Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 12. Okt. 2011 - 1 K 3870/10

bei uns veröffentlicht am12.10.2011

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen,

1. insbesondere in Veröffentlichungen, Presseerklärungen und auf der Homepage folgende Äußerungen zu tätigen:

a. Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21.

b. Ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker.

c. auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest ….. sind alternative Linienführungen, beispielsweise über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar ….. Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt.

d. Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg … auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde.

e. Ein Scheitern von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm würde die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen.

f. Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind.

2. a. an Fassaden und sonstigen Flächen ihrer Gebäude kundzutun:

Allerhöchste Eisenbahn!

JA!

Unsere Zukunft braucht die ICE-Strecke mit Stuttgart 21

b) auf ihren Internetseiten durch Banner oder sonstige entsprechende Gestaltungselemente zu verlautbaren:

Allerhöchste Eisenbahn! JA zur Bahnstrecke und zu S21.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.500 Euro vorläufig vollstreckbar.

Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter Ziffern 1 und 2 ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtungen wird der Beklagten ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro angedroht.

Tatbestand

 
Die Kläger, Pflichtmitglieder bei der Beklagten, nehmen diese auf die Unterlassung von Äußerungen im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt „Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm“ in Anspruch.
In einer gemeinsamen Herbstveranstaltung der Beklagten mit der Augsburger IHK äußerte der Präsident der Beklagten - wiedergegeben u.a. in der „Neu-Ulmer Zeitung“ und der „Augsburger Allgemeinen“ - „Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“.
In einer Entschließung der Vollversammlung der Beklagten zum Bahnprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und in einer Stellungnahme der Beklagten im Rahmen ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit vom 17.09.2010 (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) „IHKs: Wir brauchen die unverzügliche und konsequente Umsetzung des Gesamtprojekts Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm“, die auch in die Homepage der Beklagten eingestellt ist, sowie in einer Stellungnahme „Standortpolitik - Argumente für Stuttgart 21 - Warum unsere Firma für das Bahnprojekt ist“, ebenfalls über die Homepage der Beklagten abrufbar, findet sich jeweils die Wendung „… (Denn) ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker…“.
In der erwähnten Stellungnahme der Beklagten vom 17.09.2010 findet sich ferner die Wendung „Die Relation Stuttgart-Ulm ist ein wichtiges Teilstück auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest. Auf dieser Achse sind alternative Linienführungen, beispielsweise über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar. Aus diesem Grund besteht die berechtigte Sorge, dass bei einem Scheitern von Stuttgart 21 auch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm gestrichen werden könnte und alternative Routen gesucht werden. Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt.“
In der ebenfalls erwähnten Stellungnahme „Standortpolitik - Argumente für Stuttgart 21 - Warum unsere Firma für das Bahnprojekt ist“ ist ferner der Satz zu finden: „Und es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg, das viele Milliarden in den Länderfinanzausgleich einzahlt, auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde und damit auf ein für Baden-Württemberg zentrales Zukunftsprojekt.“
Unter der Rubrik „Standortpolitik“ findet sich eine Äußerung der Beklagten zu „Auswirkungen des Bahnprojekts Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm auf die Erreichbarkeit und die Wirtschaft der einzelnen Kreise in Baden-Württemberg, in der u.a. ausgeführt ist „… ein Scheitern von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm würde die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen“.
In einem Beitrag auf der Homepage der Beklagten zu dem Thema „Argumente der Gegner“ „Sind die Gegenargumente korrekt?“ ist einleitend ausgeführt: „Umweltschützer, Bürgerinitiativen und Politiker der Grünen laufen Sturm gegen das Projekt. Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind.“
Am Verwaltungsgebäude der Beklagten ist ein farbiges, ca. 100 m² großes Plakat angebracht, das u.a. die Worte „Allerhöchste Eisenbahn!“, das Bild des vorderen Teils eines ICE und darunter die Worte „JA!“ „Unsere Zukunft braucht die ICE-Strecke mit Stuttgart 21“, ferner den Hinweis „www.....de“ enthält.
Die Homepage und die Internetseite der Beklagten enthalten ein Banner (beschriftetes Werbebild), das wie das Plakat am Verwaltungsgebäude der Beklagten den vorderen Teil eines ICE enthält, ferner neben dem Logo der Beklagten die Worte „Allerhöchste Eisenbahn! JA zur Bahnstrecke und zu S 21“.
10 
Am 18.11.2010 forderte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Beklagte zur Abgabe von Unterlassungserklärungen im Zusammenhang u.a. mit den genannten Äußerungen der Beklagten auf.
11 
Die Beklagte lehnte die Abgabe von Unterlassungserklärungen mit Schriftsatz vom 29.11.2010 ab.
12 
Am 17.12.2010 haben die Kläger Klage erhoben. Hierzu wird u.a. ausgeführt: Es sei nicht ersichtlich, ob überhaupt und auf welche Weise die Vollversammlung der Beklagten das Gesamtinteresse aller Mitglieder ermittelt und wie sie deren divergierende Interessen sachgerecht gegeneinander abgewogen, ausgeglichen und damit ihre satzungsmäßige Aufgabe wahrgenommen habe. Nach den den Klägern zugänglichen Unterlagen und Einlassungen der Beklagten habe eine solche Abwägung und Ausgleichung nicht stattgefunden. Der Tiefbahnhof in Stuttgart wirke sich nicht auf die gewerbliche Wirtschaft im Bezirk der Beklagten aus. Auch hinsichtlich der Neubaustrecke Stuttgart-Wendlingen-Ulm seien konkrete positive verkehrs- oder arbeitsmarktpolitische Auswirkungen auf Ulm/Biberach/Alb-Donau nicht gegeben oder aber unabhängig von der Trassenführung im Wesentlichen auch bei anderen Varianten wie dem Konzept „K 21“ ebenso gegeben und von der Beklagten in eine Abwägung und Ausgleichung einzustellen. Auch dies unterbleibe. Folglich seien bereits die Entschließungen der Vollversammlung der Beklagten nicht von ihrer Aufgabe umfasst und verletzten den Anspruch der Kläger auf Tätigwerden der Beklagten innerhalb der gesetzlichen Grenzen, weil nur allgemeinpolitische Aussagen getroffen würden.
13 
Die Äußerung, „Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“ sei polemisch und allgemeinpolitisch. Sie verletze die Grundsätze höchstmöglicher Objektivität und solle emotionalisieren. Eine Abwägung enthalte sie bewusst nicht, sondern ziele nach der expliziten Einlassung des Präsidenten der Beklagten im Interview vom 03.12.2010 darauf ab, „die Projektgegner im Mark zu treffen“.
14 
Bei der Äußerung, „Ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker…“ handele es sich um reine Polemik und eine absolut unsachliche Aussage. Bei der Schaffung der Schnellbahntrasse 1988 entlang der Autobahn habe u.a. Prof. G. H. in keiner Weise an das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 (Durchgangs-Tiefbahnhof) gedacht, sondern die Strecke für den (damals wie heute) bestehenden (Kopf-)Bahnhof projektiert.
15 
Bei der Äußerung in dem Bericht der Beklagten vom 17.09.2010 „Auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest … sind alternative Linienführungen, beispielsweise über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar … Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt“ sei keine Abwägung vorgenommen worden und werde einseitig verallgemeinert. Insbesondere müsste die Beklagte hier, um dem Gebot größtmöglicher Zurückhaltung und Objektivität zu entsprechen, mit ausführen, dass „diese alternativen Linienführungen auch die Umfahrung weiterer Zentren wie Straßburg, Stuttgart und Augsburg und damit einen Umweg von über 100 hm darstellen würde“.
16 
Die von der Beklagten verwendete Wendung „Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg … auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde“ sei polemisch, allgemeinpolitisch, ohne Bezug zur Wirtschaft in der Region und solle Emotionen schüren. Was Baden-Württemberg tue und lasse entscheide das Volk, dessen Willen Politiker umsetzten. Die Beklagte sei daran kraft ihrer Aufgabe nicht beteiligt. Belange der gewerblichen Wirtschaft seien nicht betroffen.
17 
Bei der von der Beklagten in „Auswirkungen des Bahnprojekts auf die Erreichbarkeit und die Wirtschaft der einzelnen Kreise in Baden-Württemberg“ enthaltenen Wendung „Ein Scheitern von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm würde die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen“ gehe es eindeutig nicht um Auswirkungen auf die Wirtschaft der Region, sondern um eine allgemeinpolitische Thematik, ja Polemik. Eine IHK sei nicht berufen, Argumente zum Schutz der Demokratie zu veröffentlichen.
18 
Ebenso allgemeinpolitisch, polemisch, Bürgerinnen und Bürger diffamierend und falsch, vor allem ohne jeden Bezug zur Wirtschaft sei die in „Argumente der Gegner - sind die Gegenargumente korrekt?“ enthaltene Wendung „Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind“.
19 
Die Befestigung des Plakats „Allerhöchste Eisenbahn! Ja! Unsere Zukunft braucht die ICE-Strecke mit Stuttgart 21“ unter Angabe der Internetseite der Beklagten an der Fassade deren Gebäudes verstoße gegen das Gebot der höchstmöglichen Objektivität und notwendigen Sachlichkeit sowie Zurückhaltung.
20 
Zuletzt stelle das von der Beklagten im Internet verwendete Banner ein Höchstmaß an „Nicht-Zurückhaltung“ und einseitiger Interessenwahrnehmung dar. Es sei keinerlei Abwägung vorgenommen worden und erkennbar, sondern emotionalisierte Konfliktaustragung. Zudem sei es nicht von der Entschließung der Vollversammlung der Beklagten gedeckt.
21 
Die Kläger beantragen:
22 
1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, insbesondere in Veröffentlichungen, Presseerklärungen und auf der Homepage folgende Äußerungen zu tätigen:
23 
a. Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21.
24 
b. Ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker.
25 
c. auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest … sind alternative Linienführungen, beispielsweise über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar … Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt.
26 
d. Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg … auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde.
27 
e. Ein Scheitern von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm würde die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen.
28 
f. Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind.
29 
Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu EUR 10.000,00 angedroht.
30 
2. Die Beklagte wird des weiteren verurteilt, es zu unterlassen,
31 
a. an Fassaden und sonstigen Flächen ihrer Gebäude kundzutun:
32 
Allerhöchste Eisenbahn!
JA!     
Unsere Zukunft braucht die ICE-Strecke mit Stuttgart 21
33 
b. auf ihren Internetseiten durch Banner oder sonstige entsprechende Gestaltungselemente zu verlautbaren:
34 
Allerhöchste Eisenbahn! JA zur Bahnstrecke und zu S21
35 
Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu EUR 10.000,00 angedroht.
36 
Die Beklagte beantragt,
37 
die Klage abzuweisen.
38 
Hierzu wird u.a. ausgeführt: In einem Beschluss im schriftlichen Verfahren über die Entschließung zum Bahnprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm hätten sich von den 55 Mitgliedern der Vollversammlung bis zur Rückmeldefrist am 14.09.2010 46 Mitglieder beteiligt und der Entschließung einstimmig zugestimmt. Die Vollversammlung der Beklagten fordere in der Entschließung u.a. die unverzügliche und konsequente Umsetzung des Gesamtprojekts Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Präsident und Hauptgeschäftsführer würden gebeten, diese Forderung mit großem Nachdruck zu vertreten und durch entsprechende Aktivitäten wie Veranstaltungen, Pressearbeit etc. zu verbreiten. In der Entschließung werde dargelegt, welche Bedeutung das Gesamtprojekt für die Gewerbetreibenden des Bezirks der Beklagten habe und es werde u.a. auch auf alternative Konzepte zu Stuttgart 21 wie beispielsweise das von den Gegnern favorisierte Modell Kopfbahnhof 21 eingegangen. Die Entschließung enthalte von den Klägern beanstandete und in verkürzter Form wiedergegebene Äußerungen:
39 
„Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sind als untrennbares Gesamtprojekt zu betrachten. Denn ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker. Erst durch die Tieferlegung und Drehung des Stuttgarter Hauptbahnhofes wird eine neue Trassenführung über die Fildern ermöglicht, welche in Wendlingen an die Neubaustrecke anschließt. Stuttgart 21 stellt somit auch mehr als die bloße Umgestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofes dar. Mit Stuttgart 21 wird der Flughafen Stuttgart in die Verbindungstrasse Ulm-Stuttgart integriert.
40 
Alternative Konzepte zu Stuttgart 21 wurden vielfach geprüft. Das von den Gegnern forcierte Modell Kopfbahnhof 21 …
41 
Die Relation Stuttgart-Ulm ist ein wichtiges Teilstück auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest. Auf dieser Achse sind alternative Linienführungen, z.B. über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar. Aus diesem Grund besteht die berechtigte Sorge, dass bei einem Scheitern von Stuttgart 21 auch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm gestrichen werden könnte und alternative Routen gesucht werden. Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt.“
42 
Das Bahnprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sei ferner Gegenstand der Sitzung der Vollversammlung der Beklagten am 14.10.2010 gewesen. Folgender Beschlussvorschlag sei nach Aussprache bzw. Diskussion einstimmig angenommen worden:
43 
„Die Verwirklichung des Gesamtprojekts Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm liegt nach Abwägung aller Interessen eindeutig im Gesamtinteresse der regionalen Wirtschaft der IHK-Region Ulm. Deshalb sollen weitere Maßnahmen unterstützt werden, die diesem Gesamtinteresse zur Durchsetzung verhelfen. Zur weiteren Begründung wird auf die Entschließung vom 14.09.2010 verwiesen, …
44 
Nach den vorliegenden Erkenntnissen hat ein Teil der Bevölkerung unzureichende Informationen über das Gesamtprojekt. Derzeitig mangelt es an deutlichen Signalen der Befürworter. Vor diesem Hintergrund sollten Aktivitäten wie Anzeigen, großflächige Bannerwerbung oder auch gesponserte Fernsehbeiträge im Regio TV initiiert werden.
45 
46 
Vor allem sollen Anzeigen und Flyer finanziert werden, die ein positives Bekenntnis zu diesem Gesamtprojekt artikulieren.“
47 
Aufgrund der Beschlüsse der Vollversammlung habe der Präsident der Beklagten in einer gemeinsamen Herbstveranstaltung mit der Augsburger IHK u.a. die Äußerung „Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“ getroffen. Auf der Grundlage der Beschlüsse der Vollversammlung habe das Hauptamt diverse Unterlagen zum Bahnprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm auf der Homepage der Beklagten eingestellt. Dort finde sich zudem eine fünfseitige Begründung der aus Sicht der Wirtschaft des Bezirks der Beklagten für das Bahnprojekt sprechenden Argumente. In der Vollversammlung am 14.10.2010 sei angeregt worden, dass die Beklagte Argumentationshilfen für Mitgliedsunternehmen zur Verfügung stellen könne, um die Belegschaft für das Bahnprojekt zu gewinnen. Schließlich habe die Vollversammlung das Hauptamt der Beklagten mit dem in der Sitzung gefassten Beschluss ausdrücklich aufgefordert, Aktivitäten zur Unterstützung des Bahnprojekts zu initiieren. Auf der Grundlage der Beschlüsse der Vollversammlung seien das Plakat an der Fassade des Gebäudes der Beklagten und das Banner in ihrer Homepage angebracht bzw. eingestellt worden.
48 
Da das Gesamtprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm einen der Kernbereiche der Tätigkeit der Beklagten betreffe, dürfe sie sich damit auseinandersetzen und sich dazu äußern. Die beiden Teilprojektive Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm seien untrennbar miteinander verknüpft. Das Gesamtprojekt betreffe die Verkehrsinfrastruktur, die unmittelbare nachvollziehbare positive Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft des Bezirks der Beklagten habe. Die Fahrzeit im Fernverkehr zwischen Stuttgart und Ulm reduziere sich von 54 auf 28 Minuten. Flughafen und Landesmesse würden an die Strecke nach Ulm angebunden und seien von Ulm in 24 statt bisher 91 Minuten erreichbar. Unmittelbare positive Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft des Bezirks der Beklagten ergäben sich ferner daraus, dass die Unternehmen im Bezirk von der mehrjährigen Bauphase mittelbar und unmittelbar profitieren könnten. Das Gesamtprojektiv schaffe ein Investitionsvolumen von ca. 7 Milliarden Euro. Über die Bauphase hinaus sei dauerhaft mit einer Steigerung der Wirtschaftskraft des Bezirks und weit darüber hinaus zu rechnen. Für Baden-Württemberg werde insgesamt von einem Brutto-Wertschöpfungseffekt von rund 440 - 530 Millionen Euro pro Jahr gerechnet. Damit bestehe die Chance, Arbeitsplätze im Bezirk zu schaffen. Das Projekt betreffe daher unmittelbar die Verkehrspolitik und die Arbeitsmarktpolitik, letztlich aber die gesamte regionale Infrastruktur und damit die Sicherung und Verbesserung des Wirtschaftsstandortes insgesamt im Bezirk der Beklagten. Die von den Klägern beanstandeten Äußerungen einschließlich Plakat und Banner bezögen sich sämtlich auf die Unterstützung des Gesamtprojekts. Es handele sich um einzelne Aspekte der aus der Sicht der Beklagten für das Gesamtprojekt sprechenden Gründe. Entgegen der Darstellungen der Kläger dürften die Äußerungen nicht aus dem Gesamtzusammenhang gerissen werden.
49 
Es könne der Beklagten nicht verwehrt sein, die für das Projekt sprechenden Argumente zusammenzustellen. Dies gelte auch für das beanstandete, dass ein Scheitern des Gesamtprojekts die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen würde. Die Beklagte dürfe sich auch an Adressaten außerhalb ihres Bezirks wenden, um etwa auf wirtschaftspolitische Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene einzuwirken. Für die Wirtschaft sei es von grundlegender Bedeutung, dass in einem demokratischen Prozess beschlossene Vorhaben mit verbindlichen Finanzierungsvereinbarungen auch realisiert würden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerungen der Beklagten ergebe sich, dass gerade die Realisierung des Gesamtprojekts von elementarer Bedeutung für die gewerbliche Wirtschaft ihres Bezirks sei. Der Text auf dem Plakat am Gebäude der Beklagten fasse nur die aus ihrer Sicht für das Gesamtprojekt sprechenden Argumente zusammen und verweise zudem auf die Homepage mit einer Vielzahl von Dokumenten mit für und gegen das Gesamtprojekt sprechenden Argumenten. Dies gelte erst recht für das Banner auf der Homepage.
50 
Die Äußerungen der Beklagten wahrten die erforderliche Objektivität. Eine Äußerung genüge nicht erst dann dem höchstmöglichen Maß an Objektivität, wenn sie sämtliche für und gegen ein Vorhaben sprechenden Interessen und Rechtspositionen i.S. einer allgemeinpolitischen, dem Gemeinwohl verpflichteten Diskussion oder gar in Form eines Planfeststellungsbeschlusses nachvollziehe. Die Forderung, ein planfestgestelltes Vorhaben umzusetzen, wahre in jedem Fall die gebotene Objektivität. Eine Verpflichtung der Beklagten, die im Rahmen des sogenannten Schlichtungsverfahrens von den Gegnern des Bahnprojekts genannten Argumente einzubeziehen, bestehe nicht.
51 
Die Beklagte habe sich mit den gegen das Gesamtprojekt vorgebrachten Argumenten, insbesondere mit dem von den Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21 favorisierten Modell Kopfbahnhof 21 sowohl in der im schriftlichen Verfahren beschlossenen Entschließung der Vollversammlung und dem Beschluss der Vollversammlung vom 14.10.2010 als auch in den in die Homepage der Beklagten eingestellten Dokumenten auseinandergesetzt. Habe die Beklagte festgestellt, dass die Realisierung eines Vorhabens im gesamtwirtschaftlichen Interesse der Gewerbetreibenden ihres Bezirks liege, müsse es ihr möglich sein, dieses Ergebnis auf einem Plakat bzw. einem Internetbanner zu vertreten.
52 
Ob eine Äußerung der Industrie- und Handelskammer das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lasse, könne nur aus dem Kontext einer Forderung oder Äußerung beurteilt werden. Daher müsse insoweit auch die Begründung mit herangezogen werden. Letzteres gelte auch bei der Beurteilung des „Wie“ der Äußerung. Ob eine Aussage polemisch überspitzt oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegt sei, erschließe sich nicht nur aus der Äußerung selbst, die aus dem Gesamtzusammenhang gerissen sei, vielmehr müsse die Äußerung in ihrem Kontext bewertet werden. Nach diesem Maßstab seien die Äußerungen der Beklagten nicht zu beanstanden.
53 
Bei der von den Klägern beanstandeten Äußerung, Ulm sei das Bollwerk für Stuttgart 21, handele es sich um eine bildhafte Sprache, die nicht die erforderliche Objektivität vermissen lasse. Dasselbe gelte für die Äußerungen auf Plakat und Banner und auch bei den Begriffen „Auf dem Acker enden“, „Schildbürgerstreich“ und „Auf den Kopf stellen“ handele es sich um eine bildhafte, nicht zu beanstandende Sprache.
54 
Die von der Beklagten zum Ausdruck gebrachte Befürchtung, die Magistrale für Europa könne an Ulm vorbeigeführt werden, wahre die erforderliche Objektivität. Gleiches gelte für die Äußerung, ohne das Teilprojekt Stuttgart 21 würde die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker enden. Dies entspreche der Realität, da die Neubaustrecke in Wendlingen ohne das Teilprojekt Stuttgart 21 keinen direkten Anschluss an den Flughafen Stuttgart bzw. die Landesmesse sowie den Hauptbahnhof Stuttgart hätte. Gleiches gelte für die Äußerung, es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde, da es in diesem Fall in Bahnprojekte in andere Bundesländer fließen würde. Auch dies entspreche der Realität. Letzteres gelte auch für die Aussage, dass ein Scheitern des Bahnprojekts Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen würde.
55 
Unerfindlich sei, was an dem Satz „Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind“, unzutreffend, polemisierend oder nicht objektiv sein solle. Die Aussage sei zutreffend.
56 
Nachdem die Vollversammlung der Beklagten im schriftlichen Verfahren im September 2010 und in der Sitzung am 14.10.2010 einstimmig beschlossen habe, das Bahnprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zu unterstützen, seien die Äußerungen der Beklagten unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen. Der Auftrag der Vollversammlung sei durch Präsident und Hauptamt der Beklagten u.a. in Reden, Presseerklärungen, Dokumenten und dem Banner auf der Homepage sowie mittels des Plakats am Gebäude der Beklagten umgesetzt worden.
57 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und im Übrigen auf die der Kammer vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
58 
Die Klage ist zulässig und begründet.
59 
Wird eine Industrie- und Handelskammer über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig, kann der einzelne Kammerzugehörige nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem mit einer Unterlassungsklage entgegentreten (vgl. Urteil vom 21.07.1998 - 1 C 32.97 - BVerwGE 107, 169 <174 f.> m.w.N.; Urteil vom 19.09.2000 - 1 C 29/99 - BVerwGE 112, 69-78).
60 
Die Kläger haben einen Anspruch auf Unterlassung der von ihnen beanstandeten Äußerungen und Kundgaben der Beklagten, weil diese damit ihren gesetzlichen Aufgabenbereich überschreitet und folglich ohne die erforderliche Rechtsgrundlage in die durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Position der Kläger eingreift.
61 
Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 2 Abs. 1 GG (BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 - 8 C 20/09 - BVerwGE 137, 171 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.12.2001 - 1 BvR 1806/98 - GewArch 2002, 111 ff. m.w.N.). Die Kläger haben als Pflichtmitglieder der Beklagten einen Anspruch darauf, dass die Beklagte bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten Grenzen einhält. Denn die Pflichtzugehörigkeit zu dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft und der darin liegende Eingriff in das Grundrecht der Pflichtmitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG ggf. i.V.m. Art 19 Abs. 3 GG ist allein durch die - nach der maßgeblichen Einschätzung des Gesetzgebers - im öffentlichen Interesse liegende und deshalb notwendige Wahrnehmung dieser gesetzlichen Aufgaben gerechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 19.12.1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <242 f.>). Überschreitet eine Körperschaft, deren Errichtung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist und ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung im Wesentlichen in der Repräsentation der Interessen ihrer Mitglieder findet, ihren gesetzlichen Aufgabenbereich, greift sie ohne die erforderliche Rechtsgrundlage in dieses Grundrecht ein. Jeder der Körperschaft Zugehörige kann sich gegen eine derartige rechtswidrige Ausdehnung seiner Zwangsunterworfenheit wehren, ohne dass es darauf ankäme, ob er dadurch einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder spürbaren faktischen Nachteil erleidet (BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 a.a.O.).
62 
Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Beklagte sich bei ihren Kundgaben und Äußerungen zum Bahnprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen - Ulm im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben gehalten hat, ist § 1 Abs. 1 IHKG. Danach haben die Kammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.
63 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, lässt sich diese Aufgabe als auf den Kammerbezirk bezogene Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berühren, ist diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Auch in diesen Randbereichen ist die Kompetenz der Industrie- und Handelskammer gegenüber dem Kernbereich nicht eingeschränkt. Abzugrenzen ist allerdings, was noch zum Randbereich einer zulässigen Betätigung der Industrie- und Handelskammern gehört und wo dieser Bereich verlassen wird, weil es sich um allgemeinpolitische Fragen handelt (BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O.; Urteil vom 19.09.2000 a.a.O. Rn. 24, 30).
64 
Belange der gewerblichen Wirtschaft werden nur dann wahrgenommen, wenn die Äußerung der Industrie- und Handelskammer sich auf einen Sachverhalt bezieht, der nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Industrie- und Handelskammer hat. Da eine Industrie- und Handelskammer jeweils nur die Interessen der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrnehmen darf, muss sich auch der Sachverhalt, zu dem sie sich äußert, auf die gewerbliche Wirtschaft im eigenen Bezirk konkret erkennbar auswirken. Das schließt aber nicht aus, dass sich die Kammer an Adressaten außerhalb dieses Bezirks wendet, um z.B. auf wirtschaftspolitische Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene einzuwirken (BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 31).
65 
Sämtliche von den Klägern angegriffenen Kundgaben und Äußerungen der Beklagten betreffen zwar - entgegen der schriftsätzlich dargelegten Auffassung der Kläger - deren Kompetenzbereich. Denn von dem Gesamtprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen - Ulm, auf die sich die Kundgaben und Äußerungen der Beklagten beziehen, ist die Verkehrspolitik betroffen. Diese wiederum hat im Hinblick auf die zeitlich erheblich verkürzte Anbindung des Bezirks der Beklagten an den Flughafen, die Landesmesse und Hauptbahnhof Stuttgart Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft auch im Bezirk der Beklagten.
66 
Ist thematisch der Kompetenzbereich der Beklagten eröffnet, und damit die Frage, ob sie sich zu dem Gesamtprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen - Ulm äußern darf, bejaht, ist jedoch bei der Form, die sie dabei zu wahren hat, sozusagen dem "Wie" der Äußerung, zu beachten, dass die Industrie- und Handelskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Daraus ergibt sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien, weil die den Industrie- und Handelskammern übertragene Aufgabe der Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat keine reine Interessenvertretung darstellt. Die Industrie- und Handelskammern müssen stets auf das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet sein, dürfen die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich abwägend und ausgleichend berücksichtigen und müssen als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 32 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 19.12.1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <241>).
67 
Das setzt voraus, dass die Äußerungen der Industrie- und Handelskammern sachlich sind und die notwendige Zurückhaltung wahren. Damit sind nicht nur Anforderungen an die Formulierung gestellt, was polemisch überspitzte oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegte Aussagen ausschließt; die notwendige Objektivität verlangt auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen. Da das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft Bezugspunkt der Aufgabenwahrnehmung ist und dies eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Gewerbezweige erfordert, muss eine Äußerung, die zu besonders umstrittenen Themen erfolgt, auch diese Abwägung erkennen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 33). Dieses von den Industrie- und Handelskammern gemäß § 1 Abs. 1 IHKG wahrzunehmende Gesamtinteresse ihrer Mitglieder muss unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend ermittelt werden. Es ist ein gewichtetes Ergebnis und damit weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch ihr kleinster gemeinsamer Nenner (vgl. hierzu insges. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 34).
68 
Erklärungen und Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern sind zudem nur dann zulässig, wenn sie unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen sind. Denn die Pflichtmitgliedschaft der Gewerbetreibenden in der Industrie- und Handelskammer ist nur gerechtfertigt, wenn die Kammer das durch das vorgegebene Verfahren legitimierte Gesamtinteresse wahrnimmt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG beschließt über die Angelegenheiten der Industrie- und Handelskammer die Vollversammlung, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt. Dabei kann, wie in § 3 Abs. 2 der Satzung der Beklagten geschehen, der Vollversammlung die Bestimmung der Richtlinien der Kammerarbeit und die Beschlussfassung über alle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorbehalten bleiben und darauf basierend die Entscheidung über Einzelfragen delegiert werden. Eine grundsätzliche Festlegung muss aber auf jeden Fall durch die Vollversammlung erfolgen (vgl. hierzu insges. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 35).
69 
Die von den Klägern angegriffenen Äußerungen und Kundgaben der Beklagten sind ungeachtet von Verfahrensfragen bereits deswegen rechtswidrig, weil sie als solche auch unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem sie stehen, oder ihrer Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 40), nicht das höchstmögliche Maß an Objektivität und die notwendige Sachlichkeit wahren. Sie gehen über eine bildhafte Sprache hinaus. Die von den Klägern beanstandeten Äußerungen und Kundgaben mögen einer reinen Interessenvertretung zustehen, den als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Industrie- und Handelskammern wie der Beklagten aber nicht (wie BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O.).
70 
Im einzelnen gilt das Folgende:
71 
Die unter Ziffer 1 a des Klagantrags beanstandete Äußerung des Präsidenten der Beklagten, „Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“, ist schon für sich betrachtet polemisch überspitzt und auf emotionale Konfliktaustragung angelegt, ohne dass der Frage nachzugehen ist, wie es einzuschätzen wäre, dass diese Äußerung, wie von den Klägern unwidersprochen vorgetragen, auch im Zusammenhang mit der weiteren Aussage des Präsidenten gefallen sein soll „… das trifft ins Mark der Projektgegner“. Es handelt sich bei der Äußerung „Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“ nicht lediglich um eine bildhafte Sprache, wie die Beklagte meint. Nach Duden online hat ein Bollwerk u.a. die Bedeutung von Befestigung (früher) und Festung, Synonyme sind u.a. Bastei, Bastion, Befestigung, Befestigungsanlage, Befestigungswerk, Festung und Verteidigungsanlage. Die Verwendung eines Begriffs, der dem militärischen Sprachgebrauch entnommen ist, suggeriert aber die Bereitschaft zur Verteidigung des von der Beklagten befürworteten Projekts Stuttgart 21 durch ein Maß an Potenzial, das der Beklagten nach der gesetzlichen Aufgabenzuweisung jedoch nicht zukommt. Zudem wird der beschriebene Begriff „Bollwerk“ pauschal auf ganz Ulm erstreckt, ohne dass der Beklagten gesetzlich die Aufgabe zugewiesen ist, pauschal für die ganze Stadt oder ihre Bürger zu sprechen. Hinzu kommt, dass die Aussage apodiktisch eine Meinungsäußerung darstellt, ohne dabei eine Abwägung oder das Vorhandensein von Mindermeinungen erkennen zu lassen. Der Umstand, dass es sich um eine mündliche Äußerung gehandelt hat, ändert an dieser Einschätzung nichts. Die Anforderungen dafür zu verringern ist nicht möglich, weil die Kompetenzgrenzen der Beklagten für mündliche Äußerungen nicht weiter gezogen sind als sonst.
72 
Die unter Ziffer 1 b des Klageantrags angegriffene Äußerung „Ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker“ im Rahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Beklagten, die sich auch in einer Äußerung zur „Standortpolitik“ wiederfindet, ist inhaltlich unzutreffend und damit unsachlich. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob es ein mit der Äußerung in Bezug genommenes Sprichwort gibt. Durch die drastische Formulierung „auf dem Acker“ wird jedenfalls die Vorstellung hervorgerufen, dass die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm ohne das Teilprojekt Stuttgart 21 nicht möglich und völlig nutzlos sei. Dies ist jedoch unzutreffend, weil für die Neubaustrecke auch ohne Anbindung an den Flughafen Stuttgart und die Landesmesse eine Einschleifung in die bisherige ICE-taugliche Trasse möglich ist. Auf eine direkte Anschlussmöglichkeit kommt es nicht an.
73 
Die beanstandete Äußerung „auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest ….. sind alternative Linienführungen, beispielsweise über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar ….. Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt“ (Klageantrag 1 c) ist am Ende zu spekulativ und deswegen unsachlich, weil auch bei einer anderen Linienführung der Schnellbahntrasse nicht davon ausgegangen werden kann, dass große Teile Baden-Württembergs vom europäischen Schienennetz abgehängt werden. Die Äußerung, die entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus dem Zusammenhang gerissen entstellend verstanden werden kann, lässt damit auch das erforderliche Maß an Objektivität vermissen. Es ist nicht ersichtlich, dass bei einer Nichtverwirklichung der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm die bisherige ICE - taugliche Bahnstrecke in Wegfall geriete.
74 
Die mit dem Klagantrag 1 d) angegriffene, in der Stellungnahme „Standortpolitik - Argumente für Stuttgart 21 - Warum unsere Firma für das Bahnprojekt ist“ enthaltene Wendung „Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg … auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde“ wahrt nicht die der Beklagten obliegende Sachlichkeit. Denn der Begriff „Schildbürgerstreich“ hat eine abwertende Bedeutung. Mit ihm wird eine Handlung umschrieben, deren eigentlicher oder ursprünglicher Zweck in törichter Weise verfehlt wird (vgl. Duden online). „Die Schildbürger“ ist der Titel einer Sammlung von Streichen und Schwänken törichter Kleinbürger … (Meyers Großes Universallexikon). Der propagierte Verzicht des Landes Baden-Württemberg auf die für das Bahnprojekt bereitgestellten Finanzmittel von Bund und Bahn wird damit abwertend zumindest als töricht bezeichnet, was auch Relevanz für die Einschätzung der Gegner des Projekts hat. Der Kontext, in dem diese Äußerung steht, relativiert diese Einschätzung nicht. Dass die Kläger diese Äußerung der Beklagten aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch entstellt haben, vermag die Kammer entgegen der Auffassung der Beklagten nicht festzustellen. Auch bezieht sich die angegriffene Äußerung auf ganz Baden-Württemberg und betrifft damit nicht mehr den Aufgabenbereich der Beklagten, nachdem keine Verknüpfung zu wirtschaftlichen Belangen speziell in ihrem Bezirk erkennbar ist.
75 
Die unter der Rubrik „Standortpolitik“ getätigte Äußerung der Beklagten zu „Auswirkungen des Bahnprojekts Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm auf die Erreichbarkeit und die Wirtschaft der einzelnen Kreise in Baden-Württemberg, in der u.a. ausgeführt ist „… ein Scheitern von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm würde die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen“ (Klagantrag 1 e), ist polemisch überspitzt und unsachlich. Denn zum einen werden auch in der parlamentarischen Demokratie planfestgestellte und gerichtlich rechtskräftig überprüfte Vorhaben noch politisch in Frage gestellt. Dies zeigt die derzeitige landespolitische Situation in Baden-Württemberg, wo nach dem Beschluss des Landtags die Bürgerinnen und Bürger am 27. November in einer Volksabstimmung über ein „S21-Kündigungsgesetz“ entscheiden sollen. Zum anderen sind noch nicht für alle Abschnitte der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm die Planfeststellungsverfahren abgeschlossen. Solange dies nicht der Fall ist und Beteiligungsrechte im Verfahren wahrgenommen werden können, erscheinen selbst bei einer von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angesprochenen weitgehenden Determinierung der Linienführung der Bahntrasse auch politische Aktivitäten und Aktionen weder illegal, illegitim oder für eine parlamentarische Demokratie systemfremd. Auch hier relativiert der Kontext, in dem die Äußerung steht, die dargelegte Einschätzung nicht.
76 
Die in dem Beitrag auf der Homepage der Beklagten zu dem Thema „Argumente der Gegner“ „Sind die Gegenargumente korrekt?“ in der Einleitung u.a. enthaltene Äußerung „Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind“ (Klagantrag 1 f) ist der Beklagten zu untersagen, weil sie zu apodiktisch und polemisch ist und den Projektgegnern zu undifferenziert mangelnde Sachkenntnis vorhält. Ferner ist sie auf emotionale Konfliktaustragung angelegt. Ob die Sachkenntnis der Bevölkerung durch das Schlichtungsverfahren gestiegen ist, ist unerheblich. Der Kontext, in dem die Äußerung steht, führt auch hier zu keiner anderen Einschätzung. Der der angegriffenen Äußerung vorausgehende Satz „Umweltschützer, Bürgerinitiativen und Politiker der Grünen laufen Sturm gegen das Projekt“ ist eher geeignet, auch diese Personen in die Nähe der nicht ausreichend Informierten zu rücken, als zu erklären oder zu relativieren. Aus dem Kontext, der zwar neben Kommentaren zu einzelnen umstrittenen Fragen auch Fakten nennt, folgt keine Relativierung der zu beanstandenden Aussage. Zwar mag es durchaus zutreffen, dass von den Projektgegnern eine erhebliche Anzahl nur eine lückenhafte Sachkenntnis über das Gesamtprojekt und deren Folgewirkungen besitzen. Bereits nicht gewiss ist aber, ob sich gerade solche Personen lautstark gegen das Projekt aussprechen. Jedenfalls wird ohne weiter zu differenzieren der Eindruck vermittelt, dass sich lautstark oder engagiert gegen das Gesamtprojekt einsetzende Personen dies ohne ausreichende Sachkenntnis tun. Obwohl naheliegend, ob dasselbe nicht auch für die Befürworter des Gesamtprojekts gilt, d.h. auch diese nicht über ausreichende Sachkenntnis verfügen, verhalten sich die Äußerungen der Beklagten hierzu jedoch nicht. Dies wäre aber im Hinblick auf das bei Äußerungen von der Beklagten zu beachtende höchstmögliche Maß an Objektivität geboten gewesen. Die Beklagte vermittelt daher mit ihrer Äußerung in unzulässiger Weise den Eindruck, die Haltung zu dem Gesamtprojekt beruhe bei den meisten engagierten Projektgegnern auf unzureichender Sachkenntnis, ohne dies im Kontext - bezogen auf diese Personen - zu erklären.
77 
Für das am Verwaltungsgebäude der Beklagten angebrachte farbige, ca. 100 m² große Plakat mit u.a. den Worten „Allerhöchste Eisenbahn!“ und „JA!“ „Unsere Zukunft braucht die ICE-Strecke mit Stuttgart 21“ sowie dem Hinweis „www.....de“ (Klagantrag 2 a) gilt in gleicher Weise wie für das in die Homepage (Startseite) bzw. die Internetseite der Beklagten eingestellte Banner, das wie das Plakat am Verwaltungsgebäude der Beklagten den vorderen Teil eines ICE zeigt, ferner neben dem Logo der Beklagten die Worte „Allerhöchste Eisenbahn! JA zur Bahnstrecke und zu S 21“ enthält, dass diese Kundgaben schon nach ihrer Form nicht die erforderliche Sachlichkeit und Zurückhaltung wahren, weil sie zu apodiktisch parteiergreifend für das Projekt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.2010 a.a.O., Rn. 40). Die notwendige Differenzierung und Zurückhaltung sowie die Darstellung von Minderheitspositionen ist zu vermissen.
78 
Beim Plakat reicht dabei der Hinweis auf die Internetseite der Beklagten nicht aus, denn es ist nur die Startseite der Homepage der IHK Ulm angegeben, nicht direkt die Gegenüberstellung von Argumenten. Nach der Stellung auf dem Plakat wird auch nicht hinreichend deutlich, dass man die Gegenargumente auf dieser Homepage findet, denn die Internetadresse ist unter dem eindeutigen Statement für Stuttgart 21 positioniert, sodass ein Betrachter eher erwarten kann, die wiedergegebene Ansicht dort weiter ausgeführt zu finden. Zudem ist auf der Homepage nach der Darlegung der Beklagten zwar ein Dokument mit dem Titel „Gegenargumente zu Stuttgart 21 – sind diese Argumente korrekt?“ zu finden. Für eine objektive Information erscheint dies aber nicht ausreichend, weil schon der Dokumententitel eher auf eine kritische Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten zu Stuttgart 21 hindeutet. Der Umstand, dass ein Plakat naturgemäß nur wenig Platz bietet und für die Darstellung unterschiedlicher Meinungen daher nicht geeignet ist, kann dabei keine Rolle spielen, denn sonst könnte der Grundrechtschutz der Pflichtmitglieder damit unterlaufen werden. Konsequenz ist daher nicht, dass der Maßstab für die Beurteilung der Äußerungen der Kammern bei einem Plakat herabgesetzt werden kann. Vielmehr ist es der Beklagten, wenn dieses Kommunikationsmittel ihrem Auftrag nicht gerecht wird, verwehrt, es einzusetzen (s. dazu auch VG Stuttgart, Urteil vom 17.04.2011 - 4 K 5039/10 - Juris).
79 
In gleicher Weise einseitig und undifferenziert ist das Bild auf der Homepage (Startseite) der Beklagten (Klagantrag 2 b). Zwar finden sich auf der Homepage auch die oben angesprochenen Hinweise auf Argumente der Gegner. Allerdings wird auch hier nicht bereits aus der Startseite sichtbar, dass es Gegenargumente gibt, sondern das Bild (Banner) wirkt zunächst plakativ so, als gebe es nur ein Ja für das das Projekt, sonst nichts.
80 
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, jene über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils (insgesamt, nicht allein wegen der Kosten) gegen Sicherheitsleistung aus §§ 167 Abs. 1 VwGO, 709 ZPO. Bei der Höhe der Sicherheitsleistung ging die Kammer neben einer überschlägigen Berücksichtigung der vollstreckbaren gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, allerdings ohne Heranziehung der Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, mangels anderer Anhaltspunkte davon aus, dass der Beklagten zur Umsetzung der durch das Urteil ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtungen keine nennenswerten Kosten entstehen.
81 
Die Androhung des Ordnungsgeldes beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 890 Abs. 1 und 2 ZPO (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.1995 - 10 S 488/94 -, VBlBW 1995, 191). Die Kammer geht aufgrund der Regelung in § 172 VwGO, der für die dort genannten Fälle der Vollstreckung gegen eine Behörde die Festsetzung eines Zwangsgeldes bis 10.000,00 EUR ermöglicht, davon aus, dass auch für die Vollstreckung nach § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 890 Abs. 1 und 2 ZPO die Androhung eines Ordnungsgeldes gleicher Höhe in der Regel ausreicht.

Gründe

 
58 
Die Klage ist zulässig und begründet.
59 
Wird eine Industrie- und Handelskammer über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig, kann der einzelne Kammerzugehörige nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem mit einer Unterlassungsklage entgegentreten (vgl. Urteil vom 21.07.1998 - 1 C 32.97 - BVerwGE 107, 169 <174 f.> m.w.N.; Urteil vom 19.09.2000 - 1 C 29/99 - BVerwGE 112, 69-78).
60 
Die Kläger haben einen Anspruch auf Unterlassung der von ihnen beanstandeten Äußerungen und Kundgaben der Beklagten, weil diese damit ihren gesetzlichen Aufgabenbereich überschreitet und folglich ohne die erforderliche Rechtsgrundlage in die durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Position der Kläger eingreift.
61 
Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 2 Abs. 1 GG (BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 - 8 C 20/09 - BVerwGE 137, 171 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.12.2001 - 1 BvR 1806/98 - GewArch 2002, 111 ff. m.w.N.). Die Kläger haben als Pflichtmitglieder der Beklagten einen Anspruch darauf, dass die Beklagte bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten Grenzen einhält. Denn die Pflichtzugehörigkeit zu dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft und der darin liegende Eingriff in das Grundrecht der Pflichtmitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG ggf. i.V.m. Art 19 Abs. 3 GG ist allein durch die - nach der maßgeblichen Einschätzung des Gesetzgebers - im öffentlichen Interesse liegende und deshalb notwendige Wahrnehmung dieser gesetzlichen Aufgaben gerechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 19.12.1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <242 f.>). Überschreitet eine Körperschaft, deren Errichtung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist und ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung im Wesentlichen in der Repräsentation der Interessen ihrer Mitglieder findet, ihren gesetzlichen Aufgabenbereich, greift sie ohne die erforderliche Rechtsgrundlage in dieses Grundrecht ein. Jeder der Körperschaft Zugehörige kann sich gegen eine derartige rechtswidrige Ausdehnung seiner Zwangsunterworfenheit wehren, ohne dass es darauf ankäme, ob er dadurch einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder spürbaren faktischen Nachteil erleidet (BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 a.a.O.).
62 
Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Beklagte sich bei ihren Kundgaben und Äußerungen zum Bahnprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen - Ulm im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben gehalten hat, ist § 1 Abs. 1 IHKG. Danach haben die Kammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.
63 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, lässt sich diese Aufgabe als auf den Kammerbezirk bezogene Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berühren, ist diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Auch in diesen Randbereichen ist die Kompetenz der Industrie- und Handelskammer gegenüber dem Kernbereich nicht eingeschränkt. Abzugrenzen ist allerdings, was noch zum Randbereich einer zulässigen Betätigung der Industrie- und Handelskammern gehört und wo dieser Bereich verlassen wird, weil es sich um allgemeinpolitische Fragen handelt (BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O.; Urteil vom 19.09.2000 a.a.O. Rn. 24, 30).
64 
Belange der gewerblichen Wirtschaft werden nur dann wahrgenommen, wenn die Äußerung der Industrie- und Handelskammer sich auf einen Sachverhalt bezieht, der nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Industrie- und Handelskammer hat. Da eine Industrie- und Handelskammer jeweils nur die Interessen der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrnehmen darf, muss sich auch der Sachverhalt, zu dem sie sich äußert, auf die gewerbliche Wirtschaft im eigenen Bezirk konkret erkennbar auswirken. Das schließt aber nicht aus, dass sich die Kammer an Adressaten außerhalb dieses Bezirks wendet, um z.B. auf wirtschaftspolitische Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene einzuwirken (BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 31).
65 
Sämtliche von den Klägern angegriffenen Kundgaben und Äußerungen der Beklagten betreffen zwar - entgegen der schriftsätzlich dargelegten Auffassung der Kläger - deren Kompetenzbereich. Denn von dem Gesamtprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen - Ulm, auf die sich die Kundgaben und Äußerungen der Beklagten beziehen, ist die Verkehrspolitik betroffen. Diese wiederum hat im Hinblick auf die zeitlich erheblich verkürzte Anbindung des Bezirks der Beklagten an den Flughafen, die Landesmesse und Hauptbahnhof Stuttgart Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft auch im Bezirk der Beklagten.
66 
Ist thematisch der Kompetenzbereich der Beklagten eröffnet, und damit die Frage, ob sie sich zu dem Gesamtprojekt Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen - Ulm äußern darf, bejaht, ist jedoch bei der Form, die sie dabei zu wahren hat, sozusagen dem "Wie" der Äußerung, zu beachten, dass die Industrie- und Handelskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Daraus ergibt sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien, weil die den Industrie- und Handelskammern übertragene Aufgabe der Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat keine reine Interessenvertretung darstellt. Die Industrie- und Handelskammern müssen stets auf das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet sein, dürfen die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich abwägend und ausgleichend berücksichtigen und müssen als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 32 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 19.12.1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <241>).
67 
Das setzt voraus, dass die Äußerungen der Industrie- und Handelskammern sachlich sind und die notwendige Zurückhaltung wahren. Damit sind nicht nur Anforderungen an die Formulierung gestellt, was polemisch überspitzte oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegte Aussagen ausschließt; die notwendige Objektivität verlangt auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen. Da das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft Bezugspunkt der Aufgabenwahrnehmung ist und dies eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Gewerbezweige erfordert, muss eine Äußerung, die zu besonders umstrittenen Themen erfolgt, auch diese Abwägung erkennen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 33). Dieses von den Industrie- und Handelskammern gemäß § 1 Abs. 1 IHKG wahrzunehmende Gesamtinteresse ihrer Mitglieder muss unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend ermittelt werden. Es ist ein gewichtetes Ergebnis und damit weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch ihr kleinster gemeinsamer Nenner (vgl. hierzu insges. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 34).
68 
Erklärungen und Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern sind zudem nur dann zulässig, wenn sie unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen sind. Denn die Pflichtmitgliedschaft der Gewerbetreibenden in der Industrie- und Handelskammer ist nur gerechtfertigt, wenn die Kammer das durch das vorgegebene Verfahren legitimierte Gesamtinteresse wahrnimmt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG beschließt über die Angelegenheiten der Industrie- und Handelskammer die Vollversammlung, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt. Dabei kann, wie in § 3 Abs. 2 der Satzung der Beklagten geschehen, der Vollversammlung die Bestimmung der Richtlinien der Kammerarbeit und die Beschlussfassung über alle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorbehalten bleiben und darauf basierend die Entscheidung über Einzelfragen delegiert werden. Eine grundsätzliche Festlegung muss aber auf jeden Fall durch die Vollversammlung erfolgen (vgl. hierzu insges. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 35).
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Die von den Klägern angegriffenen Äußerungen und Kundgaben der Beklagten sind ungeachtet von Verfahrensfragen bereits deswegen rechtswidrig, weil sie als solche auch unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem sie stehen, oder ihrer Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O. Rn. 40), nicht das höchstmögliche Maß an Objektivität und die notwendige Sachlichkeit wahren. Sie gehen über eine bildhafte Sprache hinaus. Die von den Klägern beanstandeten Äußerungen und Kundgaben mögen einer reinen Interessenvertretung zustehen, den als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Industrie- und Handelskammern wie der Beklagten aber nicht (wie BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 a.a.O.).
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Im einzelnen gilt das Folgende:
71 
Die unter Ziffer 1 a des Klagantrags beanstandete Äußerung des Präsidenten der Beklagten, „Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“, ist schon für sich betrachtet polemisch überspitzt und auf emotionale Konfliktaustragung angelegt, ohne dass der Frage nachzugehen ist, wie es einzuschätzen wäre, dass diese Äußerung, wie von den Klägern unwidersprochen vorgetragen, auch im Zusammenhang mit der weiteren Aussage des Präsidenten gefallen sein soll „… das trifft ins Mark der Projektgegner“. Es handelt sich bei der Äußerung „Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“ nicht lediglich um eine bildhafte Sprache, wie die Beklagte meint. Nach Duden online hat ein Bollwerk u.a. die Bedeutung von Befestigung (früher) und Festung, Synonyme sind u.a. Bastei, Bastion, Befestigung, Befestigungsanlage, Befestigungswerk, Festung und Verteidigungsanlage. Die Verwendung eines Begriffs, der dem militärischen Sprachgebrauch entnommen ist, suggeriert aber die Bereitschaft zur Verteidigung des von der Beklagten befürworteten Projekts Stuttgart 21 durch ein Maß an Potenzial, das der Beklagten nach der gesetzlichen Aufgabenzuweisung jedoch nicht zukommt. Zudem wird der beschriebene Begriff „Bollwerk“ pauschal auf ganz Ulm erstreckt, ohne dass der Beklagten gesetzlich die Aufgabe zugewiesen ist, pauschal für die ganze Stadt oder ihre Bürger zu sprechen. Hinzu kommt, dass die Aussage apodiktisch eine Meinungsäußerung darstellt, ohne dabei eine Abwägung oder das Vorhandensein von Mindermeinungen erkennen zu lassen. Der Umstand, dass es sich um eine mündliche Äußerung gehandelt hat, ändert an dieser Einschätzung nichts. Die Anforderungen dafür zu verringern ist nicht möglich, weil die Kompetenzgrenzen der Beklagten für mündliche Äußerungen nicht weiter gezogen sind als sonst.
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Die unter Ziffer 1 b des Klageantrags angegriffene Äußerung „Ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker“ im Rahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Beklagten, die sich auch in einer Äußerung zur „Standortpolitik“ wiederfindet, ist inhaltlich unzutreffend und damit unsachlich. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob es ein mit der Äußerung in Bezug genommenes Sprichwort gibt. Durch die drastische Formulierung „auf dem Acker“ wird jedenfalls die Vorstellung hervorgerufen, dass die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm ohne das Teilprojekt Stuttgart 21 nicht möglich und völlig nutzlos sei. Dies ist jedoch unzutreffend, weil für die Neubaustrecke auch ohne Anbindung an den Flughafen Stuttgart und die Landesmesse eine Einschleifung in die bisherige ICE-taugliche Trasse möglich ist. Auf eine direkte Anschlussmöglichkeit kommt es nicht an.
73 
Die beanstandete Äußerung „auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest ….. sind alternative Linienführungen, beispielsweise über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar ….. Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt“ (Klageantrag 1 c) ist am Ende zu spekulativ und deswegen unsachlich, weil auch bei einer anderen Linienführung der Schnellbahntrasse nicht davon ausgegangen werden kann, dass große Teile Baden-Württembergs vom europäischen Schienennetz abgehängt werden. Die Äußerung, die entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus dem Zusammenhang gerissen entstellend verstanden werden kann, lässt damit auch das erforderliche Maß an Objektivität vermissen. Es ist nicht ersichtlich, dass bei einer Nichtverwirklichung der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm die bisherige ICE - taugliche Bahnstrecke in Wegfall geriete.
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Die mit dem Klagantrag 1 d) angegriffene, in der Stellungnahme „Standortpolitik - Argumente für Stuttgart 21 - Warum unsere Firma für das Bahnprojekt ist“ enthaltene Wendung „Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg … auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde“ wahrt nicht die der Beklagten obliegende Sachlichkeit. Denn der Begriff „Schildbürgerstreich“ hat eine abwertende Bedeutung. Mit ihm wird eine Handlung umschrieben, deren eigentlicher oder ursprünglicher Zweck in törichter Weise verfehlt wird (vgl. Duden online). „Die Schildbürger“ ist der Titel einer Sammlung von Streichen und Schwänken törichter Kleinbürger … (Meyers Großes Universallexikon). Der propagierte Verzicht des Landes Baden-Württemberg auf die für das Bahnprojekt bereitgestellten Finanzmittel von Bund und Bahn wird damit abwertend zumindest als töricht bezeichnet, was auch Relevanz für die Einschätzung der Gegner des Projekts hat. Der Kontext, in dem diese Äußerung steht, relativiert diese Einschätzung nicht. Dass die Kläger diese Äußerung der Beklagten aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch entstellt haben, vermag die Kammer entgegen der Auffassung der Beklagten nicht festzustellen. Auch bezieht sich die angegriffene Äußerung auf ganz Baden-Württemberg und betrifft damit nicht mehr den Aufgabenbereich der Beklagten, nachdem keine Verknüpfung zu wirtschaftlichen Belangen speziell in ihrem Bezirk erkennbar ist.
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Die unter der Rubrik „Standortpolitik“ getätigte Äußerung der Beklagten zu „Auswirkungen des Bahnprojekts Stuttgart 21/Neubaustrecke Wendlingen-Ulm auf die Erreichbarkeit und die Wirtschaft der einzelnen Kreise in Baden-Württemberg, in der u.a. ausgeführt ist „… ein Scheitern von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm würde die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen“ (Klagantrag 1 e), ist polemisch überspitzt und unsachlich. Denn zum einen werden auch in der parlamentarischen Demokratie planfestgestellte und gerichtlich rechtskräftig überprüfte Vorhaben noch politisch in Frage gestellt. Dies zeigt die derzeitige landespolitische Situation in Baden-Württemberg, wo nach dem Beschluss des Landtags die Bürgerinnen und Bürger am 27. November in einer Volksabstimmung über ein „S21-Kündigungsgesetz“ entscheiden sollen. Zum anderen sind noch nicht für alle Abschnitte der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm die Planfeststellungsverfahren abgeschlossen. Solange dies nicht der Fall ist und Beteiligungsrechte im Verfahren wahrgenommen werden können, erscheinen selbst bei einer von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angesprochenen weitgehenden Determinierung der Linienführung der Bahntrasse auch politische Aktivitäten und Aktionen weder illegal, illegitim oder für eine parlamentarische Demokratie systemfremd. Auch hier relativiert der Kontext, in dem die Äußerung steht, die dargelegte Einschätzung nicht.
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Die in dem Beitrag auf der Homepage der Beklagten zu dem Thema „Argumente der Gegner“ „Sind die Gegenargumente korrekt?“ in der Einleitung u.a. enthaltene Äußerung „Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind“ (Klagantrag 1 f) ist der Beklagten zu untersagen, weil sie zu apodiktisch und polemisch ist und den Projektgegnern zu undifferenziert mangelnde Sachkenntnis vorhält. Ferner ist sie auf emotionale Konfliktaustragung angelegt. Ob die Sachkenntnis der Bevölkerung durch das Schlichtungsverfahren gestiegen ist, ist unerheblich. Der Kontext, in dem die Äußerung steht, führt auch hier zu keiner anderen Einschätzung. Der der angegriffenen Äußerung vorausgehende Satz „Umweltschützer, Bürgerinitiativen und Politiker der Grünen laufen Sturm gegen das Projekt“ ist eher geeignet, auch diese Personen in die Nähe der nicht ausreichend Informierten zu rücken, als zu erklären oder zu relativieren. Aus dem Kontext, der zwar neben Kommentaren zu einzelnen umstrittenen Fragen auch Fakten nennt, folgt keine Relativierung der zu beanstandenden Aussage. Zwar mag es durchaus zutreffen, dass von den Projektgegnern eine erhebliche Anzahl nur eine lückenhafte Sachkenntnis über das Gesamtprojekt und deren Folgewirkungen besitzen. Bereits nicht gewiss ist aber, ob sich gerade solche Personen lautstark gegen das Projekt aussprechen. Jedenfalls wird ohne weiter zu differenzieren der Eindruck vermittelt, dass sich lautstark oder engagiert gegen das Gesamtprojekt einsetzende Personen dies ohne ausreichende Sachkenntnis tun. Obwohl naheliegend, ob dasselbe nicht auch für die Befürworter des Gesamtprojekts gilt, d.h. auch diese nicht über ausreichende Sachkenntnis verfügen, verhalten sich die Äußerungen der Beklagten hierzu jedoch nicht. Dies wäre aber im Hinblick auf das bei Äußerungen von der Beklagten zu beachtende höchstmögliche Maß an Objektivität geboten gewesen. Die Beklagte vermittelt daher mit ihrer Äußerung in unzulässiger Weise den Eindruck, die Haltung zu dem Gesamtprojekt beruhe bei den meisten engagierten Projektgegnern auf unzureichender Sachkenntnis, ohne dies im Kontext - bezogen auf diese Personen - zu erklären.
77 
Für das am Verwaltungsgebäude der Beklagten angebrachte farbige, ca. 100 m² große Plakat mit u.a. den Worten „Allerhöchste Eisenbahn!“ und „JA!“ „Unsere Zukunft braucht die ICE-Strecke mit Stuttgart 21“ sowie dem Hinweis „www.....de“ (Klagantrag 2 a) gilt in gleicher Weise wie für das in die Homepage (Startseite) bzw. die Internetseite der Beklagten eingestellte Banner, das wie das Plakat am Verwaltungsgebäude der Beklagten den vorderen Teil eines ICE zeigt, ferner neben dem Logo der Beklagten die Worte „Allerhöchste Eisenbahn! JA zur Bahnstrecke und zu S 21“ enthält, dass diese Kundgaben schon nach ihrer Form nicht die erforderliche Sachlichkeit und Zurückhaltung wahren, weil sie zu apodiktisch parteiergreifend für das Projekt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.2010 a.a.O., Rn. 40). Die notwendige Differenzierung und Zurückhaltung sowie die Darstellung von Minderheitspositionen ist zu vermissen.
78 
Beim Plakat reicht dabei der Hinweis auf die Internetseite der Beklagten nicht aus, denn es ist nur die Startseite der Homepage der IHK Ulm angegeben, nicht direkt die Gegenüberstellung von Argumenten. Nach der Stellung auf dem Plakat wird auch nicht hinreichend deutlich, dass man die Gegenargumente auf dieser Homepage findet, denn die Internetadresse ist unter dem eindeutigen Statement für Stuttgart 21 positioniert, sodass ein Betrachter eher erwarten kann, die wiedergegebene Ansicht dort weiter ausgeführt zu finden. Zudem ist auf der Homepage nach der Darlegung der Beklagten zwar ein Dokument mit dem Titel „Gegenargumente zu Stuttgart 21 – sind diese Argumente korrekt?“ zu finden. Für eine objektive Information erscheint dies aber nicht ausreichend, weil schon der Dokumententitel eher auf eine kritische Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten zu Stuttgart 21 hindeutet. Der Umstand, dass ein Plakat naturgemäß nur wenig Platz bietet und für die Darstellung unterschiedlicher Meinungen daher nicht geeignet ist, kann dabei keine Rolle spielen, denn sonst könnte der Grundrechtschutz der Pflichtmitglieder damit unterlaufen werden. Konsequenz ist daher nicht, dass der Maßstab für die Beurteilung der Äußerungen der Kammern bei einem Plakat herabgesetzt werden kann. Vielmehr ist es der Beklagten, wenn dieses Kommunikationsmittel ihrem Auftrag nicht gerecht wird, verwehrt, es einzusetzen (s. dazu auch VG Stuttgart, Urteil vom 17.04.2011 - 4 K 5039/10 - Juris).
79 
In gleicher Weise einseitig und undifferenziert ist das Bild auf der Homepage (Startseite) der Beklagten (Klagantrag 2 b). Zwar finden sich auf der Homepage auch die oben angesprochenen Hinweise auf Argumente der Gegner. Allerdings wird auch hier nicht bereits aus der Startseite sichtbar, dass es Gegenargumente gibt, sondern das Bild (Banner) wirkt zunächst plakativ so, als gebe es nur ein Ja für das das Projekt, sonst nichts.
80 
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, jene über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils (insgesamt, nicht allein wegen der Kosten) gegen Sicherheitsleistung aus §§ 167 Abs. 1 VwGO, 709 ZPO. Bei der Höhe der Sicherheitsleistung ging die Kammer neben einer überschlägigen Berücksichtigung der vollstreckbaren gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, allerdings ohne Heranziehung der Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, mangels anderer Anhaltspunkte davon aus, dass der Beklagten zur Umsetzung der durch das Urteil ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtungen keine nennenswerten Kosten entstehen.
81 
Die Androhung des Ordnungsgeldes beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 890 Abs. 1 und 2 ZPO (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.1995 - 10 S 488/94 -, VBlBW 1995, 191). Die Kammer geht aufgrund der Regelung in § 172 VwGO, der für die dort genannten Fälle der Vollstreckung gegen eine Behörde die Festsetzung eines Zwangsgeldes bis 10.000,00 EUR ermöglicht, davon aus, dass auch für die Vollstreckung nach § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 890 Abs. 1 und 2 ZPO die Androhung eines Ordnungsgeldes gleicher Höhe in der Regel ausreicht.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 12. Okt. 2011 - 1 K 3870/10

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 12. Okt. 2011 - 1 K 3870/10

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver
Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 12. Okt. 2011 - 1 K 3870/10 zitiert 10 §§.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 2 Höhe der Vergütung


(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert). (2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1

Zivilprozessordnung - ZPO | § 890 Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen


(1) Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 172


Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen

Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern - IHKG | § 1


(1) Die Industrie- und Handelskammern haben, soweit nicht die Zuständigkeit der Organisationen des Handwerks nach Maßgabe der Handwerksordnung oder die Zuständigkeit der Kammern der freien Berufe in Bezug auf die Berufspflichten ihrer Mitglieder gege

Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern - IHKG | § 4


(1) Die Organe der Industrie- und Handelskammer sind 1. die Vollversammlung,2. das Präsidium,3. der Präsident,4. der Hauptgeschäftsführer und5. der Berufsbildungsausschuss im Rahmen der in § 79 Berufsbildungsgesetz genannten Aufgaben. (2) Über di

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Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 12. Okt. 2011 - 1 K 3870/10 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 12. Okt. 2011 - 1 K 3870/10 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 23. Juni 2010 - 8 C 20/09

bei uns veröffentlicht am 23.06.2010

Tatbestand 1 Die klagende GmbH betreibt ein Reisebüro und ist Mitglied in der beklagten Industrie- und Handelskammer. Sie wendet sich gegen Erklärungen und Stellungnahme
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 12. Okt. 2011 - 1 K 3870/10.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 03. Nov. 2011 - 6 S 2904/11

bei uns veröffentlicht am 03.11.2011

Tenor Das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 12. Oktober 2011 - 1 K 3870/10 - wird unter Abänderung seines Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit lediglich hinsichtlich der Verfahrenskosten gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe vo

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Die klagende GmbH betreibt ein Reisebüro und ist Mitglied in der beklagten Industrie- und Handelskammer. Sie wendet sich gegen Erklärungen und Stellungnahmen der Beklagten, weil diese damit ein allgemeinpolitisches Mandat für sich in Anspruch nehme.

2

Anfang September 2004 veröffentlichte die "Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern" (im Folgenden: AG IHKn), in der auch die Beklagte Mitglied ist, das in der Plenarversammlung der AG IHKn vom 15. Juni 2004 von den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführern der Industrie- und Handelskammern verabschiedete Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen". Es richtete sich nach dem Vorwort mit konkreten Forderungen in sechs Handlungsfeldern, nämlich in der Bildungs- und Forschungspolitik, der Umwelt- und Energiepolitik, der Verkehrspolitik sowie der Raumordnungs- und Planungspolitik, an die hessische Landesregierung; ihm war die sog. "Limburger Erklärung" als thesenartige Zusammenfassung vorangestellt.

3

Die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers teilte die Beklagte dem Geschäftsführer der Klägerin unter dem 2. September 2004 mit. Er wandte sich gegen diese "allgemeinpolitischen Äußerungen", die zudem ohne kammerinterne Legitimation erfolgt seien und die "Bandbreite der unterschiedlichen Interessen der in der IHK zwangsvereinigten Mitgliedsunternehmen" nicht abdeckten, und forderte die Unterlassung jeder Aktivität und Finanzierung im Zusammenhang mit dem Grundsatzpapier sowie die Tilgung von Hinweisen auf die Beklagte.

4

Nachdem die Beklagte dies abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 15. September 2004 Klage erhoben, die zunächst auf die Feststellung gerichtet war, dass die Veröffentlichung und Verbreitung der "Limburger Erklärung" und insbesondere des Grundsatzpapiers "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" die Rechte der Klägerin als Mitglied der Beklagten und die Rechte ihres Geschäftsführers als Mitglied der Vollversammlung der Beklagten verletzten und daher zu unterlassen seien. Zur Begründung hat sie insbesondere vorgetragen, das Grundsatzpapier sei von der AG IHKn ohne Ermächtigung der Vollversammlung der Beklagten veröffentlicht worden. Die Beklagte entfalte in unzulässiger Weise allgemeinpolitische Aktivitäten ohne regionalen Bezug, die sie auch zukünftig fortzusetzen gedenke. Sie überschreite damit ihre in § 1 IHKG geregelten Kompetenzen.

5

Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren sinngemäß beantragt, der Beklagten bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes die Abgabe bestimmter, von der Klägerin im Einzelnen aufgeführter Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" vom 15. Juni 2004 zu untersagen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zu ihrem Aufgabenbereich gehöre auch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die in der "Limburger Erklärung" getroffenen Aussagen seien nicht allgemeinpolitischer Natur, weil sie die Förderung der gewerblichen Wirtschaft bezweckten.

7

Mit Urteil vom 30. Januar 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Unterlassungsklage sei zwar zulässig, weil sich einzelne Kammerzugehörige nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dagegen wehren könnten, dass eine Industrie- und Handelskammer über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig werde. Die Klage sei aber unbegründet, weil die Beklagte ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich nicht überschritten habe.

8

Zur Begründung der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung habe die Beklagte mit den streitigen Äußerungen die ihr gesetzlich zustehenden, verfassungskonform restriktiv zu interpretierenden Kompetenzen überschritten. Dass alle Fragen "irgendwie mit Wirtschaft" zu tun hätten, reiche nicht aus, um eine Kammerkompetenz zu begründen.

9

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 30. Januar 2007 aufzuheben und festzustellen, dass folgende Erklärungen in der Stellungnahme im Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" vom 15. Juni 2004 rechtswidrig gewesen sind:

1. Vorwort, Seite 7 des Grundsatzpapiers: "Darüber hinaus fordern die Industrie- und Handelskammern die Landesregierung in diesem Positionspapier auf, sich im Bundesrat vor allem für die dringend notwendigen Reformen in der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik stark zu machen.";

2. Seite 8: "Das Land braucht ein politisches Bekenntnis zur Industrie als Basis der Wertschöpfungskette.";

3. Seite 8: "Deutschland muss zu einer wirtschaftsfreundlichen und berechenbaren Steuer- und Arbeitsmarktpolitik zurückfinden.";

4. Seiten 8 und 9: Bildungspolitik: "Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen ... Der ... Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen.";

5. Seite 9: Hochschul-, Forschungs- und Technologiepolitik: "Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können.";

6. Seite 9: Umweltpolitik: "Staatlicher Normensetzung muss grundsätzlich eine Abschätzung der Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit vorausgehen. Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden.";

7. Seite 9: Umweltpolitik: "Weniger Staat durch die Stärkung der Eigenverantwortung: Das bedeutet mehr Selbst- bzw. Marktregulierung und mehr Selbstverantwortung und -überwachung.";

8. Seite 10: Energiepolitik: "Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden.";

9. Seite 10: Energiepolitik: "Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen.";

10. Seite 10: Verkehrspolitik: "Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden."

10

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

11

Die Industrie- und Handelskammern seien Organisationen der Selbstverwaltung, denen die Interessenvertretung für die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft obliege. Dabei nähmen sie auch zu Maßnahmen der Regierung Stellung und partizipierten am demokratischen Willensbildungsprozess von unten. Wegen der Verflechtung der Wirtschaft mit anderen Politikbereichen könnten die Industrie- und Handelskammern ihre gesetzliche Aufgabe nur wahrnehmen, wenn sie sich zu allen Bereichen äußern dürften, die sich auf die Interessen der gewerblichen Wirtschaft auswirkten, also auch zu den Bereichen der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Familien- und Kulturpolitik.

12

Mit Urteil vom 5. Februar 2009 hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und festgestellt, dass die Abgabe der in Nummern 4, 5, 8, 9 und in Satz 2 der Nummer 6 des Klageantrags wiedergegebenen Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juli 2004 (richtig: Juni) rechtswidrig gewesen ist. Die Klage sei in ihrer umgestellten Form als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO sachgerecht und zulässig. Die Beklagte habe durch die im Tenor näher bezeichneten Erklärungen und Stellungnahmen ihren Aufgabenbereich überschritten und dadurch Rechte der Klägerin verletzt. Zwar dürfe die Beklagte sich grundsätzlich an der überregionalen AG IHKn beteiligen und an der Erstellung und Veröffentlichung dieses Grundsatzpapiers mitwirken. Die im Tenor aufgeführten Stellungnahmen und Forderungen überschritten aber den der Beklagten in § 1 Abs. 1 IHKG gesetzlich zugewiesenen allgemeinen Aufgaben- und Befugnisbereich. Die vom Bundesverwaltungsgericht zunächst sehr weit gefasste Beschreibung der allgemeinen Kompetenzzuweisung enthalte die Einschränkung, dass es den Industrie- und Handelskammern in solchen Bereichen, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft "nur am Rande berührt" seien, nicht uneingeschränkt, sondern nur "grundsätzlich" gestattet sei, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Deren Kompetenzbereich sei danach bei einer unmittelbaren spezifischen Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft, also im Kernbereich der Wirtschaftspolitik, uneingeschränkt eröffnet. Soweit Belange der gewerblichen Wirtschaft dagegen durch "ressortfremde" Aufgaben oder Handlungsfelder nur am Rande berührt würden, könne das nicht das Einfallstor für eine unbeschränkte Befassungskompetenz in derartigen sachfremden Bereichen sein. Je "ressortferner" eine öffentliche Angelegenheit sei, je geringer und je mittelbarer sie gewerbliche Belange nur am Rande berühre, je weniger es sich um sog. "harte" und je mehr es sich um sog. "weiche" Standortfaktoren handele, umso stärker würden der zulässige Umfang und das zulässige Gewicht der Betätigung der Industrie- und Handelskammern begrenzt. In den "fremden" Bereichen, wie etwa Schul-, Bildungs-, Familien- oder Kulturpolitik fehle ihnen für konkrete und ins Einzelne gehende Lösungsvorschläge oder Forderungen, die in der Regel eine Abwägung auch mit anderen als mit wirtschaftlichen Belangen voraussetzten, typischerweise sowohl die Sachkompetenz als auch eine auf der Bündelung von Mitgliederinteressen beruhende Legitimation.

13

Gegen das Urteil haben beide Parteien die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt, die Klägerin beschränkt mit dem Antrag,

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel vom 5. Februar 2009 insoweit abzuändern, als festgestellt wird, dass auch die in Nummer 10 des Klageantrags wiedergegebene Erklärung und Stellungnahme im Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juli (richtig: Juni) 2004 rechtswidrig gewesen ist.

14

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, hält aber die Äußerung "Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden" für unzulässig. Das angefochtene Urteil verletze insoweit ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem IHKG.

15

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 2009 - 8 A 1559/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen sowie

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Das Berufungsurteil verletze § 1 Abs. 1 IHKG. Sämtliche beanstandeten Aussagen seien durch diese Vorschrift gedeckt.

17

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

18

Die Revisionen sind zulässig, die der Klägerin ist auch begründet. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht und stellt sich nur teilweise aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

19

Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings rechtsfehlerfrei die Zulässigkeit der Klage bejaht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <71> = Buchholz 451.09 IHKG Nr. 15 S. 3 m.w.N.) ist die Feststellungsklage zulässig und insbesondere nicht gemäß § 43 Abs. 2 VwGO subsidiär gegenüber einer Unterlassungsklage. Das rechtliche Interesse der Klägerin an der Feststellung ergibt sich aus der zur Wahrung ihrer Rechte erforderlichen Abgrenzung dessen, was sie als Pflichtmitglied der Beklagten an Meinungsäußerungen der Körperschaft hinnehmen muss und was ihre allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

20

Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte sich zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach § 1 Abs. 1 IHKG an der überregionalen Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern beteiligen und an der Erstellung und Veröffentlichung von Stellungnahmen dieser AG IHKn mitwirken durfte. Voraussetzung ist, dass sie damit das Gesamtinteresse der Mitglieder ihres Bezirks wahrnimmt. Da dieses in seinen Auswirkungen nicht auf den Bezirk beschränkt ist, kann die Beklagte auch gegenüber Institutionen außerhalb ihres Bezirks tätig werden. Wenn sie der Auffassung ist, dass dies wirkungsvoller geschehen kann, wenn sie sich überregional mit anderen Industrie- und Handelskammern organisiert, ist ihr das nicht verwehrt. Entscheidend ist aber, dass durch einen solchen Zusammenschluss die Kompetenzen der Beklagten nicht erweitert werden. Auch im Rahmen der AG IHKn darf sie nur die Aufgaben wahrnehmen, zu denen sie durch § 1 Abs. 1 IHKG ermächtigt ist (vgl. dazu auch Möllering, WiVerw 2001, 25 <54 f.>; Jahn, GewArch 2009, 434 <438>). Zudem muss sie das ihr vom IHKG und von ihrer eigenen Satzung dafür vorgegebene Verfahren einhalten.

21

Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - GewArch 2002, 111 ff. m.w.N.). Die Klägerin hat als Pflichtmitglied der Beklagten einen Anspruch darauf, dass die Beklagte bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten Grenzen einhält. Denn die Pflichtzugehörigkeit zu dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft und der darin liegende Eingriff in das Grundrecht der Pflichtmitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG ist allein durch die - nach der maßgeblichen Einschätzung des Gesetzgebers - im öffentlichen Interesse liegende und deshalb notwendige Wahrnehmung dieser gesetzlichen Aufgaben gerechtfertigt (Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <242 f.>).

22

Zwangsverbände sind nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist. Legitime öffentliche Aufgaben sind solche, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss. Bei der Einschätzung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt dem Staat ein weites Ermessen zu (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 a.a.O. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 71 f. bzw. S. 3 f. m.w.N.).

23

Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Beklagte sich bei der Veröffentlichung des Grundsatzpapiers "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben gehalten hat, ist § 1 Abs. 1 IHKG. Danach haben die Kammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.

24

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich diese Aufgabe als auf den Kammerbezirk bezogene Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berühren, ist diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen (Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 74 bzw. S. 5 f.).

25

Aus dieser Umschreibung hat das Berufungsgericht geschlossen, dass der Kompetenzbereich der Industrie- und Handelskammern bei einer unmittelbaren spezifischen Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft, also im Kernbereich der Wirtschaftspolitik, uneingeschränkt eröffnet sei. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

26

Soweit Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, interpretiert das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach in diesem Bereich den Industrie- und Handelskammern "grundsätzlich" gestattet ist, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen, dahingehend, dass hier der Kompetenzbereich der Kammern geringer sei, also das Wort "grundsätzlich" eine Einschränkung der Kompetenz zum Ausdruck bringe. Als rechtlichen Maßstab für die Abgrenzung des Aufgabenbereichs hat es dabei die mit dem Begriff der "Ressortnähe" veranschaulichte (Un-)Mittelbarkeit der Berührung gewerblicher Belange und die Frage, ob es sich um "harte" oder "weiche" Standortfaktoren handele, gewählt. Dieser Maßstab hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

27

Das Kriterium der Ressortnähe ist schon deshalb im Ausgangspunkt wegen seines naheliegenden Bezugs zur landesrechtlichen Organisation und der unter diesem Gesichtspunkt zufälligen Einteilung der jeweiligen Landesministerien missverständlich und, soweit dieser Bezug beabsichtigt war, unpräzise und darum ungeeignet.

28

Da streitig nicht der Kernbereich, sondern die Abgrenzung der Aufgaben in dem Bereich ist, in dem Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt werden, ist auch das Kriterium der Unmittelbarkeit der Berührung zur Abgrenzung nicht geeignet. Denn fraglich ist gerade, was noch "am Rande" liegt und welcher Aufgabenbereich nicht mehr dazu gehört.

29

Die Differenzierung nach "harten" oder "weichen" Standortfaktoren ist ebenfalls nicht praktikabel. Standortfaktoren, also die für die Wahl und Beibehaltung eines Unternehmensstandorts maßgeblichen Kriterien, sind für die gewerbliche Wirtschaft zwar zweifellos sehr relevante und damit auch in ihrem Interesse liegende Entscheidungsgrundlagen. Was aber "harte" und was "weiche" Standortfaktoren sind, ist inhaltlich unbestimmt und branchenmäßig sehr unterschiedlich. Als Begrenzung des Aufgabenbereichs der Industrie- und Handelskammer ist dieses Kriterium deshalb nicht geeignet.

30

Das Berufungsgericht geht auch zu Unrecht davon aus, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Zuständigkeit der Industrie- und Handelskammern "grundsätzlich" auch dort besteht, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 74 bzw. S. 5 f.), als Einschränkung ihres Kompetenzbereichs zu verstehen ist. Vielmehr bringt diese Rechtsprechung zum Ausdruck, dass selbst in Bereichen, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, den Industrie- und Handelskammern - die Zuständigkeit im Kernbereich erweiternd - gestattet ist, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Auch in diesen Randbereichen ist die Kompetenz der Industrie- und Handelskammer gegenüber dem Kernbereich nicht eingeschränkt. Abzugrenzen ist allerdings, was noch zum Randbereich einer zulässigen Betätigung der Industrie- und Handelskammern gehört und wo dieser Bereich verlassen wird, weil es sich um allgemeinpolitische Fragen handelt.

31

Diese Grenze ist nicht erst dann überschritten, wenn Erklärungen ohne jeden wirtschaftlichen Bezug zum Gesamtinteresse der Kammermitglieder abgegeben werden. Es reicht zur Begründung der Kompetenz nicht aus, dass die Auswirkungen einer politischen Entscheidung in irgendeiner weiteren Konsequenz auch die Wirtschaft berühren können. Vielmehr werden nur dann Belange der gewerblichen Wirtschaft wahrgenommen, wenn die Äußerung der Industrie- und Handelskammer sich auf einen Sachverhalt bezieht, der nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Industrie- und Handelskammer hat. Ergeben sich diese nachvollziehbaren Auswirkungen nicht unmittelbar aus der Äußerung selbst, können sie sich auch aus ihrer Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben. Da eine Industrie- und Handelskammer jeweils nur die Interessen der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrnehmen darf, muss sich auch der Sachverhalt, zu dem sie sich äußert, auf die gewerbliche Wirtschaft im eigenen Bezirk konkret erkennbar auswirken. Das schließt aber nicht aus, dass sich die Kammer an Adressaten außerhalb dieses Bezirks wendet, um z.B. auf wirtschaftspolitische Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene einzuwirken.

32

Ist thematisch der Kompetenzbereich der Industrie- und Handelskammer eröffnet, und damit die Frage, ob sie sich zu einem bestimmten Sachverhalt äußern darf, bejaht, ist bei der Form, die sie dabei zu wahren hat, sozusagen dem "Wie" der Äußerung, zu beachten, dass die Industrie- und Handelskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Daraus ergibt sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1981 - BVerwG 5 C 56.79 - BVerwGE 64, 298 <305> = Buchholz 430.1 Kammerrecht Nr. 8 S. 16 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt auch die den Industrie- und Handelskammern übertragene Aufgabe der Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat keine reine Interessenvertretung dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <241>). Sie müssen stets auf das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet sein und dürfen die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich abwägend und ausgleichend berücksichtigen. Es ist ihnen die gesetzliche Verantwortung dafür auferlegt, dass sie im Rahmen ihrer Aufgabe, die gewerbliche Wirtschaft im Ganzen zu fördern, als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen (BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 a.a.O. S. 241).

33

Das setzt voraus, dass die Äußerungen der Industrie- und Handelskammern sachlich sind und die notwendige Zurückhaltung wahren. Damit sind nicht nur Anforderungen an die Formulierung gestellt, was polemisch überspitzte oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegte Aussagen ausschließt; die notwendige Objektivität verlangt auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen. Da das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft Bezugspunkt der Aufgabenwahrnehmung ist und dies eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Gewerbezweige erfordert, muss eine Äußerung, die zu besonders umstrittenen Themen erfolgt, auch diese Abwägung erkennen lassen.

34

Dieses von den Industrie- und Handelskammern gemäß § 1 Abs. 1 IHKG wahrzunehmende Gesamtinteresse ihrer Mitglieder muss unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend ermittelt werden. Es ist ein gewichtetes Ergebnis und damit weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch ihr kleinster gemeinsamer Nenner. Seine Ermittlung obliegt primär der Vollversammlung, deren Mitglieder gemäß § 5 IHKG unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks und der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Gewerbegruppen gewählt werden.

35

Erklärungen und Stellungnahmen der IHK sind zudem nur dann zulässig, wenn sie unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen sind. Denn die Pflichtmitgliedschaft der Gewerbetreibenden in der Industrie- und Handelskammer ist nur gerechtfertigt, wenn die Kammer das durch das vorgegebene Verfahren legitimierte Gesamtinteresse wahrnimmt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG beschließt über die Angelegenheiten der Industrie- und Handelskammer die Vollversammlung, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt. Dabei kann, wie in § 2 Abs. 2 der Satzung der Beklagten geschehen, der Vollversammlung die Bestimmung der Richtlinien der Kammerarbeit und die Beschlussfassung über alle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorbehalten bleiben und darauf basierend die Entscheidung über Einzelfragen delegiert werden. Eine grundsätzliche Festlegung muss aber auf jeden Fall durch die Vollversammlung erfolgen.

36

Für die im Revisionsverfahren noch umstrittenen Äußerungen ergibt sich daraus:

Die unter Nr. 4 des Klageantrags angeführte, vom Berufungsgericht beanstandete Aussage: "Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen ... Der ... Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen." lässt hinsichtlich ihres Satzes 1 keine nachvollziehbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen. Auch die Begründungen "Der Industriestandort Hessen braucht exzellent ausgebildetes Humankapital." (S. 25 des Grundsatzpapiers) oder "Vor diesem Hintergrund erwartet die hessische Wirtschaft, dass in Kürze Kerncurricula eingeführt werden, in denen sozialen und methodischen Kompetenzen ein stärkeres Gewicht eingeräumt wird. Die Entschlackung der Lehrpläne lässt Raum zur intensiven Vermittlung der von der Industrie erwarteten Kompetenzen und Arbeitstechniken." (S. 26 des Grundsatzpapiers) oder auch "Die bundesweite Einführung des 12-jährigen Abiturs und die Diskussion über neue Arbeitszeitregelungen für Lehrerinnen und Lehrer sollte dafür genutzt werden, eine Reduzierung der unterrichtsfreien Zeit von 12 auf 9 Wochen vorzunehmen." (S. 27 des Grundsatzpapiers) betreffen nicht Belange der gewerblichen Wirtschaft im dargelegten Sinne. Die Forderung der "Limburger Erklärung" befasst sich nicht mit berufsbildenden, sondern mit den allgemeinbildenden Schulen. Auch die Begründung führt nur allgemeine bildungspolitische Argumente an. Dass diese letztlich auch für die Wirtschaft von Belang sind, reicht nicht aus, um eine Kompetenz der Industrie- und Handelskammer zu begründen.

37

Demgegenüber ergibt sich aus der Begründung zu Satz 2 der Forderung, die Ganztagsbetreuung auszubauen, dass dies ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist und dem Wunsch der hessischen Wirtschaft entspricht, dem großen Potenzial von gut ausgebildeten Frauen bessere Beschäftigungsperspektiven zu erschließen. Daraus ergeben sich unmittelbar nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten.

38

Die unter Nr. 5 des Klageantrags benannte Forderung "Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können." lässt dagegen keine nachvollziehbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen und übersteigt deshalb ihren Kompetenzbereich. Auch die Begründung legt keinen Bezug zur Wirtschaft dar. Sie beschäftigt sich vielmehr mit der hochschulinternen Organisation, den vermeintlich erforderlichen Änderungen im Dienst- und Besoldungsrecht und der Forderung nach der Einführung von Studiengebühren, deren unmittelbare Bedeutung für die Wirtschaft aber nicht deutlich wird. Der Hinweis des Bevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf Kooperationen zwischen den Hochschulen und der Wirtschaft führt zu keiner anderen Beurteilung. Dass die Leitlinie der Hochschulpolitik darin besteht, auch Wirtschaftsvertreter in Hochschulgremien aufzunehmen, mag dazu geführt haben, dass eine engere Verknüpfung zwischen den Hochschulen und den Industrie- und Handelskammern entstanden ist. Eine Kompetenz, deshalb zu hochschulinternen Mitarbeiterfragen Stellung zu nehmen, ist daraus aber ebenso wenig ableitbar wie die Forderung nach Studiengebühren.

39

Aus der unter Nr. 6 des Klageantrags aufgeführten Forderung ist Gegenstand des Revisionsverfahrens nur noch der Satz "Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden." Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bezieht er sich auf einen Sachverhalt, der nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft erkennen lässt. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der zitierten Forderung, aber aus der in dem Grundsatzpapier (S. 34) enthaltenen Begründung. Danach würde die Einführung von REACH für die gesamte Breite der Produktverarbeitung zu erheblichen zusätzlichen Kosten führen und Arbeitsplätze gefährden. Deshalb ist dies thematisch ein Bereich, zu dem sich die Beklagte äußern durfte.

40

Allerdings wahrt die Form, die die "Limburger Erklärung" für diese Äußerung gewählt hat, nicht die erforderliche Sachlichkeit und Zurückhaltung. Das ergibt sich schon aus der apodiktischen Formulierung der Forderung "Vorhaben ... müssen ... verhindert werden" und wird noch verstärkt in der Begründung, der zufolge die Forderung erhoben wird, dass "dieser Wahnsinn noch gestoppt wird". Da die Frage, ob eine Äußerung der Industrie- und Handelskammer das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lässt, nur aus dem Kontext der Forderung beurteilt werden kann, muss auch hier die Begründung mit herangezogen werden. Formulierungen dieser Art mögen einer reinen Interessenvertretung zustehen, den als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Industrie- und Handelskammern aber nicht. Eine Legitimation dazu ergibt sich auch nicht daraus, dass nach Angaben des Hauptgeschäftsführers der Beklagten in der mündlichen Verhandlung von den Mitgliedern häufig "spitzere" Formulierungen gefordert würden. Die Beklagte muss dem im Hinblick auf ihren gesetzlichen Auftrag und den sich daraus ergebenden Grenzen entgegentreten.

41

Die unter Nr. 8 des Klageantrags aufgeführte Forderung "Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden." ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts thematisch zulässig. Die Abgabenlast und die Abhängigkeit der Wirtschaft von kostengünstiger und zuverlässiger Energieversorgung betrifft die gewerbliche Wirtschaft unmittelbar. Die Beklagte darf insoweit das Gesamtinteresse ihrer Mitglieder wahrnehmen, auch wenn Energiepolitik nicht nur wirtschafts-, sondern zum Beispiel auch umweltpolitische Fragen aufwirft.

42

Auch die unter Nr. 9 des Klageantrags aufgeführte Forderung "Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen." fällt thematisch in den Kompetenzbereich der Beklagten. Das Ziel einer Sicherung der für die Wirtschaft erforderlichen Energieversorgung lässt nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen. Die ultimative Forderung nach Kernenergie (siehe auch die Begründung: "Ausstieg aus der Kernenergie muss gestoppt werden", S. 37 des Grundsatzpapiers) wahrt aber wiederum nicht das höchstmögliche Maß an Objektivität. Da die Frage des Einsatzes von Kernenergie auch zahlreiche andere, insbesondere umweltpolitische Belange berührt, und das Thema zudem gesellschaftspolitisch sehr umstritten ist, hätte die Beklagte zu dieser Forderung auch abweichende Auffassungen und gegebenenfalls deren Auswirkungen darlegen müssen.

43

Die unter Nr. 10 des Klageantrags aufgeführte Forderung "Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden." ist thematisch nicht zu beanstanden. Er betrifft die Verkehrspolitik, die unmittelbare nachvollziehbare Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft hat. Dass der Flughafen Frankfurt am Main nicht im Bezirk der Beklagten liegt, schadet dabei nicht, weil er für die Mitglieder der Beklagten der nächstgelegene internationale Flughafen ist und ihm deshalb im Bezirk der Beklagten eine herausragende Bedeutung für die Infrastruktur zukommt. Nicht gefolgt werden kann der Klägerin in der Meinung, dass Belange der Verkehrspolitik von den Industrie- und Handelskammern schon wegen fehlender Sachkunde nicht wahrgenommen werden dürften. Die Beklagte hat, von der Klägerin unwidersprochen, vorgetragen, dass Verkehrspolitik einer der Kernbereiche der Arbeit der deutschen Industrie- und Handelskammern sei. Sie verfügen über eigene Verkehrsabteilungen, Referate und Ausschüsse.

44

Mit der Forderung, den Flughafen auf der Grundlage des Mediationsergebnisses auszubauen, hat die Beklagte auch das notwendige Maß an Objektivität gewahrt. Im Mediationsverfahren sind die divergierenden Interessen der Betroffenen bereits berücksichtigt und zu einem Ausgleich gebracht worden. Dass das dort gefundene Ergebnis auch umgesetzt wird, ist eine für das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft des Bezirks der Beklagten vertretbare Forderung.

45

Unabhängig davon stellt sich die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers und der vorangestellten "Limburger Erklärung" aber insgesamt als rechtswidrig dar, weil sie unter Verstoß gegen das vorgeschriebene Verfahren zustande gekommen ist.

46

Nach § 2 Abs. 2 der Satzung der Beklagten bestimmt die Vollversammlung die Richtlinien der Kammerarbeit und beschließt unbeschadet der §§ 58, 59 Berufsbildungsgesetz über alle Fragen, die für die gewerbliche Wirtschaft des Kammerbezirks oder die Arbeit der Kammer von grundsätzlicher Bedeutung sind. Dass es sich bei dem Grundsatzpapier um eine derartige grundsätzliche Entscheidung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG und § 2 der Satzung der Beklagten handelt, wird auch von dieser nicht in Frage gestellt. Ebenso ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass dieses Verfahren nicht eingehalten wurde. Denn das am 15. Juni 2004 von den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführern der Industrie- und Handelskammern verabschiedete Grundsatzpapier wurde erst am 12. Oktober 2004 und damit nach seiner Veröffentlichung in der Vollversammlung der Beklagten zur Abstimmung gestellt. Auch die Übersendung des Papiers an die Mitglieder der Vollversammlung erfolgte erst nach seiner Veröffentlichung Anfang September 2004.

47

Das Satzungsrecht ist zwar nicht revisibel; der Senat kann aber in Ermangelung einer Auslegung durch das Berufungsgericht die Satzung der Beklagten selbst auslegen und unter Berücksichtigung der unbestrittenen Angaben des Hauptgeschäftsführers der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass das Grundsatzpapier nicht ausschließlich als redaktionelle Zusammenfassung bereits erfolgter Resolutionen, Beschlüsse etc. der Vollversammlung angesehen werden könne, in der Sache selbst entscheiden.

48

Das Grundsatzpapier hätte nur unter Beteiligung der Vollversammlung erstellt und beschlossen werden dürfen. Das schließt nicht aus, dass die AG IHKn, in der nur die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der zusammengeschlossenen Industrie- und Handelskammern vertreten sind, ein entsprechendes Papier ausarbeitet und verabschiedet. Vor seiner Veröffentlichung hätte die Beklagte, die sich dieses Papier auch zurechnen lassen will und muss, dazu aber eine Meinungsbildung der Vollversammlung herbeiführen und eine Zustimmung einholen müssen.

49

Zwar ist es möglich, dass, wenn die Vollversammlung zu einzelnen Fragen grundsätzliche Entscheidungen bereits getroffen und damit das Gesamtinteresse bestimmt hat, sich daraus ergebende Äußerungen oder Stellungnahmen auch auf die anderen Gremien der Beklagten delegiert werden dürfen. Das setzt aber die vorangegangene Befassung durch die Vollversammlung und die damit verbundene inhaltliche Vorgabe voraus. Handelt es sich, wie hier, um ein die wesentlichen Politikbereiche abdeckendes Grundsatzpapier, muss die Vollversammlung insgesamt darüber befinden. Da hier zumindest einige der streitigen Punkte nach den Angaben der Beklagten nicht vorher von der Vollversammlung verabschiedet waren, ist das Grundsatzpapier in seiner Gesamtheit fehlerhaft zustande gekommen und rechtswidrig.

50

Eine nachträgliche Genehmigung, wie sie das Verwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des § 185 BGB für möglich gehalten hat, reicht nicht aus. Der gesetzliche Auftrag der Beklagten bezieht sich auf die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft in ihrem Bezirk. Dieses Gesamtinteresse kann nur von der Vollversammlung definiert, nicht aber nachträglich von ihr genehmigt werden. Kommt es ungeachtet dessen zur Veröffentlichung des ohne Beteiligung der Vollversammlung erstellten Grundsatzpapiers, liegt jedenfalls im Vorgang der Veröffentlichung eine Überschreitung der rechtlichen Befugnisse der Körperschaft und damit eine Verletzung der Rechte ihrer Pflichtmitglieder.

51

Auch eine von der Beklagten angesprochene Heilung der unterlassenen Beteiligung der Vollversammlung durch den nachträglichen Beschluss, wie es im Satzungsrecht teilweise möglich ist, kommt hier nicht in Betracht. Die Voraussetzungen und Konsequenzen sind grundlegend anders. Kommt bei einer Satzung nachträglich keine Mehrheit zur Heilung eines Verfahrensfehlers zustande, so bleibt die Satzung unwirksam. Hier liegt aber nicht nur ein Verfahrensfehler vor; die vorangegangene Veröffentlichung, der keine - materiellrechtlich notwendige - Bildung des Gesamtinteresses zugrunde lag, ist auch nachträglich nicht rückgängig zu machen. Die Vollversammlung hätte nur noch die Möglichkeit, das Handeln des Präsidenten und des Hauptgeschäftsführers zu billigen oder zu verwerfen, könnte aber ihrer Aufgabe, das Gesamtinteresse originär zu bilden, nicht mehr nachkommen.

52

Die Klägerin kann sich auf diesen Fehler berufen, obwohl nicht sie selbst, sondern ihr Geschäftsführer Mitglied der Vollversammlung ist. Mit der unterlassenen Beteiligung der Vollversammlung sind nicht nur Rechte der Mitglieder der Vollversammlung verletzt, sondern die Tätigkeit der Beklagten verstößt gegen ihren gesetzlichen Auftrag. Denn die Bildung des Gesamtinteresses durch die Vollversammlung ist Voraussetzung für die Erfüllung der materiellrechtlichen Anforderungen an die Tätigkeit der Beklagten. Das kann jedes Mitglied der Beklagten und damit auch die Klägerin geltend machen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Industrie- und Handelskammern haben, soweit nicht die Zuständigkeit der Organisationen des Handwerks nach Maßgabe der Handwerksordnung oder die Zuständigkeit der Kammern der freien Berufe in Bezug auf die Berufspflichten ihrer Mitglieder gegeben ist, die Aufgaben:

1.
das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks, einschließlich der Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft, die auch Ziele einer nachhaltigen Entwicklung umfassen kann, auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene wahrzunehmen,
2.
für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks zu wirken,
3.
für die Wahrung von Anstand und Sitte der ehrbaren Kaufleute, einschließlich deren sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung, zu wirken
und dabei stets die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Im Rahmen ihrer Aufgaben haben die Industrie- und Handelskammern insbesondere
1.
durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten,
2.
das Recht, zu den im Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden liegenden wirtschaftspolitischen Angelegenheiten ihres Bezirks in behördlichen oder gerichtlichen Verfahren sowie gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen.
Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben haben die Industrie- und Handelskammern den angemessenen Minderheitenschutz zu gewährleisten,
1.
indem im Rahmen der Kommunikation auf abweichende Positionen hingewiesen wird und
2.
abweichende Stellungnahmen in zumutbarer Form öffentlich zugänglich gemacht werden.

(2) Die Industrie- und Handelskammern können Anlagen und Einrichtungen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen sowie Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen Berufsbildung unter Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere des Berufsbildungsgesetzes, treffen.

(2a) Die Industrie- und Handelskammern können allein oder zusammen mit anderen Kammern für die gewerbliche Wirtschaft Maßnahmen zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung treffen, insbesondere Schiedsgerichte und andere Einrichtungen der alternativen Konfliktlösung begründen, unterhalten und unterstützen. § 111 Absatz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes bleibt unberührt. Die Industrie- und Handelskammern können zudem die ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks zu Fragen der Früherkennung von Unternehmenskrisen und deren Bewältigung beraten.

(3) Den Industrie- und Handelskammern obliegt die Ausstellung von Ursprungszeugnissen und anderen dem Wirtschaftsverkehr dienenden Bescheinigungen, soweit nicht Rechtsvorschriften diese Aufgaben anderen Stellen zuweisen.

(3a) Die Länder können durch Gesetz den Industrie- und Handelskammern die Aufgaben einer einheitlichen Stelle im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes übertragen. Das Gesetz regelt, welche Aufgabenbereiche von der Zuweisung erfasst sind. Dabei kann das Gesetz vorsehen, dass die Industrie- und Handelskammern auch für nicht Kammerzugehörige tätig werden. Das Gesetz regelt auch die Aufsicht.

(3b) Die Länder können den Industrie- und Handelskammern durch Gesetz ermöglichen, sich an Einrichtungen zu beteiligen, die die Aufgaben einer einheitlichen Stelle im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes erfüllen.

(4) Weitere Aufgaben können den Industrie- und Handelskammern durch Gesetz oder Rechtsverordnung übertragen werden.

(5) Nicht zu den Aufgaben nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gehören die grundrechtlich geschützten Aufgabenbereiche der Vereinigungen im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes, insbesondere die Aufgabenbereiche der Tarifpartner sowie die arbeitsgerichtliche Vertretung von Unternehmen. Zudem sind Stellungnahmen ausgeschlossen zu sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fragen, soweit diese in der ausschließlichen Entscheidungszuständigkeit der Gremien der sozialen Selbstverwaltung liegen.

(1) Die Organe der Industrie- und Handelskammer sind

1.
die Vollversammlung,
2.
das Präsidium,
3.
der Präsident,
4.
der Hauptgeschäftsführer und
5.
der Berufsbildungsausschuss im Rahmen der in § 79 Berufsbildungsgesetz genannten Aufgaben.

(2) Über die Angelegenheiten der Industrie- und Handelskammer beschließt, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt, die Vollversammlung. Der ausschließlichen Beschlußfassung durch die Vollversammlung unterliegen

1.
die Satzung,
2.
die Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung,
3.
die Feststellung des Wirtschaftsplans,
4.
die Festsetzung des Maßstabes für die Beiträge und Sonderbeiträge,
5.
die Erteilung der Entlastung,
6.
die Übertragung von Aufgaben auf andere Industrie- und Handelskammern, die Übernahme dieser Aufgaben, die Bildung von öffentlich-rechtlichen Zusammenschlüssen und die Beteiligung hieran (§ 10) sowie die Beteiligung an Einrichtungen nach § 1 Abs. 3b,
7.
die Art und Weise der öffentlichen Bekanntmachung,
8.
die Satzung gemäß § 3 Abs. 7a (Finanzstatut) und
9.
Fragen, die für die gewerbliche Wirtschaft ihres Bezirks oder die Arbeit der Industrie- und Handelskammer von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Soweit nach Satz 2 Nr. 7 die elektronische Verkündung von Satzungsrecht vorgesehen ist, hat diese im Bundesanzeiger zu erfolgen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).

(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen. Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von 250.000 Euro, die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen.

(2) Der Verurteilung muss eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Urteil nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird.

(3) Auch kann der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zur Bestellung einer Sicherheit für den durch fernere Zuwiderhandlungen entstehenden Schaden auf bestimmte Zeit verurteilt werden.

Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluß androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen. Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von 250.000 Euro, die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen.

(2) Der Verurteilung muss eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Urteil nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird.

(3) Auch kann der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zur Bestellung einer Sicherheit für den durch fernere Zuwiderhandlungen entstehenden Schaden auf bestimmte Zeit verurteilt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Die klagende GmbH betreibt ein Reisebüro und ist Mitglied in der beklagten Industrie- und Handelskammer. Sie wendet sich gegen Erklärungen und Stellungnahmen der Beklagten, weil diese damit ein allgemeinpolitisches Mandat für sich in Anspruch nehme.

2

Anfang September 2004 veröffentlichte die "Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern" (im Folgenden: AG IHKn), in der auch die Beklagte Mitglied ist, das in der Plenarversammlung der AG IHKn vom 15. Juni 2004 von den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführern der Industrie- und Handelskammern verabschiedete Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen". Es richtete sich nach dem Vorwort mit konkreten Forderungen in sechs Handlungsfeldern, nämlich in der Bildungs- und Forschungspolitik, der Umwelt- und Energiepolitik, der Verkehrspolitik sowie der Raumordnungs- und Planungspolitik, an die hessische Landesregierung; ihm war die sog. "Limburger Erklärung" als thesenartige Zusammenfassung vorangestellt.

3

Die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers teilte die Beklagte dem Geschäftsführer der Klägerin unter dem 2. September 2004 mit. Er wandte sich gegen diese "allgemeinpolitischen Äußerungen", die zudem ohne kammerinterne Legitimation erfolgt seien und die "Bandbreite der unterschiedlichen Interessen der in der IHK zwangsvereinigten Mitgliedsunternehmen" nicht abdeckten, und forderte die Unterlassung jeder Aktivität und Finanzierung im Zusammenhang mit dem Grundsatzpapier sowie die Tilgung von Hinweisen auf die Beklagte.

4

Nachdem die Beklagte dies abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 15. September 2004 Klage erhoben, die zunächst auf die Feststellung gerichtet war, dass die Veröffentlichung und Verbreitung der "Limburger Erklärung" und insbesondere des Grundsatzpapiers "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" die Rechte der Klägerin als Mitglied der Beklagten und die Rechte ihres Geschäftsführers als Mitglied der Vollversammlung der Beklagten verletzten und daher zu unterlassen seien. Zur Begründung hat sie insbesondere vorgetragen, das Grundsatzpapier sei von der AG IHKn ohne Ermächtigung der Vollversammlung der Beklagten veröffentlicht worden. Die Beklagte entfalte in unzulässiger Weise allgemeinpolitische Aktivitäten ohne regionalen Bezug, die sie auch zukünftig fortzusetzen gedenke. Sie überschreite damit ihre in § 1 IHKG geregelten Kompetenzen.

5

Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren sinngemäß beantragt, der Beklagten bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes die Abgabe bestimmter, von der Klägerin im Einzelnen aufgeführter Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" vom 15. Juni 2004 zu untersagen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zu ihrem Aufgabenbereich gehöre auch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die in der "Limburger Erklärung" getroffenen Aussagen seien nicht allgemeinpolitischer Natur, weil sie die Förderung der gewerblichen Wirtschaft bezweckten.

7

Mit Urteil vom 30. Januar 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Unterlassungsklage sei zwar zulässig, weil sich einzelne Kammerzugehörige nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dagegen wehren könnten, dass eine Industrie- und Handelskammer über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig werde. Die Klage sei aber unbegründet, weil die Beklagte ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich nicht überschritten habe.

8

Zur Begründung der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung habe die Beklagte mit den streitigen Äußerungen die ihr gesetzlich zustehenden, verfassungskonform restriktiv zu interpretierenden Kompetenzen überschritten. Dass alle Fragen "irgendwie mit Wirtschaft" zu tun hätten, reiche nicht aus, um eine Kammerkompetenz zu begründen.

9

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 30. Januar 2007 aufzuheben und festzustellen, dass folgende Erklärungen in der Stellungnahme im Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" vom 15. Juni 2004 rechtswidrig gewesen sind:

1. Vorwort, Seite 7 des Grundsatzpapiers: "Darüber hinaus fordern die Industrie- und Handelskammern die Landesregierung in diesem Positionspapier auf, sich im Bundesrat vor allem für die dringend notwendigen Reformen in der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik stark zu machen.";

2. Seite 8: "Das Land braucht ein politisches Bekenntnis zur Industrie als Basis der Wertschöpfungskette.";

3. Seite 8: "Deutschland muss zu einer wirtschaftsfreundlichen und berechenbaren Steuer- und Arbeitsmarktpolitik zurückfinden.";

4. Seiten 8 und 9: Bildungspolitik: "Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen ... Der ... Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen.";

5. Seite 9: Hochschul-, Forschungs- und Technologiepolitik: "Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können.";

6. Seite 9: Umweltpolitik: "Staatlicher Normensetzung muss grundsätzlich eine Abschätzung der Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit vorausgehen. Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden.";

7. Seite 9: Umweltpolitik: "Weniger Staat durch die Stärkung der Eigenverantwortung: Das bedeutet mehr Selbst- bzw. Marktregulierung und mehr Selbstverantwortung und -überwachung.";

8. Seite 10: Energiepolitik: "Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden.";

9. Seite 10: Energiepolitik: "Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen.";

10. Seite 10: Verkehrspolitik: "Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden."

10

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

11

Die Industrie- und Handelskammern seien Organisationen der Selbstverwaltung, denen die Interessenvertretung für die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft obliege. Dabei nähmen sie auch zu Maßnahmen der Regierung Stellung und partizipierten am demokratischen Willensbildungsprozess von unten. Wegen der Verflechtung der Wirtschaft mit anderen Politikbereichen könnten die Industrie- und Handelskammern ihre gesetzliche Aufgabe nur wahrnehmen, wenn sie sich zu allen Bereichen äußern dürften, die sich auf die Interessen der gewerblichen Wirtschaft auswirkten, also auch zu den Bereichen der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Familien- und Kulturpolitik.

12

Mit Urteil vom 5. Februar 2009 hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und festgestellt, dass die Abgabe der in Nummern 4, 5, 8, 9 und in Satz 2 der Nummer 6 des Klageantrags wiedergegebenen Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juli 2004 (richtig: Juni) rechtswidrig gewesen ist. Die Klage sei in ihrer umgestellten Form als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO sachgerecht und zulässig. Die Beklagte habe durch die im Tenor näher bezeichneten Erklärungen und Stellungnahmen ihren Aufgabenbereich überschritten und dadurch Rechte der Klägerin verletzt. Zwar dürfe die Beklagte sich grundsätzlich an der überregionalen AG IHKn beteiligen und an der Erstellung und Veröffentlichung dieses Grundsatzpapiers mitwirken. Die im Tenor aufgeführten Stellungnahmen und Forderungen überschritten aber den der Beklagten in § 1 Abs. 1 IHKG gesetzlich zugewiesenen allgemeinen Aufgaben- und Befugnisbereich. Die vom Bundesverwaltungsgericht zunächst sehr weit gefasste Beschreibung der allgemeinen Kompetenzzuweisung enthalte die Einschränkung, dass es den Industrie- und Handelskammern in solchen Bereichen, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft "nur am Rande berührt" seien, nicht uneingeschränkt, sondern nur "grundsätzlich" gestattet sei, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Deren Kompetenzbereich sei danach bei einer unmittelbaren spezifischen Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft, also im Kernbereich der Wirtschaftspolitik, uneingeschränkt eröffnet. Soweit Belange der gewerblichen Wirtschaft dagegen durch "ressortfremde" Aufgaben oder Handlungsfelder nur am Rande berührt würden, könne das nicht das Einfallstor für eine unbeschränkte Befassungskompetenz in derartigen sachfremden Bereichen sein. Je "ressortferner" eine öffentliche Angelegenheit sei, je geringer und je mittelbarer sie gewerbliche Belange nur am Rande berühre, je weniger es sich um sog. "harte" und je mehr es sich um sog. "weiche" Standortfaktoren handele, umso stärker würden der zulässige Umfang und das zulässige Gewicht der Betätigung der Industrie- und Handelskammern begrenzt. In den "fremden" Bereichen, wie etwa Schul-, Bildungs-, Familien- oder Kulturpolitik fehle ihnen für konkrete und ins Einzelne gehende Lösungsvorschläge oder Forderungen, die in der Regel eine Abwägung auch mit anderen als mit wirtschaftlichen Belangen voraussetzten, typischerweise sowohl die Sachkompetenz als auch eine auf der Bündelung von Mitgliederinteressen beruhende Legitimation.

13

Gegen das Urteil haben beide Parteien die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt, die Klägerin beschränkt mit dem Antrag,

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel vom 5. Februar 2009 insoweit abzuändern, als festgestellt wird, dass auch die in Nummer 10 des Klageantrags wiedergegebene Erklärung und Stellungnahme im Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juli (richtig: Juni) 2004 rechtswidrig gewesen ist.

14

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, hält aber die Äußerung "Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden" für unzulässig. Das angefochtene Urteil verletze insoweit ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem IHKG.

15

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 2009 - 8 A 1559/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen sowie

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Das Berufungsurteil verletze § 1 Abs. 1 IHKG. Sämtliche beanstandeten Aussagen seien durch diese Vorschrift gedeckt.

17

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

18

Die Revisionen sind zulässig, die der Klägerin ist auch begründet. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht und stellt sich nur teilweise aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

19

Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings rechtsfehlerfrei die Zulässigkeit der Klage bejaht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <71> = Buchholz 451.09 IHKG Nr. 15 S. 3 m.w.N.) ist die Feststellungsklage zulässig und insbesondere nicht gemäß § 43 Abs. 2 VwGO subsidiär gegenüber einer Unterlassungsklage. Das rechtliche Interesse der Klägerin an der Feststellung ergibt sich aus der zur Wahrung ihrer Rechte erforderlichen Abgrenzung dessen, was sie als Pflichtmitglied der Beklagten an Meinungsäußerungen der Körperschaft hinnehmen muss und was ihre allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

20

Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte sich zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach § 1 Abs. 1 IHKG an der überregionalen Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern beteiligen und an der Erstellung und Veröffentlichung von Stellungnahmen dieser AG IHKn mitwirken durfte. Voraussetzung ist, dass sie damit das Gesamtinteresse der Mitglieder ihres Bezirks wahrnimmt. Da dieses in seinen Auswirkungen nicht auf den Bezirk beschränkt ist, kann die Beklagte auch gegenüber Institutionen außerhalb ihres Bezirks tätig werden. Wenn sie der Auffassung ist, dass dies wirkungsvoller geschehen kann, wenn sie sich überregional mit anderen Industrie- und Handelskammern organisiert, ist ihr das nicht verwehrt. Entscheidend ist aber, dass durch einen solchen Zusammenschluss die Kompetenzen der Beklagten nicht erweitert werden. Auch im Rahmen der AG IHKn darf sie nur die Aufgaben wahrnehmen, zu denen sie durch § 1 Abs. 1 IHKG ermächtigt ist (vgl. dazu auch Möllering, WiVerw 2001, 25 <54 f.>; Jahn, GewArch 2009, 434 <438>). Zudem muss sie das ihr vom IHKG und von ihrer eigenen Satzung dafür vorgegebene Verfahren einhalten.

21

Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - GewArch 2002, 111 ff. m.w.N.). Die Klägerin hat als Pflichtmitglied der Beklagten einen Anspruch darauf, dass die Beklagte bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten Grenzen einhält. Denn die Pflichtzugehörigkeit zu dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft und der darin liegende Eingriff in das Grundrecht der Pflichtmitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG ist allein durch die - nach der maßgeblichen Einschätzung des Gesetzgebers - im öffentlichen Interesse liegende und deshalb notwendige Wahrnehmung dieser gesetzlichen Aufgaben gerechtfertigt (Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <242 f.>).

22

Zwangsverbände sind nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist. Legitime öffentliche Aufgaben sind solche, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss. Bei der Einschätzung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt dem Staat ein weites Ermessen zu (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 a.a.O. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 71 f. bzw. S. 3 f. m.w.N.).

23

Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Beklagte sich bei der Veröffentlichung des Grundsatzpapiers "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben gehalten hat, ist § 1 Abs. 1 IHKG. Danach haben die Kammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.

24

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich diese Aufgabe als auf den Kammerbezirk bezogene Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berühren, ist diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen (Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 74 bzw. S. 5 f.).

25

Aus dieser Umschreibung hat das Berufungsgericht geschlossen, dass der Kompetenzbereich der Industrie- und Handelskammern bei einer unmittelbaren spezifischen Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft, also im Kernbereich der Wirtschaftspolitik, uneingeschränkt eröffnet sei. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

26

Soweit Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, interpretiert das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach in diesem Bereich den Industrie- und Handelskammern "grundsätzlich" gestattet ist, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen, dahingehend, dass hier der Kompetenzbereich der Kammern geringer sei, also das Wort "grundsätzlich" eine Einschränkung der Kompetenz zum Ausdruck bringe. Als rechtlichen Maßstab für die Abgrenzung des Aufgabenbereichs hat es dabei die mit dem Begriff der "Ressortnähe" veranschaulichte (Un-)Mittelbarkeit der Berührung gewerblicher Belange und die Frage, ob es sich um "harte" oder "weiche" Standortfaktoren handele, gewählt. Dieser Maßstab hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

27

Das Kriterium der Ressortnähe ist schon deshalb im Ausgangspunkt wegen seines naheliegenden Bezugs zur landesrechtlichen Organisation und der unter diesem Gesichtspunkt zufälligen Einteilung der jeweiligen Landesministerien missverständlich und, soweit dieser Bezug beabsichtigt war, unpräzise und darum ungeeignet.

28

Da streitig nicht der Kernbereich, sondern die Abgrenzung der Aufgaben in dem Bereich ist, in dem Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt werden, ist auch das Kriterium der Unmittelbarkeit der Berührung zur Abgrenzung nicht geeignet. Denn fraglich ist gerade, was noch "am Rande" liegt und welcher Aufgabenbereich nicht mehr dazu gehört.

29

Die Differenzierung nach "harten" oder "weichen" Standortfaktoren ist ebenfalls nicht praktikabel. Standortfaktoren, also die für die Wahl und Beibehaltung eines Unternehmensstandorts maßgeblichen Kriterien, sind für die gewerbliche Wirtschaft zwar zweifellos sehr relevante und damit auch in ihrem Interesse liegende Entscheidungsgrundlagen. Was aber "harte" und was "weiche" Standortfaktoren sind, ist inhaltlich unbestimmt und branchenmäßig sehr unterschiedlich. Als Begrenzung des Aufgabenbereichs der Industrie- und Handelskammer ist dieses Kriterium deshalb nicht geeignet.

30

Das Berufungsgericht geht auch zu Unrecht davon aus, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Zuständigkeit der Industrie- und Handelskammern "grundsätzlich" auch dort besteht, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 74 bzw. S. 5 f.), als Einschränkung ihres Kompetenzbereichs zu verstehen ist. Vielmehr bringt diese Rechtsprechung zum Ausdruck, dass selbst in Bereichen, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, den Industrie- und Handelskammern - die Zuständigkeit im Kernbereich erweiternd - gestattet ist, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Auch in diesen Randbereichen ist die Kompetenz der Industrie- und Handelskammer gegenüber dem Kernbereich nicht eingeschränkt. Abzugrenzen ist allerdings, was noch zum Randbereich einer zulässigen Betätigung der Industrie- und Handelskammern gehört und wo dieser Bereich verlassen wird, weil es sich um allgemeinpolitische Fragen handelt.

31

Diese Grenze ist nicht erst dann überschritten, wenn Erklärungen ohne jeden wirtschaftlichen Bezug zum Gesamtinteresse der Kammermitglieder abgegeben werden. Es reicht zur Begründung der Kompetenz nicht aus, dass die Auswirkungen einer politischen Entscheidung in irgendeiner weiteren Konsequenz auch die Wirtschaft berühren können. Vielmehr werden nur dann Belange der gewerblichen Wirtschaft wahrgenommen, wenn die Äußerung der Industrie- und Handelskammer sich auf einen Sachverhalt bezieht, der nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Industrie- und Handelskammer hat. Ergeben sich diese nachvollziehbaren Auswirkungen nicht unmittelbar aus der Äußerung selbst, können sie sich auch aus ihrer Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben. Da eine Industrie- und Handelskammer jeweils nur die Interessen der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrnehmen darf, muss sich auch der Sachverhalt, zu dem sie sich äußert, auf die gewerbliche Wirtschaft im eigenen Bezirk konkret erkennbar auswirken. Das schließt aber nicht aus, dass sich die Kammer an Adressaten außerhalb dieses Bezirks wendet, um z.B. auf wirtschaftspolitische Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene einzuwirken.

32

Ist thematisch der Kompetenzbereich der Industrie- und Handelskammer eröffnet, und damit die Frage, ob sie sich zu einem bestimmten Sachverhalt äußern darf, bejaht, ist bei der Form, die sie dabei zu wahren hat, sozusagen dem "Wie" der Äußerung, zu beachten, dass die Industrie- und Handelskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Daraus ergibt sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1981 - BVerwG 5 C 56.79 - BVerwGE 64, 298 <305> = Buchholz 430.1 Kammerrecht Nr. 8 S. 16 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt auch die den Industrie- und Handelskammern übertragene Aufgabe der Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat keine reine Interessenvertretung dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <241>). Sie müssen stets auf das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet sein und dürfen die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich abwägend und ausgleichend berücksichtigen. Es ist ihnen die gesetzliche Verantwortung dafür auferlegt, dass sie im Rahmen ihrer Aufgabe, die gewerbliche Wirtschaft im Ganzen zu fördern, als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen (BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 a.a.O. S. 241).

33

Das setzt voraus, dass die Äußerungen der Industrie- und Handelskammern sachlich sind und die notwendige Zurückhaltung wahren. Damit sind nicht nur Anforderungen an die Formulierung gestellt, was polemisch überspitzte oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegte Aussagen ausschließt; die notwendige Objektivität verlangt auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen. Da das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft Bezugspunkt der Aufgabenwahrnehmung ist und dies eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Gewerbezweige erfordert, muss eine Äußerung, die zu besonders umstrittenen Themen erfolgt, auch diese Abwägung erkennen lassen.

34

Dieses von den Industrie- und Handelskammern gemäß § 1 Abs. 1 IHKG wahrzunehmende Gesamtinteresse ihrer Mitglieder muss unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend ermittelt werden. Es ist ein gewichtetes Ergebnis und damit weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch ihr kleinster gemeinsamer Nenner. Seine Ermittlung obliegt primär der Vollversammlung, deren Mitglieder gemäß § 5 IHKG unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks und der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Gewerbegruppen gewählt werden.

35

Erklärungen und Stellungnahmen der IHK sind zudem nur dann zulässig, wenn sie unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen sind. Denn die Pflichtmitgliedschaft der Gewerbetreibenden in der Industrie- und Handelskammer ist nur gerechtfertigt, wenn die Kammer das durch das vorgegebene Verfahren legitimierte Gesamtinteresse wahrnimmt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG beschließt über die Angelegenheiten der Industrie- und Handelskammer die Vollversammlung, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt. Dabei kann, wie in § 2 Abs. 2 der Satzung der Beklagten geschehen, der Vollversammlung die Bestimmung der Richtlinien der Kammerarbeit und die Beschlussfassung über alle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorbehalten bleiben und darauf basierend die Entscheidung über Einzelfragen delegiert werden. Eine grundsätzliche Festlegung muss aber auf jeden Fall durch die Vollversammlung erfolgen.

36

Für die im Revisionsverfahren noch umstrittenen Äußerungen ergibt sich daraus:

Die unter Nr. 4 des Klageantrags angeführte, vom Berufungsgericht beanstandete Aussage: "Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen ... Der ... Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen." lässt hinsichtlich ihres Satzes 1 keine nachvollziehbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen. Auch die Begründungen "Der Industriestandort Hessen braucht exzellent ausgebildetes Humankapital." (S. 25 des Grundsatzpapiers) oder "Vor diesem Hintergrund erwartet die hessische Wirtschaft, dass in Kürze Kerncurricula eingeführt werden, in denen sozialen und methodischen Kompetenzen ein stärkeres Gewicht eingeräumt wird. Die Entschlackung der Lehrpläne lässt Raum zur intensiven Vermittlung der von der Industrie erwarteten Kompetenzen und Arbeitstechniken." (S. 26 des Grundsatzpapiers) oder auch "Die bundesweite Einführung des 12-jährigen Abiturs und die Diskussion über neue Arbeitszeitregelungen für Lehrerinnen und Lehrer sollte dafür genutzt werden, eine Reduzierung der unterrichtsfreien Zeit von 12 auf 9 Wochen vorzunehmen." (S. 27 des Grundsatzpapiers) betreffen nicht Belange der gewerblichen Wirtschaft im dargelegten Sinne. Die Forderung der "Limburger Erklärung" befasst sich nicht mit berufsbildenden, sondern mit den allgemeinbildenden Schulen. Auch die Begründung führt nur allgemeine bildungspolitische Argumente an. Dass diese letztlich auch für die Wirtschaft von Belang sind, reicht nicht aus, um eine Kompetenz der Industrie- und Handelskammer zu begründen.

37

Demgegenüber ergibt sich aus der Begründung zu Satz 2 der Forderung, die Ganztagsbetreuung auszubauen, dass dies ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist und dem Wunsch der hessischen Wirtschaft entspricht, dem großen Potenzial von gut ausgebildeten Frauen bessere Beschäftigungsperspektiven zu erschließen. Daraus ergeben sich unmittelbar nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten.

38

Die unter Nr. 5 des Klageantrags benannte Forderung "Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können." lässt dagegen keine nachvollziehbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen und übersteigt deshalb ihren Kompetenzbereich. Auch die Begründung legt keinen Bezug zur Wirtschaft dar. Sie beschäftigt sich vielmehr mit der hochschulinternen Organisation, den vermeintlich erforderlichen Änderungen im Dienst- und Besoldungsrecht und der Forderung nach der Einführung von Studiengebühren, deren unmittelbare Bedeutung für die Wirtschaft aber nicht deutlich wird. Der Hinweis des Bevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf Kooperationen zwischen den Hochschulen und der Wirtschaft führt zu keiner anderen Beurteilung. Dass die Leitlinie der Hochschulpolitik darin besteht, auch Wirtschaftsvertreter in Hochschulgremien aufzunehmen, mag dazu geführt haben, dass eine engere Verknüpfung zwischen den Hochschulen und den Industrie- und Handelskammern entstanden ist. Eine Kompetenz, deshalb zu hochschulinternen Mitarbeiterfragen Stellung zu nehmen, ist daraus aber ebenso wenig ableitbar wie die Forderung nach Studiengebühren.

39

Aus der unter Nr. 6 des Klageantrags aufgeführten Forderung ist Gegenstand des Revisionsverfahrens nur noch der Satz "Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden." Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bezieht er sich auf einen Sachverhalt, der nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft erkennen lässt. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der zitierten Forderung, aber aus der in dem Grundsatzpapier (S. 34) enthaltenen Begründung. Danach würde die Einführung von REACH für die gesamte Breite der Produktverarbeitung zu erheblichen zusätzlichen Kosten führen und Arbeitsplätze gefährden. Deshalb ist dies thematisch ein Bereich, zu dem sich die Beklagte äußern durfte.

40

Allerdings wahrt die Form, die die "Limburger Erklärung" für diese Äußerung gewählt hat, nicht die erforderliche Sachlichkeit und Zurückhaltung. Das ergibt sich schon aus der apodiktischen Formulierung der Forderung "Vorhaben ... müssen ... verhindert werden" und wird noch verstärkt in der Begründung, der zufolge die Forderung erhoben wird, dass "dieser Wahnsinn noch gestoppt wird". Da die Frage, ob eine Äußerung der Industrie- und Handelskammer das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lässt, nur aus dem Kontext der Forderung beurteilt werden kann, muss auch hier die Begründung mit herangezogen werden. Formulierungen dieser Art mögen einer reinen Interessenvertretung zustehen, den als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Industrie- und Handelskammern aber nicht. Eine Legitimation dazu ergibt sich auch nicht daraus, dass nach Angaben des Hauptgeschäftsführers der Beklagten in der mündlichen Verhandlung von den Mitgliedern häufig "spitzere" Formulierungen gefordert würden. Die Beklagte muss dem im Hinblick auf ihren gesetzlichen Auftrag und den sich daraus ergebenden Grenzen entgegentreten.

41

Die unter Nr. 8 des Klageantrags aufgeführte Forderung "Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden." ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts thematisch zulässig. Die Abgabenlast und die Abhängigkeit der Wirtschaft von kostengünstiger und zuverlässiger Energieversorgung betrifft die gewerbliche Wirtschaft unmittelbar. Die Beklagte darf insoweit das Gesamtinteresse ihrer Mitglieder wahrnehmen, auch wenn Energiepolitik nicht nur wirtschafts-, sondern zum Beispiel auch umweltpolitische Fragen aufwirft.

42

Auch die unter Nr. 9 des Klageantrags aufgeführte Forderung "Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen." fällt thematisch in den Kompetenzbereich der Beklagten. Das Ziel einer Sicherung der für die Wirtschaft erforderlichen Energieversorgung lässt nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen. Die ultimative Forderung nach Kernenergie (siehe auch die Begründung: "Ausstieg aus der Kernenergie muss gestoppt werden", S. 37 des Grundsatzpapiers) wahrt aber wiederum nicht das höchstmögliche Maß an Objektivität. Da die Frage des Einsatzes von Kernenergie auch zahlreiche andere, insbesondere umweltpolitische Belange berührt, und das Thema zudem gesellschaftspolitisch sehr umstritten ist, hätte die Beklagte zu dieser Forderung auch abweichende Auffassungen und gegebenenfalls deren Auswirkungen darlegen müssen.

43

Die unter Nr. 10 des Klageantrags aufgeführte Forderung "Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden." ist thematisch nicht zu beanstanden. Er betrifft die Verkehrspolitik, die unmittelbare nachvollziehbare Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft hat. Dass der Flughafen Frankfurt am Main nicht im Bezirk der Beklagten liegt, schadet dabei nicht, weil er für die Mitglieder der Beklagten der nächstgelegene internationale Flughafen ist und ihm deshalb im Bezirk der Beklagten eine herausragende Bedeutung für die Infrastruktur zukommt. Nicht gefolgt werden kann der Klägerin in der Meinung, dass Belange der Verkehrspolitik von den Industrie- und Handelskammern schon wegen fehlender Sachkunde nicht wahrgenommen werden dürften. Die Beklagte hat, von der Klägerin unwidersprochen, vorgetragen, dass Verkehrspolitik einer der Kernbereiche der Arbeit der deutschen Industrie- und Handelskammern sei. Sie verfügen über eigene Verkehrsabteilungen, Referate und Ausschüsse.

44

Mit der Forderung, den Flughafen auf der Grundlage des Mediationsergebnisses auszubauen, hat die Beklagte auch das notwendige Maß an Objektivität gewahrt. Im Mediationsverfahren sind die divergierenden Interessen der Betroffenen bereits berücksichtigt und zu einem Ausgleich gebracht worden. Dass das dort gefundene Ergebnis auch umgesetzt wird, ist eine für das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft des Bezirks der Beklagten vertretbare Forderung.

45

Unabhängig davon stellt sich die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers und der vorangestellten "Limburger Erklärung" aber insgesamt als rechtswidrig dar, weil sie unter Verstoß gegen das vorgeschriebene Verfahren zustande gekommen ist.

46

Nach § 2 Abs. 2 der Satzung der Beklagten bestimmt die Vollversammlung die Richtlinien der Kammerarbeit und beschließt unbeschadet der §§ 58, 59 Berufsbildungsgesetz über alle Fragen, die für die gewerbliche Wirtschaft des Kammerbezirks oder die Arbeit der Kammer von grundsätzlicher Bedeutung sind. Dass es sich bei dem Grundsatzpapier um eine derartige grundsätzliche Entscheidung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG und § 2 der Satzung der Beklagten handelt, wird auch von dieser nicht in Frage gestellt. Ebenso ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass dieses Verfahren nicht eingehalten wurde. Denn das am 15. Juni 2004 von den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführern der Industrie- und Handelskammern verabschiedete Grundsatzpapier wurde erst am 12. Oktober 2004 und damit nach seiner Veröffentlichung in der Vollversammlung der Beklagten zur Abstimmung gestellt. Auch die Übersendung des Papiers an die Mitglieder der Vollversammlung erfolgte erst nach seiner Veröffentlichung Anfang September 2004.

47

Das Satzungsrecht ist zwar nicht revisibel; der Senat kann aber in Ermangelung einer Auslegung durch das Berufungsgericht die Satzung der Beklagten selbst auslegen und unter Berücksichtigung der unbestrittenen Angaben des Hauptgeschäftsführers der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass das Grundsatzpapier nicht ausschließlich als redaktionelle Zusammenfassung bereits erfolgter Resolutionen, Beschlüsse etc. der Vollversammlung angesehen werden könne, in der Sache selbst entscheiden.

48

Das Grundsatzpapier hätte nur unter Beteiligung der Vollversammlung erstellt und beschlossen werden dürfen. Das schließt nicht aus, dass die AG IHKn, in der nur die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der zusammengeschlossenen Industrie- und Handelskammern vertreten sind, ein entsprechendes Papier ausarbeitet und verabschiedet. Vor seiner Veröffentlichung hätte die Beklagte, die sich dieses Papier auch zurechnen lassen will und muss, dazu aber eine Meinungsbildung der Vollversammlung herbeiführen und eine Zustimmung einholen müssen.

49

Zwar ist es möglich, dass, wenn die Vollversammlung zu einzelnen Fragen grundsätzliche Entscheidungen bereits getroffen und damit das Gesamtinteresse bestimmt hat, sich daraus ergebende Äußerungen oder Stellungnahmen auch auf die anderen Gremien der Beklagten delegiert werden dürfen. Das setzt aber die vorangegangene Befassung durch die Vollversammlung und die damit verbundene inhaltliche Vorgabe voraus. Handelt es sich, wie hier, um ein die wesentlichen Politikbereiche abdeckendes Grundsatzpapier, muss die Vollversammlung insgesamt darüber befinden. Da hier zumindest einige der streitigen Punkte nach den Angaben der Beklagten nicht vorher von der Vollversammlung verabschiedet waren, ist das Grundsatzpapier in seiner Gesamtheit fehlerhaft zustande gekommen und rechtswidrig.

50

Eine nachträgliche Genehmigung, wie sie das Verwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des § 185 BGB für möglich gehalten hat, reicht nicht aus. Der gesetzliche Auftrag der Beklagten bezieht sich auf die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft in ihrem Bezirk. Dieses Gesamtinteresse kann nur von der Vollversammlung definiert, nicht aber nachträglich von ihr genehmigt werden. Kommt es ungeachtet dessen zur Veröffentlichung des ohne Beteiligung der Vollversammlung erstellten Grundsatzpapiers, liegt jedenfalls im Vorgang der Veröffentlichung eine Überschreitung der rechtlichen Befugnisse der Körperschaft und damit eine Verletzung der Rechte ihrer Pflichtmitglieder.

51

Auch eine von der Beklagten angesprochene Heilung der unterlassenen Beteiligung der Vollversammlung durch den nachträglichen Beschluss, wie es im Satzungsrecht teilweise möglich ist, kommt hier nicht in Betracht. Die Voraussetzungen und Konsequenzen sind grundlegend anders. Kommt bei einer Satzung nachträglich keine Mehrheit zur Heilung eines Verfahrensfehlers zustande, so bleibt die Satzung unwirksam. Hier liegt aber nicht nur ein Verfahrensfehler vor; die vorangegangene Veröffentlichung, der keine - materiellrechtlich notwendige - Bildung des Gesamtinteresses zugrunde lag, ist auch nachträglich nicht rückgängig zu machen. Die Vollversammlung hätte nur noch die Möglichkeit, das Handeln des Präsidenten und des Hauptgeschäftsführers zu billigen oder zu verwerfen, könnte aber ihrer Aufgabe, das Gesamtinteresse originär zu bilden, nicht mehr nachkommen.

52

Die Klägerin kann sich auf diesen Fehler berufen, obwohl nicht sie selbst, sondern ihr Geschäftsführer Mitglied der Vollversammlung ist. Mit der unterlassenen Beteiligung der Vollversammlung sind nicht nur Rechte der Mitglieder der Vollversammlung verletzt, sondern die Tätigkeit der Beklagten verstößt gegen ihren gesetzlichen Auftrag. Denn die Bildung des Gesamtinteresses durch die Vollversammlung ist Voraussetzung für die Erfüllung der materiellrechtlichen Anforderungen an die Tätigkeit der Beklagten. Das kann jedes Mitglied der Beklagten und damit auch die Klägerin geltend machen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Industrie- und Handelskammern haben, soweit nicht die Zuständigkeit der Organisationen des Handwerks nach Maßgabe der Handwerksordnung oder die Zuständigkeit der Kammern der freien Berufe in Bezug auf die Berufspflichten ihrer Mitglieder gegeben ist, die Aufgaben:

1.
das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks, einschließlich der Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft, die auch Ziele einer nachhaltigen Entwicklung umfassen kann, auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene wahrzunehmen,
2.
für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks zu wirken,
3.
für die Wahrung von Anstand und Sitte der ehrbaren Kaufleute, einschließlich deren sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung, zu wirken
und dabei stets die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Im Rahmen ihrer Aufgaben haben die Industrie- und Handelskammern insbesondere
1.
durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten,
2.
das Recht, zu den im Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden liegenden wirtschaftspolitischen Angelegenheiten ihres Bezirks in behördlichen oder gerichtlichen Verfahren sowie gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen.
Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben haben die Industrie- und Handelskammern den angemessenen Minderheitenschutz zu gewährleisten,
1.
indem im Rahmen der Kommunikation auf abweichende Positionen hingewiesen wird und
2.
abweichende Stellungnahmen in zumutbarer Form öffentlich zugänglich gemacht werden.

(2) Die Industrie- und Handelskammern können Anlagen und Einrichtungen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen sowie Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen Berufsbildung unter Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere des Berufsbildungsgesetzes, treffen.

(2a) Die Industrie- und Handelskammern können allein oder zusammen mit anderen Kammern für die gewerbliche Wirtschaft Maßnahmen zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung treffen, insbesondere Schiedsgerichte und andere Einrichtungen der alternativen Konfliktlösung begründen, unterhalten und unterstützen. § 111 Absatz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes bleibt unberührt. Die Industrie- und Handelskammern können zudem die ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks zu Fragen der Früherkennung von Unternehmenskrisen und deren Bewältigung beraten.

(3) Den Industrie- und Handelskammern obliegt die Ausstellung von Ursprungszeugnissen und anderen dem Wirtschaftsverkehr dienenden Bescheinigungen, soweit nicht Rechtsvorschriften diese Aufgaben anderen Stellen zuweisen.

(3a) Die Länder können durch Gesetz den Industrie- und Handelskammern die Aufgaben einer einheitlichen Stelle im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes übertragen. Das Gesetz regelt, welche Aufgabenbereiche von der Zuweisung erfasst sind. Dabei kann das Gesetz vorsehen, dass die Industrie- und Handelskammern auch für nicht Kammerzugehörige tätig werden. Das Gesetz regelt auch die Aufsicht.

(3b) Die Länder können den Industrie- und Handelskammern durch Gesetz ermöglichen, sich an Einrichtungen zu beteiligen, die die Aufgaben einer einheitlichen Stelle im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes erfüllen.

(4) Weitere Aufgaben können den Industrie- und Handelskammern durch Gesetz oder Rechtsverordnung übertragen werden.

(5) Nicht zu den Aufgaben nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gehören die grundrechtlich geschützten Aufgabenbereiche der Vereinigungen im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes, insbesondere die Aufgabenbereiche der Tarifpartner sowie die arbeitsgerichtliche Vertretung von Unternehmen. Zudem sind Stellungnahmen ausgeschlossen zu sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fragen, soweit diese in der ausschließlichen Entscheidungszuständigkeit der Gremien der sozialen Selbstverwaltung liegen.

(1) Die Organe der Industrie- und Handelskammer sind

1.
die Vollversammlung,
2.
das Präsidium,
3.
der Präsident,
4.
der Hauptgeschäftsführer und
5.
der Berufsbildungsausschuss im Rahmen der in § 79 Berufsbildungsgesetz genannten Aufgaben.

(2) Über die Angelegenheiten der Industrie- und Handelskammer beschließt, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt, die Vollversammlung. Der ausschließlichen Beschlußfassung durch die Vollversammlung unterliegen

1.
die Satzung,
2.
die Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung,
3.
die Feststellung des Wirtschaftsplans,
4.
die Festsetzung des Maßstabes für die Beiträge und Sonderbeiträge,
5.
die Erteilung der Entlastung,
6.
die Übertragung von Aufgaben auf andere Industrie- und Handelskammern, die Übernahme dieser Aufgaben, die Bildung von öffentlich-rechtlichen Zusammenschlüssen und die Beteiligung hieran (§ 10) sowie die Beteiligung an Einrichtungen nach § 1 Abs. 3b,
7.
die Art und Weise der öffentlichen Bekanntmachung,
8.
die Satzung gemäß § 3 Abs. 7a (Finanzstatut) und
9.
Fragen, die für die gewerbliche Wirtschaft ihres Bezirks oder die Arbeit der Industrie- und Handelskammer von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Soweit nach Satz 2 Nr. 7 die elektronische Verkündung von Satzungsrecht vorgesehen ist, hat diese im Bundesanzeiger zu erfolgen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).

(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen. Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von 250.000 Euro, die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen.

(2) Der Verurteilung muss eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Urteil nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird.

(3) Auch kann der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zur Bestellung einer Sicherheit für den durch fernere Zuwiderhandlungen entstehenden Schaden auf bestimmte Zeit verurteilt werden.

Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluß androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen. Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von 250.000 Euro, die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen.

(2) Der Verurteilung muss eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Urteil nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird.

(3) Auch kann der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zur Bestellung einer Sicherheit für den durch fernere Zuwiderhandlungen entstehenden Schaden auf bestimmte Zeit verurteilt werden.