008, 437).

30

Daraus kann nach Auffassung der Kammer aber nicht geschlossen werden, dass ein Nachbar, der in dem vom Bauherrn gegen die Ablehnung der von ihm beantragten Baugenehmigung betriebenen Vorverfahren als Hinzugezogener nach § 13 VwVfG beteiligt worden ist, im Falle des Ergehens eines Bescheidungs-Widerspruchsbescheids, der nachbarrechtsrelevante Aussagen enthält, zuwarten kann, bis die Ausgangsbehörde nach Eintritt der Bestandskraft des Widerspruchsbescheids die Baugenehmigung erteilt hat und erst dann gegen die Baugenehmigung mit einem Rechtsbehelf vorgeht.

31

Zwar vertritt Oster (LKRZ 2009, 211, 212) die Meinung, ein stattgebender Bescheidungs-Widerspruchsbescheid enthalte selbst noch keine Beschwer für den Nachbarn, sondern erst die zu erteilende Baugenehmigung. Denn die Baugenehmigung sei im Gegensatz zum Widerspruchsbescheid erst die eigentliche Zulassung des Vorhabens. Deshalb müsse der Nachbar erst gegen die Baugenehmigung vorgehen und zwar mit einem Widerspruch, wenn und soweit die Bauaufsicht den Rahmen überschritten habe, den ihr der Rechtsausschuss in seinem Widerspruchsbescheid gesetzt habe. Sei dies nicht der Fall, so müsse der beschwerte Nachbar nach Sinn und Zweck der §§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 79 Abs. 1 VwGO unmittelbar Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung erheben, und zwar unabhängig davon, ob diese durch die Widerspruchsbehörde oder infolge eines Bescheidungs-Widerspruchsbescheides durch die Bauaufsicht erteilt worden sei.

32

Die Kammer folgt dieser Ansicht nicht. Jedenfalls in den Fällen, in denen – wie hier – der Nachbar an dem ursprünglichen Vorverfahren, das der Bauherr gegen die Versagung der Baugenehmigung eingeleitet hat, im Wege der Hinzuziehung nach § 13 VwVfG beteiligt war und deshalb der stattgebende Widerspruchsbescheid auch dem Nachbarn gegenüber bindend geworden ist, kann dieser mit seinen Einwänden gegen das Bauvorhaben des Bauherrn, mit denen sich die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid ausdrücklich auseinandergesetzt hat, grundsätzlich nicht zuwarten, bis die Baugenehmigung ergangen ist. Vielmehr ist er, um nicht später mit seinen Einwendungen ausgeschlossen zu sein, verpflichtet, gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid vorzugehen. Einen Rechtsbehelf erst gegen die Baugenehmigung hält die Kammer nur dann für statthaft, wenn und soweit die auf den stattgebenden Widerspruchsbescheid folgende Baugenehmigung den Rahmen überschreitet, den der Widerspruchsbescheid gesetzt hat. Denn dann kommt der Baugenehmigung diesbezüglich eine über den vorausgegangenen Widerspruchsbescheid hinausgehende Regelungswirkung zu (so auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12. November 1998 – 1 M 4423/98 –, NVwZ-RR 1999, 367). Ansonsten enthält die Baugenehmigung gegenüber dem (Bescheidungs-)Widerspruchsbescheid keinerlei Regelungsgehalt, die Voraussetzung für eine Anfechtbarkeit wäre.

33

Dieses Ergebnis berücksichtigt auch hinreichend die rechtskraftähnliche Bindungswirkung eines Widerspruchsbescheids (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Februar 1977 – 6 A 78/76.OVG –, AS RP-SL 14, 416; VG Neustadt, Urteil vom 20. September 2002 – 4 K 2599/02.NW –, juris). Insbesondere ein Widerspruchsbescheid, der von einem gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – weisungsfreien Rechtsausschuss in einem prozessähnlichem Verfahren (§ 16 AGVwGO) erlassen worden ist, kann, wenn er zu Gunsten des Bürgers ergeht, in jedem Fall von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion bzw. der anderen oberen Aufsichtsbehörde mittels der Beanstandungsklage gerichtlich angefochten werden (§ 17 AGVwGO). Ein solchermaßen erlassener Widerspruchsbescheid ist daher, wenn er unanfechtbar geworden ist, in stärkerem Maße als ein sonstiger Verwaltungsakt geeignet, ein Vertrauen des Begünstigten in die Beständigkeit in die Entscheidung zu begründen.

34

Damit steht mit rechtskraftähnlicher Bindungswirkung fest, dass die Kläger mit ihren bauplanungsrechtlichen Einwendungen gegen die hier streitgegenständliche Überdachung ausgeschlossen sind. Die Kammer prüft daher nicht mehr, ob die Überdachung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Der Umstand, dass der Kreisrechtsauschuss sich in dem zweiten Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 erneut damit auseinandergesetzt hat, ob ein Verstoß gegen nachbarschützende bauplanungsrechtliche Bestimmungen vorliegt, hat nicht zur Folge, dass die Kläger sich auf diese neue Sachentscheidung des Kreisrechtsauschusses berufen können. Denn der Umstand, dass die Kläger gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 nicht isoliert Anfechtungsklage erhoben haben und dieser ihnen und dem Beigeladenen gegenüber in Bestandskraft erwachsen ist, führte dazu, dass der Beigeladene eine „gesicherte Rechtsposition“ erlangte, die ihm nicht entzogen werden durfte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1998 – 7 B 30/98 –, BayVBl 1999, 58 zur fehlenden Befugnis der Widerspruchsbehörde zur Sacheinlassung bei Verfristung des Widerspruchs in Drittbeteiligungsfällen; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. März 1989 – 4 C 14/85 –, NVwZ 1989, 863 zur Bindungswirkung einer Bebauungsgenehmigung gegenüber einem Dritten, soweit diese ihm gegenüber bei der Erteilung der Baugenehmigung bestandskräftig war).

35

1.2. Die rechtskraftähnliche Bindungswirkung des Widerspruchsbescheids des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 27. Mai 2013 bezieht sich jedoch nicht auf die drittschützenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften der §§ 8 und 30 LBauO.

36

1.2.1. Die Kläger können die mögliche Verletzung dieser Bestimmungen im vorliegenden Verfahren geltend machen, obwohl die angegriffene Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt wurde. Zwar hat dies grundsätzlich zur Folge, dass nach § 66 Abs. 3 LBauO bauordnungsrechtliche Vorschriften nicht zu prüfen sind. Eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung hat nur Wirkung in Bezug auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, die in diesem Verfahren zu überprüfen waren. Bezüglich der übrigen gesetzlichen Regelungen enthält die Genehmigung weder eine Feststellung noch eine Freigabe, so dass sie insoweit auch weder den Bauherrn begünstigt, indem sie die Übereinstimmung des Vorhabens mit allen Vorschriften des öffentlichen Rechts feststellt, noch den Nachbarn belasten kann. Dieser ist daher durch die Baugenehmigung hinsichtlich der nicht geprüften Vorschriften nicht in seinen Rechten betroffen im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 1991 – 8 B 11955/91 –, NVwZ-RR 1992, 289).

37

Allerdings ist die Bauaufsichtsbehörde nicht daran gehindert, die – entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm – beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153). Für eine solche Verfahrensweise besteht insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen oder zu erwarten sind und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen. Ist die Behörde zur isolierten Feststellung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit befugt, bestehen keine Hinderungsgründe, diese Regelung mit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilenden „schlanken“ Baugenehmigung zu verbinden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153; vgl. auch VG Neustadt, Urteil vom 12. Juli 2012 – 4 K 329/12.NW –, juris). Hat daher die Bauaufsichtsbehörde im Baugenehmigungsverfahren oder der Rechtsausschuss im Widerspruchsverfahren abweichend vom gesetzlich vorgegebenen Prüfungsprogramm tatsächlich bestimmte bauordnungsrechtliche Vorschriften geprüft, werden diese Regelungsinhalt der Baugenehmigung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – u.a. zum Widerspruchsverfahren) mit der Folge, dass ein Nachbar im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO befugt ist, sich auf einen möglichen Verstoß gegen die geprüften bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu berufen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – und 28. Mai 1993 – 8 B 11148/93.OVG –; VG Neustadt, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 L 644/14.NW –, juris und vom 2. Juli 2014 – 4 L 553/14.NW –).

38

Vorliegend hat der Kreisrechtsausschuss des Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 tatsächlich die Einhaltung der Vorschriften der §§ 8 und 30 LBauO geprüft. Zwar hat der Ausschuss dies ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt erörtert, ob die Kläger wegen eines möglichen Verstoßes gegen die §§ 8 und 30 LBauO einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten hätten. Da ein solches Begehren jedoch hier nicht Streitgegenstand war, können die diesbezüglichen Ausführungen des Kreisrechtsausschusses nur so gewertet werden, dass damit eine bauordnungsrechtliche Aussage in Bezug auf die §§ 8 und 30 LBauO getroffen werden sollte und diese damit auch Regelungsinhalt der Baugenehmigung geworden sind (vgl. Schmidt in: Jeromin/Lang/Schmidt, LBauO RhPf, 3. Auflage 2012, § 69 Rn. 11; OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 4. Februar 2009 – 8 A 11283/08.OVG – und vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG –). Hat aber eine faktische Prüfung der Abstandsflächen stattgefunden, ist ein Nachbar im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO befugt, sich auf einen möglichen Verstoß gegen § 8 LBauO zu berufen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – und 28. Mai 1993 – 8 B 11148/93.OVG –; VG Neustadt, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 4 L 553/14.NW –).

39

1.2.2. Den Klägern ist das Berufen auf den Verstoß gegen die §§ 8 und 30 LBauO nicht deshalb verwehrt, weil sie – wie unter 1.1. ausgeführt – mit ihrem Vorbringen in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ausgeschlossen sind und keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot mehr rügen können.

40

Das Bauordnungsrecht und das Bauplanungsrecht bilden unterschiedliche Prüfungsebenen, die jeweils einem anderen Ansatz folgen (s. z.B. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2000 – 4 C 3/00 –, NVwZ 2001, 813; OVG Bremen, Urteil vom 19. März 2015 – 1 B 19/15 –, juris). Zwar kann z.B. das Abstandsflächenrecht im Rahmen der Anwendung des Rücksichtnahmegebots gewürdigt werden; letzteres ist in Bezug auf Belichtung, Belüftung und Besonnung von Nachbargrundstücken im Regelfall aus tatsächlichen Gründen nicht verletzt, wenn die Abstandsvorschriften eingehalten sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1999 – 4 B 128.98 –, NVwZ 1999, 879; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. April 2015 – 8 B 10304/15.OVG –). Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass ein Verstoß gegen die Abstandsflächen automatisch das Gebot der Rücksichtnahme verletzt (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2004 – 8 A 10136/04.OVG –). Deshalb haben sowohl Widerspruchsbehörde als auch Gericht bei der Anfechtung einer nach § 70 Abs. 1 LBauO erteilten Baugenehmigung durch den Nachbarn die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme und der Abstandsflächen gesondert zu prüfen. Beim vereinfachten Genehmigungsverfahren kommt hinzu, dass die Vereinbarkeit mit dem Abstandsflächenrecht grundsätzlich nicht Inhalt der Feststellungswirkung der angegriffenen Baugenehmigung ist; diese beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens des Bauherrn (§ 66 Abs. 3 LBauO). Vorliegend hatte der Kreisrechtsausschuss in dem Vorverfahren KRA 235/12, zu dem die Kläger gemäß § 13 VwVfG hinzugezogen worden waren, im Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 einen Verstoß gegen die nachbarschützende Bestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO in Bezug auf die streitgegenständliche Überdachung nicht geprüft. Folglich wurde die Vereinbarkeit der Überdachung mit der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO nicht Inhalt der Feststellungswirkung des Verpflichtungswiderspruchsbescheids des Kreisrechtsausschusses vom 27. Mai 2013. Damit erstreckt sich der Einwendungsausschluss nicht auf den § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO.

41

2. Die Klage ist auch in der Sache begründet.

42

Die angefochtene Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 und der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 12. Dezember 2014 verletzen die Kläger insoweit in ihren Rechten, als darin die Errichtung einer grenzständigen Überdachung genehmigt worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Baugenehmigung verstößt gegen baurechtliche Vorschriften, die auch dem Schutz der Kläger als Nachbarn zu dienen bestimmt sind.

43

Die dem Beigeladenen gemäß §§ 70, 66 Abs. 1 Nr. 1 LBauO erteilte Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 steht nicht im Einklang mit der hier vom Kreisrechtsausschuss des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 geprüften bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO.

44

Diese Bestimmung stellt die nachbarschützende Anforderung, vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Flächen von Gebäuden freizuhalten (Abstandsflächen). Die Regelung soll eine Brandübertragung verhindern, eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung in den Räumen der Gebäude und der Gebäude zueinander gewährleisten und nach dem überkommenen Verständnis der Abstandsvorschriften auch sozialen Zwecken, nämlich der Sicherung der „Privatheit“ und der Wahrung des Wohnfriedens dienen. Zentraler Zweck ist es auch, unzumutbare Belästigungen zu verhüten und die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu verwirklichen (z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Januar 2006 – 1 A 10845/05.OVG –, NVwZ-RR 2006, 768; Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 8 Rn. 2).

45

2.1. Bei der streitgegenständlichen Überdachung des Beigeladenen handelt es sich um ein oberirdisches Gebäude. „Gebäude“ sind nach der auch für das Abstandsflächenrecht maßgeblichen Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Satz 1 LBauO selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Die vier Begriffsmerkmale eines Gebäudes müssen kumulativ erfüllt sein. Die Überdachung des Beigeladenen ist eine bauliche Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 LBauO, nämlich eine mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlage. Da die Überdachung mit einem Blechdach versehen ist, ist sie außerdem auch überdeckt und dazu geeignet bzw. bestimmt, dem Schutz von Menschen oder Sachen zu dienen. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Anlage räumlich nicht vollkommen umschlossen ist, denn Umfassungswände sind nicht notwendiges Merkmal eines Gebäudes. Der überdachte Bereich ist auch „selbständig benutzbar“. Dabei wird die selbständige Benutzbarkeit im Regelfall dadurch dokumentiert, dass die bauliche Anlage einen eigenen Eingang besitzt (Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 2 Rn. 33). Auch seiner Funktion nach muss es sich um eine selbständige Einheit handeln. Dies ist vorliegend der Fall, denn die streitgegenständliche Überdachung verfügt über zwei eigene Zugänge von Westen und Osten und hat eine eigenständige Funktion (s. die Lichtbilder in der Verwaltungsakte). Die Überdachung ist nicht dergestalt in das Hauptgebäude des Beigeladenen integriert, dass sie diesem funktional zugeordnet ist.

46

2.2. Grundsätzlich sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Abstandsflächen freizuhalten. Die Ausnahmefälle der § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO (2.2.1.), § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBauO (2.2.2.), § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO (2.2.3.) und § 8 Abs. 9 LBauO (2.2.4.) greifen hier nicht ein.

47

2.2.1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO sind innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werden muss. Der in § 8 Abs. 1 Satz 2 LBauO angeordnete Vorrang des Städtebaurechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen. Auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im nicht überplanten Innenbereich kommt grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008).

48

Da das Vorhaben des Beigeladenen hier im unbeplanten Innenbereich ausgeführt worden ist, ist die Vorschrift des § 34 BauGB maßgeblich, d.h. es ist zunächst auf die Bebauung in der näheren Umgebung abzustellen.

49

Als „nähere Umgebung“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der Bereich zu berücksichtigen, auf den sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und der seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder beeinflusst. Die Umgebung kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2003 – 4 B 74.03 –, juris). Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2010 – 1 A 11294/09.OVG –, juris m.w.N.). Die Betrachtung muss auf das Wesentliche zurückgeführt und alles außer Acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper scheint. Ferner darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade auf dem vorhandenen Baugrundstück oder nur auf ganz wenigen Grundstücken in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, vielmehr ist die Bebauung auch in der weiteren Umgebung des Grundstückes insoweit zu berücksichtigen, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt (BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – IV C 9.77 –, NJW 1978, 2564). Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB lassen sich demnach nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 4 B 50/08 –, BauR 2009, 1564; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2010 – 1 A 11294/09.OVG –, ESOVGRP). Die Eigenart des Gebiets kann auch durch Vorhaben bestimmt sein, die in einem angrenzenden, nach § 30 Abs. 1 BauGB zu beurteilenden Gebiet mit Bebauungsplänen errichtet wurden; auf die in einem solchen Gebiet nach den Festsetzungen des Bebauungsplans zulässige Bebauung kommt es dabei aber nicht an (BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1975 – 4 C 16.73 –, BauR 1976, 185; Dürr in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Stand Februar 2015, § 34 Rn. 27).

50

Danach sieht die Kammer als nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB hier die gesamte Bebauung auf beiden Seiten der A-Straße zwischen C-Straße und B-Straße an. Die Bauten auf den Grundstücken A-Straße … und .. bilden in nördlicher Richtung eine Zäsur, denn hier mündet die A-Straße in die C-Straße. In südlicher Richtung wird der bodenrechtliche Charakter des Baugrundstücks durch die Bebauung entlang der A-Straße bis zur Einmündung in die B-Straße geprägt bzw. beeinflusst. Gegen eine Einbeziehung der Bebauung östlich der A-Straße im Bereich südlich des an das Grundstück des Beigeladenen angrenzenden Anwesens A-Straße .. bis zur Einmündung in die B-Straße spricht nicht, dass es sich dabei um neuere Bauten handelt, die zusätzlich von der östlich gelegenen B-Straße erschlossen werden. Auch wenn diese Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen, bleiben sie nach Auffassung der Kammer nicht außer Betracht. Denn im Rahmen des § 34 BauGB kommt es ausschließlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung an (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1975 – 4 C 16.73 –, BauR 1976, 185). Auch wenn die Bauten auf den Grundstücken B-Straße 11 – 18 a die Haus-Hof-Bauweise der nördlich und westlich gelegenen Grundstücke nicht aufgreifen, beeinflussen sie doch zumindest das Grundstück des Beigeladenen.

51

Wie dargelegt, sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werdenmuss. Aus bauplanungsrechtlichen Vorgaben kann sich daher ergeben, dass bei geschlossener Bauweise keine Abstände von Gebäuden zu Grundstücksgrenzen nötig oder geringere Abstände als nach den Bestimmungen der LBauO zu fordern sind (BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008).

52

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, der die Kammer folgt, muss sich hier die planungsrechtliche Anforderung zwingend aus der Eigenart der näheren Umgebung ergeben. Für die Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO reicht es nicht aus, dass nach § 34 Abs. 1 BauGB die Grenzbebauung zulässig ist, weil in der Umgebung des zu bebauenden Grundstücks sowohl die offene als auch die geschlossene Bauweise anzutreffen ist. Selbst in den Fällen, in denen die geschlossene Bauweise überwiegend anzutreffen ist, muss angesichts der ebenfalls anzutreffenden offenen Bauweise nicht an die Grenze gebaut werden. Für den unbeplanten Innenbereich kann eine zwingende Grenzbebauung nur angenommen werden, wenn auf den benachbarten Grundstücken ein einheitliches Ordnungsprinzip dahingehend erkennbar ist, dass alle Gebäude ohne Ausnahme − mindestens einseitig − eine Grenzbebauung aufweisen und somit an die Grenze gebaut werden muss, ein Vorhaben mit Grenzabstand sich also nicht einfügen würde, sondern als Fremdkörper erschiene (OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 11. November 1993 – 1 A 10532/93.OVG –, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008; Beschlüsse vom 8. Februar 2000 − 1 B 10066/00.OVG – und vom 8. Juni 2001 – 8 B 10855/01.OVG –, ESOVGRP; Urteil vom 10. Juli 2003 – 8 A 10257/03.OVG – m.w.N., ESOVGRP). Demgegenüber genügt es für die Annahme einer zwingenden Grenzbebauung regelmäßig nicht, wenn bei ansonsten uneinheitlicher Bauweise die geschlossene Bebauung zahlenmäßig überwiegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008).

53

In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend ein einheitliches Ordnungsprinzip dahingehend, dass alle Haupt- und Nebengebäude in der näheren Umgebung ohne Ausnahme − mindestens einseitig − eine Grenzbebauung aufweisen und somit an die Grenze gebaut werden müssen, zu verneinen. Eine beidseitige Grenzbebauung mit Nebengebäuden befindet sich östlich der A-Straße lediglich auf dem Grundstück A-Straße .. (Grundstück Flurstücks-Nr. ….). Die meisten Grundstücke weisen einseitige Grenzbebauung auf, nicht aber das Grundstück B-Straße .. und .. (Flurstücks-Nr. …), das in offener Bauweise errichtet worden ist. Auch auf dem Grundstück A-Straße .. (Flurstücks-Nr. …..) steht ein Hauptgebäude in offener Bauweise; bei dem grenzständigen Nebengebäude handelt es sich um einen nicht zu berücksichtigenden nach § 8 Abs. 9 Satz 1 LBauO privilegierten Bau.

54

2.2.2. Eine Bebauung ohne rückwärtigen Grenzabstand kann auch nicht auf § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBauO gestützt werden. Danach sind innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls ohne Grenzabstand gebaut wird. Vorliegend ist eine entsprechende Grenzbebauung auf dem Grundstück des Beigeladenen nicht öffentlich-rechtlich gesichert.

55

2.2.3. Ferner rechtfertigt auch § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO keine Zulassung der vom Beigeladenen errichteten grenzständigen Überdachung Danach kann grenzständige Bebauung zugelassen werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften mit Grenzabstand gebaut werden muss, aber auf dem Nachbargrundstück innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche ein Gebäude ohne Grenzabstand vorhanden ist. Nach der Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz (vgl. z.B. Beschluss vom 8. Januar 2015 – 8 A 10957/14.OVG – m.w.N.), der die Kammer folgt, kann nach dieser Vorschrift ein Gebäude ohne eigenen Grenzabstand nicht nur dann zugelassen werden, wenn bauplanungsrechtlich mit Grenzabstand gebaut werden muss, sondern erst recht dann, wenn planungsrechtlich mit Grenzabstand gebaut werden darf.

56

Zwar befindet sich auf dem Grundstück der Kläger an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen ein Gebäude an der gemeinsamen Grenze. Jedoch handelt es sich entgegen den Ausführungen des Kreisrechtsausschusses in dem Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 dabei ausweislich der dem Gericht auf Anforderung von dem Beklagten vorgelegten Baugenehmigungsakten um ein nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 LBauO funktional selbständiges privilegiertes Garagengebäude (vgl. zu dieser Einschränkung z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. November 2009 – 8 A 10636/09 –, NVwZ-RR 2010, 385; mit Wirkung vom 1. August 2015 hat der rheinland-pfälzische Gesetzgeber diese Einschränkung gemäß § 8 Abs. 9 Satz 5 LBauO künftige Fassung aufgehoben; danach dürfen Gebäude nach § 8 Abs., 9 Satz 1 Nr. 1 und 3 LBauO auch einen Zugang zu einem anderen Gebäude haben). Eine Grenzgarage nach § 8 Abs. 9 LBauO scheidet aber für die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO von vornherein aus, weil es sich hierbei nicht um ein „Gebäude ohne Grenzabstand“ handelt (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31. Mai 1999 – 1 B 10973/99.OVG –; Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 8 Rn. 44). Garagen oder sonstige Räume ohne Aufenthaltsräume sind nach § 8 Abs. 9 Satz 1 LBauO grundsätzlich ohne eigenen Grenzabstand auch bei ansonsten offener Bauweise zulässig. Würden derartige Gebäude es ermöglichen, auf dem Nachbargrundstück auch sonstige Gebäude ohne Grenzabstand zu errichten, so würde über kurz oder lang aus der Ausnahme die Regel und die offene Bauweise durch eine Vielzahl von Grenzgebäuden faktisch beseitigt. Dies kann aber nicht Sinn des § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO sein.

57

2.2.4. Zuletzt kann sich der Beigeladene auch nicht auf die Privilegierung des § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO berufen. Danach dürfen u.a. sonstige Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten ohne Abstandsflächen oder mit einer geringeren Tiefe der Abstandsflächen errichtet werden, wenn sie an den Grundstücksgrenzen oder in einem Abstand von bis zu 3 m von den Grundstücksgrenzen a) eine mittlere Wandhöhe von 3,20 m über der Geländeoberfläche nicht überschreiten, b) eine Länge von 12 m an einer Grundstücksgrenze und von insgesamt 18 m an allen Grundstücksgrenzen nicht überschreiten und c) Dächer haben, die zur Grundstücksgrenze nicht mehr als 45° geneigt sind. Hier unterschreitet zwar die streitgegenständliche Überdachung mit einer Länge von 10 m isoliert gesehen die nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 b LBauO zulässige Länge von 12 m an der gemeinsamen Grenze zum Grundstück der Kläger. Allerdings befindet sich an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch ein 6 m langer Container, so dass die Grenzbebauung insgesamt 16 m beträgt und damit gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 8 Abs. 9 Nr. 3 b LBauO verstößt.

58

Liegt im Ergebnis ein Verstoß gegen die Abstandsvorschriften vor, braucht die Kammer nicht mehr näher darauf einzugehen, ob die angegriffene Baugenehmigung in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2014 in Bezug auf die Überdachung auch nicht im Einklang mit der weiteren bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 30 LBauO steht.

59

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZivilprozessordnungZPO –.

60

Beschluss

61

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2013).

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 22. Juni 2014 gegen die dem Beigeladenen am 30. April 2013 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Dreifamilienwohnhauses auf dem Grundstück Flurstück-Nr. …. in Ludwigshafen, A-Straße … wird in Bezug auf das Garagengebäude unmittelbar an der Grenze zum Grundstück Flurstück-Nr. …… angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag, mit dem der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 22. Juni 2014 gegen die dem Beigeladenen am 30. April 2013 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Dreifamilienwohnhauses und Garage auf dem Grundstück Flurstück-Nr. …. in Ludwigshafen, A-Straße … begehrt, ist zulässig (1.) und begründet (2.).

2

1. Der Antrag ist zulässig.

3

1.1. Er ist nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – i.V.m. § 212 a BaugesetzbuchBauGB – statthaft. Da sich der Antragsteller sowohl im Vorverfahren als auch in seiner Antragsschrift inhaltlich ausschließlich mit dem Bau des an der gemeinsamen Grenze geplanten Garagengebäudes auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ….. auseinandergesetzt hat, versteht die Kammer sein Begehren so, dass er sich nicht insgesamt gegen die Baugenehmigung vom 30. April 2013 wendet, sondern nur die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Baugenehmigung in Bezug auf das Garagengebäude angeordnet werden soll.

4

Zwar sind Baugenehmigungen in aller Regel nicht in dem Sinne teilbar, dass Verstöße gegen Nachbarrechte schützende öffentlich-rechtliche Vorschriften gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO („soweit“) nur zu einer Teilaufhebung führen könnten (s. z.B. BayVGH, Beschluss vom 26. Oktober 2009 – 2 CS 09.2121 –, NVwZ-RR 2010, 346). Betrifft eine einheitliche Baugenehmigung allerdings getrennt voneinander genehmigbare Bauteile, so ist sie insoweit teilbar und eine Teilanfechtung möglich (Bay. VGH, Beschluss vom 10. Februar 2014 – 2 CS 13.2472 –, juris; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19. Oktober 2004 – 1 B 11691/04.OVG – zur Verhältnismäßigkeit einer Baueinstellungsverfügung). Dies gilt ebenso, wenn ein Gesamtbauvorhaben, das genehmigungspflichtige und genehmigungsfreie Bauarbeiten betrifft und damit insgesamt genehmigungspflichtig ist (vgl. VG Neustadt, Beschluss vom 28. Februar 2013 – 4 L 44/13.NW –; juris; Lang in: Jeromin/Schmidt/Lang, LBauO RhPf, 3. Auflage 2012, § 80 Rn. 5), teilbar ist. Vorliegend könnte das bei getrennter Verwirklichung gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 f) Landesbauordnung – LBauO – baugenehmigungsfreie Garagengebäude unabhängig von dem Wohngebäude auf dem Grundstück Flurstück-Nr. 2291 gebaut werden. Die Teilbarkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass es sich bei der Garage des Beigeladenen um einen sog. notwendigen Stellplatz im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 LBauO handelt. Denn die Schaffung von notwendigen Stellplätzen kann lediglich, muss aber nicht durch Garagen erfolgen (s. § § 47 Abs. 1 Satz 3 LBauO).

5

1.2. Der Antragsteller ist nach § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.

6

1.2.1. Dem steht zunächst nicht entgegen, dass der Antragsteller offenbar „nur“ Wohnungseigentümer in dem Anwesen auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ….. ist. Geht ein Wohnungseigentümer wegen Beeinträchtigung seines Sondereigentums gegen eine für das Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung vor, so kann er sich aus eigenem Recht (§ 13 Abs. 1 Halbsatz 2 Wohnungseigentumsgesetz – WEG –) auf die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO berufen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. November 2013 – 7 A 2341/11 –, BauR 2014, 252; Bay VGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003 – 1 CS 03.1785 –, NVwZ-RR 2004, 248 und Urteil vom 12. Juli 2012 – 2 B 12.1211 –, juris).

7

Zu keinem anderen Ergebnis käme die Kammer im Übrigen, wenn der Antragsteller statt Wohnungseigentümer bloßer Bruchteilseigentümer des Grundstücks Flurstück-Nr. ……. wäre. Auch ein Miteigentümer eines Grundstücks ist gegen eine Baugenehmigung auf dem Nachbargrundstück antragsbefugt. Denn als Miteigentümer am Gemeinschaftseigentum ist der Betreffende gemäß § 1011 Bürgerliches GesetzbuchBGB – berechtigt, die Ansprüche aus dem Eigentum Dritten gegenüber in Ansehung der ganzen Sache geltend zu machen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. September 2004 – 8 A 10664/04.OVG –).

8

1.2.2. Der Antragsteller kann entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin im Rahmen der erforderlichen Antragsbefugnis nicht nur einen Verstoß gegen das hier in dem Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene partiell drittschützende Gebot der Rücksichtnahme (s. z.B. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2000 – 4 B 25/00 –, BauR 2001, 212 und OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. Januar 2010 – 8 A 11151/09.OVG –), sondern auch eine Verletzung des nachbarschützenden bauordnungsrechtlichen Abstandsflächengebots rügen. Zwar wurde die angegriffene Baugenehmigung vom 30. April 2014 formal im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt, so dass gemäß § 66 Abs. 3 LBauO Vorschriften des Bauordnungsrechts nicht Prüfungsgegenstand waren. Eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung hat nur Wirkung in Bezug auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, die in diesem Verfahren zu überprüfen waren. Bezüglich der übrigen gesetzlichen Regelungen enthält die Genehmigung weder eine Feststellung noch eine Freigabe, so dass sie insoweit auch weder den Bauherrn begünstigt, indem sie die Übereinstimmung des Vorhabens mit allen Vorschriften des öffentlichen Rechts feststellt, noch den Nachbarn belasten kann. Dieser ist daher durch die Baugenehmigung hinsichtlich der nicht geprüften Vorschriften nicht in seinen Rechten betroffen im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 1991 – 8 B 11955/91 –, NVwZ-RR 1992, 289).

9

Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Bauaufsichtsbehörde abweichend von ihrem gesetzlich vorgegebenen Prüfungsprogramm tatsächlich bestimmte bauordnungsrechtliche Vorschriften geprüft hat. Die Bauaufsichtsbehörde ist nicht daran gehindert, die – entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm – beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153). Für eine solche Verfahrensweise besteht insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen oder zu erwarten sind und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen. Ist die Behörde zur isolierten Feststellung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit befugt, bestehen keine Hinderungsgründe, diese Regelung mit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilenden „schlanken“ Baugenehmigung zu verbinden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153).

10

Vorliegend hat die Antragsgegnerin in der Baugenehmigung vom 30. April 2013 unter der Nr. 1 der Nebenbestimmungen eine Festlegung der Geländeoberfläche nach der bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 2 Abs. 6 LBauO getroffen. Solche Festlegungen erfolgen u.a. wegen der Auswirkungen auf die nach § 8 LBauO einzuhaltenden Abstände im Interesse der Grundstücksnachbarn (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG). Ferner hat die Antragsgegnerin ausweislich des Genehmigungsstempels vom 30. April 2013 eine Prüfung der Abstandsflächenberechnung des Beigeladenen vorgenommen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Februar 1996 – 8 B 10341/96.OVG –). Schließlich hat sich die Antragsgegnerin auch in der „Verfügung“ vom 4. Juli 2014, mit der er den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO abgelehnt hat, mit den bauordnungsrechtlichen Vorschriften der §§ 2 Abs. 6 und 8 LBauO auseinandergesetzt. Hat aber eine faktische Prüfung der Abstandsflächen stattgefunden, ist ein Nachbar im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO befugt, sich auf einen möglichen Verstoß gegen § 8 LBauO zu berufen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – und 28. Mai 1993 – 8 B 11148/93.OVG –; VG Neustadt, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 4 L 553/14.NW –).

11

1.3. Dem Antrag fehlt auch nicht das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.

12

1.3.1. Zwar hat der Antragsteller den Widerspruch vom 22. Juni 2014 im Namen der „Eigentümergemeinschaft …… A-Straße …“ eingelegt, ohne von den übrigen Wohnungseigentümern hierzu berechtigt worden zu sein. Eine Auslegung dieses Schreibens ergibt jedoch, dass der Antragsteller den Widerspruch jedenfalls auch im eigenen Namen einlegen wollte.

13

1.3.2. Der Antragsteller hat sein Widerspruchsrecht auch nicht verwirkt. Denn die Baugenehmigung vom 30. April 2013 war ihm zu keinem Zeitpunkt zugestellt worden, so dass eine Frist zunächst nicht zu laufen begann. Erfahren hat der Antragsteller von der Existenz der Baugenehmigung erst nach Aufnahme der Bauarbeiten am 20. Mai 2014, so dass der Widerspruch vom 22. Juni 2014 rechtzeitig einging.

14

2. Der Antrag ist darüber hinaus auch in der Sache begründet.

15

Für die nach § 80a Abs. 3 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung des Gerichts sind die gegenläufigen Interessen des Antragstellers und des Beigeladenen für den Zeitraum bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gegeneinander abzuwägen. Dabei ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Vorhabens mit nachbarschützenden Vorschriften bestehen. Demgegenüber ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen, wenn die Baugenehmigung offensichtlich nicht gegen nachbarschützende Normen verstößt. Lässt sich auch nach intensiver Prüfung nicht feststellen, ob der Rechtsbehelf des Nachbarn wahrscheinlich zum Erfolg führen wird, sind die Erfolgsaussichten also offen, ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, bei der der Einzelfallbezug gewahrt bleiben muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 – 4 VR 1005/04 –, NVwZ 2005, 689).

16

In Anwendung dieser Grundsätze muss hier die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfallen. Die gemäß §§ 70, 66 Abs. 1 Nr. 1 LBauO erteilte Baugenehmigung vom 30. April 2013 verstößt zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfende baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, die auch dem Schutz des Antragstellers als Nachbarn zu dienen bestimmt sind.

17

2.1. Die Zweifel an der Vereinbarkeit des Vorhabens „Garagengebäude“ mit nachbarschützenden Vorschriften rühren daher, dass die vorgelegten und genehmigten Bauunterlagen hinsichtlich der nachbarrechtsrelevanten Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass sich eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausschließen lässt. Nach § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 37 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitsgebot bezieht sich auf den verfügenden Teil des Verwaltungsakts einschließlich aller seiner Nebenbestimmungen (vgl. Stelkens: in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 37 Rn. 3). Welches Maß an Konkretisierung notwendig ist, hängt von der Art des Verwaltungsakts, den Umständen seines Erlasses und seinem Zweck ab. Eine Genehmigung, deren Inhalt und Reichweite von der Genehmigungsbehörde festgelegt wird, ist hinreichend bestimmt, wenn sich der Umfang der genehmigten Anlage aus dem im Bescheid zum Ausdruck kommenden objektiven Willen der Genehmigungsbehörde unter Heranziehung der Genehmigungsunterlagen erkennen lässt (Bay. VGH, Beschluss vom 5. März 2012 – 2 CS 11.1997 –, juris). Soweit Dritte von einem Verwaltungsakt begünstigt oder belastet werden, muss dieser auch ihnen gegenüber bestimmt sein. Ein Nachbar kann die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit einer Genehmigung geltend machen, soweit deswegen nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (Bay. VGH, Beschluss vom 5. März 2012 – 2 CS 11.1997 –, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5. Februar 2003 – 8 A 11423/02.OVG –).

18

Vorliegend ist trotz der Tatsache, dass das Gelände in dem betreffenden Bereich der A-Straße Höhenunterschiede von offenbar bis zu 2 m aufweist, in den der Genehmigung zugrunde gelegten Bauzeichnungen (Ansichten und Schnitte) weder der natürliche Geländeverlauf auf dem Grundstück Flurstück-Nr. …. vor Beginn der Bauarbeiten noch der Geländeverlauf nach Verwirklichung des Bauvorhabens eingezeichnet. Aber selbst wenn man aufgrund der vom Beigeladenen eingereichten Bauzeichnungen den Versuch unternimmt, das Ausmaß, insbesondere die Höhe des Bauvorhabens ausgehend von der bisherigen natürlichen Geländeoberfläche zu ermitteln, ergeben sich erhebliche Zweifel, ob das Vorhaben hinsichtlich seines Abstandes zur Grundstücksgrenze die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften einhält bzw. die gemäß § 34 Abs. 1 BauGB gebotene Rücksichtnahme wahrt.

19

2.2. Grundsätzlich sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Abstandsflächen einzuhalten, deren Tiefe mindestens 3 m beträgt (§ 8 Abs. 6 Satz 3 LBauO). Diesen Abstand hält die Garage des Beigeladenen nicht ein, da sie nach den eingereichten Bauplänen unmittelbar an der Grenze errichtet werden soll.

20

Es bestehen ernstliche Bedenken, ob das Garagengebäude gemäß § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 LBauO privilegiert an der Grenze zulässig ist. Nach dieser Bestimmung sind Garagen ohne oder mit einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche zulässig, wenn sie eine mittlere Wandhöhe von 3,20 m über der Geländeoberfläche nicht überschreiten, eine Länge von 12 m an einer Grundstücksgrenze und von insgesamt 18 m an allen Grundstücksgrenzen einhalten, ihre Dächer nicht mehr als 45 Grad zur Grundstücksgrenze geneigt sind und der Giebel nicht höher als 4 m ist. Die Tiefe der vor Außenwänden oberirdischer Gebäude einzuhaltenden Abstandsflächen bemisst sich nach der Höhe der Wand oder des Wandteils, die senkrecht zur Wand gemessen wird. Als Wandhöhe gilt das Maß von der Geländeoberfläche bis zur Schnittlinie der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand (§ 8 Abs. 4 Satz 1 und 2 LBauO). Maßgebend ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 4 LBauO die im Mittel gemessene Höhe der Wand oder des Wandteils. Die Wandhöhe ist als arithmetisches Mittel der jeweils gemessenen Wandhöhen zu bestimmen. Der untere Bezugspunkt ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 LBauO die Geländeoberfläche, d.h. die Fläche, die sich aus den Festsetzungen des Bebauungsplanes ergibt oder von der Bauaufsichtsbehörde festgelegt ist, im Übrigen die natürliche, an das Gebäude angrenzende Geländeoberfläche, § 2 Abs. 6 LBauO.

21

2.3. Vorliegend hat die Antragsgegnerin in der Nr. 1 der Nebenbestimmungen zu der Baugenehmigung vom 30. April 2013 eine Festlegung der Geländeoberfläche nach § 2 Abs. 6 LBauO getroffen. Darin heißt es:

22

Maßgebende Geländeoberfläche ist die Höhe der Gehweghinterkante, soweit nicht durch Bebauungsplan eine andere Regelung getroffen wird. Liegt die natürliche Geländeoberfläche mehr als 1 m tiefer als die Gehweghinterkante, gilt für Nebenanlagen (z.B. Garagen), die hinter der rückwärtig zulässigen Baugrenze eines Hauptgebäudes errichtet werden soll, die natürliche Geländeoberfläche als maßgebende Geländeoberfläche.“

23

Bei einer solchen Festlegung, die den Zweck hat, eine angemessene Bebauung des Grundstücks zu ermöglichen, handelt es sich um einen gesonderten Verwaltungsakt; sie betrifft die Festsetzung eines rechnerischen Höhenmesspunkts (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG; VG Trier, Urteil vom 12. Juli 2006 – 5 K 46/06.TR –; Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 2 Rn. 80). Damit wird ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Geländeverlauf die für die Anwendung der baurechtlichen Vorschriften maßgebliche Höhenlage – abstrakt – festgelegt mit der Folge, dass z.B. bei der Anwendung des § 8 LBauO der untere Bezugspunkt für die Ermittlung der Wandhöhe dieser Höhenlage entspricht.

24

Eine Festlegung nach § 2 Abs. 6 LBauO ist in formeller Hinsicht nur wirksam, wenn sich die maßgebliche Größe aus der Regelung - gegebenenfalls zusammen mit den genehmigten Plänen - mit hinreichender Bestimmtheit ergibt; das kann z.B. durch die Festlegung einer Höhe über NN oder einer Höhe bezogen auf andere feste Größen, wie etwa die Straßenoberfläche an einem bestimmten Punkt, geschehen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG). Materiell ist die Festlegung der Geländeoberfläche nur zulässig, wenn ein Bedürfnis dafür besteht. Dies ist z.B. der Fall bei schwierigen topographischen Verhältnissen, wenn es die Sicherheit oder gestalterische Gesichtspunkte erfordern, die natürliche Geländeoberfläche aufgrund von Aufschüttungen bzw. großer Unregelmäßigkeiten und Schwankungen nicht mehr feststellbar ist, oder eine Harmonisierung des Geländes aus sonstigen Gründen unerlässlich ist (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Februar 1996 – 8 B 10341/96.OVG –; VG Trier, Urteil vom 12. Juli 2006 – 5 K 46/06.TR –; vgl. auch OVG Saarland, Beschluss vom 17. September 1979 – II W 1.204/79 –, BauR 1980, 158). Ferner sind die Auswirkungen einer Festlegung der Geländeoberfläche im Hinblick auf die Anwendung von nachbarschützenden Vorschriften zu beachten und abzuwägen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG). So würde die Festlegung der Geländeoberfläche nach einer Aufschüttung dazu führen, dass nachbarschützende Bestimmungen umgangen würden. Daher ist die Baugenehmigungsbehörde gehalten, nachbarschützende Vorschriften zu beachten und in ihre Entscheidung mit einzustellen. Die Abstandsflächenregelungen des § 8 LBauO stellen solche nachbarschützende Vorschriften dar. Sie dienen neben dem Brandschutz und der Gestaltung auch der Beleuchtung mit Tageslicht und der Lüftung sowie dem Schutz benachbarter Grundstücke vor Gefahren und unzumutbaren Belästigungen (Amtl. Begründung zum Entwurf der Landesbauordnung, Landtagsdrucksache 10/1344, Seite 76). Es muss deshalb gewährleistet werden, dass die Festlegung der Geländeoberfläche und die Errichtung etwaiger baulicher Anlagen mit dem Nachbarinteresse vereinbar sind; darauf hat der Grundstücksnachbar einen Anspruch (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. August 1996 – 8 B 12041/96.OVG –). Eine abweichende Festlegung der Geländeoberfläche durch die Bauaufsichtsbehörde darf daher nicht dazu führen, dass die in Abhängigkeit von der Höhenlage getroffenen Festsetzungen generell unterlaufen werden. Dies würde ein Missbrauch der Festlegungsbefugnis darstellen, durch welche Verstöße gegen Bauvorschriften, die an die Höhe von Gebäudeteilen über der Geländeoberfläche anknüpfen, unrechtmäßig ausgeräumt würden.

25

Im vorliegenden Fall bedarf es zumindest der näheren Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob die getroffene Festlegung der Grundstücksoberfläche die Belange des Antragstellers nicht unangemessen beeinträchtigt. Das Baugrundstück zeichnet sich – ebenso wie die Nachbargrundstücke – durch eine Hängigkeit zumindest von West nach Ost aus. Auf den in den Verwaltungsakten enthaltenen Lichtbildern ist zu erkennen, dass die südlich der A-Straße gelegenen Anliegergrundstücke mit den Hausnummern …, …, …, … und … im vorderen an die Straße angrenzenden Grundstücksbereich auf Straßenniveau aufgeschüttet worden sind. Dieses befindet sich auf ca. 96 m NN (s. Landschaftsinformationssystem der Naturschutzverwaltung von Rheinland-Pfalz, http://map1.naturschutz.rlp.de /mapserver_lanis/). Im weiteren Grundstücksverlauf fällt, soweit ersichtlich, das Gelände auf den genannten Grundstücken auf eine Höhe von rund 95 m NN im hinteren Grundstücksbereich ab. Genauere Daten stehen der Kammer momentan nicht zur Verfügung.

26

Es ist einsichtig, dass hängiges Gelände Probleme bei der (Grenz-)Bebauung verursacht. Es ist daher im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin versucht hat, dem durch eine gesonderte Festlegung Rechnung zu tragen.

27

Aus der in Nr. 1 der Nebenbestimmungen zu der Baugenehmigung vom 30. April 2013 allgemein gehaltenen Regelung folgt für das streitgegenständliche Garagengebäude, dass die Gehweghinterkante der maßgebliche Bezugspunkt für die Bestimmung der Geländeoberfläche sein soll, denn ausweislich der Baupläne soll dieses vor der rückwärtig zulässigen Baugrenze des Hauptgebäudes errichtet werden. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragstellers und den im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens von dem Beigeladenen eingereichten Bauplänen geht die Kammer nach summarischer Prüfung davon aus, dass die natürliche Geländeoberfläche, d.h. die gewachsene und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche, an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf Höhe des geplanten Garagengebäudes des Beigeladenen um etwa 2 m unterhalb der Gehweghinterkante liegt. In den Baueingabeplänen sind, wie oben ausgeführt, bei der Darstellung der Schnitte und Ansichten weder die natürliche Geländeoberfläche vor Beginn der Bauarbeiten noch die (natürliche) Geländeoberfläche nach Verwirklichung des Bauvorhabens eingezeichnet. Dem Schnitt A-A ist lediglich zu entnehmen, dass der Fußboden des „Gartengeschosses“ etwa 1,80 m unterhalb der Gehweghinterkante – die Kammer setzt wegen fehlender Unterlagen diese mit der Straßenbegrenzungslinie gleich – liegt. Die Höhe der – nicht eingezeichneten und nicht als solche bezeichneten – Stützmauer an der Grenze dürfte nach der „Hofansicht“ rund 2 m betragen; sie läge damit offenbar auf der Höhe der Gehweghinterkante. Damit weicht die festgelegte Geländeoberfläche von der natürlichen Geländeoberfläche offenbar um 2 m ab. Hinzu kommt eine Höhe von ca. 2,70 m für das Garagengebäude als solches. Zusammen erhöht sich damit das aus Stützmauer und Garage bestehende Bauwerk um mindestens 4,70 m gegenüber dem bisherigen natürlichen Geländeniveau. Gegenüber der Regelung in § 8 Abs. 9 Nr. 1 LBauO, wonach Garagen an der Grundstücksgrenze zulässig sind, sofern sie u.a. eine mittlere Wandhöhe von 3,20 m nicht überschreiten, wäre die genehmigte Garage des Beigeladenen von der natürlichen Geländeoberfläche aus gemessen um 1,50 m höher.

28

Die Antragsgegnerin hat sich mit dieser Problematik bisher nicht hinreichend auseinandergesetzt. Bei der Abwägung zwischen dem Interesse des Beigeladenen als Eigentümer eines hängigen Grundstücks, dieses angemessen bebauen zu können und dem Interesse des Antragstellers als Nachbarn, von unzumutbaren Beeinträchtigungen des Bauwerks verschont zu bleiben, darf nach Auffassung der Kammer nicht außer Acht gelassen werden, dass die Antragsgegnerin für die vom Antragsteller bewohnte Souterrainwohnung in dem Anwesen A-Straße … am 26. Februar 1991 eine Tekturgenehmigung in Bezug auf das am 20. November 1989 genehmigte Wohnbauvorhaben erteilt hatte und beide Genehmigungen gerade keine Festlegungen der Geländeoberfläche enthielten. Es ist der Kammer auch nicht bekannt, ob bei der Erteilung der Baugenehmigungen für die Anwesen im näheren Umfeld in der A-Straße ebenfalls Festlegungen nach § 2 Abs. 6 LBauO erfolgt sind. Der Genehmigung vom 30. April 2013 kann jedenfalls nicht deutlich genug entnommen werden, warum in dem konkreten Fall ein Bedürfnis für die Festlegung der Geländeoberfläche auf das Niveau der Gehweghinterkante auf Höhe des Garagengebäudes besteht. Es versteht sich nicht von selbst, warum der Antragsteller künftig ein aus Stützmauer und Garage bestehendes Grenzbauwerk von mindestens 4,70 m hinnehmen muss.

29

Ein Bedürfnis für die Festlegung der Geländeoberfläche auf das Niveau der Gehweghinterkante ergibt sich im Übrigen auch nicht zwingend aus den Verwaltungsakten. Zwar befindet sich, worauf die Antragsgegnerin im gerichtlichen Eilverfahren hingewiesen hat, auf dem Anwesen A-Straße … an der südwestlichen Grenze eine ca. 12 m lange Garage, die offensichtlich vollständig auf Straßenniveau errichtet wurde. Jedoch steht bei dem Anwesen A-Straße … eine Doppelgarage im hinteren, tiefergelegenen Teil des Grundstücks mit einer Abfahrt vom Niveau der A-Straße bis zum Niveau des Gartens. Soweit die Antragsgegnerin in der der Antragserwiderung vom 25. Juli 2014 beigefügten Stellungnahme des Bereichs Bauaufsicht die Auffassung vertreten hat, die Errichtung der Garage wie beim Anwesen A-Straße … im hinteren Grundstücksbereich wäre mit dem Bau einer Rampe entlang der gesamten Grundstücksgrenze zum Antragssteller und damit entlang seiner Wohnungsfenster verbunden mit der Folge, dass der Antragsteller bei Benutzung einer derartigen Garage gerade auch in den Nachtstunden die Fahrbewegungen sicher als störend empfunden und kritisiert hätte, rechtfertigt dies nicht ohne Rücksprache mit dem Antragsteller die Festlegung der Geländeoberfläche auf das Niveau der Gehweghinterkante.

30

Bestehen nach dem Vorgesagten daher ernstliche Zweifel daran, dass das streitgegenständliche Garagengebäude nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 LBauO privilegiert ist, so war dem vorläufigen Rechtsschutzgesuch des Antragstellers wegen Verstoßes gegen die nachbarschützende Bestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO stattzugeben. Ob daneben auch ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme gegeben ist, bedarf im Hinblick auf das getroffene Ergebnis keiner Entscheidung mehr.

31

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3 VwGO. Mangels Antragstellung war der Beigeladene nicht an den Verfahrenskosten zu beteiligen.

32

Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf den §§ 52, 53 GKG.

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Tenor

Die Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2014 wird insoweit aufgehoben, als darin die Errichtung einer grenzständigen Überdachung auf dem Grundstück Flurstücks-Nr. …, A-Straße .., in Meckenheim genehmigt worden ist.

Die Beklagte und der Beigeladene haben die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Kläger je zur Hälfte zu tragen. Die Kosten des Vorverfahrens trägt der Beklagte. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte und der Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen eine vom Beklagten dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

2

Die Kläger sind Miteigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks mit der Flurstücks-Nr. ...... in der Gemarkung Meckenheim, B-Straße …. Es befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „B-Straße“. Die angrenzenden Grundstücke sind in diesem Bebauungsplan als Mischgebiet ausgewiesen. Der Beigeladene ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs und Eigentümer des nördlich unmittelbar angrenzenden Grundstücks mit der Flurstücks-Nr. …, A-Straße ... . Dieses Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, nimmt jedoch am Bebauungszusammenhang der Gemeinde Meckenheim teil.

3

Im Jahre 2010 errichtete der Beigeladene ohne vorherige Einholung einer Baugenehmigung unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Kläger auf einer Länge von 10 Metern zwischen der vorhandenen Scheune und der Grundstücksgrenze eine Überdachung mit einer Breite von 3,94 m und einer Firsthöhe von 3,90 m. Diese wurde unmittelbar an zwei bereits bestehende Unterstände an derselben Grundstücksgrenze mit einer Gesamtlänge von ca. 25 Metern angebaut. Daneben schließt sich in Richtung Norden eine weitere Überdachung an. Schon zuvor hatte der Beigeladene mehrere Container zur Unterbringung von Erntehelfern abweichend von einer ihm im März 2006 erteilten Baugenehmigung errichtet.

4

In der Folgezeit stellte der Beklagte fest, dass die Baumaßnahme nicht wie beantragt ausgeführt worden war. Er forderte den Beigeladenen deshalb auf, geänderte Antrags- und Planunterlagen für die tatsächlich errichteten baulichen Anlagen vorzulegen. Der Beigeladene kam dieser Aufforderung im Juni 2011 nach. Nach den Bauantragsunterlagen sollte der bereits verwirklichte Zustand genehmigt werden, u.a. die Überdachung (10,00 m x, 3,94 m, Firsthöhe 3,90 m) sowie ein Container mit einer Länge von 6 m jeweils an der Grenze zum Grundstück der Kläger.

5

Mit Bescheid vom 22. August 2012 lehnte der Beklagte den Bauantrag des Beigeladenen ab. Auf dessen Widerspruch verpflichtete der Kreisrechtsausschuss des Beklagten diesen mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 (KRA 235/12), über den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2013 vom Beigeladenen geänderten Bauantrag – der bisher als Wohncontainer genutzte Container sollte künftig als Lagercontainer weitergenutzt werden – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Kreisrechtsausschusses zu entscheiden. Die Kläger waren zu diesem Widerspruchsverfahren hinzugezogen worden. In dem Widerspruchsbescheid vertrat der Kreisrechtsausschuss die Auffassung, dass der Beigeladene u.a. einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Überdachung an der Grenze zum Grundstück der Kläger als Nebengebäude habe, da diese sich bauplanungsrechtlich einfüge.

6

Nachdem der Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 bestandskräftig geworden war, erteilte der Beklagte dem Beigeladenen am 18. Oktober 2013 eine Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren zur Aufstellung von drei Wohn- und einem Lagercontainer sowie zur Errichtung von zwei Überdachungen auf seinem Grundstück.

7

Die Kläger legten dagegen am 30. Dezember 2013 Widerspruch ein, den der Kreisrechtsausschuss des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 (KRA 9/14) zurückwies. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss u.a. aus, die Überdachung an der Grenze zum Grundstück der Kläger füge sich bauplanungsrechtlich in die nähere Umgebung ein. Da die Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren geprüft worden sei, habe der Beklagte bauordnungsrechtliche Vorschriften nicht zu prüfen gehabt. Da aber die Kläger mit ihrem Vorbringen einen Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Regelungen behaupteten, müsse der Kreisrechtsausschuss auf diesen Themenkreis eingehen, um zu prüfen, ob die Kläger gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten hätten. Dies sei nicht der Fall. Die Überdachung stelle nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO ein sonstiges Gebäude ohne Aufenthaltsraum und Feuerstätte dar. Ein gelegentlicher Aufenthalt von bei dem Beigeladenen beschäftigten Arbeitern unter der Überdachung mache letztere nicht zu einem Aufenthaltsraum. Das Verbringen der Freizeit von Menschen unter einer Überdachung sei bestenfalls ein vorübergehender Aufenthalt, der jedoch die Qualität eines Aufenthaltsraumes nicht erreiche. Als sonstiges Gebäude dürfe die Überdachung ohne Abstandsfläche errichtet werden.

8

Zwar sei den Klägern zuzugeben, dass sämtliche auf dem Grundstück des Beigeladenen vorhandenen Baulichkeiten die nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Landesbauordnung – LBauO – zugelassene maximale Länge von 18 Metern an allen Grundstücksgrenzen überschritten. Dennoch hätten die Kläger keinen Anspruch auf Aufhebung der beanstandeten Baugenehmigung. Maßgeblich sei hierbei insbesondere, dass das auf ihrem Grundstück stehende Wohngebäude mit einem Teil bis zur Grenze zum Grundstück des Beigeladenen errichtet sei. Dies bedeute, dass es auf ihrem Grundstück eine grenzständige Hauptnutzung gebe. Die Kläger könnten vom Beigeladenen nicht die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Regelungen verlangen, die sie selbst auf ihrem Grundstück missachteten. Nach den landesrechtlichen Abstandsvorschriften hätte ihr Wohngebäude zum Grundstück des Beigeladenen hin ein Grenzabstand von mindestens drei Metern einhalten müssen. Selbst wenn auf dem Grundstück des Beigeladenen ein Gebäude ohne Grenzabstand nicht zuzulassen wäre, so dürfte es doch zugelassen werden, weil die Kläger auf ihrem Grundstück ein Gebäude ohne Grenzabstand stehen hätten.

9

Die brandschutzrechtliche Vorschrift des § 30 LBauO sei nicht verletzt. Eine Brandwand sei im konkreten Fall deshalb nicht herzustellen, weil die Überdachung keinen Gebäudeabschluss habe.

10

Die Kläger haben am 15. Januar 2015 Klage erhoben. Sie führen u.a. aus, das Satteldachgebäude des Beigeladenen füge sich nicht in die Umgebung der mehrheitlich nur einseitig grenzständig bebauten Grundstücke ein. Der Genehmigung der Überdachung an der Grenze stünden im Übrigen auch bauordnungsrechtliche Gründe entgegen. Es liege zunächst ein Verstoß gegen § 8 LBauO vor. An der gemeinsamen Grundstücksgrenze befänden sich in unmittelbarem Anschluss an das Satteldachgebäude bereits zwei Unterstände mit einer Gesamtlänge von ca. 25 m. Das Satteldachgebäude mit einer Länge von 10 m entlang der Grundstücksgrenze sei bei der Berechnung gemäß § 8 Abs. 9 LBauO hinzuzurechnen. Es handele sich dabei um ein eigenständiges Nebengebäude. Durch das beanstandete Satteldachgebäude würden die Belichtungsverhältnisse des klägerischen Grundstücks vor allem im Erdgeschoß erheblich beeinträchtigt. Dies gelte insbesondere für das Badezimmer und den Wohnraum. Beide Räume hätten ausschließlich (Badezimmer) bzw. teilweise (Wohnraum) die Fenster nach Norden, also direkt zu dem Satteldachgebäude hin gerichtet. Aufgrund des Grenzabstandes des klägerischen Gebäudes zu dem Satteldachgebäude von nur 3 m und der Höhe des Satteldachgebäudes (Firsthöhe 3,90 m) komme es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Belichtungsverhältnisse.

11

Soweit der Beklagte darauf abstelle, dass sie, die Kläger, ihrerseits ihr Wohngebäude mit einem Teil bis zur Grenze zum Grundstück des Beigeladenen errichtet hätten und sie deshalb nicht von diesem verlangen könnten, bauordnungsrechtliche Regelungen einzuhalten, verfange dieses Argument nicht. Sie hätten lediglich ihre Garage direkt an die Grenze gestellt. Sie hätten ihr Wohngebäude insgesamt in Erfüllung der Vorgaben des geltenden Bebauungsplans „B-Straße“ erstellt. Ihnen gehe es bei der monierten fehlenden Abstandsfläche um den Bereich, in dem ihr eigenes Wohnhaus zur Grundstücksgrenze des Beigeladenen drei Meter betrage und die Abstandsfläche somit auch ihrerseits einzuhalten sei. Die beanstandete Überdachung befinde sich jedoch maßgeblich in dem Bereich, in dem eine Abstandsfläche des klägerischen Wohnhauses zu der Grundstücksgrenze bestehe.

12

Schließlich seien die Brandschutzvorschriften bei dem Satteldachgebäude nicht eingehalten. Es fehlten die gemäß § 30 LBauO erforderlichen Brandwände. Sollte es einmal in dem Satteldachgebäude zu einem Brand kommen, was schon deshalb nicht unwahrscheinlich sei, weil es von den Arbeitern als Aufenthaltsraum benutzt werde, könne sich das Feuer des lediglich in Holzständerbauweise erstellten Gebäudes ungehindert auf ihr Grundstück verbreiten.

13

Die Kläger beantragen,

14

den Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2014 insoweit aufzuheben, als darin die Errichtung einer grenzständigen Überdachung genehmigt worden ist.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er verweist zur Begründung auf den ergangenen Widerspruchsbescheid.

18

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

19

die Klage abzuweisen.

20

Er führt aus, im Jahr 2012 sei es zwischen ihm und den Klägern zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen, die darin gegipfelt hätten, dass sich die Kläger an die untere Bauaufsichtsbehörde des Beklagten gewandt hätten mit der Bitte, gegen die Überdachungen und Container auf seinem Grundstück einzuschreiten. Deshalb habe er seinerzeit eine Baugenehmigung beantragt, die schließlich nach Bestandskraft des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2013 im Oktober 2013 erteilt worden sei. Da die Kläger den Widerspruchsbescheid nicht angefochten hätten, sei über die Zulässigkeit der Überdachungen und der Wohncontainer rechtskräftig entschieden worden. Eine erneute Sachentscheidung verstoße gegen den Grundsatz „ne bis in idem“, weshalb die erhobene Klage bereits als unzulässig zu verwerfen sei. Die Kläger seien im ursprünglichen Widerspruchsverfahren beteiligt gewesen. Ihnen sei auch der Widerspruchsbescheid zugestellt worden, so dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, bereits gegen diesen zu klagen. Da es um den gleichen Lebenssachverhalt und die gleichen rechtlichen Fragen gehe, sei eine weitere Sachentscheidung nicht statthaft.

21

Im Übrigen sei die erteilte Baugenehmigung rechtmäßig und verletze die Kläger nicht in ihren Rechten.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 23. Juli 2015.

Entscheidungsgründe

23

Die Klage ist zulässig (1.) und auch in der Sache begründet (2.).

24

1. Die Kläger sind gemäß § 42 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – klagebefugt. Zwar sind sie mit ihren bauplanungsrechtlichen Einwendungen gegen die streitgegenständliche Überdachung auf dem Grundstück des Beigeladenen ausgeschlossen (1.1.). Jedoch können sie sich auf die mögliche Verletzung der drittschützenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften der §§ 8 und 30 LBauO berufen (1.2.).

25

1.1. Die Kläger können im vorliegenden Anfechtungsstreit nicht mehr geltend machen, die Überdachung füge sich nicht in die nähere Umgebung der mehrheitlich nur einseitig grenzständig bebauten Grundstücke ein und sei ihnen gegenüber rücksichtslos. Denn sie waren zu dem Widerspruchsverfahren KRA 235/12, das mit dem Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 27. Mai 2013 abgeschlossen wurde, hinzugezogen worden und hätten nach Auffassung der Kammer gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid Klage erheben müssen.

26

Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 22. August 2012 den Bauantrag des Beigeladenen, in dem es u.a. um die Genehmigung der streitgegenständlichen Überdachung ging, abgelehnt hatte, legte der Beigeladene dagegen Widerspruch ein. Der Kreisrechtsausschuss zog in diesem Vorverfahren die Kläger gemäß § 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 13 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes – VwVfG – (vgl. Kallerhoff in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 79 Rn. 31) hinzu und verpflichtete den Beklagten, über den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2013 vom Beigeladenen geänderten Bauantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Kreisrechtsausschusses zu entscheiden. Der Zweck der Hinzuziehung Drittbetroffener besteht u.a. darin, ihnen ähnlich wie bei der Beiladung nach § 65 VwGO für den Fall ihrer (Dritt)Betroffenheit bereits im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zum rechtlichen Gehör zu gewähren, einen effektiven (präventiven) (Grund-)Rechtsschutz schon im Behördenverfahren zu gewährleisten und eine Ausdehnung der Bindungswirkung der Behördenentscheidung auf sie zu erreichen (Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 13 Rn. 26). Folglich bindet der dem Hinzugezogenen wirksam bekannt gegebene Verwaltungsakt diesen (Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 15. Auflage 2014, § 13 Rn. 49; vgl. auch Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2010, § 13 VwVfG Rn. 15).

27

Ausgehend hiervon wären die Kläger nach Ansicht der Kammer verpflichtet gewesen, gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 27. Mai 2013 isoliert Anfechtungsklage gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu erheben, denn der genannte Widerspruchsbescheid beschwerte die hinzugezogenen Kläger erstmals, indem er ausführte, das Bauvorhaben des Beigeladenen sei bauplanungsrechtlich an der Grenze zulässig. Anerkannt ist, dass eine erstmalige Beschwer im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO vorliegt, wenn eine den Nachbarn in seinen Rechten verletzende Baugenehmigung von der Ausgangsbehörde versagt wird, auf den Widerspruch des Adressaten hin aber von der Widerspruchsbehörde erteilt wird (Brenner in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage 2014, § 79 Rn. 29; Pietzcker in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand April 2015, § 79 Rn. 9; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Februar 1992 – 3 S 3102/91 –, NVwZ 1992, 992 zur Aufhebung einer Abbruchanordnung durch die Widerspruchsbehörde).

28

Etwas anderes ergibt sich vorliegend nicht aus dem Umstand, dass der Kreisrechtsausschuss in dem Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 die vom Beigeladenen beantragte Baugenehmigung nicht selbst erteilt sondern lediglich die Ausgangsbehörde verpflichtet hat, die Baugenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Kreisrechtsausschusses zu erteilen. Zu einer solchen Verfahrensweise war der Kreisrechtsausschuss befugt; er konnte sich darauf beschränken, die Ausgangsbehörde zur Erteilung der Baugenehmigung zu verpflichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9/07 –, NVwZ 2008, 437).

29

Zwar erhält der Bauherr in der Konstellation, in der sich die Widerspruchsbehörde darauf beschränkt, die Ausgangsbehörde zur Erteilung der begehrten Genehmigung zu verpflichten, keine gegenüber nachträglichen Rechtsänderungen gesicherte Rechtsposition. Auch kommt dem Widerspruchsbescheid kein der Baugenehmigung vergleichbarer materiell-rechtlicher Regelungsgehalt zu. Er erschöpft sich in der Erklärung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch des Bauherrn die in Streit stehenden Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Baugenehmigung gegeben sind und daher die Ausgangsbehörde zur Erteilung verpflichtet wird. Der Widerspruchsbescheid stellt keine sachliche Teilentscheidung über die Baugenehmigung dar, sondern bedarf vielmehr noch der „Vollziehung“ seitens der Ausgangsbehörde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9/07 –, NVwZ 2008, 437).

30

Daraus kann nach Auffassung der Kammer aber nicht geschlossen werden, dass ein Nachbar, der in dem vom Bauherrn gegen die Ablehnung der von ihm beantragten Baugenehmigung betriebenen Vorverfahren als Hinzugezogener nach § 13 VwVfG beteiligt worden ist, im Falle des Ergehens eines Bescheidungs-Widerspruchsbescheids, der nachbarrechtsrelevante Aussagen enthält, zuwarten kann, bis die Ausgangsbehörde nach Eintritt der Bestandskraft des Widerspruchsbescheids die Baugenehmigung erteilt hat und erst dann gegen die Baugenehmigung mit einem Rechtsbehelf vorgeht.

31

Zwar vertritt Oster (LKRZ 2009, 211, 212) die Meinung, ein stattgebender Bescheidungs-Widerspruchsbescheid enthalte selbst noch keine Beschwer für den Nachbarn, sondern erst die zu erteilende Baugenehmigung. Denn die Baugenehmigung sei im Gegensatz zum Widerspruchsbescheid erst die eigentliche Zulassung des Vorhabens. Deshalb müsse der Nachbar erst gegen die Baugenehmigung vorgehen und zwar mit einem Widerspruch, wenn und soweit die Bauaufsicht den Rahmen überschritten habe, den ihr der Rechtsausschuss in seinem Widerspruchsbescheid gesetzt habe. Sei dies nicht der Fall, so müsse der beschwerte Nachbar nach Sinn und Zweck der §§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 79 Abs. 1 VwGO unmittelbar Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung erheben, und zwar unabhängig davon, ob diese durch die Widerspruchsbehörde oder infolge eines Bescheidungs-Widerspruchsbescheides durch die Bauaufsicht erteilt worden sei.

32

Die Kammer folgt dieser Ansicht nicht. Jedenfalls in den Fällen, in denen – wie hier – der Nachbar an dem ursprünglichen Vorverfahren, das der Bauherr gegen die Versagung der Baugenehmigung eingeleitet hat, im Wege der Hinzuziehung nach § 13 VwVfG beteiligt war und deshalb der stattgebende Widerspruchsbescheid auch dem Nachbarn gegenüber bindend geworden ist, kann dieser mit seinen Einwänden gegen das Bauvorhaben des Bauherrn, mit denen sich die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid ausdrücklich auseinandergesetzt hat, grundsätzlich nicht zuwarten, bis die Baugenehmigung ergangen ist. Vielmehr ist er, um nicht später mit seinen Einwendungen ausgeschlossen zu sein, verpflichtet, gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid vorzugehen. Einen Rechtsbehelf erst gegen die Baugenehmigung hält die Kammer nur dann für statthaft, wenn und soweit die auf den stattgebenden Widerspruchsbescheid folgende Baugenehmigung den Rahmen überschreitet, den der Widerspruchsbescheid gesetzt hat. Denn dann kommt der Baugenehmigung diesbezüglich eine über den vorausgegangenen Widerspruchsbescheid hinausgehende Regelungswirkung zu (so auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12. November 1998 – 1 M 4423/98 –, NVwZ-RR 1999, 367). Ansonsten enthält die Baugenehmigung gegenüber dem (Bescheidungs-)Widerspruchsbescheid keinerlei Regelungsgehalt, die Voraussetzung für eine Anfechtbarkeit wäre.

33

Dieses Ergebnis berücksichtigt auch hinreichend die rechtskraftähnliche Bindungswirkung eines Widerspruchsbescheids (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Februar 1977 – 6 A 78/76.OVG –, AS RP-SL 14, 416; VG Neustadt, Urteil vom 20. September 2002 – 4 K 2599/02.NW –, juris). Insbesondere ein Widerspruchsbescheid, der von einem gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – weisungsfreien Rechtsausschuss in einem prozessähnlichem Verfahren (§ 16 AGVwGO) erlassen worden ist, kann, wenn er zu Gunsten des Bürgers ergeht, in jedem Fall von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion bzw. der anderen oberen Aufsichtsbehörde mittels der Beanstandungsklage gerichtlich angefochten werden (§ 17 AGVwGO). Ein solchermaßen erlassener Widerspruchsbescheid ist daher, wenn er unanfechtbar geworden ist, in stärkerem Maße als ein sonstiger Verwaltungsakt geeignet, ein Vertrauen des Begünstigten in die Beständigkeit in die Entscheidung zu begründen.

34

Damit steht mit rechtskraftähnlicher Bindungswirkung fest, dass die Kläger mit ihren bauplanungsrechtlichen Einwendungen gegen die hier streitgegenständliche Überdachung ausgeschlossen sind. Die Kammer prüft daher nicht mehr, ob die Überdachung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Der Umstand, dass der Kreisrechtsauschuss sich in dem zweiten Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 erneut damit auseinandergesetzt hat, ob ein Verstoß gegen nachbarschützende bauplanungsrechtliche Bestimmungen vorliegt, hat nicht zur Folge, dass die Kläger sich auf diese neue Sachentscheidung des Kreisrechtsauschusses berufen können. Denn der Umstand, dass die Kläger gegen den stattgebenden Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 nicht isoliert Anfechtungsklage erhoben haben und dieser ihnen und dem Beigeladenen gegenüber in Bestandskraft erwachsen ist, führte dazu, dass der Beigeladene eine „gesicherte Rechtsposition“ erlangte, die ihm nicht entzogen werden durfte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1998 – 7 B 30/98 –, BayVBl 1999, 58 zur fehlenden Befugnis der Widerspruchsbehörde zur Sacheinlassung bei Verfristung des Widerspruchs in Drittbeteiligungsfällen; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. März 1989 – 4 C 14/85 –, NVwZ 1989, 863 zur Bindungswirkung einer Bebauungsgenehmigung gegenüber einem Dritten, soweit diese ihm gegenüber bei der Erteilung der Baugenehmigung bestandskräftig war).

35

1.2. Die rechtskraftähnliche Bindungswirkung des Widerspruchsbescheids des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 27. Mai 2013 bezieht sich jedoch nicht auf die drittschützenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften der §§ 8 und 30 LBauO.

36

1.2.1. Die Kläger können die mögliche Verletzung dieser Bestimmungen im vorliegenden Verfahren geltend machen, obwohl die angegriffene Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt wurde. Zwar hat dies grundsätzlich zur Folge, dass nach § 66 Abs. 3 LBauO bauordnungsrechtliche Vorschriften nicht zu prüfen sind. Eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung hat nur Wirkung in Bezug auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, die in diesem Verfahren zu überprüfen waren. Bezüglich der übrigen gesetzlichen Regelungen enthält die Genehmigung weder eine Feststellung noch eine Freigabe, so dass sie insoweit auch weder den Bauherrn begünstigt, indem sie die Übereinstimmung des Vorhabens mit allen Vorschriften des öffentlichen Rechts feststellt, noch den Nachbarn belasten kann. Dieser ist daher durch die Baugenehmigung hinsichtlich der nicht geprüften Vorschriften nicht in seinen Rechten betroffen im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 1991 – 8 B 11955/91 –, NVwZ-RR 1992, 289).

37

Allerdings ist die Bauaufsichtsbehörde nicht daran gehindert, die – entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm – beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153). Für eine solche Verfahrensweise besteht insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen oder zu erwarten sind und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen. Ist die Behörde zur isolierten Feststellung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit befugt, bestehen keine Hinderungsgründe, diese Regelung mit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilenden „schlanken“ Baugenehmigung zu verbinden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153; vgl. auch VG Neustadt, Urteil vom 12. Juli 2012 – 4 K 329/12.NW –, juris). Hat daher die Bauaufsichtsbehörde im Baugenehmigungsverfahren oder der Rechtsausschuss im Widerspruchsverfahren abweichend vom gesetzlich vorgegebenen Prüfungsprogramm tatsächlich bestimmte bauordnungsrechtliche Vorschriften geprüft, werden diese Regelungsinhalt der Baugenehmigung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – u.a. zum Widerspruchsverfahren) mit der Folge, dass ein Nachbar im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO befugt ist, sich auf einen möglichen Verstoß gegen die geprüften bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu berufen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – und 28. Mai 1993 – 8 B 11148/93.OVG –; VG Neustadt, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 L 644/14.NW –, juris und vom 2. Juli 2014 – 4 L 553/14.NW –).

38

Vorliegend hat der Kreisrechtsausschuss des Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 tatsächlich die Einhaltung der Vorschriften der §§ 8 und 30 LBauO geprüft. Zwar hat der Ausschuss dies ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt erörtert, ob die Kläger wegen eines möglichen Verstoßes gegen die §§ 8 und 30 LBauO einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten hätten. Da ein solches Begehren jedoch hier nicht Streitgegenstand war, können die diesbezüglichen Ausführungen des Kreisrechtsausschusses nur so gewertet werden, dass damit eine bauordnungsrechtliche Aussage in Bezug auf die §§ 8 und 30 LBauO getroffen werden sollte und diese damit auch Regelungsinhalt der Baugenehmigung geworden sind (vgl. Schmidt in: Jeromin/Lang/Schmidt, LBauO RhPf, 3. Auflage 2012, § 69 Rn. 11; OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 4. Februar 2009 – 8 A 11283/08.OVG – und vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG –). Hat aber eine faktische Prüfung der Abstandsflächen stattgefunden, ist ein Nachbar im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO befugt, sich auf einen möglichen Verstoß gegen § 8 LBauO zu berufen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – und 28. Mai 1993 – 8 B 11148/93.OVG –; VG Neustadt, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 4 L 553/14.NW –).

39

1.2.2. Den Klägern ist das Berufen auf den Verstoß gegen die §§ 8 und 30 LBauO nicht deshalb verwehrt, weil sie – wie unter 1.1. ausgeführt – mit ihrem Vorbringen in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ausgeschlossen sind und keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot mehr rügen können.

40

Das Bauordnungsrecht und das Bauplanungsrecht bilden unterschiedliche Prüfungsebenen, die jeweils einem anderen Ansatz folgen (s. z.B. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2000 – 4 C 3/00 –, NVwZ 2001, 813; OVG Bremen, Urteil vom 19. März 2015 – 1 B 19/15 –, juris). Zwar kann z.B. das Abstandsflächenrecht im Rahmen der Anwendung des Rücksichtnahmegebots gewürdigt werden; letzteres ist in Bezug auf Belichtung, Belüftung und Besonnung von Nachbargrundstücken im Regelfall aus tatsächlichen Gründen nicht verletzt, wenn die Abstandsvorschriften eingehalten sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1999 – 4 B 128.98 –, NVwZ 1999, 879; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. April 2015 – 8 B 10304/15.OVG –). Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass ein Verstoß gegen die Abstandsflächen automatisch das Gebot der Rücksichtnahme verletzt (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2004 – 8 A 10136/04.OVG –). Deshalb haben sowohl Widerspruchsbehörde als auch Gericht bei der Anfechtung einer nach § 70 Abs. 1 LBauO erteilten Baugenehmigung durch den Nachbarn die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme und der Abstandsflächen gesondert zu prüfen. Beim vereinfachten Genehmigungsverfahren kommt hinzu, dass die Vereinbarkeit mit dem Abstandsflächenrecht grundsätzlich nicht Inhalt der Feststellungswirkung der angegriffenen Baugenehmigung ist; diese beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens des Bauherrn (§ 66 Abs. 3 LBauO). Vorliegend hatte der Kreisrechtsausschuss in dem Vorverfahren KRA 235/12, zu dem die Kläger gemäß § 13 VwVfG hinzugezogen worden waren, im Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2013 einen Verstoß gegen die nachbarschützende Bestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO in Bezug auf die streitgegenständliche Überdachung nicht geprüft. Folglich wurde die Vereinbarkeit der Überdachung mit der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO nicht Inhalt der Feststellungswirkung des Verpflichtungswiderspruchsbescheids des Kreisrechtsausschusses vom 27. Mai 2013. Damit erstreckt sich der Einwendungsausschluss nicht auf den § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO.

41

2. Die Klage ist auch in der Sache begründet.

42

Die angefochtene Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 und der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 12. Dezember 2014 verletzen die Kläger insoweit in ihren Rechten, als darin die Errichtung einer grenzständigen Überdachung genehmigt worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Baugenehmigung verstößt gegen baurechtliche Vorschriften, die auch dem Schutz der Kläger als Nachbarn zu dienen bestimmt sind.

43

Die dem Beigeladenen gemäß §§ 70, 66 Abs. 1 Nr. 1 LBauO erteilte Baugenehmigung vom 18. Oktober 2013 steht nicht im Einklang mit der hier vom Kreisrechtsausschuss des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 geprüften bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO.

44

Diese Bestimmung stellt die nachbarschützende Anforderung, vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Flächen von Gebäuden freizuhalten (Abstandsflächen). Die Regelung soll eine Brandübertragung verhindern, eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung in den Räumen der Gebäude und der Gebäude zueinander gewährleisten und nach dem überkommenen Verständnis der Abstandsvorschriften auch sozialen Zwecken, nämlich der Sicherung der „Privatheit“ und der Wahrung des Wohnfriedens dienen. Zentraler Zweck ist es auch, unzumutbare Belästigungen zu verhüten und die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu verwirklichen (z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Januar 2006 – 1 A 10845/05.OVG –, NVwZ-RR 2006, 768; Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 8 Rn. 2).

45

2.1. Bei der streitgegenständlichen Überdachung des Beigeladenen handelt es sich um ein oberirdisches Gebäude. „Gebäude“ sind nach der auch für das Abstandsflächenrecht maßgeblichen Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Satz 1 LBauO selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Die vier Begriffsmerkmale eines Gebäudes müssen kumulativ erfüllt sein. Die Überdachung des Beigeladenen ist eine bauliche Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 LBauO, nämlich eine mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlage. Da die Überdachung mit einem Blechdach versehen ist, ist sie außerdem auch überdeckt und dazu geeignet bzw. bestimmt, dem Schutz von Menschen oder Sachen zu dienen. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Anlage räumlich nicht vollkommen umschlossen ist, denn Umfassungswände sind nicht notwendiges Merkmal eines Gebäudes. Der überdachte Bereich ist auch „selbständig benutzbar“. Dabei wird die selbständige Benutzbarkeit im Regelfall dadurch dokumentiert, dass die bauliche Anlage einen eigenen Eingang besitzt (Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 2 Rn. 33). Auch seiner Funktion nach muss es sich um eine selbständige Einheit handeln. Dies ist vorliegend der Fall, denn die streitgegenständliche Überdachung verfügt über zwei eigene Zugänge von Westen und Osten und hat eine eigenständige Funktion (s. die Lichtbilder in der Verwaltungsakte). Die Überdachung ist nicht dergestalt in das Hauptgebäude des Beigeladenen integriert, dass sie diesem funktional zugeordnet ist.

46

2.2. Grundsätzlich sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Abstandsflächen freizuhalten. Die Ausnahmefälle der § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO (2.2.1.), § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBauO (2.2.2.), § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO (2.2.3.) und § 8 Abs. 9 LBauO (2.2.4.) greifen hier nicht ein.

47

2.2.1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO sind innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werden muss. Der in § 8 Abs. 1 Satz 2 LBauO angeordnete Vorrang des Städtebaurechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen. Auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im nicht überplanten Innenbereich kommt grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008).

48

Da das Vorhaben des Beigeladenen hier im unbeplanten Innenbereich ausgeführt worden ist, ist die Vorschrift des § 34 BauGB maßgeblich, d.h. es ist zunächst auf die Bebauung in der näheren Umgebung abzustellen.

49

Als „nähere Umgebung“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der Bereich zu berücksichtigen, auf den sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und der seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder beeinflusst. Die Umgebung kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2003 – 4 B 74.03 –, juris). Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2010 – 1 A 11294/09.OVG –, juris m.w.N.). Die Betrachtung muss auf das Wesentliche zurückgeführt und alles außer Acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper scheint. Ferner darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade auf dem vorhandenen Baugrundstück oder nur auf ganz wenigen Grundstücken in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, vielmehr ist die Bebauung auch in der weiteren Umgebung des Grundstückes insoweit zu berücksichtigen, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt (BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – IV C 9.77 –, NJW 1978, 2564). Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB lassen sich demnach nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 4 B 50/08 –, BauR 2009, 1564; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2010 – 1 A 11294/09.OVG –, ESOVGRP). Die Eigenart des Gebiets kann auch durch Vorhaben bestimmt sein, die in einem angrenzenden, nach § 30 Abs. 1 BauGB zu beurteilenden Gebiet mit Bebauungsplänen errichtet wurden; auf die in einem solchen Gebiet nach den Festsetzungen des Bebauungsplans zulässige Bebauung kommt es dabei aber nicht an (BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1975 – 4 C 16.73 –, BauR 1976, 185; Dürr in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Stand Februar 2015, § 34 Rn. 27).

50

Danach sieht die Kammer als nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB hier die gesamte Bebauung auf beiden Seiten der A-Straße zwischen C-Straße und B-Straße an. Die Bauten auf den Grundstücken A-Straße … und .. bilden in nördlicher Richtung eine Zäsur, denn hier mündet die A-Straße in die C-Straße. In südlicher Richtung wird der bodenrechtliche Charakter des Baugrundstücks durch die Bebauung entlang der A-Straße bis zur Einmündung in die B-Straße geprägt bzw. beeinflusst. Gegen eine Einbeziehung der Bebauung östlich der A-Straße im Bereich südlich des an das Grundstück des Beigeladenen angrenzenden Anwesens A-Straße .. bis zur Einmündung in die B-Straße spricht nicht, dass es sich dabei um neuere Bauten handelt, die zusätzlich von der östlich gelegenen B-Straße erschlossen werden. Auch wenn diese Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen, bleiben sie nach Auffassung der Kammer nicht außer Betracht. Denn im Rahmen des § 34 BauGB kommt es ausschließlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung an (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1975 – 4 C 16.73 –, BauR 1976, 185). Auch wenn die Bauten auf den Grundstücken B-Straße 11 – 18 a die Haus-Hof-Bauweise der nördlich und westlich gelegenen Grundstücke nicht aufgreifen, beeinflussen sie doch zumindest das Grundstück des Beigeladenen.

51

Wie dargelegt, sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werdenmuss. Aus bauplanungsrechtlichen Vorgaben kann sich daher ergeben, dass bei geschlossener Bauweise keine Abstände von Gebäuden zu Grundstücksgrenzen nötig oder geringere Abstände als nach den Bestimmungen der LBauO zu fordern sind (BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008).

52

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, der die Kammer folgt, muss sich hier die planungsrechtliche Anforderung zwingend aus der Eigenart der näheren Umgebung ergeben. Für die Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBauO reicht es nicht aus, dass nach § 34 Abs. 1 BauGB die Grenzbebauung zulässig ist, weil in der Umgebung des zu bebauenden Grundstücks sowohl die offene als auch die geschlossene Bauweise anzutreffen ist. Selbst in den Fällen, in denen die geschlossene Bauweise überwiegend anzutreffen ist, muss angesichts der ebenfalls anzutreffenden offenen Bauweise nicht an die Grenze gebaut werden. Für den unbeplanten Innenbereich kann eine zwingende Grenzbebauung nur angenommen werden, wenn auf den benachbarten Grundstücken ein einheitliches Ordnungsprinzip dahingehend erkennbar ist, dass alle Gebäude ohne Ausnahme − mindestens einseitig − eine Grenzbebauung aufweisen und somit an die Grenze gebaut werden muss, ein Vorhaben mit Grenzabstand sich also nicht einfügen würde, sondern als Fremdkörper erschiene (OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 11. November 1993 – 1 A 10532/93.OVG –, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008; Beschlüsse vom 8. Februar 2000 − 1 B 10066/00.OVG – und vom 8. Juni 2001 – 8 B 10855/01.OVG –, ESOVGRP; Urteil vom 10. Juli 2003 – 8 A 10257/03.OVG – m.w.N., ESOVGRP). Demgegenüber genügt es für die Annahme einer zwingenden Grenzbebauung regelmäßig nicht, wenn bei ansonsten uneinheitlicher Bauweise die geschlossene Bebauung zahlenmäßig überwiegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 –, NVwZ 1994, 1008).

53

In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend ein einheitliches Ordnungsprinzip dahingehend, dass alle Haupt- und Nebengebäude in der näheren Umgebung ohne Ausnahme − mindestens einseitig − eine Grenzbebauung aufweisen und somit an die Grenze gebaut werden müssen, zu verneinen. Eine beidseitige Grenzbebauung mit Nebengebäuden befindet sich östlich der A-Straße lediglich auf dem Grundstück A-Straße .. (Grundstück Flurstücks-Nr. ….). Die meisten Grundstücke weisen einseitige Grenzbebauung auf, nicht aber das Grundstück B-Straße .. und .. (Flurstücks-Nr. …), das in offener Bauweise errichtet worden ist. Auch auf dem Grundstück A-Straße .. (Flurstücks-Nr. …..) steht ein Hauptgebäude in offener Bauweise; bei dem grenzständigen Nebengebäude handelt es sich um einen nicht zu berücksichtigenden nach § 8 Abs. 9 Satz 1 LBauO privilegierten Bau.

54

2.2.2. Eine Bebauung ohne rückwärtigen Grenzabstand kann auch nicht auf § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBauO gestützt werden. Danach sind innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls ohne Grenzabstand gebaut wird. Vorliegend ist eine entsprechende Grenzbebauung auf dem Grundstück des Beigeladenen nicht öffentlich-rechtlich gesichert.

55

2.2.3. Ferner rechtfertigt auch § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO keine Zulassung der vom Beigeladenen errichteten grenzständigen Überdachung Danach kann grenzständige Bebauung zugelassen werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften mit Grenzabstand gebaut werden muss, aber auf dem Nachbargrundstück innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche ein Gebäude ohne Grenzabstand vorhanden ist. Nach der Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz (vgl. z.B. Beschluss vom 8. Januar 2015 – 8 A 10957/14.OVG – m.w.N.), der die Kammer folgt, kann nach dieser Vorschrift ein Gebäude ohne eigenen Grenzabstand nicht nur dann zugelassen werden, wenn bauplanungsrechtlich mit Grenzabstand gebaut werden muss, sondern erst recht dann, wenn planungsrechtlich mit Grenzabstand gebaut werden darf.

56

Zwar befindet sich auf dem Grundstück der Kläger an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen ein Gebäude an der gemeinsamen Grenze. Jedoch handelt es sich entgegen den Ausführungen des Kreisrechtsausschusses in dem Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2014 dabei ausweislich der dem Gericht auf Anforderung von dem Beklagten vorgelegten Baugenehmigungsakten um ein nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 LBauO funktional selbständiges privilegiertes Garagengebäude (vgl. zu dieser Einschränkung z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. November 2009 – 8 A 10636/09 –, NVwZ-RR 2010, 385; mit Wirkung vom 1. August 2015 hat der rheinland-pfälzische Gesetzgeber diese Einschränkung gemäß § 8 Abs. 9 Satz 5 LBauO künftige Fassung aufgehoben; danach dürfen Gebäude nach § 8 Abs., 9 Satz 1 Nr. 1 und 3 LBauO auch einen Zugang zu einem anderen Gebäude haben). Eine Grenzgarage nach § 8 Abs. 9 LBauO scheidet aber für die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO von vornherein aus, weil es sich hierbei nicht um ein „Gebäude ohne Grenzabstand“ handelt (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31. Mai 1999 – 1 B 10973/99.OVG –; Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 8 Rn. 44). Garagen oder sonstige Räume ohne Aufenthaltsräume sind nach § 8 Abs. 9 Satz 1 LBauO grundsätzlich ohne eigenen Grenzabstand auch bei ansonsten offener Bauweise zulässig. Würden derartige Gebäude es ermöglichen, auf dem Nachbargrundstück auch sonstige Gebäude ohne Grenzabstand zu errichten, so würde über kurz oder lang aus der Ausnahme die Regel und die offene Bauweise durch eine Vielzahl von Grenzgebäuden faktisch beseitigt. Dies kann aber nicht Sinn des § 8 Abs. 1 Satz 3 LBauO sein.

57

2.2.4. Zuletzt kann sich der Beigeladene auch nicht auf die Privilegierung des § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO berufen. Danach dürfen u.a. sonstige Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten ohne Abstandsflächen oder mit einer geringeren Tiefe der Abstandsflächen errichtet werden, wenn sie an den Grundstücksgrenzen oder in einem Abstand von bis zu 3 m von den Grundstücksgrenzen a) eine mittlere Wandhöhe von 3,20 m über der Geländeoberfläche nicht überschreiten, b) eine Länge von 12 m an einer Grundstücksgrenze und von insgesamt 18 m an allen Grundstücksgrenzen nicht überschreiten und c) Dächer haben, die zur Grundstücksgrenze nicht mehr als 45° geneigt sind. Hier unterschreitet zwar die streitgegenständliche Überdachung mit einer Länge von 10 m isoliert gesehen die nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 b LBauO zulässige Länge von 12 m an der gemeinsamen Grenze zum Grundstück der Kläger. Allerdings befindet sich an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch ein 6 m langer Container, so dass die Grenzbebauung insgesamt 16 m beträgt und damit gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 8 Abs. 9 Nr. 3 b LBauO verstößt.

58

Liegt im Ergebnis ein Verstoß gegen die Abstandsvorschriften vor, braucht die Kammer nicht mehr näher darauf einzugehen, ob die angegriffene Baugenehmigung in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2014 in Bezug auf die Überdachung auch nicht im Einklang mit der weiteren bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 30 LBauO steht.

59

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZivilprozessordnungZPO –.

60

Beschluss

61

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2013).

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 29. Mai 2015 geändert:

Der Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 30. September 2014 gegen die beiden Baugenehmigungen vom 17. Juli 2013 jeweils in der Gestalt des Änderungsbescheides Nr. 1 vom 8. bzw. 15. April 2015 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich gegen zwei Baugenehmigungen, die die Antragsgegnerin den Beigeladenen für die Errichtung eines Einfamilienhauses jeweils als „Doppelhaushälfte“ mit einem Stellplatz erteilt hat.

2

Die Antragsteller sind Sondereigentümer einer (unechten) Doppelhaushälfte auf dem Flurstück … der Gemarkung E... Die Beigeladenen sind Miteigentümer des Baugrundstücks G. Straße x (Flurstück ….), das im Westen an das Grundstück der Antragsteller, belegen G….. Straße y, grenzt. Das Baugrundstück liegt in einer Hanglage, deren Gefälle in zwei Ebenen verläuft: von Norden nach Süden und von Osten nach Westen. Die westlich gelegenen Gebäude - wie das der Antragsteller - liegen tiefer, die östlich gelegenen Gebäude - wie das Vorhaben der Beigeladenen - liegen höher. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Baustufenplans Harburg vom 28. Dezember 1954 (Amtl.Anz. 1955 S. 141; zuletzt geändert am 13.9.1960, HmbGVBl. S. 408), der sie mit W 1 o (nur zwei Wohnungen je Haus zulässig) ausweist. Die Antragsgegnerin erteilte den Beigeladenen mit zwei Bescheiden vom 17. Juli 2013 jeweils eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses als (unechte) Doppelhaushälfte mit einem Stellplatz. Die beiden Baugenehmigungen schließen die Erteilung einer Befreiung für das Überschreiten der zulässigen bebaubaren Fläche nach Spalte 8 der Baustufentafel zu § 11 Abs. 1 BPVO um 0,01 auf 0,21 ein. Mit Schreiben vom 30. September 2014 erhoben die Antragsteller, die zuvor am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt worden waren, gegen beide Baugenehmigungen Widerspruch und wandten u.a. ein, dass entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf dem Baugrundstück der Beigeladenen infolge von Aufschüttungen eine 3,50 m hohe Stützmauer errichtet werde.

3

Die Antragsteller haben am 28. Oktober 2014 beim Verwaltungsgericht einen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Die Antragsgegnerin hat den Beigeladenen zwei Änderungsbescheide Nr. 1 vom 8. bzw. 15. April 2015 über die Anpassung der Stützmauer erteilt. Danach darf deren Höhe 2 m - gemessen vom gewachsenen Boden aus - nicht überschreiten. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2015 die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller gegen die beiden Baugenehmigungen jeweils in der Gestalt der Änderungsbescheide Nr. 1 angeordnet. Zur Begründung heißt es dort u.a., der Antrag sei begründet, weil das Vorhaben voraussichtlich gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 71 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 HBauO verstoße. Bei dem Vorhaben handele es sich um eine einheitliche bauliche Anlage i.S.v. § 6 Abs. 1 HBauO, bestehend aus der Aufschüttung, der sie sichernden Stützmauer und den beiden auf der Aufschüttung zu errichtenden Gebäuden. Diese bauliche Anlage halte die erforderliche Mindestabstandsfläche von 2,50 m nicht ein. Die Betrachtung von Bauvorhaben - bei denen Gebäude auf einer die natürliche Geländeoberfläche verändernden Aufschüttung errichtet würden und wo eine Stützmauer zur Sicherung der Aufschüttung diene - als einheitliche bauliche Anlage entspreche der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 14.11.2013, 3 M 222/13, juris Rn. 10 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 29.9.1988, BRS 48 Nr. 164; OVG Münster, Beschl. v. 22.5.2005, 7 A 1408/04, juris Rn. 11; v. 22.1.2001, BRS 64 Nr. 126). Bezogen auf das Vorhaben der Beigeladenen folge daraus, dass der Privilegierungstatbestand in § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO keine Anwendung finde. Denn die Stützmauer könne als Bestandteil des einheitlichen Gesamtvorhabens nicht isoliert unter einen lediglich sie, nicht jedoch die weiteren Bestandteile erfassenden Privilegierungstatbestand subsumiert werden.

II.

4

Die gemäß §§ 146 Abs. 4, 147 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht ist berechtigt und verpflichtet, ohne die Beschränkung in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO über die Beschwerde zu entscheiden, weil die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts - die Stützmauer an der gemeinsamen Grundstücksgrenze werde von dem Privilegierungstatbestand des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO nicht erfasst, so dass die Antragsteller in ihrem nachbarschützenden Zustimmungsrecht aus § 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO verletzt würden - mit überprüfungswerten Argumenten erschüttert hat. Die Antragsgegnerin hat danach zutreffend dargelegt, dass es mit Sinn und Zweck des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO nicht vereinbar wäre, eine Stützmauer an der Grundstücksgrenze allein deshalb abstandsflächenrechtlich für unzulässig zu erklären, weil sie mit dem zu errichtenden Gebäude bzw. mit der das Gebäude tragenden Aufschüttung eine baulich-funktionelle Einheit bilde.

6

2. Die danach eröffnete uneingeschränkte Überprüfung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ergibt, dass der Antrag - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. September 2014 gegen die beiden Baugenehmigungen vom 17. Juli 2013 jeweils in der Gestalt des Änderungsbescheides Nr. 1 vom 8. bzw. 15. April 2015 anzuordnen, nach der gemäß §§ 80a Abs. 1 und 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Interessenabwägung unbegründet ist. Denn der Widerspruch der Antragsteller ist mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls deshalb aussichtlos, weil sie durch die angefochtene Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt werden (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ob der Widerspruch darüber hinaus bereits unzulässig ist, kann daher offen bleiben (a). Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ist nicht von einer Verletzung der Antragsteller in ihrem nachbarschützenden Zustimmungsrecht aus § 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO auszugehen (b). Für eine anders begründete Verletzung subjektiver Rechte der Antragsteller durch die erteilte Baugenehmigung ist nichts ersichtlich. Das Vorhaben der Beigeladenen erweist sich insbesondere nicht als rücksichtslos (c).

7

a) Das Beschwerdegericht lässt offen, ob die Antragsteller ihr Widerspruchsrecht verwirkt haben, weil sie - wie die Beigeladenen behaupten - als die Bauarbeiten vor Ort im September 2013 begonnen haben, von den beiden Baugenehmigungen vom 17. Juli 2013 zuverlässig Kenntnis hätten haben müssen, so dass der von den Antragstellern erst am 2. Oktober 2014 erhobene Widerspruch unter Umständen verspätet sein könnte.

8

Selbst wenn - wie hier - eine amtliche Bekanntgabe der Baugenehmigung an die Nachbarn fehlt, kann nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, der sich insoweit aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ableitet, eine verfahrensrechtliche Verwirkung eintreten, die zur Unzulässigkeit des Widerspruchs führt. Denn ab dem Zeitpunkt, zu dem der Nachbar von der erteilten Baugenehmigung zuverlässig Kenntnis erlangt hat oder hätte haben müssen, hat er sich grundsätzlich so behandeln zu lassen, als sei ihm die Baugenehmigung wirksam bekannt gegeben worden. Ab diesem Zeitpunkt richtet sich die Frist zur Einlegung des Widerspruchs in der Regel nach den Vorschriften der §§ 70 Abs. 2 und 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (so grundlegend BVerwG, Urt. v. 25.1.1974, BVerwGE 44, 294, 298 ff.; bestätigt im Beschl. v. 28.8.1987, BVerwGE 78, 85, 88; ebenso OVG Hamburg, Beschl. v. 14.1.2013, 2 Bs 261/12, n.v.). Für den Verlust des Widerspruchsrechts nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sind danach allerdings die jeweiligen Umstände des Einzelfalles maßgeblich, über die hier mangels weiterer Sachaufklärung nichts bekannt ist, so dass sich die offensichtliche Erfolgslosigkeit des Widerspruchs der Antragsteller nicht bereits mit dessen Unzulässigkeit begründen lässt.

9

b) Die Antragsteller werden ihren Widerspruch - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - nicht mit Erfolg auf die Verletzung ihres nachbarschützenden Zustimmungsrechts aus § 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO stützen können.

10

Nach dieser Vorschrift ist die Zustimmung der Eigentümer des angrenzenden Grundstückes erforderlich bei Abweichungen von den Anforderungen an Abstandsflächen, und zwar des § 6 Abs. 5 HBauO, soweit die Mindesttiefe von 2,50 m unterschritten werden soll. Ein derartiger Fall einer Unterschreitung der Mindesttiefe von 2,50 m ohne die erforderliche Zustimmung der Antragsteller als Eigentümer des angrenzenden Grundstückes ist vom Verwaltungsgericht angenommen worden, weil die Stützmauer an der gemeinsamen Grundstücksgrenze liegt und der Privilegierungstatbestand des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO keine Anwendung finden soll, wenn Stützmauer, Aufschüttung und das auf der Aufschüttung ruhende Gebäude eine einheitliche bauliche Anlage bildeten, die insgesamt den Mindestabstand von 2,50 m einzuhalten habe (so auch OVG Greifswald, Beschl. v. 14.11.2013, 3 M 222/13, juris Rn. 10 ff. für die Parallelvorschrift des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 LBauO M-V). Dieser Rechtsauffassung vermag sich das Beschwerdegericht nicht anzuschließen.

11

Stützmauern sind gemäß § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO in Wohngebieten mit einer Höhe bis zu 2 m - die hier nach den Änderungsbescheiden Nr. 1 vom 8. und 15. April 2015 nicht überschritten werden darf - in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden. Eine Stützmauer wird danach durch die Sonderregelung in § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO auch dann privilegiert, wenn sie an das Gebäude angebaut wird und dadurch eine baulich-funktionelle Einheit mit dem Gebäude bildet. Wird die Stützmauer - wie hier - an der Grundstücksgrenze errichtet, kann dies für die Privilegierung aber keinen Unterschied machen. Einer Stützmauer ist bereits von ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung her zu eigen, dass sie funktionell der Sicherung des natürlichen Geländes oder einer Aufschüttung dient; andernfalls würde es sich um eine Einfriedigung handeln. Eine Einschränkung, dass Stützmauern nur das natürliche Gelände gegen ein Abrutschen absichern dürfen, nicht dagegen Aufschüttungen, sieht der Hamburgische Gesetzgeber in § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO nicht vor (so bereits OVG Hamburg, Beschl. v. 17.11.2011, 2 Bs 177/11, juris Rn. 48). Der Stützmauer unter Hinweis auf diese bauliche Sicherungsfunktion ihre Privilegierung zu versagen, widerspricht dem Willen des Gesetzgebers, der durch die Sonderregelung in § 6 Abs. 7 HBauO abstandsflächenrechtlich gerade eine angemessene erweiterte Grundstücksnutzung ermöglichen will. Von der genehmigten Aufschüttung, die durch die Stützmauer abgesichert wird, gehen auch keine gebäudegleichen Wirkungen i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 HBauO aus, die die Stützmauer als abstandsflächenrechtlich dysfunktional erweisen könnten. Hinzu kommt, dass das genehmigte Gebäude selbst die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 HBauO notwendige Tiefe der Abstandsfläche von 0,4 H einhält, und zwar gegenüber der natürlichen Geländeoberfläche als maßgeblicher Bemessungsgrundlage.

12

c) Die Antragsteller können ihren Widerspruch nicht mit einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, wie es sich hier aus § 31 Abs. 2 BauGB und entsprechend § 15 Abs. 1 BauNVO ergibt, begründen.

13

Das Gebot der Rücksichtnahme beinhaltet nicht, jede Beeinträchtigung eines Nachbarn zu vermeiden. Ein Nachbar kann lediglich solche Nutzungsstörungen abwehren, die als rücksichtslos zu werten sind. Davon kann erst die Rede sein, wenn die mit dem genehmigten Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen bei der Nutzung des eigenen Grundstückes bei einer Abwägung, in der die Schutzwürdigkeit der Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung und die Interessen des Bauherrn zu berücksichtigen sind, für den Nachbarn billigerweise unzumutbar erscheinen (siehe BVerwG, Urt. v. 5.8.1983, BVerwGE 67, 334, 339; OVG Hamburg, Urt. v. 17.1.2002, NordÖR 2002, 454, 457).

14

Die Antragsteller halten das Vorhaben der Beigeladenen für unzumutbar, weil von ihm eine abriegelnde bzw. erdrückende Wirkung ausgehe und es zu einer vollständigen Verschattung ihres Grundstücks führe. Bei dieser Betrachtung lassen sie aber unberücksichtigt, dass die zu erwartenden Beeinträchtigungen durch das Vorhaben im Wesentlichen auf den lagebedingten Nachteil ihres Grundstücks als Unterlieger in einer Hanglage beruhen. Dieser Nachteil wurde auch nicht dadurch aufzufangen versucht, dass bei der Bebauung ihres Grundstücks ein größerer Grenzabstand gewählt worden wäre. Die Doppelhaushälfte der Antragsteller liegt vielmehr nur ca. 2,50 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt. Von daher stand - wie jetzt bei den Beigeladenen - eine optimale wirtschaftliche Ausnutzung des Grundstücks im Vordergrund. Das Nord-Süd-Gefälle des Geländes ist im Übrigen optisch geeignet, einer abriegelnden Wirkung durch die Stützmauer entgegenzuwirken, weil diese die Geländebewegung aufnimmt. Was die Besonnung und Belichtung der Doppelhaushälfte der Antragsteller angeht, ist diese vor allem nach Süden und Nordwesten ausgerichtet und wird sie durch das Vorhaben der Beigeladenen im Osten nicht tangiert.

15

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts entspricht es der Billigkeit, den Antragstellern als unterlegener Partei auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, obwohl diese keine Sachanträge gestellt haben. Denn eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Beigeladenen setzt keinen Sachantrag i.S.d. § 154 Abs. 3 VwGO voraus (siehe Schmidt in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 162 Rn. 17 m.w.N.). Sie kommt auch ohne einen solchen Antrag in Betracht, wenn der Beigeladene das Verfahren wesentlich gefördert hat (siehe VGH Mannheim, Beschl. v. 20.1.2011, VBlBW 2011, 279 f.; zustimmend Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 162 Rn. 133). Dies ist hier zu bejahen, weil die Beigeladenen in beiden Instanzen Sachargumente vorgetragen und dadurch an der Rechtsfindung mitgewirkt haben.

16

Die Streitwertfestsetzung bleibt einem gesonderten Beschluss vorbehalten.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird; dies gilt nicht für Vorhaben der in § 29 Absatz 1 bezeichneten Art, die der Bergaufsicht unterliegen. Richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 30 Absatz 1, stellen die Länder sicher, dass die Gemeinde rechtzeitig vor Ausführung des Vorhabens über Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung nach den §§ 14 und 15 entscheiden kann. In den Fällen des § 35 Absatz 2 und 4 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung allgemein oder für bestimmte Fälle festlegen, dass die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist.

(2) Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde dürfen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagt werden. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.

(1) Außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen sind auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Soweit nicht bereits in den Baugebieten nach dieser Verordnung Einrichtungen und Anlagen für die Tierhaltung, einschließlich der Kleintiererhaltungszucht, zulässig sind, gehören zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 auch solche für die Kleintierhaltung. Zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 gehören auch Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien. Im Bebauungsplan kann die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

(1a) In den Baugebieten nach den §§ 2 bis 11 sind Nebenanlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienen, zulässig; Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(2) Die der Versorgung der Baugebiete mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser sowie zur Ableitung von Abwasser dienenden Nebenanlagen können in den Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind. Dies gilt auch für fernmeldetechnische Nebenanlagen sowie für Anlagen für erneuerbare Energien, soweit nicht Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 1a Anwendung findet.

(3) Soweit baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen innerhalb von Gebäuden nicht bereits nach den §§ 2 bis 13 zulässig sind, gelten sie auch dann als Anlagen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1, wenn die erzeugte Energie vollständig oder überwiegend in das öffentliche Netz eingespeist wird. In Gewerbe-, Industrie- und sonstigen Sondergebieten gilt Satz 1 auch für sonstige baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie.

(4) In einem Gebiet nach § 11 Absatz 2 für Anlagen, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dienen, sind Anlagen zur Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff zulässig, wenn die Voraussetzungen entsprechend § 249a Absatz 4 gegeben sind. In Gewerbe- und Industriegebieten gilt Satz 1 entsprechend, wenn dort eine Anlage, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient und die keine Nebenanlage im Sinne dieser Vorschrift ist, tatsächlich vorhanden ist. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

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Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 24. Februar 2016 wird abgelehnt.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Berufungszulassungsantrag ist nicht begründet.

2

Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen nicht vor.

I.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Nachbarklage gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung zweier Mehrfamilienhäuser auf dem Flurstück Nr. … abgewiesen. Die Kläger sind Miteigentümer eines Mehrfamilienhauses auf dem östlich an das Baugrundstück angrenzenden Flurstück Nr. … . Die Baugenehmigung war unter Befreiungen erteilt worden, einmal von der östlichen, von der gemeinsamen Grundstücksgrenze 7 m entfernten Baugrenze (Reduzierung des Grenzabstandes auf 3,60 m) und zum anderen von den Grenzen für die Errichtung von Stellplätzen. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger durch die mit der Baugenehmigung erteilten Befreiungen nicht in ihren Rechten verletzt würden. Die Festsetzung zur Baugrenze entfalte keine nachbarschützende Wirkung. Entgegen der Auffassung der Kläger ergebe sich weder aus der Zusammenschau der Festsetzungen des Bebauungsplans noch aus dessen Begründung der Wille der Beklagten für eine drittschützende Wirkung der Baugrenzenfestsetzung. Eine Gesamtschau ergebe vielmehr, dass die Festsetzungen über die Baugrenzen allein aus Gründen der städtebaulichen Ordnung ergangen seien. Die Beklagte habe bei der erteilten Befreiung auch die gebotene Rücksicht auf die Interessen der Kläger genommen. Insbesondere entfalteten die von dem Beigeladenen geplanten Mehrfamilienhäuser mit zwei Vollgeschossen keine erdrückende Wirkung für das Gebäude der Kläger. Auch was die Stellplätze anbelange, sei ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht erkennbar. Die in dem Bauvorbescheid skizzierten sechs Stellplätze seien insbesondere nicht im rückwärtigen Ruhebereich der Grundstücke gelegen.

II.

4

1. An der Richtigkeit dieses Urteils bestehen weder ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch weist die Rechtssache rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Denn es lässt sich bereits jetzt feststellen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts der rechtlichen Überprüfung standhält, ohne dass die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich wäre. In diesem Fall scheidet auch die Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aus (vgl. hierzu: Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124, Rn. 108).

5

a) Entgegen der Auffassung der Kläger hat das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung zur nachbarschützenden Wirkung von Festsetzungen in Bebauungsplänen zutreffend wiedergegeben und seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

6

Wenn Festsetzungen eines Bebauungsplanes nicht aufgrund der bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage zwingend drittschützend auszugestalten sind, wie dies etwa für die Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung anerkannt ist (sog. Gebietsbewahrungsanspruch, vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 – 4 C 28.91 –, BVerwGE 94, 151; auch: BayVGH, Urteil vom 14. Juli 2006 – 1 BV 03.2179 u.a. –, BauR 2007, 505 und juris, Rn. 30), hängt die drittschützende Wirkung der Festsetzungen von ihrer Auslegung ab. Hierzu ist anerkannt, dass die grundsätzlich aus städtebaulichen Gründen getroffenen Festsetzungen im Bebauungsplan (vgl. § 9 Abs. 1 BauGB) nicht schlechthin nachbarschützende Wirkung haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 1995 – 4 B 215.95 –, BauR 1996, 82 und juris, Rn. 3; OVG RP, Beschluss vom 10. Juni 2013 – 8 B 10496/13.OVG –). Eine solche Wirkung kann ihnen deshalb nur dann beigemessen werden, wenn sie der jeweiligen Regelung im konkreten Bebauungsplan zu entnehmen ist. Dies ist mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu ermitteln. Es ist daher anhand des Wortlauts der Festsetzung, der – insbesondere aus der Planbegründung und den Ratsprotokollen – erkennbaren Motive des Plangebers sowie einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs zu klären, welchen Zweck der Plangeber mit der jeweiligen Festsetzung verfolgt (vgl. OVG RP, Urteil vom 26. November 2014 – 8 A 10674/14.OVG – [„Gartenhofhäuser“], NVwZ-RR 2015, 249 und juris, Rn. 25; BayVGH, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 9 CS 14.1171 –, juris).

7

Diese übereinstimmende Rechtsprechung der beiden Bausenate des erkennenden Gerichts (vgl. OVG Rh-Pf, Beschluss vom 12. April 2011 – 1 B 10193/11-, S. 4 f d.U.) steht in Einklang mit derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts und anderer Obergerichte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 1995 – 4 B 215.95 –, BauR 1996, 82 und juris, Rn. 3; BayVGH, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 9 CS 14.1171 –, juris, Rn. 15; VGH BW, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 S 901/15 –, NVwZ-RR 2015, 807 und juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 2 A 1674/13 –, ZfBR 2014, 390 – LS –; OVG Nds., Beschluss vom 18. Juni 2015 – 1 ME 77/15 –, BauR 2015, 1539 und juris, Rn. 8).

8

Entgegen der Auffassung der Kläger hat der Senat seine Rechtsprechung zur drittschützenden Wirkung von Festsetzungen in Bebauungsplänen nicht geändert. Insbesondere hat er nicht anerkannt, alle den Inhalt des Grundstückseigentums bestimmende Festsetzungen in Bebauungsplänen seien potentiell nachbarschützend, weil sie die Grundstückseigentümer zu einer planungsrechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbänden, was den jeweiligen Nachbarn einen über die Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung hinausgehenden Gebietserhaltungsanspruch verschaffe (vgl. hierzu: Jeromin, Baunachbarrechtsschutz 3.0, BauR 2016, 925 [928 ff.]). Vielmehr hat der Senat in dem bereits zitierten Urteil vom 26. November 2014 – 8 A 10674/14.OVG – (NVwZ-RR 2014, 249 und juris) die Grundlagen der bisherigen Rechtsprechung bestätigt, um dann aufgrund der Umstände des konkreten Falles die nachbarschützende Wirkung der Festsetzung „Gartenhofhäuser“ festzustellen (vgl. Urteil vom 26. November 2014, a.a.O., juris, Rn. 25 bis 27). In dem von den Klägern zitierten Beschluss des Senats vom 28. Januar 2016 – 8 B 11203/15.OVG – (BauR 2016, 791 und juris) ist die nachbarschützende Wirkung der in der Festsetzung über die „offene Bauweise“ enthaltenen Zulassung von Doppelhäusern und Hausgruppen - ebenfalls in Übereinstimmung mit der oben wiedergegebenen Rechtsprechung - aus bundesrechtlichen Vorgaben hergeleitet worden, so wie sie sich aus den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 –, BVerwGE 110, 355 und juris, Rn. 27; Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 C 5.12 –, BVerwGE 148, 290, Rn. 19 f.). Danach ist die Doppelhaus-Festsetzung - auch unabhängig von dem Willen des Bebauungsplangebers - drittschützend, weil mit ihr ein wechselseitiges Austauschverhältnis begründet wird: Weil und soweit der einzelne Eigentümer gemeinsam mit anderen – benachbarten - Eigentümern in der Ausnutzung seines Grundstücks öffentlichen-rechtlichen Beschränkungen unterliegt [Grenzanbau unter bestimmten Voraussetzungen], kann er grundsätzlich deren Beachtung auch im Verhältnis zu den anderen Eigentümern verlangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000, a.a.O., Rn 27). Der Senat hat sich mit den beiden neueren Entscheidungen also keineswegs von dem bislang anerkannten Grundsatz gelöst, dass es für die Annahme einer drittschützenden Wirkung von Festsetzungen in Bebauungsplänen – vorbehaltlich einer bundesrechtlich zwingenden Vorgabe – auf die Auslegung der jeweiligen Festsetzung des konkreten Bebauungsplans ankommt.

9

Entscheidet ist also, ob die Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung ergibt, dass sie neben städtebaulichen Gründen (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich dienen soll (vgl. BayVGH, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 9 CS 14.1171 –, juris, Rn. 15). Das ist insbesondere der Fall, wenn ein wechselseitiges Austauschverhältnis zwischen den benachbarten Grundstücken geschaffen wird; durch wechselbezügliche Berechtigungen und Beschränkungen muss das für ein solches Austauschverhältnis typische „Dürfen und Dulden“, d.h. ein gegenseitiges Verhältnis der Rücksichtnahme entstehen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 22. August 2011 – 8 S 2156/11 –, juris, Rn. 4; Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 S 901/15 –, NVwZ-RR 2015, 807 und juris, Rn. 11).

10

Für die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche hat der Senat im Beschluss vom 16. September 2013 – 8 B 10852/13.OVG – festgestellt, dass sie grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion hat, vielmehr in der Regel nur aus städtebaulichen Gründen erfolgt (vgl. a.a.O., S. 3 d.U.; zuvor bereits: Beschluss vom 15. Januar 2010 – 8 B 11359/09.OVG –, S. 3 d.U.; Beschluss vom 16. November 2005 – 8 B 11471/05.OVG –, S. 4 d.U.). Auch diese Rechtsprechung entspricht derjenigen anderer Obergerichte (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 2 A 1674/13 –, ZfBR 2014, 390; OVG Nds., Beschluss vom 18. Juni 2015 – 1 ME 77/15 –, BauR 2015, 1539 und juris, Rn. 8; BayVGH, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 9 CS 14.1171 –, juris, Rn. 15). Auch soweit der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg annimmt, bei der Festsetzung seitlicher und hinterer Baugrenzen sei regelmäßig von einem wechselseitigen Austauschverhältnis zu den benachbarten Grundstücken auszugehen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 22. August 2011 – 8 S 2156/11 –, juris, Rn. 4; Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 S 901/15 –, NVwZ-RR 2015, 807 und juris, Rn. 11), hindert ihn dies nicht, auch in diesen Fällen ein Austauschverhältnis der gegenseitigen Rücksichtnahme dann zu verneinen, wenn sich aufgrund der Analyse des jeweiligen Festsetzungszusammenhangs ergibt, dass mit der jeweiligen Festsetzung lediglich städtebauliche Ziele verfolgt werden (vgl. VGH BW, Beschluss vom 22. August 2011, a.a.O., Rn. 4; Beschluss vom 30. Juni 2015, a.a.O., Rn. 13).

11

b) Im hier vorliegenden Fall teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Festsetzung von Baugrenzen im Bebauungsplan des Beklagten … in dem hier interessierenden Bereich der benachbarten Flurstücke Nr. … und Nr. … allein aus Gründen der städtebaulichen Ordnung getroffen wurde und nicht einem wechselseitigen Interessenausgleich der Grundstücksnachbarn dienen sollte. Hierzu kann neben der Berücksichtigung des Zusammenhangs dieser Festsetzung mit den übrigen Festsetzungen maßgeblich auf die Begründung des Bebauungsplans abgestellt werden.

12

So ergibt sich aus Ziffer 5.2 der Begründung, dass die Auflockerung der Bebauung in dem – auch das Baugrundstück umfassenden und im Südwesten des Baugebiets gelegenen – Bereich „…“ aus landespflegerischen Gründen erfolgt ist, „um eine bessere Durchlüftung (Klimaausgleich) des Baugebiets zu gewährleisten“. Die Offenheit der Bebauung ist also nicht zum (großzügigen) Ausgleich der Interessen der Nachbarn am südwestlichen Rand des Baugebiets, sondern im allgemeinen städtebaulichen Interesse an einem gesunden Wohnklima im Kern des Baugebiets angeordnet worden. Gleiches folgt aus Ziffer 5.3.1, wonach die offene Bauweise in diesem Bereich (der Mehrfamilienhaus-Festsetzung im Südwesten des Baugebiets) deshalb gewählt wurde, „um den Übergang zur freien Landschaft baulich transparent zu halten [und] die Verzahnung mit der freien Landschaft zu begünstigen sowie [wiederum] eine bessere Durchlüftung aus Richtung der südwestlich angrenzenden freien Landschaft zu gewährleisten.“ Auch diese Ausführungen sprechen eindeutig dafür, dass mit der Auflockerung der Bebauung im Südwesten des Plangebiets nur städteplanerische und gestalterische Ziele sowie eine Verbesserung des Kleinklimas im Inneren des Plangebiets verfolgt wurde (vgl. zu den Luftaustauschbahnen bei der Hauptwindrichtung aus Südwest Bl. … der Planaufstellungsunterlagen). Lediglich bei der Festsetzung der abweichenden Bauweise im Nordwesten des Plangebiets finden sich durch die Erwähnung von Belichtung und Belüftung der Wohngebäude Hinweise, die für die Herstellung eines nachbarlichen Austauschverhältnisses sprechen könnten (vgl. Ziffer 5.3.1 der Begründung des Bebauungsplans). Solche Hinweise fehlen indes für die hier allein interessierenden Festsetzungen im Südwesten des Plangebiets. Im Übrigen bestätigt auch die einleitende Bemerkung in der Begründung des Bebauungsplans zu den Festsetzungen „Bauweise, Baulinien und Baugrenzen sowie Gebäudestellung“ (Ziffer 5.3), wonach diese Regelungen der Umsetzung der städtebaulichen Grundkonzeption und der Vermeidung von Uniformität durch Schaffung von Wohnhausgruppen dienen, dass mit diesen Festsetzungen allein städtebauliche Gründe verfolgt werden. Auch wenn es unter Ziffer 5.3.2 der Begründung konkret zu den Baugrenzen heißt, die entstehenden Baufenster sollen ein „Mindestmaß an städtebaulich klaren Strukturen“ sichern, bestätigt dies die allein städtebauliche Zielsetzung. Sofern in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, es sei auch berücksichtigt worden, durch die Stellung der Gebäude auf dem Grundstück die Nutzung erneuerbarer Energien zu ermöglichen und „gut belichtete Aufenthalts- und Freiräume entstehen“ zu lassen, ist dies ersichtlich auf das jeweilige Baugrundstück bezogen. Denn es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten, dass die Festlegung der Baufenster über die möglichst optimale Ausnutzbarkeit des jeweiligen Baugrundstücks hinaus auch Schutzfunktionen für das Nachbargrundstück erfüllen soll. Gegen ein mit der Baugrenzenfestsetzung im Südwesten des Plangebiets bezwecktes wechselseitiges Austauschverhältnis spricht schließlich auch, dass die Grenzabstände zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze zwischen den Flurstücken Nr. … und Nr. … nicht identisch sind. Auch darin zeigt sich, dass mit der Gestaltung der Baufenster nicht das Nachbarrechtsverhältnis geregelt, sondern – ausgehend von der jeweiligen Größe des Baugrundstücks - die städtebaulichen Vorstellungen einer aufgelockerten und die Durchlüftung ermöglichende Bebauung verwirklicht werden sollen.

13

c) Gibt die Auslegung der Baugrenzenfestsetzung in dem hier fraglichen Bereich nichts für deren nachbarschützende Wirkung her, so kann dahingestellt bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Befreiung vorliegen oder nicht. Denn der Nachbarrechtsschutz beschränkt sich bei der Befreiung von nicht nachbarschützenden Vorschriften darauf, ob dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen in § 31 Abs. 2 BauGB hinreichend Rechnung getragen wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 – 4 C 8.84 –, BRS 46 Nr. 173 – LS –).

14

Auch insofern teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Kläger durch die Befreiung von der östlichen Baugrenze nicht rücksichtslos betroffen werden. Was die Belichtung, Belüftung und Besonnung von Nachbargrundstücken anbelangt, hat die Beachtung des Abstandsflächenrechts indizielle Bedeutung für die Einhaltung des Rücksichtnahmegebots; das Rücksichtnahmegebot ist in aller Regel dann nicht verletzt, wenn die Abstandsvorschriften – wie hier – eingehalten sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1999 – 4 B 128.98 –, NVwZ 1999, 879). Die Zulassung eines Mehrfamilienwohnhauses mit zwei Vollgeschossen in einem Abstand von 3,60 m zur Grundstücksgrenze hat auch keine erdrückende Wirkung für das 9,00 m von der Grenze zurückgesetzte Anwesen der Kläger (vgl. zur erdrückenden Wirkung: OVG Rh-Pf, Urteil v. 2.5.2011- 8 C 11261/10-; Uechtritz, DVBl. 2016, 90 [91 ff m.w.N.]). Weil der im Bebauungsplan vorgesehenen Lage der Baufenster mit 7,00 m bzw. 9,00 m Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze keine nachbarschützende Wirkung zukommt, wie oben ausgeführt, können die Kläger bei der Anwendung des Rücksichtnahmegebots keinen über die allgemein anerkannten Voraussetzungen hinausgehenden strengeren Maßstab beanspruchen. Auch der Umstand, dass die Kläger bei der Ausnutzung ihres Grundstücks den festgesetzten (großen) Grenzabstand eingehalten haben, führt nicht zur Rücksichtslosigkeit des dem Beigeladenen genehmigten Bauvorhabens. Denn das dem Beigeladenen erlaubte Heranrücken an die östliche Grundstücksgrenze erfolgte zum Ausgleich eines entsprechenden Abrückens von der Westgrenze.

15

d) Schließlich lässt das Urteil des Verwaltungsgerichts auch hinsichtlich der Befreiung von den Festsetzungen zu Außenstellplätzen (Beschränkung auf die überbaubaren Grundstücksflächen) keine Rechtsfehler erkennen. Selbst wenn die von dem Tiefbauamt der Beklagten vorgeschlagene Lage der sechs Stellplätze Inhalt des positiven Bauvorbescheids vom 2. März 2015 geworden und die Ausführungen des Beigeladenen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht als Verzicht auf diese Zusage zu werten sein sollte, erweisen sich diese Stellplätze aufgrund ihrer zur Straße hin orientierten Lage nicht als rücksichtslos gegenüber dem Anwesen der Kläger.

16

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Angesichts der – oben dargestellten – gefestigten Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch der Obergerichte zu den Voraussetzungen für eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen in Bebauungsplänen besteht kein grundsätzlicher Klärungsbedarf.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene durch seine Antragstellung seinerseits ein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären.

18

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 67, 52 GKG.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Erhebung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge.

2

Im Jahre 1978 beschloss der Rat der Beklagten die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets "Südmarkt" im Stadtgebiet der Beklagten. Nach Genehmigung und Bekanntmachung der Sanierungssatzung führte die Beklagte verschiedene Ordnungs- und Sanierungsmaßnahmen durch; im Jahr 1989 schloss sie die letzten Sanierungsmaßnahmen ab. In den Jahren 1989 bis 1992 rechnete die Beklagte gegenüber dem Regierungspräsidenten Düsseldorf die für die Sanierung erhaltenen Zuwendungen ab; der Schlussverwendungsnachweis datiert vom 11. März 1992; mit Schreiben vom 15. Juni 1992 erklärte der Regierungspräsident das Modellvorhaben Südmarkt I (städtebaulicher Teil) haushalts- bzw. zuwendungsrechtlich für abgeschlossen.

3

Im Juni 2006 beschloss die Beklagte die Aufhebung der Sanierungssatzung, Ende Juni 2006 wurde die Aufhebungssatzung bekannt gemacht.

4

Der Kläger ist Wohnungseigentümer im Geltungsbereich des (ehemaligen) Sanierungsgebiets "Südmarkt". Mit Bescheid vom 25. Mai 2010 zog ihn die Beklagte nach vorheriger Anhörung zur Zahlung eines sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags in Höhe von 1 216,80 € heran. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage.

5

Das Verwaltungsgericht hob den angefochtenen Bescheid auf. Die Voraussetzungen für die Erhebung von Ausgleichsbeträgen lägen aus drei selbständig tragenden Gründen nicht vor. Zunächst habe die Aufhebungssatzung wegen formeller Mängel nicht zu einem Abschluss der Sanierung im Sinne des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB geführt (1). Unabhängig davon sei der Abschluss der Sanierung nicht mit der - ohnehin unwirksamen - Aufhebungssatzung, sondern schon wesentlich früher eingetreten, weil die Sanierungssatzung spätestens im Jahr 1992 funktionslos geworden sei mit der Folge, dass die Erhebung des Ausgleichsbetrags spätestens seit dem Jahr 1997 festsetzungsverjährt sei (2). Zuletzt halte auch die Ermittlung der konkreten Ausgleichsbeträge einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand (3).

6

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung wandte sich die Beklagte ausschließlich gegen den Entscheidungsgrund zu 2. Sie beantragte, das angegriffene Urteil zu ändern und der Klage nicht wegen Festsetzungsverjährung stattzugeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Diese sei zwar zulässig, aber unbegründet. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht angenommen, dass bei Erlass des Bescheides bereits Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen sei. Die Festsetzungsfrist betrage vier Jahre und beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Entstanden sei die Abgabe hier spätestens Ende 1992, so dass die Festsetzungsfrist bereits Ende des Jahres 1996 abgelaufen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die Sanierungssatzung im Jahr 1992 nicht aufgehoben worden sei. Zwar sei nach § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Ausgleichsbetrag "nach Abschluss der Sanierung (§§ 162 und 163 BauGB) zu entrichten". Daraus ergebe sich, dass insofern nur die förmliche Aufhebung der Sanierungssatzung gemäß § 162 BauGB bzw. die förmliche Erklärung der Abgeschlossenheit der Sanierung für das jeweilige Grundstück gemäß § 163 BauGB maßgeblich seien. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie Bedürfnisse der Rechtssicherheit bestätigten diesen Befund. Wann die Sanierung tatsächlich abgeschlossen sei, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts daher unerheblich. Dieser Rechtsprechung könne jedoch, soweit es um die Auslösung der Festsetzungsfrist gehe, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr für alle Fallkonstellationen und so auch hier gefolgt werden. Denn sie führe dazu, dass die Gemeinde durch den pflichtwidrigen Nichterlass der Aufhebungssatzung das Entstehen des Ausgleichsbetragsanspruchs unbegrenzt verhindern könne und damit der Eintritt der Festsetzungsverjährung in ihr Belieben gestellt wäre. Dies sei nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit unvereinbar. Dieses gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Diese zu Kanalanschlussbeiträgen ergangene Rechtsprechung finde auch auf sanierungsrechtliche Ausgleichsbeträge Anwendung. Die erforderliche Rechtssicherheit ergebe sich nicht daraus, dass die betroffenen Eigentümer gemäß § 163 Abs. 1 Satz 2 BauGB die grundstücksbezogene Erklärung der Abgeschlossenheit der Sanierung oder gemäß § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB die vorzeitige Festsetzung des Ausgleichsbetrags beantragen könnten. Auch die Überleitungsvorschrift des § 235 Abs. 4 BauGB regele lediglich eine Pflicht zur Aufhebung der Sanierungssatzung, löse aber nicht die Festsetzungsfrist aus. Damit sei § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB in der bisherigen Auslegung mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Gleichwohl sei eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht zulässig. Denn die Vorschrift könne für den Fall, dass die Gemeinde entgegen ihrer Rechtspflicht die Sanierungssatzung nicht aufhebe, verfassungskonform so ausgelegt werden, dass die abstrakte Ausgleichsbetragsforderung in dem Zeitpunkt entstehe, in dem die Sanierungssatzung nach § 162 Abs. 1 BauGB hätte aufgehoben werden müssen. Das sei hier bereits im Jahre 1992 der Fall gewesen, weil in diesem Jahr teils die Sanierung vollständig durchgeführt gewesen, teils die Sanierungsabsicht aufgegeben worden sei. Da der angegriffene Bescheid somit bereits wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung rechtswidrig sei, könne dahingestellt bleiben, ob die vom Verwaltungsgericht angenommenen weiteren Rechtswidrigkeitsgründe vorliegen und ob das Berufungsgericht diese prüfen darf.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision wegen Divergenz zugelassen, die Beklagte hat von dem zugelassenen Rechtsmittel Gebrauch gemacht.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision (1) ist im Ergebnis unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt zwar Bundesrecht (2); die Entscheidung selbst stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (3).

9

1. Die Revision ist zulässig.

10

Im Revisionsverfahren hat die Beklagte zuletzt ohne Einschränkung beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eine unzulässige Beschränkung des Streitgegenstandes (vgl. hierzu z.B. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 139 Rn. 36) liegt damit nicht vor.

11

In dem einschränkungslos formulierten Revisionsantrag liegt auch keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageerweiterung (§ 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO), denn dem Umstand, dass die Beklagte ihren Antrag in der Berufungsinstanz darauf beschränkt hatte, "das angegriffene Urteil zu ändern und der Klage nicht wegen Festsetzungsverjährung stattzugeben", hat das Oberverwaltungsgericht (UA S. 7 f.) ausdrücklich nur als Problem der Berufungsbegründung (§ 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO) Bedeutung beigemessen. Von einer Beschränkung des Streitgegenstandes in der Berufungsinstanz ist es ersichtlich nicht ausgegangen.

12

2. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 17), § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB sei hinsichtlich des Beginns der vierjährigen Frist für die Festsetzung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge verfassungskonform dahin auszulegen, dass für den Fall einer rechtswidrig verzögerten Aufhebung der Sanierungssatzung nicht - wie in § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB vorgesehen - an den förmlichen "Abschluss der Sanierung" durch Aufhebung der Sanierungssatzung (§ 162 BauGB) anzuknüpfen, sondern der Zeitpunkt maßgeblich sei, "in dem die Sanierungssatzung nach § 162 Abs. 1 BauGB hätte aufgehoben worden sein müssen", steht mit Bundesrecht nicht im Einklang.

13

a) Das Oberverwaltungsgericht (UA S. 9) hat § 155 Abs. 5 BauGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO die Regelung entnommen, dass die Festsetzung eines sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags nicht mehr zulässig ist, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist; nach § 169 Abs. 2 Satz 1, § 170 Abs. 1 AO beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre; sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist.

14

Wann die sanierungsrechtliche Ausgleichsabgabe entstanden ist, beantwortet § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB mit der Regelung, dass der Ausgleichsbetrag "nach Abschluss der Sanierung (§§ 162 und 163 BauGB) zu entrichten" ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zuletzt Beschluss vom 12. April 2011 - BVerwG 4 B 52.10 - ZfBR 2011, 477 = BauR 2011, 1308 = BRS 78 Nr. 215 = juris Rn. 5 m.w.N.) ist der Begriff des Abschlusses der Sanierung förmlich zu verstehen. Die Pflicht zur Zahlung des Ausgleichsbetrags entsteht mit der rechtsförmlichen Aufhebung der Sanierungssatzung gemäß § 162 Abs. 1 BauGB (oder - hier nicht von Interesse - mit der Erklärung der Gemeinde gemäß § 163 BauGB, dass die Sanierung für ein Grundstück abgeschlossen ist). Zur rechtsförmlichen Aufhebung der Sanierungssatzung ist die Gemeinde unter den in § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 BauGB genannten Voraussetzungen zwar verpflichtet. Weder der Zeitablauf noch eine unzureichend zügige Förderung der Sanierung haben für sich genommen jedoch zur Folge, dass die Sanierungssatzung automatisch außer Kraft tritt (Urteil vom 20. Oktober 1978 - BVerwG 4 C 48.76 - Buchholz 406.15 § 50 StBauFG Nr. 1). Die an § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB anknüpfende vierjährige Festsetzungsfrist beginnt folglich erst mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem die Sanierungssatzung rechtsförmlich aufgehoben worden ist. Das gilt nach bisheriger Rechtsprechung des Senats auch dann, wenn die Gemeinde die Aufhebung der Sanierungssatzung rechtswidrig unterlässt, obwohl die Voraussetzungen der Aufhebung vorliegen.

15

b) Die Anknüpfung der landesrechtlich geregelten Festsetzungsverjährung an die rechtsförmliche Aufhebung der Sanierungssatzung darf mit Blick auf das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit allerdings nicht zur Folge haben, dass es die Gemeinde in der Hand hat, durch rechtswidriges Unterlassen der Aufhebung der Sanierungssatzung den Eintritt der Festsetzungsverjährung auf Dauer oder auf unverhältnismäßig lange Zeit zu verhindern.

16

Das Rechtsstaatsprinzip verlangt in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (NVwZ 2013, 1004) im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde gegen die Heranziehung zu Kanalherstellungsbeiträgen auf der Grundlage des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayKAG vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) entschieden.

17

Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht (UA S. 11 f.) davon ausgegangen, dass diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe auch bei der Erhebung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge Geltung beanspruchen. Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - juris Rn. 21). Das ist beim Ausgleichsbetrag nach § 154 Abs. 3 BauGB regelmäßig (siehe aber § 163 BauGB) der Fall, solange die Gemeinde die Sanierungssatzung nicht aufhebt. Auch in diesem Fall darf eine gesetzlich angeordnete Abgabepflicht daher nicht zur Folge haben, dass die Gemeinde die Abgabe zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festsetzen kann.

18

c) Dem Oberverwaltungsgericht (UA S. 12 ff.) ist ferner darin zuzustimmen, dass dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht durch spezifisch sanierungsrechtliche Instrumente oder Vorkehrungen Rechnung getragen ist.

19

Zu Recht hat sich das Oberverwaltungsgericht auf den Standpunkt gestellt, dass die in § 143 Abs. 2 Satz 2 BauGB vorgeschriebene Eintragung eines Sanierungsvermerks in die Grundbücher der von der Sanierung betroffenen Grundstücke einen Verfassungsverstoß zwar (möglicherweise) unter Vertrauensschutzgesichtspunkten ausschließt, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Dessen Anforderungen ist auch nicht durch § 163 Abs. 1 Satz 2 BauGB Genüge getan, wonach die Gemeinde die Sanierung für ein Grundstück auf Antrag des Eigentümers als abgeschlossen zu erklären hat (vgl. hierzu Urteil vom 21. Dezember 2011 - BVerwG 4 C 13.10 - BVerwGE 141, 302); die damit eröffnete Möglichkeit in der Hand des einzelnen Eigentümers, den Abschluss der Sanierung grundstücksbezogen herbeizuführen, ist kein vollwertiges Surrogat für die in § 162 Abs. 1 BauGB geregelte Pflicht, die Sanierung durch Aufhebung der Sanierungssatzung für das gesamte Sanierungsgebiet abzuschließen. Gleiches gilt für die in § 154 Abs. 3 Satz 3 BauGB getroffene Regelung, dass die Gemeinde auf Antrag des Ausgleichsbetragspflichtigen den Ausgleichsbetrag vorzeitig festsetzen soll, wenn der Pflichtige an der vorzeitigen Festsetzung ein berechtigtes Interesse hat und der Ausgleichsbetrag mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden kann; auch mit dieser Antragsmöglichkeit ist dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht hinreichend entsprochen; das gilt vor allem deswegen, weil die vorzeitige Festsetzung etwa im Hinblick auf ungewöhnliche Ermittlungsschwierigkeiten oder einen nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand abgelehnt werden kann ("soll"; vgl. z.B. Kleiber, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand September 2013, § 154 Rn. 200). Die Übergangsvorschrift des § 235 Abs. 4 BauGB schließlich normiert wiederum nur eine Pflicht der Gemeinde, Sanierungssatzungen, die vor dem 1. Januar 2007 bekannt gemacht wurden, spätestens bis zum 31. Dezember 2021 mit den Rechtswirkungen des § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB aufzuheben. Die Regelung ist deshalb ebenfalls kein geeignetes Instrument, den rechtsstaatlichen Anforderungen der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit für den Fall der Nichterfüllung dieser Pflicht Rechnung zu tragen.

20

d) Das Oberverwaltungsgericht (UA S. 10 und 17 ff.) hat sich deshalb zur Vermeidung rechtsstaatswidriger Ergebnisse veranlasst gesehen, der bisherigen Rechtsprechung des Senats zur Auslegung des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht mehr einschränkungslos zu folgen. Für den Fall, dass die Gemeinde - wie hier - ihrer Pflicht zur Aufhebung der Sanierungssatzung nicht oder nicht rechtzeitig nachkomme, sei § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB verfassungskonform so auszulegen, dass die "abstrakte Ausgleichsbetragsforderung" nicht erst mit dem förmlichen Abschluss der Sanierung durch Aufhebung der Sanierungssatzung, sondern bereits "in dem Zeitpunkt entsteht, in dem die Sanierungssatzung nach § 162 Abs. 1 BauGB hätte aufgehoben worden sein müssen". Dieser Standpunkt ist mit Bundesrecht unvereinbar.

21

Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. schon BVerfG, Entscheidung vom 8. März 1972 - 2 BvR 28/71 - BVerfGE 32, 373 <383 f.>; stRspr). Eine Norm ist daher nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Auch im Wege der verfassungskonformen Interpretation darf aber der normative Gehalt einer Regelung nicht neu bestimmt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1958 - 1 BvF 1/58 - BVerfGE 8, 71 <78 f.>). Die zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes gefundene Interpretation muss daher eine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige Auslegung sein (BVerfG, Urteil vom 24. April 1985 - 2 BvF 2/83, 2 BvF 3/83, 2 BvF 4/83, 2 BvF 2/84 - BVerfGE 69, 1 <55>). Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich damit grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat. Er fordert eine verfassungskonforme Auslegung der Norm, die durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt ist und die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahrt (BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1992 - 2 BvR 1041/88, 2 BvR 78/89 - BVerfGE 86, 288 <320>). Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. - BVerfGE 128, 326 <400> m.w.N.; Beschlüsse vom 11. Juni 1958 - 1 BvL 149/52 - BVerfGE 8, 28 <34>, vom 11. Juni 1980 - 1 PBvU 1/79 - BVerfGE 54, 277 <299 f.> m.w.N. und vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerfGE 119, 247 <274>). Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen mithin dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfG, Urteil vom 30. März 2004 - 2 BvR 1520/01, 2 BvR 1521/01 - BVerfGE 110, 226 <267> m.w.N.; Beschluss vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11, 2 BvR 12 BvR 1279/12 - NJW 2013, 3151 Rn. 77).

22

Mit seiner Auslegung des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB überschreitet das Oberverwaltungsgericht die dargestellten Grenzen zulässiger verfassungskonformer Auslegung, denn diese läuft auf eine Deutung hinaus, die das gesetzgeberische Anliegen in einem zentralen Punkt verfälscht.

23

Das Oberverwaltungsgericht (UA S. 20) hat selbst hervorgehoben, dass es dem Gesetzgeber in § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB darum ging, den "Abschluss der Sanierung" durch den Klammerverweis auf die §§ 162, 163 BauGB förmlich zu markieren. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts soll es aber "allein für den Fall, dass eine Gemeinde entgegen der Vorschrift des § 162 Abs. 1 BauGB pflichtwidrig die Aufhebung der Sanierungssatzung unterlässt, … für die sachliche Abgabepflicht zu einer Ablösung von einem formalen Rechtsakt" kommen. Dass dies dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufe, sei - so das Oberverwaltungsgericht - schon deshalb nicht erkennbar, weil der Gesetzgeber "selbstverständlich" davon ausgegangen sei, dass die von ihm normierte Pflicht zur Aufhebung der Sanierungssatzung beachtet wird. Sinn und Zweck des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB, der auf § 162 BauGB Bezug nehme, könne sogar positiv dahingehend verstanden werden, dass ein "Abschluss der Sanierung" im Sinne des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB für die sachliche Abgabepflicht auch vorliege, wenn die Gemeinde entgegen der Vorschrift des § 162 Abs. 1 BauGB die Aufhebung der Sanierungssatzung unterlässt. Nichts sei dafür erkennbar, dass der Gesetzgeber in § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Gemeinde, die pflichtwidrig die Sanierungssatzung nicht aufhebt, aus dieser Pflichtverletzung festsetzungsverjährungsrechtliche Vorteile habe gewähren wollen. Näher liege es, dass der Gesetzgeber den vom pflichtwidrigen Nichterlass der Aufhebungssatzung Betroffenen so habe stellen wollen, wie er nach der gesetzlichen Konzeption ohne die Pflichtwidrigkeit stünde. Diese Auffassung geht fehl.

24

Ihr steht bereits der durch den historischen Gesetzgeberwillen bestätigte eindeutige Wortlaut des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegen. Der Begriff "Abschluss der Sanierung" im Sinne des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB sollte, wie in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks 8/2451 S. 37) klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommt, durch den einzufügenden Klammerzusatz "auf die §§ 50 und 51 StBauFG (jetzt: §§ 162, 163 BauGB) bezogen werden, die den förmlichen Abschluss regeln". Dem Gesetzgeber ging es also ersichtlich darum, den Abschluss der Sanierung, mit der die Abgabepflicht entsteht, förmlich zu bestimmen.

25

Auch Bedürfnisse der Rechtssicherheit verlangen nach einer förmlichen Markierung des "Abschlusses der Sanierung", wie das Oberverwaltungsgericht (UA S. 10) im Ausgangspunkt selbst eingeräumt hat. Das findet seine Rechtfertigung darin, dass die in § 162 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten Gründe, die zur Aufhebung der Sanierungssatzung verpflichten, auch von einer Willensentscheidung der Gemeinde abhängen. So ist etwa die Beendigung der sanierungsbedingten Baumaßnahmen allein noch kein hinlängliches Zeichen dafür, dass die Sanierung im Sinne des § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB tatsächlich "durchgeführt" ist, solange dieser äußerlich wahrnehmbare Vorgang nicht auch von einem entsprechenden Willen der Gemeinde getragen ist. Ob dieser Wille vorliegt, kann nur die Gemeinde zuverlässig beurteilen, wie das Oberverwaltungsgericht an anderer Stelle (UA S. 14) zutreffend bemerkt hat. Äußerlich wahrnehmbare Hilfstatsachen, wie etwa der Zeitpunkt der Durchführung der letzten baulichen Maßnahmen oder die Abrechnung der Zuwendungen, haben insoweit nur indizielle Bedeutung. Nicht von ungefähr hat sich das Oberverwaltungsgericht (UA S. 22) auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen, dass die letzten baulichen Maßnahmen zur Sanierung im Jahr 1989 durchgeführt und in den Jahren 1989 bis 1992 die für die Sanierung erhaltenen Zuwendungen gegenüber dem Regierungspräsidium abgerechnet worden seien, lediglich zu der Aussage befähigt angesehen, dass die Sanierungssatzung "spätestens" im Jahre 1992 hätte aufgehoben werden müssen. Auch nach Sinn und Zweck des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist deshalb daran festzuhalten, dass es angesichts "unüberwindbarer Schwierigkeiten", ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung den Zeitpunkt des Außerkrafttretens auch nur einigermaßen präzise festzulegen, in sämtlichen Fällen des § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 BauGB einer ausdrücklichen Entscheidung der Gemeinde über die Aufhebung der Sanierungssatzung bedarf (Beschluss vom 12. April 2011 - BVerwG 4 B 52.10 - juris Rn. 5, 6). Erst dieser formale Rechtsakt führt den "Abschluss der Sanierung" herbei. Alles Andere wäre mit Wortlaut, historischem Gesetzgeberwillen sowie Sinn und Zweck des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB unvereinbar.

26

Gesetzeswortlaut und historischer Gesetzgeberwille enthalten keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der "abstrakten Ausgleichsforderung" bzw. der "sachlichen Abgabepflicht" und nur für den Fall einer pflichtwidrig unterlassenen Aufhebung der Sanierungssatzung auf diesen förmlich markierten Anknüpfungspunkt für den Abschluss der Sanierung verzichten wollte. Dabei geht es - anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 20) angenommen hat - nicht darum, ob der Gesetzgeber einer Gemeinde, die pflichtwidrig die Sanierungssatzung nicht aufhebt, aus der Pflichtverletzung festsetzungsverjährungsrechtliche Vorteile gewähren wollte. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung geht es - anders als bei der richterlichen Rechtsfortbildung, etwa im Wege des Analogieschlusses - auch nicht darum, ob der Gesetzgeber, hätte er das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit bedacht, für den Fall einer pflichtwidrigen Nichtaufhebung der Sanierungssatzung das Normverständnis des Oberverwaltungsgerichts zugrunde gelegt hätte. Es geht vielmehr darum, ob das Normverständnis des Oberverwaltungsgerichts dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers sowie dem Gesetzeszweck entspricht. Diese Frage ist ohne Einschränkung zu verneinen. Der Gesetzgeber hat sich - wie dargestellt - ersichtlich auch aus Gründen der Rechtssicherheit kategorisch auf einen durch die Aufhebung der Sanierungssatzung gemäß § 162 BauGB (oder die grundstücksbezogene Erklärung der Abgeschlossenheit der Sanierung gemäß § 163 BauGB) formal markierten Abschluss der Sanierung festgelegt. Die vom Oberverwaltungsgericht (UA S. 18) angenommenen Differenzierungen zwischen "persönlicher Abgabepflicht" und "abstrakter Ausgleichsbetragsforderung" bzw. "sachlicher Abgabepflicht" sowie zwischen einer rechtmäßigen und einer rechtswidrig unterlassenen Aufhebung der Sanierungssatzung sind in der Vorschrift nicht angelegt. Der Fall einer pflichtwidrigen Nichtaufhebung der Sanierungssatzung ist sowohl nach dem durch den historischen Gesetzgeberwillen bestätigten Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift von § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB erfasst. Während der Gesetzgeber den Abschluss der Sanierung also ohne Ausnahme durch die Aufhebung der Sanierungssatzung förmlich markiert sieht, soll nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für den Fall einer pflichtwidrig unterlassenen Aufhebung der Sanierungssatzung hinsichtlich der "abstrakten Ausgleichsforderung" der Zeitpunkt des tatsächlichen Abschlusses der Sanierung an die Stelle des förmlichen Abschlusses der Sanierung treten. Die normative Festlegung des Gesetzgebers würde mithin für den Fall einer nicht rechtzeitigen Aufhebung der Sanierungssatzung neu bestimmt; das Normverständnis des Oberverwaltungsgerichts liefe somit auf eine Deutung hinaus, die das gesetzgeberische Anliegen in einem zentralen Punkt verfälscht und deshalb die Grenzen zulässiger verfassungskonformer Auslegung überschreitet.

27

Das gilt umso mehr, als das Kriterium des tatsächlichen Abschlusses der Sanierung nicht nur - wovon das Oberverwaltungsgericht (UA S. 19) offensichtlich ausgegangen ist - in dem "atypischen Fall pflichtwidrigen Verhaltens der Gemeinde" an die Stelle des förmlichen Abschlusses der Sanierung durch Aufhebung der Sanierungssatzung treten würde, sondern - konsequent zu Ende gedacht - letztlich auch in allen anderen Fällen zu prüfen wäre. Denn auch in dem Fall, in dem die Gemeinde die Aufhebung der Sanierung pflichtgemäß und rechtzeitig beschließt, müsste das Gericht, um dies feststellen zu können, erst einmal ermitteln, wann die Sanierungsmaßnahmen tatsächlich abgeschlossen waren und die Sanierungssatzung nach § 162 Abs. 1 BauGB deshalb "hätte aufgehoben worden sein müssen". Die Prüfung des tatsächlichen Abschlusses der Sanierung bliebe dem Gericht also in keinem Fall erspart. Das gesetzgeberische Ziel, den Abschluss der Sanierung auch angesichts der "unüberwindbaren Schwierigkeiten, ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung den Zeitpunkt des Außerkrafttretens auch nur einigermaßen präzise festzulegen" (Beschluss vom 12. April 2011 a.a.O. Rn. 6), rein formal zu bestimmen, würde damit konterkariert.

28

e) Einer verfassungskonformen Auslegung des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB bedarf es im Übrigen schon deswegen nicht, weil unter Anwendung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben die Einhaltung des rechtsstaatlichen Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit und damit die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen über den Ausgleichsbetrag sichergestellt werden kann.

29

Der Grundsatz von Treu und Glauben gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts (Urteile vom 14. April 1978 - BVerwG 4 C 6.76 - BVerwGE 55, 337 <339> und vom 16. Mai 2000 - BVerwG 4 C 4.99 - BVerwGE 111, 162 <172> sowie Beschluss vom 5. März 1998 - BVerwG 4 B 3.98 - Buchholz 406.421 Garagen- und Stellplatzrecht Nr. 8). Er bedarf der Konkretisierung, die anhand von Fallgruppen vorgenommen wird. Soweit es - wie bei sanierungsrechtlichen Ausgleichsbeträgen nach § 154 Abs. 1 BauGB - um bundesrechtlich geregelte Abgaben geht, gegen die sich der Einwand von Treu und Glauben richtet, unterliegt er der vollen revisionsgerichtlichen Überprüfung (vgl. Urteil vom 16. Mai 2000 a.a.O. S. 172 f.).

30

Nicht einschlägig ist allerdings die Fallgruppe der Verwirkung. Das hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 (a.a.O. Rn. 44) klargestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 7. Februar 1974 - BVerwG 3 C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <343> m.w.N.) erfordert die Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen auch besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Im Sanierungsrecht wird - wie ausgeführt - bereits die erforderliche Vertrauensgrundlage wegen der Eintragung eines Sanierungsvermerks in das Grundbuch in aller Regel nicht gegeben sein. Im Übrigen erscheint das Instrument der Verwirkung auch mit Blick auf die weiteren Voraussetzungen (Vertrauenstatbestand, Vermögensdisposition) kaum geeignet, den Bürger vor einer rechtsstaatlich unzumutbaren Erhebung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge zu bewahren. Denn das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit erfordert eine Regelung, die ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greift (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O.).

31

Der Geltendmachung eines sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags, der den betroffenen Eigentümer in dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verletzt, steht jedoch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (vgl. hierzu allgemein z.B. Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, § 242 Rn. 46 ff.; im öffentlichen Recht z.B. Urteil vom 24. Februar 2010 - BVerwG 9 C 1.09 - BVerwGE 136, 126 Rn. 38). Nach dieser Fallgruppe kann die Ausübung eines Rechts unzulässig sein, wenn dem Berechtigten eine Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt und die Ausübung des Rechts aufgrund dieser eigenen Pflichtenverletzung treuwidrig erscheint. Wie alle Generalklauseln ist auch der Grundsatz von Treu und Glauben in der Ausprägung der unzulässigen Rechtsausübung Einfallstor für verfassungsrechtliche Wertungen. Der Begriff der Treuwidrigkeit ist deshalb so auszulegen, dass eine Erhebung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge, die dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit widerspräche, ausgeschlossen ist.

32

Treuwidrigkeit liegt allerdings nicht bereits dann vor, wenn die Gemeinde die Sanierungssatzung entgegen ihrer Pflicht aus § 162 Abs. 1 BauGB nicht rechtzeitig aufgehoben hat. Treuwidrig ist die Abgabenerhebung vielmehr erst dann, wenn es aufgrund der Pflichtverletzung der Gemeinde unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nicht mehr zumutbar erscheint, den Bürger mit der Abgabenerhebung zu konfrontieren. Wann das der Fall ist, mag im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist aber handhabbar. Zugrunde zu legen ist ein enger Maßstab. Gegen die Annahme der Treuwidrigkeit kann etwa sprechen, dass sich der politische Willensbildungsprozess in der Gemeinde über die Fortsetzung der Sanierungsmaßnahmen schwierig gestaltete oder dass die Fortführung der Sanierung an finanziellen Engpässen scheiterte.

33

Darüber hinaus kann zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes auf die Wertungen allgemeiner Verjährungsvorschriften zurückgegriffen werden. Zu denken ist etwa an die Regelung in § 53 Abs. 2 VwVfG, wonach eine Verjährungsfrist von 30 Jahren zu laufen beginnt, wenn ein Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers unanfechtbar wird. Diese Vorschrift ist zwar auf die Erhebung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge nicht unmittelbar anwendbar. Die darin zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers auf die längste im Zivilrecht vorgesehene Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 197 BGB) zu beschränken (VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - juris Rn. 22 im Anschluss an VG Dresden, Urteil vom 14. Mai 2013 - 2 K 742.11 - juris Rn. 42) und zwar unabhängig vom Entstehen des Anspruchs (vgl. § 199 Abs. 2 und 3 Nr. 2 BGB), kann aber zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes übernommen werden.

34

Die Erhebung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge ist damit generell ausgeschlossen, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sind. Aber auch vor Erreichen dieser zeitlichen Höchstgrenze kann die Erhebung nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls treuwidrig und deshalb als Rechtsausübung unzulässig sein. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist dabei eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung. Er steht der Erhebung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge auch dann entgegen, wenn sich der Betroffene hierauf nicht beruft. Den rechtsstaatlichen Anforderungen ist damit insgesamt Genüge getan.

35

3. Ob die Erhebung des sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags vorliegend tatsächlich wegen unzulässiger Rechtsausübung ausgeschlossen war, kann der Senat offen lassen. Denn die Berufungsentscheidung stellt sich im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

36

Das Verwaltungsgericht (UA S. 9) hat angenommen, dass die Aufhebungssatzung der Beklagten vom 29. Juni 2006 nicht zu einem Abschluss der Sanierung im Sinne des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB geführt habe, weil sie wegen formeller Mängel unwirksam sei. Das Oberverwaltungsgericht (UA S. 23) hat diese Frage offen gelassen und hierzu auch keine Feststellungen getroffen. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Ausfertigungsmangel ist zwischen den Beteiligten aber unstreitig, wie diese im Termin zur mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich bestätigt haben. Der Senat kann deshalb von der formellen Unwirksamkeit der Aufhebungssatzung ausgehen. Fehlt es aber an einer wirksamen Aufhebungssatzung, dann mangelt es auch an dem vom § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB vorausgesetzten förmlichen Abschluss der Sanierung, so dass ein Ausgleichsbetrag nicht entstanden ist. Das hat - wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - zur Folge, dass der angefochtene Abgabenbescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.