Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 07. März 2017 - A 2 K 5515/16

bei uns veröffentlicht am07.03.2017

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Oktober 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach den klägerischen Angaben wurde der Kläger zu 1 am X.X.1988 in I., Syrien, und die Klägerin zu 2, seine Ehefrau, am XX.X.1989 in A., Syrien, geboren. Sie sind syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Ihre Töchter, die Klägerinnen zu 3 und 4, wurden am X.X.2014 in I. und am XX.X.2016 in F. geboren.
Die Kläger gaben bei ihrer Erstanhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), Außenstelle Meßstetten, am 4.8.2016 an, sie hätten Syrien Ende Juni 2015 verlassen und seien über die Türkei am 23.11.2015 nach Griechenland eingereist, von wo sie über Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich am 25.12.2015 nach Deutschland gekommen seien. Nach den Ausländerakten des Landratsamts Bodenseekreis erfolgte die Erstmeldung als Asylsuchende in Lebach am 31.12.2015 und die Stellung der später beschränkten Asylanträge am 4.8.2016 in Karlsruhe.
Bei seiner Anhörung am 4.10.2016 durch das Bundesamt in Meßstetten gab der Kläger zu 1 an, er habe Syrien Anfang Juni 2015 verlassen und sei am 26.12.2016 nach Deutschland eingereist. Wegen der Verhältnisse in Syrien habe er nicht studieren können. Von 2007 bis 2009 habe er bei der syrischen Armee seinen Wehrdienst als Panzerfahrer abgeleistet. Danach habe er als LKW-Fahrer gearbeitet, wobei der LKW seinem Vater gehört habe und sie Gemüse und Obst transportiert hätten. Diese Arbeit habe er 2011 verloren, weil die Kriegshandlungen immer schlimmer geworden seien. I. sei immer wieder von Regierungstruppen bombardiert worden. Er habe dann zeitweise in der Türkei gearbeitet, um den Lebensunterhalt für die Familie und das Geld für die Flucht zu verdienen. Nachdem er erfahren habe, dass eine Scud-Rakete der Regierung das Haus der Familie getroffen und zerstört habe, habe er Frau und Kind in die Türkei nachgeholt. Weil es dort für die Familie keine Perspektive gegeben habe, seien sie nach 5 Monaten Richtung Deutschland ausgereist. In Syrien drohe ihm bei Rückkehr die Inhaftierung. Sein kleiner Bruder sei bereits seit 2 Jahren inhaftiert, die Familie habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Er selbst sei schon mehrfach einberufen worden. Man habe ihn hierfür sogar in der Türkei kontaktiert, aber er habe sich bisher immer geweigert zur Armee der Regierung zu gehen. Er sei nicht für die Armee oder Polizei tätig gewesen und habe sich nicht politisch betätigt. In Deutschland wohnten bereits seine Brüder A., I. und A..
Die Klägerin zu 2 gab bei der Anhörung an, sie habe bis zur Ausreise aus Syrien Anfang Juni 2015 in I. gewohnt. Sie sei nie für die Polizei oder Armee tätig gewesen und habe sich nie politisch betätigt. Ihr Vater sei Polizist gewesen, habe sich dem Polizeidienst 2011 entzogen und sei mit der Mutter der Klägerin zu 2 und deren kleineren Kindern in die Türkei geflohen. Die Klägerin zu 2 habe Abitur gemacht und danach bis zum 4. Semester Wirtschaft studiert, ohne Abschluss. Sie habe ihr Studium an der Universität H. aufgegeben, weil sie mit anderen an Checkpoints wiederholt erniedrigend behandelt worden sei. Es seien dabei viele Leute, Männer und Frauen, festgenommen worden. Aus Angst habe sie das Studium abgebrochen und danach in I. zwischen 2011 und 2012 zusammen mit einer Cousine an einer Mittelschule ehrenamtlich als Lehrerin gearbeitet. Die Cousine sei entführt und von der Regierung 2 Jahre gefangen gehalten worden. Eine andere Cousine sei ebenfalls entführt worden. Die Familie nehme an, dass sie sich auch in der Hand der Regierung befinde. Wegen des Vaters der Klägerin zu 2 habe die Regierung auch einen ihrer Onkel festgenommen. Die Klägerin zu 2 haben dann geheiratet, weil sie einen Mann zur Unterstützung gebraucht habe. Sie sei 5 Monate in I. gewesen. Während dieser Zeit habe sich der Kläger zu 1 in der Türkei aufgehalten und dort gearbeitet. Dann habe eine Scud-Rakete die Stadt getroffen und das Haus der Familie zerstört. Ihre ältere Tochter sei von den erlebten Bombardierungen traumatisiert. Sie hätten Syrien daraufhin verlassen und sich 6 Monate in der Türkei aufgehalten. Die Situation sei dort bezüglich der Sicherheit, der Arbeit und des Studiums schlecht gewesen. Ihre Eltern und ihr Schwiegervater hätten dann finanziell bei der Ausreise geholfen. Für den Fall einer Rückkehr nach Syrien befürchte die Klägerin zu 2 eine Entführung und Inhaftierung wie bei ihren Cousinen. Die Klägerin zu 2 habe in Deutschland 3 Brüder und vier Onkel.
Mit Bescheid vom 28.10.2016, zugestellt am 4.11.2016, erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte ihre Anträge im Übrigen ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz lägen nicht vor. Die Kläger seien nicht verfolgt ausgereist. Ihnen drohe bei Rückkehr keine Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Sie würden vom syrischen Regime auch nicht als oppositionell angesehen. Sie gehörten weder einer besonders vulnerablen Gruppe an noch seien sie in besonderer Weise exponiert. Der Kläger zu 1 habe die drohende Einziehung zum Wehrdienst auch auf Nachfrage weder konkret noch substantiiert darlegen können. Geeignete Beweismittel seien nicht vorgelegt worden.
Die Kläger haben am 16.11.2016 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung wird ausgeführt, die Kläger seien bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt dazu angehalten worden, nicht ihre ganze Geschichte zu erzählen. Die hauptsächlichen Probleme der Kläger rührten daher, dass der Vater der Klägerin zu 2 von seinem Polizeidienst geflohen sei. Er sei deswegen in Syrien weiterhin zur Fahndung ausgeschrieben und lebe an der Grenze zur Türkei, wo er sich versteckt halte. Er sei Geheimnisträger gewesen und daher für die syrische Regierung relevant. Seine Probleme hätten dazu geführt, dass andere Mitglieder der Familie festgenommen wurden und zum Teil jetzt noch inhaftiert seien. Die Klägerin zu 2 habe Probleme bekommen, als die Studenten der Universität H. angewiesen worden seien, für Assad zu demonstrieren und sie sich geweigert habe. Diese Probleme hätten zum Abbruch des Studiums geführt. Die nichtstaatliche Schule in I., in der die Klägerin zu 2 danach unterrichtet habe, und die Häuser der Lehrer seien mehrfach bombardiert worden. Leute von der Al-Nusra-Front in I. hätten den Kläger zu 1 zwingen wollen, für sie zu kämpfen, was er aber verweigert habe. Er habe deswegen Probleme mit dieser Gruppierung gehabt. Als das Haus der Familie dann von einer Scud-Rakete getroffen worden sei, seien sie aus Syrien geflohen. Der Bundesamtsbescheid sei bezüglich der Versagung der Flüchtlingseigenschaft falsch. Zum einen bestehe eine asylrelevante Gefährdung bei Wiedereinreise nach Auslandsaufenthalt und Asylantragstellung. Zum anderen gehörten die Kläger den vom UNHCR definierten Risikogruppen an.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Oktober 2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
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Die Beklagte beantragt (schriftlich),
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die Klagen abzuweisen.
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Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen.
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Den Klägern wurde mit Beschluss vom 17.2.2017 Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Bevollmächtigter beigeordnet. Sie wurden in der mündlichen Verhandlung mit der Hilfe eines Dolmetschers für die arabische Sprache angehört. Bezüglich ihrer Angaben wird auf den Inhalt der Anlage zur Sitzungsniederschrift verwiesen.
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Dem Gericht liegen ein Ausdruck aus der elektronisch geführten Bundesamtsakte und die beigezogenen Ausländerakten des Landratsamts Bodenseekreis vor. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Das Gericht kann entscheiden, obwohl die Beklagte zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, nachdem in der ordnungsgemäßen Ladung darauf hingewiesen wurde, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässigen Klagen sind begründet. Den Klägern droht bei Wiedereinreise nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt politische Verfolgung. Sie sind wegen ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und der Rückkehr zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht syrischer Dienste verdächtig und müssen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Befragung bis zur völligen Abschöpfung unter Anwendung schwerer Folter rechnen. Die Kläger haben daher einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der streitgegenständliche Bundesamtsbescheid vom 4.11.2016 ist rechtswidrig und aufzuheben, soweit er dem entgegensteht (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
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Die Rechtsgrundlage findet sich in den §§ 3 bis 3e AsylG.
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Danach ist die Flüchtlingseigenschaft einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
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Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
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Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
21 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
22 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird.
23 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
24 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, juris). Solange ein politischer Charakter der Verfolgungsmaßnahmen nicht von vornherein auszuschließen ist, muss die fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG auf einer hinreichenden Grundlage beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4.12.2012 - 2 BvR 2954/09 -, juris).
25 
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, also am 7.3.2017 (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG).
26 
Nach diesen Grundsätzen und Maßstäben haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihnen droht nach der bestandskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes auch nach Ansicht der Beklagten bei Wiedereinreise nach Syrien ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer erniedrigenden Behandlung. Nach den Feststellungen des Gerichts würde ihnen im (hypothetischen) Fall der Rückkehr nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auch eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen, die ihre diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt.
27 
Das Gericht geht, mangels alternativer Möglichkeiten, für die (hypothetische) Rückkehr der Kläger nach Syrien von einer Wiedereinreise über den Flughafen Damaskus zum Entscheidungszeitpunkt aus. Eine solche Wiedereinreise nach Syrien hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Befragung durch syrische Sicherheitsdienste zur Folge. Diese würde mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Anwendung schwerer Folter erfolgen. Die Kläger würden mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Angaben zum Asylantrag einräumen. Dies würde eine anschließende Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen nach sich ziehen. Wegen dieser Bedrohung wäre aus Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen in der Situation der Kläger und nach Abwägung aller bekannten Umstände einer Rückkehr in den Heimatstaat eine solche Wiedereinreise als unzumutbar einzuschätzen.
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Für die Beurteilung der bei Wiedereinreise konkret zu erwartenden staatlichen Übergriffe und deren Asylrelevanz kann nicht isoliert auf die zu erwartende Maßnahme abgestellt werden, sondern sind, gerade auch in Bezug auf die Zielrichtung der zu erwartenden Übergriffe, die Strukturen und die Politiken des Herkunftsstaates und seiner Einrichtungen in den Blick zu nehmen:
29 
Vor dem Bürgerkrieg wurde die Arabische Republik Syrien etwa 4 Jahrzehnte von einem totalitären Regime beherrscht, das eine unbeschränkte Macht über seine Bürger ausübte und dabei keinerlei rechtsstaatliche, religiöse oder moralische definierte Grenzen akzeptierte (vgl. u.a. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 27.9.2010: Die Sicherheitsdienste des Landes sind weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen. Sie sind verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Es gibt weiterhin Berichte von Folter, insbesondere in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung krimineller Handlungen von Sicherheitskräften existieren nicht. Es gibt plausible Hinweise dafür, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, Gefahr laufen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden.) Faktisch handelte es sich um eine Diktatur ohne Bindung an Gesetz und Recht (vgl. Länderinformationsblatt BFA, 3.3.2014, Stand 7.4.2014, Seite 10). Einen effektiven Schutz des Einzelnen vor willkürlichen Übergriffen des despotischen Regimes mit schwersten Schädigungen und dem Verlust von Leben oder Freiheit gab es in Syrien nicht. Innenpolitisch beruhte die staatliche Macht des syrischen Regimes mangels realer demokratischer oder religiöser Legitimation auf der Androhung und maßlosen Anwendung von Gewalt und damit ausgelöster Einschüchterung und Abschreckung (vgl. Süddeutsche Zeitung, „Assad-Regime ließ im Schlachthaus tausende Häftlinge hinrichten“, Artikel vom 7.2.2017 über Massenexekutionen im Umfang von bis zu 13.000 Gefangenen allein im Militärgefängnis Saydnaya; Deutschlandfunk, „Die Toten von Hama, Syrien und das System Assad“ Artikel vom 2.2.2012 über das Massaker vom Februar 1982 mit 20.000 Toten). Tatsächliche und vermeintliche Regimegegner wurden physisch vernichtet oder durch Folter und jahrelange Inhaftierung psychisch geschädigt und dadurch unschädlich gemacht. Um aus der Sicht der unkontrolliert agierenden syrischen Geheimdienste in den Verdacht einer regimefeindlichen Haltung zu geraten, waren keine Nachweise oder hinreichende Anhaltspunkte erforderlich. Teilweise genügten im privaten Raum geäußerte abfällige Bemerkungen oder harmlose Witze über das Regime oder den Machthaber, um als Regimefeind mit drakonischen Maßnahmen überzogen zu werden (vgl. Zeit Online, Pappe al-Assad, Artikel vom 26.11.2013; Süddeutsche Zeitung, Humor unter Assad: "Kommt ein Tourist nach Syrien ...", Artikel vom 27.5.2016; Gerhard Schweizer, Syrien verstehen, Geschichte, Gesellschaft und Religion, Seite 368 ff.). Die Politik der harten Hand unterdrückte jeden echten oder vermeintlichen Widerstand im Keim. Der Einsatz von Gewalt bei der Bekämpfung tatsächlicher oder vermeintlicher Regimegegner kannte in dem mit einem Netzwerk aus Spitzeln überzogenen Land keine Grenzen und wandte sich gleichermaßen gegen Männer, Frauen und Kinder (Deutschlandfunk, Atemlose Bestandsaufnahme der Gewalt in Syrien, Artikel vom 19.6.2012 zur Anwendung von Sippenhaft). Das syrische Regime war in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg faktisch eine Diktatur, die keine freie Meinungsäußerung duldete und jegliche tatsächliche oder vermeintliche Opposition durch Gewalt im Keim erstickte. Die Despotie führte zur gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Proteste im Zuge des Arabischen Frühlings Anfang 2011 und löste den bis heute andauernden Bürgerkrieg aus. Bereits in der Zeit vor dem Beginn des Bürgerkriegs war die Praxis der syrischen Dienste bekannt und belegt, Rückkehrer nach Syrien „bis zur völligen Abschöpfung“ einer Befragung zu unterziehen, die im Falle auftretender Zweifel bezüglich Identität oder regimetreuer Haltung in einem Haftzentrum unter Folter intensiviert wurde (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5.2.1987 - A 12 S 1096/83 -, juris; Beschluss vom 8.4.1992 - A 16 S 1765/91 -, juris; Urteil vom 15.7.1993 - A 16 S 282/93 -, juris; Urteil vom 19.5.1998 - A 2 S 28/98 -, juris). Diese menschenrechtswidrige Praxis wurde vom syrischen Regime während des Bürgerkriegs auch fortgesetzt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.6.2013 - A 11 S 927/13 -, juris).
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Im Verlauf des Bürgerkriegs behielt das syrische Regime innenpolitisch seine Politik der harten Hand bei. Die menschenrechtliche Situation verschlimmerte sich dadurch dramatisch. Das syrische Regime und die anderen Bürgerkriegsparteien gingen von Anfang an mit äußerster Brutalität gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner und gegen die Zivilbevölkerung vor, so dass bereits in den ersten 5 Jahren circa 470.000 Tote und die Vertreibung von 45 Prozent der Bevölkerung zu beklagen waren (Zeit Online, Artikel vom 11.2.2016, „Doppelt so viele Tote wie bisher angenommen“; Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Sechs Jahre Krieg in Syrien: (K)eine Lösung mit den Vereinten Nationen?). Mit zunehmender Einflussnahme und Beteiligung des Auslands (u.a. Saudi Arabien, Iran, Russland, USA, Türkei, BRD) nahm der Zustrom von Waffen zu und beteiligten sich immer mehr ausländische Freiwillige und Söldner an den Kämpfen in Syrien. Die ursprüngliche Motivation der Opposition, die Demokratisierung Syriens zu erreichen, rückte in den Hintergrund. Das Geschehen wurde dominiert durch den Kampf unterschiedlicher Staaten, Ethnien und religiösen Gruppierungen um politische Macht und Einfluss. Die direkte Beteiligung der Bündnispartner Assads - des Irans mit seinen Söldnern und der libanesischen Hisbollah-Miliz und Russlands - sowie die Bildung eines internationalen Bündnisses unter Führung der Vereinigten Staaten gegen die sunnitische Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) machte aus dem Konflikt innerhalb Syriens einen regionalen Stellvertreterkrieg zwischen dem schiitischen Iran auf der einen und dem sunnitischen Saudi-Arabien mit seinen Verbündeten Türkei und Katar auf der anderen Seite. Durch die Beteiligung der USA und Russlands entstand zudem ein überregionaler Konflikt zwischen den beiden Großmächten mit geostrategischen Implikationen, der durch die Luftangriffe der Türkei auf Kurden in Syrien 2015 und schließlich den Einmarsch türkischer Bodentruppen im August 2016 verschärft wurde. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligte sich ab 2015 an dem Konflikt (vgl. Bundeswehrjournal, Artikel vom 16.12.2015, „Bundeswehr unterstützt erstmals Luftangriffe gegen den IS“). Daneben findet u.a. in Deutschland die Personalgewinnung in der Gestalt der Rekrutierung islamistischer Kämpfer und Attentäter sowie die Planung und Finanzierung von Maßnahmen gegen das syrische Regime statt (vgl. Deutsche Presseagentur, Artikel vom 16.9.2016, „Terrorismus/Über 120 Verfahren mit Syrien-Bezug bei der Bundesanwaltschaft“).
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Wegen der dargestellten Strukturen und Politiken des syrischen Regimes und der politischen Bezüge auch zur Bundesrepublik Deutschland ist das Gericht davon überzeugt, dass die Sicherheits- und Geheimdienste des sich in einem existentiellen Abwehrkampf befindlichen syrischen Regimes derzeit jeden Rückkehrer aus Deutschland bis zum Beweis des Gegenteils als potentiellen Regimegegner und Gefährder ansehen. Die Lebensumstände syrischer Flüchtlinge in Deutschland sind den syrischen Diensten ebenso bekannt wie die drohenden existentiellen Probleme im Fall einer Rückkehr nach Syrien. Den Diensten ist bewusst, dass derzeit kein vernünftiger Flüchtling eine Wiedereinreise nach Syrien riskieren würde. Jeder zum jetzigen Zeitpunkt Wiedereinreisende ist bereits deswegen suspekt. Für die Annahme, dass es sich um einen potentiellen Regimegegner handelt, genügt es aus der Sicht syrischer Dienste, dass der zurückkehrende Flüchtling illegal aus Syrien ausgereist ist, dass er sich längere Zeit in Deutschland aufgehalten hat, dass er ohne einen plausiblen Grund in das bürgerkriegsgeschüttelte, ruinierte Land zurückkehrt und dass keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, was der Flüchtling in Europa konkret gemacht hat.
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Die gegenteilige Annahme, nach der syrische Sicherheits- und Geheimdienste zum jetzigen Zeitpunkt zurückkehrende Flüchtlinge als harmlose Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge ansehen und als solche unbehelligt einreisen lassen, überzeugt das Gericht dagegen nicht. Die Einschätzung blendet die historischen Entwicklungen der letzten 40 Jahre, die Strukturen und Politiken des syrischen Regimes und die aktuelle Lage, in der dieses Regime mit allen Mitteln um seine Existenz ringt, völlig aus. Die Annahme, die Befragung unter Anwendung von Folter sei zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, es sei aber nicht zu klären, ob sie der politischen Unterdrückung oder lediglich der Identitätsklärung und Kriminalitätsbekämpfung diene, erscheint ebenfalls abwegig. Bei Berücksichtigung der Strukturen, Politiken und Einrichtungen des in seiner Existenz bedrohten totalitären syrischen Regimes und seiner seit Jahrzehnten angewandten menschenrechtswidrigen Praktiken stellen die bei Wiedereinreise im jetzigen Zeitpunkt zu erwartenden Befragungen mit schwerster Folter und anschließender Inhaftierung ohne Verfahren keine politisch neutralen polizeilichen Aufklärungsmaßnahmen dar.
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Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgingen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründeten (so Bay. VGH, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30338 -, juris), vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Aus dem Umstand, dass in den – u. a. im Urteil des Bay. VGH a.a.O., Rn. 73 ff. dargestellten – dokumentierten Fällen von Inhaftierungen und Misshandlungen Abgeschobener über einen Auslandsaufenthalt und ggf. die Asylantragstellung im Ausland hinaus Besonderheiten vorlagen (Aufenthalte in Haftanstalten des Geheimdienstes vor Ausreise, Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland, herausgehobene Position in einer Nichtregierungsorganisation, Abschiebung wegen Straffälligkeit in Deutschland, ungeklärte Staatsangehörigkeit, exilpolitische Aktivitäten, Mitführen von Bargeld), lässt sich nicht ableiten, dass es derartiger Merkmale oder Besonderheiten bedürfte, um bei einer Wiedereinreise der Gefahr unter Folter durchgeführter Vernehmungen ausgesetzt zu sein. Dieser Schluss verbietet sich schon deshalb, weil nach den verfügbaren Erkenntnismitteln keine Informationen darüber vorliegen, was mit Abgeschobenen geschieht bzw. geschähe, bei denen derartige „Besonderheiten“ fehlen. Den aktuellsten Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 07.11.2016 an das OVG Schleswig-Holstein und vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf ist zu entnehmen, es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Anders könne es aussehen, wenn das Regime davon ausgehe, dass sich die betreffende Person oppositionell betätigt habe. Eine Aussagekraft oder gar ein Beweiswert in dem Sinne, dass das in diesen Berichten konstatierte Nichtvorliegen von Erkenntnissen für das Nichtvorliegen einer allgemeinen Rückkehrerverfolgung spräche, kommt diesen Auskünften nicht zu (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 24.01.2017 - A 4 K 5434/16 -, juris). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 22.02.2017 lässt sich entnehmen, es sei „schwierig“ bzw. „unmöglich“, bezüglich des Ausmaßes der Rückkehrerbefragungen in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Aussagen zu treffen. Es lägen jedoch keine Berichte vor, die flächendeckende Befragungen explizit verneinten. Die Datenlage sei insoweit „nicht belastbar“. Schließlich folgt Derartiges auch nicht daraus, dass in den vom UNHCR definierten Risikogruppen (vgl. International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update IV, November 2015; abrufbar unter http://www.refworld.org/ pdfid/5641ef894.pdf) ehemalige Asylsuchende nicht genannt sind (vgl. dazu Bay. VGH a.a.O. Rn. 87). Denn dem Risikoprofil „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“ könnten Rückkehrer aus Sicht des syrischen Regimes durchaus zuzuordnen sein. Das OVG Nordrheinwestfalen (a.a.O. Rn. 83) weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass die Risikoprofile des UNHCR nach ihrem Zuschnitt „praktisch die gesamte Bevölkerung“ erfassen. Ihre Aussagekraft wird dadurch jedenfalls dahingehend relativiert, dass sie keine zwingenden Umkehrschlüsse zulassen.
34 
Während nach dem Vorstehenden letztlich keine greifbaren Anhaltspunkte vorliegen, die (positiv) gegen eine - vom Vorliegen besonderer Merkmale oder Umstände unabhängige - Rückkehrerverfolgung sprechen, sind dem Erkenntnismaterial durchaus auch aktuell beachtliche Hinweise auf eine solche zu entnehmen. So wird im „Country Report on Human Rights Practices for 2015“ des U.S. State Departement auf Seite 34 f. (abrufbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport) unter der Überschrift „Emigration and Repatriation“ ausgeführt, sowohl Personen, die in anderen Ländern erfolglos um Asyl nachgesucht hätten, als auch solche die früher Verbindungen zur Muslim-Brüderschaft unterhalten hätten, seien bei einer Wiedereinreise (Straf-)Verfolgung ausgesetzt gewesen („… faced prosecution“). Soweit es im Folgesatz heißt, das Gesetz stelle die (Straf-)Verfolgung aller Personen sicher, die im Ausland Asylanträge gestellt hätten, um der Strafverfolgung in Syrien zu entgehen, kann daraus - jedenfalls nicht zwingend - geschlossen werden, dass eine drohende Verfolgung allein hieran anknüpft (so aber Bay. VGH a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris). Das Immigration and Refugee Board of Canada führt in seinem Bericht vom 19.01.2016 (abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/56d7fc034.html) unter „Treatment of Failed Refugee Claimants“ aus, nach der Auskunft eines emeritierten Professors für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford müsse ein erfolgloser Asylbewerber damit rechnen, verhaftet zu werden. Es würde auch Folter angewandt, um zu ermitteln, weshalb der Betreffende Syrien verlassen habe. Eine als „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“ bezeichnete andere Auskunftsperson bestätigt diese Einschätzung und ergänzt, eine solche Person würde als „anti-government or opposition“ behandelt. Eine dritte Auskunftsperson (Visiting Senior Research Fellow am Kings College London) weist darauf hin, dass es insoweit keinen Automatismus gebe. Während „traditionell denkende“ Offizielle des Regimes glaubten, dass alle Asylbewerber eine regimefeindliche Gesinnung hätten, gebe es andere, die sich darüber im Klaren seien, dass manche Menschen das Land aus „ökonomischen“ Gründen verlassen hätten. Nichts sei vorhersehbar.
35 
Nach Auffassung der Kammer spricht schließlich auch der Umstand, dass insbesondere in den letzten drei Jahren ein Massenexodus aus Syrien stattgefunden hat und sich insgesamt nunmehr mindestens ein Fünftel der Gesamtbevölkerung auf der Flucht befindet, nicht dafür, dass die illegale Ausreise und Asylantragstellung aus Sicht des syrischen Regimes generell nicht mehr als Ausdruck einer oppositionellen Haltung gesehen würde (so aber OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O., Rn. 60 ff.). Einschätzungen hinsichtlich der Motivlage und Gefahreneinschätzung syrischer Staatsbediensteter sind zunächst zwangsläufig spekulativ. Zwar mag es nahe liegen, dass auch dem syrischen Regime bewusst ist, dass es der Mehrheit der Geflüchteten primär darauf ankommt, den verheerenden Zuständen im Land entkommen. Die Annahme, dass im Hinblick auf diese Entwicklung bei einer Rückkehr erfolgloser Asylbewerber vernünftigerweise nicht mehr mit Befragung, ggf. Inhaftierung und Folter gerechnet werden müsste, widerspricht jedoch der Funktionsweise des syrischen Staatsapparates und seiner unabhängigen und unbeschränkt agierenden Dienste. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer skrupellosen Behandlung auch nur potentiell Verdächtiger (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris).
36 
Auf dieser Erkenntnisgrundlage spricht mehr für als gegen das Bestehen eines realen Risikos bzw. einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit, als zurückkehrender Asylbewerber bei einer Wiedereinreise über den Flughafen Damaskus menschenrechtswidrigen Befragungen ausgesetzt zu sein. Es fehlt dabei auch nicht an der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer solchen Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen nach § 3 Abs. 1 AsylG (so aber OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O.; OVG Saarland, Urteil vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 -, juris).
37 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen und Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Auch unmenschliche Behandlung, insbesondere Folter, kann sich dann als asylrelevante Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale oder im Blick auf diese in verschärfter Form eingesetzt wird (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08.06.2000 - 2 BvR 81/00 -, InfAuslR 2000, 457). Auch wenn der Verfolger lediglich den Verdacht der Trägerschaft eines asylerheblichen Merkmals hegt, dürfen die zur weiteren Aufklärung dieses Verdachts eingesetzten Mittel nicht als asylrechtlich unbeachtlich qualifiziert werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142).
38 
Nach der oben dargestellten Prägung und dem Selbstverständnis des syrischen Regimes sowie der sämtliche Lebensbereiche umfassenden, autoritären Struktur und totalitären Ausrichtung des Staatsapparates ist davon auszugehen, dass das Regime jeden illegal Ausgereisten als potentiellen politischen Gegner ansieht („Polit-Malus“) und ihm dieses Merkmal gleichsam auf Verdacht zuschreibt (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Die genannten Maßnahmen bei einer Wiedereinreise aus dem westlichen Ausland zurückkehrender Flüchtlinge werden zur Unterdrückung und Abschreckung tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner angewandt und stellen in der Folge eine politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG dar. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die zu erwartenden Maßnahmen die körperliche und seelische Vernichtung der betroffenen Heimkehrer zumindest in Kauf nehmen und die Flüchtlinge damit gezielt ausgrenzen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 -, juris). Würde das anders gesehen, wäre im vorliegenden Fall der politische Charakter der Verfolgungsmaßnahmen aber jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen und läge keine hinreichende Grundlage für eine fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG vor (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.12.2012 - 2 BvR 2954/09 -, juris).
39 
Nach alldem haben die Kläger bei einer hypothetischen Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen. Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG können sie nicht erlangen.Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, a.a.O., m. w. N.). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
40 
Anhaltspunkte für das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 und 3 AsylG wurden weder vorgetragen noch sind solche für das Gericht ersichtlich.
41 
Nachdem die Kläger bereits wegen der festgestellten Nachfluchtgründe die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen können, kann dahinstehen und lässt das Gericht daher offen, ob sie verfolgt ausgereist sind oder bei ihnen sonstige Gründe für eine Gefahr politischer Verfolgung sprechen könnten.
42 
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind damit gegeben. Den Klagen ist somit stattzugeben.
43 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

Gründe

 
15 
Das Gericht kann entscheiden, obwohl die Beklagte zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, nachdem in der ordnungsgemäßen Ladung darauf hingewiesen wurde, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
16 
Die zulässigen Klagen sind begründet. Den Klägern droht bei Wiedereinreise nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt politische Verfolgung. Sie sind wegen ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und der Rückkehr zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht syrischer Dienste verdächtig und müssen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Befragung bis zur völligen Abschöpfung unter Anwendung schwerer Folter rechnen. Die Kläger haben daher einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der streitgegenständliche Bundesamtsbescheid vom 4.11.2016 ist rechtswidrig und aufzuheben, soweit er dem entgegensteht (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
17 
Die Rechtsgrundlage findet sich in den §§ 3 bis 3e AsylG.
18 
Danach ist die Flüchtlingseigenschaft einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
19 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
20 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
21 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
22 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird.
23 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
24 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, juris). Solange ein politischer Charakter der Verfolgungsmaßnahmen nicht von vornherein auszuschließen ist, muss die fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG auf einer hinreichenden Grundlage beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4.12.2012 - 2 BvR 2954/09 -, juris).
25 
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, also am 7.3.2017 (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG).
26 
Nach diesen Grundsätzen und Maßstäben haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihnen droht nach der bestandskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes auch nach Ansicht der Beklagten bei Wiedereinreise nach Syrien ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer erniedrigenden Behandlung. Nach den Feststellungen des Gerichts würde ihnen im (hypothetischen) Fall der Rückkehr nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auch eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen, die ihre diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt.
27 
Das Gericht geht, mangels alternativer Möglichkeiten, für die (hypothetische) Rückkehr der Kläger nach Syrien von einer Wiedereinreise über den Flughafen Damaskus zum Entscheidungszeitpunkt aus. Eine solche Wiedereinreise nach Syrien hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Befragung durch syrische Sicherheitsdienste zur Folge. Diese würde mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Anwendung schwerer Folter erfolgen. Die Kläger würden mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Angaben zum Asylantrag einräumen. Dies würde eine anschließende Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen nach sich ziehen. Wegen dieser Bedrohung wäre aus Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen in der Situation der Kläger und nach Abwägung aller bekannten Umstände einer Rückkehr in den Heimatstaat eine solche Wiedereinreise als unzumutbar einzuschätzen.
28 
Für die Beurteilung der bei Wiedereinreise konkret zu erwartenden staatlichen Übergriffe und deren Asylrelevanz kann nicht isoliert auf die zu erwartende Maßnahme abgestellt werden, sondern sind, gerade auch in Bezug auf die Zielrichtung der zu erwartenden Übergriffe, die Strukturen und die Politiken des Herkunftsstaates und seiner Einrichtungen in den Blick zu nehmen:
29 
Vor dem Bürgerkrieg wurde die Arabische Republik Syrien etwa 4 Jahrzehnte von einem totalitären Regime beherrscht, das eine unbeschränkte Macht über seine Bürger ausübte und dabei keinerlei rechtsstaatliche, religiöse oder moralische definierte Grenzen akzeptierte (vgl. u.a. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 27.9.2010: Die Sicherheitsdienste des Landes sind weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen. Sie sind verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Es gibt weiterhin Berichte von Folter, insbesondere in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung krimineller Handlungen von Sicherheitskräften existieren nicht. Es gibt plausible Hinweise dafür, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, Gefahr laufen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden.) Faktisch handelte es sich um eine Diktatur ohne Bindung an Gesetz und Recht (vgl. Länderinformationsblatt BFA, 3.3.2014, Stand 7.4.2014, Seite 10). Einen effektiven Schutz des Einzelnen vor willkürlichen Übergriffen des despotischen Regimes mit schwersten Schädigungen und dem Verlust von Leben oder Freiheit gab es in Syrien nicht. Innenpolitisch beruhte die staatliche Macht des syrischen Regimes mangels realer demokratischer oder religiöser Legitimation auf der Androhung und maßlosen Anwendung von Gewalt und damit ausgelöster Einschüchterung und Abschreckung (vgl. Süddeutsche Zeitung, „Assad-Regime ließ im Schlachthaus tausende Häftlinge hinrichten“, Artikel vom 7.2.2017 über Massenexekutionen im Umfang von bis zu 13.000 Gefangenen allein im Militärgefängnis Saydnaya; Deutschlandfunk, „Die Toten von Hama, Syrien und das System Assad“ Artikel vom 2.2.2012 über das Massaker vom Februar 1982 mit 20.000 Toten). Tatsächliche und vermeintliche Regimegegner wurden physisch vernichtet oder durch Folter und jahrelange Inhaftierung psychisch geschädigt und dadurch unschädlich gemacht. Um aus der Sicht der unkontrolliert agierenden syrischen Geheimdienste in den Verdacht einer regimefeindlichen Haltung zu geraten, waren keine Nachweise oder hinreichende Anhaltspunkte erforderlich. Teilweise genügten im privaten Raum geäußerte abfällige Bemerkungen oder harmlose Witze über das Regime oder den Machthaber, um als Regimefeind mit drakonischen Maßnahmen überzogen zu werden (vgl. Zeit Online, Pappe al-Assad, Artikel vom 26.11.2013; Süddeutsche Zeitung, Humor unter Assad: "Kommt ein Tourist nach Syrien ...", Artikel vom 27.5.2016; Gerhard Schweizer, Syrien verstehen, Geschichte, Gesellschaft und Religion, Seite 368 ff.). Die Politik der harten Hand unterdrückte jeden echten oder vermeintlichen Widerstand im Keim. Der Einsatz von Gewalt bei der Bekämpfung tatsächlicher oder vermeintlicher Regimegegner kannte in dem mit einem Netzwerk aus Spitzeln überzogenen Land keine Grenzen und wandte sich gleichermaßen gegen Männer, Frauen und Kinder (Deutschlandfunk, Atemlose Bestandsaufnahme der Gewalt in Syrien, Artikel vom 19.6.2012 zur Anwendung von Sippenhaft). Das syrische Regime war in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg faktisch eine Diktatur, die keine freie Meinungsäußerung duldete und jegliche tatsächliche oder vermeintliche Opposition durch Gewalt im Keim erstickte. Die Despotie führte zur gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Proteste im Zuge des Arabischen Frühlings Anfang 2011 und löste den bis heute andauernden Bürgerkrieg aus. Bereits in der Zeit vor dem Beginn des Bürgerkriegs war die Praxis der syrischen Dienste bekannt und belegt, Rückkehrer nach Syrien „bis zur völligen Abschöpfung“ einer Befragung zu unterziehen, die im Falle auftretender Zweifel bezüglich Identität oder regimetreuer Haltung in einem Haftzentrum unter Folter intensiviert wurde (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5.2.1987 - A 12 S 1096/83 -, juris; Beschluss vom 8.4.1992 - A 16 S 1765/91 -, juris; Urteil vom 15.7.1993 - A 16 S 282/93 -, juris; Urteil vom 19.5.1998 - A 2 S 28/98 -, juris). Diese menschenrechtswidrige Praxis wurde vom syrischen Regime während des Bürgerkriegs auch fortgesetzt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.6.2013 - A 11 S 927/13 -, juris).
30 
Im Verlauf des Bürgerkriegs behielt das syrische Regime innenpolitisch seine Politik der harten Hand bei. Die menschenrechtliche Situation verschlimmerte sich dadurch dramatisch. Das syrische Regime und die anderen Bürgerkriegsparteien gingen von Anfang an mit äußerster Brutalität gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner und gegen die Zivilbevölkerung vor, so dass bereits in den ersten 5 Jahren circa 470.000 Tote und die Vertreibung von 45 Prozent der Bevölkerung zu beklagen waren (Zeit Online, Artikel vom 11.2.2016, „Doppelt so viele Tote wie bisher angenommen“; Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Sechs Jahre Krieg in Syrien: (K)eine Lösung mit den Vereinten Nationen?). Mit zunehmender Einflussnahme und Beteiligung des Auslands (u.a. Saudi Arabien, Iran, Russland, USA, Türkei, BRD) nahm der Zustrom von Waffen zu und beteiligten sich immer mehr ausländische Freiwillige und Söldner an den Kämpfen in Syrien. Die ursprüngliche Motivation der Opposition, die Demokratisierung Syriens zu erreichen, rückte in den Hintergrund. Das Geschehen wurde dominiert durch den Kampf unterschiedlicher Staaten, Ethnien und religiösen Gruppierungen um politische Macht und Einfluss. Die direkte Beteiligung der Bündnispartner Assads - des Irans mit seinen Söldnern und der libanesischen Hisbollah-Miliz und Russlands - sowie die Bildung eines internationalen Bündnisses unter Führung der Vereinigten Staaten gegen die sunnitische Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) machte aus dem Konflikt innerhalb Syriens einen regionalen Stellvertreterkrieg zwischen dem schiitischen Iran auf der einen und dem sunnitischen Saudi-Arabien mit seinen Verbündeten Türkei und Katar auf der anderen Seite. Durch die Beteiligung der USA und Russlands entstand zudem ein überregionaler Konflikt zwischen den beiden Großmächten mit geostrategischen Implikationen, der durch die Luftangriffe der Türkei auf Kurden in Syrien 2015 und schließlich den Einmarsch türkischer Bodentruppen im August 2016 verschärft wurde. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligte sich ab 2015 an dem Konflikt (vgl. Bundeswehrjournal, Artikel vom 16.12.2015, „Bundeswehr unterstützt erstmals Luftangriffe gegen den IS“). Daneben findet u.a. in Deutschland die Personalgewinnung in der Gestalt der Rekrutierung islamistischer Kämpfer und Attentäter sowie die Planung und Finanzierung von Maßnahmen gegen das syrische Regime statt (vgl. Deutsche Presseagentur, Artikel vom 16.9.2016, „Terrorismus/Über 120 Verfahren mit Syrien-Bezug bei der Bundesanwaltschaft“).
31 
Wegen der dargestellten Strukturen und Politiken des syrischen Regimes und der politischen Bezüge auch zur Bundesrepublik Deutschland ist das Gericht davon überzeugt, dass die Sicherheits- und Geheimdienste des sich in einem existentiellen Abwehrkampf befindlichen syrischen Regimes derzeit jeden Rückkehrer aus Deutschland bis zum Beweis des Gegenteils als potentiellen Regimegegner und Gefährder ansehen. Die Lebensumstände syrischer Flüchtlinge in Deutschland sind den syrischen Diensten ebenso bekannt wie die drohenden existentiellen Probleme im Fall einer Rückkehr nach Syrien. Den Diensten ist bewusst, dass derzeit kein vernünftiger Flüchtling eine Wiedereinreise nach Syrien riskieren würde. Jeder zum jetzigen Zeitpunkt Wiedereinreisende ist bereits deswegen suspekt. Für die Annahme, dass es sich um einen potentiellen Regimegegner handelt, genügt es aus der Sicht syrischer Dienste, dass der zurückkehrende Flüchtling illegal aus Syrien ausgereist ist, dass er sich längere Zeit in Deutschland aufgehalten hat, dass er ohne einen plausiblen Grund in das bürgerkriegsgeschüttelte, ruinierte Land zurückkehrt und dass keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, was der Flüchtling in Europa konkret gemacht hat.
32 
Die gegenteilige Annahme, nach der syrische Sicherheits- und Geheimdienste zum jetzigen Zeitpunkt zurückkehrende Flüchtlinge als harmlose Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge ansehen und als solche unbehelligt einreisen lassen, überzeugt das Gericht dagegen nicht. Die Einschätzung blendet die historischen Entwicklungen der letzten 40 Jahre, die Strukturen und Politiken des syrischen Regimes und die aktuelle Lage, in der dieses Regime mit allen Mitteln um seine Existenz ringt, völlig aus. Die Annahme, die Befragung unter Anwendung von Folter sei zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, es sei aber nicht zu klären, ob sie der politischen Unterdrückung oder lediglich der Identitätsklärung und Kriminalitätsbekämpfung diene, erscheint ebenfalls abwegig. Bei Berücksichtigung der Strukturen, Politiken und Einrichtungen des in seiner Existenz bedrohten totalitären syrischen Regimes und seiner seit Jahrzehnten angewandten menschenrechtswidrigen Praktiken stellen die bei Wiedereinreise im jetzigen Zeitpunkt zu erwartenden Befragungen mit schwerster Folter und anschließender Inhaftierung ohne Verfahren keine politisch neutralen polizeilichen Aufklärungsmaßnahmen dar.
33 
Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgingen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründeten (so Bay. VGH, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30338 -, juris), vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Aus dem Umstand, dass in den – u. a. im Urteil des Bay. VGH a.a.O., Rn. 73 ff. dargestellten – dokumentierten Fällen von Inhaftierungen und Misshandlungen Abgeschobener über einen Auslandsaufenthalt und ggf. die Asylantragstellung im Ausland hinaus Besonderheiten vorlagen (Aufenthalte in Haftanstalten des Geheimdienstes vor Ausreise, Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland, herausgehobene Position in einer Nichtregierungsorganisation, Abschiebung wegen Straffälligkeit in Deutschland, ungeklärte Staatsangehörigkeit, exilpolitische Aktivitäten, Mitführen von Bargeld), lässt sich nicht ableiten, dass es derartiger Merkmale oder Besonderheiten bedürfte, um bei einer Wiedereinreise der Gefahr unter Folter durchgeführter Vernehmungen ausgesetzt zu sein. Dieser Schluss verbietet sich schon deshalb, weil nach den verfügbaren Erkenntnismitteln keine Informationen darüber vorliegen, was mit Abgeschobenen geschieht bzw. geschähe, bei denen derartige „Besonderheiten“ fehlen. Den aktuellsten Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 07.11.2016 an das OVG Schleswig-Holstein und vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf ist zu entnehmen, es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Anders könne es aussehen, wenn das Regime davon ausgehe, dass sich die betreffende Person oppositionell betätigt habe. Eine Aussagekraft oder gar ein Beweiswert in dem Sinne, dass das in diesen Berichten konstatierte Nichtvorliegen von Erkenntnissen für das Nichtvorliegen einer allgemeinen Rückkehrerverfolgung spräche, kommt diesen Auskünften nicht zu (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 24.01.2017 - A 4 K 5434/16 -, juris). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 22.02.2017 lässt sich entnehmen, es sei „schwierig“ bzw. „unmöglich“, bezüglich des Ausmaßes der Rückkehrerbefragungen in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Aussagen zu treffen. Es lägen jedoch keine Berichte vor, die flächendeckende Befragungen explizit verneinten. Die Datenlage sei insoweit „nicht belastbar“. Schließlich folgt Derartiges auch nicht daraus, dass in den vom UNHCR definierten Risikogruppen (vgl. International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update IV, November 2015; abrufbar unter http://www.refworld.org/ pdfid/5641ef894.pdf) ehemalige Asylsuchende nicht genannt sind (vgl. dazu Bay. VGH a.a.O. Rn. 87). Denn dem Risikoprofil „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“ könnten Rückkehrer aus Sicht des syrischen Regimes durchaus zuzuordnen sein. Das OVG Nordrheinwestfalen (a.a.O. Rn. 83) weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass die Risikoprofile des UNHCR nach ihrem Zuschnitt „praktisch die gesamte Bevölkerung“ erfassen. Ihre Aussagekraft wird dadurch jedenfalls dahingehend relativiert, dass sie keine zwingenden Umkehrschlüsse zulassen.
34 
Während nach dem Vorstehenden letztlich keine greifbaren Anhaltspunkte vorliegen, die (positiv) gegen eine - vom Vorliegen besonderer Merkmale oder Umstände unabhängige - Rückkehrerverfolgung sprechen, sind dem Erkenntnismaterial durchaus auch aktuell beachtliche Hinweise auf eine solche zu entnehmen. So wird im „Country Report on Human Rights Practices for 2015“ des U.S. State Departement auf Seite 34 f. (abrufbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport) unter der Überschrift „Emigration and Repatriation“ ausgeführt, sowohl Personen, die in anderen Ländern erfolglos um Asyl nachgesucht hätten, als auch solche die früher Verbindungen zur Muslim-Brüderschaft unterhalten hätten, seien bei einer Wiedereinreise (Straf-)Verfolgung ausgesetzt gewesen („… faced prosecution“). Soweit es im Folgesatz heißt, das Gesetz stelle die (Straf-)Verfolgung aller Personen sicher, die im Ausland Asylanträge gestellt hätten, um der Strafverfolgung in Syrien zu entgehen, kann daraus - jedenfalls nicht zwingend - geschlossen werden, dass eine drohende Verfolgung allein hieran anknüpft (so aber Bay. VGH a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris). Das Immigration and Refugee Board of Canada führt in seinem Bericht vom 19.01.2016 (abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/56d7fc034.html) unter „Treatment of Failed Refugee Claimants“ aus, nach der Auskunft eines emeritierten Professors für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford müsse ein erfolgloser Asylbewerber damit rechnen, verhaftet zu werden. Es würde auch Folter angewandt, um zu ermitteln, weshalb der Betreffende Syrien verlassen habe. Eine als „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“ bezeichnete andere Auskunftsperson bestätigt diese Einschätzung und ergänzt, eine solche Person würde als „anti-government or opposition“ behandelt. Eine dritte Auskunftsperson (Visiting Senior Research Fellow am Kings College London) weist darauf hin, dass es insoweit keinen Automatismus gebe. Während „traditionell denkende“ Offizielle des Regimes glaubten, dass alle Asylbewerber eine regimefeindliche Gesinnung hätten, gebe es andere, die sich darüber im Klaren seien, dass manche Menschen das Land aus „ökonomischen“ Gründen verlassen hätten. Nichts sei vorhersehbar.
35 
Nach Auffassung der Kammer spricht schließlich auch der Umstand, dass insbesondere in den letzten drei Jahren ein Massenexodus aus Syrien stattgefunden hat und sich insgesamt nunmehr mindestens ein Fünftel der Gesamtbevölkerung auf der Flucht befindet, nicht dafür, dass die illegale Ausreise und Asylantragstellung aus Sicht des syrischen Regimes generell nicht mehr als Ausdruck einer oppositionellen Haltung gesehen würde (so aber OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O., Rn. 60 ff.). Einschätzungen hinsichtlich der Motivlage und Gefahreneinschätzung syrischer Staatsbediensteter sind zunächst zwangsläufig spekulativ. Zwar mag es nahe liegen, dass auch dem syrischen Regime bewusst ist, dass es der Mehrheit der Geflüchteten primär darauf ankommt, den verheerenden Zuständen im Land entkommen. Die Annahme, dass im Hinblick auf diese Entwicklung bei einer Rückkehr erfolgloser Asylbewerber vernünftigerweise nicht mehr mit Befragung, ggf. Inhaftierung und Folter gerechnet werden müsste, widerspricht jedoch der Funktionsweise des syrischen Staatsapparates und seiner unabhängigen und unbeschränkt agierenden Dienste. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer skrupellosen Behandlung auch nur potentiell Verdächtiger (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris).
36 
Auf dieser Erkenntnisgrundlage spricht mehr für als gegen das Bestehen eines realen Risikos bzw. einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit, als zurückkehrender Asylbewerber bei einer Wiedereinreise über den Flughafen Damaskus menschenrechtswidrigen Befragungen ausgesetzt zu sein. Es fehlt dabei auch nicht an der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer solchen Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen nach § 3 Abs. 1 AsylG (so aber OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O.; OVG Saarland, Urteil vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 -, juris).
37 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen und Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Auch unmenschliche Behandlung, insbesondere Folter, kann sich dann als asylrelevante Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale oder im Blick auf diese in verschärfter Form eingesetzt wird (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08.06.2000 - 2 BvR 81/00 -, InfAuslR 2000, 457). Auch wenn der Verfolger lediglich den Verdacht der Trägerschaft eines asylerheblichen Merkmals hegt, dürfen die zur weiteren Aufklärung dieses Verdachts eingesetzten Mittel nicht als asylrechtlich unbeachtlich qualifiziert werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142).
38 
Nach der oben dargestellten Prägung und dem Selbstverständnis des syrischen Regimes sowie der sämtliche Lebensbereiche umfassenden, autoritären Struktur und totalitären Ausrichtung des Staatsapparates ist davon auszugehen, dass das Regime jeden illegal Ausgereisten als potentiellen politischen Gegner ansieht („Polit-Malus“) und ihm dieses Merkmal gleichsam auf Verdacht zuschreibt (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Die genannten Maßnahmen bei einer Wiedereinreise aus dem westlichen Ausland zurückkehrender Flüchtlinge werden zur Unterdrückung und Abschreckung tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner angewandt und stellen in der Folge eine politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG dar. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die zu erwartenden Maßnahmen die körperliche und seelische Vernichtung der betroffenen Heimkehrer zumindest in Kauf nehmen und die Flüchtlinge damit gezielt ausgrenzen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 -, juris). Würde das anders gesehen, wäre im vorliegenden Fall der politische Charakter der Verfolgungsmaßnahmen aber jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen und läge keine hinreichende Grundlage für eine fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG vor (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.12.2012 - 2 BvR 2954/09 -, juris).
39 
Nach alldem haben die Kläger bei einer hypothetischen Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen. Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG können sie nicht erlangen.Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, a.a.O., m. w. N.). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
40 
Anhaltspunkte für das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 und 3 AsylG wurden weder vorgetragen noch sind solche für das Gericht ersichtlich.
41 
Nachdem die Kläger bereits wegen der festgestellten Nachfluchtgründe die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen können, kann dahinstehen und lässt das Gericht daher offen, ob sie verfolgt ausgereist sind oder bei ihnen sonstige Gründe für eine Gefahr politischer Verfolgung sprechen könnten.
42 
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind damit gegeben. Den Klagen ist somit stattzugeben.
43 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 07. März 2017 - A 2 K 5515/16

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 07. März 2017 - A 2 K 5515/16

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen
Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 07. März 2017 - A 2 K 5515/16 zitiert 13 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 28 Nachfluchttatbestände


(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss

Referenzen - Urteile

Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 07. März 2017 - A 2 K 5515/16 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30338

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Tenor I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten we

Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 24. Jan. 2017 - A 4 K 5434/16

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Tenor Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 wird hinsichtlich dessen Ziffer 2 aufgehoben.Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.Die Beklagte trägt die Kosten des gericht

Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 23. Nov. 2016 - A 5 K 1372/16

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Tenor Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.Die Beklagte trägt die Kosten des gericht

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Dez. 2012 - 2 BvR 2954/09

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Tenor Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2009 - M 22 K 07.50683 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbi

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 03. Nov. 2011 - A 8 S 1116/11

bei uns veröffentlicht am 03.11.2011

Tenor Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, wird das Berufungsverfahren eingestellt.Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Februar 2010 - A 6 K 739/09 - geändert. Die Beklagte wird unter
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 07. März 2017 - A 2 K 5515/16.

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 09. Okt. 2017 - 9 A 471/16

bei uns veröffentlicht am 09.10.2017

Tatbestand 1 Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. 2 Der am 06.02.1964 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und islamischer Glaubenszugehörigkeit mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 13. Mai 2016 - 9 A 722/16

bei uns veröffentlicht am 13.05.2016

Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. 2 Die am 01.04.2013 in D-Stadt geborene Klägerin ist syrische Staatsangehörige. Sie reiste mit ihrer Großmutter über den Landweg kommend am in die Bundesrepublik Deuts

Referenzen

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.

(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.

(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

Tenor

Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, wird das Berufungsverfahren eingestellt.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Februar 2010 - A 6 K 739/09 - geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. April 2009 verpflichtet festzustellen, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staats Volksrepublik China vorliegen.

Die Klägerin trägt 1/3 und die Beklagte 2/3 der Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die nach ihren Angaben am ... in ... (Kreis Sangri, Bezirk Lhoka) in Tibet / Volksrepublik China geborene und zuletzt wohnhafte Klägerin ist nach ihrem Vorbringen chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit. Wie sie weiter angab, reiste sie am 27.11.2008 mit dem Flugzeug von Nepal und auf weiter ungeklärte Weise in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 15.12.2008 stellte sie einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hörte sie am 12.02.2009 zu ihrem Begehren an. Sie gab an, sie habe einen älteren Bruder gehabt, der am 16.06.2008 von chinesischen Polizisten getötet worden sei. Der Bruder habe sich an diesem Tage bei ihr versteckt, nachdem er erzählt habe, die Polizei suche ihn, weil er am 10.03.2008 in Lhasa gegen China demonstriert habe. Als sie am 18.06.2008 zu ihrem Zelt zurückgekehrt sei, sei ihr Bruder verschwunden gewesen. Am 30.06.2008 habe man seine Leiche gefunden. Am 05.07.2008 seien drei Polizisten gekommen. Sie hätten sie ins Auto gezerrt und vergewaltigt. Sie hätten gesagt, ihr Bruder sei ein Reaktionär und ihr Onkel solle aufhören, den Ruf der Polizei zu zerstören. Wenn er damit nicht aufhöre, werde die Polizei dafür sorgen, dass man „ihren Leichnam nicht finde“. Am 09. und 15.07.2008 sei sie wieder von den Polizisten vergewaltigt worden. Daraufhin sei sie zu ihrem Onkel gegangen, der ihr bei der Ausreise geholfen habe. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die Anhörung verwiesen.
Mit Bescheid vom 21.04.2009 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Nr. 1). Ferner stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Es drohte der Klägerin für den Fall der Nichtbeachtung einer einmonatigen Ausreisefrist die Abschiebung in die Volksrepublik China oder einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, „insbesondere nach Nepal“, an (Nr. 4).
Mit ihrer am 07.05.2009 vor dem Verwaltungsgericht Freiburg - A 6 K 739/09 - erhobenen Klage hat die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten begehrt, den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21.04.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25.02.2010 die Beklagte verpflichtet, zugunsten der Klägerin festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot für China und Nepal gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG besteht. Die Nummern 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21.04.2009 hat es aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Klageabweisung hat es unter anderem ausgeführt, mit Gefahren, die eine politische Verfolgung begründeten, müsse die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rechnen. Aus solchen Gründen sei sie aus ihrer Heimat auch nicht ausgereist. Zwar trage die Klägerin vor, in ihrer Heimat noch immer wegen der politischen Aktivitäten ihres Bruders gefährdet zu sein. Auch könne ihr nicht widerlegt werden, dass sie tatsächlich aus Tibet stamme. Ihr Bruder sei jedoch schon seit geraumer Zeit tot; eine weitere Verfolgung von Familienangehörigen erscheine daher unwahrscheinlich und unglaubhaft. Dazu sei auch kein ausreichend schwerwiegendes politisches Gewicht ihres Bruders im tibetischen Widerstand dargetan worden. Die Klägerin habe ihrem Bruder auch nicht zugearbeitet oder ihn nachgeahmt. Die Vergewaltigung der Klägerin erscheine - solle ihrem Vorbringen insoweit überhaupt gefolgt werden - als Übergriff der Polizisten im Amt. Das Auffinden ihres Bruders in ihrem Zelt möge für die Polizisten lediglich eine Gelegenheit gewesen sein, die damit „angreifbar“ gewordene Klägerin gefügig zu machen. Das zeige auch die Wiederholung der Taten am 09.07. und 15.07.2008, die nach dem gleichen Muster abgelaufen seien, obwohl der unmittelbare „politische“ Anlass bereits entfallen gewesen sei. Damit erscheine die Klägerin nicht wegen der Ereignisse in ihrer Heimat aus politischen Gründen gefährdet. Gegen sie liege nichts vor. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft habe auch nicht wegen nachträglich eingetretener Gefahren, die ihr bei einer Rückkehr nach China drohen könnten, zu erfolgen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie illegal ausgereist sei. Für eine illegale Ausreise habe kein Anlass bestanden. Sie habe über Zentralchina ausreisen können. Soweit die Klägerin sich exilpolitisch betätigt habe, könne sie sich darauf nicht berufen, weil es sich um einen selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund handele. Abgesehen davon sei die Gefährdung wegen der exilpolitischen Betätigung dadurch wesentlich gemindert, dass ihr keine politische „Karriere“ in der Heimat vorausgegangen sei. Auch dürfte die Klägerin nicht sonderlich hervorgetreten sein. Unabhängig von der „nicht die Schwelle asylerheblicher Relevanz erreichenden“ Bedrängnis durch Polizisten bestehe zu Gunsten der Klägerin ein Abschiebungsverbot für China und Nepal im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Gericht habe den Eindruck gewonnen, dass „die dargestellten Vergewaltigungen durch Polizeibeamte einen wahren Kern enthalten“ hätten. Daran ändere es nichts, dass sie der Zahl und den Umständen nach möglicherweise übertrieben dargestellt worden seien. Eine Abschiebung sei auch nach Nepal nicht zulässig.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat die Berufung gegen das Urteil mit Beschluss vom 07.04.2011 - A 8 S 780/10 - zugelassen. In ihrem Schriftsatz vom 27.04.2010 hat die Klägerin ihre Berufung begründet. Sie ist der Ansicht, ihr sei internationaler Schutz gemäß Art. 13 RL 2004/83/EG und § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren und begründet dies mit einer Vorverfolgung in Tibet sowie mit Nachfluchtgründen, insbesondere ihrer exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Februar 2010 - A 6 K 739/09 - zu ändern, soweit es die Klage abweist, und die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. April 2009 zu verpflichten festzustellen, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staats Volksrepublik China vorliegen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Berufung zurückzuweisen.
12 
Sie ist der Auffassung, eine illegale Ausreise, ein längerfristiger Auslandsverbleib und ein als exiloppositionell eingestuftes Auftreten im Bundesgebiet begründeten bei tibetischen Volkszugehörigen aus China weder allgemein noch nach den Einzelfallgegebenheiten eine relevante Verfolgungsgefahr. Die Frage einer Gefährdung in Anschluss an eine illegale Ausreise stelle sich im Übrigen schon nicht, weil eine illegale Ausreise nicht glaubhaft sei. Die exilpolitischen Bemühungen seien nicht in nötiger Weise exponiert. Eine Gefahr der politischen Verfolgung sei auch mit Blick auf die Erlebnisse, die zur Ausreise geführt haben sollten, nicht veranlasst. Es bestehe nicht die Überzeugung von der Richtigkeit der Schilderungen. Davon unabhängig werde die Bewertung des Verwaltungsgerichts geteilt, dass keine Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale der Klägerin feststellbar sei. Ferner müsste eine Vorschädigungswiederholung mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren sein. Daran sei zu zweifeln. Es spreche Stichhaltiges gegen die Wiederholungsträchtigkeit gerade einer solchen Verfolgung, nachdem die Lage im Vorfeld der Proteste gegen die Olympischen Spiele von Peking gerade in der Provinz Tibet angespannt und das Geschehen durch das Handeln des Bruders situationsbedingt gewesen sei.
13 
Die Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung zu ihrem Schutzbegehren angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
14 
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung der Klägerin ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - begründet.
16 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der Anspruch der Klägerin auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974). Zugelassen hatte der Senat die Berufung auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Klägerin hat dieses Begehren jedoch zurückgenommen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspr.).
17 
2. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
18 
a) Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats eine chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit aus Tibet.
19 
Der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist (BVerwG, Urteil vom 12.07.2005 - 1 C 22.04 - NVwZ 2006, 99). Die Klägern ist ohne jegliche Personalpapiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat bis heute solche auch nicht vorgewiesen. Sie spricht fließend Tibetisch, doch bietet dies allein lediglich ein Indiz für die behauptete Herkunft aus der Autonomen Region Tibet in der Volksrepublik China. Denn vor allem in Indien (mit etwa um 100.000 Tibetern), daneben aber auch in Nepal und anderen Staaten gibt es eine große tibetische Exilgemeinde, die sich dort bereits über einen langen Zeitraum zusammengefunden hat. In Indien haben viele Tibeter einen gesicherten Aufenthaltsstatus; die tibetische Exilregierung ist in Dharamsala in Indien ansässig (vgl. etwa SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 6). In Nepal, wo wohl rund 20.000 Tibeter leben, gibt es für diese Zugang zu Bildung in tibetischsprachigen Schulen (SFH, a.a.O., 22.10.2004, S. 3). Die Mehrheit der Bevölkerung der im Nordosten Indiens liegenden Staaten, zu denen etwa Arunachal Pradesh gehört, ist der tibeto-burmesisch-mongolischen Ethnie zuzuordnen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 08.03.2010 an das VG Sigmaringen - A 6 K 75/09 - S. 2) Gleichwohl bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Herkunft der Klägerin aus Tibet / China. Eine behauptete Staatsangehörigkeit kann insbesondere nicht nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates nachgewiesen werden. Die Überzeugung von einer Staatsangehörigkeit kann vielmehr auch auf der Grundlage von Unterlagen, Zeugenaussagen oder sonstigen Erkenntnismitteln gebildet werden, wenngleich die häufig schwierige Feststellung einer ausländischen Staatsangehörigkeit in der Regel nicht ohne Einholung von amtlichen Auskünften oder Gutachten zur einschlägigen Gesetzeslage und Rechtspraxis in dem betreffenden Staat möglich sein dürfte, wenn Ausweispapiere oder andere Belege und Urkunden aus dem betreffenden Staat fehlen (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087). Im Fall der Klägerin lassen deren Angaben mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit (vgl. dazu grundlegend BGH, Urteil vom 17.02.1970 - III ZR 139/67 - BGHZ 53, 245 ff.) den Schluss zu, dass sie aus Tibet / China stammt. Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin angehört und ist zu der Überzeugung gekommen, sie stamme aus der Autonomen Region Tibet. Dieser Würdigung kann sich der Senat anschließen, zumal auch das Bundesamt von Anfang an die Herkunft der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt und ihr selbst die Abschiebung nach China angedroht hat. Der Senat hat die Klägerin zudem persönlich zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 angehört. Hierbei machte sie umfangreiche Angaben. Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Ihre Herkunft aus der Autonomen Region Tibet begegnet somit keinen durchgreifenden Zweifeln. Angesichts der feststehenden Herkunft der Klägerin bedarf es keiner Ermittlungen zur Gesetzeslage und Rechtspraxis in China, weil es keinem Zweifel unterliegt, dass eine seit jeher aus der Autonomen Region Tibet stammende Tibeterin die chinesische Staatsangehörigkeit inne hat, wenn sie - wie die Klägerin mit Ausnahme des insoweit bedeutungslosen Geschehens seit ihrer Ausreise im Jahre 2008 - sonst keinerlei Bezug zu anderen Staaten hat.
20 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
21 
Nach Art. 2 lit. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG.
23 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
24 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377, und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 Rn. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192).
25 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., Rn. 128). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982 <985>). Die Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
26 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschrieben Weise betroffen ist (lit. b)).
27 
bb) Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise war die Klägerin keiner Gruppenverfolgung aufgrund ihrer tibetischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Unter diesem Gesichtspunkt kann ihr die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
28 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 <249> Rn. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
29 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237 Rn. 15).
30 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O. Rn. 16; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris und vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 - juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 - juris).
31 
(2) Im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin (zweites Halbjahr des Jahres 2008) unterlagen die Volkszugehörigen der Tibeter keiner Gruppenverfolgung.
32 
(a) Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China stellte sich zu dieser Zeit nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
33 
Die Autonome Region Xizang wurde von insgesamt ca. 2,8 Millionen Menschen bewohnt (Fischer-Weltalmanach 2009, S. 101; die in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008 und vom 14.05.2009 fälschlich angegebene Zahl von ca. 6 Mio. Bewohnern tibetischer Volkszugehörigkeit erfasst in etwa die Zahl der ethnischen Tibeter in ganz China; so zutreffend noch der Lagebericht vom 08.11.2005 und wieder der Lagebericht vom 10.07.2010). Tibeter lebten auch in Grenzgebieten der Nachbarprovinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. Ihr Lebensstandard hatte sich zwar durch massive Finanztransfers der Zentralregierung erheblich verbessert, doch lag ihre Lebenserwartung nach wie vor unter, die Kindersterblichkeit über dem Landesdurchschnitt. Wie alle anderen nationalen Minderheiten genossen die Tibeter einige Freiheiten, wie zum Beispiel eine Ausnahme von der Ein-Kind-Politik. Echte Einflussmöglichkeiten auf die Politik wurden ihnen jedoch kaum eingeräumt. Obwohl die Tibeter in der Autonomen Region im Vergleich zu den Han-Chinesen die Mehrheit bildeten, waren Schlüsselpositionen überwiegend mit Han-Chinesen besetzt. Die individuelle Religionsausübung buddhistischer Laien war in Tibet weitgehend gewährleistet, dagegen unterlag der Lamaismus Restriktionen. Diese bestanden zum Beispiel in der Verhinderung von Klosterbeitritten vor Vollendung des 18. Lebensjahres und in der Beschränkung der Anzahl von Mönchen und Nonnen auf das „für die normale religiöse Versorgung der Bevölkerung erforderliche Maß“ (laut Weißbuch Tibet 2009 waren das ca. 46.000 Mönche und Nonnen, sowie 6.000 Novizen). Mönche und Nonnen mussten regelmäßig „sozialistische Schulungskampagnen“ durchlaufen. Bilder des Dalai Lama durften öffentlich nicht gezeigt werden. Der Privatbesitz solcher Bilder war nach offiziellen Angaben erlaubt. Dennoch berichteten Menschenrechtsorganisationen von Haftstrafen. Den offiziellen Besuchern religiöser Institutionen war eine - wenngleich kontrollierte - Religionsausübung möglich. Offizielle Angaben über die genaue Zahl tibetischer politischer Gefangener lagen nicht vor. Vor allem nach den Unruhen im März 2008 waren auch Schätzungen schwer zu treffen. Einem am 21.06.2008 in der China Daily erschienenen Bericht zufolge wurden 4.434 Tibeter im Zuge der Märzproteste festgenommen, 3.027 allerdings kurze Zeit später wieder freigelassen. Einige Nichtregierungsorganisationen gingen von mehr als 6.000 Verhaftungen aus. Als Folge der Unruhen gab es nach offiziellen Angaben 21 Todesopfer (darunter ein Polizist) und 523 Verletzte (darunter 241 Polizisten). 42 Personen wurden verurteilt, 116 erwarteten noch ihren Prozess. Dem Auswärtigen Amt lagen hierzu keine gesicherten eigenen Erkenntnisse vor. Nach Berichten von Nichtregierungsorganisationen flohen weiterhin jedes Jahr mehrere tausend Tibeter aus religiösen Gründen über die Grenze nach Nepal und weiter nach Indien. Nicht alle erreichten ihr Ziel, denn die chinesischen Behörden versuchten die illegalen Grenzgänger - zum Teil mit allen Mitteln - von ihrem Vorhaben abzuhalten. Nach Informationen des Tibetischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) wurden am 18.10.2007 drei Personen einer 46 Tibeter zählenden Flüchtlingsgruppe von chinesischen Grenzsoldaten festgenommen. Neun Tibeter wurden vermisst, nachdem die Grenzpolizei das Feuer auf die Gruppe eröffnet hatte. Dem im Exil lebenden Dalai Lama wurde von Peking weiterhin vorgehalten, unter dem Deckmantel der Verfolgung religiöser Ziele die Unabhängigkeit Tibets zu betreiben. Die Zentralregierung beanspruchte mit der „Verwaltungsmaßnahme für die Reinkarnation Lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus“ vom 01.09.2007 auch außerhalb der Autonomen Region das alleinige Recht, über die Einsetzung buddhistischer Würdenträger zu entscheiden. Von ICT (Internationale Kampagne für Tibet) wurde befürchtet, dass die chinesische Staatsführung damit gezielt eine weitere Schwächung der Autorität anerkannter Glaubensführer des tibetischen Buddhismus anstrebte. Nachdem die Beschränkungen des tibetischen Buddhismus zu Beginn des Jahres 2008 einen neuen Höhepunkt erreicht hatten, kam es zu einer Reihe von Protesten in der Region. Beginnend mit einem Marsch von schätzungsweise 300 Mönchen aus dem Kloster Depung am 10.03.2008 in Lhasa, verbreiteten sich die Proteste über die gesamte Autonome Region und auch in Gegenden außerhalb. Die Demonstranten forderten Religionsfreiheit, die Unabhängigkeit Tibets, die Freilassung des Panchen Lama und die Rückkehr des Dalai Lama. Die Regierung machte den Dalai Lama für die Ausschreitungen verantwortlich. Die verstärkte Präsenz chinesischer Sicherheitskräfte in Tibet dauerte an (vgl. Lagebericht des AA vom 14.05.2009, Stand Februar 2009, S. 15 f.).
34 
Am 30.10.2007 erklärte das Auswärtige Amt gegenüber dem Verwaltungsgericht Ansbach (Gz. 508-516.80/45113), tibetische Volkszugehörige müssten in China nicht mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit einzig aus dem Grund rechnen, dass sie tibetischer Volkszugehörigkeit seien, solange sie nicht gegen die einschlägigen Religionsbestimmungen verstießen und sich nicht politisch gegen die Regierung engagierten. Die Unruhen vom März 2008 führten nach der Auskunftslage insoweit zu keiner durchgreifenden Änderung. Unter dem 15.07.2008 teilte das Auswärtigen Amt dem Verwaltungsgericht Regensburg mit (Gz. 508-516.80/45438), ihm lägen keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige vor, weder eingeleitet noch kurz bevorstehend.
35 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin im Juli 2008 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der Tibeter schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde die Volksgruppe der Tibeter nicht gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen.
36 
cc) Nach den überzeugenden individuellen Einlassungen der Klägerin zu den Geschehnissen vor ihrer Ausreise war sie allerdings einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und damit einer anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt.
37 
(1) Die Klägerin hat bei der Bundesamtsanhörung wie auch vor dem Verwaltungsgericht von Vergewaltigungen durch chinesische Polizisten am 05., 09. und 15.07.2008 berichtet. In diesem Zusammenhang hätten die Beamten geäußert, ihr - besonders im März 2008 politisch aktiver und im Juni 2008 tot aufgefundener - Bruder sei ein Reaktionär, und ihr Onkel solle aufhören, den Ruf der Polizei zu zerstören. Wenn er damit nicht aufhöre, werde die Polizei dafür sorgen, dass man „ihren Leichnam nicht finde“.
38 
(2) Bei den geschilderten Erlebnissen handelt es sich um Vorgänge im Verfolgerland, hinsichtlich derer sich die Klägerin in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet und für die daher eine „Glaubhaftmachung“ im Rahmen der - gleichwohl nach Maßgabe des § 108 Abs. 1 VwGO gebotenen - richterlichen Überzeugungsbildung genügt (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71,180). Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Entscheidungsgründe seines Urteils bei der Anhörung der Klägerin den Eindruck gewonnen, dass die Darstellung der Vergewaltigungen durch Polizeibeamte einen „wahren Kern“ enthalten habe. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die Übergriffe der Zahl und den Umständen nach möglicherweise übertrieben geschildert worden seien. Die Klägerin habe mit einem gewissen Ernst und einer noch spürbaren Betroffenheit von dem Vorfall berichtet. Ihr Vorbringen erscheine glaubhaft. Die Klägerin sei bei ihrer Schilderung den Tränen nahe gewesen. Diesem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiserhebung schließt sich der Senat an. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht nur dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für die Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.11.2001 - 1 B 297.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 251). Zu einer abweichenden Glaubwürdigkeitsbeurteilung sieht der Senat indes keinen Anlass. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen zu den als Grund der Ausreise genannten Vorfällen im Heimatland der Klägerin, die eine erneute Anhörung geböten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 12.06.2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524, und vom 22.11.2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487; BGH, Urteil vom 09.03.2005 - VIII ZR 266/03 - NJW 2003, 1583 <1584>; jeweils zu § 529 ZPO).
39 
(3) Der Senat ordnet die Vergewaltigungen durch Polizisten jedoch insoweit rechtlich anders ein als das Verwaltungsgericht, als er sie - ohne dabei die Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen in Frage zu ziehen - dem Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG zuordnet. Die von der Klägerin geschilderten Vergewaltigungen stellen relevante Verfolgungsmaßnahmen dar. Es handelt sich insoweit um die Anwendung physischer beziehungsweise sexueller Gewalt im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 und 5 AufenthG, Art. 9 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 lit. a) RL 83/2004/EG. Es besteht auch die erforderliche Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 83/2004/EG genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 83/2004/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen (vgl. Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 lit. c) RL 83/2004/EG). Die Vergewaltigungen knüpften an die „Rasse“ der Klägerin im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. a) RL 83/2004/EG an. Der Begriff der „Rasse“ umfasst nach dieser Bestimmung insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe. Der Senat ist davon überzeugt, dass nach dem Ergebnis der vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme die Vergewaltigungen in der im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Weise mit der tibetischen Volkszugehörigkeit der Klägerin verknüpft sind. Das Verwaltungsgericht war insoweit sinngemäß der Auffassung, die Übergriffe seien als Akte amtlicher Willkür anzusehen, die durch den tibetisch-chinesischen Dauerkonflikt - gerade im Klima der allgemeinen Unruhe und Gereiztheit des Jahres 2008 - begünstigt worden seien, die Klägerin aber nicht „aus politischen Gründen“ getroffen hätten. Dies sieht der Senat anders. Es muss zwar davon ausgegangen werden, dass sexuelle Übergriffe durch chinesische Beamte als Willkürakte in ganz China vorkommen. Berichte über Folter und Misshandlung etwa in chinesischen Gefängnissen sind bezogen auf das ganze Land bekannt (vgl. etwa amnesty international, ai Report 2011, S. 134). Gerade für Tibet wird von Misshandlungen, auch sexueller Art beziehungsweise in Form von Vergewaltigungen, berichtet (TID e.V., Stellungnahme vom 28.02.2006, S. 2, und Auswärtiges Amt vom 10.03.2006, Nr. 5, an VG Bayreuth - B 5 K 05.30078 -; BAMF, Volksrepublik China - Tibeter im Konflikt mit dem Staat, März 2008, S. 8). Ausgehend von der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin jedenfalls auch deshalb Opfer der Vergewaltigungen wurde, weil sie (als Tibeterin) in den tibetisch-chinesischen Konflikt verwickelt war, knüpften die Taten aber in ihrem Fall durchaus an die Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe der Tibeter an.
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Die Taten sind der Volksrepublik China zurechenbar. Verfolgungen Dritter sind dem Staat zuzurechnen, wenn er nicht mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt; hierbei ist freilich zu bedenken, dass es keiner staatlichen Ordnungsmacht möglich ist, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 - BVerfGE 80, 315 <334, 336>; Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 - BVerfGE 83, 216 <235>). Bei vereinzelten Exzesstaten von Amtswaltern kann in Betracht kommen, dass diese dem Staat nicht zugerechnet werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O. <352>). Der bloße Umstand, dass bestimmte Maßnahmen der Rechtsordnung des Herkunftsstaats widersprechen, berechtigt aber noch nicht dazu, sie als Amtswalterexzesse einzustufen. Vielmehr bedarf es entsprechender verlässlicher tatsächlicher Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20.05.1992 - 2 BvR 205/92 - NVwZ 1992, 1081 <1083> und vom 08.06.2000 - 2 BvR 81/00 - InfAuslR 2000, 457 <458>). Andernfalls bleibt das Handeln der Sicherheitsorgane dem Staat zurechenbar (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14.05.2003 - 2 BvR 134/01 - DVBl 2003, 1260 m.w.N.). Ausgehend davon bleiben die hier in Rede stehenden Handlungen der Polizisten dem Staat Volksrepublik China zurechenbar. Verlässliche tatsächliche Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten, hat die Anhörung nicht erbracht (vgl. zu den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren auch § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a)-c) AufenthG).
41 
Unter diesen Umständen sprechen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Autonome Region Tibet erneut von solcher Verfolgung wie vor ihrer Ausreise bedroht wäre. Allein der zeitliche Abstand seit dem Tod ihres Bruders lässt einen derartigen Schluss nicht zu, zumal die erlittenen Vergewaltigungen erst nach der Tötung des Bruders einsetzten.
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Die Klägerin kann auch nicht auf eine inländische Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 a. E. AufenthG) verwiesen werden. Eine solche setzt voraus, dass der Schutzsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Auf einen landesinternen Vergleich zum Ausschluss nicht verfolgungsbedingter Nachteile und Gefahren kommt es im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG dabei nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = NVwZ 2008, 1246).
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Die Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach China - abgesehen von den Nachfluchtgründen (siehe dazu unten) - im ganzen Staatsgebiet zumindest von anderen Nachteilen und Gefahren bedroht, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Nach Auskunft der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zu dem Asylverfahren B 5 K 05.30078 haben Tibeter ohne Chinesischkenntnis, zu denen die Klägerin gehört, keine Chance, sich eine Lebensgrundlage aufzubauen. Sie fielen überall auf und machten sich „verdächtig“. Auch unter gewöhnlichen chinesischen Bürgern seien die Ressentiments gegenüber den Tibetern sehr groß. Nur durch eine besonders große Anpassung an die chinesische Kultur und Ideologie könnten diese Ressentiments abgeschwächt werden, doch dazu sei die Beherrschung der chinesischen Sprache Voraussetzung. Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg (Gz. 508-516.80/45438) ist das Ausmaß von Verfolgungshandlungen gegen tibetische Volkszugehörige allgemein sehr viel höher als gegen andere Volksgruppen (mit Ausnahme von uigurischen Volkszugehörigen). Vom Anstieg der oftmals willkürlichen Kontrollmaßnahmen in jüngster Zeit seien tibetische Volksangehörige besonders betroffen. So sei am 09.07.2008 eine britische Staatsangehörige tibetischer Herkunft, die in Peking als Sprachdozentin tätig gewesen sei, morgens auf dem Weg zur Arbeit von Sicherheitskräften aufgegriffen und (ohne erkennbare Anhaltspunkte) unter dem Vorwurf separatistischer Tätigkeiten auf der Stelle und unter Polizeibegleitung ausgewiesen worden. Nach dieser Erkenntnislage scheidet eine inländische Fluchtalternative für die Klägerin mangels Zumutbarkeit aus.
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d) Unabhängig von einer Vorverfolgung muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nunmehr aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung bedroht wird.
45 
aa) Es besteht allerdings nach wie vor keine Situation, in der die Klägerin für den Fall ihrer Rückkehr eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tibetern gewärtigen müsste. Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs der Klägerin von Bedeutung ist - stellt sich im November 2011 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen im Hinblick auf eine mögliche Gruppenverfolgung im Wesentlichen unverändert dar. So gibt das Auswärtige Amts in seiner Auskunft vom 16.06.2010 (Gz. 508-516.80/46446) an das Verwaltungsgericht Regensburg an, hinsichtlich der mit Schreiben vom 15.07.2008 dargestellten Situation („keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige“) hätten sich bezüglich der Gefahrdung tibetischer Volkszugehöriger keine Änderungen ergeben. Der Report 2011 von amnesty international gibt lediglich an, Tibeter seien „weiterhin Repressionen ausgesetzt“. Für eine systematische Verfolgung von Tibetern allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es danach auch zum jetzigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte.
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bb) Die Klägerin ist aber wegen ihrer den chinesischen Behörden möglicherweise bekanntgewordenen Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit ihrer illegalen Ausreise aus China, der Asylantragstellung und ihrem mehrjährigen Verbleib im Ausland einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ ausgesetzt.
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(1) Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 23.01.1991, a.a.O.) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 20.06.1995 - 9 C 294.94 - NVwZ-RR 1996, 57 m.w.N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volks- oder Berufsgruppe oder zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern - jedenfalls in manchen Fällen - nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.02.1996 - 9 B 14.96 - DVBl 1996, 623 m.w.N.).
48 
(2) Zur Behandlung von Personen, die nach China zurückkehren, enthält der Lagebericht des Auswärtigen Amtes Angaben. Soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die zurückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Vereinzelte Nachverfolgungen von Rückführungen durch die deutsche Botschaft in Peking hätten keinen Hinweis darauf ergeben, dass abgelehnte Personen, allein weil sie einen Asylantrag gestellt hätten, politisch oder strafrechtlich verfolgt würden. Ein Asylantrag allein sei nach chinesischem Recht kein Straftatbestand. Aus Sicht der chinesischen Regierung komme es primär auf die Gefahr an, die von der einzelnen Person für Regierung und Partei ausgehen könnte. Formale Aspekte wie etwa Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation oder eine Asylantragstellung seien nicht zwangsläufig entscheidend. Personen, die China illegal, das heiße unter Verletzung der Grenzübertrittsbestimmungen verlassen hätten, könnten bestraft werden. Es handele sich um ein eher geringfügiges Vergehen, das - ohne Vorliegen eines davon unabhängigen besonderen Interesses an der Person - keine politisch begründeten, schweren Repressalien auslöse. Nach § 322 chin. StGB könne das heimliche Überschreiten der Grenze unter Verletzung der Gesetze bei Vorliegen ernster und schwerwiegender Tatumstände mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, Gewahrsam oder Überwachung und zusätzlich einer Geldstrafe bestraft werden. Es werde nach bisherigen Erkenntnissen in der Praxis aber nur gelegentlich und dann mit Geldbuße geahndet (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 36). Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes befasst sich auch mit exilpolitischen Aktivitäten. Besondere Aufmerksamkeit widme die chinesische Führung führenden Mitgliedern der Studentenbewegung von 1989, soweit sie noch im Ausland aktiv seien. Dies gelte auch für bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich gegen die chinesische Regierung oder deren Politik Stellung bezögen und eine ernst zu nehmende Medienresonanz in Deutschland oder im westlichen Ausland hervorriefen sowie für Angehörige ethnischer Minderheiten, sofern sie nach chinesischem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen seien. Eine Überwachung oder sogar Gerichtsverfahren gegen diese Personen seien bei Rückkehr in die Volksrepublik China nicht auszuschließen. Aktivitäten der uigurischen Exilorganisationen stünden unter besonderer Beobachtung der chinesischen Behörden (einschließlich der Auslandsvertretungen). Insbesondere: die Ostturkistanische Union in Europa e.V., der Ostturkistanische (Uigurische) Nationalkongress e.V. sowie das Komitee der Allianz zwischen den Völkern Tibets, der Inneren Mongolei und Ostturkistans. Aufklärung über und Bekämpfung der von extremen Vertretern der uigurischen Minderheit getragenen Ostturkistan-Bewegung zählten zu den obersten Prioritäten des Staatsschutzes. Anhänger dieser Bewegung würden mit unnachgiebiger Härte politisch und strafrechtlich verfolgt. Mitglieder uigurischer Exilorganisationen hätten bei ihrer Rückkehr nach China mit Repressionen zu rechnen. Von detaillierten Kenntnissen des Ministeriums für Staatssicherheit über Mitglieder der exilpolitischen uigurischen Organisationen sei auszugehen. Die Beteiligung an einer Demonstration für die Belange einer als staatsgefährdend bewerteten Organisation wie der Ostturkistan-Bewegung reiche aus, um sich nach chinesischem Recht strafbar zu machen. Eine Führungsfunktion in einer solchen Organisation wirke strafverschärfend. Das Strafmaß für eine solche Person richte sich dabei danach, wie schwerwiegend die von den Angeschuldigten ausgehende Gefahr für den Bestand des Staates aus Sicht der strafverfolgenden Behörden einzuschätzen sei. Auch in den aus europäischer Sicht „friedlichen Unabhängigkeitsbestrebungen“ einzelner Organisationen sehe die chinesische Führung Angriffe auf die staatliche Einheit Chinas und damit eine Gefährdung für die allgemeine Sicherheit. Gewaltfreies Eintreten für eine Sache schütze nicht vor harten Strafen. Es seien bisher keine Fälle von ehemaligen Mitgliedern oder Vorstandsmitgliedern exilpolitischer uigurischer Organisationen aus Deutschland bekannt geworden, die nach China zurückgekehrt seien. Berichtet werde jedoch über Fälle von Abschiebungen nach China aus anderen Ländern Asiens mit anschließender Folter oder Verurteilung (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 26). Speziell zu exilpolitischen Aktivitäten tibetischer Volkszugehöriger verhält sich der Lagebericht nicht.
49 
Im Lagebericht vom 08.11.2005 (Stand Oktober 2005, S. 22) ist allerdings noch ausgeführt, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet gewesen seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell „illegaler Grenzübertritt“ (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien inzwischen wieder frei. Nichtregierungsorganisationen berichteten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen.
50 
Laut Auskunft vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg - RN 11 K 06.30224 - sind nach Einschätzung des Auswärtiges Amtes für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Dem Auswärtigen Amt seien allerdings in jüngerer Zeit keine entsprechenden Fälle bekannt geworden. Diese Handlungen seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt, gemäß Art. 10 a.a.O. könnten Auslandstaten nach Rückkehr in China verfolgt werden.
51 
In dem Gutachten der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 18.07.2002 an das Verwaltungsgericht Münster - 1 K 1254/98.A - heißt es unter anderem, es sei nicht bekannt, ob bereits asylsuchende Tibeter aus Deutschland zurückgeschickt worden seien. Tibeter, die nach ihrer Flucht und einem Aufenthalt in Indien oder Nepal „freiwillig“ nach Tibet zurückkehrten, müssten jedoch genauso heimlich, wie sie Tibet verlassen hätten, auch dorthin zurückkehren. Wenn sie beim Grenzübertritt „erwischt“ würden, verschwänden sie in Gefängnissen und Arbeitslagern, oft unauffindbar. Dass die Haftbedingungen in China, die Folter mit einschlössen, eine Lebensgefahr darstellten, sei bekannt. Selbst nach der Freilassung würden Gefangene beständig bespitzelt und drangsaliert und bei jedem wirklichen oder angeblichen Vorkommnis, wie zum Beispiel einer Demonstration, Plakatierung etc., unter dem Verdacht der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ erneut verhaftet. Die gleiche Behandlung sei auch bei Tibetern zu erwarten, die versucht hätten, im Ausland Asyl zu bekommen.
52 
In der Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 wird ausgeführt, (eine Tibeterin müsse) sogar schon deshalb, weil sie in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt habe, (…) in China mit strafrechtlichen Maßnahmen rechnen. Tibeter, die das Land auf dem Fluchtweg verlassen hätten, würden nicht als Flüchtlinge, sondern als illegale Immigranten angesehen. In China drohten ihnen wegen Landesverrats schwere Strafen. Dagegen drohe ein solches Schicksal Han-Chinesen nicht. Sie würden im schlimmsten Fall mit Geldstrafen belegt. Ein Beispiel für die Folgen, die tibetischen „Rückkehrern“ blühten, sei der Fall einer Gruppe von 18 tibetischen Jugendlichen, die im Jahr 2002 in Nepal wegen fehlender Papiere inhaftiert worden seien. Nachdem sie mehrere Monate im Dili Bazar Gefängnis von Kathmandu/Nepal gesessen hätten, seien sie am 31.05.2003 von chinesischen Beamten dort abgeholt worden. Mit Einverständnis der nepalischen Behörden seien sie zur Grenze gebracht und von dort nach Tibet repatriiert worden. Ein junger Flüchtling der Gruppe, der sich habe frei kaufen können, habe erneut die Flucht riskiert und befinde sich in Indien. Sein Bericht bezeuge, wie es den jugendlichen Tibetern ergangen sei und mache deutlich, wie groß die Gefahr für alle sei, die repatriiert würden.
53 
Vom Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel liegt eine Stellungnahme an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach vom 11.02.2007 - AN 14 K 05.31454 - vor. Darin heißt es, Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, müssten mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen (S. 2). An anderer Stelle wird ausgeführt, Personen, die aus dem Ausland zurückkehrten, stießen zumeist auf geballtes Misstrauen - und zwar sogar dann, wenn sie die Volksrepublik China mit offizieller Genehmigung verlassen hätten. Seien sie unerlaubt ausgereist, hätten sie ohnehin einen der in Kapitel 6, Abschnitt 3 (§§ 308-323 chin. StGB) aufgeführten Straftatbestände erfüllt. So werde beispielsweise gemäß § 322 chin. StGB mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft, wer unerlaubt die Staatsgrenze übertrete. Auch Personen, die mit behördlicher Erlaubnis das Land verlassen hätten (und dann wieder zurückgekehrt seien), hätten nicht selten mit Sanktionen zu rechnen. Verhaftet worden seien beispielsweise im Juni und im August 2004 mehrere aus Indien zurückkehrende Tibeter (Zahl unbekannt), ohne dass in der Öffentlichkeit dafür Gründe angegeben worden wären. Im Juni 2004 seien vier Rückkehrer festgenommen worden (genauer Grund unbekannt). Im November 2003 sei ein Rückkehrer zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er Schriften des Dalai Lama mit sich geführt habe. Wer im Ausland gar an Demonstrationen oder Flugblattaktionen teilgenommen habe, sei überdies im Sinne des § 103 chin. StGB (Spaltung des Staates) schuldig. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe er dann die dort aufgeführten Gefängniskonsequenzen zu tragen (S. 2).
54 
Nach dem Gutachten des Klemens Ludwig vom 23.05.2011 an das Verwaltungsgericht Stuttgart - A 11 K 4958/10 - ist das Mindeste, womit Tibeter rechnen müssen, die nach illegalem Verlassen in das Hoheitsgebiet der Volksrepublik China zurückkehren, eine verschärfte Überwachung. Aufgrund der weit verbreiteten Willkür seien auch Maßnahmen, die den Charakter von politischer Verfolgung hätten, wie Inhaftierung und eventuelle Folter, nicht auszuschließen (S. 12 GA). Die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland (oder anderswo) werde von den Behörden der Volksrepublik China zwar als feindlicher Akt betrachtet, doch zeige die Praxis, dass asylsuchende Chinesen - sofern sie nicht verfolgten Gruppen wie Falun Gong oder der romtreuen katholischen Kirche angehörten - in der Regel bei einer Rückkehr unbehelligt blieben. Für asylsuchende Tibeter liege der Fall aufgrund der besonderen Willkür anders. Für sie könne ein Asylantrag auch als „separatistische Haltung“ ausgelegt werden, so dass von einer Verfolgung ausgegangen werden könne. Die Maßnahmen reichten von Verhören über Verhaftung bis hin zu Haftstrafen und Folter (ebenfalls S. 12 GA).
55 
(3) Die genannten sowie alle weiteren vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse (siehe dazu im Folgenden) rechtfertigen den Schluss, dass für die Klägerin aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr besteht.
56 
Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats illegal aus China ausgereist. Nach der persönlichen Anhörung der Klägerin durch den Senat vermittelten die Angaben zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 den Eindruck, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Manche Einzelheiten wurden zwar bloß vage, stereotyp und wenig nachvollziehbar dargestellt. Dies trübt das gewonnene Bild aber nicht entscheidend, zumal entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nach der Erkenntnislage eine legale Ausreise aus China für tibetische Volkszugehörige keineswegs unproblematisch - und damit die Mühsal einer illegalen Grenzüberquerung auch nicht von vornherein unnötig - ist. So ist eine legale Ausreise nach der Auskunft des Tibet Information Network vom 24.07.2006 (Nr. 3) - obwohl „im Prinzip möglich“ - faktisch mit vielen Schikanen verbunden und oft schlichtweg unmöglich. Nach Auskunft der SFH vom 28.01.2009 (Situation ethnischer und religiöser Minderheiten, S. 3) können Tibeter das Land kaum noch verlassen. Nach Informationen des U.S. Department of State werden Passanträge von Tibetern häufig abgelehnt; manchmal könne dies durch Bestechung geändert werden, manchmal bleibe es bei der Ablehnung (International Religious Freedom Report July-December 2010, Tibet, sec. II). Auch nach einer weiteren Quelle ist es für Tibeter generell - unabhängig von ihrer politischen Meinung - schwierig, einen Reisepass zu erhalten (Klemens Ludwig, Gutachten vom 23.05.2011 S. 7). Der Senat wertet auch diese Erkenntnisse als Indiz dafür, dass die Klägerin tatsächlich illegal ausgereist ist. Nach Abschluss ihres Reisewegs hat die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt und sich anschließend hier für einen mehrjährigen Zeitraum - mittlerweile über drei Jahre - aufgehalten.
57 
Die Klägerin hat sich zudem nach ihren - zur Überzeugung des Senats zutreffenden, von der Beklagten auch nicht in Frage gestellten - Angaben im Bundesgebiet jedenfalls in folgender Weise für die Angelegenheiten der Tibeter öffentlich betätigt: Am 10.03.2009 nahm sie - belegt mit Fotos von dieser Veranstaltung - an einer von der Tibetinitiative Deutschland e.V. und dem Verein der Tibeter in Deutschland e.V. organisierten Mahnwache vor dem chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main teil. An der Mahnwache waren nach Angaben der Klägerin ca. 70 Personen beteiligt, wobei Transparente für die Freiheit Tibets und tibetische Fahnen gezeigt wurden. Es gab Sprechchöre für die Freiheit Tibets und für den Dalai Lama. Die tibetischen Teilnehmer sangen tibetische Lieder. Aus dem Generalkonsulat heraus sollen die Teilnehmer fotografiert worden sein. Anschließend nahm die Klägerin am gleichen Tag an einer Kundgebung ab 16 Uhr auf dem Frankfurter Römerberg teil. Am 29.08.2009 beteiligte sich die Klägerin - ebenfalls belegt mit Fotos sowie mit einer Teilnahmebestätigung der Tibet Initiative Deutschland e.V., datierend vom gleichen Tag - an einer Aktion zum „Internationalen Tag der Verschwundenen“ auf dem Marienplatz in München. Am 14.10.2009 war die Klägerin Teilnehmerin einer Mahnwache für die Freiheit Tibets in Freiburg. Hierzu hat sie das Einladungsschreiben der Organisatoren vom 12.10.2009 vorgelegt. Am 10.03.2011 nahm die Klägerin - wiederum fotografisch dokumentiert - an einer Kundgebung anlässlich des Jahrestages der Niederschlagung des Volksaufstandes in Tibet vor dem Generalkonsulat Chinas teil. Die Teilnehmer der Kundgebung sollen aus dem Generalkonsulat heraus fotografiert und gefilmt worden sein.
58 
Das bei der Klägerin gegebene Nachfluchtgeschehen begründet jedenfalls in der Gesamtschau mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung in der Volksrepublik China. Die Erkenntnislage hat sich gegenüber dem Stand bei Erlass des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom 19.03.2002 (A 6 S 150/01, juris m.w.N. aus der älteren Rechtsprechung auch anderer Obergerichte) in einigen wesentlichen Punkten verändert. In der genannten Entscheidung wurde noch davon ausgegangen, dass weder ein exilpolitisches Engagement (untergeordneter Art) noch eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung oder ein Zusammentreffen dieser Gesichtspunkte eine beachtliche Verfolgungsgefahr begründe. Hieran ist nicht uneingeschränkt festzuhalten. Für tibetische Volkszugehörige aus der Volksrepublik China besteht aus jetziger Sicht nach der Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland die beachtliche Gefahr einer Verfolgung durch den chinesischen Staat jedenfalls dann, wenn eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung und ein mehrjähriger Auslandsverbleib hinzukommen und wenn die Möglichkeit besteht, dass das exilpolitische Engagement den chinesischen Behörden bekanntgeworden ist (ähnlich VG Wiesbaden, Urteil vom 12.10.2006 - 2 E 717/05.A -; VG Stuttgart, Urteil vom 01.10.2007 - A 11 K 141/07 -; VG Bayreuth, Urteil vom 20.12.2007 - B 5 K 07.30034 - juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.10.2009 - A 6 K 3223/08 -). Hiervon ist im Fall der Klägerin auszugehen. Insbesondere erscheint es möglich, dass chinesische Behörden belastende Daten über die Klägerin gesammelt haben, nachdem sie mehrmals öffentlich in der Nähe des chinesischen Generalkonsulats für ein unabhängiges Tibet demonstriert hat (vgl. Gutachten von TibetInfoNet an VG Bayreuth vom 24.07.2006 Rn. 5, wonach Botschaftsangehörige alle wesentlichen Demonstrationen gegen das Regime beobachten). Ob bereits allein eine illegale Ausreise aus der Volksrepublik China tibetische Volkszugehörige einer beachtlichen Verfolgungsgefahr aussetzt, kann offen bleiben (verneinend: Sächs. OVG, Urteil vom 26.06.2008 - A 5 B 263/07 - juris; bejahend Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 - E-6706/2008 - S. 9 ff. <14>; ebenso Urteil vom 27.01.2010 - D-7334/2009 - S. 12; abrufbar über http://www.bvger.ch/; Foltergefahr bejahend VG Bayreuth, Urteil vom 17.12.2007 - B 5 K 07.30073 - juris; entscheidend oder zumindest auch auf einen längeren Auslandsverbleib als solchen abstellend VG Mainz, Urteil vom 13.08.2008 - 7 K 779/07.MZ - juris; VG Gießen, Urteil vom 04.11.2008 - 2 E 3926/07.A -; VG Würzburg, Urteil vom 20.11.2009 - W 6 K 08.30173 -). Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes lässt sich entnehmen, dass der chinesische Staat Angehörigen ethnischer Minderheiten besondere Aufmerksamkeit widmet, sofern sie nach seinem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen sind. Entscheidender Anknüpfungspunkt für eine Verfolgungsgefahr bei tibetischen Volkszugehörigen ist der Separatismusverdacht (siehe Gutachten Klemens Ludwig vom 23.05.2011, S. 12: drohende Verfolgung bei „separatistischer Haltung“; ebenso: Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 a.a.O. <14>). Ist dieser Verdacht aus Sicht chinesischer Behörden stark, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung. Der schwerwiegendste Auslöser für einen Separatismusverdacht ist nach Auswertung der dem Senat vorliegenden Informationen die exilpolitische Betätigung. Dies betont insbesondere die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg, wonach für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen sind, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Solche Handlungen - entsprechende Auslandstaten könnten nach Rückkehr in China verfolgt werden - seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt. Die Auskunft stellt nicht darauf ab, dass nur exponierte Vertreter der tibetischen Exilgemeinde bedroht seien. Soweit es an Referenzfällen fehlt, kann dies nicht als Beleg für das Fehlen einer beachtlichen Gefahr dienen, da Rückführungen von Tibetern nach China nicht bekannt sind und es damit auch an Beispielen für eine verfolgungsfreie Rückkehr fehlt. Auch der Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel hebt in seiner Stellungnahme vom 11.02.2007 (an VG Ansbach, S. 2) hervor, dass Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen müssten. Ob ein exilpolitisches Engagement bei pro-tibetischen Veranstaltungen der von der Klägerin besuchten Art für sich genommen für Tibeter grundsätzlich - auch wenn keine exponierte Stellung und kein ausgeprägt „politisches Wesen“ bescheinigt werden können - bereits eine Verfolgungsgefahr hervorruft, muss nicht entschieden werden (bejahend VG Würzburg, Urteil vom 22.06.2007 - W 6 K 07.30033 - juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 06.05.2009 - A 1 K 2242/08 -; VG Minden, Urteil vom 20.01.2010 - 4 K 2087/07.A - juris; VG Trier, Urteil vom 01.09.2011 - 5 K 366/10.TR -; Asylgerichtshof Österreich, Entscheidung vom 04.06.2009 - C1 313330-1/2008/8E, abrufbar über http://www.ris.bka.gv.at/; für den Fall einer bereits vor Ausreise ausgeübten und im Ausland fortgesetzten politischen Betätigung auch VG Ansbach, Urteil vom 19.03.2008 - AN 14 K 05.31454 - juris). Denn zahlreiche Erkenntnisquellen besagen, dass ein Separatismusverdacht auch durch die Gesichtspunkte illegale Ausreise, Asylantragstellung und mehrjähriger Auslandsverbleib hervorgerufen beziehungsweise verstärkt werden kann (neben den an anderen Stellen bereits genannten etwa TID e.V. vom 18.07.2002; Gottwald vom 16.11.2004 an VG Mainz; Auswärtiges Amt vom 10.03.2006 an VG Bayreuth; TibetInfoNet vom 24.07.2006 an VG Bayreuth). Betrachtet man die bei der Klägerin bestehenden Gefährdungsmomente in ihrer Summe, so muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin als (vermeintliche) Separatistin in China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht ist. Dabei wird nicht verkannt, dass manche Quellen im Zusammenhang mit einer illegalen Ausreise nur die Gefahren schildern, die sich für Personen ergeben, die an der Grenze zu Nepal aufgegriffen oder direkt von dort zurückgeführt werden. Auch stellt der Senat in Rechnung, dass manche der ausgewerteten Quellen der tibetischen Exilbewegung nahestehen und daher teils eher einseitig gehalten sind. Gleichwohl ergibt sich auch bei entsprechender Herabstufung des Beweiswerts solcher Erkenntnismittel noch das hier zugrundegelegte Gefährdungsbild. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung lässt sich auch nicht mit Verweis auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 (bestätigt mit weiterer Auskunft vom 16.06.2010) verneinen. Dabei handelt es sich um die Antwort auf die Anfrage des VG Regensburg vom 02.07.2008 - RN 4 K 08.30072 -, ob tibetische Volkszugehörige, die ihr Heimatland illegal verlassen, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt haben und sich bereits längere Zeit hier aufhalten, damit rechnen müssen, dass ihnen - unabhängig von bekanntgewordener exilpolitischer Betätigung - staatsfeindliches Verhalten vorgeworfen wird mit der Folge, wegen Landesverrats mit schweren Strafen beziehungsweise Folter bedroht zu sein. In der Stellungnahme heißt es unter anderem, soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die rückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Bei den Ausführungen in der Auskunft vom 15.07.2008 fällt auf, dass sie wörtlich mit einer Textpassage des Lageberichts übereinstimmen, die allgemein für das Herkunftsland Volksrepublik China formuliert wurde. Der Beweiswert der Auskunft bezogen auf tibetische Volkszugehörige erscheint angesichts dessen gering, dass die speziell auf Tibeter eingehenden Stellungnahmen durchgehend einen anderen Aussagegehalt haben, nämlich in mehr oder weniger starker Form auf Gefährdungen verweisen. Es erscheint angesichts der Fragestellung zwar naheliegend, dass die Auskunft sich auch auf Tibeter beziehen sollte, jedoch zeichnet sie sich durch mangelnde Differenzierung aus, zumal Referenzfälle für die Rückführung von Tibetern nach China nicht bekannt sind. Hinzu kommt, dass die Klägerin sich - anders als in der Fragestellung zu der Auskunft vorgegeben - wiederholt exilpolitisch betätigt hat. Auch die vom Bundesamt zitierte Aussage (amnesty international vom 17.05.2010 an VG Regensburg), es könne als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass Beantragung von Asyl in Kombination mit der Volkszugehörigkeit allein Anlass sei, die Person wegen politischer Delikte strafrechtlich zu belangen, entscheidend sei, ob diese Person sich vor oder nach der Ausreise für die Interessen der ethnischen Minderheit politisch engagiert oder gar die Unabhängigkeit der von dieser Minderheit bewohnten Gebieten gegenüber den chinesischen Behörden oder in der allgemeinen Öffentlichkeit befürwortet habe, spricht nicht gegen eine Bedrohung der Klägerin. Denn sie hat sich mehrfach in der Öffentlichkeit für die Unabhängigkeit Tibets eingesetzt.
59 
(4) Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten der Klägerin beruht.
60 
Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = NVwZ 2009, 730 <731>). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221 = NVwZ 2009, 1167 <1168 f.>; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 - BVerwGE 135, 49 = NVwZ 2010, 383 <385>; Mallmann, ZAR 2011, 342). Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG übernimmt nicht die Einschränkungen des deutschen Asylrechts; Kontinuität ist bloß ein Indiz für die Glaubwürdigkeit (vgl. Begründung der Kommission vom 12.09.2001, KOM <2001> 510 endgültig, S. 18; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 28 Rn. 3 u. § 29 Rn. 12; anders und unklar hingegen Hailbronner, AsylVfG, § 28 Rn. 29 <ähnlich Rn. 32 u. 34>, wonach „Nachweise“ dafür vorliegen müssen, dass der Ausländer seine Überzeugung bereits im Heimatland gehabt hat; siehe ferner zu „Sur place“-Flüchtlingen Handbuch des UNHCR Nr. 94-96).
61 
e) Dem Schutzbegehren der Klägerin steht der Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes nicht entgegen.
62 
aa) Die Regelung des § 27 AsylVfG ist von vornherein nicht einschlägig, weil diese in Fällen einer anderweitigen Sicherheit vor Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, nicht aber den Abschiebungsschutz für Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087; Ott in GK AsylVfG, § 27 Rn. 16; zur Vorgängervorschrift: BVerwG, Urteil vom 06.04.1992 - 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 = NVwZ 1992, 893 m.w.N.).
63 
bb) Auch der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist indes vom Grundsatz der Subsidiarität des Konventionsschutzes sowohl im Verhältnis zum Schutz durch den Staat oder die Staaten der Staatsangehörigkeit des Betroffenen als auch im Verhältnis zum einmal erlangten Schutz in einem anderen (Dritt-)Staat geprägt. Er vermittelt grundsätzlich kein Recht auf freie Wahl des Zufluchtslandes und insbesondere kein Recht auf freie Wahl eines Zweit- oder Drittzufluchtslandes (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O., m.w.N.), sondern stellt insoweit lediglich sicher, dass der Flüchtling nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben oder der Gefahr einer solchen Abschiebung in einem Drittstaat (Kettenabschiebung) ausgesetzt werden darf (Refoulement-Verbot). Hat der Flüchtling bereits ausreichende Sicherheit vor Verfolgung in einem anderen Staat gefunden, kann er - unbeschadet des in jedem Falle unbedingt zu beachtenden Verbots der Abschiebung in den Verfolgerstaat - darüber hinaus grundsätzlich nicht mehr seine Anerkennung als Flüchtling sowie das damit verbundene qualifizierte Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland (§ 25 Abs. 2 AufenthG) beanspruchen. Dieser Grundsatz der Subsidiarität kommt beispielsweise auch in dem Ausschlussgrund nach Art. 1 E GFK zum Ausdruck, nach dem das Abkommen nicht auf eine Person anzuwenden ist, die von den zuständigen Behörden des Landes, in dem sie ihren Aufenthalt genommen hat, als eine Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten hat, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind (vgl. hierzu auch Art. 12 Abs. 1 b RL 2004/83/EG, wonach ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, wenn er von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat, vgl. ferner Handbuch des UNHCR Nr. 144 bis 146). Abgesehen von diesem in der Genfer Flüchtlingskonvention für eine besondere Konstellation ausdrücklich geregelten Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes aber auch, dass eine Flüchtlingsanerkennung in einem Zweit- oder Drittzufluchtsland nicht verlangt werden kann, wenn der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung tatsächlich sicher war und voraussichtlich auch sicher bleiben wird und wenn seine Rückführung oder Rückkehr in diesen Staat möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O.; zustimmend Ott, a.a.O., § 27 Rn. 16).
64 
cc) Die Klägerin hat sich nach ihrer Ausreise aus China eigenen Angaben zufolge länger als drei Monate in Nepal aufgehalten. Mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität kommt es deshalb darauf an, ob sie in Nepal vor asylrelevanten Übergriffen tatsächlich sicher war und weiterhin sicher wäre und ob sie nach Nepal zurückkehren kann. Dies muss verneint werden. Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe räumt die nepalesische Regierung tibetischen Flüchtlingen nicht immer das Recht ein, einen Asylantrag zu stellen oder in Nepal zu bleiben, außer für die kurze Zeit des Transits in einen Drittstaat (vgl. SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 5, unter Berufung auf UNHCR). Neu ankommenden tibetischen Flüchtlingen sei es verboten, im Land zu bleiben (vgl. SFH, a.a.O., S. 3). Es sollen auch Fälle bekannt sein, in denen Flüchtlinge an die chinesischen Behörden ausgeliefert wurden (vgl. SFH, a.a.O., S. 4). Nepalesische Behörden verlangten, dass tibetische Flüchtlinge innerhalb von zwei Wochen das Land verließen (vgl. SFH, a.a.O., S. 6). Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 (S. 3). Auch dort heißt es, dass es für Tibeter, die nicht schon sehr lange in Nepal lebten, unmöglich sei, dort zu bleiben (ob dies die Möglichkeit der Weiterreise nach Indien beinhaltet, wird nicht gesagt). Von anderer Seite wird bekräftigt, tibetische Flüchtlinge seien in Nepal von Rückschiebung bedroht (Klemens Ludwig, 23.05.2011, S. 11 f.).
65 
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes. Im Lagebericht vom 08.11.2005, Stand Oktober 2005 (S. 22 f.) heißt es, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell illegaler Grenzübertritt (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien dann wieder freigelassen worden. Nichtregierungsorganisationen hätten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen berichtet. Seit der Abschiebung der Flüchtlinge am 31.05.2003, die auf Grund ihrer Einmaligkeit internationales Aufsehen erregt habe, seien die nepalesischen Behörden zu dem vorher üblichen Verfahren zurückgekehrt und hätten zugesichert, es auch in Zukunft anzuwenden. Dies bedeute in der Praxis, dass alle von den Behörden in Nepal aufgegriffenen tibetischen Flüchtlinge zunächst dem UNHCR-Büro in Kathmandu überstellt und von dort nach Indien weitergeleitet würden. Diese Zusicherung sei nach Kenntnis der deutschen Botschaft Kathmandu auch weitestgehend eingehalten worden, abgesehen von einigen Fällen mit kriminellem Hintergrund (Schmuggel, Drogenhandel). Danach bestätigt sich, dass es im Mai 2003 zu einer Rückführung von Tibetern von Nepal nach China gekommen ist. Zwar ist im Weiteren (noch) von „Einmaligkeit“ des Vorfalls sowie von der Praxis die Rede, aufgegriffene Tibeter dem UNHCR-Büro in Kathmandu zu überstellen und von dort nach Indien weiterzuleiten. Eine rechtliche oder auch nur tatsächliche Verfestigung dieser Praxis, die eine Sicherheit vor politischer Verfolgung gewährte, lässt sich dem aber nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als in späteren Lageberichten des Auswärtigen Amtes die zitierten Ausführungen fehlen, eine andere Quelle aus neuerer Zeit aber die Gefahr der Rückführung nach China betont.
66 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO (zur Quotelung siehe BVerwG, Urteil vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 - Buchholz 310 § 155 VwGO Nr. 12). Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
67 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
15 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung der Klägerin ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - begründet.
16 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der Anspruch der Klägerin auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974). Zugelassen hatte der Senat die Berufung auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Klägerin hat dieses Begehren jedoch zurückgenommen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspr.).
17 
2. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
18 
a) Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats eine chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit aus Tibet.
19 
Der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist (BVerwG, Urteil vom 12.07.2005 - 1 C 22.04 - NVwZ 2006, 99). Die Klägern ist ohne jegliche Personalpapiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat bis heute solche auch nicht vorgewiesen. Sie spricht fließend Tibetisch, doch bietet dies allein lediglich ein Indiz für die behauptete Herkunft aus der Autonomen Region Tibet in der Volksrepublik China. Denn vor allem in Indien (mit etwa um 100.000 Tibetern), daneben aber auch in Nepal und anderen Staaten gibt es eine große tibetische Exilgemeinde, die sich dort bereits über einen langen Zeitraum zusammengefunden hat. In Indien haben viele Tibeter einen gesicherten Aufenthaltsstatus; die tibetische Exilregierung ist in Dharamsala in Indien ansässig (vgl. etwa SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 6). In Nepal, wo wohl rund 20.000 Tibeter leben, gibt es für diese Zugang zu Bildung in tibetischsprachigen Schulen (SFH, a.a.O., 22.10.2004, S. 3). Die Mehrheit der Bevölkerung der im Nordosten Indiens liegenden Staaten, zu denen etwa Arunachal Pradesh gehört, ist der tibeto-burmesisch-mongolischen Ethnie zuzuordnen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 08.03.2010 an das VG Sigmaringen - A 6 K 75/09 - S. 2) Gleichwohl bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Herkunft der Klägerin aus Tibet / China. Eine behauptete Staatsangehörigkeit kann insbesondere nicht nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates nachgewiesen werden. Die Überzeugung von einer Staatsangehörigkeit kann vielmehr auch auf der Grundlage von Unterlagen, Zeugenaussagen oder sonstigen Erkenntnismitteln gebildet werden, wenngleich die häufig schwierige Feststellung einer ausländischen Staatsangehörigkeit in der Regel nicht ohne Einholung von amtlichen Auskünften oder Gutachten zur einschlägigen Gesetzeslage und Rechtspraxis in dem betreffenden Staat möglich sein dürfte, wenn Ausweispapiere oder andere Belege und Urkunden aus dem betreffenden Staat fehlen (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087). Im Fall der Klägerin lassen deren Angaben mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit (vgl. dazu grundlegend BGH, Urteil vom 17.02.1970 - III ZR 139/67 - BGHZ 53, 245 ff.) den Schluss zu, dass sie aus Tibet / China stammt. Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin angehört und ist zu der Überzeugung gekommen, sie stamme aus der Autonomen Region Tibet. Dieser Würdigung kann sich der Senat anschließen, zumal auch das Bundesamt von Anfang an die Herkunft der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt und ihr selbst die Abschiebung nach China angedroht hat. Der Senat hat die Klägerin zudem persönlich zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 angehört. Hierbei machte sie umfangreiche Angaben. Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Ihre Herkunft aus der Autonomen Region Tibet begegnet somit keinen durchgreifenden Zweifeln. Angesichts der feststehenden Herkunft der Klägerin bedarf es keiner Ermittlungen zur Gesetzeslage und Rechtspraxis in China, weil es keinem Zweifel unterliegt, dass eine seit jeher aus der Autonomen Region Tibet stammende Tibeterin die chinesische Staatsangehörigkeit inne hat, wenn sie - wie die Klägerin mit Ausnahme des insoweit bedeutungslosen Geschehens seit ihrer Ausreise im Jahre 2008 - sonst keinerlei Bezug zu anderen Staaten hat.
20 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
21 
Nach Art. 2 lit. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG.
23 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
24 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377, und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 Rn. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192).
25 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., Rn. 128). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982 <985>). Die Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
26 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschrieben Weise betroffen ist (lit. b)).
27 
bb) Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise war die Klägerin keiner Gruppenverfolgung aufgrund ihrer tibetischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Unter diesem Gesichtspunkt kann ihr die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
28 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 <249> Rn. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
29 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237 Rn. 15).
30 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O. Rn. 16; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris und vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 - juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 - juris).
31 
(2) Im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin (zweites Halbjahr des Jahres 2008) unterlagen die Volkszugehörigen der Tibeter keiner Gruppenverfolgung.
32 
(a) Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China stellte sich zu dieser Zeit nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
33 
Die Autonome Region Xizang wurde von insgesamt ca. 2,8 Millionen Menschen bewohnt (Fischer-Weltalmanach 2009, S. 101; die in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008 und vom 14.05.2009 fälschlich angegebene Zahl von ca. 6 Mio. Bewohnern tibetischer Volkszugehörigkeit erfasst in etwa die Zahl der ethnischen Tibeter in ganz China; so zutreffend noch der Lagebericht vom 08.11.2005 und wieder der Lagebericht vom 10.07.2010). Tibeter lebten auch in Grenzgebieten der Nachbarprovinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. Ihr Lebensstandard hatte sich zwar durch massive Finanztransfers der Zentralregierung erheblich verbessert, doch lag ihre Lebenserwartung nach wie vor unter, die Kindersterblichkeit über dem Landesdurchschnitt. Wie alle anderen nationalen Minderheiten genossen die Tibeter einige Freiheiten, wie zum Beispiel eine Ausnahme von der Ein-Kind-Politik. Echte Einflussmöglichkeiten auf die Politik wurden ihnen jedoch kaum eingeräumt. Obwohl die Tibeter in der Autonomen Region im Vergleich zu den Han-Chinesen die Mehrheit bildeten, waren Schlüsselpositionen überwiegend mit Han-Chinesen besetzt. Die individuelle Religionsausübung buddhistischer Laien war in Tibet weitgehend gewährleistet, dagegen unterlag der Lamaismus Restriktionen. Diese bestanden zum Beispiel in der Verhinderung von Klosterbeitritten vor Vollendung des 18. Lebensjahres und in der Beschränkung der Anzahl von Mönchen und Nonnen auf das „für die normale religiöse Versorgung der Bevölkerung erforderliche Maß“ (laut Weißbuch Tibet 2009 waren das ca. 46.000 Mönche und Nonnen, sowie 6.000 Novizen). Mönche und Nonnen mussten regelmäßig „sozialistische Schulungskampagnen“ durchlaufen. Bilder des Dalai Lama durften öffentlich nicht gezeigt werden. Der Privatbesitz solcher Bilder war nach offiziellen Angaben erlaubt. Dennoch berichteten Menschenrechtsorganisationen von Haftstrafen. Den offiziellen Besuchern religiöser Institutionen war eine - wenngleich kontrollierte - Religionsausübung möglich. Offizielle Angaben über die genaue Zahl tibetischer politischer Gefangener lagen nicht vor. Vor allem nach den Unruhen im März 2008 waren auch Schätzungen schwer zu treffen. Einem am 21.06.2008 in der China Daily erschienenen Bericht zufolge wurden 4.434 Tibeter im Zuge der Märzproteste festgenommen, 3.027 allerdings kurze Zeit später wieder freigelassen. Einige Nichtregierungsorganisationen gingen von mehr als 6.000 Verhaftungen aus. Als Folge der Unruhen gab es nach offiziellen Angaben 21 Todesopfer (darunter ein Polizist) und 523 Verletzte (darunter 241 Polizisten). 42 Personen wurden verurteilt, 116 erwarteten noch ihren Prozess. Dem Auswärtigen Amt lagen hierzu keine gesicherten eigenen Erkenntnisse vor. Nach Berichten von Nichtregierungsorganisationen flohen weiterhin jedes Jahr mehrere tausend Tibeter aus religiösen Gründen über die Grenze nach Nepal und weiter nach Indien. Nicht alle erreichten ihr Ziel, denn die chinesischen Behörden versuchten die illegalen Grenzgänger - zum Teil mit allen Mitteln - von ihrem Vorhaben abzuhalten. Nach Informationen des Tibetischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) wurden am 18.10.2007 drei Personen einer 46 Tibeter zählenden Flüchtlingsgruppe von chinesischen Grenzsoldaten festgenommen. Neun Tibeter wurden vermisst, nachdem die Grenzpolizei das Feuer auf die Gruppe eröffnet hatte. Dem im Exil lebenden Dalai Lama wurde von Peking weiterhin vorgehalten, unter dem Deckmantel der Verfolgung religiöser Ziele die Unabhängigkeit Tibets zu betreiben. Die Zentralregierung beanspruchte mit der „Verwaltungsmaßnahme für die Reinkarnation Lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus“ vom 01.09.2007 auch außerhalb der Autonomen Region das alleinige Recht, über die Einsetzung buddhistischer Würdenträger zu entscheiden. Von ICT (Internationale Kampagne für Tibet) wurde befürchtet, dass die chinesische Staatsführung damit gezielt eine weitere Schwächung der Autorität anerkannter Glaubensführer des tibetischen Buddhismus anstrebte. Nachdem die Beschränkungen des tibetischen Buddhismus zu Beginn des Jahres 2008 einen neuen Höhepunkt erreicht hatten, kam es zu einer Reihe von Protesten in der Region. Beginnend mit einem Marsch von schätzungsweise 300 Mönchen aus dem Kloster Depung am 10.03.2008 in Lhasa, verbreiteten sich die Proteste über die gesamte Autonome Region und auch in Gegenden außerhalb. Die Demonstranten forderten Religionsfreiheit, die Unabhängigkeit Tibets, die Freilassung des Panchen Lama und die Rückkehr des Dalai Lama. Die Regierung machte den Dalai Lama für die Ausschreitungen verantwortlich. Die verstärkte Präsenz chinesischer Sicherheitskräfte in Tibet dauerte an (vgl. Lagebericht des AA vom 14.05.2009, Stand Februar 2009, S. 15 f.).
34 
Am 30.10.2007 erklärte das Auswärtige Amt gegenüber dem Verwaltungsgericht Ansbach (Gz. 508-516.80/45113), tibetische Volkszugehörige müssten in China nicht mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit einzig aus dem Grund rechnen, dass sie tibetischer Volkszugehörigkeit seien, solange sie nicht gegen die einschlägigen Religionsbestimmungen verstießen und sich nicht politisch gegen die Regierung engagierten. Die Unruhen vom März 2008 führten nach der Auskunftslage insoweit zu keiner durchgreifenden Änderung. Unter dem 15.07.2008 teilte das Auswärtigen Amt dem Verwaltungsgericht Regensburg mit (Gz. 508-516.80/45438), ihm lägen keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige vor, weder eingeleitet noch kurz bevorstehend.
35 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin im Juli 2008 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der Tibeter schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde die Volksgruppe der Tibeter nicht gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen.
36 
cc) Nach den überzeugenden individuellen Einlassungen der Klägerin zu den Geschehnissen vor ihrer Ausreise war sie allerdings einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und damit einer anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt.
37 
(1) Die Klägerin hat bei der Bundesamtsanhörung wie auch vor dem Verwaltungsgericht von Vergewaltigungen durch chinesische Polizisten am 05., 09. und 15.07.2008 berichtet. In diesem Zusammenhang hätten die Beamten geäußert, ihr - besonders im März 2008 politisch aktiver und im Juni 2008 tot aufgefundener - Bruder sei ein Reaktionär, und ihr Onkel solle aufhören, den Ruf der Polizei zu zerstören. Wenn er damit nicht aufhöre, werde die Polizei dafür sorgen, dass man „ihren Leichnam nicht finde“.
38 
(2) Bei den geschilderten Erlebnissen handelt es sich um Vorgänge im Verfolgerland, hinsichtlich derer sich die Klägerin in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet und für die daher eine „Glaubhaftmachung“ im Rahmen der - gleichwohl nach Maßgabe des § 108 Abs. 1 VwGO gebotenen - richterlichen Überzeugungsbildung genügt (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71,180). Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Entscheidungsgründe seines Urteils bei der Anhörung der Klägerin den Eindruck gewonnen, dass die Darstellung der Vergewaltigungen durch Polizeibeamte einen „wahren Kern“ enthalten habe. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die Übergriffe der Zahl und den Umständen nach möglicherweise übertrieben geschildert worden seien. Die Klägerin habe mit einem gewissen Ernst und einer noch spürbaren Betroffenheit von dem Vorfall berichtet. Ihr Vorbringen erscheine glaubhaft. Die Klägerin sei bei ihrer Schilderung den Tränen nahe gewesen. Diesem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiserhebung schließt sich der Senat an. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht nur dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für die Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.11.2001 - 1 B 297.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 251). Zu einer abweichenden Glaubwürdigkeitsbeurteilung sieht der Senat indes keinen Anlass. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen zu den als Grund der Ausreise genannten Vorfällen im Heimatland der Klägerin, die eine erneute Anhörung geböten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 12.06.2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524, und vom 22.11.2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487; BGH, Urteil vom 09.03.2005 - VIII ZR 266/03 - NJW 2003, 1583 <1584>; jeweils zu § 529 ZPO).
39 
(3) Der Senat ordnet die Vergewaltigungen durch Polizisten jedoch insoweit rechtlich anders ein als das Verwaltungsgericht, als er sie - ohne dabei die Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen in Frage zu ziehen - dem Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG zuordnet. Die von der Klägerin geschilderten Vergewaltigungen stellen relevante Verfolgungsmaßnahmen dar. Es handelt sich insoweit um die Anwendung physischer beziehungsweise sexueller Gewalt im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 und 5 AufenthG, Art. 9 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 lit. a) RL 83/2004/EG. Es besteht auch die erforderliche Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 83/2004/EG genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 83/2004/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen (vgl. Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 lit. c) RL 83/2004/EG). Die Vergewaltigungen knüpften an die „Rasse“ der Klägerin im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. a) RL 83/2004/EG an. Der Begriff der „Rasse“ umfasst nach dieser Bestimmung insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe. Der Senat ist davon überzeugt, dass nach dem Ergebnis der vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme die Vergewaltigungen in der im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Weise mit der tibetischen Volkszugehörigkeit der Klägerin verknüpft sind. Das Verwaltungsgericht war insoweit sinngemäß der Auffassung, die Übergriffe seien als Akte amtlicher Willkür anzusehen, die durch den tibetisch-chinesischen Dauerkonflikt - gerade im Klima der allgemeinen Unruhe und Gereiztheit des Jahres 2008 - begünstigt worden seien, die Klägerin aber nicht „aus politischen Gründen“ getroffen hätten. Dies sieht der Senat anders. Es muss zwar davon ausgegangen werden, dass sexuelle Übergriffe durch chinesische Beamte als Willkürakte in ganz China vorkommen. Berichte über Folter und Misshandlung etwa in chinesischen Gefängnissen sind bezogen auf das ganze Land bekannt (vgl. etwa amnesty international, ai Report 2011, S. 134). Gerade für Tibet wird von Misshandlungen, auch sexueller Art beziehungsweise in Form von Vergewaltigungen, berichtet (TID e.V., Stellungnahme vom 28.02.2006, S. 2, und Auswärtiges Amt vom 10.03.2006, Nr. 5, an VG Bayreuth - B 5 K 05.30078 -; BAMF, Volksrepublik China - Tibeter im Konflikt mit dem Staat, März 2008, S. 8). Ausgehend von der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin jedenfalls auch deshalb Opfer der Vergewaltigungen wurde, weil sie (als Tibeterin) in den tibetisch-chinesischen Konflikt verwickelt war, knüpften die Taten aber in ihrem Fall durchaus an die Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe der Tibeter an.
40 
Die Taten sind der Volksrepublik China zurechenbar. Verfolgungen Dritter sind dem Staat zuzurechnen, wenn er nicht mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt; hierbei ist freilich zu bedenken, dass es keiner staatlichen Ordnungsmacht möglich ist, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 - BVerfGE 80, 315 <334, 336>; Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 - BVerfGE 83, 216 <235>). Bei vereinzelten Exzesstaten von Amtswaltern kann in Betracht kommen, dass diese dem Staat nicht zugerechnet werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O. <352>). Der bloße Umstand, dass bestimmte Maßnahmen der Rechtsordnung des Herkunftsstaats widersprechen, berechtigt aber noch nicht dazu, sie als Amtswalterexzesse einzustufen. Vielmehr bedarf es entsprechender verlässlicher tatsächlicher Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20.05.1992 - 2 BvR 205/92 - NVwZ 1992, 1081 <1083> und vom 08.06.2000 - 2 BvR 81/00 - InfAuslR 2000, 457 <458>). Andernfalls bleibt das Handeln der Sicherheitsorgane dem Staat zurechenbar (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14.05.2003 - 2 BvR 134/01 - DVBl 2003, 1260 m.w.N.). Ausgehend davon bleiben die hier in Rede stehenden Handlungen der Polizisten dem Staat Volksrepublik China zurechenbar. Verlässliche tatsächliche Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten, hat die Anhörung nicht erbracht (vgl. zu den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren auch § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a)-c) AufenthG).
41 
Unter diesen Umständen sprechen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Autonome Region Tibet erneut von solcher Verfolgung wie vor ihrer Ausreise bedroht wäre. Allein der zeitliche Abstand seit dem Tod ihres Bruders lässt einen derartigen Schluss nicht zu, zumal die erlittenen Vergewaltigungen erst nach der Tötung des Bruders einsetzten.
42 
Die Klägerin kann auch nicht auf eine inländische Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 a. E. AufenthG) verwiesen werden. Eine solche setzt voraus, dass der Schutzsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Auf einen landesinternen Vergleich zum Ausschluss nicht verfolgungsbedingter Nachteile und Gefahren kommt es im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG dabei nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = NVwZ 2008, 1246).
43 
Die Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach China - abgesehen von den Nachfluchtgründen (siehe dazu unten) - im ganzen Staatsgebiet zumindest von anderen Nachteilen und Gefahren bedroht, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Nach Auskunft der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zu dem Asylverfahren B 5 K 05.30078 haben Tibeter ohne Chinesischkenntnis, zu denen die Klägerin gehört, keine Chance, sich eine Lebensgrundlage aufzubauen. Sie fielen überall auf und machten sich „verdächtig“. Auch unter gewöhnlichen chinesischen Bürgern seien die Ressentiments gegenüber den Tibetern sehr groß. Nur durch eine besonders große Anpassung an die chinesische Kultur und Ideologie könnten diese Ressentiments abgeschwächt werden, doch dazu sei die Beherrschung der chinesischen Sprache Voraussetzung. Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg (Gz. 508-516.80/45438) ist das Ausmaß von Verfolgungshandlungen gegen tibetische Volkszugehörige allgemein sehr viel höher als gegen andere Volksgruppen (mit Ausnahme von uigurischen Volkszugehörigen). Vom Anstieg der oftmals willkürlichen Kontrollmaßnahmen in jüngster Zeit seien tibetische Volksangehörige besonders betroffen. So sei am 09.07.2008 eine britische Staatsangehörige tibetischer Herkunft, die in Peking als Sprachdozentin tätig gewesen sei, morgens auf dem Weg zur Arbeit von Sicherheitskräften aufgegriffen und (ohne erkennbare Anhaltspunkte) unter dem Vorwurf separatistischer Tätigkeiten auf der Stelle und unter Polizeibegleitung ausgewiesen worden. Nach dieser Erkenntnislage scheidet eine inländische Fluchtalternative für die Klägerin mangels Zumutbarkeit aus.
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d) Unabhängig von einer Vorverfolgung muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nunmehr aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung bedroht wird.
45 
aa) Es besteht allerdings nach wie vor keine Situation, in der die Klägerin für den Fall ihrer Rückkehr eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tibetern gewärtigen müsste. Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs der Klägerin von Bedeutung ist - stellt sich im November 2011 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen im Hinblick auf eine mögliche Gruppenverfolgung im Wesentlichen unverändert dar. So gibt das Auswärtige Amts in seiner Auskunft vom 16.06.2010 (Gz. 508-516.80/46446) an das Verwaltungsgericht Regensburg an, hinsichtlich der mit Schreiben vom 15.07.2008 dargestellten Situation („keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige“) hätten sich bezüglich der Gefahrdung tibetischer Volkszugehöriger keine Änderungen ergeben. Der Report 2011 von amnesty international gibt lediglich an, Tibeter seien „weiterhin Repressionen ausgesetzt“. Für eine systematische Verfolgung von Tibetern allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es danach auch zum jetzigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte.
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bb) Die Klägerin ist aber wegen ihrer den chinesischen Behörden möglicherweise bekanntgewordenen Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit ihrer illegalen Ausreise aus China, der Asylantragstellung und ihrem mehrjährigen Verbleib im Ausland einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ ausgesetzt.
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(1) Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 23.01.1991, a.a.O.) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 20.06.1995 - 9 C 294.94 - NVwZ-RR 1996, 57 m.w.N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volks- oder Berufsgruppe oder zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern - jedenfalls in manchen Fällen - nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.02.1996 - 9 B 14.96 - DVBl 1996, 623 m.w.N.).
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(2) Zur Behandlung von Personen, die nach China zurückkehren, enthält der Lagebericht des Auswärtigen Amtes Angaben. Soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die zurückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Vereinzelte Nachverfolgungen von Rückführungen durch die deutsche Botschaft in Peking hätten keinen Hinweis darauf ergeben, dass abgelehnte Personen, allein weil sie einen Asylantrag gestellt hätten, politisch oder strafrechtlich verfolgt würden. Ein Asylantrag allein sei nach chinesischem Recht kein Straftatbestand. Aus Sicht der chinesischen Regierung komme es primär auf die Gefahr an, die von der einzelnen Person für Regierung und Partei ausgehen könnte. Formale Aspekte wie etwa Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation oder eine Asylantragstellung seien nicht zwangsläufig entscheidend. Personen, die China illegal, das heiße unter Verletzung der Grenzübertrittsbestimmungen verlassen hätten, könnten bestraft werden. Es handele sich um ein eher geringfügiges Vergehen, das - ohne Vorliegen eines davon unabhängigen besonderen Interesses an der Person - keine politisch begründeten, schweren Repressalien auslöse. Nach § 322 chin. StGB könne das heimliche Überschreiten der Grenze unter Verletzung der Gesetze bei Vorliegen ernster und schwerwiegender Tatumstände mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, Gewahrsam oder Überwachung und zusätzlich einer Geldstrafe bestraft werden. Es werde nach bisherigen Erkenntnissen in der Praxis aber nur gelegentlich und dann mit Geldbuße geahndet (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 36). Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes befasst sich auch mit exilpolitischen Aktivitäten. Besondere Aufmerksamkeit widme die chinesische Führung führenden Mitgliedern der Studentenbewegung von 1989, soweit sie noch im Ausland aktiv seien. Dies gelte auch für bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich gegen die chinesische Regierung oder deren Politik Stellung bezögen und eine ernst zu nehmende Medienresonanz in Deutschland oder im westlichen Ausland hervorriefen sowie für Angehörige ethnischer Minderheiten, sofern sie nach chinesischem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen seien. Eine Überwachung oder sogar Gerichtsverfahren gegen diese Personen seien bei Rückkehr in die Volksrepublik China nicht auszuschließen. Aktivitäten der uigurischen Exilorganisationen stünden unter besonderer Beobachtung der chinesischen Behörden (einschließlich der Auslandsvertretungen). Insbesondere: die Ostturkistanische Union in Europa e.V., der Ostturkistanische (Uigurische) Nationalkongress e.V. sowie das Komitee der Allianz zwischen den Völkern Tibets, der Inneren Mongolei und Ostturkistans. Aufklärung über und Bekämpfung der von extremen Vertretern der uigurischen Minderheit getragenen Ostturkistan-Bewegung zählten zu den obersten Prioritäten des Staatsschutzes. Anhänger dieser Bewegung würden mit unnachgiebiger Härte politisch und strafrechtlich verfolgt. Mitglieder uigurischer Exilorganisationen hätten bei ihrer Rückkehr nach China mit Repressionen zu rechnen. Von detaillierten Kenntnissen des Ministeriums für Staatssicherheit über Mitglieder der exilpolitischen uigurischen Organisationen sei auszugehen. Die Beteiligung an einer Demonstration für die Belange einer als staatsgefährdend bewerteten Organisation wie der Ostturkistan-Bewegung reiche aus, um sich nach chinesischem Recht strafbar zu machen. Eine Führungsfunktion in einer solchen Organisation wirke strafverschärfend. Das Strafmaß für eine solche Person richte sich dabei danach, wie schwerwiegend die von den Angeschuldigten ausgehende Gefahr für den Bestand des Staates aus Sicht der strafverfolgenden Behörden einzuschätzen sei. Auch in den aus europäischer Sicht „friedlichen Unabhängigkeitsbestrebungen“ einzelner Organisationen sehe die chinesische Führung Angriffe auf die staatliche Einheit Chinas und damit eine Gefährdung für die allgemeine Sicherheit. Gewaltfreies Eintreten für eine Sache schütze nicht vor harten Strafen. Es seien bisher keine Fälle von ehemaligen Mitgliedern oder Vorstandsmitgliedern exilpolitischer uigurischer Organisationen aus Deutschland bekannt geworden, die nach China zurückgekehrt seien. Berichtet werde jedoch über Fälle von Abschiebungen nach China aus anderen Ländern Asiens mit anschließender Folter oder Verurteilung (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 26). Speziell zu exilpolitischen Aktivitäten tibetischer Volkszugehöriger verhält sich der Lagebericht nicht.
49 
Im Lagebericht vom 08.11.2005 (Stand Oktober 2005, S. 22) ist allerdings noch ausgeführt, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet gewesen seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell „illegaler Grenzübertritt“ (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien inzwischen wieder frei. Nichtregierungsorganisationen berichteten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen.
50 
Laut Auskunft vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg - RN 11 K 06.30224 - sind nach Einschätzung des Auswärtiges Amtes für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Dem Auswärtigen Amt seien allerdings in jüngerer Zeit keine entsprechenden Fälle bekannt geworden. Diese Handlungen seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt, gemäß Art. 10 a.a.O. könnten Auslandstaten nach Rückkehr in China verfolgt werden.
51 
In dem Gutachten der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 18.07.2002 an das Verwaltungsgericht Münster - 1 K 1254/98.A - heißt es unter anderem, es sei nicht bekannt, ob bereits asylsuchende Tibeter aus Deutschland zurückgeschickt worden seien. Tibeter, die nach ihrer Flucht und einem Aufenthalt in Indien oder Nepal „freiwillig“ nach Tibet zurückkehrten, müssten jedoch genauso heimlich, wie sie Tibet verlassen hätten, auch dorthin zurückkehren. Wenn sie beim Grenzübertritt „erwischt“ würden, verschwänden sie in Gefängnissen und Arbeitslagern, oft unauffindbar. Dass die Haftbedingungen in China, die Folter mit einschlössen, eine Lebensgefahr darstellten, sei bekannt. Selbst nach der Freilassung würden Gefangene beständig bespitzelt und drangsaliert und bei jedem wirklichen oder angeblichen Vorkommnis, wie zum Beispiel einer Demonstration, Plakatierung etc., unter dem Verdacht der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ erneut verhaftet. Die gleiche Behandlung sei auch bei Tibetern zu erwarten, die versucht hätten, im Ausland Asyl zu bekommen.
52 
In der Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 wird ausgeführt, (eine Tibeterin müsse) sogar schon deshalb, weil sie in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt habe, (…) in China mit strafrechtlichen Maßnahmen rechnen. Tibeter, die das Land auf dem Fluchtweg verlassen hätten, würden nicht als Flüchtlinge, sondern als illegale Immigranten angesehen. In China drohten ihnen wegen Landesverrats schwere Strafen. Dagegen drohe ein solches Schicksal Han-Chinesen nicht. Sie würden im schlimmsten Fall mit Geldstrafen belegt. Ein Beispiel für die Folgen, die tibetischen „Rückkehrern“ blühten, sei der Fall einer Gruppe von 18 tibetischen Jugendlichen, die im Jahr 2002 in Nepal wegen fehlender Papiere inhaftiert worden seien. Nachdem sie mehrere Monate im Dili Bazar Gefängnis von Kathmandu/Nepal gesessen hätten, seien sie am 31.05.2003 von chinesischen Beamten dort abgeholt worden. Mit Einverständnis der nepalischen Behörden seien sie zur Grenze gebracht und von dort nach Tibet repatriiert worden. Ein junger Flüchtling der Gruppe, der sich habe frei kaufen können, habe erneut die Flucht riskiert und befinde sich in Indien. Sein Bericht bezeuge, wie es den jugendlichen Tibetern ergangen sei und mache deutlich, wie groß die Gefahr für alle sei, die repatriiert würden.
53 
Vom Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel liegt eine Stellungnahme an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach vom 11.02.2007 - AN 14 K 05.31454 - vor. Darin heißt es, Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, müssten mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen (S. 2). An anderer Stelle wird ausgeführt, Personen, die aus dem Ausland zurückkehrten, stießen zumeist auf geballtes Misstrauen - und zwar sogar dann, wenn sie die Volksrepublik China mit offizieller Genehmigung verlassen hätten. Seien sie unerlaubt ausgereist, hätten sie ohnehin einen der in Kapitel 6, Abschnitt 3 (§§ 308-323 chin. StGB) aufgeführten Straftatbestände erfüllt. So werde beispielsweise gemäß § 322 chin. StGB mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft, wer unerlaubt die Staatsgrenze übertrete. Auch Personen, die mit behördlicher Erlaubnis das Land verlassen hätten (und dann wieder zurückgekehrt seien), hätten nicht selten mit Sanktionen zu rechnen. Verhaftet worden seien beispielsweise im Juni und im August 2004 mehrere aus Indien zurückkehrende Tibeter (Zahl unbekannt), ohne dass in der Öffentlichkeit dafür Gründe angegeben worden wären. Im Juni 2004 seien vier Rückkehrer festgenommen worden (genauer Grund unbekannt). Im November 2003 sei ein Rückkehrer zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er Schriften des Dalai Lama mit sich geführt habe. Wer im Ausland gar an Demonstrationen oder Flugblattaktionen teilgenommen habe, sei überdies im Sinne des § 103 chin. StGB (Spaltung des Staates) schuldig. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe er dann die dort aufgeführten Gefängniskonsequenzen zu tragen (S. 2).
54 
Nach dem Gutachten des Klemens Ludwig vom 23.05.2011 an das Verwaltungsgericht Stuttgart - A 11 K 4958/10 - ist das Mindeste, womit Tibeter rechnen müssen, die nach illegalem Verlassen in das Hoheitsgebiet der Volksrepublik China zurückkehren, eine verschärfte Überwachung. Aufgrund der weit verbreiteten Willkür seien auch Maßnahmen, die den Charakter von politischer Verfolgung hätten, wie Inhaftierung und eventuelle Folter, nicht auszuschließen (S. 12 GA). Die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland (oder anderswo) werde von den Behörden der Volksrepublik China zwar als feindlicher Akt betrachtet, doch zeige die Praxis, dass asylsuchende Chinesen - sofern sie nicht verfolgten Gruppen wie Falun Gong oder der romtreuen katholischen Kirche angehörten - in der Regel bei einer Rückkehr unbehelligt blieben. Für asylsuchende Tibeter liege der Fall aufgrund der besonderen Willkür anders. Für sie könne ein Asylantrag auch als „separatistische Haltung“ ausgelegt werden, so dass von einer Verfolgung ausgegangen werden könne. Die Maßnahmen reichten von Verhören über Verhaftung bis hin zu Haftstrafen und Folter (ebenfalls S. 12 GA).
55 
(3) Die genannten sowie alle weiteren vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse (siehe dazu im Folgenden) rechtfertigen den Schluss, dass für die Klägerin aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr besteht.
56 
Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats illegal aus China ausgereist. Nach der persönlichen Anhörung der Klägerin durch den Senat vermittelten die Angaben zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 den Eindruck, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Manche Einzelheiten wurden zwar bloß vage, stereotyp und wenig nachvollziehbar dargestellt. Dies trübt das gewonnene Bild aber nicht entscheidend, zumal entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nach der Erkenntnislage eine legale Ausreise aus China für tibetische Volkszugehörige keineswegs unproblematisch - und damit die Mühsal einer illegalen Grenzüberquerung auch nicht von vornherein unnötig - ist. So ist eine legale Ausreise nach der Auskunft des Tibet Information Network vom 24.07.2006 (Nr. 3) - obwohl „im Prinzip möglich“ - faktisch mit vielen Schikanen verbunden und oft schlichtweg unmöglich. Nach Auskunft der SFH vom 28.01.2009 (Situation ethnischer und religiöser Minderheiten, S. 3) können Tibeter das Land kaum noch verlassen. Nach Informationen des U.S. Department of State werden Passanträge von Tibetern häufig abgelehnt; manchmal könne dies durch Bestechung geändert werden, manchmal bleibe es bei der Ablehnung (International Religious Freedom Report July-December 2010, Tibet, sec. II). Auch nach einer weiteren Quelle ist es für Tibeter generell - unabhängig von ihrer politischen Meinung - schwierig, einen Reisepass zu erhalten (Klemens Ludwig, Gutachten vom 23.05.2011 S. 7). Der Senat wertet auch diese Erkenntnisse als Indiz dafür, dass die Klägerin tatsächlich illegal ausgereist ist. Nach Abschluss ihres Reisewegs hat die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt und sich anschließend hier für einen mehrjährigen Zeitraum - mittlerweile über drei Jahre - aufgehalten.
57 
Die Klägerin hat sich zudem nach ihren - zur Überzeugung des Senats zutreffenden, von der Beklagten auch nicht in Frage gestellten - Angaben im Bundesgebiet jedenfalls in folgender Weise für die Angelegenheiten der Tibeter öffentlich betätigt: Am 10.03.2009 nahm sie - belegt mit Fotos von dieser Veranstaltung - an einer von der Tibetinitiative Deutschland e.V. und dem Verein der Tibeter in Deutschland e.V. organisierten Mahnwache vor dem chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main teil. An der Mahnwache waren nach Angaben der Klägerin ca. 70 Personen beteiligt, wobei Transparente für die Freiheit Tibets und tibetische Fahnen gezeigt wurden. Es gab Sprechchöre für die Freiheit Tibets und für den Dalai Lama. Die tibetischen Teilnehmer sangen tibetische Lieder. Aus dem Generalkonsulat heraus sollen die Teilnehmer fotografiert worden sein. Anschließend nahm die Klägerin am gleichen Tag an einer Kundgebung ab 16 Uhr auf dem Frankfurter Römerberg teil. Am 29.08.2009 beteiligte sich die Klägerin - ebenfalls belegt mit Fotos sowie mit einer Teilnahmebestätigung der Tibet Initiative Deutschland e.V., datierend vom gleichen Tag - an einer Aktion zum „Internationalen Tag der Verschwundenen“ auf dem Marienplatz in München. Am 14.10.2009 war die Klägerin Teilnehmerin einer Mahnwache für die Freiheit Tibets in Freiburg. Hierzu hat sie das Einladungsschreiben der Organisatoren vom 12.10.2009 vorgelegt. Am 10.03.2011 nahm die Klägerin - wiederum fotografisch dokumentiert - an einer Kundgebung anlässlich des Jahrestages der Niederschlagung des Volksaufstandes in Tibet vor dem Generalkonsulat Chinas teil. Die Teilnehmer der Kundgebung sollen aus dem Generalkonsulat heraus fotografiert und gefilmt worden sein.
58 
Das bei der Klägerin gegebene Nachfluchtgeschehen begründet jedenfalls in der Gesamtschau mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung in der Volksrepublik China. Die Erkenntnislage hat sich gegenüber dem Stand bei Erlass des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom 19.03.2002 (A 6 S 150/01, juris m.w.N. aus der älteren Rechtsprechung auch anderer Obergerichte) in einigen wesentlichen Punkten verändert. In der genannten Entscheidung wurde noch davon ausgegangen, dass weder ein exilpolitisches Engagement (untergeordneter Art) noch eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung oder ein Zusammentreffen dieser Gesichtspunkte eine beachtliche Verfolgungsgefahr begründe. Hieran ist nicht uneingeschränkt festzuhalten. Für tibetische Volkszugehörige aus der Volksrepublik China besteht aus jetziger Sicht nach der Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland die beachtliche Gefahr einer Verfolgung durch den chinesischen Staat jedenfalls dann, wenn eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung und ein mehrjähriger Auslandsverbleib hinzukommen und wenn die Möglichkeit besteht, dass das exilpolitische Engagement den chinesischen Behörden bekanntgeworden ist (ähnlich VG Wiesbaden, Urteil vom 12.10.2006 - 2 E 717/05.A -; VG Stuttgart, Urteil vom 01.10.2007 - A 11 K 141/07 -; VG Bayreuth, Urteil vom 20.12.2007 - B 5 K 07.30034 - juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.10.2009 - A 6 K 3223/08 -). Hiervon ist im Fall der Klägerin auszugehen. Insbesondere erscheint es möglich, dass chinesische Behörden belastende Daten über die Klägerin gesammelt haben, nachdem sie mehrmals öffentlich in der Nähe des chinesischen Generalkonsulats für ein unabhängiges Tibet demonstriert hat (vgl. Gutachten von TibetInfoNet an VG Bayreuth vom 24.07.2006 Rn. 5, wonach Botschaftsangehörige alle wesentlichen Demonstrationen gegen das Regime beobachten). Ob bereits allein eine illegale Ausreise aus der Volksrepublik China tibetische Volkszugehörige einer beachtlichen Verfolgungsgefahr aussetzt, kann offen bleiben (verneinend: Sächs. OVG, Urteil vom 26.06.2008 - A 5 B 263/07 - juris; bejahend Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 - E-6706/2008 - S. 9 ff. <14>; ebenso Urteil vom 27.01.2010 - D-7334/2009 - S. 12; abrufbar über http://www.bvger.ch/; Foltergefahr bejahend VG Bayreuth, Urteil vom 17.12.2007 - B 5 K 07.30073 - juris; entscheidend oder zumindest auch auf einen längeren Auslandsverbleib als solchen abstellend VG Mainz, Urteil vom 13.08.2008 - 7 K 779/07.MZ - juris; VG Gießen, Urteil vom 04.11.2008 - 2 E 3926/07.A -; VG Würzburg, Urteil vom 20.11.2009 - W 6 K 08.30173 -). Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes lässt sich entnehmen, dass der chinesische Staat Angehörigen ethnischer Minderheiten besondere Aufmerksamkeit widmet, sofern sie nach seinem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen sind. Entscheidender Anknüpfungspunkt für eine Verfolgungsgefahr bei tibetischen Volkszugehörigen ist der Separatismusverdacht (siehe Gutachten Klemens Ludwig vom 23.05.2011, S. 12: drohende Verfolgung bei „separatistischer Haltung“; ebenso: Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 a.a.O. <14>). Ist dieser Verdacht aus Sicht chinesischer Behörden stark, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung. Der schwerwiegendste Auslöser für einen Separatismusverdacht ist nach Auswertung der dem Senat vorliegenden Informationen die exilpolitische Betätigung. Dies betont insbesondere die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg, wonach für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen sind, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Solche Handlungen - entsprechende Auslandstaten könnten nach Rückkehr in China verfolgt werden - seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt. Die Auskunft stellt nicht darauf ab, dass nur exponierte Vertreter der tibetischen Exilgemeinde bedroht seien. Soweit es an Referenzfällen fehlt, kann dies nicht als Beleg für das Fehlen einer beachtlichen Gefahr dienen, da Rückführungen von Tibetern nach China nicht bekannt sind und es damit auch an Beispielen für eine verfolgungsfreie Rückkehr fehlt. Auch der Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel hebt in seiner Stellungnahme vom 11.02.2007 (an VG Ansbach, S. 2) hervor, dass Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen müssten. Ob ein exilpolitisches Engagement bei pro-tibetischen Veranstaltungen der von der Klägerin besuchten Art für sich genommen für Tibeter grundsätzlich - auch wenn keine exponierte Stellung und kein ausgeprägt „politisches Wesen“ bescheinigt werden können - bereits eine Verfolgungsgefahr hervorruft, muss nicht entschieden werden (bejahend VG Würzburg, Urteil vom 22.06.2007 - W 6 K 07.30033 - juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 06.05.2009 - A 1 K 2242/08 -; VG Minden, Urteil vom 20.01.2010 - 4 K 2087/07.A - juris; VG Trier, Urteil vom 01.09.2011 - 5 K 366/10.TR -; Asylgerichtshof Österreich, Entscheidung vom 04.06.2009 - C1 313330-1/2008/8E, abrufbar über http://www.ris.bka.gv.at/; für den Fall einer bereits vor Ausreise ausgeübten und im Ausland fortgesetzten politischen Betätigung auch VG Ansbach, Urteil vom 19.03.2008 - AN 14 K 05.31454 - juris). Denn zahlreiche Erkenntnisquellen besagen, dass ein Separatismusverdacht auch durch die Gesichtspunkte illegale Ausreise, Asylantragstellung und mehrjähriger Auslandsverbleib hervorgerufen beziehungsweise verstärkt werden kann (neben den an anderen Stellen bereits genannten etwa TID e.V. vom 18.07.2002; Gottwald vom 16.11.2004 an VG Mainz; Auswärtiges Amt vom 10.03.2006 an VG Bayreuth; TibetInfoNet vom 24.07.2006 an VG Bayreuth). Betrachtet man die bei der Klägerin bestehenden Gefährdungsmomente in ihrer Summe, so muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin als (vermeintliche) Separatistin in China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht ist. Dabei wird nicht verkannt, dass manche Quellen im Zusammenhang mit einer illegalen Ausreise nur die Gefahren schildern, die sich für Personen ergeben, die an der Grenze zu Nepal aufgegriffen oder direkt von dort zurückgeführt werden. Auch stellt der Senat in Rechnung, dass manche der ausgewerteten Quellen der tibetischen Exilbewegung nahestehen und daher teils eher einseitig gehalten sind. Gleichwohl ergibt sich auch bei entsprechender Herabstufung des Beweiswerts solcher Erkenntnismittel noch das hier zugrundegelegte Gefährdungsbild. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung lässt sich auch nicht mit Verweis auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 (bestätigt mit weiterer Auskunft vom 16.06.2010) verneinen. Dabei handelt es sich um die Antwort auf die Anfrage des VG Regensburg vom 02.07.2008 - RN 4 K 08.30072 -, ob tibetische Volkszugehörige, die ihr Heimatland illegal verlassen, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt haben und sich bereits längere Zeit hier aufhalten, damit rechnen müssen, dass ihnen - unabhängig von bekanntgewordener exilpolitischer Betätigung - staatsfeindliches Verhalten vorgeworfen wird mit der Folge, wegen Landesverrats mit schweren Strafen beziehungsweise Folter bedroht zu sein. In der Stellungnahme heißt es unter anderem, soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die rückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Bei den Ausführungen in der Auskunft vom 15.07.2008 fällt auf, dass sie wörtlich mit einer Textpassage des Lageberichts übereinstimmen, die allgemein für das Herkunftsland Volksrepublik China formuliert wurde. Der Beweiswert der Auskunft bezogen auf tibetische Volkszugehörige erscheint angesichts dessen gering, dass die speziell auf Tibeter eingehenden Stellungnahmen durchgehend einen anderen Aussagegehalt haben, nämlich in mehr oder weniger starker Form auf Gefährdungen verweisen. Es erscheint angesichts der Fragestellung zwar naheliegend, dass die Auskunft sich auch auf Tibeter beziehen sollte, jedoch zeichnet sie sich durch mangelnde Differenzierung aus, zumal Referenzfälle für die Rückführung von Tibetern nach China nicht bekannt sind. Hinzu kommt, dass die Klägerin sich - anders als in der Fragestellung zu der Auskunft vorgegeben - wiederholt exilpolitisch betätigt hat. Auch die vom Bundesamt zitierte Aussage (amnesty international vom 17.05.2010 an VG Regensburg), es könne als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass Beantragung von Asyl in Kombination mit der Volkszugehörigkeit allein Anlass sei, die Person wegen politischer Delikte strafrechtlich zu belangen, entscheidend sei, ob diese Person sich vor oder nach der Ausreise für die Interessen der ethnischen Minderheit politisch engagiert oder gar die Unabhängigkeit der von dieser Minderheit bewohnten Gebieten gegenüber den chinesischen Behörden oder in der allgemeinen Öffentlichkeit befürwortet habe, spricht nicht gegen eine Bedrohung der Klägerin. Denn sie hat sich mehrfach in der Öffentlichkeit für die Unabhängigkeit Tibets eingesetzt.
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(4) Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten der Klägerin beruht.
60 
Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = NVwZ 2009, 730 <731>). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221 = NVwZ 2009, 1167 <1168 f.>; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 - BVerwGE 135, 49 = NVwZ 2010, 383 <385>; Mallmann, ZAR 2011, 342). Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG übernimmt nicht die Einschränkungen des deutschen Asylrechts; Kontinuität ist bloß ein Indiz für die Glaubwürdigkeit (vgl. Begründung der Kommission vom 12.09.2001, KOM <2001> 510 endgültig, S. 18; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 28 Rn. 3 u. § 29 Rn. 12; anders und unklar hingegen Hailbronner, AsylVfG, § 28 Rn. 29 <ähnlich Rn. 32 u. 34>, wonach „Nachweise“ dafür vorliegen müssen, dass der Ausländer seine Überzeugung bereits im Heimatland gehabt hat; siehe ferner zu „Sur place“-Flüchtlingen Handbuch des UNHCR Nr. 94-96).
61 
e) Dem Schutzbegehren der Klägerin steht der Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes nicht entgegen.
62 
aa) Die Regelung des § 27 AsylVfG ist von vornherein nicht einschlägig, weil diese in Fällen einer anderweitigen Sicherheit vor Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, nicht aber den Abschiebungsschutz für Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087; Ott in GK AsylVfG, § 27 Rn. 16; zur Vorgängervorschrift: BVerwG, Urteil vom 06.04.1992 - 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 = NVwZ 1992, 893 m.w.N.).
63 
bb) Auch der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist indes vom Grundsatz der Subsidiarität des Konventionsschutzes sowohl im Verhältnis zum Schutz durch den Staat oder die Staaten der Staatsangehörigkeit des Betroffenen als auch im Verhältnis zum einmal erlangten Schutz in einem anderen (Dritt-)Staat geprägt. Er vermittelt grundsätzlich kein Recht auf freie Wahl des Zufluchtslandes und insbesondere kein Recht auf freie Wahl eines Zweit- oder Drittzufluchtslandes (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O., m.w.N.), sondern stellt insoweit lediglich sicher, dass der Flüchtling nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben oder der Gefahr einer solchen Abschiebung in einem Drittstaat (Kettenabschiebung) ausgesetzt werden darf (Refoulement-Verbot). Hat der Flüchtling bereits ausreichende Sicherheit vor Verfolgung in einem anderen Staat gefunden, kann er - unbeschadet des in jedem Falle unbedingt zu beachtenden Verbots der Abschiebung in den Verfolgerstaat - darüber hinaus grundsätzlich nicht mehr seine Anerkennung als Flüchtling sowie das damit verbundene qualifizierte Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland (§ 25 Abs. 2 AufenthG) beanspruchen. Dieser Grundsatz der Subsidiarität kommt beispielsweise auch in dem Ausschlussgrund nach Art. 1 E GFK zum Ausdruck, nach dem das Abkommen nicht auf eine Person anzuwenden ist, die von den zuständigen Behörden des Landes, in dem sie ihren Aufenthalt genommen hat, als eine Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten hat, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind (vgl. hierzu auch Art. 12 Abs. 1 b RL 2004/83/EG, wonach ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, wenn er von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat, vgl. ferner Handbuch des UNHCR Nr. 144 bis 146). Abgesehen von diesem in der Genfer Flüchtlingskonvention für eine besondere Konstellation ausdrücklich geregelten Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes aber auch, dass eine Flüchtlingsanerkennung in einem Zweit- oder Drittzufluchtsland nicht verlangt werden kann, wenn der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung tatsächlich sicher war und voraussichtlich auch sicher bleiben wird und wenn seine Rückführung oder Rückkehr in diesen Staat möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O.; zustimmend Ott, a.a.O., § 27 Rn. 16).
64 
cc) Die Klägerin hat sich nach ihrer Ausreise aus China eigenen Angaben zufolge länger als drei Monate in Nepal aufgehalten. Mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität kommt es deshalb darauf an, ob sie in Nepal vor asylrelevanten Übergriffen tatsächlich sicher war und weiterhin sicher wäre und ob sie nach Nepal zurückkehren kann. Dies muss verneint werden. Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe räumt die nepalesische Regierung tibetischen Flüchtlingen nicht immer das Recht ein, einen Asylantrag zu stellen oder in Nepal zu bleiben, außer für die kurze Zeit des Transits in einen Drittstaat (vgl. SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 5, unter Berufung auf UNHCR). Neu ankommenden tibetischen Flüchtlingen sei es verboten, im Land zu bleiben (vgl. SFH, a.a.O., S. 3). Es sollen auch Fälle bekannt sein, in denen Flüchtlinge an die chinesischen Behörden ausgeliefert wurden (vgl. SFH, a.a.O., S. 4). Nepalesische Behörden verlangten, dass tibetische Flüchtlinge innerhalb von zwei Wochen das Land verließen (vgl. SFH, a.a.O., S. 6). Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 (S. 3). Auch dort heißt es, dass es für Tibeter, die nicht schon sehr lange in Nepal lebten, unmöglich sei, dort zu bleiben (ob dies die Möglichkeit der Weiterreise nach Indien beinhaltet, wird nicht gesagt). Von anderer Seite wird bekräftigt, tibetische Flüchtlinge seien in Nepal von Rückschiebung bedroht (Klemens Ludwig, 23.05.2011, S. 11 f.).
65 
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes. Im Lagebericht vom 08.11.2005, Stand Oktober 2005 (S. 22 f.) heißt es, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell illegaler Grenzübertritt (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien dann wieder freigelassen worden. Nichtregierungsorganisationen hätten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen berichtet. Seit der Abschiebung der Flüchtlinge am 31.05.2003, die auf Grund ihrer Einmaligkeit internationales Aufsehen erregt habe, seien die nepalesischen Behörden zu dem vorher üblichen Verfahren zurückgekehrt und hätten zugesichert, es auch in Zukunft anzuwenden. Dies bedeute in der Praxis, dass alle von den Behörden in Nepal aufgegriffenen tibetischen Flüchtlinge zunächst dem UNHCR-Büro in Kathmandu überstellt und von dort nach Indien weitergeleitet würden. Diese Zusicherung sei nach Kenntnis der deutschen Botschaft Kathmandu auch weitestgehend eingehalten worden, abgesehen von einigen Fällen mit kriminellem Hintergrund (Schmuggel, Drogenhandel). Danach bestätigt sich, dass es im Mai 2003 zu einer Rückführung von Tibetern von Nepal nach China gekommen ist. Zwar ist im Weiteren (noch) von „Einmaligkeit“ des Vorfalls sowie von der Praxis die Rede, aufgegriffene Tibeter dem UNHCR-Büro in Kathmandu zu überstellen und von dort nach Indien weiterzuleiten. Eine rechtliche oder auch nur tatsächliche Verfestigung dieser Praxis, die eine Sicherheit vor politischer Verfolgung gewährte, lässt sich dem aber nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als in späteren Lageberichten des Auswärtigen Amtes die zitierten Ausführungen fehlen, eine andere Quelle aus neuerer Zeit aber die Gefahr der Rückführung nach China betont.
66 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO (zur Quotelung siehe BVerwG, Urteil vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 - Buchholz 310 § 155 VwGO Nr. 12). Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
67 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten über den ihr zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Die Klägerin ist eine am ... 1987 in ... geborene Staatsangehörige der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnitin). Sie reiste ihren Angaben zufolge am 26. Januar 2016 (nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheids: 25.1.2016) auf dem L. Weg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. März 2016 einen Asylantrag.

Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 5. April 2016 äußerte sie sich im Wesentlichen wie folgt:

Die Lage in Syrien sei für sie und ihre Geschwister schwierig gewesen. Ihr Vater sei ein kranker Mann. Es seien Mädchen entführt worden. Die Jungen seien gezwungen worden, zur Armee zu gehen oder sich anderen Gruppen anzuschließen. Sie seien als Familie (Eltern, drei Brüder und drei Schwestern) am 5. Dezember 2012 oder 2013 nach Jordanien geflohen, wo sie registriert worden seien, im Übrigen aber keine staatliche Hilfe erhalten hätten. Bis dahin habe sie in ... Damaskus, gelebt. Etwa Ende Juli 2015 sei der Vater nach Syrien zurückgekehrt, um ihr Haus zu verkaufen und die Lage zu erkunden. Einer der Brüder sei mit seiner Familie nach Ägypten ausgereist. Der Vater habe bei seiner Rückkehr nach Syrien keine Schwierigkeiten gehabt. Er habe aber nicht mehr nach Jordanien zurückkehren können und sei in die Türkei gereist. Die übrigen Familienmitglieder, soweit noch in Jordanien lebend, hätten am 5. Januar 2016 Jordanien verlassen und sich ebenfalls in die Türkei begeben. Von dort aus seien sie am 26. Januar 2016 nach Deutschland gekommen. Sie sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Das sei auch jetzt nicht der Fall. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten sei sie nicht gewesen. Sie habe auf ihrem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die sie als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen sie habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Für den Fall der Rückkehr nach Syrien fürchte sie wegen des Krieges um ihr Leben.

Das Bundesamt erkannte die Klägerin mit Bescheid vom 8. April 2016 als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führte es unter anderem aus: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 20. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen.

Gegen die Annahme, dass bei jedem Rückkehrer eine Regimegegnerschaft vermutet werde, spreche die mittlerweile sehr hohe und weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche ebenfalls dagegen, dass jedem Rückkehrer eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Dem entspreche es, dass sich ein erheblicher Teil der syrischen Asylbewerber für den Fall einer Rückkehr nicht vor Verfolgung in Anknüpfung an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG fürchte, sondern ausschließlich vor Kriegsgefahren und Kriegsfolgen. Diese Erkenntnis habe das Bundesamt aus mehr als 130.000 in diesem Jahr durchgeführten Anhörungen gewonnen.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch unverfolgt ausgereisten Rückkehrern nach Syrien drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes (Botschaft Beirut v. 3.2.2016), wonach keine Erkenntnisse vorlägen, dass Syrer bei einer Rückkehr allein wegen des Auslandsaufenthaltes Übergriffe oder Sanktionen zu erleiden hätten, sei mit großer Unsicherheit behaftet. Denn es dürfte kaum noch eine Zusammenarbeit zwischen der deutschen Botschaft und den syrischen Behörden stattfinden.

Die Annahme, das syrische Regime sei aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage, Rückkehrer systematisch zu befragen, sei eine Mutmaßung des Bundesamts, die nicht näher begründet oder belegt werde.

§ 3 Abs. 1 AsylG sei verfassungskonform auszulegen, weil Leben und Gesundheit der Klägerin in Gefahr seien. Es müsse deshalb hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung zugunsten der Klägerin zu einer Art Beweislastumkehr kommen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses unter anderem wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei bei der Klägerin nicht gegeben. Die Annahme sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 zu Unrecht stattgegeben. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 8. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt der Klägerin in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn sie ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin ihr Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Senat konnte aufgrund des bisherigen Ablaufs des Asylverfahrens und aufgrund der Anhörung der Klägerin in der Berufungsverhandlung nicht die erforderliche Überzeugung (vgl. dazu BVerwG, U.v. 11.11.1986 - 9 C 316.85 - juris) davon gewinnen, dass sie die Arabische Republik Syrien aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen hat.

Die Klägerin hat erstmals in der Berufungsverhandlung eine Vorverfolgung geltend gemacht. Dieses Vorbringen ist nicht glaubhaft. Es ist gegenüber den in der Anhörung durch das Bundesamt am 5. April 2016 genannten Fluchtgründen gesteigert und steht dazu in Widerspruch, ohne dass die Klägerin diese Unregelmäßigkeiten überzeugend auflösen konnte.

Gegenüber dem Bundesamt sprach die Klägerin nach dem Inhalt der Niederschrift über die Anhörung am 5. April 2016 lediglich allgemein davon, die Lage in Syrien sei für sie und ihre Geschwister schwierig gewesen; ihr Vater sei ein kranker alter Mann. Es seien Mädchen entführt worden und Jungen seien gezwungen worden, zur Armee zu gehen oder sich anderen Gruppen anzuschließen.

Demgegenüber hat sie im Rahmen der informatorischen Befragung durch den Senat ihr Vorbringen steigernd und im Widerspruch zu dem ursprünglich genannten Fluchtgrund davon gesprochen, sie sei als Sunnitin von anderen Gruppen verfolgt worden. Es habe Drohungen gegeben, die ihre Familie auch persönlich betroffen hätten. Ihr Haus sei nach der Flucht aus der Heimat von verschiedenen Gruppen besetzt worden.

Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Klägerin diese aus ihrer Sicht wesentlichen Fluchtgründe nicht schon gegenüber dem Bundesamt vorgebracht hat. Ihre Erklärung, sie habe nicht die Möglichkeit dazu gehabt, sie sei nicht dazu gekommen, überzeugt schon angesichts der Tatsache nicht, dass die Anhörung vor dem Bundesamt ausweislich der dazu angefertigten Niederschrift mehr als eine Stunde dauerte und der Klägerin dabei auch ausdrücklich die Frage gestellt wurde: „Was ist ihnen persönlich vor der Ausreise aus Syrien passiert?“ Überdies erklärte die Klägerin abschließend auf eine entsprechende Frage der Entscheiderin hin, sie habe bereits alles erzählt.

Nach Vorstehendem kann offenbleiben, ob die von der Klägerin nunmehr behauptete Vorverfolgung überhaupt von flüchtlingsschutzrelevanter Bedeutung ist.

2. Die Klägerin kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil die Klägerin aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen die Klägerin bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionelle betrachten und sie deshalb wegen einer ihr unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn der Klägerin bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihr nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Klägerin nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GGU.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Klägerin bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen ihres Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: www...de/...) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www...de/...) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin allein wegen ihrer Ausreise, ihres Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (so auch OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 - juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A - juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 18.7.2012 - 3 L 147.12 - juris).

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob die Klägerin von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und - bejahendenfalls - wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung der Klägerin sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

72 Die im angefochtenen Gerichtsbescheid in Bezug genommenen (GA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden. Dazu in der Reihenfolge der Fälle wie sie im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 angeführt sind:

73 - Der syrische Kurde B. K. hatte in Zypern erfolglos Asyl beantragt und wurde im Juni 2009 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Hier trat zum Asylantrag hinzu, dass B. K. nach den Erkenntnissen von amnesty international bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft war. Er war damit bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der syrischen Dienste geraten.

[74] - Der syrische Kurde K. K. wurde nach abgelehntem Asylantrag am 1. September 2009 nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Herrn K. wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Allerdings, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt lässt das unerwähnt, war Gegenstand des geheimdienstlichen Verhörs auch die Teilnahme des Verhafteten an einer Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Arabischen Republik Syrien. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien hat der Rechtsanwalt des Herrn K. mitgeteilt, dass sich die nachfolgende Anklage auf den Vorwurf gestützt habe, Herr K. habe in Deutschland an dieser Kundgebung teilgenommen. Ein Monitoring durch den Verbindungsbeamten bestätigte, dass Herr K. der Aussage seines Anwaltes entsprechend wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland verurteilt wurde (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded Group und aktuelle Situation, April 2011, S. 11 f.).

[75] - Der syrische Kurde A. al-K. H. wurde im August 2010 aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Hier tritt hinzu, dass es sich bei Herrn A. al-K. H. um den stellvertretenden Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen handelte, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Er war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste.

[76] - Nach einem von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige (kurdische) Familie nach Damaskus abschieben lassen. H. H. und K. H. wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die beiden festgenommen wurden, weil sie in Deutschland straffällig geworden waren. Der Aussage des H. H. zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so H. H., sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden.

[77] - Der staatenlose Kurde D. A. wurde nach seiner Abschiebung aus Dänemark am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Herr A. war in Dänemark politisch aktiv.

[78] - Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Herrn D. Y. M. vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In diesem Fall tritt hervor, dass der Betroffene in Zypern gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen hatte.

[79] - Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen B. N. und seinen Sohn A. N. nach Syrien abschieben lassen. Beide wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Herrn A. N. wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater, Herr B. N, wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Er wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen. Unabhängig davon, dass es sich bei den Betroffenen um registrierte Staatenlose handelte, tritt hier die Problematik der Identitätsfeststellung in den Vordergrund.

[80] - Am 8. Februar 2011 wurde Herr A. A. von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich dem Königreich Dänemark zuvor die Rücknahme des Herrn A. zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Herrn A. begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Herrn A. nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Herr A. von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Herrn A. mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Herr A. leugnete das und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Herr A. gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. Es ist auch in diesem Fall ohne Weiteres erkennbar, dass Anlass für die angebliche Misshandlung nicht (allein) ein Asylantrag des abgeschobenen Syrers war.

[81] - Im Fall des Herrn K. H., der im Zuge seiner Abschiebung aus Deutschland am 13. April 2011 am Flughafen Damaskus festgenommen wurde, ergab sich das Interesse des syrischen militärischen Nachrichtendienstes an der Person des Abgeschobenen aus dessen exilpolitischen Aktivitäten, zu denen er im Verlauf einer einwöchigen Haft verhört wurde.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und des Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Die Klägerin zählt nicht zu diesem Personenkreis; sie ist keine Dissidentin und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Die Klägerin hat Syrien nach ihrem Vorbringen gegenüber dem Bundesamt und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht illegal verlassen. Sie reiste nach ihren Angaben in Begleitung ihres Vaters mit einem (gültigen) Reisepass aus und wurde an einem Grenzübergang zu Jordanien „auch auf der syrischen Seite“ kontrolliert.

2.2.4 Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht daraus, dass der UNHCR insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer als Risikogruppe betrachtet (vgl. UNHCR, „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 26). Insoweit fehlt es an einem konkreten Anhalt dafür, dass bei einer Rückkehr nach Syrien im Rahmen der Einreisekontrolle ein erhöhtes Risiko für Verfolgungshandlungen in Anknüpfung an das Geschlecht besteht (§ 3a Abs. 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Soweit der UNHCR feststellt, die Situation von Frauen verschlechtere sich durch den fortgesetzten Konflikt dramatisch, weil Frauen aufgrund ihres Geschlechts zunehmend Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, bezieht sich das auf die kriegsbedingten Verhältnisse im Land (vgl. UNHCR, „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 14). Im Übrigen lebte die Klägerin vor ihrer Ausreise in einem Vorort von Damaskus und hätte im Falle ihrer Rückkehr dort nach den Verhältnissen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine kriegsbedingten Gewalthandlungen zu befürchten.

2.2.5 Eine andere Gefährdungsprognose ist auch nicht mit Blick darauf veranlasst, dass der Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, für Personen die wegen ihrer Kleidung religiös erschienen, bestehe ein größeres Risiko, von den Grenzbeamten misshandelt zu werden. Das kann zwar den „Antworten auf Informationsanfragen“ der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde vom 19. Januar 2016 entnommen werden (vgl. dort S. 9 unter Verweis auf die telefonische Befragung eines leitenden Gast-Forschungsbeauftragten am King´s College London am 15.12.2015 und eines Programmbeauftragten am Center for Civilians in Conflict am 11.12.2015). Allerdings ist unabhängig davon, dass die befragten sachkundigen Personen offensichtlich keine Bezugsfälle angeführt haben, schon unklar, wann eine Person wegen ihrer Kleidung religiös erscheint. Angesichts des Umstands, dass sich die Arabische Republik Syrien als laizistischer Staat versteht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 9.7.2008, S. 13), geht es insoweit letztlich darum, ob die betroffene Person im Hinblick auf ihre Kleidung von syrischen Sicherheitskräften der Opposition zugeordnet wird. Dafür besteht bei der Klägerin kein konkreter Anhalt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 wird hinsichtlich dessen Ziffer 2 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die 1981 und 1986 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind nach eigenen Angaben syrische Staatsangehörige und miteinander verheiratet. Aus dieser Ehe sind die 2011 und 2014 geborenen Kläger zu 3) und 4) hervorgegangen. Die Kläger zu 1) und 2) sind nach eigenen Angaben von der Volkszugehörigkeit Araber und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Die Meldung als Asylsuchende erfolgte am ...09.2015 in Heidelberg, die Asylantragstellung am ...05.2016. Die Kläger sind nunmehr in ... wohnhaft.
Ausweislich der Aktenvermerke in der Behördenakte vom ...02.2016 konnten bei den syrischen Reisepässen der Kläger keine Manipulationen festgestellt werden; die Reisepässe entsprächen dem bei der Beklagten bekannten Vergleichsmaterial.
In seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Sigmaringen am ...09.2016 gab der Kläger zu 1) an, dass er sich mit seiner Familie in Deir ez-Zor und dort im Stadtviertel Hay Al Kosour aufgehalten und als Sportlehrer gearbeitet habe. Auf entsprechende Nachfragen gab er an, dass Deir ez-Zor am Fluss Euphrat liege. Es gebe dort die Tageszeitung Al Furat. Im Euphrat gebe es die Insel Hawijat Kati. Er sei von Syrien mit dem Bus in den Libanon, von dort mit der Fähre in die Türkei und mit einem Boot nach Griechenland gefahren. Von dort sei er weiter über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Österreich nach Deutschland gereist. Er habe von ... 2002 bis ... 2004 Wehrdienst geleistet. Politisch habe er sich nicht betätigt. Kriegsverbrechen, gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, den Einsatz von chemischen Waffen oder ähnliches habe er nicht beobachtet. Seine Heimatstadt sei zweigeteilt gewesen. Der Nord-Osten und das Umland seien von ISIS besetzt gewesen. Der süd-westliche Teil, in welchem er gewohnt habe, sei von Regierungstruppen besetzt gewesen. Diese hätten von ihm erwartet, dass er kämpfe. Aufgrund seiner Ablehnung habe man ihn unter Druck gesetzt. Man habe ihm nichts zu essen oder zu trinken gegeben. Das Wohnhaus der Familie sei durch das Artilleriefeuer des ISIS zerstört worden. Er sei daraufhin mit seiner Familie ein paar Straßen weiter zu seinen Eltern gezogen. Die Familie habe sodann Deir ez-Zor mit dem Ziel Damaskus verlassen wollen. Sein Antrag sei jedoch abgelehnt worden. Schließlich habe die Familie nach Damaskus fliehen können. Er persönlich sei auf dem Weg kontrolliert, bedroht und geschlagen worden. Er habe mit seinen Kindern fünf Stunden in der Sonne stehen müssen. Dies sei so erniedrigend gewesen, dass er sich nach sechs Wochen in Damaskus entschlossen habe, auszureisen, zumal das Leben in Damaskus genauso unsicher und teurer sei. Des Weiteren sei in Damaskus für ihn und seine Familie als Sunniten kein Platz. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien fürchte er den Tod. Er wolle für keine der Kriegsparteien kämpfen und befürchte, deshalb getötet zu werden. Dies befürchte er aufgrund der Zwangsrekrutierung in Syrien und der fehlenden Lebensgrundlage für sich und seine Familie. In der Anhörung beschränkte der Kläger zu 1) seinen Asylantrag auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.
In ihrer Anhörung am selben Tag gab die Klägerin zu 2) an, sie habe ihr Heimatland am ...09.2015 verlassen und sei am ...09.2015 nach Deutschland eingereist. Sie habe bis zur Ausreise mit ihrer Familie in Deir ez-Zor, dort im Stadtviertel Hay Al Kosour und danach im Viertel Hay Al Roshdia bei den Eltern ihres Mannes gelebt. In Syrien habe sie ein Anglistik-Studium mit Diplom abgeschlossen. Sie habe als Englischlehrerin an einer staatlichen Schule gearbeitet, nach Kriegsbeginn sei sie jedoch nur zu Hause gewesen. Auf Nachfrage gab sie an, dass es in Deir ez-Zor die Tageszeitung Al Furat sowie eine gleichnamige Universität gebe. Sie wolle hier leben, in Syrien habe sie nur im Hause gelebt. Ihr könne in Syrien alles passieren. Sie wolle nicht mehr zurück. In Deir ez-Zor sei die Lage völlig unsicher. Es gebe wenig zu essen und zu trinken. Die täglichen Bombardierungen seien lebensbedrohlich. Ihr Mann sei von Regierungstruppen bedroht und erniedrigt worden. Als Sunniten würden sie im ganzen Land missachtet. In der Anhörung beschränkte sie ihren Asylantrag auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.
In einem Aktenvermerk in der Behördenakte vom ...09.2016 wird festgehalten, dass nach Auffassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge eine positive Entscheidung nach § 3 Abs. 1 AsylG wahrscheinlich erscheine. Die Kläger stammten „zweifelsohne aus Deir ez-Zor in Syrien“. Das Asylvorbringen sei „glaubhaft dargestellt“ worden.
In einem weiteren Aktenvermerk vom ...10.2016 wird in der Behördenakte ausgeführt, dass in allen Landesteilen Syriens ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche. Für alle Zivilpersonen liege eine Gefahrverdichtung vor, d.h. sie seien bereits allein durch ihre Anwesenheit in Syrien einer schutzauslösenden individuellen Gefahr aufgrund willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Eine Verfolgung „in Anknüpfung an eines der Merkmale der GFK“ sei nicht glaubhaft geltend gemacht worden, sodass kein Flüchtlingsschutz gewährt werden könne.
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 – den Klägern zu 1) und 2) am ...11.2016 zugestellt – wurde den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und die Asylanträge im Übrigen abgelehnt. Hinsichtlich der Flüchtlingseigenschaft wurde ausgeführt, dass die vom Kläger zu 1) befürchtete Heranziehung zum Wehrdienst nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könne. Aus dem Vortrag der Kläger seien weder eine konkrete Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal ersichtlich. Es sei nicht ersichtlich, dass wegen der Ausreise flüchtlingsrechtlich relevante Maßnahmen drohten. Wegen der weiteren Begründung wird auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
Die Kläger haben am 15.11.2016 beim erkennenden Gericht Klage erhoben. Zur Begründung wird auf die Anhörung der Kläger zu 1) und 2) im Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Die Verweigerung des Militärdienstes werde als Zuwendung zum regierungsfeindlichen Lager angesehen. Bereits der Aufenthalt und die Asylantragstellung im Ausland würden als feindliche Akte angesehen. Dies gehe aus der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Beirut hervor.
10 
Die Kläger beantragen,
11 
ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 hinsichtlich dessen Ziffer 2 aufzuheben.
12 
Die Beklagte ist der Klage schriftsätzlich entgegengetreten.
13 
Auf Antrag der Kläger wurde ihnen mit Beschluss der Kammer vom ...01.2017 Prozesskostenhilfe für das vorliegende Verfahren bewilligt. In der mündlichen Verhandlung am 24.01.2017 wurden die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 1) getrennt voneinander informatorisch befragt.
14 
Informatorisch befragt gab die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung an, sie habe mit ihrer Familie in einem Viertel der Regierung gelebt. Es habe Bombardierungen gegeben und keine Sicherheit. Die Kinder hätten nicht zur Schule gehen können.
15 
Auf Befragen des Gerichts führte sie weiter aus, sie hätten bei der Familie ihres Mannes im Stadtteil Kosour gelebt. Im Stadtteil Roshdija habe sie ihren Mann geheiratet und dort hätten sie früher auch gelebt. Das Gebiet sei zerstört worden, es habe Bombardierungen gegeben und auch ihr Haus sei getroffen worden. Wer genau diesen Teil besetzt habe, wisse sie nicht; es gebe in Syrien viele Gruppen, die Gegner des Regimes seien. Sie habe sich mehrheitlich im Haus aufgehalten und letztlich nicht viel gesehen. Primär habe sie die Bombardierungen mitbekommen. In Deir ez-Zor habe es keine Infrastruktur, kein Essen und kein Wasser mehr gegeben. Die Situation sei immer unerträglicher und das Leben unmöglich geworden. Ihr Mann habe Essen besorgt, viele seien schon vor der Dämmerung oder kurz nach dem Frühgebet losgezogen, da es lange Wartezeiten gegeben habe. Es sei immer schlimmer geworden.
16 
Auf weiteres Befragen des Gerichts nach der Flucht nach Damaskus gab die Klägerin zu 2) an, es habe Wartelisten für die Ausreise gegeben; man habe sich registrieren fassen müssen. Schließlich sei ihnen dies gelungen und sie seien nach Damaskus ausgeflogen. In Damaskus habe sich die Familie etwa einen Monat, vielleicht auch mehr, aufgehalten. Aus Damaskus seien sie dann mit einem Bus in den Libanon geflohen.
17 
Gefragt nach besonders einprägsamen Ereignissen gab die Klägerin zu 2) an, dass sie in Damaskus aufgehalten worden seien. Sie hätten zwei Stunden warten müssen. Ihr Mann sei mit Maschinengewehren geschlagen worden; man habe ihm gesagt, dass er kämpfen solle. Genau wisse sie nicht, wie lange es gedauert habe; es sei sehr lang gewesen. Es seien Regierungstruppen gewesen.
18 
In seiner Anhörung gab der Kläger zu 1) – informatorisch nach dem Leben in Deir ez-Zor befragt – an, dass die Familie in einem Haus in Al Roshdija gelebt habe. Dieses sei bei Bombardierungen zerstört worden und die Familie sei dann zu seinen Eltern gezogen. Der Stadtteil, in dem seine Eltern lebten, heiße Al Kosour und sei von den Regierungstruppen besetzt. Al Roshdija sei in der Hand des IS und dieser habe ein Embargo gegen die Regierung verhängt.
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Nach dem Einsturz des Hauses und dem Embargo des IS Anfang 2015 habe die Regierung die Zivilbevölkerung aufgefordert, an die Front zu gehen. Er selbst sei Sportlehrer und habe weder Lust an der Front zu kämpfen noch könne er dies. Die Regierung wolle einen dazu zwingen. Wenn man die Aufforderung zu kämpfen nicht befolge, gebe es zunächst kein Essen. Dann sei die Familie nach Damaskus geflohen.
20 
Die Versorgung mit Essen sei sehr gering gewesen. Für ihn als Mann sei aber nicht nur die Essensversorgung relevant, sondern auch der Kriegsdienst. Er sei gezwungen gewesen zu fliehen. Die Familie sei dann auch gezwungen gewesen, ausgeflogen zu werden, um nicht auf der Reise nach Damaskus vom IS aufgegriffen zu werden. Die Reise sei später genehmigt worden, sodass sie nach Damaskus hätten fliegen können. Es sei schwer gewesen, aber schließlich sei es genehmigt worden.
21 
Unterwegs in Damaskus sei er mit seiner Familie angehalten und von Regierungstruppen kontrolliert worden. Man habe anhand des Ausweises gesehen, dass er aus Deir ez-Zor stamme. Anfangs habe er zwei Stunden warten müssen, danach dann noch zwei oder zweieinhalb Stunden. Erst habe er warten müssen, dann habe man ihn mit Absicht warten lassen, nachdem man ihn aufgefordert habe, für die Regierung zu kämpfen. Als er dies verweigert habe, sei er u.a. mit einem Gewehrkolben geschlagen und beleidigt worden. Insofern – so gab der Kläger zu 1) auf Vorhalt an – könne es gut sein, dass er in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Gesamtzeit mit vier bis viereinhalb oder fünf Stunden beschrieben habe.
22 
Auf Nachfrage gab der Kläger zu 1) an, der Flug nach Damaskus sei im 7. oder 8. Monat des Jahres 2015 gewesen. In Damaskus habe sich die Familie etwa ein bis eineinhalb Monate aufgehalten. Mit dem Bus seien sie in den Libanon und mit dem Schiff in die Türkei gereist.
23 
Auf Nachfrage, was er im Falle einer Rückkehr für sich selbst und isoliert für seine Frau befürchte, gab er an, dass er als Verräter gelte, weil er nicht gekämpft habe. Weil sie Sunniten seien, gebe es nicht so gute Möglichkeiten; vielleicht würden er und seine Familie getötet, sie hätten aber jedenfalls keine gute Zukunft. Auf Nachfrage, wie die Rekrutierung ablaufe, gab er an, dass es keine Briefe oder ähnliches gebe, man werde auf der Straße oder am Checkpoint „geschnappt“. Auf Nachfrage gab er an, dass auch Leute verschwänden; er wisse von vielen Leuten, die aufgegriffen worden und dann nicht mehr aufgetaucht seien. Bei der Ausreise sei er an der Grenze und vom Zoll sowohl von libanesischen als auch syrischen Behörden kontrolliert worden.
24 
Dem Gericht liegt ein Ausdruck der elektronischen Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diese und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
25 
1. Die Kammer ist zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, nachdem dieser nicht dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden ist (vgl. § 76 Abs. 1 AsylG).
26 
2. Das Gericht kann gem. § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden, obwohl die Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, nachdem sie ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne ihr Erscheinen verhandelt werden kann.
27 
3. Die Klage ist auch zulässig, da sie insbesondere fristgemäß erhoben worden ist und auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Denn die aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis wird gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG – mit Verlängerungsmöglichkeit – längstens für drei Jahre erteilt, während subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG – wie den Klägern –lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf zwei Jahre erteilt werden darf. Der Status eines anerkannten Flüchtlings im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt daher einen für die Kläger günstigeren Status, als der ihnen gewährte subsidiäre Schutzstatus. Es kann deshalb vorliegend offenbleiben, ob ein Rechtsschutzbedürfnis mit Blick auf den durch § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG eingeschränkten Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten, deren Kernfamilie sich bereits im Bundesgebiet befindet, bestehen kann.
II.
28 
Die Klage ist auch begründet. Der verfahrensgegenständliche Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.
29 
Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
30 
Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen unveränderlichen gemeinsamen Hintergrund gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris; Nds. OVG, Urteil vom 21.09.2015 – 9 LB 20/14 –, juris).
31 
Dabei ist die Furcht vor Verfolgung begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 – A 11 S 689/13 –, juris). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU vom 20.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie (QRL) – ist die Tatsache, dass ein Asylantragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des jeweiligen Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen dagegen, dass dieser Asylantragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
32 
Entscheidend ist insofern, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.11.2015 – A 12 S 1999/14 –, juris). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 – 9 C 118.90 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 147).
33 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 – 9 C 32.87 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80). Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12 –, Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 14). Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2016 – A 10 S 332/12 –, juris). Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann die Intensität der drohenden Verfolgung aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen für die Entscheidung maßgeblich sein, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren will oder nicht (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.02.2007 – 23 B 06.30883 –, juris).
34 
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat; insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die – wie hier – bereits während eines Erstverfahrens oder erst mit der Ausreise verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 – 10 C 27.07 –, Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 24 ). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren – wie hier – ist demnach die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 – 10 C 51.07 –, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 28).
35 
Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt stimmig zu schildern (vgl. §§ 15, 25 Abs. 1 AsylG; BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 – 9 C 321/85 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 64).
36 
Ist – wie im vorliegenden Fall – der Sachverhalt soweit ermittelt, dass alle ernsthaft in Betracht kommenden Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind, entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Ziel dieser Würdigung des Gesamtergebnisses und insbesondere der verfügbaren Beweis- und Erkenntnismittel ist die Begründung der richterlichen Überzeugung über das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen bestimmter erheblicher Umstände. Es ist demgemäß zu erkennen, wie stark oder schwach die einzelnen Umstände und Elemente des Prozessstoffs auf das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein der behaupteten Tatsache hinweisen, wobei das aus seiner Lebens- und Welterfahrung gewonnene Erfahrungswissen und die Erfahrungssätze des erkennenden Richters den Maßstab bilden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.1971 – VIII C 24.70 –, BVerwGE 38, 10 <12>). Das dem Gericht bekannte Wissen über allgemein offenkundige Tatsachen bzw. die aus der amtlichen Tätigkeit gewonnenen Kenntnisse ergänzen diesen Maßstab der Beweiswürdigung (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 16 (Stand: April 2013), m.w.N.).
37 
Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Zudem ist die besondere Beweisnot des hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht mit der Beweislast beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden als „Zeuge in eigener Sache“ und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
38 
Je größer unter Anwendung dieses Maßstabs die Zahl der übereinstimmenden und je geringer die Zahl der differierenden Merkmale unter den den Prozessstoff bildenden Elementen ist, desto größer ist die Allgemeingültigkeit einer Hypothese, und umso geringer ist die Zufälligkeit der Ähnlichkeit, Gleichartigkeit oder Identität in Bezug auf ein einzelnes Merkmal (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.). Dabei unterliegt die Überzeugungsbildung des Gerichts seiner „Freiheit“, d.h. einer richterlichen Einschätzungsprärogative (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth (Hrsg.), VwGO, 6. Aufl., 2014, § 108 Rn. 10). Diese findet ihre Grenze in den Denkgesetzen, dem Willkürverbot und in dem Gebot der vollständigen Würdigung des gesamten Prozessstoffs (BVerwG, Beschluss vom 17.10.2012 – 8 B 47/12 –, NVwZ-RR 2013, 97 <100>). In diesem Rahmen ist das Gericht berechtigt, auf jedes Einzelelement des Prozessstoffs zurückzugreifen, andererseits aber auch verpflichtet, das Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschöpfen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 14.06.1985 –6 C 33/82 –, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 169; Beschluss vom 21.01.2014 – 10 B 3/14 –, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 81).
39 
Das erkennende Gericht muss demnach alle geeigneten Erkenntnismittel nutzen, wobei eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht regelmäßig dann nicht vorliegt, wenn das Gericht den nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für aufgeklärt hält und die – wie hier zumindest im vorbereitenden Verfahren – sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten keine Beweisanträge gestellt oder im vorbereitenden Verfahren angekündigt haben (BVerwG, Urteil vom 27.07.1983 – 9 C 541.82 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146; Beschluss vom 10.10.2013 – 10 B 19.13 –, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 67).
40 
1. Die Kammer ist unter Zugrundelegung dieses Maßstabs zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Klägern um syrische Staatsangehörige handelt, die aus Syrien ausgereist sind, ohne dass sie vor ihrer Ausreise aufgrund eines der in § 3 Abs. 1 AsylG niederlegten Merkmale verfolgt worden wären.
41 
Bilden – wie im vorliegenden Fall hinsichtlich des individuellen Schicksals der Kläger – Aussagen natürlicher Personen über Wahrnehmungen und Erlebnisse die einzigen Mittel zur Sachverhaltsermittlung, sind diese im Wege der Aussageanalyse dahingehend zu würdigen, ob sie glaubhaft sind, d.h. ob sie Tatsachen schildern, hinsichtlich derer das Gericht überzeugt ist, dass sie sich – wie sie im Verwaltungsverfahren und im Prozess vorgebracht wurden – zugetragen haben (vgl. Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.).
42 
Kein anderer Maßstab kann für die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als „Zeuge in eigener Sache“ gelten, welche im Asylverfahren hinsichtlich des Flucht- oder Verfolgungsschicksals des Asylsuchenden regelmäßig als einziges Erkenntnismittel in Betracht kommen und so gesteigerte Bedeutung erfahren (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
43 
Gegenstand der Prüfung der Glaubhaftigkeit, welche damit in Ermangelung anderer Ermittlungsansätze aufgerufen ist, ist die Frage, ob die Angaben hinsichtlich eines bestimmten tatsächlichen Geschehens zutreffen oder nicht. Dabei ist zunächst zu unterstellen, dass die Aussage weder wahr noch falsch ist; es sind auf Grundlage eines Glaubhaftigkeitswerts von Null weitere Hypothesen zu bilden (sog. „Nullhypothese“, vgl. hierzu m.w.N. BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; zu deren Anwendbarkeit außerhalb des Strafprozesses LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; zu deren Bedeutung für die richterliche Beweiswürdigung BGH, Urteil vom 27.03.2003 – 1 StR 524/02 –, NStZ-RR 2003, 206 <208>).
44 
Ergibt sich, dass diese Hypothese, die Aussage sei weder wahr noch falsch, nicht zutreffen kann, bspw. weil sich die Aussage durch genügend Qualitätsmerkmale auszeichnet, die den Schluss rechtfertigen, dass sie der Wahrheit entspricht, d.h. die „Nullhypothese“ mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt (BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506; VG Meiningen, Beschluss vom 08.12.2011 – 6 D 60012/11 Me –, juris).
45 
Demnach ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, dass Aussagen über Erlebtes und Nicht-Erlebtes sich in ihrer Qualität unterscheiden (sog. „Undeutsch-Hypothese“, vgl. zum Ganzen Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 283 ff.), sodass die Aussage zunächst inhaltsorientiert und sodann merkmalsorientiert dahingehend überprüft werden kann, ob sie Merkmale bzw. Anzeichen enthält, die für ihre Glaubhaftigkeit sprechen (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506).
46 
Als solche sog. „Realitäts-“oder „Glaubhaftigkeitsanzeichen“ kommen insbesondere ein Detailreichtum, Angaben zu im Hintergrund stehenden Umständen, eine nicht chronologische und unpräzise – gleichwohl inhaltlich ausführliche – Erzählweise im Gegensatz zur Wiedergabe angelernter oder ausgedachter Informationen in Betracht (vgl. bspw. BVerwG, Urteil vom 19.07.2006 – 2 WD 13/05 –, NVwZ-RR 2007, 182; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 370 ff. und 409 ff.).
47 
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sieht das Gericht die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als glaubhaft an. Ihre Angaben stehen hinsichtlich des wesentlichen Kerngeschehens, aber auch im Hinblick auf den, das Kerngeschehen umgebenden, inhaltlichen Gesamtzusammenhang und mit ihrem Vorbringen im Behördenverfahren in dessen wesentlichen, das Geschehen prägenden Elementen, in inhaltlicher Übereinstimmung. Inhaltlich waren die Angaben weitgehend widerspruchsfrei, wobei die Widersprüchlichkeit in den Angaben der Klägerin zu 2) hinsichtlich der Dauer der Kontrolle am Checkpoint in Damaskus, zunächst erheblich von der anfänglich angegebenen Dauer von vier Stunden abwich. Ihr gesamtes Aussageverhalten war indes von Unsicherheiten – teilweise auch gegenüber dem Gericht – geprägt. Ihr war eine klare Sorge in der Erzählung anzusehen und es war offensichtlich, dass der Fokus ihrer Wahrnehmung auf dem Geschehenen selbst und dem Schicksal ihres Ehegatten und ihrer Kinder, nicht aber auf der, in diesem Detail zum Randgeschehen zählenden, zeitlichen Dauer lag. Das generell einzelfallbezogen und so im Falle der Klägerin zu 2) unter diesem Gesichtspunkt zu bestimmende Kerngeschehen hat sie widerspruchsfrei geschildert (vg. zur Bestimmung des „Kerngeschehens“ OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506 <3507>). Die Klägerin zu 2) gab nämlich an, dass es sich insgesamt um eine in ihrer subjektiven Wahrnehmung lange Zeit gehandelt habe, was inhaltlich zu den Angaben des Klägers zu 1) jedenfalls nicht in Widerspruch steht, sondern vielmehr der vom Kläger zu 1) angegebenen Dauer von vier bis fünf Stunden entspricht.
48 
Das Aussageverhalten – insbesondere des Klägers zu 1) – war flüssig und nicht detailarm. Der Kläger zu 1) machte von sich aus Angaben, welche einzelne Details zum Geschehen enthielten, wie den Umstand, dass er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Andererseits war er auch in der Lage, andere von ihm als selbstverständlich angenommene Umstände – wie die Tatsache, dass keine förmlichen Einberufungsbescheide zum Wehrdienst ergingen – auf Nachfrage zu ergänzen. Dies erfolgte schnell und ohne nachzudenken oder zu zögern unter Einbettung in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang mit einer Selbstverständlichkeit und Präzision, welche die Überzeugung rechtfertigt, dass ein wahrheitswidriges Erfinden dieser Angaben anhand von Gerüchten oder Medienberichten auch einer kompetenteren Aussageperson nicht ohne weiteres in dieser Gestalt möglich gewesen wäre.
49 
Das Aussageverhalten zeichnete sich bei beiden Klägern dadurch aus, dass sie in ihrer Erzählweise selbst inhaltlich und zeitlich „sprangen“ und auch auf Nachfrage des Gerichts in der Lage waren, in einen anderen Teil ihrer Erzählung gedanklich einzusteigen, was für die Wiedergabe selbst erlebter Ereignisse – im Gegensatz zu einer stereotypen streng chronologischen Erzählweise – spricht.
50 
Auf Grundlage dieser Glaubhaftigkeitsanzeichen gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Angaben der Kläger zu 1) und 2) glaubhaft sind, die Kläger aus Syrien stammen und der Kläger zu 1) Rekrutierungsbemühungen und -versuchen der syrischen Regierung ausgesetzt war. Zugleich gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Kläger jedenfalls nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder politischen Einstellung als solches vor ihrer Ausreise aus Syrien verfolgt wurden. Dies kann jedoch offenbleiben.
51 
2. Soweit anhand der verfügbaren Erkenntnismittel ersichtlich, ist die Kammer jedoch im Ergebnis mit der überwiegenden Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung davon überzeugt, dass zumindest bis in das Jahr 2013 hinein eine sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung schutzsuchender syrischer Staatsangehöriger aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung oder einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt, bei einer Wiedereinreise nach Syrien bestand (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A –, juris). Dies findet tatsächliche Bestätigung im Bericht des Auswärtigen Amtes vom 28.12.2009 (AA, Ad-hoc Ergänzungsbericht zum Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Dezember 2009)).Amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes stellen dabei Beweismittel eigener Art dar, denen – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – eine „Bemühung um Objektivität“ innewohnt, sodass sie den tatsächlichen Verhältnissen am Nächsten kommen (BVerfG, Beschluss vom 23.02.1983 – 1 BvR 990/82 –, BVerfGE 63, 197 <214 f.>). Ihnen kommt daher ein hoher Beweiswert zu (Berlit, in: Gemeinschaftskommentar AsylG (GK-AsylG), § 78 Rn. 400 (Stand: April 1998)).
52 
a. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2012 wurde hierzu ausgeführt, dass seit den anfänglich friedlichen Protesten im Jahre 2011 (sog. „Arabischer Frühling“) das Regime mit massiven Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung – vor allem durch den Einsatz der Armee, von Sicherheitskräften und staatlich organisierten Milizen reagiert hat. Reformen würden als sog. „Papierreformen“ nicht den Kern des Konflikts, d.h. den Fortbestand des Regimes und die Fortdauer der Repressionen – antasten (AA, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17.02.2012, Stand: Februar 2012, S. 5).
53 
Aufgrund dieser Erkenntnislage ist der VGH Baden-Württemberg zuletzt im Jahr 2013 davon ausgegangen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bislang in der Rechtsprechung angenommene Gefahr einer sog. „Rückkehrerverfolgung“ nicht mehr bestehen würde (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Allein die aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen bestehenden hohen Zahlen an Wiedereinreisen nach Syrien höben nicht per se die Möglichkeit des Regimes auf, die Herkunft der Rückkehrer zu kontrollieren (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
54 
Dem schließt sich die Kammer an, da sie die Auffassung des VGH Baden-Württemberg teilt, dass es nicht nachvollziehbar erscheint, dass im Falle eines totalitären Regimes, welches um sein Überleben kämpft, dieses im Rahmen eines bewaffneten bürgerkriegsähnlichen Konflikts seine bisherige Praxis der Annahme einer potentiellen Regimegegnerschaft bei Rückkehrern ändert und nunmehr im Rahmen der Einreise eine abstrakte repressionsneutrale Vorfeldkontrolle vornimmt und erst dem nachgelagert – ggf. zwischen freiwilliger Ausreise und zwangsweiser Abschiebung differenzierend – Repressionen ausübt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Ein derartiges differenziertes und bürokratisches Vorgehen nach – in quasi-rechtsstaatlicher Weise – abstrakt-generell vorgezeichneten Kriterien erscheint abgesehen von dessen Praktikabilität im Falle eines in der Krise agierenden totalitären Regimes bei lebensnaher Betrachtung auch nach Auffassung der Kammer eher fernliegend und kann unter den aktuellen Umständen ohne nähere Anhaltspunkte wohl kaum in ernst zu nehmender Weise erwartet, unterstellt oder angenommen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
55 
b. Die Kammer gelangt anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung, dass hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. der Vermutung einer Regimegegnerschaft bei wiederkehrenden Syrern aus dem Ausland durch das syrische Regime, keine flüchtlingsrechtlich erhebliche Änderung eingetreten ist. Damit gelangt sie zu der Überzeugung, dass jedenfalls derzeit eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt.
56 
Die Kammer ist als erkennendes Gericht dabei nicht gehalten, „ins Blaue hinein“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte nach theoretisch denkbaren Ermittlungsansätzen – wie etwa einer veränderten sicherheitsbehördlichen Praxis in Syrien – zu suchen und solchen ohne auch nur eine ansatzweise Tatsachengrundlage nachzugehen (vgl. zur sog. „Ausforschung“ durch das Gericht bspw. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2008 – 5 B 196/07 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 362; Beschluss vom 05.10.1990 – 4 B 249/89 –, Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 6; Beschluss vom 29.03.1995 – 11 B 21/95 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266; vgl. zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2016 – 5 S 1443/14 –, juris).
57 
Dass Ermittlungsbemühungen bspw. über Auskünfte des Auswärtigen Amtes – nicht zuletzt mangels diplomatischer Vertretung in Syrien – ergebnislos ausfallen, zeigen bereits die jüngsten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017, welche dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erteilt wurden, sodass aus Sicht der Kammer keine weiteren Ermittlungsansätze bestehen.
58 
aa. Die Kammer stützt daher ihre Erkenntnis dabei zunächst auf den Bericht der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde vom 19.01.2016. In diesem wird unter Berufung auf sachverständige Auskünfte das Verfahren bei der Wiedereinreise nach Syrien näher beschrieben.
59 
Nach diesem Bericht erfolgen an den Einreisestellen, d.h. am internationalen Flughafen in Damaskus sowie an den Grenzkontrollpunkten Kontrollen der Ausweispapiere sowie Rücksprachen mit nationalen Stellen. Es erfolgen Abfragen und Abgleiche mit Such- und Fahndungsmeldungen. Dabei ist nach sachverständigen Angaben das Verfahren dahingehend ausgestaltet, dass die Grenzbeamten und Sicherheitsbehörden über eine sog. „carte blanche“ – also eine Blankoermächtigung – für die Behandlung ihnen verdächtig erscheinender Personen erhalten haben (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion - (im Folgenden: „Syria: Treatment of returnees“) -, 2015, S. 3). Dies beinhaltet nach sachverständigen Angaben die sofortige Ingewahrsamnahme der jeweiligen Person, welche zu einem sog. „Verschwinden“ oder Folter führen kann (so auch Amnesty International, Amnesty Report 2016: Syrien, im Internet abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien). Es können ferner Meldeauflagen verhängt werden. Insgesamt wird das Verfahren im Hinblick auf Rückkehrer als „unpredictable“ – unvorhersehbar – beschrieben. Bereits dies für sich genommen spricht für das Fortbestehen von Einreiserepressionen – bzw. der begründeten Furcht vor solchen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG – sowie deren Bestärkung durch die Erteilung von Blankoermächtigungen an Sicherheitsbehörden und damit die staatliche Freigabe für willkürliche Festnahmen und sonstige Maßnahmen.
60 
Dies findet Bestätigung im Menschenrechtsbericht des U.S.-Außenministeriums, wonach die syrische Regierung Dissidenten und frühere Einwohner ohne bekannte politische Betätigung, welche nach Jahren freiwilligen Asyls nach Syrien zurückkehren wollten, verhaftet hat (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 34, im Internet allgemein abrufbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947). Dass sich diese Ausführungen ausschließlich auf Sonderfälle (früherer) politischer Betätigung beziehen würden, vermag die Kammer nicht zu erkennen, da sich die vom OVG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 16.12.2016 (Az.: 1 A 10922/16, juris) angeführte Erläuterung im Bericht des Außenministeriums nicht etwa auf die Feststellung genereller Verhaftungen von Dissidenten und Rückkehrern bezieht, sondern auf die dem vorangestellt angeführte Verhaftung politisch auffälliger Rückkehrer.
61 
Hierauf kommt es indes nicht an, da bereits die objektiv bestehende Möglichkeit, dass ein längerer Auslandsaufenthalt für die syrischen Behörden einen hinreichenden Anlass für die Unterstellung einer potentiell staatsfeindlichen Betätigung darstellt, für die Bejahung einer begründeten Furcht im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG genügt. Denn allein die Möglichkeit, bei einem erst noch kürzlich bestehenden und in Vollzug gesetzten System genereller Rückkehrerverfolgung, allein aufgrund eines Asylantrags im Ausland in den Fokus der syrischen Sicherheitsbehörden zu geraten, rechtfertigt aus der objektiven Sicht eines verständigen Menschen in der Situation der Kläger die Befürchtung, bei der Einreise aufgegriffen und allein wegen der unterstellten politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die allgemeinen Haftbedingungen in Syrien derzeit unabhängig von einer politischen Gesinnung – insbesondere für weibliche Gefangene mit Blick auf Vergewaltigungen sowie gewaltsame Penetrationen mit Gegenständen, aber auch für die übrigen Gefangenen – in keiner Weise mit der Menschenwürde vereinbar oder den Betroffenen zumutbar sind, zumal ausweislich des Berichts des U.S.-Außenministeriums verschiedene Foltermethoden willkürlich bis hin zum Tode eingesetzt werden und die Leichen der jeweiligen Gefangenen durch Verbringung in die Hafträume noch lebender Häftlinge zu Folterinstrumenten verobjektiviert werden (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 5 f. unter ausführlicher Beschreibung der einzelnen Foltermethoden).
62 
Da diese Methoden jedoch bereits an Checkpoints sowie im Rahmen formellen als auch informellen Gewahrsams im Rahmen der Einreisekontrollen angewendet wurden (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees, 2015, S. 3; vgl. hierzu auch VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris, m.w.N.), besteht nach Auffassung der Kammer für die Kläger objektiv die Besorgnis, aufgrund ihrer Ausreise und ihrer Asylantragstellung bzw. ihres Auslandsaufenthalts bei ihrer Rückkehr als potentielle Regimegegner verhaftet und sodann in diesem Status und aufgrund dessen den im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargestellten Methoden unterworfen zu werden. Diese Erkenntnisse erhöhen aus Sicht eines verständigen Menschen nochmals dahingehend die Hemmschwelle, in das Heimatland zurückzukehren, dass bereits eine unter 50 % liegende Wahrscheinlichkeit zum Objekt der Folgen einer – auch anlasslos unterstellten Regimegegnerschaft als sog. „Polit-Malus“ – zu werden, es gebieten wird, sich nicht diesem Risiko auszusetzen.
63 
bb. Das Vorbringen der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 16.09.2016 im Verfahren 3 K 368/16 des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vermag es nicht, diese Annahme zu entkräften oder ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dass das syrische Regime an der Ausgabe von Reisepässen „gut verdiene“ und aufgrund der Visafreiheit gegenüber der Türkei in dem Bewusstsein der legalen Ausreise Pässe ausgeben mag, steht den zumindest im Jahr 2012 noch bestehenden Repressionen im Sinne einer „Rückkehrerverfolgung“ nicht entgegen, da das syrische Regime mit derartigen Maßnahmen nicht das Ziel der Ausreiseverhinderung verfolgt, sondern letztlich die möglichst umfassende Eliminierung potentiell oppositioneller oder regimefeindlicher Tendenzen im Inland. Die Ausreise ist nämlich nicht zwingend darauf gerichtet, wieder in das Heimatland zurückzukehren. Erfolgt jedoch eine Rückkehr, widerspricht eine Verfolgung von Rückkehrern als potentielle Staatsfeinde nicht sinnlogisch einer vorherigen Förderung der Ausreise.
64 
Im Übrigen dürfte es auch dem syrischen Regime bekannt sein, dass es allein mit dem Instrument der Passversagung kaum möglich sein dürfte, illegale Ausreisen zu verhindern. Allein die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016 in jenem Verfahren zitierte Auskunft des Auswärtigen Amtes, wonach „keine Erkenntnisse“ zu einer aktuellen Rückkehrerverfolgung vorliegen, vermag es nicht, ein Nicht-Mehr-Bestehen derartiger Repressionen darzulegen oder derart in Zweifel zu ziehen, als dass es der Kammer hinsichtlich eines zwischenzeitlichen dauerhaften Entfallens von generellen Repressionen gegenüber Rückkehrern auch nur eine im Ansatz hinreichende Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) vermitteln könnte. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, welches sich im Wesentlichen ebenfalls nur auf die Mitteilung beschränkt, dass keine Erkenntnisse vorlägen. Liegen dem Auswärtigen Amt nach dessen eigenen Angaben keine Erkenntnisse vor, kann darauf aufbauenden Auskünften auch kein Beweiswert zukommen. Vielmehr spricht die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zitierte Meldung des Fernsehsenders n-tv vom 01.12.2015, wonach der syrische Präsident Assad eine „Unterwanderung“ der syrischen Flüchtlinge „durch Terroristen“ annehme, mehr für eine verstärkte Überwachung von Rückkehrern als für eine Aufgabe der bisherigen Repressionen bei einer Wiedereinreise.
65 
Dies steht aus Sicht der Kammer in Einklang mit verschiedenen – öffentlich zugänglichen – Berichten (Stiftung Wissenschaft und Politik, Hintergrund Syrien vom 05.08.2015, S. 8 f.; Tharir Institute for Middle East Policy, Russia’s Exit from Syria Highlights Assad’s Limitations, vom 15.03.2016), denen zufolge sich der syrische Präsident Assad im Jahr 2015 dahingehend geäußert hat, dass das Vaterland denen gehöre, die es verteidigten und beschützten. Bereits diese Aussage deutet auf eine Zuordnung rückkehrender Flüchtlinge zu nicht-vaterlands- bzw. nicht-regimetreuen und zugleich – zumindest potentiell – oppositionsfreundlichen Kategorien bzw. deren Ansehung als eine Art „Verräter“ – im Gegensatz zu kämpfenden oder im Heimatland verbleibenden Syrern – hin. Dies genügt aus Sicht der Kammer im Falle einer kürzlich noch bestehenden Rückkehrerverfolgung für die objektiv gerechtfertigte Besorgnis, allein aufgrund der jedenfalls nicht ausdrücklich genehmigten Ausreise und der Asylantragstellung oder des längeren Auslandsaufenthalts im Falle der Wiedereinreise Repressionen des syrischen Staats weiterhin ausgesetzt zu sein.
66 
cc. Auf das Fortbestehen eines Systems gezielter Überprüfung von Rückkehrern, wie sie sich aus den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln ergibt, deutet als Indiztatsache auch der Umstand hin, dass syrische Nachrichtendienste im Jahr 2015 nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz auch im Bundesgebiet entsprechende vorbereitende Aufklärung betrieben haben (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263; vgl. hierzu VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, abrufbar im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen). Nach diesen Erkenntnissen verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und der Auflösungserscheinungen im Machtapparat des syrischen Regimes unverändert über leistungsfähige Strukturen. Der Aufgabenschwerpunkt besteht offenbar in der Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Zwar mag eine nachrichtendienstliche Überwachung sämtlicher syrischer Staatsangehöriger durch das syrische Regime in Deutschland nicht bestehen (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Dass aber überhaupt eine Überwachung von Gegnern durch ein angeschlagenes Regime im Ausland möglich ist und aufrecht erhalten wird, deutet darauf hin, dass die Überwachung von Syrern im Ausland durch die syrischen Sicherheitsbehörden möglichst aufrechterhalten und weiterverfolgt werden soll. Insofern bestehen für die Kammer kaum Anhaltspunkte, welche daran zweifeln ließen, dass die in der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg festgestellten Repressionen gegen Rückkehrer ebenfalls weiterhin aufrechterhalten werden und auch tatsächlich aufrechterhalten werden können.
67 
dd. Die Auffassung der Kammer steht dabei jedenfalls im Ergebnis in Einklang mit den Entscheidungen des VG Sigmaringen (Urteile vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 und A 5 K 1372/16 –), des VG Karlsruhe (Urteil vom 29.11.2016 – A 8 K 4182/16 –), VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, veröffentlicht im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen), VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 – 1 K 5093/16.TR –) sowie des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts, welches in seiner Entscheidung vom 29.07.2015 (Geschäftszahl W224 2102645-1, ECLI:AT:BVWG:2015:W224.2102645.1.01) ausgeführt hat, dass Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl ersucht haben, und solche, die in der Vergangenheit Verbindung mit der Muslimbruderschaft hatten, bei ihrer Rückkehr gerichtlich belangt worden seien. Die Regierung habe routinemäßig Dissidenten und frühere Staatsbürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet, die versuchten, nach Jahren oder Jahrzehnten im Exil in das Land zurückzukehren. Dies wiederum wird bestätigt durch den Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, wonach einzelnen Gruppen offenbar willkürlich durch syrische Behörden Meinungen und Ansichten unterstellt werden (UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Fassung - (November 2015) -, S. 11 f.).
68 
ee. Wie die 5. Kammer des VG Sigmaringen ausgeführt hat (Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris), können bei alledem zunächst die, wenn auch rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber – wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG – indiziell bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Dieser stützt sich – soweit ersichtlich – nicht auf neue Erkenntnismittel, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung der Sachlage hätten geben können. Augenfällig erscheint vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für „nur“ subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG für zwei Jahre ausgesetzt hat (VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris). Wie aus öffentlich zugänglichen Unterlagen zum Vortrag des Sonderbeauftragten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für unbegleitete Flüchtlinge am 17.06.2016 in Neumünster (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https:// www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) hervorgeht, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein „flüchtlingsrelevantes“ Merkmal droht. Insofern erscheint es wenig nachvollziehbar, weshalb gerade ab dem 17.03.2016 die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung nicht mehr gegeben sein sollen. Dies spiegelt sich im vorliegenden Fall auch in den Aktenvermerken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wider, in welchen einerseits eine Flüchtlingseigenschaft bejaht, andererseits aber wiederum verneint wird, ohne dass neue Erkenntnisse über den vorliegenden Sachverhalt oder die allgemeine Lage in Syrien, welche gegen ein Fortbestehen der Rückkehrerverfolgung sprächen, vorlägen.
69 
c. Die Kammer ist aufgrund der verfügbaren Erkenntnismittel ferner davon überzeugt, dass sich die Gefahr von Repressionen allein aufgrund des Auslandsaufenthalts auf sämtliche Rückkehrer gleich welchen Alters im Sinne einer Art „Sippenhaft“ bezieht und schließt sich insofern den Ausführungen im Urteil der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23.11.2016 (Az.: A 5 K 1495/16, juris) an. Es kann in diesem Zusammenhang nicht davon ausgegangen werden, dass Behörden eines in seiner Macht angeschlagenen Regimes zwischen erwachsenen und minderjährigen Personen differenzieren; vielmehr dürfte aufgrund der willkürlichen Handhabe und der sog. „carte blanche“-Ermächtigung für Sicherheitsbehörden an Einreisepunkten davon auszugehen sein, dass sich Repressionen nicht nur auf solche Rückkehrer erstrecken, von denen theoretisch eine Gefahr ausgeht. Vielmehr ist nicht zuletzt mit Blick auf die im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargelegten Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten, dass sich Repressionen unmittelbar gegen diese richten oder diese zum Druckmittel gegenüber ihren Eltern verobjektiviert werden. Deshalb müssen sich die minderjährigen Kläger zu 3) und 4) nicht auf das sog. „Familienasyl“ nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ihrer Eltern verweisen lassen (VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris).
70 
3. Über diese allgemeine Rückkehrerverfolgung hinaus sind jedenfalls beim Kläger zu 1) und den Angehörigen seiner Kernfamilie – den Klägern zu 2)-4) – die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt, da er im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG Bestrafung oder Strafverfolgung im Falle der Verweigerung einer Einberufung in die syrischen Streitkräfte befürchten muss.
71 
Die strafbewehrte Wehrpflicht eines Staates begründet indes nicht in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, sondern nur dann, wenn der Militärdienst in einem Konflikt abgeleistet werden müsste und Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Vorliegend liegt jedoch eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund der syrischen Wehrpflicht vor, da nach den verfügbaren Erkenntnismitteln objektiv zu besorgen ist, dass syrische Staatsangehörige männlichen Geschlechts zum Wehrdienst herangezogen und in diesem Rahmen zu Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG unter Androhung von Strafe oder Bestrafung gezwungen werden.
72 
a. Die Kammer ist davon überzeugt, dass in Syrien zwar ein gesetzlich oder quasi-gesetzlich geregeltes Wehrpflichtwesen besteht, diese Regelungen jedoch nicht eingehalten werden und dass die syrische Regierung vielmehr darum bemüht ist, den Personalbestand der staatlichen Armee mittels willkürlicher Einberufungen und Zwangsrekrutierungen zum Wehrdienst aufzustocken. Dies ergibt sich auch aus den glaubhaften Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, indem er anschaulich solche willkürlichen Zwangsrekrutierungssituationen und -handlungen schilderte. Nach dem Bericht der finnischen Einwanderungsbehörde (Maahanmuuttovirasto) vom 23.08.2016 sind die Gesetze – auch die Wehrpflicht in Syrien betreffend – weiterhin in Kraft. Demnach sind männliche Syrer im Alter von 18-42 Jahren wehrpflichtig, während die Altersgrenze für den Dienst als Reservist bei 52 Jahren bzw. 54 Jahren im Falle eines akademischen Abschlusses liegt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting syrian regime and armed opposition (im Folgenden: „Syria: Military Service“, 2016, S. 5).
73 
Ausweislich dieses Berichts legt die syrische Regierung nach den Angaben einer Kontaktperson einer westlichen Botschaft in Beirut, um anarchistische Zustände zu verhindern, Wert auf den Schein, dass sich im Land und an der Macht des Regimes nichts geändert habe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Viele Männer in Syrien erhalten nach diesem Bericht seit dem Beginn des Konflikts, bspw. aufgrund einer Flucht innerhalb des Landes, keine Rekrutierungsunterlagen mehr. Die Rekrutierungsvorgaben wurden demnach sodann vom Regime angepasst, sodass eine Rekrutierung nunmehr in jedem Rekrutierungsbüro oder auch auf der Straße, in Checkpoints oder anderen Orten des Landes stattfinden kann (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Gesetzliche Ausnahmen von der Wehrpflicht mögen dabei zwar formal weiterhin in Kraft sein. Allerdings bietet nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen auch die Vorlage einer Bescheinigung über die Wehrfreiheit keinen hinreichenden Schutz, da flächendeckend eine Nicht-Beachtung von Ausnahmetatbeständen selbst bei vorgelegten Bescheinigungen zu beobachten ist (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 11 f.) und es auch zur Vernichtung derartiger Unterlagen durch die Sicherheitskräfte bei deren Vorlage kommt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10).
74 
Dies spiegelt sich nach den Erkenntnissen der dänischen Migrationsbehörde auch in der alltäglichen Praxis wider. Männer werden nunmehr auch auf der Straße, in Universitäten, an Kontrollpunkten und sonstigen Orten, die unter der Kontrolle der Regierung stehen, rekrutiert; dabei kommt es teilweise zu willkürlichen Maßnahmen und Ausübung von Gewalt (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG (im Folgenden: „Syria – Update on Military Service“, 2015, S. 10; Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). So werden Wehrdienstvermeider bspw. in Massenverhaftungen, Tür-zu-Tür-Aktionen und in Universitäten rekrutiert. Unternehmen wurden unter der Androhung eines Geschäftsverbots verpflichtet, Arbeitnehmer zum Wehrdienst zu entsenden (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). Dies spiegelt sich im glaubhaften Vortrag des Klägers zu 1) – aber auch in Ansätzen in den Angaben der Klägerin zu 2) – wider, wonach der Kläger zu 1) mehrfach darauf angesprochen wurde, warum er nicht kämpfe und im Rahmen einer Kontrolle auch geschlagen und mit seiner Familie willkürlich festgehalten wurde.
75 
Fahnenflucht wird mit der Todesstrafe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10) oder mit Gefangenschaft, sog. „incomunicado“-(Isolations-)Haft, Folter und lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 18 f.). Im Übrigen kann ein Fahnenflüchtiger eingezogen und umgehend – auch an der Front – eingesetzt oder in Haft genommen werden. Dabei gilt es als wahrscheinlich, dass dieser in der Haft gefoltert wird (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Der Umgang mit Deserteuren hängt von den Umständen im Land ab und variiert; Gleiches gilt für zivile Armeebeschäftigte (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Es ist daher mit Blick auf die weitgehenden Ermächtigungen der syrischen Sicherheitsbehörden nicht auszuschließen und vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) entsprechend seiner im Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Besorgnis, aufgrund seiner Flucht als „Verräter“ angesehen und damit den gleichen Folgen ausgesetzt sein wird, wie ein Deserteur oder sonstiger Fahnenflüchtiger.
76 
Dies für sich genommen genügt zwar nicht, um die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Kammer anhand der derzeit verfügbaren Erkenntnismittel und der voranstehend beschriebenen Geschehnisse in Syrien davon überzeugt ist, dass der Kläger zu 1) – wie von ihm befürchtet – objektiv im Falle seiner Einberufung in die syrische arabische Armee zur Erfüllung seiner Wehrpflicht im Falle der Verweigerung von Befehlen, deren Befolgung Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG darstellen würde, Strafen oder Bestrafungen durch den syrischen Staat besorgen müsste.
77 
b. Anhand der den Gegenstand der mündlichen Verhandlung bildenden Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Wehrdienst in der syrischen Armee die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG an eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erfüllt.
78 
aa. Verschiedenen Medienberichten kann entnommen werden, dass es zumindest in Aleppo – aber auch in oppositionell kontrollierten Gebieten – in jüngerer Zeit zum Einsatz von chemischen Waffen – zumindest unter billigender Inkaufnahme ziviler Kollateralschäden – gekommen ist, deren Zurechnung nach diesen Berichten zu Einsätzen der syrischen Regierungstruppen nahe liegt (vgl. den Bericht von amnesty international vom 11.08.2016, Syria: Fresh chemical attack on Aleppo a war crime, allgemein im Internet abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/latest/news/ 2016/08/syria-fresh-chemical-attack-on-aleppo-a-war-crime/; siehe auch CNN, White House condemns Syria’s chemical weapons use, vom 26.08.2016, im Internet allgemein abrufbar unter http://edition.cnn.com/2016/08/25/politics/un-report-chemical-weapons-syria/).
79 
bb. Hierfür spricht allem voran der dritte Bericht der gemeinsamen Untersuchung der Vereinten Nationen und der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW), welcher den Ermittlungsstand zum 19.08.2016 wiedergibt. Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt fünf Vorfälle im Jahr 2014 sowie sechs Vorfälle im Jahr 2015 untersucht.
80 
Diese Ermittlungen ergaben, dass in Talmenes (Gouvernement Idlib) am 21.04.2014 ein Helikopter der syrischen arabischen Armee einen Gegenstand mit einer toxischen Substanz auf ein Gebäude abwarf. Dabei stützt sich der Bericht auf Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen, wonach toxische Substanzen nach dem Abwurf einer sog. „Fassbombe“ freigesetzt wurden, während am selben Tag Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und bewaffneter Opposition stattfanden. Dabei wurde von den Konfliktparteien nicht bestritten, dass es in jenem Ort zum Einsatz von Chlorgas – dessen Einsatz als Kampfstoff seit 1993 völkerrechtlich verboten ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b) des Übereinkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen – Chemiewaffenübereinkommen – vom 13.01.1993, BGBl. 1994 II, S. 807) – kam, während keine Hinweise darauf bestehen, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls oppositionelle Gruppen in Talmenes Helikopter eingesetzt hätten (OPCW, Third report of the Organization for the Prohibition of Chemical Weapons - United Nations Joint Investigative Mechanism vom 24.08.2016 (im Folgenden: „Third report of the OPCW“), S. 13). Sachverständige Analysen ergaben dabei Spuren von Ammonium und Chlor. Die Angaben der syrischen Regierung zu jenem Vorfall wurden als forensisch mit der Spurenlage unvereinbar angesehen (OPCW, Third report of the OPCW, S. 50).
81 
Im Bericht der OPCW wird weiter berichtet, dass sich am 16.03.2015 in Sarmin (Gouvernement Idlib) ein ähnlicher Abwurf eines Gegenstands mit anschließender Freisetzung toxischer Substanzen durch die syrische arabische Armee ereignete. Forensische Analysen haben demnach ergeben, dass ein Gerät oder eine „Fassbombe“ aus einem Helikopter abgeworfen wurde, welches sodann durch einen Belüftungsschacht in ein Wohnhaus eingeschlagen ist. Verschiedene Videoaufnahmen zeigen nach diesem Bericht Chlorkohlenwasserstoff-Behälter innerhalb des Hauses sowie eine lila-violett-farbene Substanz auf dem Fußboden, welche auf den Einsatz von Kaliumpermanganat – etwa in Verbindung mit Glycerin als Zünd- oder Sprengmittel – hindeutet (OPCW, Third report of the OPCW, S. 81). Verschiedene Quellen hätten auch bestätigt, dass es zu jenem Zeitpunkt Flugaktivitäten der syrischen arabischen Armee gegeben habe, was von der syrischen Regierung bestritten worden sei (OPCW, Third report of the OPCW, S. 13 f.). Fluorchlorkohlenwasserstoff (englisch Hydrochlorofluorcarbon – HCFC –) wird nach diesem sachverständigen Bericht in der zivilen Verwendung als Kühlmittel eingesetzt und ist als solches allgemein zugänglich. Dennoch bedarf es zum Einsatz als chemischen Kampfstoff – dem syrischen Regime zur Verfügung stehender – technischer Fähigkeiten und Einrichtungen zur Abfüllung als Flüssigkeit oder kompressiertes Gas (OPCW, Third report of the OPCW, S. 10). Die Angaben der syrischen Regierung, wonach der Vorfall in jenem Wohnhaus auf die Explosion eines Flüssiggaskochers zurückzuführen sei, wurden mangels dem entsprechender Brandspuren als unwahrscheinlich eingeschätzt (OPCW, Third report of the OPCW, S. 83).
82 
In Zusammenhang mit weiteren drei Chlorgas-Vorfällen im Jahr 2015 wird davon ausgegangen, dass Sprengsätze mit Fluorchlorkohlenwasserstoff und Kaliumpermanganat eingesetzt wurden (OPCW, Third report of the OPCW, vom 24.08.2016, S. 13 f.).
83 
Am 16.03.2015 kam es nach diesem OPCW-Bericht überdies in Qmenas (Gouvernement Idlib) zu einem Vorfall, hinsichtlich dessen die Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass ein Helikopter ein Gerät oder eine „Fassbombe“ abgeworfen hat. Ferner kam es in Kafr Zita (Gouvernement Hama) am 11.04.2014 sowie in Binnish (Gouvernement Idlib) am 24.03.2015 und in Al-Tamanah (Gouvernement Idlib) am 29. und 30.04.2014 zum Einsatz chlorhaltiger Kampfstoffe (OPCW, Third report of the OPCW, S. 15 ff.), hinsichtlich derer die Indizienlage uneindeutig ist.
84 
cc. Die Kammer gelangt aufgrund dieser als objektiv einzuschätzenden Erkenntnisse aus vor Ort geführten Ermittlungen der OPCW zu der Überzeugung, dass die objektive Besorgnis besteht, dass die syrische Armee als staatlicher Akteur (§ 3c Nr. 1 AsylG) u.a. durch den Einsatz chemischer Kampfstoffe unter billigender Inkaufnahme ziviler Opfer Handlungen begeht, die das Chemiewaffenübereinkommen verletzen und so die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG erfüllen (zu den Voraussetzungen Bergmann, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 3 AsylG Rn. 7). Dies findet weitere Bestätigung in der Einschätzung des britischen Homeoffice (Home Office, Country Information and Guidance – Syria: the Syrian Civil War, August 2016, S. 19).
85 
Insofern schließt sich die Kammer den Ausführungen der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen in deren Urteil vom 23.11.2016 (A 5 K 1495/16, juris) sowie denen im Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 01.07.2016 (1 K 20205/16 Me, juris) an, wonach die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte wahllos, willkürlich und zumeist völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen – teilweise unter Einsatz verbotener Kriegswaffen – töten und welche Ziele sie dabei auswählen, eine Haltung der syrischen Machthaber mit dem offenkundigen Ziel aufzeigt, jede – tatsächlich bestehende oder auch nur seitens des Regimes unterstellte – Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken und sich hierfür wehrpflichtigen Syrer vor den §§ 3a Abs. 2 Nr. 5, 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG nicht zumutbaren Arten der Kriegsführung in einem Konflikt zu bedienen (vgl. hierzu auch BayVGH, Pressemitteilung vom 13.12.2016).
86 
dd. Darüber hinaus ist die Kammer – wie auch hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“ – davon überzeugt, dass Repressionen aufgrund von Wehrdienstverweigerung auch die Kläger zu 2)-4) als nahe Angehörige des Klägers zu 1) dergestalt treffen können, dass auch ihnen – abgeleitet vom Kläger zu 1) – eine Stellung als „Verräter“ oder Sympathisanten im Sinne eines eigenen „Polit-Malus“ zugerechnet wird oder sie zum Druckmittel gegenüber dem Kläger zu 1) verobjektiviert werden. Demnach ist es auch in Zusammenhang mit dem syrischen Wehrdienst den Klägern zu 2)-4) nicht zumutbar, erst im Wege des sog. „Familienasyls“ ein humanitäres Aufenthaltsrecht vom Kläger zu 1) abzuleiten.
87 
4. Nach alledem sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei den Klägern erfüllt und die Klage begründet.
III.
88 
Die Beklagte trägt gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gem. § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
I.
25 
1. Die Kammer ist zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, nachdem dieser nicht dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden ist (vgl. § 76 Abs. 1 AsylG).
26 
2. Das Gericht kann gem. § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden, obwohl die Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, nachdem sie ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne ihr Erscheinen verhandelt werden kann.
27 
3. Die Klage ist auch zulässig, da sie insbesondere fristgemäß erhoben worden ist und auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Denn die aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis wird gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG – mit Verlängerungsmöglichkeit – längstens für drei Jahre erteilt, während subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG – wie den Klägern –lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf zwei Jahre erteilt werden darf. Der Status eines anerkannten Flüchtlings im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt daher einen für die Kläger günstigeren Status, als der ihnen gewährte subsidiäre Schutzstatus. Es kann deshalb vorliegend offenbleiben, ob ein Rechtsschutzbedürfnis mit Blick auf den durch § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG eingeschränkten Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten, deren Kernfamilie sich bereits im Bundesgebiet befindet, bestehen kann.
II.
28 
Die Klage ist auch begründet. Der verfahrensgegenständliche Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.
29 
Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
30 
Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen unveränderlichen gemeinsamen Hintergrund gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris; Nds. OVG, Urteil vom 21.09.2015 – 9 LB 20/14 –, juris).
31 
Dabei ist die Furcht vor Verfolgung begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 – A 11 S 689/13 –, juris). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU vom 20.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie (QRL) – ist die Tatsache, dass ein Asylantragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des jeweiligen Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen dagegen, dass dieser Asylantragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
32 
Entscheidend ist insofern, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.11.2015 – A 12 S 1999/14 –, juris). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 – 9 C 118.90 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 147).
33 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 – 9 C 32.87 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80). Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12 –, Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 14). Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2016 – A 10 S 332/12 –, juris). Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann die Intensität der drohenden Verfolgung aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen für die Entscheidung maßgeblich sein, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren will oder nicht (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.02.2007 – 23 B 06.30883 –, juris).
34 
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat; insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die – wie hier – bereits während eines Erstverfahrens oder erst mit der Ausreise verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 – 10 C 27.07 –, Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 24 ). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren – wie hier – ist demnach die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 – 10 C 51.07 –, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 28).
35 
Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt stimmig zu schildern (vgl. §§ 15, 25 Abs. 1 AsylG; BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 – 9 C 321/85 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 64).
36 
Ist – wie im vorliegenden Fall – der Sachverhalt soweit ermittelt, dass alle ernsthaft in Betracht kommenden Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind, entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Ziel dieser Würdigung des Gesamtergebnisses und insbesondere der verfügbaren Beweis- und Erkenntnismittel ist die Begründung der richterlichen Überzeugung über das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen bestimmter erheblicher Umstände. Es ist demgemäß zu erkennen, wie stark oder schwach die einzelnen Umstände und Elemente des Prozessstoffs auf das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein der behaupteten Tatsache hinweisen, wobei das aus seiner Lebens- und Welterfahrung gewonnene Erfahrungswissen und die Erfahrungssätze des erkennenden Richters den Maßstab bilden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.1971 – VIII C 24.70 –, BVerwGE 38, 10 <12>). Das dem Gericht bekannte Wissen über allgemein offenkundige Tatsachen bzw. die aus der amtlichen Tätigkeit gewonnenen Kenntnisse ergänzen diesen Maßstab der Beweiswürdigung (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 16 (Stand: April 2013), m.w.N.).
37 
Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Zudem ist die besondere Beweisnot des hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht mit der Beweislast beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden als „Zeuge in eigener Sache“ und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
38 
Je größer unter Anwendung dieses Maßstabs die Zahl der übereinstimmenden und je geringer die Zahl der differierenden Merkmale unter den den Prozessstoff bildenden Elementen ist, desto größer ist die Allgemeingültigkeit einer Hypothese, und umso geringer ist die Zufälligkeit der Ähnlichkeit, Gleichartigkeit oder Identität in Bezug auf ein einzelnes Merkmal (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.). Dabei unterliegt die Überzeugungsbildung des Gerichts seiner „Freiheit“, d.h. einer richterlichen Einschätzungsprärogative (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth (Hrsg.), VwGO, 6. Aufl., 2014, § 108 Rn. 10). Diese findet ihre Grenze in den Denkgesetzen, dem Willkürverbot und in dem Gebot der vollständigen Würdigung des gesamten Prozessstoffs (BVerwG, Beschluss vom 17.10.2012 – 8 B 47/12 –, NVwZ-RR 2013, 97 <100>). In diesem Rahmen ist das Gericht berechtigt, auf jedes Einzelelement des Prozessstoffs zurückzugreifen, andererseits aber auch verpflichtet, das Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschöpfen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 14.06.1985 –6 C 33/82 –, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 169; Beschluss vom 21.01.2014 – 10 B 3/14 –, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 81).
39 
Das erkennende Gericht muss demnach alle geeigneten Erkenntnismittel nutzen, wobei eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht regelmäßig dann nicht vorliegt, wenn das Gericht den nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für aufgeklärt hält und die – wie hier zumindest im vorbereitenden Verfahren – sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten keine Beweisanträge gestellt oder im vorbereitenden Verfahren angekündigt haben (BVerwG, Urteil vom 27.07.1983 – 9 C 541.82 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146; Beschluss vom 10.10.2013 – 10 B 19.13 –, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 67).
40 
1. Die Kammer ist unter Zugrundelegung dieses Maßstabs zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Klägern um syrische Staatsangehörige handelt, die aus Syrien ausgereist sind, ohne dass sie vor ihrer Ausreise aufgrund eines der in § 3 Abs. 1 AsylG niederlegten Merkmale verfolgt worden wären.
41 
Bilden – wie im vorliegenden Fall hinsichtlich des individuellen Schicksals der Kläger – Aussagen natürlicher Personen über Wahrnehmungen und Erlebnisse die einzigen Mittel zur Sachverhaltsermittlung, sind diese im Wege der Aussageanalyse dahingehend zu würdigen, ob sie glaubhaft sind, d.h. ob sie Tatsachen schildern, hinsichtlich derer das Gericht überzeugt ist, dass sie sich – wie sie im Verwaltungsverfahren und im Prozess vorgebracht wurden – zugetragen haben (vgl. Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.).
42 
Kein anderer Maßstab kann für die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als „Zeuge in eigener Sache“ gelten, welche im Asylverfahren hinsichtlich des Flucht- oder Verfolgungsschicksals des Asylsuchenden regelmäßig als einziges Erkenntnismittel in Betracht kommen und so gesteigerte Bedeutung erfahren (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
43 
Gegenstand der Prüfung der Glaubhaftigkeit, welche damit in Ermangelung anderer Ermittlungsansätze aufgerufen ist, ist die Frage, ob die Angaben hinsichtlich eines bestimmten tatsächlichen Geschehens zutreffen oder nicht. Dabei ist zunächst zu unterstellen, dass die Aussage weder wahr noch falsch ist; es sind auf Grundlage eines Glaubhaftigkeitswerts von Null weitere Hypothesen zu bilden (sog. „Nullhypothese“, vgl. hierzu m.w.N. BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; zu deren Anwendbarkeit außerhalb des Strafprozesses LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; zu deren Bedeutung für die richterliche Beweiswürdigung BGH, Urteil vom 27.03.2003 – 1 StR 524/02 –, NStZ-RR 2003, 206 <208>).
44 
Ergibt sich, dass diese Hypothese, die Aussage sei weder wahr noch falsch, nicht zutreffen kann, bspw. weil sich die Aussage durch genügend Qualitätsmerkmale auszeichnet, die den Schluss rechtfertigen, dass sie der Wahrheit entspricht, d.h. die „Nullhypothese“ mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt (BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506; VG Meiningen, Beschluss vom 08.12.2011 – 6 D 60012/11 Me –, juris).
45 
Demnach ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, dass Aussagen über Erlebtes und Nicht-Erlebtes sich in ihrer Qualität unterscheiden (sog. „Undeutsch-Hypothese“, vgl. zum Ganzen Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 283 ff.), sodass die Aussage zunächst inhaltsorientiert und sodann merkmalsorientiert dahingehend überprüft werden kann, ob sie Merkmale bzw. Anzeichen enthält, die für ihre Glaubhaftigkeit sprechen (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506).
46 
Als solche sog. „Realitäts-“oder „Glaubhaftigkeitsanzeichen“ kommen insbesondere ein Detailreichtum, Angaben zu im Hintergrund stehenden Umständen, eine nicht chronologische und unpräzise – gleichwohl inhaltlich ausführliche – Erzählweise im Gegensatz zur Wiedergabe angelernter oder ausgedachter Informationen in Betracht (vgl. bspw. BVerwG, Urteil vom 19.07.2006 – 2 WD 13/05 –, NVwZ-RR 2007, 182; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 370 ff. und 409 ff.).
47 
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sieht das Gericht die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als glaubhaft an. Ihre Angaben stehen hinsichtlich des wesentlichen Kerngeschehens, aber auch im Hinblick auf den, das Kerngeschehen umgebenden, inhaltlichen Gesamtzusammenhang und mit ihrem Vorbringen im Behördenverfahren in dessen wesentlichen, das Geschehen prägenden Elementen, in inhaltlicher Übereinstimmung. Inhaltlich waren die Angaben weitgehend widerspruchsfrei, wobei die Widersprüchlichkeit in den Angaben der Klägerin zu 2) hinsichtlich der Dauer der Kontrolle am Checkpoint in Damaskus, zunächst erheblich von der anfänglich angegebenen Dauer von vier Stunden abwich. Ihr gesamtes Aussageverhalten war indes von Unsicherheiten – teilweise auch gegenüber dem Gericht – geprägt. Ihr war eine klare Sorge in der Erzählung anzusehen und es war offensichtlich, dass der Fokus ihrer Wahrnehmung auf dem Geschehenen selbst und dem Schicksal ihres Ehegatten und ihrer Kinder, nicht aber auf der, in diesem Detail zum Randgeschehen zählenden, zeitlichen Dauer lag. Das generell einzelfallbezogen und so im Falle der Klägerin zu 2) unter diesem Gesichtspunkt zu bestimmende Kerngeschehen hat sie widerspruchsfrei geschildert (vg. zur Bestimmung des „Kerngeschehens“ OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506 <3507>). Die Klägerin zu 2) gab nämlich an, dass es sich insgesamt um eine in ihrer subjektiven Wahrnehmung lange Zeit gehandelt habe, was inhaltlich zu den Angaben des Klägers zu 1) jedenfalls nicht in Widerspruch steht, sondern vielmehr der vom Kläger zu 1) angegebenen Dauer von vier bis fünf Stunden entspricht.
48 
Das Aussageverhalten – insbesondere des Klägers zu 1) – war flüssig und nicht detailarm. Der Kläger zu 1) machte von sich aus Angaben, welche einzelne Details zum Geschehen enthielten, wie den Umstand, dass er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Andererseits war er auch in der Lage, andere von ihm als selbstverständlich angenommene Umstände – wie die Tatsache, dass keine förmlichen Einberufungsbescheide zum Wehrdienst ergingen – auf Nachfrage zu ergänzen. Dies erfolgte schnell und ohne nachzudenken oder zu zögern unter Einbettung in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang mit einer Selbstverständlichkeit und Präzision, welche die Überzeugung rechtfertigt, dass ein wahrheitswidriges Erfinden dieser Angaben anhand von Gerüchten oder Medienberichten auch einer kompetenteren Aussageperson nicht ohne weiteres in dieser Gestalt möglich gewesen wäre.
49 
Das Aussageverhalten zeichnete sich bei beiden Klägern dadurch aus, dass sie in ihrer Erzählweise selbst inhaltlich und zeitlich „sprangen“ und auch auf Nachfrage des Gerichts in der Lage waren, in einen anderen Teil ihrer Erzählung gedanklich einzusteigen, was für die Wiedergabe selbst erlebter Ereignisse – im Gegensatz zu einer stereotypen streng chronologischen Erzählweise – spricht.
50 
Auf Grundlage dieser Glaubhaftigkeitsanzeichen gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Angaben der Kläger zu 1) und 2) glaubhaft sind, die Kläger aus Syrien stammen und der Kläger zu 1) Rekrutierungsbemühungen und -versuchen der syrischen Regierung ausgesetzt war. Zugleich gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Kläger jedenfalls nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder politischen Einstellung als solches vor ihrer Ausreise aus Syrien verfolgt wurden. Dies kann jedoch offenbleiben.
51 
2. Soweit anhand der verfügbaren Erkenntnismittel ersichtlich, ist die Kammer jedoch im Ergebnis mit der überwiegenden Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung davon überzeugt, dass zumindest bis in das Jahr 2013 hinein eine sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung schutzsuchender syrischer Staatsangehöriger aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung oder einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt, bei einer Wiedereinreise nach Syrien bestand (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A –, juris). Dies findet tatsächliche Bestätigung im Bericht des Auswärtigen Amtes vom 28.12.2009 (AA, Ad-hoc Ergänzungsbericht zum Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Dezember 2009)).Amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes stellen dabei Beweismittel eigener Art dar, denen – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – eine „Bemühung um Objektivität“ innewohnt, sodass sie den tatsächlichen Verhältnissen am Nächsten kommen (BVerfG, Beschluss vom 23.02.1983 – 1 BvR 990/82 –, BVerfGE 63, 197 <214 f.>). Ihnen kommt daher ein hoher Beweiswert zu (Berlit, in: Gemeinschaftskommentar AsylG (GK-AsylG), § 78 Rn. 400 (Stand: April 1998)).
52 
a. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2012 wurde hierzu ausgeführt, dass seit den anfänglich friedlichen Protesten im Jahre 2011 (sog. „Arabischer Frühling“) das Regime mit massiven Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung – vor allem durch den Einsatz der Armee, von Sicherheitskräften und staatlich organisierten Milizen reagiert hat. Reformen würden als sog. „Papierreformen“ nicht den Kern des Konflikts, d.h. den Fortbestand des Regimes und die Fortdauer der Repressionen – antasten (AA, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17.02.2012, Stand: Februar 2012, S. 5).
53 
Aufgrund dieser Erkenntnislage ist der VGH Baden-Württemberg zuletzt im Jahr 2013 davon ausgegangen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bislang in der Rechtsprechung angenommene Gefahr einer sog. „Rückkehrerverfolgung“ nicht mehr bestehen würde (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Allein die aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen bestehenden hohen Zahlen an Wiedereinreisen nach Syrien höben nicht per se die Möglichkeit des Regimes auf, die Herkunft der Rückkehrer zu kontrollieren (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
54 
Dem schließt sich die Kammer an, da sie die Auffassung des VGH Baden-Württemberg teilt, dass es nicht nachvollziehbar erscheint, dass im Falle eines totalitären Regimes, welches um sein Überleben kämpft, dieses im Rahmen eines bewaffneten bürgerkriegsähnlichen Konflikts seine bisherige Praxis der Annahme einer potentiellen Regimegegnerschaft bei Rückkehrern ändert und nunmehr im Rahmen der Einreise eine abstrakte repressionsneutrale Vorfeldkontrolle vornimmt und erst dem nachgelagert – ggf. zwischen freiwilliger Ausreise und zwangsweiser Abschiebung differenzierend – Repressionen ausübt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Ein derartiges differenziertes und bürokratisches Vorgehen nach – in quasi-rechtsstaatlicher Weise – abstrakt-generell vorgezeichneten Kriterien erscheint abgesehen von dessen Praktikabilität im Falle eines in der Krise agierenden totalitären Regimes bei lebensnaher Betrachtung auch nach Auffassung der Kammer eher fernliegend und kann unter den aktuellen Umständen ohne nähere Anhaltspunkte wohl kaum in ernst zu nehmender Weise erwartet, unterstellt oder angenommen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
55 
b. Die Kammer gelangt anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung, dass hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. der Vermutung einer Regimegegnerschaft bei wiederkehrenden Syrern aus dem Ausland durch das syrische Regime, keine flüchtlingsrechtlich erhebliche Änderung eingetreten ist. Damit gelangt sie zu der Überzeugung, dass jedenfalls derzeit eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt.
56 
Die Kammer ist als erkennendes Gericht dabei nicht gehalten, „ins Blaue hinein“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte nach theoretisch denkbaren Ermittlungsansätzen – wie etwa einer veränderten sicherheitsbehördlichen Praxis in Syrien – zu suchen und solchen ohne auch nur eine ansatzweise Tatsachengrundlage nachzugehen (vgl. zur sog. „Ausforschung“ durch das Gericht bspw. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2008 – 5 B 196/07 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 362; Beschluss vom 05.10.1990 – 4 B 249/89 –, Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 6; Beschluss vom 29.03.1995 – 11 B 21/95 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266; vgl. zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2016 – 5 S 1443/14 –, juris).
57 
Dass Ermittlungsbemühungen bspw. über Auskünfte des Auswärtigen Amtes – nicht zuletzt mangels diplomatischer Vertretung in Syrien – ergebnislos ausfallen, zeigen bereits die jüngsten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017, welche dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erteilt wurden, sodass aus Sicht der Kammer keine weiteren Ermittlungsansätze bestehen.
58 
aa. Die Kammer stützt daher ihre Erkenntnis dabei zunächst auf den Bericht der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde vom 19.01.2016. In diesem wird unter Berufung auf sachverständige Auskünfte das Verfahren bei der Wiedereinreise nach Syrien näher beschrieben.
59 
Nach diesem Bericht erfolgen an den Einreisestellen, d.h. am internationalen Flughafen in Damaskus sowie an den Grenzkontrollpunkten Kontrollen der Ausweispapiere sowie Rücksprachen mit nationalen Stellen. Es erfolgen Abfragen und Abgleiche mit Such- und Fahndungsmeldungen. Dabei ist nach sachverständigen Angaben das Verfahren dahingehend ausgestaltet, dass die Grenzbeamten und Sicherheitsbehörden über eine sog. „carte blanche“ – also eine Blankoermächtigung – für die Behandlung ihnen verdächtig erscheinender Personen erhalten haben (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion - (im Folgenden: „Syria: Treatment of returnees“) -, 2015, S. 3). Dies beinhaltet nach sachverständigen Angaben die sofortige Ingewahrsamnahme der jeweiligen Person, welche zu einem sog. „Verschwinden“ oder Folter führen kann (so auch Amnesty International, Amnesty Report 2016: Syrien, im Internet abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien). Es können ferner Meldeauflagen verhängt werden. Insgesamt wird das Verfahren im Hinblick auf Rückkehrer als „unpredictable“ – unvorhersehbar – beschrieben. Bereits dies für sich genommen spricht für das Fortbestehen von Einreiserepressionen – bzw. der begründeten Furcht vor solchen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG – sowie deren Bestärkung durch die Erteilung von Blankoermächtigungen an Sicherheitsbehörden und damit die staatliche Freigabe für willkürliche Festnahmen und sonstige Maßnahmen.
60 
Dies findet Bestätigung im Menschenrechtsbericht des U.S.-Außenministeriums, wonach die syrische Regierung Dissidenten und frühere Einwohner ohne bekannte politische Betätigung, welche nach Jahren freiwilligen Asyls nach Syrien zurückkehren wollten, verhaftet hat (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 34, im Internet allgemein abrufbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947). Dass sich diese Ausführungen ausschließlich auf Sonderfälle (früherer) politischer Betätigung beziehen würden, vermag die Kammer nicht zu erkennen, da sich die vom OVG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 16.12.2016 (Az.: 1 A 10922/16, juris) angeführte Erläuterung im Bericht des Außenministeriums nicht etwa auf die Feststellung genereller Verhaftungen von Dissidenten und Rückkehrern bezieht, sondern auf die dem vorangestellt angeführte Verhaftung politisch auffälliger Rückkehrer.
61 
Hierauf kommt es indes nicht an, da bereits die objektiv bestehende Möglichkeit, dass ein längerer Auslandsaufenthalt für die syrischen Behörden einen hinreichenden Anlass für die Unterstellung einer potentiell staatsfeindlichen Betätigung darstellt, für die Bejahung einer begründeten Furcht im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG genügt. Denn allein die Möglichkeit, bei einem erst noch kürzlich bestehenden und in Vollzug gesetzten System genereller Rückkehrerverfolgung, allein aufgrund eines Asylantrags im Ausland in den Fokus der syrischen Sicherheitsbehörden zu geraten, rechtfertigt aus der objektiven Sicht eines verständigen Menschen in der Situation der Kläger die Befürchtung, bei der Einreise aufgegriffen und allein wegen der unterstellten politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die allgemeinen Haftbedingungen in Syrien derzeit unabhängig von einer politischen Gesinnung – insbesondere für weibliche Gefangene mit Blick auf Vergewaltigungen sowie gewaltsame Penetrationen mit Gegenständen, aber auch für die übrigen Gefangenen – in keiner Weise mit der Menschenwürde vereinbar oder den Betroffenen zumutbar sind, zumal ausweislich des Berichts des U.S.-Außenministeriums verschiedene Foltermethoden willkürlich bis hin zum Tode eingesetzt werden und die Leichen der jeweiligen Gefangenen durch Verbringung in die Hafträume noch lebender Häftlinge zu Folterinstrumenten verobjektiviert werden (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 5 f. unter ausführlicher Beschreibung der einzelnen Foltermethoden).
62 
Da diese Methoden jedoch bereits an Checkpoints sowie im Rahmen formellen als auch informellen Gewahrsams im Rahmen der Einreisekontrollen angewendet wurden (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees, 2015, S. 3; vgl. hierzu auch VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris, m.w.N.), besteht nach Auffassung der Kammer für die Kläger objektiv die Besorgnis, aufgrund ihrer Ausreise und ihrer Asylantragstellung bzw. ihres Auslandsaufenthalts bei ihrer Rückkehr als potentielle Regimegegner verhaftet und sodann in diesem Status und aufgrund dessen den im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargestellten Methoden unterworfen zu werden. Diese Erkenntnisse erhöhen aus Sicht eines verständigen Menschen nochmals dahingehend die Hemmschwelle, in das Heimatland zurückzukehren, dass bereits eine unter 50 % liegende Wahrscheinlichkeit zum Objekt der Folgen einer – auch anlasslos unterstellten Regimegegnerschaft als sog. „Polit-Malus“ – zu werden, es gebieten wird, sich nicht diesem Risiko auszusetzen.
63 
bb. Das Vorbringen der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 16.09.2016 im Verfahren 3 K 368/16 des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vermag es nicht, diese Annahme zu entkräften oder ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dass das syrische Regime an der Ausgabe von Reisepässen „gut verdiene“ und aufgrund der Visafreiheit gegenüber der Türkei in dem Bewusstsein der legalen Ausreise Pässe ausgeben mag, steht den zumindest im Jahr 2012 noch bestehenden Repressionen im Sinne einer „Rückkehrerverfolgung“ nicht entgegen, da das syrische Regime mit derartigen Maßnahmen nicht das Ziel der Ausreiseverhinderung verfolgt, sondern letztlich die möglichst umfassende Eliminierung potentiell oppositioneller oder regimefeindlicher Tendenzen im Inland. Die Ausreise ist nämlich nicht zwingend darauf gerichtet, wieder in das Heimatland zurückzukehren. Erfolgt jedoch eine Rückkehr, widerspricht eine Verfolgung von Rückkehrern als potentielle Staatsfeinde nicht sinnlogisch einer vorherigen Förderung der Ausreise.
64 
Im Übrigen dürfte es auch dem syrischen Regime bekannt sein, dass es allein mit dem Instrument der Passversagung kaum möglich sein dürfte, illegale Ausreisen zu verhindern. Allein die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016 in jenem Verfahren zitierte Auskunft des Auswärtigen Amtes, wonach „keine Erkenntnisse“ zu einer aktuellen Rückkehrerverfolgung vorliegen, vermag es nicht, ein Nicht-Mehr-Bestehen derartiger Repressionen darzulegen oder derart in Zweifel zu ziehen, als dass es der Kammer hinsichtlich eines zwischenzeitlichen dauerhaften Entfallens von generellen Repressionen gegenüber Rückkehrern auch nur eine im Ansatz hinreichende Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) vermitteln könnte. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, welches sich im Wesentlichen ebenfalls nur auf die Mitteilung beschränkt, dass keine Erkenntnisse vorlägen. Liegen dem Auswärtigen Amt nach dessen eigenen Angaben keine Erkenntnisse vor, kann darauf aufbauenden Auskünften auch kein Beweiswert zukommen. Vielmehr spricht die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zitierte Meldung des Fernsehsenders n-tv vom 01.12.2015, wonach der syrische Präsident Assad eine „Unterwanderung“ der syrischen Flüchtlinge „durch Terroristen“ annehme, mehr für eine verstärkte Überwachung von Rückkehrern als für eine Aufgabe der bisherigen Repressionen bei einer Wiedereinreise.
65 
Dies steht aus Sicht der Kammer in Einklang mit verschiedenen – öffentlich zugänglichen – Berichten (Stiftung Wissenschaft und Politik, Hintergrund Syrien vom 05.08.2015, S. 8 f.; Tharir Institute for Middle East Policy, Russia’s Exit from Syria Highlights Assad’s Limitations, vom 15.03.2016), denen zufolge sich der syrische Präsident Assad im Jahr 2015 dahingehend geäußert hat, dass das Vaterland denen gehöre, die es verteidigten und beschützten. Bereits diese Aussage deutet auf eine Zuordnung rückkehrender Flüchtlinge zu nicht-vaterlands- bzw. nicht-regimetreuen und zugleich – zumindest potentiell – oppositionsfreundlichen Kategorien bzw. deren Ansehung als eine Art „Verräter“ – im Gegensatz zu kämpfenden oder im Heimatland verbleibenden Syrern – hin. Dies genügt aus Sicht der Kammer im Falle einer kürzlich noch bestehenden Rückkehrerverfolgung für die objektiv gerechtfertigte Besorgnis, allein aufgrund der jedenfalls nicht ausdrücklich genehmigten Ausreise und der Asylantragstellung oder des längeren Auslandsaufenthalts im Falle der Wiedereinreise Repressionen des syrischen Staats weiterhin ausgesetzt zu sein.
66 
cc. Auf das Fortbestehen eines Systems gezielter Überprüfung von Rückkehrern, wie sie sich aus den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln ergibt, deutet als Indiztatsache auch der Umstand hin, dass syrische Nachrichtendienste im Jahr 2015 nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz auch im Bundesgebiet entsprechende vorbereitende Aufklärung betrieben haben (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263; vgl. hierzu VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, abrufbar im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen). Nach diesen Erkenntnissen verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und der Auflösungserscheinungen im Machtapparat des syrischen Regimes unverändert über leistungsfähige Strukturen. Der Aufgabenschwerpunkt besteht offenbar in der Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Zwar mag eine nachrichtendienstliche Überwachung sämtlicher syrischer Staatsangehöriger durch das syrische Regime in Deutschland nicht bestehen (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Dass aber überhaupt eine Überwachung von Gegnern durch ein angeschlagenes Regime im Ausland möglich ist und aufrecht erhalten wird, deutet darauf hin, dass die Überwachung von Syrern im Ausland durch die syrischen Sicherheitsbehörden möglichst aufrechterhalten und weiterverfolgt werden soll. Insofern bestehen für die Kammer kaum Anhaltspunkte, welche daran zweifeln ließen, dass die in der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg festgestellten Repressionen gegen Rückkehrer ebenfalls weiterhin aufrechterhalten werden und auch tatsächlich aufrechterhalten werden können.
67 
dd. Die Auffassung der Kammer steht dabei jedenfalls im Ergebnis in Einklang mit den Entscheidungen des VG Sigmaringen (Urteile vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 und A 5 K 1372/16 –), des VG Karlsruhe (Urteil vom 29.11.2016 – A 8 K 4182/16 –), VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, veröffentlicht im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen), VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 – 1 K 5093/16.TR –) sowie des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts, welches in seiner Entscheidung vom 29.07.2015 (Geschäftszahl W224 2102645-1, ECLI:AT:BVWG:2015:W224.2102645.1.01) ausgeführt hat, dass Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl ersucht haben, und solche, die in der Vergangenheit Verbindung mit der Muslimbruderschaft hatten, bei ihrer Rückkehr gerichtlich belangt worden seien. Die Regierung habe routinemäßig Dissidenten und frühere Staatsbürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet, die versuchten, nach Jahren oder Jahrzehnten im Exil in das Land zurückzukehren. Dies wiederum wird bestätigt durch den Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, wonach einzelnen Gruppen offenbar willkürlich durch syrische Behörden Meinungen und Ansichten unterstellt werden (UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Fassung - (November 2015) -, S. 11 f.).
68 
ee. Wie die 5. Kammer des VG Sigmaringen ausgeführt hat (Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris), können bei alledem zunächst die, wenn auch rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber – wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG – indiziell bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Dieser stützt sich – soweit ersichtlich – nicht auf neue Erkenntnismittel, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung der Sachlage hätten geben können. Augenfällig erscheint vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für „nur“ subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG für zwei Jahre ausgesetzt hat (VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris). Wie aus öffentlich zugänglichen Unterlagen zum Vortrag des Sonderbeauftragten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für unbegleitete Flüchtlinge am 17.06.2016 in Neumünster (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https:// www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) hervorgeht, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein „flüchtlingsrelevantes“ Merkmal droht. Insofern erscheint es wenig nachvollziehbar, weshalb gerade ab dem 17.03.2016 die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung nicht mehr gegeben sein sollen. Dies spiegelt sich im vorliegenden Fall auch in den Aktenvermerken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wider, in welchen einerseits eine Flüchtlingseigenschaft bejaht, andererseits aber wiederum verneint wird, ohne dass neue Erkenntnisse über den vorliegenden Sachverhalt oder die allgemeine Lage in Syrien, welche gegen ein Fortbestehen der Rückkehrerverfolgung sprächen, vorlägen.
69 
c. Die Kammer ist aufgrund der verfügbaren Erkenntnismittel ferner davon überzeugt, dass sich die Gefahr von Repressionen allein aufgrund des Auslandsaufenthalts auf sämtliche Rückkehrer gleich welchen Alters im Sinne einer Art „Sippenhaft“ bezieht und schließt sich insofern den Ausführungen im Urteil der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23.11.2016 (Az.: A 5 K 1495/16, juris) an. Es kann in diesem Zusammenhang nicht davon ausgegangen werden, dass Behörden eines in seiner Macht angeschlagenen Regimes zwischen erwachsenen und minderjährigen Personen differenzieren; vielmehr dürfte aufgrund der willkürlichen Handhabe und der sog. „carte blanche“-Ermächtigung für Sicherheitsbehörden an Einreisepunkten davon auszugehen sein, dass sich Repressionen nicht nur auf solche Rückkehrer erstrecken, von denen theoretisch eine Gefahr ausgeht. Vielmehr ist nicht zuletzt mit Blick auf die im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargelegten Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten, dass sich Repressionen unmittelbar gegen diese richten oder diese zum Druckmittel gegenüber ihren Eltern verobjektiviert werden. Deshalb müssen sich die minderjährigen Kläger zu 3) und 4) nicht auf das sog. „Familienasyl“ nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ihrer Eltern verweisen lassen (VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris).
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3. Über diese allgemeine Rückkehrerverfolgung hinaus sind jedenfalls beim Kläger zu 1) und den Angehörigen seiner Kernfamilie – den Klägern zu 2)-4) – die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt, da er im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG Bestrafung oder Strafverfolgung im Falle der Verweigerung einer Einberufung in die syrischen Streitkräfte befürchten muss.
71 
Die strafbewehrte Wehrpflicht eines Staates begründet indes nicht in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, sondern nur dann, wenn der Militärdienst in einem Konflikt abgeleistet werden müsste und Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Vorliegend liegt jedoch eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund der syrischen Wehrpflicht vor, da nach den verfügbaren Erkenntnismitteln objektiv zu besorgen ist, dass syrische Staatsangehörige männlichen Geschlechts zum Wehrdienst herangezogen und in diesem Rahmen zu Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG unter Androhung von Strafe oder Bestrafung gezwungen werden.
72 
a. Die Kammer ist davon überzeugt, dass in Syrien zwar ein gesetzlich oder quasi-gesetzlich geregeltes Wehrpflichtwesen besteht, diese Regelungen jedoch nicht eingehalten werden und dass die syrische Regierung vielmehr darum bemüht ist, den Personalbestand der staatlichen Armee mittels willkürlicher Einberufungen und Zwangsrekrutierungen zum Wehrdienst aufzustocken. Dies ergibt sich auch aus den glaubhaften Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, indem er anschaulich solche willkürlichen Zwangsrekrutierungssituationen und -handlungen schilderte. Nach dem Bericht der finnischen Einwanderungsbehörde (Maahanmuuttovirasto) vom 23.08.2016 sind die Gesetze – auch die Wehrpflicht in Syrien betreffend – weiterhin in Kraft. Demnach sind männliche Syrer im Alter von 18-42 Jahren wehrpflichtig, während die Altersgrenze für den Dienst als Reservist bei 52 Jahren bzw. 54 Jahren im Falle eines akademischen Abschlusses liegt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting syrian regime and armed opposition (im Folgenden: „Syria: Military Service“, 2016, S. 5).
73 
Ausweislich dieses Berichts legt die syrische Regierung nach den Angaben einer Kontaktperson einer westlichen Botschaft in Beirut, um anarchistische Zustände zu verhindern, Wert auf den Schein, dass sich im Land und an der Macht des Regimes nichts geändert habe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Viele Männer in Syrien erhalten nach diesem Bericht seit dem Beginn des Konflikts, bspw. aufgrund einer Flucht innerhalb des Landes, keine Rekrutierungsunterlagen mehr. Die Rekrutierungsvorgaben wurden demnach sodann vom Regime angepasst, sodass eine Rekrutierung nunmehr in jedem Rekrutierungsbüro oder auch auf der Straße, in Checkpoints oder anderen Orten des Landes stattfinden kann (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Gesetzliche Ausnahmen von der Wehrpflicht mögen dabei zwar formal weiterhin in Kraft sein. Allerdings bietet nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen auch die Vorlage einer Bescheinigung über die Wehrfreiheit keinen hinreichenden Schutz, da flächendeckend eine Nicht-Beachtung von Ausnahmetatbeständen selbst bei vorgelegten Bescheinigungen zu beobachten ist (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 11 f.) und es auch zur Vernichtung derartiger Unterlagen durch die Sicherheitskräfte bei deren Vorlage kommt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10).
74 
Dies spiegelt sich nach den Erkenntnissen der dänischen Migrationsbehörde auch in der alltäglichen Praxis wider. Männer werden nunmehr auch auf der Straße, in Universitäten, an Kontrollpunkten und sonstigen Orten, die unter der Kontrolle der Regierung stehen, rekrutiert; dabei kommt es teilweise zu willkürlichen Maßnahmen und Ausübung von Gewalt (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG (im Folgenden: „Syria – Update on Military Service“, 2015, S. 10; Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). So werden Wehrdienstvermeider bspw. in Massenverhaftungen, Tür-zu-Tür-Aktionen und in Universitäten rekrutiert. Unternehmen wurden unter der Androhung eines Geschäftsverbots verpflichtet, Arbeitnehmer zum Wehrdienst zu entsenden (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). Dies spiegelt sich im glaubhaften Vortrag des Klägers zu 1) – aber auch in Ansätzen in den Angaben der Klägerin zu 2) – wider, wonach der Kläger zu 1) mehrfach darauf angesprochen wurde, warum er nicht kämpfe und im Rahmen einer Kontrolle auch geschlagen und mit seiner Familie willkürlich festgehalten wurde.
75 
Fahnenflucht wird mit der Todesstrafe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10) oder mit Gefangenschaft, sog. „incomunicado“-(Isolations-)Haft, Folter und lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 18 f.). Im Übrigen kann ein Fahnenflüchtiger eingezogen und umgehend – auch an der Front – eingesetzt oder in Haft genommen werden. Dabei gilt es als wahrscheinlich, dass dieser in der Haft gefoltert wird (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Der Umgang mit Deserteuren hängt von den Umständen im Land ab und variiert; Gleiches gilt für zivile Armeebeschäftigte (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Es ist daher mit Blick auf die weitgehenden Ermächtigungen der syrischen Sicherheitsbehörden nicht auszuschließen und vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) entsprechend seiner im Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Besorgnis, aufgrund seiner Flucht als „Verräter“ angesehen und damit den gleichen Folgen ausgesetzt sein wird, wie ein Deserteur oder sonstiger Fahnenflüchtiger.
76 
Dies für sich genommen genügt zwar nicht, um die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Kammer anhand der derzeit verfügbaren Erkenntnismittel und der voranstehend beschriebenen Geschehnisse in Syrien davon überzeugt ist, dass der Kläger zu 1) – wie von ihm befürchtet – objektiv im Falle seiner Einberufung in die syrische arabische Armee zur Erfüllung seiner Wehrpflicht im Falle der Verweigerung von Befehlen, deren Befolgung Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG darstellen würde, Strafen oder Bestrafungen durch den syrischen Staat besorgen müsste.
77 
b. Anhand der den Gegenstand der mündlichen Verhandlung bildenden Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Wehrdienst in der syrischen Armee die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG an eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erfüllt.
78 
aa. Verschiedenen Medienberichten kann entnommen werden, dass es zumindest in Aleppo – aber auch in oppositionell kontrollierten Gebieten – in jüngerer Zeit zum Einsatz von chemischen Waffen – zumindest unter billigender Inkaufnahme ziviler Kollateralschäden – gekommen ist, deren Zurechnung nach diesen Berichten zu Einsätzen der syrischen Regierungstruppen nahe liegt (vgl. den Bericht von amnesty international vom 11.08.2016, Syria: Fresh chemical attack on Aleppo a war crime, allgemein im Internet abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/latest/news/ 2016/08/syria-fresh-chemical-attack-on-aleppo-a-war-crime/; siehe auch CNN, White House condemns Syria’s chemical weapons use, vom 26.08.2016, im Internet allgemein abrufbar unter http://edition.cnn.com/2016/08/25/politics/un-report-chemical-weapons-syria/).
79 
bb. Hierfür spricht allem voran der dritte Bericht der gemeinsamen Untersuchung der Vereinten Nationen und der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW), welcher den Ermittlungsstand zum 19.08.2016 wiedergibt. Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt fünf Vorfälle im Jahr 2014 sowie sechs Vorfälle im Jahr 2015 untersucht.
80 
Diese Ermittlungen ergaben, dass in Talmenes (Gouvernement Idlib) am 21.04.2014 ein Helikopter der syrischen arabischen Armee einen Gegenstand mit einer toxischen Substanz auf ein Gebäude abwarf. Dabei stützt sich der Bericht auf Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen, wonach toxische Substanzen nach dem Abwurf einer sog. „Fassbombe“ freigesetzt wurden, während am selben Tag Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und bewaffneter Opposition stattfanden. Dabei wurde von den Konfliktparteien nicht bestritten, dass es in jenem Ort zum Einsatz von Chlorgas – dessen Einsatz als Kampfstoff seit 1993 völkerrechtlich verboten ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b) des Übereinkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen – Chemiewaffenübereinkommen – vom 13.01.1993, BGBl. 1994 II, S. 807) – kam, während keine Hinweise darauf bestehen, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls oppositionelle Gruppen in Talmenes Helikopter eingesetzt hätten (OPCW, Third report of the Organization for the Prohibition of Chemical Weapons - United Nations Joint Investigative Mechanism vom 24.08.2016 (im Folgenden: „Third report of the OPCW“), S. 13). Sachverständige Analysen ergaben dabei Spuren von Ammonium und Chlor. Die Angaben der syrischen Regierung zu jenem Vorfall wurden als forensisch mit der Spurenlage unvereinbar angesehen (OPCW, Third report of the OPCW, S. 50).
81 
Im Bericht der OPCW wird weiter berichtet, dass sich am 16.03.2015 in Sarmin (Gouvernement Idlib) ein ähnlicher Abwurf eines Gegenstands mit anschließender Freisetzung toxischer Substanzen durch die syrische arabische Armee ereignete. Forensische Analysen haben demnach ergeben, dass ein Gerät oder eine „Fassbombe“ aus einem Helikopter abgeworfen wurde, welches sodann durch einen Belüftungsschacht in ein Wohnhaus eingeschlagen ist. Verschiedene Videoaufnahmen zeigen nach diesem Bericht Chlorkohlenwasserstoff-Behälter innerhalb des Hauses sowie eine lila-violett-farbene Substanz auf dem Fußboden, welche auf den Einsatz von Kaliumpermanganat – etwa in Verbindung mit Glycerin als Zünd- oder Sprengmittel – hindeutet (OPCW, Third report of the OPCW, S. 81). Verschiedene Quellen hätten auch bestätigt, dass es zu jenem Zeitpunkt Flugaktivitäten der syrischen arabischen Armee gegeben habe, was von der syrischen Regierung bestritten worden sei (OPCW, Third report of the OPCW, S. 13 f.). Fluorchlorkohlenwasserstoff (englisch Hydrochlorofluorcarbon – HCFC –) wird nach diesem sachverständigen Bericht in der zivilen Verwendung als Kühlmittel eingesetzt und ist als solches allgemein zugänglich. Dennoch bedarf es zum Einsatz als chemischen Kampfstoff – dem syrischen Regime zur Verfügung stehender – technischer Fähigkeiten und Einrichtungen zur Abfüllung als Flüssigkeit oder kompressiertes Gas (OPCW, Third report of the OPCW, S. 10). Die Angaben der syrischen Regierung, wonach der Vorfall in jenem Wohnhaus auf die Explosion eines Flüssiggaskochers zurückzuführen sei, wurden mangels dem entsprechender Brandspuren als unwahrscheinlich eingeschätzt (OPCW, Third report of the OPCW, S. 83).
82 
In Zusammenhang mit weiteren drei Chlorgas-Vorfällen im Jahr 2015 wird davon ausgegangen, dass Sprengsätze mit Fluorchlorkohlenwasserstoff und Kaliumpermanganat eingesetzt wurden (OPCW, Third report of the OPCW, vom 24.08.2016, S. 13 f.).
83 
Am 16.03.2015 kam es nach diesem OPCW-Bericht überdies in Qmenas (Gouvernement Idlib) zu einem Vorfall, hinsichtlich dessen die Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass ein Helikopter ein Gerät oder eine „Fassbombe“ abgeworfen hat. Ferner kam es in Kafr Zita (Gouvernement Hama) am 11.04.2014 sowie in Binnish (Gouvernement Idlib) am 24.03.2015 und in Al-Tamanah (Gouvernement Idlib) am 29. und 30.04.2014 zum Einsatz chlorhaltiger Kampfstoffe (OPCW, Third report of the OPCW, S. 15 ff.), hinsichtlich derer die Indizienlage uneindeutig ist.
84 
cc. Die Kammer gelangt aufgrund dieser als objektiv einzuschätzenden Erkenntnisse aus vor Ort geführten Ermittlungen der OPCW zu der Überzeugung, dass die objektive Besorgnis besteht, dass die syrische Armee als staatlicher Akteur (§ 3c Nr. 1 AsylG) u.a. durch den Einsatz chemischer Kampfstoffe unter billigender Inkaufnahme ziviler Opfer Handlungen begeht, die das Chemiewaffenübereinkommen verletzen und so die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG erfüllen (zu den Voraussetzungen Bergmann, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 3 AsylG Rn. 7). Dies findet weitere Bestätigung in der Einschätzung des britischen Homeoffice (Home Office, Country Information and Guidance – Syria: the Syrian Civil War, August 2016, S. 19).
85 
Insofern schließt sich die Kammer den Ausführungen der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen in deren Urteil vom 23.11.2016 (A 5 K 1495/16, juris) sowie denen im Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 01.07.2016 (1 K 20205/16 Me, juris) an, wonach die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte wahllos, willkürlich und zumeist völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen – teilweise unter Einsatz verbotener Kriegswaffen – töten und welche Ziele sie dabei auswählen, eine Haltung der syrischen Machthaber mit dem offenkundigen Ziel aufzeigt, jede – tatsächlich bestehende oder auch nur seitens des Regimes unterstellte – Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken und sich hierfür wehrpflichtigen Syrer vor den §§ 3a Abs. 2 Nr. 5, 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG nicht zumutbaren Arten der Kriegsführung in einem Konflikt zu bedienen (vgl. hierzu auch BayVGH, Pressemitteilung vom 13.12.2016).
86 
dd. Darüber hinaus ist die Kammer – wie auch hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“ – davon überzeugt, dass Repressionen aufgrund von Wehrdienstverweigerung auch die Kläger zu 2)-4) als nahe Angehörige des Klägers zu 1) dergestalt treffen können, dass auch ihnen – abgeleitet vom Kläger zu 1) – eine Stellung als „Verräter“ oder Sympathisanten im Sinne eines eigenen „Polit-Malus“ zugerechnet wird oder sie zum Druckmittel gegenüber dem Kläger zu 1) verobjektiviert werden. Demnach ist es auch in Zusammenhang mit dem syrischen Wehrdienst den Klägern zu 2)-4) nicht zumutbar, erst im Wege des sog. „Familienasyls“ ein humanitäres Aufenthaltsrecht vom Kläger zu 1) abzuleiten.
87 
4. Nach alledem sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei den Klägern erfüllt und die Klage begründet.
III.
88 
Die Beklagte trägt gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gem. § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1995 in Damaskus geborene, ledige Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er verließ eigenen Angaben zufolge im November 2014 sein Heimatland und reiste am 26.07.2015 in das Bundesgebiet ein, wo er am 26.08.2015 einen Asylantrag stellte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge händigte ihm im Verwaltungsverfahren einen Fragebogen aus, um ihm die Möglichkeit einzuräumen, „in einem beschleunigten, schriftlichen Verfahren die Gründe für [sein] Schutzersuchen im Bundesgebiet darzulegen“. Das Ausfüllen dieses Fragebogens sei freiwillig, es bestehe aber die Möglichkeit einer „deutlichen zeitlichen Verkürzung“ des Asylverfahrens, wenn sich aus der schriftlichen Erklärung und den vorgelegten Unterlagen ergebe, dass dem Schutzersuchen stattgegeben werden könne; das Bundesamt habe in nahezu allen Fällen, in denen die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei, syrischen Staatsangehörigen Schutz gewährt. Der Kläger beantwortete in der Folge die Formularfragen schriftlich im Ankreuzverfahren. U.a. erklärte er dabei sein Einverständnis mit einer Beschränkung seines Antrags auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz, den er der Formulierung des Fragebogens zufolge ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren erhalten könne.
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 01.03.2016 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er stamme aus Dahiyat Qudsaya, Damaskus, und habe in Syrien als Koch gearbeitet. Fragen nach der Ableistung von Wehrdienst, einer Tätigkeit für die Sicherheitsbehörden oder die Polizei, der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppierung oder in einer politischen Organisation verneinte er ebenso wie die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von Kriegsverbrechen, Übergriffen auf die Zivilbevölkerung o.ä. geworden sei. Ihm sei nichts passiert; er habe befürchtet, zum Militär zu müssen, habe aber auch eine bessere Zukunft gewollt und sei deshalb nach Deutschland gereist. Ferner legte der Kläger dem Bundesamt sein syrisches Abiturzeugnis nebst Übersetzung vor sowie einen am 11.11.2015 ausgestellten Auszug aus dem Zivilregister für Personenstandsangelegenheiten. Einem entsprechenden Aktenvermerk vom 01.03.2016 zufolge hält das Bundesamt den Kläger „zweifelsohne“ für einen Syrer.
Mit Bescheid vom 09.03.2016, zugestellt am 31.03.2016, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Asylantrag im Übrigen jedoch ab. Zur Begründung hieß es, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen jedoch nicht vor. Eine begründete Furcht vor Verfolgung habe er nicht glaubhaft gemacht. Er habe sich allein auf die allgemeine Gefährdung durch den Krieg in seinem Heimatland berufen. Aus seinem Sachvortrag sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich.
Der Kläger hat am 08.04.2016 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, es liege ein objektiver Nachfluchtgrund vor, weil davon auszugehen sei, dass das syrische Regime jeden syrischen Staatsangehörigen, der das Land verlasse bzw. fliehe, als potenziellen Regimegegner betrachte. Hinzu komme, dass der Kläger auch als „fahnenflüchtig“ oder als Deserteur betrachtet werde. Im Übrigen sei den Eltern und Geschwistern des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Es sei schwer vorstellbar, dass die Familie des Klägers das Land aus „flüchtlingsrelevanten Gründen“ verlassen habe, ausgerechnet er selbst aber nicht.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend trägt sie zuletzt vor, schwerwiegende Gründe sprächen gegen die Annahme, Flüchtlingen aus Syrien drohe - ohne Hinzutreten individueller Gründe - im Fall einer Rückkehr allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Hierzu bezieht sie sich auf obergerichtliche Entscheidungen zur Zulassung von Berufungen.
11 
Der Kammer liegen die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor, auch diejenigen der Eltern des Klägers (Gesch.-Z. ...), sowie seiner Brüder A. (Gesch.-Z. ...) und Mohamad A. (Gesch.-Z. ...). Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
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Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
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Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
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In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
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In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
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Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
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http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
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Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
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bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
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(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
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Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
84 
(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
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Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
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Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
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(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
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Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
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Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
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Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
98 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
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Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
74 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
75 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
76 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
77 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
78 
Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
79 
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
80 
Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
81 
bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
82 
(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
83 
Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
84 
(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
85 
Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
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Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
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(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
88 
Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
93 
Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
95 
Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
98 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
119 
Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2009 - M 22 K 07.50683 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bayerische Verwaltungsgericht München zurückverwiesen.

Damit wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 - 21 ZB 09.30109 - gegenstandslos.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer, ein 39jähriger syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste im August 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung gab er an, als Aktivist für die kurdische Sache in das Blickfeld syrischer Sicherheitskräfte geraten zu sein. Er habe sich mehr als zehn Jahre im Irak aufgehalten. Als er im April 2004 nach Syrien zurückgekehrt sei, habe man ihn festgenommen und anschließend bis Mai 2005 inhaftiert; in der Haft sei er erheblich gefoltert worden. Ihm sei die Zugehörigkeit zu einer geheimen Organisation vorgeworfen worden, die Syrien teilweise annektieren wolle. Am 3. März und 29. Mai 2005 habe es Verhandlungen beim Obersten Staatssicherheitsgericht gegeben; dabei sei er von einem Anwalt begleitet worden, den ihm seine gut bemittelte Familie besorgt habe. Ende Mai 2005 sei er wegen gesundheitlicher Gründe gegen Kaution freigelassen worden. Er habe Syrien Anfang September 2005 verlassen und sei über Jordanien nach Ägypten gereist, wo er sich bis zu seiner Ausreise nach Deutschland illegal aufgehalten habe. Dort habe er erfahren, dass er am 25. September 2005 in Abwesenheit zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Bei einem weiteren Verbleib in Syrien habe er mit seiner erneuten Verhaftung und Misshandlung rechnen müssen.

3

Zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens legte der Beschwerdeführer mehrere Unterlagen vor, darunter zwei Ausweise einer irakischen Menschenrechtsorganisation, ein Anwalts- und Gerichtsschreiben vom 9. Juni 2005 und einen Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls.

4

2. Mit Bescheid vom 29. Mai 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die bei der Anhörung gemachten Angaben und vorgelegten Unterlagen hätten zur Überzeugung des Einzelentscheiders geführt, dass der Beschwerdeführer in Syrien eine asyl- oder abschiebungsverbotsrelevante Verfolgung weder erlitten noch bei Rückkehr zu gewärtigen habe. Das Anwalts- und Gerichtsschreiben sowie der Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls wiesen erhebliche Fälschungsmerkmale auf. Einer Korrespondenzbestätigung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers komme demgegenüber keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Auch einen politischen Hintergrund, der die Annahme zuließe, er könnte ernsthaft in das Blickfeld des syrischen Geheimdienstes geraten sein, vermöge der Beschwerdeführer nicht darzutun. Schließlich liege kein Abschiebungsverbot mit Blick auf die geltend gemachten Erkrankungen vor.

5

3. Mit seiner Klage machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, dass die Feststellung des Bundesamts, bei den vorgelegten Urkunden handele es sich um Fälschungen, nicht nachvollziehbar begründet worden sei. Zum Haftbefehl finde sich keine konkrete Aussage. Im Übrigen werde lediglich die Ungewöhnlichkeit der Formulierungen moniert, was nicht genüge, nachdem der frühere Anwalt die Echtheit und Authentizität des anwaltlichen Schreibens sowie die Vertretung des Beschwerdeführers vor dem Obersten Sicherheitsgericht bestätigt habe.

6

Für den Termin zur mündlichen Verhandlung kündigte der Beschwerdeführer an, zum Beweis der von ihm behaupteten Verurteilung und Inhaftierung sowie der Echtheit der vorgelegten Urkunden die Vernehmung des in England lebenden Anwalts zu beantragen. Zudem legte er weitere Unterlagen vor, darunter eine gutachtliche Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien (EZKS) vom 6. Dezember 2008, die das Anwalts- und Gerichtsschreiben und den Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls als echt bewertete und die Angaben des Beschwerdeführers auf der Grundlage eigener Recherchen bestätigte, sowie zwei ärztlich-psychologische Stellungnahmen, die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierten.

7

Im Verhandlungstermin stellte der Beschwerdeführer jeweils hilfsweise den schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag sowie den Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass er vom Staatssicherheitsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen.

8

4. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2009 ab. Eine Asylanerkennung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer für die behauptete Einreise auf dem Luftweg beweisfällig geblieben sei. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft könne der Beschwerdeführer nicht beanspruchen, weil er weder vorverfolgt eingereist sei noch eine politische Nachfluchtaktivität dargetan habe. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot bestehe aus den vom Bundesamt genannten Gründen ebenfalls nicht.

9

Das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG begründete das Gericht damit, dass es dem Beschwerdeführer den Vortrag zu seinen Fluchtgründen nicht glaube. Seine Angaben zu den beim Bundesamt vorgelegten Ausweisen einer irakischen Menschenrechtsorganisation seien ungereimt. Der eigentliche Verfolgungsvortrag weise, insbesondere was den zehnjährigen Aufenthalt im Irak und die Umstände der Rückkehr nach Syrien angehe, schwere Widersprüche auf. Vor dem Hintergrund dieser Widersprüche seien auch die Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft. Auskünfte von offizieller Seite seien nicht zu erwarten; der damalige Anwalt könne keinen Erkenntnisgewinn über die Behandlung des Beschwerdeführers in der Haft erbringen; die in den vorgelegten ärztlichen Gutachten beschriebenen Symptome seien für die behaupteten Misshandlungen nicht spezifisch, sondern könnten auch andere Ursachen haben. Selbst die behauptete Verurteilung und Inhaftierung seien nicht frei von Zweifeln. Das Auswärtige Amt weise in seiner Auskunft vom 23. Januar 2007 auf mehrere Fälschungsmerkmale in den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hin und bezeichne die Freilassung gegen Kaution als ungewöhnlich. Diese gewichtigen Zweifel habe der Beschwerdeführer durch das Gutachten des EZKS vom 6. Dezember 2008, das seinem Wesen nach überdies parteiisch sei, nicht substantiiert erschüttern können. Deshalb und weil nicht dargelegt worden sei, dass bessere Erkenntnisse zu erwarten seien, sei der Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Gutachtens einer anderen fachkundigen Stelle abzulehnen gewesen. Über die konkrete Verurteilung und die Dauer der Haft gäben auch die sonst vorgelegten Unterlagen keine Aufschlüsse. Der gewichtigste Einwand gegen eine Verurteilung liege schließlich in dem Umstand, dass der Beschwerdeführer das Urteil selbst nicht vorgelegt habe, obwohl die syrische Strafprozessordnung Möglichkeiten der Mitteilung an Abwesende vorsehe.

10

Ergänzend führte das Gericht an, dass, selbst wenn man eine Verhaftung des Beschwerdeführers und seine Verurteilung vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht als wahr unterstellte - was das Gericht nicht tue -, darin keine politische Verfolgung gesehen werden könnte. Die Bestrafung wegen hochverräterischen Verhaltens stelle keine solche dar, sondern sei Ausfluss des legitimen Interesses jedes Staates auf Achtung seiner territorialen Integrität. Der Anwalt des Beschwerdeführers könne allenfalls diesen Umstand belegen, nicht jedoch eine politisch motivierte unangemessene Behandlung in der Haft oder sonstige politische Mali während und beim Ergebnis des Verfahrens. Die hilfsweise beantragte Zeugenvernehmung sei deshalb unerheblich, zumal sich der Anwalt schriftlich geäußert habe und die Vernehmung entsprechend § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO habe unterbleiben können.

11

5. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung machte der Beschwerdeführer neben den Zulassungsgründen der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz geltend, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei.

12

Das Verwaltungsgericht sei den hilfsweise gestellten Beweisanträgen pflichtwidrig nicht nachgekommen. Den Antrag auf Vernehmung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers habe es mangels Vorliegens der Voraussetzungen weder als unerheblich übergehen noch aus Gründen des Prozessrechts ablehnen dürfen. Entsprechendes gelte für den weiteren Hilfsbeweisantrag. Das Auswärtige Amt habe die Echtheit der vorgelegten Unterlagen nicht abschließend verifiziert, sondern lediglich auf mögliche Fälschungsmerkmale hingewiesen. Diesen Zweifeln habe der Beschwerdeführer durch Vorlage des Gutachtens des EZKS vom 6. Dezember 2008 Rechnung getragen, weshalb die Behauptung des Verwaltungsgerichts, es fehle eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, ins Leere gehe. Die Beweiserhebung sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil das vorgelegte Gutachten, wie vom Verwaltungsgericht behauptet, seinem Wesen nach parteiisch sei; das EZKS werde von vielen Gerichten und auch vom Bundesamt als Gutachter herangezogen.

13

Des Weiteren sei die Unterstellung des Verwaltungsgerichts, die posttraumatische Belastungsstörung des Beschwerdeführers könne andere als die behaupteten Ursachen haben, aus der Luft gegriffen und objektiv nicht begründet. Dem Gericht fehle die erforderliche Sachkunde, um dies beurteilen zu können. Zur Gewährung rechtlichen Gehörs sei weitere Sachaufklärung notwendig gewesen, wie ein aktueller psychologischer Befundbericht bestätige.

14

Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 20. November 2009, der in Anwendung von § 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG nicht begründet worden ist, ab.

15

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Ablehnung seines Schutzbegehrens durch das Verwaltungsgericht erweise sich als willkürlich. Die fachgerichtliche Beweiswürdigung stütze sich auf Indizien, die unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs und unter Missachtung von Beweisanträgen in das Urteil eingeführt worden seien mit der Folge, dass die restlichen Indizien möglicherweise anders gewertet worden wären.

16

Insbesondere die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge verstoße gegen Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Das Verwaltungsgericht sei nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gehalten, den Sachverhalt, solange sich ein so genannter Politmalus nicht von vornherein ausschließen lasse, in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären; dies gelte entsprechend, wenn Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt werde. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Folterungen seien Indizien für einen Politmalus, der sich nicht nur an der Strafhöhe festmachen lasse. Der Beschwerdeführer habe dargelegt, dass sein Anwalt nicht nur zur Frage der Inhaftierung und Verurteilung, sondern auch zur Frage der Folter sachgerechte Angaben hätte machen können. Das Verwaltungsgericht habe den Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung des Anwalts deshalb nicht wegen Unerheblichkeit oder unter Verweis auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO und das Vorliegen einer schriftlichen Äußerung ablehnen dürfen. Auch dem weiteren Hilfsbeweisantrag habe das Verwaltungsgericht stattgeben müssen, um sich hinreichende Überzeugungsgewissheit zu verschaffen; das Vorliegen oder Nichtvorliegen der unter Beweis gestellten Verurteilung wegen eines politischen Delikts beeinflusse die Glaubhaftigkeitsbewertung insgesamt und habe deshalb nicht dahinstehen können.

17

Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liege darin begründet, dass das Verwaltungsgericht sich mit den eingeführten ärztlichen Stellungnahmen nicht hinreichend auseinandergesetzt und es unterlassen habe, zu der vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung und deren Ursachen ein weiteres Gutachten einzuholen.

18

7. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

19

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.

20

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Beschwerdeführer vor ihrer Erhebung den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft.

21

a) Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs keine Anhörungsrüge erhoben hat, obgleich er mit der Verfassungsbeschwerde Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht. Die Anhörungsrüge wäre offensichtlich unzulässig gewesen, weil sich der Beschwerdeführer mit ihr auf keine neue und eigenständige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Verwaltungsgerichtshof hätte berufen können (vgl. BVerfGK 13, 496 <499 f.>).

22

b) Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 95, 96 <127>; 112, 50 <60 ff.>) liegt nicht vor. Ein solcher folgt insbesondere nicht daraus, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit, die beiden Beweisanträge unbedingt zu stellen (§ 86 Abs. 2 VwGO), nicht wahrgenommen hat. Um sich mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz rechtliches Gehör zu verschaffen, kann nicht die Stellung eines durch Beschluss zu bescheidenden unbedingten Beweisantrags verlangt werden. Die hilfsweise Stellung des Beweisantrags reicht aus, da sie das Gericht nicht von der Verpflichtung enthebt, die Erheblichkeit des Beweisangebots zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 1992 - 2 BvR 633/91 -, NVwZ 1992, S. 659 <660>).

23

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Das Verwaltungsgericht hat die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG verfehlt.

24

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16a Abs. 1 GG ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfGE 80, 315 <335>). Dies gilt indes dann nicht, wenn die staatliche Maßnahme allein dem - grundsätzlich legitimen - staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dient (vgl. BVerfGE 80, 315 <339>) oder sie nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird (vgl. BVerfGE 81, 142 <151>). Das Asylgrundrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden (auch massiven) Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614>). Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann freilich in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (so genannter Politmalus; vgl. BVerfGE 80, 315 <336 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Solange sich ein solcher "Politmalus" nicht von vornherein ausschließen lässt, haben die Fachgerichte den diesbezüglichen Sachverhalt in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614> und Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>).

25

Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtlichen Ermittlungen darauf, ob sie einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufweisen und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind (vgl. BVerfGE 76, 143 <162>; 83, 216 <234>). Eine fachgerichtliche Wertung beanstandet es, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist und/oder nicht auf einer verlässlichen Grundlage beruht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644> m.w.N.).

26

b) Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Asylgrundrecht, sondern auch für Verfahren, die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtet sind (aus einfachrechtlicher Sicht ebenso BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 2 f.; vgl. auch zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 10. Januar 1995 - 9 C 276/94 -, NVwZ 1996, 86 <88 f.>). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ergeben sich insoweit aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.

27

Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss auch im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGK 10, 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit und des Freiheitsgrundrechts. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG BVerfGE 117, 71<106 f.>). Jedenfalls in Fällen, in denen es um die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG muss daher, solange ein politischer Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen nicht von vornherein auszuschließen ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen.

28

c) Diesen Anforderungen werden die tragenden Erwägungen des angegriffenen Urteils zur Verneinung einer vom Beschwerdeführer erlittenen politischen Verfolgung nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht ist der Frage, ob die vom Beschwerdeführer dargelegte und unter Beweis gestellte Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht härter als diejenige zur Verfolgung ähnlicher nicht politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit (vgl. BVerfGE 80, 315 <338>) und damit eine Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG gewesen sein könnte, nicht im verfassungsrechtlich gebotenen Umfang nachgegangen.

29

aa) Mit dem Gebot zureichender richterlicher Sachaufklärung nicht zu vereinbaren ist bereits, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen hat, Feststellungen zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung zu treffen. In den Urteilsgründen findet sich hierzu lediglich die ungenügende Aussage, die Verurteilung sei "keineswegs frei von Zweifeln".

30

(1) Wie die Verfassungsbeschwerde zu Recht ausführt, können aus dem Feststehen der Verurteilung wegen eines Staatsschutzdeliktes als solcher Schlüsse auf die Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu deren politischem Charakter gezogen werden. Eine Bestätigung der vom Beschwerdeführer im Einzelnen dargelegten und unter Beweis gestellten Tatsache hätte insbesondere die vom Verwaltungsgericht gewonnene Auffassung, dass dessen Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft seien, in Frage stellen und Anlass für eine andere Einschätzung der weiteren Aufklärungsmöglichkeiten, vor allem der mit dem ersten Beweisantrag angebotenen Zeugenvernehmung, geben können. Da das Verwaltungsgericht davon abgesehen hat, hierzu nachvollziehbare Feststellungen zu treffen, fehlt es an einer hinreichend verlässlichen Grundlage für die Beurteilung der Asylrelevanz der Strafverfolgungsmaßnahme.

31

(2) Das Absehen von weiterer Sachaufklärung zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung war auch nicht aus der Erwägung heraus gerechtfertigt, dass das Klagevorbringen hierzu keinen tatsächlichen Anlass bot (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2000 - 2 BvR 941/99 -, juris Rn. 5). Der Beschwerdeführer hatte in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt, zum Beweis seiner Verurteilung und Inhaftierung ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen, und damit eine weitere Aufklärungsmöglichkeit benannt. Diese durfte das Verwaltungsgericht nicht mit der Begründung übergehen, dass der Beschwerdeführer nicht in detailliierter Auseinandersetzung mit der hohen Beweiswert genießenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Januar 2007 dargetan habe, warum an dessen Feststellungen Zweifel bestehen und eine andere Organisation bessere Erkenntnisse erbringen sollte. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes enthielt nämlich zur behaupteten Verurteilung überhaupt keine Aussage, sondern befasste sich lediglich mit der Frage, ob ein vor dieser datiertes Schreiben echt sei.

32

bb) Darüber hinaus entbehrt die hypothetische Annahme des Verwaltungsgerichts, bei unterstellter Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Oberste Staatssicherheitsgericht zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen Separatismus könne hierin keine politische Verfolgung gesehen werden, jeder tatsächlichen Grundlage.

33

Bei einer strafrechtlichen Verurteilung durch ein syrisches Staatssicherheitsgericht bedurfte es einer Auseinandersetzung mit dem Einzelfall, um festzustellen, ob in der Anwendung der Strafgesetze durch das Gericht eine Maßnahme politischer Verfolgung zu erblicken war (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Das Verwaltungsgericht hätte erwägen und darlegen müssen, weshalb die Strafvorschrift als solche und nach der Strafverfolgungspraxis keinen Verfolgungscharakter aufweist, sowie Feststellungen dazu treffen müssen, dass die gegen den Betroffenen verhängte Strafe keine unverhältnismäßige, (auch) an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Sanktion darstellt (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 3). In diesem Zusammenhang wäre auch der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Zuge der Ermittlungen gefoltert worden, als Indiz für das Bestehen eines "Politmalus" nachzugehen gewesen.

34

Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Urteilsgründe keine dieser Erwägungen angestellt. Was die behauptete strafrechtliche Verurteilung angeht, hat es sich auf die - lediglich den Ausgangspunkt der gebotenen Befassung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers bildende - Feststellung beschränkt, dass die Pönalisierung und Bestrafung hochverräterischen Verhaltens als solche keine politische Verfolgung darstelle. Auf die vom Beschwerdeführer vorgetragene Folter und Misshandlung ist es nur insoweit eingegangen, als seiner Auffassung nach die Einvernahme des früheren Anwalts des Beschwerdeführers hierzu keinen Erkenntnisgewinn bringen könne und die vorgelegten ärztlich-psychologischen Stellungnahmen insoweit keinen eindeutigen Aussagegehalt aufwiesen. Damit hat es seiner Aufklärungspflicht nicht genügt. Der Beschwerdeführer hatte klar zu erkennen gegeben, dass er einen Zusammenhang zwischen der Behandlung in der Haft und dem anschließenden Strafverfahren für gegeben erachte. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb seinen Schilderungen über die erlittene Folter durch eigene Sachverhaltsermittlungen weiter nachgehen müssen. Da es hiervon abgesehen hat, entbehrt seine Wertung, dass die unterstellte Strafverfolgungsmaßnahme keinen politischen Charakter aufweise, jeder tatsächlichen Grundlage.

35

3. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Februar 2009 auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Auf das Vorliegen der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen kommt es nicht an.

36

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 wird damit gegenstandslos.

III.

37

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1995 in Damaskus geborene, ledige Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er verließ eigenen Angaben zufolge im November 2014 sein Heimatland und reiste am 26.07.2015 in das Bundesgebiet ein, wo er am 26.08.2015 einen Asylantrag stellte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge händigte ihm im Verwaltungsverfahren einen Fragebogen aus, um ihm die Möglichkeit einzuräumen, „in einem beschleunigten, schriftlichen Verfahren die Gründe für [sein] Schutzersuchen im Bundesgebiet darzulegen“. Das Ausfüllen dieses Fragebogens sei freiwillig, es bestehe aber die Möglichkeit einer „deutlichen zeitlichen Verkürzung“ des Asylverfahrens, wenn sich aus der schriftlichen Erklärung und den vorgelegten Unterlagen ergebe, dass dem Schutzersuchen stattgegeben werden könne; das Bundesamt habe in nahezu allen Fällen, in denen die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei, syrischen Staatsangehörigen Schutz gewährt. Der Kläger beantwortete in der Folge die Formularfragen schriftlich im Ankreuzverfahren. U.a. erklärte er dabei sein Einverständnis mit einer Beschränkung seines Antrags auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz, den er der Formulierung des Fragebogens zufolge ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren erhalten könne.
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 01.03.2016 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er stamme aus Dahiyat Qudsaya, Damaskus, und habe in Syrien als Koch gearbeitet. Fragen nach der Ableistung von Wehrdienst, einer Tätigkeit für die Sicherheitsbehörden oder die Polizei, der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppierung oder in einer politischen Organisation verneinte er ebenso wie die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von Kriegsverbrechen, Übergriffen auf die Zivilbevölkerung o.ä. geworden sei. Ihm sei nichts passiert; er habe befürchtet, zum Militär zu müssen, habe aber auch eine bessere Zukunft gewollt und sei deshalb nach Deutschland gereist. Ferner legte der Kläger dem Bundesamt sein syrisches Abiturzeugnis nebst Übersetzung vor sowie einen am 11.11.2015 ausgestellten Auszug aus dem Zivilregister für Personenstandsangelegenheiten. Einem entsprechenden Aktenvermerk vom 01.03.2016 zufolge hält das Bundesamt den Kläger „zweifelsohne“ für einen Syrer.
Mit Bescheid vom 09.03.2016, zugestellt am 31.03.2016, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Asylantrag im Übrigen jedoch ab. Zur Begründung hieß es, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen jedoch nicht vor. Eine begründete Furcht vor Verfolgung habe er nicht glaubhaft gemacht. Er habe sich allein auf die allgemeine Gefährdung durch den Krieg in seinem Heimatland berufen. Aus seinem Sachvortrag sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich.
Der Kläger hat am 08.04.2016 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, es liege ein objektiver Nachfluchtgrund vor, weil davon auszugehen sei, dass das syrische Regime jeden syrischen Staatsangehörigen, der das Land verlasse bzw. fliehe, als potenziellen Regimegegner betrachte. Hinzu komme, dass der Kläger auch als „fahnenflüchtig“ oder als Deserteur betrachtet werde. Im Übrigen sei den Eltern und Geschwistern des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Es sei schwer vorstellbar, dass die Familie des Klägers das Land aus „flüchtlingsrelevanten Gründen“ verlassen habe, ausgerechnet er selbst aber nicht.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend trägt sie zuletzt vor, schwerwiegende Gründe sprächen gegen die Annahme, Flüchtlingen aus Syrien drohe - ohne Hinzutreten individueller Gründe - im Fall einer Rückkehr allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Hierzu bezieht sie sich auf obergerichtliche Entscheidungen zur Zulassung von Berufungen.
11 
Der Kammer liegen die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor, auch diejenigen der Eltern des Klägers (Gesch.-Z. ...), sowie seiner Brüder A. (Gesch.-Z. ...) und Mohamad A. (Gesch.-Z. ...). Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
74 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
75 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
76 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
77 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
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Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
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http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
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Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
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bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
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(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
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Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
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(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
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Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
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Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
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(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
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Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
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Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
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Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
98 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
119 
Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
74 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
75 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
76 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
77 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
78 
Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
79 
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
80 
Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
81 
bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
82 
(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
83 
Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
84 
(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
85 
Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
86 
Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
87 
(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
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Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
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Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
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Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
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Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
119 
Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.

(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.

(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

Tenor

Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, wird das Berufungsverfahren eingestellt.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Februar 2010 - A 6 K 739/09 - geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. April 2009 verpflichtet festzustellen, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staats Volksrepublik China vorliegen.

Die Klägerin trägt 1/3 und die Beklagte 2/3 der Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die nach ihren Angaben am ... in ... (Kreis Sangri, Bezirk Lhoka) in Tibet / Volksrepublik China geborene und zuletzt wohnhafte Klägerin ist nach ihrem Vorbringen chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit. Wie sie weiter angab, reiste sie am 27.11.2008 mit dem Flugzeug von Nepal und auf weiter ungeklärte Weise in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 15.12.2008 stellte sie einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hörte sie am 12.02.2009 zu ihrem Begehren an. Sie gab an, sie habe einen älteren Bruder gehabt, der am 16.06.2008 von chinesischen Polizisten getötet worden sei. Der Bruder habe sich an diesem Tage bei ihr versteckt, nachdem er erzählt habe, die Polizei suche ihn, weil er am 10.03.2008 in Lhasa gegen China demonstriert habe. Als sie am 18.06.2008 zu ihrem Zelt zurückgekehrt sei, sei ihr Bruder verschwunden gewesen. Am 30.06.2008 habe man seine Leiche gefunden. Am 05.07.2008 seien drei Polizisten gekommen. Sie hätten sie ins Auto gezerrt und vergewaltigt. Sie hätten gesagt, ihr Bruder sei ein Reaktionär und ihr Onkel solle aufhören, den Ruf der Polizei zu zerstören. Wenn er damit nicht aufhöre, werde die Polizei dafür sorgen, dass man „ihren Leichnam nicht finde“. Am 09. und 15.07.2008 sei sie wieder von den Polizisten vergewaltigt worden. Daraufhin sei sie zu ihrem Onkel gegangen, der ihr bei der Ausreise geholfen habe. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die Anhörung verwiesen.
Mit Bescheid vom 21.04.2009 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Nr. 1). Ferner stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Es drohte der Klägerin für den Fall der Nichtbeachtung einer einmonatigen Ausreisefrist die Abschiebung in die Volksrepublik China oder einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, „insbesondere nach Nepal“, an (Nr. 4).
Mit ihrer am 07.05.2009 vor dem Verwaltungsgericht Freiburg - A 6 K 739/09 - erhobenen Klage hat die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten begehrt, den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21.04.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25.02.2010 die Beklagte verpflichtet, zugunsten der Klägerin festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot für China und Nepal gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG besteht. Die Nummern 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21.04.2009 hat es aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Klageabweisung hat es unter anderem ausgeführt, mit Gefahren, die eine politische Verfolgung begründeten, müsse die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rechnen. Aus solchen Gründen sei sie aus ihrer Heimat auch nicht ausgereist. Zwar trage die Klägerin vor, in ihrer Heimat noch immer wegen der politischen Aktivitäten ihres Bruders gefährdet zu sein. Auch könne ihr nicht widerlegt werden, dass sie tatsächlich aus Tibet stamme. Ihr Bruder sei jedoch schon seit geraumer Zeit tot; eine weitere Verfolgung von Familienangehörigen erscheine daher unwahrscheinlich und unglaubhaft. Dazu sei auch kein ausreichend schwerwiegendes politisches Gewicht ihres Bruders im tibetischen Widerstand dargetan worden. Die Klägerin habe ihrem Bruder auch nicht zugearbeitet oder ihn nachgeahmt. Die Vergewaltigung der Klägerin erscheine - solle ihrem Vorbringen insoweit überhaupt gefolgt werden - als Übergriff der Polizisten im Amt. Das Auffinden ihres Bruders in ihrem Zelt möge für die Polizisten lediglich eine Gelegenheit gewesen sein, die damit „angreifbar“ gewordene Klägerin gefügig zu machen. Das zeige auch die Wiederholung der Taten am 09.07. und 15.07.2008, die nach dem gleichen Muster abgelaufen seien, obwohl der unmittelbare „politische“ Anlass bereits entfallen gewesen sei. Damit erscheine die Klägerin nicht wegen der Ereignisse in ihrer Heimat aus politischen Gründen gefährdet. Gegen sie liege nichts vor. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft habe auch nicht wegen nachträglich eingetretener Gefahren, die ihr bei einer Rückkehr nach China drohen könnten, zu erfolgen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie illegal ausgereist sei. Für eine illegale Ausreise habe kein Anlass bestanden. Sie habe über Zentralchina ausreisen können. Soweit die Klägerin sich exilpolitisch betätigt habe, könne sie sich darauf nicht berufen, weil es sich um einen selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund handele. Abgesehen davon sei die Gefährdung wegen der exilpolitischen Betätigung dadurch wesentlich gemindert, dass ihr keine politische „Karriere“ in der Heimat vorausgegangen sei. Auch dürfte die Klägerin nicht sonderlich hervorgetreten sein. Unabhängig von der „nicht die Schwelle asylerheblicher Relevanz erreichenden“ Bedrängnis durch Polizisten bestehe zu Gunsten der Klägerin ein Abschiebungsverbot für China und Nepal im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Gericht habe den Eindruck gewonnen, dass „die dargestellten Vergewaltigungen durch Polizeibeamte einen wahren Kern enthalten“ hätten. Daran ändere es nichts, dass sie der Zahl und den Umständen nach möglicherweise übertrieben dargestellt worden seien. Eine Abschiebung sei auch nach Nepal nicht zulässig.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat die Berufung gegen das Urteil mit Beschluss vom 07.04.2011 - A 8 S 780/10 - zugelassen. In ihrem Schriftsatz vom 27.04.2010 hat die Klägerin ihre Berufung begründet. Sie ist der Ansicht, ihr sei internationaler Schutz gemäß Art. 13 RL 2004/83/EG und § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren und begründet dies mit einer Vorverfolgung in Tibet sowie mit Nachfluchtgründen, insbesondere ihrer exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Februar 2010 - A 6 K 739/09 - zu ändern, soweit es die Klage abweist, und die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. April 2009 zu verpflichten festzustellen, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staats Volksrepublik China vorliegen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Berufung zurückzuweisen.
12 
Sie ist der Auffassung, eine illegale Ausreise, ein längerfristiger Auslandsverbleib und ein als exiloppositionell eingestuftes Auftreten im Bundesgebiet begründeten bei tibetischen Volkszugehörigen aus China weder allgemein noch nach den Einzelfallgegebenheiten eine relevante Verfolgungsgefahr. Die Frage einer Gefährdung in Anschluss an eine illegale Ausreise stelle sich im Übrigen schon nicht, weil eine illegale Ausreise nicht glaubhaft sei. Die exilpolitischen Bemühungen seien nicht in nötiger Weise exponiert. Eine Gefahr der politischen Verfolgung sei auch mit Blick auf die Erlebnisse, die zur Ausreise geführt haben sollten, nicht veranlasst. Es bestehe nicht die Überzeugung von der Richtigkeit der Schilderungen. Davon unabhängig werde die Bewertung des Verwaltungsgerichts geteilt, dass keine Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale der Klägerin feststellbar sei. Ferner müsste eine Vorschädigungswiederholung mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren sein. Daran sei zu zweifeln. Es spreche Stichhaltiges gegen die Wiederholungsträchtigkeit gerade einer solchen Verfolgung, nachdem die Lage im Vorfeld der Proteste gegen die Olympischen Spiele von Peking gerade in der Provinz Tibet angespannt und das Geschehen durch das Handeln des Bruders situationsbedingt gewesen sei.
13 
Die Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung zu ihrem Schutzbegehren angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
14 
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung der Klägerin ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - begründet.
16 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der Anspruch der Klägerin auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974). Zugelassen hatte der Senat die Berufung auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Klägerin hat dieses Begehren jedoch zurückgenommen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspr.).
17 
2. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
18 
a) Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats eine chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit aus Tibet.
19 
Der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist (BVerwG, Urteil vom 12.07.2005 - 1 C 22.04 - NVwZ 2006, 99). Die Klägern ist ohne jegliche Personalpapiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat bis heute solche auch nicht vorgewiesen. Sie spricht fließend Tibetisch, doch bietet dies allein lediglich ein Indiz für die behauptete Herkunft aus der Autonomen Region Tibet in der Volksrepublik China. Denn vor allem in Indien (mit etwa um 100.000 Tibetern), daneben aber auch in Nepal und anderen Staaten gibt es eine große tibetische Exilgemeinde, die sich dort bereits über einen langen Zeitraum zusammengefunden hat. In Indien haben viele Tibeter einen gesicherten Aufenthaltsstatus; die tibetische Exilregierung ist in Dharamsala in Indien ansässig (vgl. etwa SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 6). In Nepal, wo wohl rund 20.000 Tibeter leben, gibt es für diese Zugang zu Bildung in tibetischsprachigen Schulen (SFH, a.a.O., 22.10.2004, S. 3). Die Mehrheit der Bevölkerung der im Nordosten Indiens liegenden Staaten, zu denen etwa Arunachal Pradesh gehört, ist der tibeto-burmesisch-mongolischen Ethnie zuzuordnen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 08.03.2010 an das VG Sigmaringen - A 6 K 75/09 - S. 2) Gleichwohl bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Herkunft der Klägerin aus Tibet / China. Eine behauptete Staatsangehörigkeit kann insbesondere nicht nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates nachgewiesen werden. Die Überzeugung von einer Staatsangehörigkeit kann vielmehr auch auf der Grundlage von Unterlagen, Zeugenaussagen oder sonstigen Erkenntnismitteln gebildet werden, wenngleich die häufig schwierige Feststellung einer ausländischen Staatsangehörigkeit in der Regel nicht ohne Einholung von amtlichen Auskünften oder Gutachten zur einschlägigen Gesetzeslage und Rechtspraxis in dem betreffenden Staat möglich sein dürfte, wenn Ausweispapiere oder andere Belege und Urkunden aus dem betreffenden Staat fehlen (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087). Im Fall der Klägerin lassen deren Angaben mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit (vgl. dazu grundlegend BGH, Urteil vom 17.02.1970 - III ZR 139/67 - BGHZ 53, 245 ff.) den Schluss zu, dass sie aus Tibet / China stammt. Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin angehört und ist zu der Überzeugung gekommen, sie stamme aus der Autonomen Region Tibet. Dieser Würdigung kann sich der Senat anschließen, zumal auch das Bundesamt von Anfang an die Herkunft der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt und ihr selbst die Abschiebung nach China angedroht hat. Der Senat hat die Klägerin zudem persönlich zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 angehört. Hierbei machte sie umfangreiche Angaben. Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Ihre Herkunft aus der Autonomen Region Tibet begegnet somit keinen durchgreifenden Zweifeln. Angesichts der feststehenden Herkunft der Klägerin bedarf es keiner Ermittlungen zur Gesetzeslage und Rechtspraxis in China, weil es keinem Zweifel unterliegt, dass eine seit jeher aus der Autonomen Region Tibet stammende Tibeterin die chinesische Staatsangehörigkeit inne hat, wenn sie - wie die Klägerin mit Ausnahme des insoweit bedeutungslosen Geschehens seit ihrer Ausreise im Jahre 2008 - sonst keinerlei Bezug zu anderen Staaten hat.
20 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
21 
Nach Art. 2 lit. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG.
23 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
24 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377, und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 Rn. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192).
25 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., Rn. 128). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982 <985>). Die Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
26 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschrieben Weise betroffen ist (lit. b)).
27 
bb) Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise war die Klägerin keiner Gruppenverfolgung aufgrund ihrer tibetischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Unter diesem Gesichtspunkt kann ihr die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
28 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 <249> Rn. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
29 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237 Rn. 15).
30 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O. Rn. 16; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris und vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 - juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 - juris).
31 
(2) Im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin (zweites Halbjahr des Jahres 2008) unterlagen die Volkszugehörigen der Tibeter keiner Gruppenverfolgung.
32 
(a) Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China stellte sich zu dieser Zeit nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
33 
Die Autonome Region Xizang wurde von insgesamt ca. 2,8 Millionen Menschen bewohnt (Fischer-Weltalmanach 2009, S. 101; die in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008 und vom 14.05.2009 fälschlich angegebene Zahl von ca. 6 Mio. Bewohnern tibetischer Volkszugehörigkeit erfasst in etwa die Zahl der ethnischen Tibeter in ganz China; so zutreffend noch der Lagebericht vom 08.11.2005 und wieder der Lagebericht vom 10.07.2010). Tibeter lebten auch in Grenzgebieten der Nachbarprovinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. Ihr Lebensstandard hatte sich zwar durch massive Finanztransfers der Zentralregierung erheblich verbessert, doch lag ihre Lebenserwartung nach wie vor unter, die Kindersterblichkeit über dem Landesdurchschnitt. Wie alle anderen nationalen Minderheiten genossen die Tibeter einige Freiheiten, wie zum Beispiel eine Ausnahme von der Ein-Kind-Politik. Echte Einflussmöglichkeiten auf die Politik wurden ihnen jedoch kaum eingeräumt. Obwohl die Tibeter in der Autonomen Region im Vergleich zu den Han-Chinesen die Mehrheit bildeten, waren Schlüsselpositionen überwiegend mit Han-Chinesen besetzt. Die individuelle Religionsausübung buddhistischer Laien war in Tibet weitgehend gewährleistet, dagegen unterlag der Lamaismus Restriktionen. Diese bestanden zum Beispiel in der Verhinderung von Klosterbeitritten vor Vollendung des 18. Lebensjahres und in der Beschränkung der Anzahl von Mönchen und Nonnen auf das „für die normale religiöse Versorgung der Bevölkerung erforderliche Maß“ (laut Weißbuch Tibet 2009 waren das ca. 46.000 Mönche und Nonnen, sowie 6.000 Novizen). Mönche und Nonnen mussten regelmäßig „sozialistische Schulungskampagnen“ durchlaufen. Bilder des Dalai Lama durften öffentlich nicht gezeigt werden. Der Privatbesitz solcher Bilder war nach offiziellen Angaben erlaubt. Dennoch berichteten Menschenrechtsorganisationen von Haftstrafen. Den offiziellen Besuchern religiöser Institutionen war eine - wenngleich kontrollierte - Religionsausübung möglich. Offizielle Angaben über die genaue Zahl tibetischer politischer Gefangener lagen nicht vor. Vor allem nach den Unruhen im März 2008 waren auch Schätzungen schwer zu treffen. Einem am 21.06.2008 in der China Daily erschienenen Bericht zufolge wurden 4.434 Tibeter im Zuge der Märzproteste festgenommen, 3.027 allerdings kurze Zeit später wieder freigelassen. Einige Nichtregierungsorganisationen gingen von mehr als 6.000 Verhaftungen aus. Als Folge der Unruhen gab es nach offiziellen Angaben 21 Todesopfer (darunter ein Polizist) und 523 Verletzte (darunter 241 Polizisten). 42 Personen wurden verurteilt, 116 erwarteten noch ihren Prozess. Dem Auswärtigen Amt lagen hierzu keine gesicherten eigenen Erkenntnisse vor. Nach Berichten von Nichtregierungsorganisationen flohen weiterhin jedes Jahr mehrere tausend Tibeter aus religiösen Gründen über die Grenze nach Nepal und weiter nach Indien. Nicht alle erreichten ihr Ziel, denn die chinesischen Behörden versuchten die illegalen Grenzgänger - zum Teil mit allen Mitteln - von ihrem Vorhaben abzuhalten. Nach Informationen des Tibetischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) wurden am 18.10.2007 drei Personen einer 46 Tibeter zählenden Flüchtlingsgruppe von chinesischen Grenzsoldaten festgenommen. Neun Tibeter wurden vermisst, nachdem die Grenzpolizei das Feuer auf die Gruppe eröffnet hatte. Dem im Exil lebenden Dalai Lama wurde von Peking weiterhin vorgehalten, unter dem Deckmantel der Verfolgung religiöser Ziele die Unabhängigkeit Tibets zu betreiben. Die Zentralregierung beanspruchte mit der „Verwaltungsmaßnahme für die Reinkarnation Lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus“ vom 01.09.2007 auch außerhalb der Autonomen Region das alleinige Recht, über die Einsetzung buddhistischer Würdenträger zu entscheiden. Von ICT (Internationale Kampagne für Tibet) wurde befürchtet, dass die chinesische Staatsführung damit gezielt eine weitere Schwächung der Autorität anerkannter Glaubensführer des tibetischen Buddhismus anstrebte. Nachdem die Beschränkungen des tibetischen Buddhismus zu Beginn des Jahres 2008 einen neuen Höhepunkt erreicht hatten, kam es zu einer Reihe von Protesten in der Region. Beginnend mit einem Marsch von schätzungsweise 300 Mönchen aus dem Kloster Depung am 10.03.2008 in Lhasa, verbreiteten sich die Proteste über die gesamte Autonome Region und auch in Gegenden außerhalb. Die Demonstranten forderten Religionsfreiheit, die Unabhängigkeit Tibets, die Freilassung des Panchen Lama und die Rückkehr des Dalai Lama. Die Regierung machte den Dalai Lama für die Ausschreitungen verantwortlich. Die verstärkte Präsenz chinesischer Sicherheitskräfte in Tibet dauerte an (vgl. Lagebericht des AA vom 14.05.2009, Stand Februar 2009, S. 15 f.).
34 
Am 30.10.2007 erklärte das Auswärtige Amt gegenüber dem Verwaltungsgericht Ansbach (Gz. 508-516.80/45113), tibetische Volkszugehörige müssten in China nicht mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit einzig aus dem Grund rechnen, dass sie tibetischer Volkszugehörigkeit seien, solange sie nicht gegen die einschlägigen Religionsbestimmungen verstießen und sich nicht politisch gegen die Regierung engagierten. Die Unruhen vom März 2008 führten nach der Auskunftslage insoweit zu keiner durchgreifenden Änderung. Unter dem 15.07.2008 teilte das Auswärtigen Amt dem Verwaltungsgericht Regensburg mit (Gz. 508-516.80/45438), ihm lägen keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige vor, weder eingeleitet noch kurz bevorstehend.
35 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin im Juli 2008 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der Tibeter schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde die Volksgruppe der Tibeter nicht gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen.
36 
cc) Nach den überzeugenden individuellen Einlassungen der Klägerin zu den Geschehnissen vor ihrer Ausreise war sie allerdings einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und damit einer anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt.
37 
(1) Die Klägerin hat bei der Bundesamtsanhörung wie auch vor dem Verwaltungsgericht von Vergewaltigungen durch chinesische Polizisten am 05., 09. und 15.07.2008 berichtet. In diesem Zusammenhang hätten die Beamten geäußert, ihr - besonders im März 2008 politisch aktiver und im Juni 2008 tot aufgefundener - Bruder sei ein Reaktionär, und ihr Onkel solle aufhören, den Ruf der Polizei zu zerstören. Wenn er damit nicht aufhöre, werde die Polizei dafür sorgen, dass man „ihren Leichnam nicht finde“.
38 
(2) Bei den geschilderten Erlebnissen handelt es sich um Vorgänge im Verfolgerland, hinsichtlich derer sich die Klägerin in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet und für die daher eine „Glaubhaftmachung“ im Rahmen der - gleichwohl nach Maßgabe des § 108 Abs. 1 VwGO gebotenen - richterlichen Überzeugungsbildung genügt (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71,180). Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Entscheidungsgründe seines Urteils bei der Anhörung der Klägerin den Eindruck gewonnen, dass die Darstellung der Vergewaltigungen durch Polizeibeamte einen „wahren Kern“ enthalten habe. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die Übergriffe der Zahl und den Umständen nach möglicherweise übertrieben geschildert worden seien. Die Klägerin habe mit einem gewissen Ernst und einer noch spürbaren Betroffenheit von dem Vorfall berichtet. Ihr Vorbringen erscheine glaubhaft. Die Klägerin sei bei ihrer Schilderung den Tränen nahe gewesen. Diesem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiserhebung schließt sich der Senat an. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht nur dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für die Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.11.2001 - 1 B 297.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 251). Zu einer abweichenden Glaubwürdigkeitsbeurteilung sieht der Senat indes keinen Anlass. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen zu den als Grund der Ausreise genannten Vorfällen im Heimatland der Klägerin, die eine erneute Anhörung geböten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 12.06.2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524, und vom 22.11.2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487; BGH, Urteil vom 09.03.2005 - VIII ZR 266/03 - NJW 2003, 1583 <1584>; jeweils zu § 529 ZPO).
39 
(3) Der Senat ordnet die Vergewaltigungen durch Polizisten jedoch insoweit rechtlich anders ein als das Verwaltungsgericht, als er sie - ohne dabei die Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen in Frage zu ziehen - dem Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG zuordnet. Die von der Klägerin geschilderten Vergewaltigungen stellen relevante Verfolgungsmaßnahmen dar. Es handelt sich insoweit um die Anwendung physischer beziehungsweise sexueller Gewalt im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 und 5 AufenthG, Art. 9 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 lit. a) RL 83/2004/EG. Es besteht auch die erforderliche Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 83/2004/EG genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 83/2004/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen (vgl. Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 lit. c) RL 83/2004/EG). Die Vergewaltigungen knüpften an die „Rasse“ der Klägerin im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. a) RL 83/2004/EG an. Der Begriff der „Rasse“ umfasst nach dieser Bestimmung insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe. Der Senat ist davon überzeugt, dass nach dem Ergebnis der vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme die Vergewaltigungen in der im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Weise mit der tibetischen Volkszugehörigkeit der Klägerin verknüpft sind. Das Verwaltungsgericht war insoweit sinngemäß der Auffassung, die Übergriffe seien als Akte amtlicher Willkür anzusehen, die durch den tibetisch-chinesischen Dauerkonflikt - gerade im Klima der allgemeinen Unruhe und Gereiztheit des Jahres 2008 - begünstigt worden seien, die Klägerin aber nicht „aus politischen Gründen“ getroffen hätten. Dies sieht der Senat anders. Es muss zwar davon ausgegangen werden, dass sexuelle Übergriffe durch chinesische Beamte als Willkürakte in ganz China vorkommen. Berichte über Folter und Misshandlung etwa in chinesischen Gefängnissen sind bezogen auf das ganze Land bekannt (vgl. etwa amnesty international, ai Report 2011, S. 134). Gerade für Tibet wird von Misshandlungen, auch sexueller Art beziehungsweise in Form von Vergewaltigungen, berichtet (TID e.V., Stellungnahme vom 28.02.2006, S. 2, und Auswärtiges Amt vom 10.03.2006, Nr. 5, an VG Bayreuth - B 5 K 05.30078 -; BAMF, Volksrepublik China - Tibeter im Konflikt mit dem Staat, März 2008, S. 8). Ausgehend von der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin jedenfalls auch deshalb Opfer der Vergewaltigungen wurde, weil sie (als Tibeterin) in den tibetisch-chinesischen Konflikt verwickelt war, knüpften die Taten aber in ihrem Fall durchaus an die Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe der Tibeter an.
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Die Taten sind der Volksrepublik China zurechenbar. Verfolgungen Dritter sind dem Staat zuzurechnen, wenn er nicht mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt; hierbei ist freilich zu bedenken, dass es keiner staatlichen Ordnungsmacht möglich ist, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 - BVerfGE 80, 315 <334, 336>; Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 - BVerfGE 83, 216 <235>). Bei vereinzelten Exzesstaten von Amtswaltern kann in Betracht kommen, dass diese dem Staat nicht zugerechnet werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O. <352>). Der bloße Umstand, dass bestimmte Maßnahmen der Rechtsordnung des Herkunftsstaats widersprechen, berechtigt aber noch nicht dazu, sie als Amtswalterexzesse einzustufen. Vielmehr bedarf es entsprechender verlässlicher tatsächlicher Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20.05.1992 - 2 BvR 205/92 - NVwZ 1992, 1081 <1083> und vom 08.06.2000 - 2 BvR 81/00 - InfAuslR 2000, 457 <458>). Andernfalls bleibt das Handeln der Sicherheitsorgane dem Staat zurechenbar (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14.05.2003 - 2 BvR 134/01 - DVBl 2003, 1260 m.w.N.). Ausgehend davon bleiben die hier in Rede stehenden Handlungen der Polizisten dem Staat Volksrepublik China zurechenbar. Verlässliche tatsächliche Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten, hat die Anhörung nicht erbracht (vgl. zu den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren auch § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a)-c) AufenthG).
41 
Unter diesen Umständen sprechen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Autonome Region Tibet erneut von solcher Verfolgung wie vor ihrer Ausreise bedroht wäre. Allein der zeitliche Abstand seit dem Tod ihres Bruders lässt einen derartigen Schluss nicht zu, zumal die erlittenen Vergewaltigungen erst nach der Tötung des Bruders einsetzten.
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Die Klägerin kann auch nicht auf eine inländische Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 a. E. AufenthG) verwiesen werden. Eine solche setzt voraus, dass der Schutzsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Auf einen landesinternen Vergleich zum Ausschluss nicht verfolgungsbedingter Nachteile und Gefahren kommt es im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG dabei nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = NVwZ 2008, 1246).
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Die Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach China - abgesehen von den Nachfluchtgründen (siehe dazu unten) - im ganzen Staatsgebiet zumindest von anderen Nachteilen und Gefahren bedroht, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Nach Auskunft der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zu dem Asylverfahren B 5 K 05.30078 haben Tibeter ohne Chinesischkenntnis, zu denen die Klägerin gehört, keine Chance, sich eine Lebensgrundlage aufzubauen. Sie fielen überall auf und machten sich „verdächtig“. Auch unter gewöhnlichen chinesischen Bürgern seien die Ressentiments gegenüber den Tibetern sehr groß. Nur durch eine besonders große Anpassung an die chinesische Kultur und Ideologie könnten diese Ressentiments abgeschwächt werden, doch dazu sei die Beherrschung der chinesischen Sprache Voraussetzung. Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg (Gz. 508-516.80/45438) ist das Ausmaß von Verfolgungshandlungen gegen tibetische Volkszugehörige allgemein sehr viel höher als gegen andere Volksgruppen (mit Ausnahme von uigurischen Volkszugehörigen). Vom Anstieg der oftmals willkürlichen Kontrollmaßnahmen in jüngster Zeit seien tibetische Volksangehörige besonders betroffen. So sei am 09.07.2008 eine britische Staatsangehörige tibetischer Herkunft, die in Peking als Sprachdozentin tätig gewesen sei, morgens auf dem Weg zur Arbeit von Sicherheitskräften aufgegriffen und (ohne erkennbare Anhaltspunkte) unter dem Vorwurf separatistischer Tätigkeiten auf der Stelle und unter Polizeibegleitung ausgewiesen worden. Nach dieser Erkenntnislage scheidet eine inländische Fluchtalternative für die Klägerin mangels Zumutbarkeit aus.
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d) Unabhängig von einer Vorverfolgung muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nunmehr aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung bedroht wird.
45 
aa) Es besteht allerdings nach wie vor keine Situation, in der die Klägerin für den Fall ihrer Rückkehr eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tibetern gewärtigen müsste. Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs der Klägerin von Bedeutung ist - stellt sich im November 2011 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen im Hinblick auf eine mögliche Gruppenverfolgung im Wesentlichen unverändert dar. So gibt das Auswärtige Amts in seiner Auskunft vom 16.06.2010 (Gz. 508-516.80/46446) an das Verwaltungsgericht Regensburg an, hinsichtlich der mit Schreiben vom 15.07.2008 dargestellten Situation („keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige“) hätten sich bezüglich der Gefahrdung tibetischer Volkszugehöriger keine Änderungen ergeben. Der Report 2011 von amnesty international gibt lediglich an, Tibeter seien „weiterhin Repressionen ausgesetzt“. Für eine systematische Verfolgung von Tibetern allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es danach auch zum jetzigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte.
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bb) Die Klägerin ist aber wegen ihrer den chinesischen Behörden möglicherweise bekanntgewordenen Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit ihrer illegalen Ausreise aus China, der Asylantragstellung und ihrem mehrjährigen Verbleib im Ausland einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ ausgesetzt.
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(1) Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 23.01.1991, a.a.O.) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 20.06.1995 - 9 C 294.94 - NVwZ-RR 1996, 57 m.w.N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volks- oder Berufsgruppe oder zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern - jedenfalls in manchen Fällen - nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.02.1996 - 9 B 14.96 - DVBl 1996, 623 m.w.N.).
48 
(2) Zur Behandlung von Personen, die nach China zurückkehren, enthält der Lagebericht des Auswärtigen Amtes Angaben. Soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die zurückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Vereinzelte Nachverfolgungen von Rückführungen durch die deutsche Botschaft in Peking hätten keinen Hinweis darauf ergeben, dass abgelehnte Personen, allein weil sie einen Asylantrag gestellt hätten, politisch oder strafrechtlich verfolgt würden. Ein Asylantrag allein sei nach chinesischem Recht kein Straftatbestand. Aus Sicht der chinesischen Regierung komme es primär auf die Gefahr an, die von der einzelnen Person für Regierung und Partei ausgehen könnte. Formale Aspekte wie etwa Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation oder eine Asylantragstellung seien nicht zwangsläufig entscheidend. Personen, die China illegal, das heiße unter Verletzung der Grenzübertrittsbestimmungen verlassen hätten, könnten bestraft werden. Es handele sich um ein eher geringfügiges Vergehen, das - ohne Vorliegen eines davon unabhängigen besonderen Interesses an der Person - keine politisch begründeten, schweren Repressalien auslöse. Nach § 322 chin. StGB könne das heimliche Überschreiten der Grenze unter Verletzung der Gesetze bei Vorliegen ernster und schwerwiegender Tatumstände mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, Gewahrsam oder Überwachung und zusätzlich einer Geldstrafe bestraft werden. Es werde nach bisherigen Erkenntnissen in der Praxis aber nur gelegentlich und dann mit Geldbuße geahndet (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 36). Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes befasst sich auch mit exilpolitischen Aktivitäten. Besondere Aufmerksamkeit widme die chinesische Führung führenden Mitgliedern der Studentenbewegung von 1989, soweit sie noch im Ausland aktiv seien. Dies gelte auch für bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich gegen die chinesische Regierung oder deren Politik Stellung bezögen und eine ernst zu nehmende Medienresonanz in Deutschland oder im westlichen Ausland hervorriefen sowie für Angehörige ethnischer Minderheiten, sofern sie nach chinesischem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen seien. Eine Überwachung oder sogar Gerichtsverfahren gegen diese Personen seien bei Rückkehr in die Volksrepublik China nicht auszuschließen. Aktivitäten der uigurischen Exilorganisationen stünden unter besonderer Beobachtung der chinesischen Behörden (einschließlich der Auslandsvertretungen). Insbesondere: die Ostturkistanische Union in Europa e.V., der Ostturkistanische (Uigurische) Nationalkongress e.V. sowie das Komitee der Allianz zwischen den Völkern Tibets, der Inneren Mongolei und Ostturkistans. Aufklärung über und Bekämpfung der von extremen Vertretern der uigurischen Minderheit getragenen Ostturkistan-Bewegung zählten zu den obersten Prioritäten des Staatsschutzes. Anhänger dieser Bewegung würden mit unnachgiebiger Härte politisch und strafrechtlich verfolgt. Mitglieder uigurischer Exilorganisationen hätten bei ihrer Rückkehr nach China mit Repressionen zu rechnen. Von detaillierten Kenntnissen des Ministeriums für Staatssicherheit über Mitglieder der exilpolitischen uigurischen Organisationen sei auszugehen. Die Beteiligung an einer Demonstration für die Belange einer als staatsgefährdend bewerteten Organisation wie der Ostturkistan-Bewegung reiche aus, um sich nach chinesischem Recht strafbar zu machen. Eine Führungsfunktion in einer solchen Organisation wirke strafverschärfend. Das Strafmaß für eine solche Person richte sich dabei danach, wie schwerwiegend die von den Angeschuldigten ausgehende Gefahr für den Bestand des Staates aus Sicht der strafverfolgenden Behörden einzuschätzen sei. Auch in den aus europäischer Sicht „friedlichen Unabhängigkeitsbestrebungen“ einzelner Organisationen sehe die chinesische Führung Angriffe auf die staatliche Einheit Chinas und damit eine Gefährdung für die allgemeine Sicherheit. Gewaltfreies Eintreten für eine Sache schütze nicht vor harten Strafen. Es seien bisher keine Fälle von ehemaligen Mitgliedern oder Vorstandsmitgliedern exilpolitischer uigurischer Organisationen aus Deutschland bekannt geworden, die nach China zurückgekehrt seien. Berichtet werde jedoch über Fälle von Abschiebungen nach China aus anderen Ländern Asiens mit anschließender Folter oder Verurteilung (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 26). Speziell zu exilpolitischen Aktivitäten tibetischer Volkszugehöriger verhält sich der Lagebericht nicht.
49 
Im Lagebericht vom 08.11.2005 (Stand Oktober 2005, S. 22) ist allerdings noch ausgeführt, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet gewesen seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell „illegaler Grenzübertritt“ (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien inzwischen wieder frei. Nichtregierungsorganisationen berichteten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen.
50 
Laut Auskunft vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg - RN 11 K 06.30224 - sind nach Einschätzung des Auswärtiges Amtes für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Dem Auswärtigen Amt seien allerdings in jüngerer Zeit keine entsprechenden Fälle bekannt geworden. Diese Handlungen seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt, gemäß Art. 10 a.a.O. könnten Auslandstaten nach Rückkehr in China verfolgt werden.
51 
In dem Gutachten der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 18.07.2002 an das Verwaltungsgericht Münster - 1 K 1254/98.A - heißt es unter anderem, es sei nicht bekannt, ob bereits asylsuchende Tibeter aus Deutschland zurückgeschickt worden seien. Tibeter, die nach ihrer Flucht und einem Aufenthalt in Indien oder Nepal „freiwillig“ nach Tibet zurückkehrten, müssten jedoch genauso heimlich, wie sie Tibet verlassen hätten, auch dorthin zurückkehren. Wenn sie beim Grenzübertritt „erwischt“ würden, verschwänden sie in Gefängnissen und Arbeitslagern, oft unauffindbar. Dass die Haftbedingungen in China, die Folter mit einschlössen, eine Lebensgefahr darstellten, sei bekannt. Selbst nach der Freilassung würden Gefangene beständig bespitzelt und drangsaliert und bei jedem wirklichen oder angeblichen Vorkommnis, wie zum Beispiel einer Demonstration, Plakatierung etc., unter dem Verdacht der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ erneut verhaftet. Die gleiche Behandlung sei auch bei Tibetern zu erwarten, die versucht hätten, im Ausland Asyl zu bekommen.
52 
In der Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 wird ausgeführt, (eine Tibeterin müsse) sogar schon deshalb, weil sie in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt habe, (…) in China mit strafrechtlichen Maßnahmen rechnen. Tibeter, die das Land auf dem Fluchtweg verlassen hätten, würden nicht als Flüchtlinge, sondern als illegale Immigranten angesehen. In China drohten ihnen wegen Landesverrats schwere Strafen. Dagegen drohe ein solches Schicksal Han-Chinesen nicht. Sie würden im schlimmsten Fall mit Geldstrafen belegt. Ein Beispiel für die Folgen, die tibetischen „Rückkehrern“ blühten, sei der Fall einer Gruppe von 18 tibetischen Jugendlichen, die im Jahr 2002 in Nepal wegen fehlender Papiere inhaftiert worden seien. Nachdem sie mehrere Monate im Dili Bazar Gefängnis von Kathmandu/Nepal gesessen hätten, seien sie am 31.05.2003 von chinesischen Beamten dort abgeholt worden. Mit Einverständnis der nepalischen Behörden seien sie zur Grenze gebracht und von dort nach Tibet repatriiert worden. Ein junger Flüchtling der Gruppe, der sich habe frei kaufen können, habe erneut die Flucht riskiert und befinde sich in Indien. Sein Bericht bezeuge, wie es den jugendlichen Tibetern ergangen sei und mache deutlich, wie groß die Gefahr für alle sei, die repatriiert würden.
53 
Vom Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel liegt eine Stellungnahme an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach vom 11.02.2007 - AN 14 K 05.31454 - vor. Darin heißt es, Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, müssten mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen (S. 2). An anderer Stelle wird ausgeführt, Personen, die aus dem Ausland zurückkehrten, stießen zumeist auf geballtes Misstrauen - und zwar sogar dann, wenn sie die Volksrepublik China mit offizieller Genehmigung verlassen hätten. Seien sie unerlaubt ausgereist, hätten sie ohnehin einen der in Kapitel 6, Abschnitt 3 (§§ 308-323 chin. StGB) aufgeführten Straftatbestände erfüllt. So werde beispielsweise gemäß § 322 chin. StGB mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft, wer unerlaubt die Staatsgrenze übertrete. Auch Personen, die mit behördlicher Erlaubnis das Land verlassen hätten (und dann wieder zurückgekehrt seien), hätten nicht selten mit Sanktionen zu rechnen. Verhaftet worden seien beispielsweise im Juni und im August 2004 mehrere aus Indien zurückkehrende Tibeter (Zahl unbekannt), ohne dass in der Öffentlichkeit dafür Gründe angegeben worden wären. Im Juni 2004 seien vier Rückkehrer festgenommen worden (genauer Grund unbekannt). Im November 2003 sei ein Rückkehrer zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er Schriften des Dalai Lama mit sich geführt habe. Wer im Ausland gar an Demonstrationen oder Flugblattaktionen teilgenommen habe, sei überdies im Sinne des § 103 chin. StGB (Spaltung des Staates) schuldig. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe er dann die dort aufgeführten Gefängniskonsequenzen zu tragen (S. 2).
54 
Nach dem Gutachten des Klemens Ludwig vom 23.05.2011 an das Verwaltungsgericht Stuttgart - A 11 K 4958/10 - ist das Mindeste, womit Tibeter rechnen müssen, die nach illegalem Verlassen in das Hoheitsgebiet der Volksrepublik China zurückkehren, eine verschärfte Überwachung. Aufgrund der weit verbreiteten Willkür seien auch Maßnahmen, die den Charakter von politischer Verfolgung hätten, wie Inhaftierung und eventuelle Folter, nicht auszuschließen (S. 12 GA). Die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland (oder anderswo) werde von den Behörden der Volksrepublik China zwar als feindlicher Akt betrachtet, doch zeige die Praxis, dass asylsuchende Chinesen - sofern sie nicht verfolgten Gruppen wie Falun Gong oder der romtreuen katholischen Kirche angehörten - in der Regel bei einer Rückkehr unbehelligt blieben. Für asylsuchende Tibeter liege der Fall aufgrund der besonderen Willkür anders. Für sie könne ein Asylantrag auch als „separatistische Haltung“ ausgelegt werden, so dass von einer Verfolgung ausgegangen werden könne. Die Maßnahmen reichten von Verhören über Verhaftung bis hin zu Haftstrafen und Folter (ebenfalls S. 12 GA).
55 
(3) Die genannten sowie alle weiteren vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse (siehe dazu im Folgenden) rechtfertigen den Schluss, dass für die Klägerin aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr besteht.
56 
Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats illegal aus China ausgereist. Nach der persönlichen Anhörung der Klägerin durch den Senat vermittelten die Angaben zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 den Eindruck, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Manche Einzelheiten wurden zwar bloß vage, stereotyp und wenig nachvollziehbar dargestellt. Dies trübt das gewonnene Bild aber nicht entscheidend, zumal entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nach der Erkenntnislage eine legale Ausreise aus China für tibetische Volkszugehörige keineswegs unproblematisch - und damit die Mühsal einer illegalen Grenzüberquerung auch nicht von vornherein unnötig - ist. So ist eine legale Ausreise nach der Auskunft des Tibet Information Network vom 24.07.2006 (Nr. 3) - obwohl „im Prinzip möglich“ - faktisch mit vielen Schikanen verbunden und oft schlichtweg unmöglich. Nach Auskunft der SFH vom 28.01.2009 (Situation ethnischer und religiöser Minderheiten, S. 3) können Tibeter das Land kaum noch verlassen. Nach Informationen des U.S. Department of State werden Passanträge von Tibetern häufig abgelehnt; manchmal könne dies durch Bestechung geändert werden, manchmal bleibe es bei der Ablehnung (International Religious Freedom Report July-December 2010, Tibet, sec. II). Auch nach einer weiteren Quelle ist es für Tibeter generell - unabhängig von ihrer politischen Meinung - schwierig, einen Reisepass zu erhalten (Klemens Ludwig, Gutachten vom 23.05.2011 S. 7). Der Senat wertet auch diese Erkenntnisse als Indiz dafür, dass die Klägerin tatsächlich illegal ausgereist ist. Nach Abschluss ihres Reisewegs hat die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt und sich anschließend hier für einen mehrjährigen Zeitraum - mittlerweile über drei Jahre - aufgehalten.
57 
Die Klägerin hat sich zudem nach ihren - zur Überzeugung des Senats zutreffenden, von der Beklagten auch nicht in Frage gestellten - Angaben im Bundesgebiet jedenfalls in folgender Weise für die Angelegenheiten der Tibeter öffentlich betätigt: Am 10.03.2009 nahm sie - belegt mit Fotos von dieser Veranstaltung - an einer von der Tibetinitiative Deutschland e.V. und dem Verein der Tibeter in Deutschland e.V. organisierten Mahnwache vor dem chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main teil. An der Mahnwache waren nach Angaben der Klägerin ca. 70 Personen beteiligt, wobei Transparente für die Freiheit Tibets und tibetische Fahnen gezeigt wurden. Es gab Sprechchöre für die Freiheit Tibets und für den Dalai Lama. Die tibetischen Teilnehmer sangen tibetische Lieder. Aus dem Generalkonsulat heraus sollen die Teilnehmer fotografiert worden sein. Anschließend nahm die Klägerin am gleichen Tag an einer Kundgebung ab 16 Uhr auf dem Frankfurter Römerberg teil. Am 29.08.2009 beteiligte sich die Klägerin - ebenfalls belegt mit Fotos sowie mit einer Teilnahmebestätigung der Tibet Initiative Deutschland e.V., datierend vom gleichen Tag - an einer Aktion zum „Internationalen Tag der Verschwundenen“ auf dem Marienplatz in München. Am 14.10.2009 war die Klägerin Teilnehmerin einer Mahnwache für die Freiheit Tibets in Freiburg. Hierzu hat sie das Einladungsschreiben der Organisatoren vom 12.10.2009 vorgelegt. Am 10.03.2011 nahm die Klägerin - wiederum fotografisch dokumentiert - an einer Kundgebung anlässlich des Jahrestages der Niederschlagung des Volksaufstandes in Tibet vor dem Generalkonsulat Chinas teil. Die Teilnehmer der Kundgebung sollen aus dem Generalkonsulat heraus fotografiert und gefilmt worden sein.
58 
Das bei der Klägerin gegebene Nachfluchtgeschehen begründet jedenfalls in der Gesamtschau mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung in der Volksrepublik China. Die Erkenntnislage hat sich gegenüber dem Stand bei Erlass des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom 19.03.2002 (A 6 S 150/01, juris m.w.N. aus der älteren Rechtsprechung auch anderer Obergerichte) in einigen wesentlichen Punkten verändert. In der genannten Entscheidung wurde noch davon ausgegangen, dass weder ein exilpolitisches Engagement (untergeordneter Art) noch eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung oder ein Zusammentreffen dieser Gesichtspunkte eine beachtliche Verfolgungsgefahr begründe. Hieran ist nicht uneingeschränkt festzuhalten. Für tibetische Volkszugehörige aus der Volksrepublik China besteht aus jetziger Sicht nach der Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland die beachtliche Gefahr einer Verfolgung durch den chinesischen Staat jedenfalls dann, wenn eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung und ein mehrjähriger Auslandsverbleib hinzukommen und wenn die Möglichkeit besteht, dass das exilpolitische Engagement den chinesischen Behörden bekanntgeworden ist (ähnlich VG Wiesbaden, Urteil vom 12.10.2006 - 2 E 717/05.A -; VG Stuttgart, Urteil vom 01.10.2007 - A 11 K 141/07 -; VG Bayreuth, Urteil vom 20.12.2007 - B 5 K 07.30034 - juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.10.2009 - A 6 K 3223/08 -). Hiervon ist im Fall der Klägerin auszugehen. Insbesondere erscheint es möglich, dass chinesische Behörden belastende Daten über die Klägerin gesammelt haben, nachdem sie mehrmals öffentlich in der Nähe des chinesischen Generalkonsulats für ein unabhängiges Tibet demonstriert hat (vgl. Gutachten von TibetInfoNet an VG Bayreuth vom 24.07.2006 Rn. 5, wonach Botschaftsangehörige alle wesentlichen Demonstrationen gegen das Regime beobachten). Ob bereits allein eine illegale Ausreise aus der Volksrepublik China tibetische Volkszugehörige einer beachtlichen Verfolgungsgefahr aussetzt, kann offen bleiben (verneinend: Sächs. OVG, Urteil vom 26.06.2008 - A 5 B 263/07 - juris; bejahend Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 - E-6706/2008 - S. 9 ff. <14>; ebenso Urteil vom 27.01.2010 - D-7334/2009 - S. 12; abrufbar über http://www.bvger.ch/; Foltergefahr bejahend VG Bayreuth, Urteil vom 17.12.2007 - B 5 K 07.30073 - juris; entscheidend oder zumindest auch auf einen längeren Auslandsverbleib als solchen abstellend VG Mainz, Urteil vom 13.08.2008 - 7 K 779/07.MZ - juris; VG Gießen, Urteil vom 04.11.2008 - 2 E 3926/07.A -; VG Würzburg, Urteil vom 20.11.2009 - W 6 K 08.30173 -). Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes lässt sich entnehmen, dass der chinesische Staat Angehörigen ethnischer Minderheiten besondere Aufmerksamkeit widmet, sofern sie nach seinem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen sind. Entscheidender Anknüpfungspunkt für eine Verfolgungsgefahr bei tibetischen Volkszugehörigen ist der Separatismusverdacht (siehe Gutachten Klemens Ludwig vom 23.05.2011, S. 12: drohende Verfolgung bei „separatistischer Haltung“; ebenso: Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 a.a.O. <14>). Ist dieser Verdacht aus Sicht chinesischer Behörden stark, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung. Der schwerwiegendste Auslöser für einen Separatismusverdacht ist nach Auswertung der dem Senat vorliegenden Informationen die exilpolitische Betätigung. Dies betont insbesondere die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg, wonach für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen sind, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Solche Handlungen - entsprechende Auslandstaten könnten nach Rückkehr in China verfolgt werden - seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt. Die Auskunft stellt nicht darauf ab, dass nur exponierte Vertreter der tibetischen Exilgemeinde bedroht seien. Soweit es an Referenzfällen fehlt, kann dies nicht als Beleg für das Fehlen einer beachtlichen Gefahr dienen, da Rückführungen von Tibetern nach China nicht bekannt sind und es damit auch an Beispielen für eine verfolgungsfreie Rückkehr fehlt. Auch der Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel hebt in seiner Stellungnahme vom 11.02.2007 (an VG Ansbach, S. 2) hervor, dass Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen müssten. Ob ein exilpolitisches Engagement bei pro-tibetischen Veranstaltungen der von der Klägerin besuchten Art für sich genommen für Tibeter grundsätzlich - auch wenn keine exponierte Stellung und kein ausgeprägt „politisches Wesen“ bescheinigt werden können - bereits eine Verfolgungsgefahr hervorruft, muss nicht entschieden werden (bejahend VG Würzburg, Urteil vom 22.06.2007 - W 6 K 07.30033 - juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 06.05.2009 - A 1 K 2242/08 -; VG Minden, Urteil vom 20.01.2010 - 4 K 2087/07.A - juris; VG Trier, Urteil vom 01.09.2011 - 5 K 366/10.TR -; Asylgerichtshof Österreich, Entscheidung vom 04.06.2009 - C1 313330-1/2008/8E, abrufbar über http://www.ris.bka.gv.at/; für den Fall einer bereits vor Ausreise ausgeübten und im Ausland fortgesetzten politischen Betätigung auch VG Ansbach, Urteil vom 19.03.2008 - AN 14 K 05.31454 - juris). Denn zahlreiche Erkenntnisquellen besagen, dass ein Separatismusverdacht auch durch die Gesichtspunkte illegale Ausreise, Asylantragstellung und mehrjähriger Auslandsverbleib hervorgerufen beziehungsweise verstärkt werden kann (neben den an anderen Stellen bereits genannten etwa TID e.V. vom 18.07.2002; Gottwald vom 16.11.2004 an VG Mainz; Auswärtiges Amt vom 10.03.2006 an VG Bayreuth; TibetInfoNet vom 24.07.2006 an VG Bayreuth). Betrachtet man die bei der Klägerin bestehenden Gefährdungsmomente in ihrer Summe, so muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin als (vermeintliche) Separatistin in China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht ist. Dabei wird nicht verkannt, dass manche Quellen im Zusammenhang mit einer illegalen Ausreise nur die Gefahren schildern, die sich für Personen ergeben, die an der Grenze zu Nepal aufgegriffen oder direkt von dort zurückgeführt werden. Auch stellt der Senat in Rechnung, dass manche der ausgewerteten Quellen der tibetischen Exilbewegung nahestehen und daher teils eher einseitig gehalten sind. Gleichwohl ergibt sich auch bei entsprechender Herabstufung des Beweiswerts solcher Erkenntnismittel noch das hier zugrundegelegte Gefährdungsbild. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung lässt sich auch nicht mit Verweis auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 (bestätigt mit weiterer Auskunft vom 16.06.2010) verneinen. Dabei handelt es sich um die Antwort auf die Anfrage des VG Regensburg vom 02.07.2008 - RN 4 K 08.30072 -, ob tibetische Volkszugehörige, die ihr Heimatland illegal verlassen, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt haben und sich bereits längere Zeit hier aufhalten, damit rechnen müssen, dass ihnen - unabhängig von bekanntgewordener exilpolitischer Betätigung - staatsfeindliches Verhalten vorgeworfen wird mit der Folge, wegen Landesverrats mit schweren Strafen beziehungsweise Folter bedroht zu sein. In der Stellungnahme heißt es unter anderem, soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die rückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Bei den Ausführungen in der Auskunft vom 15.07.2008 fällt auf, dass sie wörtlich mit einer Textpassage des Lageberichts übereinstimmen, die allgemein für das Herkunftsland Volksrepublik China formuliert wurde. Der Beweiswert der Auskunft bezogen auf tibetische Volkszugehörige erscheint angesichts dessen gering, dass die speziell auf Tibeter eingehenden Stellungnahmen durchgehend einen anderen Aussagegehalt haben, nämlich in mehr oder weniger starker Form auf Gefährdungen verweisen. Es erscheint angesichts der Fragestellung zwar naheliegend, dass die Auskunft sich auch auf Tibeter beziehen sollte, jedoch zeichnet sie sich durch mangelnde Differenzierung aus, zumal Referenzfälle für die Rückführung von Tibetern nach China nicht bekannt sind. Hinzu kommt, dass die Klägerin sich - anders als in der Fragestellung zu der Auskunft vorgegeben - wiederholt exilpolitisch betätigt hat. Auch die vom Bundesamt zitierte Aussage (amnesty international vom 17.05.2010 an VG Regensburg), es könne als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass Beantragung von Asyl in Kombination mit der Volkszugehörigkeit allein Anlass sei, die Person wegen politischer Delikte strafrechtlich zu belangen, entscheidend sei, ob diese Person sich vor oder nach der Ausreise für die Interessen der ethnischen Minderheit politisch engagiert oder gar die Unabhängigkeit der von dieser Minderheit bewohnten Gebieten gegenüber den chinesischen Behörden oder in der allgemeinen Öffentlichkeit befürwortet habe, spricht nicht gegen eine Bedrohung der Klägerin. Denn sie hat sich mehrfach in der Öffentlichkeit für die Unabhängigkeit Tibets eingesetzt.
59 
(4) Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten der Klägerin beruht.
60 
Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = NVwZ 2009, 730 <731>). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221 = NVwZ 2009, 1167 <1168 f.>; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 - BVerwGE 135, 49 = NVwZ 2010, 383 <385>; Mallmann, ZAR 2011, 342). Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG übernimmt nicht die Einschränkungen des deutschen Asylrechts; Kontinuität ist bloß ein Indiz für die Glaubwürdigkeit (vgl. Begründung der Kommission vom 12.09.2001, KOM <2001> 510 endgültig, S. 18; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 28 Rn. 3 u. § 29 Rn. 12; anders und unklar hingegen Hailbronner, AsylVfG, § 28 Rn. 29 <ähnlich Rn. 32 u. 34>, wonach „Nachweise“ dafür vorliegen müssen, dass der Ausländer seine Überzeugung bereits im Heimatland gehabt hat; siehe ferner zu „Sur place“-Flüchtlingen Handbuch des UNHCR Nr. 94-96).
61 
e) Dem Schutzbegehren der Klägerin steht der Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes nicht entgegen.
62 
aa) Die Regelung des § 27 AsylVfG ist von vornherein nicht einschlägig, weil diese in Fällen einer anderweitigen Sicherheit vor Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, nicht aber den Abschiebungsschutz für Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087; Ott in GK AsylVfG, § 27 Rn. 16; zur Vorgängervorschrift: BVerwG, Urteil vom 06.04.1992 - 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 = NVwZ 1992, 893 m.w.N.).
63 
bb) Auch der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist indes vom Grundsatz der Subsidiarität des Konventionsschutzes sowohl im Verhältnis zum Schutz durch den Staat oder die Staaten der Staatsangehörigkeit des Betroffenen als auch im Verhältnis zum einmal erlangten Schutz in einem anderen (Dritt-)Staat geprägt. Er vermittelt grundsätzlich kein Recht auf freie Wahl des Zufluchtslandes und insbesondere kein Recht auf freie Wahl eines Zweit- oder Drittzufluchtslandes (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O., m.w.N.), sondern stellt insoweit lediglich sicher, dass der Flüchtling nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben oder der Gefahr einer solchen Abschiebung in einem Drittstaat (Kettenabschiebung) ausgesetzt werden darf (Refoulement-Verbot). Hat der Flüchtling bereits ausreichende Sicherheit vor Verfolgung in einem anderen Staat gefunden, kann er - unbeschadet des in jedem Falle unbedingt zu beachtenden Verbots der Abschiebung in den Verfolgerstaat - darüber hinaus grundsätzlich nicht mehr seine Anerkennung als Flüchtling sowie das damit verbundene qualifizierte Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland (§ 25 Abs. 2 AufenthG) beanspruchen. Dieser Grundsatz der Subsidiarität kommt beispielsweise auch in dem Ausschlussgrund nach Art. 1 E GFK zum Ausdruck, nach dem das Abkommen nicht auf eine Person anzuwenden ist, die von den zuständigen Behörden des Landes, in dem sie ihren Aufenthalt genommen hat, als eine Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten hat, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind (vgl. hierzu auch Art. 12 Abs. 1 b RL 2004/83/EG, wonach ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, wenn er von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat, vgl. ferner Handbuch des UNHCR Nr. 144 bis 146). Abgesehen von diesem in der Genfer Flüchtlingskonvention für eine besondere Konstellation ausdrücklich geregelten Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes aber auch, dass eine Flüchtlingsanerkennung in einem Zweit- oder Drittzufluchtsland nicht verlangt werden kann, wenn der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung tatsächlich sicher war und voraussichtlich auch sicher bleiben wird und wenn seine Rückführung oder Rückkehr in diesen Staat möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O.; zustimmend Ott, a.a.O., § 27 Rn. 16).
64 
cc) Die Klägerin hat sich nach ihrer Ausreise aus China eigenen Angaben zufolge länger als drei Monate in Nepal aufgehalten. Mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität kommt es deshalb darauf an, ob sie in Nepal vor asylrelevanten Übergriffen tatsächlich sicher war und weiterhin sicher wäre und ob sie nach Nepal zurückkehren kann. Dies muss verneint werden. Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe räumt die nepalesische Regierung tibetischen Flüchtlingen nicht immer das Recht ein, einen Asylantrag zu stellen oder in Nepal zu bleiben, außer für die kurze Zeit des Transits in einen Drittstaat (vgl. SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 5, unter Berufung auf UNHCR). Neu ankommenden tibetischen Flüchtlingen sei es verboten, im Land zu bleiben (vgl. SFH, a.a.O., S. 3). Es sollen auch Fälle bekannt sein, in denen Flüchtlinge an die chinesischen Behörden ausgeliefert wurden (vgl. SFH, a.a.O., S. 4). Nepalesische Behörden verlangten, dass tibetische Flüchtlinge innerhalb von zwei Wochen das Land verließen (vgl. SFH, a.a.O., S. 6). Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 (S. 3). Auch dort heißt es, dass es für Tibeter, die nicht schon sehr lange in Nepal lebten, unmöglich sei, dort zu bleiben (ob dies die Möglichkeit der Weiterreise nach Indien beinhaltet, wird nicht gesagt). Von anderer Seite wird bekräftigt, tibetische Flüchtlinge seien in Nepal von Rückschiebung bedroht (Klemens Ludwig, 23.05.2011, S. 11 f.).
65 
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes. Im Lagebericht vom 08.11.2005, Stand Oktober 2005 (S. 22 f.) heißt es, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell illegaler Grenzübertritt (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien dann wieder freigelassen worden. Nichtregierungsorganisationen hätten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen berichtet. Seit der Abschiebung der Flüchtlinge am 31.05.2003, die auf Grund ihrer Einmaligkeit internationales Aufsehen erregt habe, seien die nepalesischen Behörden zu dem vorher üblichen Verfahren zurückgekehrt und hätten zugesichert, es auch in Zukunft anzuwenden. Dies bedeute in der Praxis, dass alle von den Behörden in Nepal aufgegriffenen tibetischen Flüchtlinge zunächst dem UNHCR-Büro in Kathmandu überstellt und von dort nach Indien weitergeleitet würden. Diese Zusicherung sei nach Kenntnis der deutschen Botschaft Kathmandu auch weitestgehend eingehalten worden, abgesehen von einigen Fällen mit kriminellem Hintergrund (Schmuggel, Drogenhandel). Danach bestätigt sich, dass es im Mai 2003 zu einer Rückführung von Tibetern von Nepal nach China gekommen ist. Zwar ist im Weiteren (noch) von „Einmaligkeit“ des Vorfalls sowie von der Praxis die Rede, aufgegriffene Tibeter dem UNHCR-Büro in Kathmandu zu überstellen und von dort nach Indien weiterzuleiten. Eine rechtliche oder auch nur tatsächliche Verfestigung dieser Praxis, die eine Sicherheit vor politischer Verfolgung gewährte, lässt sich dem aber nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als in späteren Lageberichten des Auswärtigen Amtes die zitierten Ausführungen fehlen, eine andere Quelle aus neuerer Zeit aber die Gefahr der Rückführung nach China betont.
66 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO (zur Quotelung siehe BVerwG, Urteil vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 - Buchholz 310 § 155 VwGO Nr. 12). Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
67 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
15 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung der Klägerin ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - begründet.
16 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der Anspruch der Klägerin auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974). Zugelassen hatte der Senat die Berufung auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Klägerin hat dieses Begehren jedoch zurückgenommen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspr.).
17 
2. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person hinsichtlich des Staates Volksrepublik China und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
18 
a) Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats eine chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit aus Tibet.
19 
Der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist (BVerwG, Urteil vom 12.07.2005 - 1 C 22.04 - NVwZ 2006, 99). Die Klägern ist ohne jegliche Personalpapiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat bis heute solche auch nicht vorgewiesen. Sie spricht fließend Tibetisch, doch bietet dies allein lediglich ein Indiz für die behauptete Herkunft aus der Autonomen Region Tibet in der Volksrepublik China. Denn vor allem in Indien (mit etwa um 100.000 Tibetern), daneben aber auch in Nepal und anderen Staaten gibt es eine große tibetische Exilgemeinde, die sich dort bereits über einen langen Zeitraum zusammengefunden hat. In Indien haben viele Tibeter einen gesicherten Aufenthaltsstatus; die tibetische Exilregierung ist in Dharamsala in Indien ansässig (vgl. etwa SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 6). In Nepal, wo wohl rund 20.000 Tibeter leben, gibt es für diese Zugang zu Bildung in tibetischsprachigen Schulen (SFH, a.a.O., 22.10.2004, S. 3). Die Mehrheit der Bevölkerung der im Nordosten Indiens liegenden Staaten, zu denen etwa Arunachal Pradesh gehört, ist der tibeto-burmesisch-mongolischen Ethnie zuzuordnen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 08.03.2010 an das VG Sigmaringen - A 6 K 75/09 - S. 2) Gleichwohl bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Herkunft der Klägerin aus Tibet / China. Eine behauptete Staatsangehörigkeit kann insbesondere nicht nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates nachgewiesen werden. Die Überzeugung von einer Staatsangehörigkeit kann vielmehr auch auf der Grundlage von Unterlagen, Zeugenaussagen oder sonstigen Erkenntnismitteln gebildet werden, wenngleich die häufig schwierige Feststellung einer ausländischen Staatsangehörigkeit in der Regel nicht ohne Einholung von amtlichen Auskünften oder Gutachten zur einschlägigen Gesetzeslage und Rechtspraxis in dem betreffenden Staat möglich sein dürfte, wenn Ausweispapiere oder andere Belege und Urkunden aus dem betreffenden Staat fehlen (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087). Im Fall der Klägerin lassen deren Angaben mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit (vgl. dazu grundlegend BGH, Urteil vom 17.02.1970 - III ZR 139/67 - BGHZ 53, 245 ff.) den Schluss zu, dass sie aus Tibet / China stammt. Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin angehört und ist zu der Überzeugung gekommen, sie stamme aus der Autonomen Region Tibet. Dieser Würdigung kann sich der Senat anschließen, zumal auch das Bundesamt von Anfang an die Herkunft der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt und ihr selbst die Abschiebung nach China angedroht hat. Der Senat hat die Klägerin zudem persönlich zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 angehört. Hierbei machte sie umfangreiche Angaben. Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Ihre Herkunft aus der Autonomen Region Tibet begegnet somit keinen durchgreifenden Zweifeln. Angesichts der feststehenden Herkunft der Klägerin bedarf es keiner Ermittlungen zur Gesetzeslage und Rechtspraxis in China, weil es keinem Zweifel unterliegt, dass eine seit jeher aus der Autonomen Region Tibet stammende Tibeterin die chinesische Staatsangehörigkeit inne hat, wenn sie - wie die Klägerin mit Ausnahme des insoweit bedeutungslosen Geschehens seit ihrer Ausreise im Jahre 2008 - sonst keinerlei Bezug zu anderen Staaten hat.
20 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
21 
Nach Art. 2 lit. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG.
23 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
24 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377, und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 Rn. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192).
25 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., Rn. 128). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982 <985>). Die Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
26 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschrieben Weise betroffen ist (lit. b)).
27 
bb) Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise war die Klägerin keiner Gruppenverfolgung aufgrund ihrer tibetischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Unter diesem Gesichtspunkt kann ihr die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
28 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 <249> Rn. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
29 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237 Rn. 15).
30 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O. Rn. 16; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris und vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 - juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 - juris).
31 
(2) Im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin (zweites Halbjahr des Jahres 2008) unterlagen die Volkszugehörigen der Tibeter keiner Gruppenverfolgung.
32 
(a) Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China stellte sich zu dieser Zeit nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
33 
Die Autonome Region Xizang wurde von insgesamt ca. 2,8 Millionen Menschen bewohnt (Fischer-Weltalmanach 2009, S. 101; die in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008 und vom 14.05.2009 fälschlich angegebene Zahl von ca. 6 Mio. Bewohnern tibetischer Volkszugehörigkeit erfasst in etwa die Zahl der ethnischen Tibeter in ganz China; so zutreffend noch der Lagebericht vom 08.11.2005 und wieder der Lagebericht vom 10.07.2010). Tibeter lebten auch in Grenzgebieten der Nachbarprovinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. Ihr Lebensstandard hatte sich zwar durch massive Finanztransfers der Zentralregierung erheblich verbessert, doch lag ihre Lebenserwartung nach wie vor unter, die Kindersterblichkeit über dem Landesdurchschnitt. Wie alle anderen nationalen Minderheiten genossen die Tibeter einige Freiheiten, wie zum Beispiel eine Ausnahme von der Ein-Kind-Politik. Echte Einflussmöglichkeiten auf die Politik wurden ihnen jedoch kaum eingeräumt. Obwohl die Tibeter in der Autonomen Region im Vergleich zu den Han-Chinesen die Mehrheit bildeten, waren Schlüsselpositionen überwiegend mit Han-Chinesen besetzt. Die individuelle Religionsausübung buddhistischer Laien war in Tibet weitgehend gewährleistet, dagegen unterlag der Lamaismus Restriktionen. Diese bestanden zum Beispiel in der Verhinderung von Klosterbeitritten vor Vollendung des 18. Lebensjahres und in der Beschränkung der Anzahl von Mönchen und Nonnen auf das „für die normale religiöse Versorgung der Bevölkerung erforderliche Maß“ (laut Weißbuch Tibet 2009 waren das ca. 46.000 Mönche und Nonnen, sowie 6.000 Novizen). Mönche und Nonnen mussten regelmäßig „sozialistische Schulungskampagnen“ durchlaufen. Bilder des Dalai Lama durften öffentlich nicht gezeigt werden. Der Privatbesitz solcher Bilder war nach offiziellen Angaben erlaubt. Dennoch berichteten Menschenrechtsorganisationen von Haftstrafen. Den offiziellen Besuchern religiöser Institutionen war eine - wenngleich kontrollierte - Religionsausübung möglich. Offizielle Angaben über die genaue Zahl tibetischer politischer Gefangener lagen nicht vor. Vor allem nach den Unruhen im März 2008 waren auch Schätzungen schwer zu treffen. Einem am 21.06.2008 in der China Daily erschienenen Bericht zufolge wurden 4.434 Tibeter im Zuge der Märzproteste festgenommen, 3.027 allerdings kurze Zeit später wieder freigelassen. Einige Nichtregierungsorganisationen gingen von mehr als 6.000 Verhaftungen aus. Als Folge der Unruhen gab es nach offiziellen Angaben 21 Todesopfer (darunter ein Polizist) und 523 Verletzte (darunter 241 Polizisten). 42 Personen wurden verurteilt, 116 erwarteten noch ihren Prozess. Dem Auswärtigen Amt lagen hierzu keine gesicherten eigenen Erkenntnisse vor. Nach Berichten von Nichtregierungsorganisationen flohen weiterhin jedes Jahr mehrere tausend Tibeter aus religiösen Gründen über die Grenze nach Nepal und weiter nach Indien. Nicht alle erreichten ihr Ziel, denn die chinesischen Behörden versuchten die illegalen Grenzgänger - zum Teil mit allen Mitteln - von ihrem Vorhaben abzuhalten. Nach Informationen des Tibetischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) wurden am 18.10.2007 drei Personen einer 46 Tibeter zählenden Flüchtlingsgruppe von chinesischen Grenzsoldaten festgenommen. Neun Tibeter wurden vermisst, nachdem die Grenzpolizei das Feuer auf die Gruppe eröffnet hatte. Dem im Exil lebenden Dalai Lama wurde von Peking weiterhin vorgehalten, unter dem Deckmantel der Verfolgung religiöser Ziele die Unabhängigkeit Tibets zu betreiben. Die Zentralregierung beanspruchte mit der „Verwaltungsmaßnahme für die Reinkarnation Lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus“ vom 01.09.2007 auch außerhalb der Autonomen Region das alleinige Recht, über die Einsetzung buddhistischer Würdenträger zu entscheiden. Von ICT (Internationale Kampagne für Tibet) wurde befürchtet, dass die chinesische Staatsführung damit gezielt eine weitere Schwächung der Autorität anerkannter Glaubensführer des tibetischen Buddhismus anstrebte. Nachdem die Beschränkungen des tibetischen Buddhismus zu Beginn des Jahres 2008 einen neuen Höhepunkt erreicht hatten, kam es zu einer Reihe von Protesten in der Region. Beginnend mit einem Marsch von schätzungsweise 300 Mönchen aus dem Kloster Depung am 10.03.2008 in Lhasa, verbreiteten sich die Proteste über die gesamte Autonome Region und auch in Gegenden außerhalb. Die Demonstranten forderten Religionsfreiheit, die Unabhängigkeit Tibets, die Freilassung des Panchen Lama und die Rückkehr des Dalai Lama. Die Regierung machte den Dalai Lama für die Ausschreitungen verantwortlich. Die verstärkte Präsenz chinesischer Sicherheitskräfte in Tibet dauerte an (vgl. Lagebericht des AA vom 14.05.2009, Stand Februar 2009, S. 15 f.).
34 
Am 30.10.2007 erklärte das Auswärtige Amt gegenüber dem Verwaltungsgericht Ansbach (Gz. 508-516.80/45113), tibetische Volkszugehörige müssten in China nicht mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit einzig aus dem Grund rechnen, dass sie tibetischer Volkszugehörigkeit seien, solange sie nicht gegen die einschlägigen Religionsbestimmungen verstießen und sich nicht politisch gegen die Regierung engagierten. Die Unruhen vom März 2008 führten nach der Auskunftslage insoweit zu keiner durchgreifenden Änderung. Unter dem 15.07.2008 teilte das Auswärtigen Amt dem Verwaltungsgericht Regensburg mit (Gz. 508-516.80/45438), ihm lägen keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige vor, weder eingeleitet noch kurz bevorstehend.
35 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin im Juli 2008 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der Tibeter schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde die Volksgruppe der Tibeter nicht gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen.
36 
cc) Nach den überzeugenden individuellen Einlassungen der Klägerin zu den Geschehnissen vor ihrer Ausreise war sie allerdings einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und damit einer anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt.
37 
(1) Die Klägerin hat bei der Bundesamtsanhörung wie auch vor dem Verwaltungsgericht von Vergewaltigungen durch chinesische Polizisten am 05., 09. und 15.07.2008 berichtet. In diesem Zusammenhang hätten die Beamten geäußert, ihr - besonders im März 2008 politisch aktiver und im Juni 2008 tot aufgefundener - Bruder sei ein Reaktionär, und ihr Onkel solle aufhören, den Ruf der Polizei zu zerstören. Wenn er damit nicht aufhöre, werde die Polizei dafür sorgen, dass man „ihren Leichnam nicht finde“.
38 
(2) Bei den geschilderten Erlebnissen handelt es sich um Vorgänge im Verfolgerland, hinsichtlich derer sich die Klägerin in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet und für die daher eine „Glaubhaftmachung“ im Rahmen der - gleichwohl nach Maßgabe des § 108 Abs. 1 VwGO gebotenen - richterlichen Überzeugungsbildung genügt (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71,180). Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Entscheidungsgründe seines Urteils bei der Anhörung der Klägerin den Eindruck gewonnen, dass die Darstellung der Vergewaltigungen durch Polizeibeamte einen „wahren Kern“ enthalten habe. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die Übergriffe der Zahl und den Umständen nach möglicherweise übertrieben geschildert worden seien. Die Klägerin habe mit einem gewissen Ernst und einer noch spürbaren Betroffenheit von dem Vorfall berichtet. Ihr Vorbringen erscheine glaubhaft. Die Klägerin sei bei ihrer Schilderung den Tränen nahe gewesen. Diesem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiserhebung schließt sich der Senat an. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht nur dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für die Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.11.2001 - 1 B 297.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 251). Zu einer abweichenden Glaubwürdigkeitsbeurteilung sieht der Senat indes keinen Anlass. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen zu den als Grund der Ausreise genannten Vorfällen im Heimatland der Klägerin, die eine erneute Anhörung geböten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 12.06.2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524, und vom 22.11.2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487; BGH, Urteil vom 09.03.2005 - VIII ZR 266/03 - NJW 2003, 1583 <1584>; jeweils zu § 529 ZPO).
39 
(3) Der Senat ordnet die Vergewaltigungen durch Polizisten jedoch insoweit rechtlich anders ein als das Verwaltungsgericht, als er sie - ohne dabei die Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen in Frage zu ziehen - dem Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG zuordnet. Die von der Klägerin geschilderten Vergewaltigungen stellen relevante Verfolgungsmaßnahmen dar. Es handelt sich insoweit um die Anwendung physischer beziehungsweise sexueller Gewalt im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 und 5 AufenthG, Art. 9 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 lit. a) RL 83/2004/EG. Es besteht auch die erforderliche Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 83/2004/EG genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 83/2004/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen (vgl. Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 lit. c) RL 83/2004/EG). Die Vergewaltigungen knüpften an die „Rasse“ der Klägerin im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. a) RL 83/2004/EG an. Der Begriff der „Rasse“ umfasst nach dieser Bestimmung insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe. Der Senat ist davon überzeugt, dass nach dem Ergebnis der vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme die Vergewaltigungen in der im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Weise mit der tibetischen Volkszugehörigkeit der Klägerin verknüpft sind. Das Verwaltungsgericht war insoweit sinngemäß der Auffassung, die Übergriffe seien als Akte amtlicher Willkür anzusehen, die durch den tibetisch-chinesischen Dauerkonflikt - gerade im Klima der allgemeinen Unruhe und Gereiztheit des Jahres 2008 - begünstigt worden seien, die Klägerin aber nicht „aus politischen Gründen“ getroffen hätten. Dies sieht der Senat anders. Es muss zwar davon ausgegangen werden, dass sexuelle Übergriffe durch chinesische Beamte als Willkürakte in ganz China vorkommen. Berichte über Folter und Misshandlung etwa in chinesischen Gefängnissen sind bezogen auf das ganze Land bekannt (vgl. etwa amnesty international, ai Report 2011, S. 134). Gerade für Tibet wird von Misshandlungen, auch sexueller Art beziehungsweise in Form von Vergewaltigungen, berichtet (TID e.V., Stellungnahme vom 28.02.2006, S. 2, und Auswärtiges Amt vom 10.03.2006, Nr. 5, an VG Bayreuth - B 5 K 05.30078 -; BAMF, Volksrepublik China - Tibeter im Konflikt mit dem Staat, März 2008, S. 8). Ausgehend von der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin jedenfalls auch deshalb Opfer der Vergewaltigungen wurde, weil sie (als Tibeterin) in den tibetisch-chinesischen Konflikt verwickelt war, knüpften die Taten aber in ihrem Fall durchaus an die Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe der Tibeter an.
40 
Die Taten sind der Volksrepublik China zurechenbar. Verfolgungen Dritter sind dem Staat zuzurechnen, wenn er nicht mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt; hierbei ist freilich zu bedenken, dass es keiner staatlichen Ordnungsmacht möglich ist, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 - BVerfGE 80, 315 <334, 336>; Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 - BVerfGE 83, 216 <235>). Bei vereinzelten Exzesstaten von Amtswaltern kann in Betracht kommen, dass diese dem Staat nicht zugerechnet werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O. <352>). Der bloße Umstand, dass bestimmte Maßnahmen der Rechtsordnung des Herkunftsstaats widersprechen, berechtigt aber noch nicht dazu, sie als Amtswalterexzesse einzustufen. Vielmehr bedarf es entsprechender verlässlicher tatsächlicher Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20.05.1992 - 2 BvR 205/92 - NVwZ 1992, 1081 <1083> und vom 08.06.2000 - 2 BvR 81/00 - InfAuslR 2000, 457 <458>). Andernfalls bleibt das Handeln der Sicherheitsorgane dem Staat zurechenbar (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14.05.2003 - 2 BvR 134/01 - DVBl 2003, 1260 m.w.N.). Ausgehend davon bleiben die hier in Rede stehenden Handlungen der Polizisten dem Staat Volksrepublik China zurechenbar. Verlässliche tatsächliche Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten, hat die Anhörung nicht erbracht (vgl. zu den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren auch § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a)-c) AufenthG).
41 
Unter diesen Umständen sprechen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Autonome Region Tibet erneut von solcher Verfolgung wie vor ihrer Ausreise bedroht wäre. Allein der zeitliche Abstand seit dem Tod ihres Bruders lässt einen derartigen Schluss nicht zu, zumal die erlittenen Vergewaltigungen erst nach der Tötung des Bruders einsetzten.
42 
Die Klägerin kann auch nicht auf eine inländische Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 a. E. AufenthG) verwiesen werden. Eine solche setzt voraus, dass der Schutzsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Auf einen landesinternen Vergleich zum Ausschluss nicht verfolgungsbedingter Nachteile und Gefahren kommt es im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG dabei nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = NVwZ 2008, 1246).
43 
Die Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach China - abgesehen von den Nachfluchtgründen (siehe dazu unten) - im ganzen Staatsgebiet zumindest von anderen Nachteilen und Gefahren bedroht, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen. Nach Auskunft der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zu dem Asylverfahren B 5 K 05.30078 haben Tibeter ohne Chinesischkenntnis, zu denen die Klägerin gehört, keine Chance, sich eine Lebensgrundlage aufzubauen. Sie fielen überall auf und machten sich „verdächtig“. Auch unter gewöhnlichen chinesischen Bürgern seien die Ressentiments gegenüber den Tibetern sehr groß. Nur durch eine besonders große Anpassung an die chinesische Kultur und Ideologie könnten diese Ressentiments abgeschwächt werden, doch dazu sei die Beherrschung der chinesischen Sprache Voraussetzung. Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg (Gz. 508-516.80/45438) ist das Ausmaß von Verfolgungshandlungen gegen tibetische Volkszugehörige allgemein sehr viel höher als gegen andere Volksgruppen (mit Ausnahme von uigurischen Volkszugehörigen). Vom Anstieg der oftmals willkürlichen Kontrollmaßnahmen in jüngster Zeit seien tibetische Volksangehörige besonders betroffen. So sei am 09.07.2008 eine britische Staatsangehörige tibetischer Herkunft, die in Peking als Sprachdozentin tätig gewesen sei, morgens auf dem Weg zur Arbeit von Sicherheitskräften aufgegriffen und (ohne erkennbare Anhaltspunkte) unter dem Vorwurf separatistischer Tätigkeiten auf der Stelle und unter Polizeibegleitung ausgewiesen worden. Nach dieser Erkenntnislage scheidet eine inländische Fluchtalternative für die Klägerin mangels Zumutbarkeit aus.
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d) Unabhängig von einer Vorverfolgung muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nunmehr aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung bedroht wird.
45 
aa) Es besteht allerdings nach wie vor keine Situation, in der die Klägerin für den Fall ihrer Rückkehr eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tibetern gewärtigen müsste. Die Lage für tibetische Volkszugehörige in China - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs der Klägerin von Bedeutung ist - stellt sich im November 2011 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen im Hinblick auf eine mögliche Gruppenverfolgung im Wesentlichen unverändert dar. So gibt das Auswärtige Amts in seiner Auskunft vom 16.06.2010 (Gz. 508-516.80/46446) an das Verwaltungsgericht Regensburg an, hinsichtlich der mit Schreiben vom 15.07.2008 dargestellten Situation („keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen tibetische Volkszugehörige“) hätten sich bezüglich der Gefahrdung tibetischer Volkszugehöriger keine Änderungen ergeben. Der Report 2011 von amnesty international gibt lediglich an, Tibeter seien „weiterhin Repressionen ausgesetzt“. Für eine systematische Verfolgung von Tibetern allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es danach auch zum jetzigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte.
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bb) Die Klägerin ist aber wegen ihrer den chinesischen Behörden möglicherweise bekanntgewordenen Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit ihrer illegalen Ausreise aus China, der Asylantragstellung und ihrem mehrjährigen Verbleib im Ausland einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ ausgesetzt.
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(1) Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 23.01.1991, a.a.O.) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 20.06.1995 - 9 C 294.94 - NVwZ-RR 1996, 57 m.w.N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volks- oder Berufsgruppe oder zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern - jedenfalls in manchen Fällen - nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.02.1996 - 9 B 14.96 - DVBl 1996, 623 m.w.N.).
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(2) Zur Behandlung von Personen, die nach China zurückkehren, enthält der Lagebericht des Auswärtigen Amtes Angaben. Soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die zurückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Vereinzelte Nachverfolgungen von Rückführungen durch die deutsche Botschaft in Peking hätten keinen Hinweis darauf ergeben, dass abgelehnte Personen, allein weil sie einen Asylantrag gestellt hätten, politisch oder strafrechtlich verfolgt würden. Ein Asylantrag allein sei nach chinesischem Recht kein Straftatbestand. Aus Sicht der chinesischen Regierung komme es primär auf die Gefahr an, die von der einzelnen Person für Regierung und Partei ausgehen könnte. Formale Aspekte wie etwa Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation oder eine Asylantragstellung seien nicht zwangsläufig entscheidend. Personen, die China illegal, das heiße unter Verletzung der Grenzübertrittsbestimmungen verlassen hätten, könnten bestraft werden. Es handele sich um ein eher geringfügiges Vergehen, das - ohne Vorliegen eines davon unabhängigen besonderen Interesses an der Person - keine politisch begründeten, schweren Repressalien auslöse. Nach § 322 chin. StGB könne das heimliche Überschreiten der Grenze unter Verletzung der Gesetze bei Vorliegen ernster und schwerwiegender Tatumstände mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, Gewahrsam oder Überwachung und zusätzlich einer Geldstrafe bestraft werden. Es werde nach bisherigen Erkenntnissen in der Praxis aber nur gelegentlich und dann mit Geldbuße geahndet (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 36). Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes befasst sich auch mit exilpolitischen Aktivitäten. Besondere Aufmerksamkeit widme die chinesische Führung führenden Mitgliedern der Studentenbewegung von 1989, soweit sie noch im Ausland aktiv seien. Dies gelte auch für bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich gegen die chinesische Regierung oder deren Politik Stellung bezögen und eine ernst zu nehmende Medienresonanz in Deutschland oder im westlichen Ausland hervorriefen sowie für Angehörige ethnischer Minderheiten, sofern sie nach chinesischem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen seien. Eine Überwachung oder sogar Gerichtsverfahren gegen diese Personen seien bei Rückkehr in die Volksrepublik China nicht auszuschließen. Aktivitäten der uigurischen Exilorganisationen stünden unter besonderer Beobachtung der chinesischen Behörden (einschließlich der Auslandsvertretungen). Insbesondere: die Ostturkistanische Union in Europa e.V., der Ostturkistanische (Uigurische) Nationalkongress e.V. sowie das Komitee der Allianz zwischen den Völkern Tibets, der Inneren Mongolei und Ostturkistans. Aufklärung über und Bekämpfung der von extremen Vertretern der uigurischen Minderheit getragenen Ostturkistan-Bewegung zählten zu den obersten Prioritäten des Staatsschutzes. Anhänger dieser Bewegung würden mit unnachgiebiger Härte politisch und strafrechtlich verfolgt. Mitglieder uigurischer Exilorganisationen hätten bei ihrer Rückkehr nach China mit Repressionen zu rechnen. Von detaillierten Kenntnissen des Ministeriums für Staatssicherheit über Mitglieder der exilpolitischen uigurischen Organisationen sei auszugehen. Die Beteiligung an einer Demonstration für die Belange einer als staatsgefährdend bewerteten Organisation wie der Ostturkistan-Bewegung reiche aus, um sich nach chinesischem Recht strafbar zu machen. Eine Führungsfunktion in einer solchen Organisation wirke strafverschärfend. Das Strafmaß für eine solche Person richte sich dabei danach, wie schwerwiegend die von den Angeschuldigten ausgehende Gefahr für den Bestand des Staates aus Sicht der strafverfolgenden Behörden einzuschätzen sei. Auch in den aus europäischer Sicht „friedlichen Unabhängigkeitsbestrebungen“ einzelner Organisationen sehe die chinesische Führung Angriffe auf die staatliche Einheit Chinas und damit eine Gefährdung für die allgemeine Sicherheit. Gewaltfreies Eintreten für eine Sache schütze nicht vor harten Strafen. Es seien bisher keine Fälle von ehemaligen Mitgliedern oder Vorstandsmitgliedern exilpolitischer uigurischer Organisationen aus Deutschland bekannt geworden, die nach China zurückgekehrt seien. Berichtet werde jedoch über Fälle von Abschiebungen nach China aus anderen Ländern Asiens mit anschließender Folter oder Verurteilung (Lagebericht des AA vom 10.07.2010, Stand Juni 2010, S. 26). Speziell zu exilpolitischen Aktivitäten tibetischer Volkszugehöriger verhält sich der Lagebericht nicht.
49 
Im Lagebericht vom 08.11.2005 (Stand Oktober 2005, S. 22) ist allerdings noch ausgeführt, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet gewesen seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell „illegaler Grenzübertritt“ (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien inzwischen wieder frei. Nichtregierungsorganisationen berichteten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen.
50 
Laut Auskunft vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg - RN 11 K 06.30224 - sind nach Einschätzung des Auswärtiges Amtes für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Dem Auswärtigen Amt seien allerdings in jüngerer Zeit keine entsprechenden Fälle bekannt geworden. Diese Handlungen seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt, gemäß Art. 10 a.a.O. könnten Auslandstaten nach Rückkehr in China verfolgt werden.
51 
In dem Gutachten der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 18.07.2002 an das Verwaltungsgericht Münster - 1 K 1254/98.A - heißt es unter anderem, es sei nicht bekannt, ob bereits asylsuchende Tibeter aus Deutschland zurückgeschickt worden seien. Tibeter, die nach ihrer Flucht und einem Aufenthalt in Indien oder Nepal „freiwillig“ nach Tibet zurückkehrten, müssten jedoch genauso heimlich, wie sie Tibet verlassen hätten, auch dorthin zurückkehren. Wenn sie beim Grenzübertritt „erwischt“ würden, verschwänden sie in Gefängnissen und Arbeitslagern, oft unauffindbar. Dass die Haftbedingungen in China, die Folter mit einschlössen, eine Lebensgefahr darstellten, sei bekannt. Selbst nach der Freilassung würden Gefangene beständig bespitzelt und drangsaliert und bei jedem wirklichen oder angeblichen Vorkommnis, wie zum Beispiel einer Demonstration, Plakatierung etc., unter dem Verdacht der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ erneut verhaftet. Die gleiche Behandlung sei auch bei Tibetern zu erwarten, die versucht hätten, im Ausland Asyl zu bekommen.
52 
In der Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 wird ausgeführt, (eine Tibeterin müsse) sogar schon deshalb, weil sie in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt habe, (…) in China mit strafrechtlichen Maßnahmen rechnen. Tibeter, die das Land auf dem Fluchtweg verlassen hätten, würden nicht als Flüchtlinge, sondern als illegale Immigranten angesehen. In China drohten ihnen wegen Landesverrats schwere Strafen. Dagegen drohe ein solches Schicksal Han-Chinesen nicht. Sie würden im schlimmsten Fall mit Geldstrafen belegt. Ein Beispiel für die Folgen, die tibetischen „Rückkehrern“ blühten, sei der Fall einer Gruppe von 18 tibetischen Jugendlichen, die im Jahr 2002 in Nepal wegen fehlender Papiere inhaftiert worden seien. Nachdem sie mehrere Monate im Dili Bazar Gefängnis von Kathmandu/Nepal gesessen hätten, seien sie am 31.05.2003 von chinesischen Beamten dort abgeholt worden. Mit Einverständnis der nepalischen Behörden seien sie zur Grenze gebracht und von dort nach Tibet repatriiert worden. Ein junger Flüchtling der Gruppe, der sich habe frei kaufen können, habe erneut die Flucht riskiert und befinde sich in Indien. Sein Bericht bezeuge, wie es den jugendlichen Tibetern ergangen sei und mache deutlich, wie groß die Gefahr für alle sei, die repatriiert würden.
53 
Vom Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel liegt eine Stellungnahme an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach vom 11.02.2007 - AN 14 K 05.31454 - vor. Darin heißt es, Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, müssten mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen (S. 2). An anderer Stelle wird ausgeführt, Personen, die aus dem Ausland zurückkehrten, stießen zumeist auf geballtes Misstrauen - und zwar sogar dann, wenn sie die Volksrepublik China mit offizieller Genehmigung verlassen hätten. Seien sie unerlaubt ausgereist, hätten sie ohnehin einen der in Kapitel 6, Abschnitt 3 (§§ 308-323 chin. StGB) aufgeführten Straftatbestände erfüllt. So werde beispielsweise gemäß § 322 chin. StGB mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft, wer unerlaubt die Staatsgrenze übertrete. Auch Personen, die mit behördlicher Erlaubnis das Land verlassen hätten (und dann wieder zurückgekehrt seien), hätten nicht selten mit Sanktionen zu rechnen. Verhaftet worden seien beispielsweise im Juni und im August 2004 mehrere aus Indien zurückkehrende Tibeter (Zahl unbekannt), ohne dass in der Öffentlichkeit dafür Gründe angegeben worden wären. Im Juni 2004 seien vier Rückkehrer festgenommen worden (genauer Grund unbekannt). Im November 2003 sei ein Rückkehrer zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er Schriften des Dalai Lama mit sich geführt habe. Wer im Ausland gar an Demonstrationen oder Flugblattaktionen teilgenommen habe, sei überdies im Sinne des § 103 chin. StGB (Spaltung des Staates) schuldig. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe er dann die dort aufgeführten Gefängniskonsequenzen zu tragen (S. 2).
54 
Nach dem Gutachten des Klemens Ludwig vom 23.05.2011 an das Verwaltungsgericht Stuttgart - A 11 K 4958/10 - ist das Mindeste, womit Tibeter rechnen müssen, die nach illegalem Verlassen in das Hoheitsgebiet der Volksrepublik China zurückkehren, eine verschärfte Überwachung. Aufgrund der weit verbreiteten Willkür seien auch Maßnahmen, die den Charakter von politischer Verfolgung hätten, wie Inhaftierung und eventuelle Folter, nicht auszuschließen (S. 12 GA). Die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland (oder anderswo) werde von den Behörden der Volksrepublik China zwar als feindlicher Akt betrachtet, doch zeige die Praxis, dass asylsuchende Chinesen - sofern sie nicht verfolgten Gruppen wie Falun Gong oder der romtreuen katholischen Kirche angehörten - in der Regel bei einer Rückkehr unbehelligt blieben. Für asylsuchende Tibeter liege der Fall aufgrund der besonderen Willkür anders. Für sie könne ein Asylantrag auch als „separatistische Haltung“ ausgelegt werden, so dass von einer Verfolgung ausgegangen werden könne. Die Maßnahmen reichten von Verhören über Verhaftung bis hin zu Haftstrafen und Folter (ebenfalls S. 12 GA).
55 
(3) Die genannten sowie alle weiteren vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse (siehe dazu im Folgenden) rechtfertigen den Schluss, dass für die Klägerin aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr besteht.
56 
Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats illegal aus China ausgereist. Nach der persönlichen Anhörung der Klägerin durch den Senat vermittelten die Angaben zu ihrer Ausreise im Jahre 2008 den Eindruck, dass die geschilderte Art der Ausreise zumindest in ihren Grundzügen wahren Erlebnissen entspricht und auf selbst gewonnenen Ortskenntnissen beruht. Manche Einzelheiten wurden zwar bloß vage, stereotyp und wenig nachvollziehbar dargestellt. Dies trübt das gewonnene Bild aber nicht entscheidend, zumal entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nach der Erkenntnislage eine legale Ausreise aus China für tibetische Volkszugehörige keineswegs unproblematisch - und damit die Mühsal einer illegalen Grenzüberquerung auch nicht von vornherein unnötig - ist. So ist eine legale Ausreise nach der Auskunft des Tibet Information Network vom 24.07.2006 (Nr. 3) - obwohl „im Prinzip möglich“ - faktisch mit vielen Schikanen verbunden und oft schlichtweg unmöglich. Nach Auskunft der SFH vom 28.01.2009 (Situation ethnischer und religiöser Minderheiten, S. 3) können Tibeter das Land kaum noch verlassen. Nach Informationen des U.S. Department of State werden Passanträge von Tibetern häufig abgelehnt; manchmal könne dies durch Bestechung geändert werden, manchmal bleibe es bei der Ablehnung (International Religious Freedom Report July-December 2010, Tibet, sec. II). Auch nach einer weiteren Quelle ist es für Tibeter generell - unabhängig von ihrer politischen Meinung - schwierig, einen Reisepass zu erhalten (Klemens Ludwig, Gutachten vom 23.05.2011 S. 7). Der Senat wertet auch diese Erkenntnisse als Indiz dafür, dass die Klägerin tatsächlich illegal ausgereist ist. Nach Abschluss ihres Reisewegs hat die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt und sich anschließend hier für einen mehrjährigen Zeitraum - mittlerweile über drei Jahre - aufgehalten.
57 
Die Klägerin hat sich zudem nach ihren - zur Überzeugung des Senats zutreffenden, von der Beklagten auch nicht in Frage gestellten - Angaben im Bundesgebiet jedenfalls in folgender Weise für die Angelegenheiten der Tibeter öffentlich betätigt: Am 10.03.2009 nahm sie - belegt mit Fotos von dieser Veranstaltung - an einer von der Tibetinitiative Deutschland e.V. und dem Verein der Tibeter in Deutschland e.V. organisierten Mahnwache vor dem chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main teil. An der Mahnwache waren nach Angaben der Klägerin ca. 70 Personen beteiligt, wobei Transparente für die Freiheit Tibets und tibetische Fahnen gezeigt wurden. Es gab Sprechchöre für die Freiheit Tibets und für den Dalai Lama. Die tibetischen Teilnehmer sangen tibetische Lieder. Aus dem Generalkonsulat heraus sollen die Teilnehmer fotografiert worden sein. Anschließend nahm die Klägerin am gleichen Tag an einer Kundgebung ab 16 Uhr auf dem Frankfurter Römerberg teil. Am 29.08.2009 beteiligte sich die Klägerin - ebenfalls belegt mit Fotos sowie mit einer Teilnahmebestätigung der Tibet Initiative Deutschland e.V., datierend vom gleichen Tag - an einer Aktion zum „Internationalen Tag der Verschwundenen“ auf dem Marienplatz in München. Am 14.10.2009 war die Klägerin Teilnehmerin einer Mahnwache für die Freiheit Tibets in Freiburg. Hierzu hat sie das Einladungsschreiben der Organisatoren vom 12.10.2009 vorgelegt. Am 10.03.2011 nahm die Klägerin - wiederum fotografisch dokumentiert - an einer Kundgebung anlässlich des Jahrestages der Niederschlagung des Volksaufstandes in Tibet vor dem Generalkonsulat Chinas teil. Die Teilnehmer der Kundgebung sollen aus dem Generalkonsulat heraus fotografiert und gefilmt worden sein.
58 
Das bei der Klägerin gegebene Nachfluchtgeschehen begründet jedenfalls in der Gesamtschau mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung in der Volksrepublik China. Die Erkenntnislage hat sich gegenüber dem Stand bei Erlass des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom 19.03.2002 (A 6 S 150/01, juris m.w.N. aus der älteren Rechtsprechung auch anderer Obergerichte) in einigen wesentlichen Punkten verändert. In der genannten Entscheidung wurde noch davon ausgegangen, dass weder ein exilpolitisches Engagement (untergeordneter Art) noch eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung oder ein Zusammentreffen dieser Gesichtspunkte eine beachtliche Verfolgungsgefahr begründe. Hieran ist nicht uneingeschränkt festzuhalten. Für tibetische Volkszugehörige aus der Volksrepublik China besteht aus jetziger Sicht nach der Teilnahme an Aktionen für die Freiheit Tibets in der Bundesrepublik Deutschland die beachtliche Gefahr einer Verfolgung durch den chinesischen Staat jedenfalls dann, wenn eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung und ein mehrjähriger Auslandsverbleib hinzukommen und wenn die Möglichkeit besteht, dass das exilpolitische Engagement den chinesischen Behörden bekanntgeworden ist (ähnlich VG Wiesbaden, Urteil vom 12.10.2006 - 2 E 717/05.A -; VG Stuttgart, Urteil vom 01.10.2007 - A 11 K 141/07 -; VG Bayreuth, Urteil vom 20.12.2007 - B 5 K 07.30034 - juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.10.2009 - A 6 K 3223/08 -). Hiervon ist im Fall der Klägerin auszugehen. Insbesondere erscheint es möglich, dass chinesische Behörden belastende Daten über die Klägerin gesammelt haben, nachdem sie mehrmals öffentlich in der Nähe des chinesischen Generalkonsulats für ein unabhängiges Tibet demonstriert hat (vgl. Gutachten von TibetInfoNet an VG Bayreuth vom 24.07.2006 Rn. 5, wonach Botschaftsangehörige alle wesentlichen Demonstrationen gegen das Regime beobachten). Ob bereits allein eine illegale Ausreise aus der Volksrepublik China tibetische Volkszugehörige einer beachtlichen Verfolgungsgefahr aussetzt, kann offen bleiben (verneinend: Sächs. OVG, Urteil vom 26.06.2008 - A 5 B 263/07 - juris; bejahend Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 - E-6706/2008 - S. 9 ff. <14>; ebenso Urteil vom 27.01.2010 - D-7334/2009 - S. 12; abrufbar über http://www.bvger.ch/; Foltergefahr bejahend VG Bayreuth, Urteil vom 17.12.2007 - B 5 K 07.30073 - juris; entscheidend oder zumindest auch auf einen längeren Auslandsverbleib als solchen abstellend VG Mainz, Urteil vom 13.08.2008 - 7 K 779/07.MZ - juris; VG Gießen, Urteil vom 04.11.2008 - 2 E 3926/07.A -; VG Würzburg, Urteil vom 20.11.2009 - W 6 K 08.30173 -). Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes lässt sich entnehmen, dass der chinesische Staat Angehörigen ethnischer Minderheiten besondere Aufmerksamkeit widmet, sofern sie nach seinem Verständnis als „Separatisten“ einzustufen sind. Entscheidender Anknüpfungspunkt für eine Verfolgungsgefahr bei tibetischen Volkszugehörigen ist der Separatismusverdacht (siehe Gutachten Klemens Ludwig vom 23.05.2011, S. 12: drohende Verfolgung bei „separatistischer Haltung“; ebenso: Bundesverwaltungsgericht Schweiz, Urteil vom 07.10.2009 a.a.O. <14>). Ist dieser Verdacht aus Sicht chinesischer Behörden stark, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung. Der schwerwiegendste Auslöser für einen Separatismusverdacht ist nach Auswertung der dem Senat vorliegenden Informationen die exilpolitische Betätigung. Dies betont insbesondere die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24.01.2008 an das Verwaltungsgericht Regensburg, wonach für tibetische Volkszugehörige bei Rückkehr nach China Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit nicht auszuschließen sind, wenn sie im Ausland aktiv und öffentlich für die Unabhängigkeit Tibets von China eingetreten sind, zum Beispiel in Form von Teilnahme an Demonstrationen. Solche Handlungen - entsprechende Auslandstaten könnten nach Rückkehr in China verfolgt werden - seien gemäß Artikel 103 chin. StGB mit Strafe bis zu zehn Jahren bewehrt. Die Auskunft stellt nicht darauf ab, dass nur exponierte Vertreter der tibetischen Exilgemeinde bedroht seien. Soweit es an Referenzfällen fehlt, kann dies nicht als Beleg für das Fehlen einer beachtlichen Gefahr dienen, da Rückführungen von Tibetern nach China nicht bekannt sind und es damit auch an Beispielen für eine verfolgungsfreie Rückkehr fehlt. Auch der Gutachter Prof. Dr. Oskar Weggel hebt in seiner Stellungnahme vom 11.02.2007 (an VG Ansbach, S. 2) hervor, dass Tibeter, die sich aktiv für die Unabhängigkeit Tibets von China einsetzten, mit Maßnahmen gegen Leib, Leben oder Freiheit rechnen müssten. Ob ein exilpolitisches Engagement bei pro-tibetischen Veranstaltungen der von der Klägerin besuchten Art für sich genommen für Tibeter grundsätzlich - auch wenn keine exponierte Stellung und kein ausgeprägt „politisches Wesen“ bescheinigt werden können - bereits eine Verfolgungsgefahr hervorruft, muss nicht entschieden werden (bejahend VG Würzburg, Urteil vom 22.06.2007 - W 6 K 07.30033 - juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 06.05.2009 - A 1 K 2242/08 -; VG Minden, Urteil vom 20.01.2010 - 4 K 2087/07.A - juris; VG Trier, Urteil vom 01.09.2011 - 5 K 366/10.TR -; Asylgerichtshof Österreich, Entscheidung vom 04.06.2009 - C1 313330-1/2008/8E, abrufbar über http://www.ris.bka.gv.at/; für den Fall einer bereits vor Ausreise ausgeübten und im Ausland fortgesetzten politischen Betätigung auch VG Ansbach, Urteil vom 19.03.2008 - AN 14 K 05.31454 - juris). Denn zahlreiche Erkenntnisquellen besagen, dass ein Separatismusverdacht auch durch die Gesichtspunkte illegale Ausreise, Asylantragstellung und mehrjähriger Auslandsverbleib hervorgerufen beziehungsweise verstärkt werden kann (neben den an anderen Stellen bereits genannten etwa TID e.V. vom 18.07.2002; Gottwald vom 16.11.2004 an VG Mainz; Auswärtiges Amt vom 10.03.2006 an VG Bayreuth; TibetInfoNet vom 24.07.2006 an VG Bayreuth). Betrachtet man die bei der Klägerin bestehenden Gefährdungsmomente in ihrer Summe, so muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin als (vermeintliche) Separatistin in China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht ist. Dabei wird nicht verkannt, dass manche Quellen im Zusammenhang mit einer illegalen Ausreise nur die Gefahren schildern, die sich für Personen ergeben, die an der Grenze zu Nepal aufgegriffen oder direkt von dort zurückgeführt werden. Auch stellt der Senat in Rechnung, dass manche der ausgewerteten Quellen der tibetischen Exilbewegung nahestehen und daher teils eher einseitig gehalten sind. Gleichwohl ergibt sich auch bei entsprechender Herabstufung des Beweiswerts solcher Erkenntnismittel noch das hier zugrundegelegte Gefährdungsbild. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung lässt sich auch nicht mit Verweis auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.07.2008 (bestätigt mit weiterer Auskunft vom 16.06.2010) verneinen. Dabei handelt es sich um die Antwort auf die Anfrage des VG Regensburg vom 02.07.2008 - RN 4 K 08.30072 -, ob tibetische Volkszugehörige, die ihr Heimatland illegal verlassen, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt haben und sich bereits längere Zeit hier aufhalten, damit rechnen müssen, dass ihnen - unabhängig von bekanntgewordener exilpolitischer Betätigung - staatsfeindliches Verhalten vorgeworfen wird mit der Folge, wegen Landesverrats mit schweren Strafen beziehungsweise Folter bedroht zu sein. In der Stellungnahme heißt es unter anderem, soweit Rückführungen aus Deutschland erfolgt seien, hätten die rückgeführten Personen die Passkontrolle unbehindert passieren und den Flughafen problemlos verlassen beziehungsweise ihre Weiterreise in China antreten können. Bei den Ausführungen in der Auskunft vom 15.07.2008 fällt auf, dass sie wörtlich mit einer Textpassage des Lageberichts übereinstimmen, die allgemein für das Herkunftsland Volksrepublik China formuliert wurde. Der Beweiswert der Auskunft bezogen auf tibetische Volkszugehörige erscheint angesichts dessen gering, dass die speziell auf Tibeter eingehenden Stellungnahmen durchgehend einen anderen Aussagegehalt haben, nämlich in mehr oder weniger starker Form auf Gefährdungen verweisen. Es erscheint angesichts der Fragestellung zwar naheliegend, dass die Auskunft sich auch auf Tibeter beziehen sollte, jedoch zeichnet sie sich durch mangelnde Differenzierung aus, zumal Referenzfälle für die Rückführung von Tibetern nach China nicht bekannt sind. Hinzu kommt, dass die Klägerin sich - anders als in der Fragestellung zu der Auskunft vorgegeben - wiederholt exilpolitisch betätigt hat. Auch die vom Bundesamt zitierte Aussage (amnesty international vom 17.05.2010 an VG Regensburg), es könne als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass Beantragung von Asyl in Kombination mit der Volkszugehörigkeit allein Anlass sei, die Person wegen politischer Delikte strafrechtlich zu belangen, entscheidend sei, ob diese Person sich vor oder nach der Ausreise für die Interessen der ethnischen Minderheit politisch engagiert oder gar die Unabhängigkeit der von dieser Minderheit bewohnten Gebieten gegenüber den chinesischen Behörden oder in der allgemeinen Öffentlichkeit befürwortet habe, spricht nicht gegen eine Bedrohung der Klägerin. Denn sie hat sich mehrfach in der Öffentlichkeit für die Unabhängigkeit Tibets eingesetzt.
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(4) Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten der Klägerin beruht.
60 
Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 = NVwZ 2009, 730 <731>). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221 = NVwZ 2009, 1167 <1168 f.>; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 - BVerwGE 135, 49 = NVwZ 2010, 383 <385>; Mallmann, ZAR 2011, 342). Art. 5 Abs. 2 RL 2004/83/EG übernimmt nicht die Einschränkungen des deutschen Asylrechts; Kontinuität ist bloß ein Indiz für die Glaubwürdigkeit (vgl. Begründung der Kommission vom 12.09.2001, KOM <2001> 510 endgültig, S. 18; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 28 Rn. 3 u. § 29 Rn. 12; anders und unklar hingegen Hailbronner, AsylVfG, § 28 Rn. 29 <ähnlich Rn. 32 u. 34>, wonach „Nachweise“ dafür vorliegen müssen, dass der Ausländer seine Überzeugung bereits im Heimatland gehabt hat; siehe ferner zu „Sur place“-Flüchtlingen Handbuch des UNHCR Nr. 94-96).
61 
e) Dem Schutzbegehren der Klägerin steht der Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes nicht entgegen.
62 
aa) Die Regelung des § 27 AsylVfG ist von vornherein nicht einschlägig, weil diese in Fällen einer anderweitigen Sicherheit vor Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat nur die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG, nicht aber den Abschiebungsschutz für Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 = NVwZ 2005, 1087; Ott in GK AsylVfG, § 27 Rn. 16; zur Vorgängervorschrift: BVerwG, Urteil vom 06.04.1992 - 9 C 143.90 - BVerwGE 90, 127 = NVwZ 1992, 893 m.w.N.).
63 
bb) Auch der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist indes vom Grundsatz der Subsidiarität des Konventionsschutzes sowohl im Verhältnis zum Schutz durch den Staat oder die Staaten der Staatsangehörigkeit des Betroffenen als auch im Verhältnis zum einmal erlangten Schutz in einem anderen (Dritt-)Staat geprägt. Er vermittelt grundsätzlich kein Recht auf freie Wahl des Zufluchtslandes und insbesondere kein Recht auf freie Wahl eines Zweit- oder Drittzufluchtslandes (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O., m.w.N.), sondern stellt insoweit lediglich sicher, dass der Flüchtling nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben oder der Gefahr einer solchen Abschiebung in einem Drittstaat (Kettenabschiebung) ausgesetzt werden darf (Refoulement-Verbot). Hat der Flüchtling bereits ausreichende Sicherheit vor Verfolgung in einem anderen Staat gefunden, kann er - unbeschadet des in jedem Falle unbedingt zu beachtenden Verbots der Abschiebung in den Verfolgerstaat - darüber hinaus grundsätzlich nicht mehr seine Anerkennung als Flüchtling sowie das damit verbundene qualifizierte Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland (§ 25 Abs. 2 AufenthG) beanspruchen. Dieser Grundsatz der Subsidiarität kommt beispielsweise auch in dem Ausschlussgrund nach Art. 1 E GFK zum Ausdruck, nach dem das Abkommen nicht auf eine Person anzuwenden ist, die von den zuständigen Behörden des Landes, in dem sie ihren Aufenthalt genommen hat, als eine Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten hat, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind (vgl. hierzu auch Art. 12 Abs. 1 b RL 2004/83/EG, wonach ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, wenn er von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat, vgl. ferner Handbuch des UNHCR Nr. 144 bis 146). Abgesehen von diesem in der Genfer Flüchtlingskonvention für eine besondere Konstellation ausdrücklich geregelten Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes aber auch, dass eine Flüchtlingsanerkennung in einem Zweit- oder Drittzufluchtsland nicht verlangt werden kann, wenn der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung tatsächlich sicher war und voraussichtlich auch sicher bleiben wird und wenn seine Rückführung oder Rückkehr in diesen Staat möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, a.a.O.; zustimmend Ott, a.a.O., § 27 Rn. 16).
64 
cc) Die Klägerin hat sich nach ihrer Ausreise aus China eigenen Angaben zufolge länger als drei Monate in Nepal aufgehalten. Mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität kommt es deshalb darauf an, ob sie in Nepal vor asylrelevanten Übergriffen tatsächlich sicher war und weiterhin sicher wäre und ob sie nach Nepal zurückkehren kann. Dies muss verneint werden. Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe räumt die nepalesische Regierung tibetischen Flüchtlingen nicht immer das Recht ein, einen Asylantrag zu stellen oder in Nepal zu bleiben, außer für die kurze Zeit des Transits in einen Drittstaat (vgl. SFH, Nepal: Situation von TibeterInnen in Nepal, 22.10.2004, S. 5, unter Berufung auf UNHCR). Neu ankommenden tibetischen Flüchtlingen sei es verboten, im Land zu bleiben (vgl. SFH, a.a.O., S. 3). Es sollen auch Fälle bekannt sein, in denen Flüchtlinge an die chinesischen Behörden ausgeliefert wurden (vgl. SFH, a.a.O., S. 4). Nepalesische Behörden verlangten, dass tibetische Flüchtlinge innerhalb von zwei Wochen das Land verließen (vgl. SFH, a.a.O., S. 6). Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die Stellungnahme der Tibet Initiative Deutschland e.V. vom 28.02.2006 zum Asylverfahren B 5 K 05.30078 (S. 3). Auch dort heißt es, dass es für Tibeter, die nicht schon sehr lange in Nepal lebten, unmöglich sei, dort zu bleiben (ob dies die Möglichkeit der Weiterreise nach Indien beinhaltet, wird nicht gesagt). Von anderer Seite wird bekräftigt, tibetische Flüchtlinge seien in Nepal von Rückschiebung bedroht (Klemens Ludwig, 23.05.2011, S. 11 f.).
65 
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes. Im Lagebericht vom 08.11.2005, Stand Oktober 2005 (S. 22 f.) heißt es, im Mai 2003 seien 18 tibetische Personen, die von Tibet nach Nepal geflüchtet seien - trotz internationaler Proteste - durch nepalesische Behörden unter Anwendung von Gewalt nach China abgeschoben worden, anstatt ihnen wie bei früheren Fällen die Ausreise nach Indien zu gestatten. Dies sei offensichtlich auf Grund massiven chinesischen Drucks geschehen. Die Personen seien in China zunächst vorübergehend in Haft gewesen. Als Grund der Verhaftung sei offiziell illegaler Grenzübertritt (ohne notwendige Papiere) genannt worden. Die Personen seien dann wieder freigelassen worden. Nichtregierungsorganisationen hätten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen berichtet. Seit der Abschiebung der Flüchtlinge am 31.05.2003, die auf Grund ihrer Einmaligkeit internationales Aufsehen erregt habe, seien die nepalesischen Behörden zu dem vorher üblichen Verfahren zurückgekehrt und hätten zugesichert, es auch in Zukunft anzuwenden. Dies bedeute in der Praxis, dass alle von den Behörden in Nepal aufgegriffenen tibetischen Flüchtlinge zunächst dem UNHCR-Büro in Kathmandu überstellt und von dort nach Indien weitergeleitet würden. Diese Zusicherung sei nach Kenntnis der deutschen Botschaft Kathmandu auch weitestgehend eingehalten worden, abgesehen von einigen Fällen mit kriminellem Hintergrund (Schmuggel, Drogenhandel). Danach bestätigt sich, dass es im Mai 2003 zu einer Rückführung von Tibetern von Nepal nach China gekommen ist. Zwar ist im Weiteren (noch) von „Einmaligkeit“ des Vorfalls sowie von der Praxis die Rede, aufgegriffene Tibeter dem UNHCR-Büro in Kathmandu zu überstellen und von dort nach Indien weiterzuleiten. Eine rechtliche oder auch nur tatsächliche Verfestigung dieser Praxis, die eine Sicherheit vor politischer Verfolgung gewährte, lässt sich dem aber nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als in späteren Lageberichten des Auswärtigen Amtes die zitierten Ausführungen fehlen, eine andere Quelle aus neuerer Zeit aber die Gefahr der Rückführung nach China betont.
66 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO (zur Quotelung siehe BVerwG, Urteil vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 - Buchholz 310 § 155 VwGO Nr. 12). Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
67 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten über den ihr zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Die Klägerin ist eine am ... 1987 in ... geborene Staatsangehörige der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnitin). Sie reiste ihren Angaben zufolge am 26. Januar 2016 (nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheids: 25.1.2016) auf dem L. Weg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. März 2016 einen Asylantrag.

Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 5. April 2016 äußerte sie sich im Wesentlichen wie folgt:

Die Lage in Syrien sei für sie und ihre Geschwister schwierig gewesen. Ihr Vater sei ein kranker Mann. Es seien Mädchen entführt worden. Die Jungen seien gezwungen worden, zur Armee zu gehen oder sich anderen Gruppen anzuschließen. Sie seien als Familie (Eltern, drei Brüder und drei Schwestern) am 5. Dezember 2012 oder 2013 nach Jordanien geflohen, wo sie registriert worden seien, im Übrigen aber keine staatliche Hilfe erhalten hätten. Bis dahin habe sie in ... Damaskus, gelebt. Etwa Ende Juli 2015 sei der Vater nach Syrien zurückgekehrt, um ihr Haus zu verkaufen und die Lage zu erkunden. Einer der Brüder sei mit seiner Familie nach Ägypten ausgereist. Der Vater habe bei seiner Rückkehr nach Syrien keine Schwierigkeiten gehabt. Er habe aber nicht mehr nach Jordanien zurückkehren können und sei in die Türkei gereist. Die übrigen Familienmitglieder, soweit noch in Jordanien lebend, hätten am 5. Januar 2016 Jordanien verlassen und sich ebenfalls in die Türkei begeben. Von dort aus seien sie am 26. Januar 2016 nach Deutschland gekommen. Sie sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Das sei auch jetzt nicht der Fall. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten sei sie nicht gewesen. Sie habe auf ihrem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die sie als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen sie habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Für den Fall der Rückkehr nach Syrien fürchte sie wegen des Krieges um ihr Leben.

Das Bundesamt erkannte die Klägerin mit Bescheid vom 8. April 2016 als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führte es unter anderem aus: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 20. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen.

Gegen die Annahme, dass bei jedem Rückkehrer eine Regimegegnerschaft vermutet werde, spreche die mittlerweile sehr hohe und weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche ebenfalls dagegen, dass jedem Rückkehrer eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Dem entspreche es, dass sich ein erheblicher Teil der syrischen Asylbewerber für den Fall einer Rückkehr nicht vor Verfolgung in Anknüpfung an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG fürchte, sondern ausschließlich vor Kriegsgefahren und Kriegsfolgen. Diese Erkenntnis habe das Bundesamt aus mehr als 130.000 in diesem Jahr durchgeführten Anhörungen gewonnen.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch unverfolgt ausgereisten Rückkehrern nach Syrien drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes (Botschaft Beirut v. 3.2.2016), wonach keine Erkenntnisse vorlägen, dass Syrer bei einer Rückkehr allein wegen des Auslandsaufenthaltes Übergriffe oder Sanktionen zu erleiden hätten, sei mit großer Unsicherheit behaftet. Denn es dürfte kaum noch eine Zusammenarbeit zwischen der deutschen Botschaft und den syrischen Behörden stattfinden.

Die Annahme, das syrische Regime sei aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage, Rückkehrer systematisch zu befragen, sei eine Mutmaßung des Bundesamts, die nicht näher begründet oder belegt werde.

§ 3 Abs. 1 AsylG sei verfassungskonform auszulegen, weil Leben und Gesundheit der Klägerin in Gefahr seien. Es müsse deshalb hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung zugunsten der Klägerin zu einer Art Beweislastumkehr kommen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses unter anderem wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei bei der Klägerin nicht gegeben. Die Annahme sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 zu Unrecht stattgegeben. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 8. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt der Klägerin in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn sie ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin ihr Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Senat konnte aufgrund des bisherigen Ablaufs des Asylverfahrens und aufgrund der Anhörung der Klägerin in der Berufungsverhandlung nicht die erforderliche Überzeugung (vgl. dazu BVerwG, U.v. 11.11.1986 - 9 C 316.85 - juris) davon gewinnen, dass sie die Arabische Republik Syrien aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen hat.

Die Klägerin hat erstmals in der Berufungsverhandlung eine Vorverfolgung geltend gemacht. Dieses Vorbringen ist nicht glaubhaft. Es ist gegenüber den in der Anhörung durch das Bundesamt am 5. April 2016 genannten Fluchtgründen gesteigert und steht dazu in Widerspruch, ohne dass die Klägerin diese Unregelmäßigkeiten überzeugend auflösen konnte.

Gegenüber dem Bundesamt sprach die Klägerin nach dem Inhalt der Niederschrift über die Anhörung am 5. April 2016 lediglich allgemein davon, die Lage in Syrien sei für sie und ihre Geschwister schwierig gewesen; ihr Vater sei ein kranker alter Mann. Es seien Mädchen entführt worden und Jungen seien gezwungen worden, zur Armee zu gehen oder sich anderen Gruppen anzuschließen.

Demgegenüber hat sie im Rahmen der informatorischen Befragung durch den Senat ihr Vorbringen steigernd und im Widerspruch zu dem ursprünglich genannten Fluchtgrund davon gesprochen, sie sei als Sunnitin von anderen Gruppen verfolgt worden. Es habe Drohungen gegeben, die ihre Familie auch persönlich betroffen hätten. Ihr Haus sei nach der Flucht aus der Heimat von verschiedenen Gruppen besetzt worden.

Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Klägerin diese aus ihrer Sicht wesentlichen Fluchtgründe nicht schon gegenüber dem Bundesamt vorgebracht hat. Ihre Erklärung, sie habe nicht die Möglichkeit dazu gehabt, sie sei nicht dazu gekommen, überzeugt schon angesichts der Tatsache nicht, dass die Anhörung vor dem Bundesamt ausweislich der dazu angefertigten Niederschrift mehr als eine Stunde dauerte und der Klägerin dabei auch ausdrücklich die Frage gestellt wurde: „Was ist ihnen persönlich vor der Ausreise aus Syrien passiert?“ Überdies erklärte die Klägerin abschließend auf eine entsprechende Frage der Entscheiderin hin, sie habe bereits alles erzählt.

Nach Vorstehendem kann offenbleiben, ob die von der Klägerin nunmehr behauptete Vorverfolgung überhaupt von flüchtlingsschutzrelevanter Bedeutung ist.

2. Die Klägerin kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil die Klägerin aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen die Klägerin bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionelle betrachten und sie deshalb wegen einer ihr unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn der Klägerin bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihr nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Klägerin nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GGU.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Klägerin bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen ihres Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: www...de/...) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www...de/...) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin allein wegen ihrer Ausreise, ihres Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (so auch OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 - juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A - juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 18.7.2012 - 3 L 147.12 - juris).

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob die Klägerin von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und - bejahendenfalls - wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung der Klägerin sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

72 Die im angefochtenen Gerichtsbescheid in Bezug genommenen (GA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden. Dazu in der Reihenfolge der Fälle wie sie im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 angeführt sind:

73 - Der syrische Kurde B. K. hatte in Zypern erfolglos Asyl beantragt und wurde im Juni 2009 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Hier trat zum Asylantrag hinzu, dass B. K. nach den Erkenntnissen von amnesty international bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft war. Er war damit bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der syrischen Dienste geraten.

[74] - Der syrische Kurde K. K. wurde nach abgelehntem Asylantrag am 1. September 2009 nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Herrn K. wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Allerdings, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt lässt das unerwähnt, war Gegenstand des geheimdienstlichen Verhörs auch die Teilnahme des Verhafteten an einer Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Arabischen Republik Syrien. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien hat der Rechtsanwalt des Herrn K. mitgeteilt, dass sich die nachfolgende Anklage auf den Vorwurf gestützt habe, Herr K. habe in Deutschland an dieser Kundgebung teilgenommen. Ein Monitoring durch den Verbindungsbeamten bestätigte, dass Herr K. der Aussage seines Anwaltes entsprechend wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland verurteilt wurde (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded Group und aktuelle Situation, April 2011, S. 11 f.).

[75] - Der syrische Kurde A. al-K. H. wurde im August 2010 aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Hier tritt hinzu, dass es sich bei Herrn A. al-K. H. um den stellvertretenden Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen handelte, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Er war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste.

[76] - Nach einem von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige (kurdische) Familie nach Damaskus abschieben lassen. H. H. und K. H. wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die beiden festgenommen wurden, weil sie in Deutschland straffällig geworden waren. Der Aussage des H. H. zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so H. H., sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden.

[77] - Der staatenlose Kurde D. A. wurde nach seiner Abschiebung aus Dänemark am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Herr A. war in Dänemark politisch aktiv.

[78] - Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Herrn D. Y. M. vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In diesem Fall tritt hervor, dass der Betroffene in Zypern gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen hatte.

[79] - Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen B. N. und seinen Sohn A. N. nach Syrien abschieben lassen. Beide wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Herrn A. N. wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater, Herr B. N, wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Er wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen. Unabhängig davon, dass es sich bei den Betroffenen um registrierte Staatenlose handelte, tritt hier die Problematik der Identitätsfeststellung in den Vordergrund.

[80] - Am 8. Februar 2011 wurde Herr A. A. von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich dem Königreich Dänemark zuvor die Rücknahme des Herrn A. zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Herrn A. begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Herrn A. nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Herr A. von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Herrn A. mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Herr A. leugnete das und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Herr A. gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. Es ist auch in diesem Fall ohne Weiteres erkennbar, dass Anlass für die angebliche Misshandlung nicht (allein) ein Asylantrag des abgeschobenen Syrers war.

[81] - Im Fall des Herrn K. H., der im Zuge seiner Abschiebung aus Deutschland am 13. April 2011 am Flughafen Damaskus festgenommen wurde, ergab sich das Interesse des syrischen militärischen Nachrichtendienstes an der Person des Abgeschobenen aus dessen exilpolitischen Aktivitäten, zu denen er im Verlauf einer einwöchigen Haft verhört wurde.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und des Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Die Klägerin zählt nicht zu diesem Personenkreis; sie ist keine Dissidentin und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Die Klägerin hat Syrien nach ihrem Vorbringen gegenüber dem Bundesamt und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht illegal verlassen. Sie reiste nach ihren Angaben in Begleitung ihres Vaters mit einem (gültigen) Reisepass aus und wurde an einem Grenzübergang zu Jordanien „auch auf der syrischen Seite“ kontrolliert.

2.2.4 Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht daraus, dass der UNHCR insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer als Risikogruppe betrachtet (vgl. UNHCR, „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 26). Insoweit fehlt es an einem konkreten Anhalt dafür, dass bei einer Rückkehr nach Syrien im Rahmen der Einreisekontrolle ein erhöhtes Risiko für Verfolgungshandlungen in Anknüpfung an das Geschlecht besteht (§ 3a Abs. 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Soweit der UNHCR feststellt, die Situation von Frauen verschlechtere sich durch den fortgesetzten Konflikt dramatisch, weil Frauen aufgrund ihres Geschlechts zunehmend Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, bezieht sich das auf die kriegsbedingten Verhältnisse im Land (vgl. UNHCR, „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 14). Im Übrigen lebte die Klägerin vor ihrer Ausreise in einem Vorort von Damaskus und hätte im Falle ihrer Rückkehr dort nach den Verhältnissen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine kriegsbedingten Gewalthandlungen zu befürchten.

2.2.5 Eine andere Gefährdungsprognose ist auch nicht mit Blick darauf veranlasst, dass der Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, für Personen die wegen ihrer Kleidung religiös erschienen, bestehe ein größeres Risiko, von den Grenzbeamten misshandelt zu werden. Das kann zwar den „Antworten auf Informationsanfragen“ der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde vom 19. Januar 2016 entnommen werden (vgl. dort S. 9 unter Verweis auf die telefonische Befragung eines leitenden Gast-Forschungsbeauftragten am King´s College London am 15.12.2015 und eines Programmbeauftragten am Center for Civilians in Conflict am 11.12.2015). Allerdings ist unabhängig davon, dass die befragten sachkundigen Personen offensichtlich keine Bezugsfälle angeführt haben, schon unklar, wann eine Person wegen ihrer Kleidung religiös erscheint. Angesichts des Umstands, dass sich die Arabische Republik Syrien als laizistischer Staat versteht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 9.7.2008, S. 13), geht es insoweit letztlich darum, ob die betroffene Person im Hinblick auf ihre Kleidung von syrischen Sicherheitskräften der Opposition zugeordnet wird. Dafür besteht bei der Klägerin kein konkreter Anhalt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 wird hinsichtlich dessen Ziffer 2 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die 1981 und 1986 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind nach eigenen Angaben syrische Staatsangehörige und miteinander verheiratet. Aus dieser Ehe sind die 2011 und 2014 geborenen Kläger zu 3) und 4) hervorgegangen. Die Kläger zu 1) und 2) sind nach eigenen Angaben von der Volkszugehörigkeit Araber und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Die Meldung als Asylsuchende erfolgte am ...09.2015 in Heidelberg, die Asylantragstellung am ...05.2016. Die Kläger sind nunmehr in ... wohnhaft.
Ausweislich der Aktenvermerke in der Behördenakte vom ...02.2016 konnten bei den syrischen Reisepässen der Kläger keine Manipulationen festgestellt werden; die Reisepässe entsprächen dem bei der Beklagten bekannten Vergleichsmaterial.
In seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Sigmaringen am ...09.2016 gab der Kläger zu 1) an, dass er sich mit seiner Familie in Deir ez-Zor und dort im Stadtviertel Hay Al Kosour aufgehalten und als Sportlehrer gearbeitet habe. Auf entsprechende Nachfragen gab er an, dass Deir ez-Zor am Fluss Euphrat liege. Es gebe dort die Tageszeitung Al Furat. Im Euphrat gebe es die Insel Hawijat Kati. Er sei von Syrien mit dem Bus in den Libanon, von dort mit der Fähre in die Türkei und mit einem Boot nach Griechenland gefahren. Von dort sei er weiter über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Österreich nach Deutschland gereist. Er habe von ... 2002 bis ... 2004 Wehrdienst geleistet. Politisch habe er sich nicht betätigt. Kriegsverbrechen, gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, den Einsatz von chemischen Waffen oder ähnliches habe er nicht beobachtet. Seine Heimatstadt sei zweigeteilt gewesen. Der Nord-Osten und das Umland seien von ISIS besetzt gewesen. Der süd-westliche Teil, in welchem er gewohnt habe, sei von Regierungstruppen besetzt gewesen. Diese hätten von ihm erwartet, dass er kämpfe. Aufgrund seiner Ablehnung habe man ihn unter Druck gesetzt. Man habe ihm nichts zu essen oder zu trinken gegeben. Das Wohnhaus der Familie sei durch das Artilleriefeuer des ISIS zerstört worden. Er sei daraufhin mit seiner Familie ein paar Straßen weiter zu seinen Eltern gezogen. Die Familie habe sodann Deir ez-Zor mit dem Ziel Damaskus verlassen wollen. Sein Antrag sei jedoch abgelehnt worden. Schließlich habe die Familie nach Damaskus fliehen können. Er persönlich sei auf dem Weg kontrolliert, bedroht und geschlagen worden. Er habe mit seinen Kindern fünf Stunden in der Sonne stehen müssen. Dies sei so erniedrigend gewesen, dass er sich nach sechs Wochen in Damaskus entschlossen habe, auszureisen, zumal das Leben in Damaskus genauso unsicher und teurer sei. Des Weiteren sei in Damaskus für ihn und seine Familie als Sunniten kein Platz. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien fürchte er den Tod. Er wolle für keine der Kriegsparteien kämpfen und befürchte, deshalb getötet zu werden. Dies befürchte er aufgrund der Zwangsrekrutierung in Syrien und der fehlenden Lebensgrundlage für sich und seine Familie. In der Anhörung beschränkte der Kläger zu 1) seinen Asylantrag auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.
In ihrer Anhörung am selben Tag gab die Klägerin zu 2) an, sie habe ihr Heimatland am ...09.2015 verlassen und sei am ...09.2015 nach Deutschland eingereist. Sie habe bis zur Ausreise mit ihrer Familie in Deir ez-Zor, dort im Stadtviertel Hay Al Kosour und danach im Viertel Hay Al Roshdia bei den Eltern ihres Mannes gelebt. In Syrien habe sie ein Anglistik-Studium mit Diplom abgeschlossen. Sie habe als Englischlehrerin an einer staatlichen Schule gearbeitet, nach Kriegsbeginn sei sie jedoch nur zu Hause gewesen. Auf Nachfrage gab sie an, dass es in Deir ez-Zor die Tageszeitung Al Furat sowie eine gleichnamige Universität gebe. Sie wolle hier leben, in Syrien habe sie nur im Hause gelebt. Ihr könne in Syrien alles passieren. Sie wolle nicht mehr zurück. In Deir ez-Zor sei die Lage völlig unsicher. Es gebe wenig zu essen und zu trinken. Die täglichen Bombardierungen seien lebensbedrohlich. Ihr Mann sei von Regierungstruppen bedroht und erniedrigt worden. Als Sunniten würden sie im ganzen Land missachtet. In der Anhörung beschränkte sie ihren Asylantrag auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.
In einem Aktenvermerk in der Behördenakte vom ...09.2016 wird festgehalten, dass nach Auffassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge eine positive Entscheidung nach § 3 Abs. 1 AsylG wahrscheinlich erscheine. Die Kläger stammten „zweifelsohne aus Deir ez-Zor in Syrien“. Das Asylvorbringen sei „glaubhaft dargestellt“ worden.
In einem weiteren Aktenvermerk vom ...10.2016 wird in der Behördenakte ausgeführt, dass in allen Landesteilen Syriens ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche. Für alle Zivilpersonen liege eine Gefahrverdichtung vor, d.h. sie seien bereits allein durch ihre Anwesenheit in Syrien einer schutzauslösenden individuellen Gefahr aufgrund willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Eine Verfolgung „in Anknüpfung an eines der Merkmale der GFK“ sei nicht glaubhaft geltend gemacht worden, sodass kein Flüchtlingsschutz gewährt werden könne.
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 – den Klägern zu 1) und 2) am ...11.2016 zugestellt – wurde den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und die Asylanträge im Übrigen abgelehnt. Hinsichtlich der Flüchtlingseigenschaft wurde ausgeführt, dass die vom Kläger zu 1) befürchtete Heranziehung zum Wehrdienst nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könne. Aus dem Vortrag der Kläger seien weder eine konkrete Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal ersichtlich. Es sei nicht ersichtlich, dass wegen der Ausreise flüchtlingsrechtlich relevante Maßnahmen drohten. Wegen der weiteren Begründung wird auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
Die Kläger haben am 15.11.2016 beim erkennenden Gericht Klage erhoben. Zur Begründung wird auf die Anhörung der Kläger zu 1) und 2) im Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Die Verweigerung des Militärdienstes werde als Zuwendung zum regierungsfeindlichen Lager angesehen. Bereits der Aufenthalt und die Asylantragstellung im Ausland würden als feindliche Akte angesehen. Dies gehe aus der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Beirut hervor.
10 
Die Kläger beantragen,
11 
ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 hinsichtlich dessen Ziffer 2 aufzuheben.
12 
Die Beklagte ist der Klage schriftsätzlich entgegengetreten.
13 
Auf Antrag der Kläger wurde ihnen mit Beschluss der Kammer vom ...01.2017 Prozesskostenhilfe für das vorliegende Verfahren bewilligt. In der mündlichen Verhandlung am 24.01.2017 wurden die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 1) getrennt voneinander informatorisch befragt.
14 
Informatorisch befragt gab die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung an, sie habe mit ihrer Familie in einem Viertel der Regierung gelebt. Es habe Bombardierungen gegeben und keine Sicherheit. Die Kinder hätten nicht zur Schule gehen können.
15 
Auf Befragen des Gerichts führte sie weiter aus, sie hätten bei der Familie ihres Mannes im Stadtteil Kosour gelebt. Im Stadtteil Roshdija habe sie ihren Mann geheiratet und dort hätten sie früher auch gelebt. Das Gebiet sei zerstört worden, es habe Bombardierungen gegeben und auch ihr Haus sei getroffen worden. Wer genau diesen Teil besetzt habe, wisse sie nicht; es gebe in Syrien viele Gruppen, die Gegner des Regimes seien. Sie habe sich mehrheitlich im Haus aufgehalten und letztlich nicht viel gesehen. Primär habe sie die Bombardierungen mitbekommen. In Deir ez-Zor habe es keine Infrastruktur, kein Essen und kein Wasser mehr gegeben. Die Situation sei immer unerträglicher und das Leben unmöglich geworden. Ihr Mann habe Essen besorgt, viele seien schon vor der Dämmerung oder kurz nach dem Frühgebet losgezogen, da es lange Wartezeiten gegeben habe. Es sei immer schlimmer geworden.
16 
Auf weiteres Befragen des Gerichts nach der Flucht nach Damaskus gab die Klägerin zu 2) an, es habe Wartelisten für die Ausreise gegeben; man habe sich registrieren fassen müssen. Schließlich sei ihnen dies gelungen und sie seien nach Damaskus ausgeflogen. In Damaskus habe sich die Familie etwa einen Monat, vielleicht auch mehr, aufgehalten. Aus Damaskus seien sie dann mit einem Bus in den Libanon geflohen.
17 
Gefragt nach besonders einprägsamen Ereignissen gab die Klägerin zu 2) an, dass sie in Damaskus aufgehalten worden seien. Sie hätten zwei Stunden warten müssen. Ihr Mann sei mit Maschinengewehren geschlagen worden; man habe ihm gesagt, dass er kämpfen solle. Genau wisse sie nicht, wie lange es gedauert habe; es sei sehr lang gewesen. Es seien Regierungstruppen gewesen.
18 
In seiner Anhörung gab der Kläger zu 1) – informatorisch nach dem Leben in Deir ez-Zor befragt – an, dass die Familie in einem Haus in Al Roshdija gelebt habe. Dieses sei bei Bombardierungen zerstört worden und die Familie sei dann zu seinen Eltern gezogen. Der Stadtteil, in dem seine Eltern lebten, heiße Al Kosour und sei von den Regierungstruppen besetzt. Al Roshdija sei in der Hand des IS und dieser habe ein Embargo gegen die Regierung verhängt.
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Nach dem Einsturz des Hauses und dem Embargo des IS Anfang 2015 habe die Regierung die Zivilbevölkerung aufgefordert, an die Front zu gehen. Er selbst sei Sportlehrer und habe weder Lust an der Front zu kämpfen noch könne er dies. Die Regierung wolle einen dazu zwingen. Wenn man die Aufforderung zu kämpfen nicht befolge, gebe es zunächst kein Essen. Dann sei die Familie nach Damaskus geflohen.
20 
Die Versorgung mit Essen sei sehr gering gewesen. Für ihn als Mann sei aber nicht nur die Essensversorgung relevant, sondern auch der Kriegsdienst. Er sei gezwungen gewesen zu fliehen. Die Familie sei dann auch gezwungen gewesen, ausgeflogen zu werden, um nicht auf der Reise nach Damaskus vom IS aufgegriffen zu werden. Die Reise sei später genehmigt worden, sodass sie nach Damaskus hätten fliegen können. Es sei schwer gewesen, aber schließlich sei es genehmigt worden.
21 
Unterwegs in Damaskus sei er mit seiner Familie angehalten und von Regierungstruppen kontrolliert worden. Man habe anhand des Ausweises gesehen, dass er aus Deir ez-Zor stamme. Anfangs habe er zwei Stunden warten müssen, danach dann noch zwei oder zweieinhalb Stunden. Erst habe er warten müssen, dann habe man ihn mit Absicht warten lassen, nachdem man ihn aufgefordert habe, für die Regierung zu kämpfen. Als er dies verweigert habe, sei er u.a. mit einem Gewehrkolben geschlagen und beleidigt worden. Insofern – so gab der Kläger zu 1) auf Vorhalt an – könne es gut sein, dass er in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Gesamtzeit mit vier bis viereinhalb oder fünf Stunden beschrieben habe.
22 
Auf Nachfrage gab der Kläger zu 1) an, der Flug nach Damaskus sei im 7. oder 8. Monat des Jahres 2015 gewesen. In Damaskus habe sich die Familie etwa ein bis eineinhalb Monate aufgehalten. Mit dem Bus seien sie in den Libanon und mit dem Schiff in die Türkei gereist.
23 
Auf Nachfrage, was er im Falle einer Rückkehr für sich selbst und isoliert für seine Frau befürchte, gab er an, dass er als Verräter gelte, weil er nicht gekämpft habe. Weil sie Sunniten seien, gebe es nicht so gute Möglichkeiten; vielleicht würden er und seine Familie getötet, sie hätten aber jedenfalls keine gute Zukunft. Auf Nachfrage, wie die Rekrutierung ablaufe, gab er an, dass es keine Briefe oder ähnliches gebe, man werde auf der Straße oder am Checkpoint „geschnappt“. Auf Nachfrage gab er an, dass auch Leute verschwänden; er wisse von vielen Leuten, die aufgegriffen worden und dann nicht mehr aufgetaucht seien. Bei der Ausreise sei er an der Grenze und vom Zoll sowohl von libanesischen als auch syrischen Behörden kontrolliert worden.
24 
Dem Gericht liegt ein Ausdruck der elektronischen Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diese und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
25 
1. Die Kammer ist zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, nachdem dieser nicht dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden ist (vgl. § 76 Abs. 1 AsylG).
26 
2. Das Gericht kann gem. § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden, obwohl die Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, nachdem sie ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne ihr Erscheinen verhandelt werden kann.
27 
3. Die Klage ist auch zulässig, da sie insbesondere fristgemäß erhoben worden ist und auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Denn die aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis wird gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG – mit Verlängerungsmöglichkeit – längstens für drei Jahre erteilt, während subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG – wie den Klägern –lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf zwei Jahre erteilt werden darf. Der Status eines anerkannten Flüchtlings im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt daher einen für die Kläger günstigeren Status, als der ihnen gewährte subsidiäre Schutzstatus. Es kann deshalb vorliegend offenbleiben, ob ein Rechtsschutzbedürfnis mit Blick auf den durch § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG eingeschränkten Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten, deren Kernfamilie sich bereits im Bundesgebiet befindet, bestehen kann.
II.
28 
Die Klage ist auch begründet. Der verfahrensgegenständliche Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.
29 
Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
30 
Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen unveränderlichen gemeinsamen Hintergrund gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris; Nds. OVG, Urteil vom 21.09.2015 – 9 LB 20/14 –, juris).
31 
Dabei ist die Furcht vor Verfolgung begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 – A 11 S 689/13 –, juris). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU vom 20.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie (QRL) – ist die Tatsache, dass ein Asylantragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des jeweiligen Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen dagegen, dass dieser Asylantragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
32 
Entscheidend ist insofern, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.11.2015 – A 12 S 1999/14 –, juris). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 – 9 C 118.90 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 147).
33 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 – 9 C 32.87 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80). Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12 –, Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 14). Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2016 – A 10 S 332/12 –, juris). Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann die Intensität der drohenden Verfolgung aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen für die Entscheidung maßgeblich sein, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren will oder nicht (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.02.2007 – 23 B 06.30883 –, juris).
34 
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat; insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die – wie hier – bereits während eines Erstverfahrens oder erst mit der Ausreise verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 – 10 C 27.07 –, Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 24 ). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren – wie hier – ist demnach die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 – 10 C 51.07 –, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 28).
35 
Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt stimmig zu schildern (vgl. §§ 15, 25 Abs. 1 AsylG; BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 – 9 C 321/85 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 64).
36 
Ist – wie im vorliegenden Fall – der Sachverhalt soweit ermittelt, dass alle ernsthaft in Betracht kommenden Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind, entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Ziel dieser Würdigung des Gesamtergebnisses und insbesondere der verfügbaren Beweis- und Erkenntnismittel ist die Begründung der richterlichen Überzeugung über das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen bestimmter erheblicher Umstände. Es ist demgemäß zu erkennen, wie stark oder schwach die einzelnen Umstände und Elemente des Prozessstoffs auf das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein der behaupteten Tatsache hinweisen, wobei das aus seiner Lebens- und Welterfahrung gewonnene Erfahrungswissen und die Erfahrungssätze des erkennenden Richters den Maßstab bilden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.1971 – VIII C 24.70 –, BVerwGE 38, 10 <12>). Das dem Gericht bekannte Wissen über allgemein offenkundige Tatsachen bzw. die aus der amtlichen Tätigkeit gewonnenen Kenntnisse ergänzen diesen Maßstab der Beweiswürdigung (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 16 (Stand: April 2013), m.w.N.).
37 
Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Zudem ist die besondere Beweisnot des hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht mit der Beweislast beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden als „Zeuge in eigener Sache“ und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
38 
Je größer unter Anwendung dieses Maßstabs die Zahl der übereinstimmenden und je geringer die Zahl der differierenden Merkmale unter den den Prozessstoff bildenden Elementen ist, desto größer ist die Allgemeingültigkeit einer Hypothese, und umso geringer ist die Zufälligkeit der Ähnlichkeit, Gleichartigkeit oder Identität in Bezug auf ein einzelnes Merkmal (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.). Dabei unterliegt die Überzeugungsbildung des Gerichts seiner „Freiheit“, d.h. einer richterlichen Einschätzungsprärogative (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth (Hrsg.), VwGO, 6. Aufl., 2014, § 108 Rn. 10). Diese findet ihre Grenze in den Denkgesetzen, dem Willkürverbot und in dem Gebot der vollständigen Würdigung des gesamten Prozessstoffs (BVerwG, Beschluss vom 17.10.2012 – 8 B 47/12 –, NVwZ-RR 2013, 97 <100>). In diesem Rahmen ist das Gericht berechtigt, auf jedes Einzelelement des Prozessstoffs zurückzugreifen, andererseits aber auch verpflichtet, das Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschöpfen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 14.06.1985 –6 C 33/82 –, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 169; Beschluss vom 21.01.2014 – 10 B 3/14 –, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 81).
39 
Das erkennende Gericht muss demnach alle geeigneten Erkenntnismittel nutzen, wobei eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht regelmäßig dann nicht vorliegt, wenn das Gericht den nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für aufgeklärt hält und die – wie hier zumindest im vorbereitenden Verfahren – sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten keine Beweisanträge gestellt oder im vorbereitenden Verfahren angekündigt haben (BVerwG, Urteil vom 27.07.1983 – 9 C 541.82 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146; Beschluss vom 10.10.2013 – 10 B 19.13 –, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 67).
40 
1. Die Kammer ist unter Zugrundelegung dieses Maßstabs zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Klägern um syrische Staatsangehörige handelt, die aus Syrien ausgereist sind, ohne dass sie vor ihrer Ausreise aufgrund eines der in § 3 Abs. 1 AsylG niederlegten Merkmale verfolgt worden wären.
41 
Bilden – wie im vorliegenden Fall hinsichtlich des individuellen Schicksals der Kläger – Aussagen natürlicher Personen über Wahrnehmungen und Erlebnisse die einzigen Mittel zur Sachverhaltsermittlung, sind diese im Wege der Aussageanalyse dahingehend zu würdigen, ob sie glaubhaft sind, d.h. ob sie Tatsachen schildern, hinsichtlich derer das Gericht überzeugt ist, dass sie sich – wie sie im Verwaltungsverfahren und im Prozess vorgebracht wurden – zugetragen haben (vgl. Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.).
42 
Kein anderer Maßstab kann für die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als „Zeuge in eigener Sache“ gelten, welche im Asylverfahren hinsichtlich des Flucht- oder Verfolgungsschicksals des Asylsuchenden regelmäßig als einziges Erkenntnismittel in Betracht kommen und so gesteigerte Bedeutung erfahren (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
43 
Gegenstand der Prüfung der Glaubhaftigkeit, welche damit in Ermangelung anderer Ermittlungsansätze aufgerufen ist, ist die Frage, ob die Angaben hinsichtlich eines bestimmten tatsächlichen Geschehens zutreffen oder nicht. Dabei ist zunächst zu unterstellen, dass die Aussage weder wahr noch falsch ist; es sind auf Grundlage eines Glaubhaftigkeitswerts von Null weitere Hypothesen zu bilden (sog. „Nullhypothese“, vgl. hierzu m.w.N. BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; zu deren Anwendbarkeit außerhalb des Strafprozesses LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; zu deren Bedeutung für die richterliche Beweiswürdigung BGH, Urteil vom 27.03.2003 – 1 StR 524/02 –, NStZ-RR 2003, 206 <208>).
44 
Ergibt sich, dass diese Hypothese, die Aussage sei weder wahr noch falsch, nicht zutreffen kann, bspw. weil sich die Aussage durch genügend Qualitätsmerkmale auszeichnet, die den Schluss rechtfertigen, dass sie der Wahrheit entspricht, d.h. die „Nullhypothese“ mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt (BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506; VG Meiningen, Beschluss vom 08.12.2011 – 6 D 60012/11 Me –, juris).
45 
Demnach ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, dass Aussagen über Erlebtes und Nicht-Erlebtes sich in ihrer Qualität unterscheiden (sog. „Undeutsch-Hypothese“, vgl. zum Ganzen Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 283 ff.), sodass die Aussage zunächst inhaltsorientiert und sodann merkmalsorientiert dahingehend überprüft werden kann, ob sie Merkmale bzw. Anzeichen enthält, die für ihre Glaubhaftigkeit sprechen (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506).
46 
Als solche sog. „Realitäts-“oder „Glaubhaftigkeitsanzeichen“ kommen insbesondere ein Detailreichtum, Angaben zu im Hintergrund stehenden Umständen, eine nicht chronologische und unpräzise – gleichwohl inhaltlich ausführliche – Erzählweise im Gegensatz zur Wiedergabe angelernter oder ausgedachter Informationen in Betracht (vgl. bspw. BVerwG, Urteil vom 19.07.2006 – 2 WD 13/05 –, NVwZ-RR 2007, 182; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 370 ff. und 409 ff.).
47 
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sieht das Gericht die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als glaubhaft an. Ihre Angaben stehen hinsichtlich des wesentlichen Kerngeschehens, aber auch im Hinblick auf den, das Kerngeschehen umgebenden, inhaltlichen Gesamtzusammenhang und mit ihrem Vorbringen im Behördenverfahren in dessen wesentlichen, das Geschehen prägenden Elementen, in inhaltlicher Übereinstimmung. Inhaltlich waren die Angaben weitgehend widerspruchsfrei, wobei die Widersprüchlichkeit in den Angaben der Klägerin zu 2) hinsichtlich der Dauer der Kontrolle am Checkpoint in Damaskus, zunächst erheblich von der anfänglich angegebenen Dauer von vier Stunden abwich. Ihr gesamtes Aussageverhalten war indes von Unsicherheiten – teilweise auch gegenüber dem Gericht – geprägt. Ihr war eine klare Sorge in der Erzählung anzusehen und es war offensichtlich, dass der Fokus ihrer Wahrnehmung auf dem Geschehenen selbst und dem Schicksal ihres Ehegatten und ihrer Kinder, nicht aber auf der, in diesem Detail zum Randgeschehen zählenden, zeitlichen Dauer lag. Das generell einzelfallbezogen und so im Falle der Klägerin zu 2) unter diesem Gesichtspunkt zu bestimmende Kerngeschehen hat sie widerspruchsfrei geschildert (vg. zur Bestimmung des „Kerngeschehens“ OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506 <3507>). Die Klägerin zu 2) gab nämlich an, dass es sich insgesamt um eine in ihrer subjektiven Wahrnehmung lange Zeit gehandelt habe, was inhaltlich zu den Angaben des Klägers zu 1) jedenfalls nicht in Widerspruch steht, sondern vielmehr der vom Kläger zu 1) angegebenen Dauer von vier bis fünf Stunden entspricht.
48 
Das Aussageverhalten – insbesondere des Klägers zu 1) – war flüssig und nicht detailarm. Der Kläger zu 1) machte von sich aus Angaben, welche einzelne Details zum Geschehen enthielten, wie den Umstand, dass er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Andererseits war er auch in der Lage, andere von ihm als selbstverständlich angenommene Umstände – wie die Tatsache, dass keine förmlichen Einberufungsbescheide zum Wehrdienst ergingen – auf Nachfrage zu ergänzen. Dies erfolgte schnell und ohne nachzudenken oder zu zögern unter Einbettung in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang mit einer Selbstverständlichkeit und Präzision, welche die Überzeugung rechtfertigt, dass ein wahrheitswidriges Erfinden dieser Angaben anhand von Gerüchten oder Medienberichten auch einer kompetenteren Aussageperson nicht ohne weiteres in dieser Gestalt möglich gewesen wäre.
49 
Das Aussageverhalten zeichnete sich bei beiden Klägern dadurch aus, dass sie in ihrer Erzählweise selbst inhaltlich und zeitlich „sprangen“ und auch auf Nachfrage des Gerichts in der Lage waren, in einen anderen Teil ihrer Erzählung gedanklich einzusteigen, was für die Wiedergabe selbst erlebter Ereignisse – im Gegensatz zu einer stereotypen streng chronologischen Erzählweise – spricht.
50 
Auf Grundlage dieser Glaubhaftigkeitsanzeichen gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Angaben der Kläger zu 1) und 2) glaubhaft sind, die Kläger aus Syrien stammen und der Kläger zu 1) Rekrutierungsbemühungen und -versuchen der syrischen Regierung ausgesetzt war. Zugleich gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Kläger jedenfalls nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder politischen Einstellung als solches vor ihrer Ausreise aus Syrien verfolgt wurden. Dies kann jedoch offenbleiben.
51 
2. Soweit anhand der verfügbaren Erkenntnismittel ersichtlich, ist die Kammer jedoch im Ergebnis mit der überwiegenden Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung davon überzeugt, dass zumindest bis in das Jahr 2013 hinein eine sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung schutzsuchender syrischer Staatsangehöriger aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung oder einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt, bei einer Wiedereinreise nach Syrien bestand (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A –, juris). Dies findet tatsächliche Bestätigung im Bericht des Auswärtigen Amtes vom 28.12.2009 (AA, Ad-hoc Ergänzungsbericht zum Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Dezember 2009)).Amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes stellen dabei Beweismittel eigener Art dar, denen – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – eine „Bemühung um Objektivität“ innewohnt, sodass sie den tatsächlichen Verhältnissen am Nächsten kommen (BVerfG, Beschluss vom 23.02.1983 – 1 BvR 990/82 –, BVerfGE 63, 197 <214 f.>). Ihnen kommt daher ein hoher Beweiswert zu (Berlit, in: Gemeinschaftskommentar AsylG (GK-AsylG), § 78 Rn. 400 (Stand: April 1998)).
52 
a. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2012 wurde hierzu ausgeführt, dass seit den anfänglich friedlichen Protesten im Jahre 2011 (sog. „Arabischer Frühling“) das Regime mit massiven Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung – vor allem durch den Einsatz der Armee, von Sicherheitskräften und staatlich organisierten Milizen reagiert hat. Reformen würden als sog. „Papierreformen“ nicht den Kern des Konflikts, d.h. den Fortbestand des Regimes und die Fortdauer der Repressionen – antasten (AA, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17.02.2012, Stand: Februar 2012, S. 5).
53 
Aufgrund dieser Erkenntnislage ist der VGH Baden-Württemberg zuletzt im Jahr 2013 davon ausgegangen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bislang in der Rechtsprechung angenommene Gefahr einer sog. „Rückkehrerverfolgung“ nicht mehr bestehen würde (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Allein die aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen bestehenden hohen Zahlen an Wiedereinreisen nach Syrien höben nicht per se die Möglichkeit des Regimes auf, die Herkunft der Rückkehrer zu kontrollieren (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
54 
Dem schließt sich die Kammer an, da sie die Auffassung des VGH Baden-Württemberg teilt, dass es nicht nachvollziehbar erscheint, dass im Falle eines totalitären Regimes, welches um sein Überleben kämpft, dieses im Rahmen eines bewaffneten bürgerkriegsähnlichen Konflikts seine bisherige Praxis der Annahme einer potentiellen Regimegegnerschaft bei Rückkehrern ändert und nunmehr im Rahmen der Einreise eine abstrakte repressionsneutrale Vorfeldkontrolle vornimmt und erst dem nachgelagert – ggf. zwischen freiwilliger Ausreise und zwangsweiser Abschiebung differenzierend – Repressionen ausübt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Ein derartiges differenziertes und bürokratisches Vorgehen nach – in quasi-rechtsstaatlicher Weise – abstrakt-generell vorgezeichneten Kriterien erscheint abgesehen von dessen Praktikabilität im Falle eines in der Krise agierenden totalitären Regimes bei lebensnaher Betrachtung auch nach Auffassung der Kammer eher fernliegend und kann unter den aktuellen Umständen ohne nähere Anhaltspunkte wohl kaum in ernst zu nehmender Weise erwartet, unterstellt oder angenommen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
55 
b. Die Kammer gelangt anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung, dass hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. der Vermutung einer Regimegegnerschaft bei wiederkehrenden Syrern aus dem Ausland durch das syrische Regime, keine flüchtlingsrechtlich erhebliche Änderung eingetreten ist. Damit gelangt sie zu der Überzeugung, dass jedenfalls derzeit eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt.
56 
Die Kammer ist als erkennendes Gericht dabei nicht gehalten, „ins Blaue hinein“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte nach theoretisch denkbaren Ermittlungsansätzen – wie etwa einer veränderten sicherheitsbehördlichen Praxis in Syrien – zu suchen und solchen ohne auch nur eine ansatzweise Tatsachengrundlage nachzugehen (vgl. zur sog. „Ausforschung“ durch das Gericht bspw. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2008 – 5 B 196/07 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 362; Beschluss vom 05.10.1990 – 4 B 249/89 –, Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 6; Beschluss vom 29.03.1995 – 11 B 21/95 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266; vgl. zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2016 – 5 S 1443/14 –, juris).
57 
Dass Ermittlungsbemühungen bspw. über Auskünfte des Auswärtigen Amtes – nicht zuletzt mangels diplomatischer Vertretung in Syrien – ergebnislos ausfallen, zeigen bereits die jüngsten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017, welche dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erteilt wurden, sodass aus Sicht der Kammer keine weiteren Ermittlungsansätze bestehen.
58 
aa. Die Kammer stützt daher ihre Erkenntnis dabei zunächst auf den Bericht der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde vom 19.01.2016. In diesem wird unter Berufung auf sachverständige Auskünfte das Verfahren bei der Wiedereinreise nach Syrien näher beschrieben.
59 
Nach diesem Bericht erfolgen an den Einreisestellen, d.h. am internationalen Flughafen in Damaskus sowie an den Grenzkontrollpunkten Kontrollen der Ausweispapiere sowie Rücksprachen mit nationalen Stellen. Es erfolgen Abfragen und Abgleiche mit Such- und Fahndungsmeldungen. Dabei ist nach sachverständigen Angaben das Verfahren dahingehend ausgestaltet, dass die Grenzbeamten und Sicherheitsbehörden über eine sog. „carte blanche“ – also eine Blankoermächtigung – für die Behandlung ihnen verdächtig erscheinender Personen erhalten haben (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion - (im Folgenden: „Syria: Treatment of returnees“) -, 2015, S. 3). Dies beinhaltet nach sachverständigen Angaben die sofortige Ingewahrsamnahme der jeweiligen Person, welche zu einem sog. „Verschwinden“ oder Folter führen kann (so auch Amnesty International, Amnesty Report 2016: Syrien, im Internet abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien). Es können ferner Meldeauflagen verhängt werden. Insgesamt wird das Verfahren im Hinblick auf Rückkehrer als „unpredictable“ – unvorhersehbar – beschrieben. Bereits dies für sich genommen spricht für das Fortbestehen von Einreiserepressionen – bzw. der begründeten Furcht vor solchen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG – sowie deren Bestärkung durch die Erteilung von Blankoermächtigungen an Sicherheitsbehörden und damit die staatliche Freigabe für willkürliche Festnahmen und sonstige Maßnahmen.
60 
Dies findet Bestätigung im Menschenrechtsbericht des U.S.-Außenministeriums, wonach die syrische Regierung Dissidenten und frühere Einwohner ohne bekannte politische Betätigung, welche nach Jahren freiwilligen Asyls nach Syrien zurückkehren wollten, verhaftet hat (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 34, im Internet allgemein abrufbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947). Dass sich diese Ausführungen ausschließlich auf Sonderfälle (früherer) politischer Betätigung beziehen würden, vermag die Kammer nicht zu erkennen, da sich die vom OVG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 16.12.2016 (Az.: 1 A 10922/16, juris) angeführte Erläuterung im Bericht des Außenministeriums nicht etwa auf die Feststellung genereller Verhaftungen von Dissidenten und Rückkehrern bezieht, sondern auf die dem vorangestellt angeführte Verhaftung politisch auffälliger Rückkehrer.
61 
Hierauf kommt es indes nicht an, da bereits die objektiv bestehende Möglichkeit, dass ein längerer Auslandsaufenthalt für die syrischen Behörden einen hinreichenden Anlass für die Unterstellung einer potentiell staatsfeindlichen Betätigung darstellt, für die Bejahung einer begründeten Furcht im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG genügt. Denn allein die Möglichkeit, bei einem erst noch kürzlich bestehenden und in Vollzug gesetzten System genereller Rückkehrerverfolgung, allein aufgrund eines Asylantrags im Ausland in den Fokus der syrischen Sicherheitsbehörden zu geraten, rechtfertigt aus der objektiven Sicht eines verständigen Menschen in der Situation der Kläger die Befürchtung, bei der Einreise aufgegriffen und allein wegen der unterstellten politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die allgemeinen Haftbedingungen in Syrien derzeit unabhängig von einer politischen Gesinnung – insbesondere für weibliche Gefangene mit Blick auf Vergewaltigungen sowie gewaltsame Penetrationen mit Gegenständen, aber auch für die übrigen Gefangenen – in keiner Weise mit der Menschenwürde vereinbar oder den Betroffenen zumutbar sind, zumal ausweislich des Berichts des U.S.-Außenministeriums verschiedene Foltermethoden willkürlich bis hin zum Tode eingesetzt werden und die Leichen der jeweiligen Gefangenen durch Verbringung in die Hafträume noch lebender Häftlinge zu Folterinstrumenten verobjektiviert werden (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 5 f. unter ausführlicher Beschreibung der einzelnen Foltermethoden).
62 
Da diese Methoden jedoch bereits an Checkpoints sowie im Rahmen formellen als auch informellen Gewahrsams im Rahmen der Einreisekontrollen angewendet wurden (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees, 2015, S. 3; vgl. hierzu auch VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris, m.w.N.), besteht nach Auffassung der Kammer für die Kläger objektiv die Besorgnis, aufgrund ihrer Ausreise und ihrer Asylantragstellung bzw. ihres Auslandsaufenthalts bei ihrer Rückkehr als potentielle Regimegegner verhaftet und sodann in diesem Status und aufgrund dessen den im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargestellten Methoden unterworfen zu werden. Diese Erkenntnisse erhöhen aus Sicht eines verständigen Menschen nochmals dahingehend die Hemmschwelle, in das Heimatland zurückzukehren, dass bereits eine unter 50 % liegende Wahrscheinlichkeit zum Objekt der Folgen einer – auch anlasslos unterstellten Regimegegnerschaft als sog. „Polit-Malus“ – zu werden, es gebieten wird, sich nicht diesem Risiko auszusetzen.
63 
bb. Das Vorbringen der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 16.09.2016 im Verfahren 3 K 368/16 des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vermag es nicht, diese Annahme zu entkräften oder ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dass das syrische Regime an der Ausgabe von Reisepässen „gut verdiene“ und aufgrund der Visafreiheit gegenüber der Türkei in dem Bewusstsein der legalen Ausreise Pässe ausgeben mag, steht den zumindest im Jahr 2012 noch bestehenden Repressionen im Sinne einer „Rückkehrerverfolgung“ nicht entgegen, da das syrische Regime mit derartigen Maßnahmen nicht das Ziel der Ausreiseverhinderung verfolgt, sondern letztlich die möglichst umfassende Eliminierung potentiell oppositioneller oder regimefeindlicher Tendenzen im Inland. Die Ausreise ist nämlich nicht zwingend darauf gerichtet, wieder in das Heimatland zurückzukehren. Erfolgt jedoch eine Rückkehr, widerspricht eine Verfolgung von Rückkehrern als potentielle Staatsfeinde nicht sinnlogisch einer vorherigen Förderung der Ausreise.
64 
Im Übrigen dürfte es auch dem syrischen Regime bekannt sein, dass es allein mit dem Instrument der Passversagung kaum möglich sein dürfte, illegale Ausreisen zu verhindern. Allein die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016 in jenem Verfahren zitierte Auskunft des Auswärtigen Amtes, wonach „keine Erkenntnisse“ zu einer aktuellen Rückkehrerverfolgung vorliegen, vermag es nicht, ein Nicht-Mehr-Bestehen derartiger Repressionen darzulegen oder derart in Zweifel zu ziehen, als dass es der Kammer hinsichtlich eines zwischenzeitlichen dauerhaften Entfallens von generellen Repressionen gegenüber Rückkehrern auch nur eine im Ansatz hinreichende Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) vermitteln könnte. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, welches sich im Wesentlichen ebenfalls nur auf die Mitteilung beschränkt, dass keine Erkenntnisse vorlägen. Liegen dem Auswärtigen Amt nach dessen eigenen Angaben keine Erkenntnisse vor, kann darauf aufbauenden Auskünften auch kein Beweiswert zukommen. Vielmehr spricht die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zitierte Meldung des Fernsehsenders n-tv vom 01.12.2015, wonach der syrische Präsident Assad eine „Unterwanderung“ der syrischen Flüchtlinge „durch Terroristen“ annehme, mehr für eine verstärkte Überwachung von Rückkehrern als für eine Aufgabe der bisherigen Repressionen bei einer Wiedereinreise.
65 
Dies steht aus Sicht der Kammer in Einklang mit verschiedenen – öffentlich zugänglichen – Berichten (Stiftung Wissenschaft und Politik, Hintergrund Syrien vom 05.08.2015, S. 8 f.; Tharir Institute for Middle East Policy, Russia’s Exit from Syria Highlights Assad’s Limitations, vom 15.03.2016), denen zufolge sich der syrische Präsident Assad im Jahr 2015 dahingehend geäußert hat, dass das Vaterland denen gehöre, die es verteidigten und beschützten. Bereits diese Aussage deutet auf eine Zuordnung rückkehrender Flüchtlinge zu nicht-vaterlands- bzw. nicht-regimetreuen und zugleich – zumindest potentiell – oppositionsfreundlichen Kategorien bzw. deren Ansehung als eine Art „Verräter“ – im Gegensatz zu kämpfenden oder im Heimatland verbleibenden Syrern – hin. Dies genügt aus Sicht der Kammer im Falle einer kürzlich noch bestehenden Rückkehrerverfolgung für die objektiv gerechtfertigte Besorgnis, allein aufgrund der jedenfalls nicht ausdrücklich genehmigten Ausreise und der Asylantragstellung oder des längeren Auslandsaufenthalts im Falle der Wiedereinreise Repressionen des syrischen Staats weiterhin ausgesetzt zu sein.
66 
cc. Auf das Fortbestehen eines Systems gezielter Überprüfung von Rückkehrern, wie sie sich aus den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln ergibt, deutet als Indiztatsache auch der Umstand hin, dass syrische Nachrichtendienste im Jahr 2015 nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz auch im Bundesgebiet entsprechende vorbereitende Aufklärung betrieben haben (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263; vgl. hierzu VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, abrufbar im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen). Nach diesen Erkenntnissen verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und der Auflösungserscheinungen im Machtapparat des syrischen Regimes unverändert über leistungsfähige Strukturen. Der Aufgabenschwerpunkt besteht offenbar in der Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Zwar mag eine nachrichtendienstliche Überwachung sämtlicher syrischer Staatsangehöriger durch das syrische Regime in Deutschland nicht bestehen (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Dass aber überhaupt eine Überwachung von Gegnern durch ein angeschlagenes Regime im Ausland möglich ist und aufrecht erhalten wird, deutet darauf hin, dass die Überwachung von Syrern im Ausland durch die syrischen Sicherheitsbehörden möglichst aufrechterhalten und weiterverfolgt werden soll. Insofern bestehen für die Kammer kaum Anhaltspunkte, welche daran zweifeln ließen, dass die in der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg festgestellten Repressionen gegen Rückkehrer ebenfalls weiterhin aufrechterhalten werden und auch tatsächlich aufrechterhalten werden können.
67 
dd. Die Auffassung der Kammer steht dabei jedenfalls im Ergebnis in Einklang mit den Entscheidungen des VG Sigmaringen (Urteile vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 und A 5 K 1372/16 –), des VG Karlsruhe (Urteil vom 29.11.2016 – A 8 K 4182/16 –), VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, veröffentlicht im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen), VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 – 1 K 5093/16.TR –) sowie des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts, welches in seiner Entscheidung vom 29.07.2015 (Geschäftszahl W224 2102645-1, ECLI:AT:BVWG:2015:W224.2102645.1.01) ausgeführt hat, dass Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl ersucht haben, und solche, die in der Vergangenheit Verbindung mit der Muslimbruderschaft hatten, bei ihrer Rückkehr gerichtlich belangt worden seien. Die Regierung habe routinemäßig Dissidenten und frühere Staatsbürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet, die versuchten, nach Jahren oder Jahrzehnten im Exil in das Land zurückzukehren. Dies wiederum wird bestätigt durch den Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, wonach einzelnen Gruppen offenbar willkürlich durch syrische Behörden Meinungen und Ansichten unterstellt werden (UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Fassung - (November 2015) -, S. 11 f.).
68 
ee. Wie die 5. Kammer des VG Sigmaringen ausgeführt hat (Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris), können bei alledem zunächst die, wenn auch rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber – wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG – indiziell bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Dieser stützt sich – soweit ersichtlich – nicht auf neue Erkenntnismittel, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung der Sachlage hätten geben können. Augenfällig erscheint vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für „nur“ subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG für zwei Jahre ausgesetzt hat (VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris). Wie aus öffentlich zugänglichen Unterlagen zum Vortrag des Sonderbeauftragten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für unbegleitete Flüchtlinge am 17.06.2016 in Neumünster (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https:// www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) hervorgeht, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein „flüchtlingsrelevantes“ Merkmal droht. Insofern erscheint es wenig nachvollziehbar, weshalb gerade ab dem 17.03.2016 die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung nicht mehr gegeben sein sollen. Dies spiegelt sich im vorliegenden Fall auch in den Aktenvermerken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wider, in welchen einerseits eine Flüchtlingseigenschaft bejaht, andererseits aber wiederum verneint wird, ohne dass neue Erkenntnisse über den vorliegenden Sachverhalt oder die allgemeine Lage in Syrien, welche gegen ein Fortbestehen der Rückkehrerverfolgung sprächen, vorlägen.
69 
c. Die Kammer ist aufgrund der verfügbaren Erkenntnismittel ferner davon überzeugt, dass sich die Gefahr von Repressionen allein aufgrund des Auslandsaufenthalts auf sämtliche Rückkehrer gleich welchen Alters im Sinne einer Art „Sippenhaft“ bezieht und schließt sich insofern den Ausführungen im Urteil der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23.11.2016 (Az.: A 5 K 1495/16, juris) an. Es kann in diesem Zusammenhang nicht davon ausgegangen werden, dass Behörden eines in seiner Macht angeschlagenen Regimes zwischen erwachsenen und minderjährigen Personen differenzieren; vielmehr dürfte aufgrund der willkürlichen Handhabe und der sog. „carte blanche“-Ermächtigung für Sicherheitsbehörden an Einreisepunkten davon auszugehen sein, dass sich Repressionen nicht nur auf solche Rückkehrer erstrecken, von denen theoretisch eine Gefahr ausgeht. Vielmehr ist nicht zuletzt mit Blick auf die im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargelegten Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten, dass sich Repressionen unmittelbar gegen diese richten oder diese zum Druckmittel gegenüber ihren Eltern verobjektiviert werden. Deshalb müssen sich die minderjährigen Kläger zu 3) und 4) nicht auf das sog. „Familienasyl“ nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ihrer Eltern verweisen lassen (VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris).
70 
3. Über diese allgemeine Rückkehrerverfolgung hinaus sind jedenfalls beim Kläger zu 1) und den Angehörigen seiner Kernfamilie – den Klägern zu 2)-4) – die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt, da er im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG Bestrafung oder Strafverfolgung im Falle der Verweigerung einer Einberufung in die syrischen Streitkräfte befürchten muss.
71 
Die strafbewehrte Wehrpflicht eines Staates begründet indes nicht in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, sondern nur dann, wenn der Militärdienst in einem Konflikt abgeleistet werden müsste und Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Vorliegend liegt jedoch eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund der syrischen Wehrpflicht vor, da nach den verfügbaren Erkenntnismitteln objektiv zu besorgen ist, dass syrische Staatsangehörige männlichen Geschlechts zum Wehrdienst herangezogen und in diesem Rahmen zu Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG unter Androhung von Strafe oder Bestrafung gezwungen werden.
72 
a. Die Kammer ist davon überzeugt, dass in Syrien zwar ein gesetzlich oder quasi-gesetzlich geregeltes Wehrpflichtwesen besteht, diese Regelungen jedoch nicht eingehalten werden und dass die syrische Regierung vielmehr darum bemüht ist, den Personalbestand der staatlichen Armee mittels willkürlicher Einberufungen und Zwangsrekrutierungen zum Wehrdienst aufzustocken. Dies ergibt sich auch aus den glaubhaften Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, indem er anschaulich solche willkürlichen Zwangsrekrutierungssituationen und -handlungen schilderte. Nach dem Bericht der finnischen Einwanderungsbehörde (Maahanmuuttovirasto) vom 23.08.2016 sind die Gesetze – auch die Wehrpflicht in Syrien betreffend – weiterhin in Kraft. Demnach sind männliche Syrer im Alter von 18-42 Jahren wehrpflichtig, während die Altersgrenze für den Dienst als Reservist bei 52 Jahren bzw. 54 Jahren im Falle eines akademischen Abschlusses liegt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting syrian regime and armed opposition (im Folgenden: „Syria: Military Service“, 2016, S. 5).
73 
Ausweislich dieses Berichts legt die syrische Regierung nach den Angaben einer Kontaktperson einer westlichen Botschaft in Beirut, um anarchistische Zustände zu verhindern, Wert auf den Schein, dass sich im Land und an der Macht des Regimes nichts geändert habe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Viele Männer in Syrien erhalten nach diesem Bericht seit dem Beginn des Konflikts, bspw. aufgrund einer Flucht innerhalb des Landes, keine Rekrutierungsunterlagen mehr. Die Rekrutierungsvorgaben wurden demnach sodann vom Regime angepasst, sodass eine Rekrutierung nunmehr in jedem Rekrutierungsbüro oder auch auf der Straße, in Checkpoints oder anderen Orten des Landes stattfinden kann (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Gesetzliche Ausnahmen von der Wehrpflicht mögen dabei zwar formal weiterhin in Kraft sein. Allerdings bietet nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen auch die Vorlage einer Bescheinigung über die Wehrfreiheit keinen hinreichenden Schutz, da flächendeckend eine Nicht-Beachtung von Ausnahmetatbeständen selbst bei vorgelegten Bescheinigungen zu beobachten ist (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 11 f.) und es auch zur Vernichtung derartiger Unterlagen durch die Sicherheitskräfte bei deren Vorlage kommt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10).
74 
Dies spiegelt sich nach den Erkenntnissen der dänischen Migrationsbehörde auch in der alltäglichen Praxis wider. Männer werden nunmehr auch auf der Straße, in Universitäten, an Kontrollpunkten und sonstigen Orten, die unter der Kontrolle der Regierung stehen, rekrutiert; dabei kommt es teilweise zu willkürlichen Maßnahmen und Ausübung von Gewalt (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG (im Folgenden: „Syria – Update on Military Service“, 2015, S. 10; Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). So werden Wehrdienstvermeider bspw. in Massenverhaftungen, Tür-zu-Tür-Aktionen und in Universitäten rekrutiert. Unternehmen wurden unter der Androhung eines Geschäftsverbots verpflichtet, Arbeitnehmer zum Wehrdienst zu entsenden (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). Dies spiegelt sich im glaubhaften Vortrag des Klägers zu 1) – aber auch in Ansätzen in den Angaben der Klägerin zu 2) – wider, wonach der Kläger zu 1) mehrfach darauf angesprochen wurde, warum er nicht kämpfe und im Rahmen einer Kontrolle auch geschlagen und mit seiner Familie willkürlich festgehalten wurde.
75 
Fahnenflucht wird mit der Todesstrafe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10) oder mit Gefangenschaft, sog. „incomunicado“-(Isolations-)Haft, Folter und lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 18 f.). Im Übrigen kann ein Fahnenflüchtiger eingezogen und umgehend – auch an der Front – eingesetzt oder in Haft genommen werden. Dabei gilt es als wahrscheinlich, dass dieser in der Haft gefoltert wird (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Der Umgang mit Deserteuren hängt von den Umständen im Land ab und variiert; Gleiches gilt für zivile Armeebeschäftigte (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Es ist daher mit Blick auf die weitgehenden Ermächtigungen der syrischen Sicherheitsbehörden nicht auszuschließen und vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) entsprechend seiner im Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Besorgnis, aufgrund seiner Flucht als „Verräter“ angesehen und damit den gleichen Folgen ausgesetzt sein wird, wie ein Deserteur oder sonstiger Fahnenflüchtiger.
76 
Dies für sich genommen genügt zwar nicht, um die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Kammer anhand der derzeit verfügbaren Erkenntnismittel und der voranstehend beschriebenen Geschehnisse in Syrien davon überzeugt ist, dass der Kläger zu 1) – wie von ihm befürchtet – objektiv im Falle seiner Einberufung in die syrische arabische Armee zur Erfüllung seiner Wehrpflicht im Falle der Verweigerung von Befehlen, deren Befolgung Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG darstellen würde, Strafen oder Bestrafungen durch den syrischen Staat besorgen müsste.
77 
b. Anhand der den Gegenstand der mündlichen Verhandlung bildenden Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Wehrdienst in der syrischen Armee die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG an eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erfüllt.
78 
aa. Verschiedenen Medienberichten kann entnommen werden, dass es zumindest in Aleppo – aber auch in oppositionell kontrollierten Gebieten – in jüngerer Zeit zum Einsatz von chemischen Waffen – zumindest unter billigender Inkaufnahme ziviler Kollateralschäden – gekommen ist, deren Zurechnung nach diesen Berichten zu Einsätzen der syrischen Regierungstruppen nahe liegt (vgl. den Bericht von amnesty international vom 11.08.2016, Syria: Fresh chemical attack on Aleppo a war crime, allgemein im Internet abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/latest/news/ 2016/08/syria-fresh-chemical-attack-on-aleppo-a-war-crime/; siehe auch CNN, White House condemns Syria’s chemical weapons use, vom 26.08.2016, im Internet allgemein abrufbar unter http://edition.cnn.com/2016/08/25/politics/un-report-chemical-weapons-syria/).
79 
bb. Hierfür spricht allem voran der dritte Bericht der gemeinsamen Untersuchung der Vereinten Nationen und der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW), welcher den Ermittlungsstand zum 19.08.2016 wiedergibt. Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt fünf Vorfälle im Jahr 2014 sowie sechs Vorfälle im Jahr 2015 untersucht.
80 
Diese Ermittlungen ergaben, dass in Talmenes (Gouvernement Idlib) am 21.04.2014 ein Helikopter der syrischen arabischen Armee einen Gegenstand mit einer toxischen Substanz auf ein Gebäude abwarf. Dabei stützt sich der Bericht auf Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen, wonach toxische Substanzen nach dem Abwurf einer sog. „Fassbombe“ freigesetzt wurden, während am selben Tag Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und bewaffneter Opposition stattfanden. Dabei wurde von den Konfliktparteien nicht bestritten, dass es in jenem Ort zum Einsatz von Chlorgas – dessen Einsatz als Kampfstoff seit 1993 völkerrechtlich verboten ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b) des Übereinkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen – Chemiewaffenübereinkommen – vom 13.01.1993, BGBl. 1994 II, S. 807) – kam, während keine Hinweise darauf bestehen, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls oppositionelle Gruppen in Talmenes Helikopter eingesetzt hätten (OPCW, Third report of the Organization for the Prohibition of Chemical Weapons - United Nations Joint Investigative Mechanism vom 24.08.2016 (im Folgenden: „Third report of the OPCW“), S. 13). Sachverständige Analysen ergaben dabei Spuren von Ammonium und Chlor. Die Angaben der syrischen Regierung zu jenem Vorfall wurden als forensisch mit der Spurenlage unvereinbar angesehen (OPCW, Third report of the OPCW, S. 50).
81 
Im Bericht der OPCW wird weiter berichtet, dass sich am 16.03.2015 in Sarmin (Gouvernement Idlib) ein ähnlicher Abwurf eines Gegenstands mit anschließender Freisetzung toxischer Substanzen durch die syrische arabische Armee ereignete. Forensische Analysen haben demnach ergeben, dass ein Gerät oder eine „Fassbombe“ aus einem Helikopter abgeworfen wurde, welches sodann durch einen Belüftungsschacht in ein Wohnhaus eingeschlagen ist. Verschiedene Videoaufnahmen zeigen nach diesem Bericht Chlorkohlenwasserstoff-Behälter innerhalb des Hauses sowie eine lila-violett-farbene Substanz auf dem Fußboden, welche auf den Einsatz von Kaliumpermanganat – etwa in Verbindung mit Glycerin als Zünd- oder Sprengmittel – hindeutet (OPCW, Third report of the OPCW, S. 81). Verschiedene Quellen hätten auch bestätigt, dass es zu jenem Zeitpunkt Flugaktivitäten der syrischen arabischen Armee gegeben habe, was von der syrischen Regierung bestritten worden sei (OPCW, Third report of the OPCW, S. 13 f.). Fluorchlorkohlenwasserstoff (englisch Hydrochlorofluorcarbon – HCFC –) wird nach diesem sachverständigen Bericht in der zivilen Verwendung als Kühlmittel eingesetzt und ist als solches allgemein zugänglich. Dennoch bedarf es zum Einsatz als chemischen Kampfstoff – dem syrischen Regime zur Verfügung stehender – technischer Fähigkeiten und Einrichtungen zur Abfüllung als Flüssigkeit oder kompressiertes Gas (OPCW, Third report of the OPCW, S. 10). Die Angaben der syrischen Regierung, wonach der Vorfall in jenem Wohnhaus auf die Explosion eines Flüssiggaskochers zurückzuführen sei, wurden mangels dem entsprechender Brandspuren als unwahrscheinlich eingeschätzt (OPCW, Third report of the OPCW, S. 83).
82 
In Zusammenhang mit weiteren drei Chlorgas-Vorfällen im Jahr 2015 wird davon ausgegangen, dass Sprengsätze mit Fluorchlorkohlenwasserstoff und Kaliumpermanganat eingesetzt wurden (OPCW, Third report of the OPCW, vom 24.08.2016, S. 13 f.).
83 
Am 16.03.2015 kam es nach diesem OPCW-Bericht überdies in Qmenas (Gouvernement Idlib) zu einem Vorfall, hinsichtlich dessen die Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass ein Helikopter ein Gerät oder eine „Fassbombe“ abgeworfen hat. Ferner kam es in Kafr Zita (Gouvernement Hama) am 11.04.2014 sowie in Binnish (Gouvernement Idlib) am 24.03.2015 und in Al-Tamanah (Gouvernement Idlib) am 29. und 30.04.2014 zum Einsatz chlorhaltiger Kampfstoffe (OPCW, Third report of the OPCW, S. 15 ff.), hinsichtlich derer die Indizienlage uneindeutig ist.
84 
cc. Die Kammer gelangt aufgrund dieser als objektiv einzuschätzenden Erkenntnisse aus vor Ort geführten Ermittlungen der OPCW zu der Überzeugung, dass die objektive Besorgnis besteht, dass die syrische Armee als staatlicher Akteur (§ 3c Nr. 1 AsylG) u.a. durch den Einsatz chemischer Kampfstoffe unter billigender Inkaufnahme ziviler Opfer Handlungen begeht, die das Chemiewaffenübereinkommen verletzen und so die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG erfüllen (zu den Voraussetzungen Bergmann, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 3 AsylG Rn. 7). Dies findet weitere Bestätigung in der Einschätzung des britischen Homeoffice (Home Office, Country Information and Guidance – Syria: the Syrian Civil War, August 2016, S. 19).
85 
Insofern schließt sich die Kammer den Ausführungen der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen in deren Urteil vom 23.11.2016 (A 5 K 1495/16, juris) sowie denen im Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 01.07.2016 (1 K 20205/16 Me, juris) an, wonach die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte wahllos, willkürlich und zumeist völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen – teilweise unter Einsatz verbotener Kriegswaffen – töten und welche Ziele sie dabei auswählen, eine Haltung der syrischen Machthaber mit dem offenkundigen Ziel aufzeigt, jede – tatsächlich bestehende oder auch nur seitens des Regimes unterstellte – Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken und sich hierfür wehrpflichtigen Syrer vor den §§ 3a Abs. 2 Nr. 5, 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG nicht zumutbaren Arten der Kriegsführung in einem Konflikt zu bedienen (vgl. hierzu auch BayVGH, Pressemitteilung vom 13.12.2016).
86 
dd. Darüber hinaus ist die Kammer – wie auch hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“ – davon überzeugt, dass Repressionen aufgrund von Wehrdienstverweigerung auch die Kläger zu 2)-4) als nahe Angehörige des Klägers zu 1) dergestalt treffen können, dass auch ihnen – abgeleitet vom Kläger zu 1) – eine Stellung als „Verräter“ oder Sympathisanten im Sinne eines eigenen „Polit-Malus“ zugerechnet wird oder sie zum Druckmittel gegenüber dem Kläger zu 1) verobjektiviert werden. Demnach ist es auch in Zusammenhang mit dem syrischen Wehrdienst den Klägern zu 2)-4) nicht zumutbar, erst im Wege des sog. „Familienasyls“ ein humanitäres Aufenthaltsrecht vom Kläger zu 1) abzuleiten.
87 
4. Nach alledem sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei den Klägern erfüllt und die Klage begründet.
III.
88 
Die Beklagte trägt gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gem. § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
I.
25 
1. Die Kammer ist zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, nachdem dieser nicht dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden ist (vgl. § 76 Abs. 1 AsylG).
26 
2. Das Gericht kann gem. § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden, obwohl die Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, nachdem sie ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne ihr Erscheinen verhandelt werden kann.
27 
3. Die Klage ist auch zulässig, da sie insbesondere fristgemäß erhoben worden ist und auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Denn die aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis wird gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG – mit Verlängerungsmöglichkeit – längstens für drei Jahre erteilt, während subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG – wie den Klägern –lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf zwei Jahre erteilt werden darf. Der Status eines anerkannten Flüchtlings im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt daher einen für die Kläger günstigeren Status, als der ihnen gewährte subsidiäre Schutzstatus. Es kann deshalb vorliegend offenbleiben, ob ein Rechtsschutzbedürfnis mit Blick auf den durch § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG eingeschränkten Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten, deren Kernfamilie sich bereits im Bundesgebiet befindet, bestehen kann.
II.
28 
Die Klage ist auch begründet. Der verfahrensgegenständliche Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.
29 
Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
30 
Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen unveränderlichen gemeinsamen Hintergrund gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris; Nds. OVG, Urteil vom 21.09.2015 – 9 LB 20/14 –, juris).
31 
Dabei ist die Furcht vor Verfolgung begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 – A 11 S 689/13 –, juris). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU vom 20.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie (QRL) – ist die Tatsache, dass ein Asylantragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des jeweiligen Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen dagegen, dass dieser Asylantragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
32 
Entscheidend ist insofern, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.11.2015 – A 12 S 1999/14 –, juris). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 – 9 C 118.90 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 147).
33 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 – 9 C 32.87 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80). Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12 –, Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 14). Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2016 – A 10 S 332/12 –, juris). Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann die Intensität der drohenden Verfolgung aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen für die Entscheidung maßgeblich sein, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren will oder nicht (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.02.2007 – 23 B 06.30883 –, juris).
34 
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat; insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die – wie hier – bereits während eines Erstverfahrens oder erst mit der Ausreise verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 – 10 C 27.07 –, Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 24 ). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren – wie hier – ist demnach die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 – 10 C 51.07 –, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 28).
35 
Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt stimmig zu schildern (vgl. §§ 15, 25 Abs. 1 AsylG; BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 – 9 C 321/85 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 64).
36 
Ist – wie im vorliegenden Fall – der Sachverhalt soweit ermittelt, dass alle ernsthaft in Betracht kommenden Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind, entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Ziel dieser Würdigung des Gesamtergebnisses und insbesondere der verfügbaren Beweis- und Erkenntnismittel ist die Begründung der richterlichen Überzeugung über das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen bestimmter erheblicher Umstände. Es ist demgemäß zu erkennen, wie stark oder schwach die einzelnen Umstände und Elemente des Prozessstoffs auf das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein der behaupteten Tatsache hinweisen, wobei das aus seiner Lebens- und Welterfahrung gewonnene Erfahrungswissen und die Erfahrungssätze des erkennenden Richters den Maßstab bilden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.1971 – VIII C 24.70 –, BVerwGE 38, 10 <12>). Das dem Gericht bekannte Wissen über allgemein offenkundige Tatsachen bzw. die aus der amtlichen Tätigkeit gewonnenen Kenntnisse ergänzen diesen Maßstab der Beweiswürdigung (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 16 (Stand: April 2013), m.w.N.).
37 
Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Zudem ist die besondere Beweisnot des hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht mit der Beweislast beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden als „Zeuge in eigener Sache“ und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
38 
Je größer unter Anwendung dieses Maßstabs die Zahl der übereinstimmenden und je geringer die Zahl der differierenden Merkmale unter den den Prozessstoff bildenden Elementen ist, desto größer ist die Allgemeingültigkeit einer Hypothese, und umso geringer ist die Zufälligkeit der Ähnlichkeit, Gleichartigkeit oder Identität in Bezug auf ein einzelnes Merkmal (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.). Dabei unterliegt die Überzeugungsbildung des Gerichts seiner „Freiheit“, d.h. einer richterlichen Einschätzungsprärogative (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth (Hrsg.), VwGO, 6. Aufl., 2014, § 108 Rn. 10). Diese findet ihre Grenze in den Denkgesetzen, dem Willkürverbot und in dem Gebot der vollständigen Würdigung des gesamten Prozessstoffs (BVerwG, Beschluss vom 17.10.2012 – 8 B 47/12 –, NVwZ-RR 2013, 97 <100>). In diesem Rahmen ist das Gericht berechtigt, auf jedes Einzelelement des Prozessstoffs zurückzugreifen, andererseits aber auch verpflichtet, das Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschöpfen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 14.06.1985 –6 C 33/82 –, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 169; Beschluss vom 21.01.2014 – 10 B 3/14 –, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 81).
39 
Das erkennende Gericht muss demnach alle geeigneten Erkenntnismittel nutzen, wobei eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht regelmäßig dann nicht vorliegt, wenn das Gericht den nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für aufgeklärt hält und die – wie hier zumindest im vorbereitenden Verfahren – sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten keine Beweisanträge gestellt oder im vorbereitenden Verfahren angekündigt haben (BVerwG, Urteil vom 27.07.1983 – 9 C 541.82 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146; Beschluss vom 10.10.2013 – 10 B 19.13 –, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 67).
40 
1. Die Kammer ist unter Zugrundelegung dieses Maßstabs zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Klägern um syrische Staatsangehörige handelt, die aus Syrien ausgereist sind, ohne dass sie vor ihrer Ausreise aufgrund eines der in § 3 Abs. 1 AsylG niederlegten Merkmale verfolgt worden wären.
41 
Bilden – wie im vorliegenden Fall hinsichtlich des individuellen Schicksals der Kläger – Aussagen natürlicher Personen über Wahrnehmungen und Erlebnisse die einzigen Mittel zur Sachverhaltsermittlung, sind diese im Wege der Aussageanalyse dahingehend zu würdigen, ob sie glaubhaft sind, d.h. ob sie Tatsachen schildern, hinsichtlich derer das Gericht überzeugt ist, dass sie sich – wie sie im Verwaltungsverfahren und im Prozess vorgebracht wurden – zugetragen haben (vgl. Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.).
42 
Kein anderer Maßstab kann für die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als „Zeuge in eigener Sache“ gelten, welche im Asylverfahren hinsichtlich des Flucht- oder Verfolgungsschicksals des Asylsuchenden regelmäßig als einziges Erkenntnismittel in Betracht kommen und so gesteigerte Bedeutung erfahren (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
43 
Gegenstand der Prüfung der Glaubhaftigkeit, welche damit in Ermangelung anderer Ermittlungsansätze aufgerufen ist, ist die Frage, ob die Angaben hinsichtlich eines bestimmten tatsächlichen Geschehens zutreffen oder nicht. Dabei ist zunächst zu unterstellen, dass die Aussage weder wahr noch falsch ist; es sind auf Grundlage eines Glaubhaftigkeitswerts von Null weitere Hypothesen zu bilden (sog. „Nullhypothese“, vgl. hierzu m.w.N. BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; zu deren Anwendbarkeit außerhalb des Strafprozesses LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; zu deren Bedeutung für die richterliche Beweiswürdigung BGH, Urteil vom 27.03.2003 – 1 StR 524/02 –, NStZ-RR 2003, 206 <208>).
44 
Ergibt sich, dass diese Hypothese, die Aussage sei weder wahr noch falsch, nicht zutreffen kann, bspw. weil sich die Aussage durch genügend Qualitätsmerkmale auszeichnet, die den Schluss rechtfertigen, dass sie der Wahrheit entspricht, d.h. die „Nullhypothese“ mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt (BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506; VG Meiningen, Beschluss vom 08.12.2011 – 6 D 60012/11 Me –, juris).
45 
Demnach ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, dass Aussagen über Erlebtes und Nicht-Erlebtes sich in ihrer Qualität unterscheiden (sog. „Undeutsch-Hypothese“, vgl. zum Ganzen Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 283 ff.), sodass die Aussage zunächst inhaltsorientiert und sodann merkmalsorientiert dahingehend überprüft werden kann, ob sie Merkmale bzw. Anzeichen enthält, die für ihre Glaubhaftigkeit sprechen (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506).
46 
Als solche sog. „Realitäts-“oder „Glaubhaftigkeitsanzeichen“ kommen insbesondere ein Detailreichtum, Angaben zu im Hintergrund stehenden Umständen, eine nicht chronologische und unpräzise – gleichwohl inhaltlich ausführliche – Erzählweise im Gegensatz zur Wiedergabe angelernter oder ausgedachter Informationen in Betracht (vgl. bspw. BVerwG, Urteil vom 19.07.2006 – 2 WD 13/05 –, NVwZ-RR 2007, 182; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 370 ff. und 409 ff.).
47 
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sieht das Gericht die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als glaubhaft an. Ihre Angaben stehen hinsichtlich des wesentlichen Kerngeschehens, aber auch im Hinblick auf den, das Kerngeschehen umgebenden, inhaltlichen Gesamtzusammenhang und mit ihrem Vorbringen im Behördenverfahren in dessen wesentlichen, das Geschehen prägenden Elementen, in inhaltlicher Übereinstimmung. Inhaltlich waren die Angaben weitgehend widerspruchsfrei, wobei die Widersprüchlichkeit in den Angaben der Klägerin zu 2) hinsichtlich der Dauer der Kontrolle am Checkpoint in Damaskus, zunächst erheblich von der anfänglich angegebenen Dauer von vier Stunden abwich. Ihr gesamtes Aussageverhalten war indes von Unsicherheiten – teilweise auch gegenüber dem Gericht – geprägt. Ihr war eine klare Sorge in der Erzählung anzusehen und es war offensichtlich, dass der Fokus ihrer Wahrnehmung auf dem Geschehenen selbst und dem Schicksal ihres Ehegatten und ihrer Kinder, nicht aber auf der, in diesem Detail zum Randgeschehen zählenden, zeitlichen Dauer lag. Das generell einzelfallbezogen und so im Falle der Klägerin zu 2) unter diesem Gesichtspunkt zu bestimmende Kerngeschehen hat sie widerspruchsfrei geschildert (vg. zur Bestimmung des „Kerngeschehens“ OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506 <3507>). Die Klägerin zu 2) gab nämlich an, dass es sich insgesamt um eine in ihrer subjektiven Wahrnehmung lange Zeit gehandelt habe, was inhaltlich zu den Angaben des Klägers zu 1) jedenfalls nicht in Widerspruch steht, sondern vielmehr der vom Kläger zu 1) angegebenen Dauer von vier bis fünf Stunden entspricht.
48 
Das Aussageverhalten – insbesondere des Klägers zu 1) – war flüssig und nicht detailarm. Der Kläger zu 1) machte von sich aus Angaben, welche einzelne Details zum Geschehen enthielten, wie den Umstand, dass er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Andererseits war er auch in der Lage, andere von ihm als selbstverständlich angenommene Umstände – wie die Tatsache, dass keine förmlichen Einberufungsbescheide zum Wehrdienst ergingen – auf Nachfrage zu ergänzen. Dies erfolgte schnell und ohne nachzudenken oder zu zögern unter Einbettung in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang mit einer Selbstverständlichkeit und Präzision, welche die Überzeugung rechtfertigt, dass ein wahrheitswidriges Erfinden dieser Angaben anhand von Gerüchten oder Medienberichten auch einer kompetenteren Aussageperson nicht ohne weiteres in dieser Gestalt möglich gewesen wäre.
49 
Das Aussageverhalten zeichnete sich bei beiden Klägern dadurch aus, dass sie in ihrer Erzählweise selbst inhaltlich und zeitlich „sprangen“ und auch auf Nachfrage des Gerichts in der Lage waren, in einen anderen Teil ihrer Erzählung gedanklich einzusteigen, was für die Wiedergabe selbst erlebter Ereignisse – im Gegensatz zu einer stereotypen streng chronologischen Erzählweise – spricht.
50 
Auf Grundlage dieser Glaubhaftigkeitsanzeichen gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Angaben der Kläger zu 1) und 2) glaubhaft sind, die Kläger aus Syrien stammen und der Kläger zu 1) Rekrutierungsbemühungen und -versuchen der syrischen Regierung ausgesetzt war. Zugleich gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Kläger jedenfalls nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder politischen Einstellung als solches vor ihrer Ausreise aus Syrien verfolgt wurden. Dies kann jedoch offenbleiben.
51 
2. Soweit anhand der verfügbaren Erkenntnismittel ersichtlich, ist die Kammer jedoch im Ergebnis mit der überwiegenden Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung davon überzeugt, dass zumindest bis in das Jahr 2013 hinein eine sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung schutzsuchender syrischer Staatsangehöriger aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung oder einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt, bei einer Wiedereinreise nach Syrien bestand (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A –, juris). Dies findet tatsächliche Bestätigung im Bericht des Auswärtigen Amtes vom 28.12.2009 (AA, Ad-hoc Ergänzungsbericht zum Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Dezember 2009)).Amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes stellen dabei Beweismittel eigener Art dar, denen – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – eine „Bemühung um Objektivität“ innewohnt, sodass sie den tatsächlichen Verhältnissen am Nächsten kommen (BVerfG, Beschluss vom 23.02.1983 – 1 BvR 990/82 –, BVerfGE 63, 197 <214 f.>). Ihnen kommt daher ein hoher Beweiswert zu (Berlit, in: Gemeinschaftskommentar AsylG (GK-AsylG), § 78 Rn. 400 (Stand: April 1998)).
52 
a. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2012 wurde hierzu ausgeführt, dass seit den anfänglich friedlichen Protesten im Jahre 2011 (sog. „Arabischer Frühling“) das Regime mit massiven Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung – vor allem durch den Einsatz der Armee, von Sicherheitskräften und staatlich organisierten Milizen reagiert hat. Reformen würden als sog. „Papierreformen“ nicht den Kern des Konflikts, d.h. den Fortbestand des Regimes und die Fortdauer der Repressionen – antasten (AA, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17.02.2012, Stand: Februar 2012, S. 5).
53 
Aufgrund dieser Erkenntnislage ist der VGH Baden-Württemberg zuletzt im Jahr 2013 davon ausgegangen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bislang in der Rechtsprechung angenommene Gefahr einer sog. „Rückkehrerverfolgung“ nicht mehr bestehen würde (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Allein die aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen bestehenden hohen Zahlen an Wiedereinreisen nach Syrien höben nicht per se die Möglichkeit des Regimes auf, die Herkunft der Rückkehrer zu kontrollieren (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
54 
Dem schließt sich die Kammer an, da sie die Auffassung des VGH Baden-Württemberg teilt, dass es nicht nachvollziehbar erscheint, dass im Falle eines totalitären Regimes, welches um sein Überleben kämpft, dieses im Rahmen eines bewaffneten bürgerkriegsähnlichen Konflikts seine bisherige Praxis der Annahme einer potentiellen Regimegegnerschaft bei Rückkehrern ändert und nunmehr im Rahmen der Einreise eine abstrakte repressionsneutrale Vorfeldkontrolle vornimmt und erst dem nachgelagert – ggf. zwischen freiwilliger Ausreise und zwangsweiser Abschiebung differenzierend – Repressionen ausübt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Ein derartiges differenziertes und bürokratisches Vorgehen nach – in quasi-rechtsstaatlicher Weise – abstrakt-generell vorgezeichneten Kriterien erscheint abgesehen von dessen Praktikabilität im Falle eines in der Krise agierenden totalitären Regimes bei lebensnaher Betrachtung auch nach Auffassung der Kammer eher fernliegend und kann unter den aktuellen Umständen ohne nähere Anhaltspunkte wohl kaum in ernst zu nehmender Weise erwartet, unterstellt oder angenommen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris).
55 
b. Die Kammer gelangt anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung, dass hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. der Vermutung einer Regimegegnerschaft bei wiederkehrenden Syrern aus dem Ausland durch das syrische Regime, keine flüchtlingsrechtlich erhebliche Änderung eingetreten ist. Damit gelangt sie zu der Überzeugung, dass jedenfalls derzeit eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt.
56 
Die Kammer ist als erkennendes Gericht dabei nicht gehalten, „ins Blaue hinein“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte nach theoretisch denkbaren Ermittlungsansätzen – wie etwa einer veränderten sicherheitsbehördlichen Praxis in Syrien – zu suchen und solchen ohne auch nur eine ansatzweise Tatsachengrundlage nachzugehen (vgl. zur sog. „Ausforschung“ durch das Gericht bspw. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2008 – 5 B 196/07 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 362; Beschluss vom 05.10.1990 – 4 B 249/89 –, Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 6; Beschluss vom 29.03.1995 – 11 B 21/95 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266; vgl. zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2016 – 5 S 1443/14 –, juris).
57 
Dass Ermittlungsbemühungen bspw. über Auskünfte des Auswärtigen Amtes – nicht zuletzt mangels diplomatischer Vertretung in Syrien – ergebnislos ausfallen, zeigen bereits die jüngsten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017, welche dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erteilt wurden, sodass aus Sicht der Kammer keine weiteren Ermittlungsansätze bestehen.
58 
aa. Die Kammer stützt daher ihre Erkenntnis dabei zunächst auf den Bericht der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde vom 19.01.2016. In diesem wird unter Berufung auf sachverständige Auskünfte das Verfahren bei der Wiedereinreise nach Syrien näher beschrieben.
59 
Nach diesem Bericht erfolgen an den Einreisestellen, d.h. am internationalen Flughafen in Damaskus sowie an den Grenzkontrollpunkten Kontrollen der Ausweispapiere sowie Rücksprachen mit nationalen Stellen. Es erfolgen Abfragen und Abgleiche mit Such- und Fahndungsmeldungen. Dabei ist nach sachverständigen Angaben das Verfahren dahingehend ausgestaltet, dass die Grenzbeamten und Sicherheitsbehörden über eine sog. „carte blanche“ – also eine Blankoermächtigung – für die Behandlung ihnen verdächtig erscheinender Personen erhalten haben (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion - (im Folgenden: „Syria: Treatment of returnees“) -, 2015, S. 3). Dies beinhaltet nach sachverständigen Angaben die sofortige Ingewahrsamnahme der jeweiligen Person, welche zu einem sog. „Verschwinden“ oder Folter führen kann (so auch Amnesty International, Amnesty Report 2016: Syrien, im Internet abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien). Es können ferner Meldeauflagen verhängt werden. Insgesamt wird das Verfahren im Hinblick auf Rückkehrer als „unpredictable“ – unvorhersehbar – beschrieben. Bereits dies für sich genommen spricht für das Fortbestehen von Einreiserepressionen – bzw. der begründeten Furcht vor solchen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG – sowie deren Bestärkung durch die Erteilung von Blankoermächtigungen an Sicherheitsbehörden und damit die staatliche Freigabe für willkürliche Festnahmen und sonstige Maßnahmen.
60 
Dies findet Bestätigung im Menschenrechtsbericht des U.S.-Außenministeriums, wonach die syrische Regierung Dissidenten und frühere Einwohner ohne bekannte politische Betätigung, welche nach Jahren freiwilligen Asyls nach Syrien zurückkehren wollten, verhaftet hat (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 34, im Internet allgemein abrufbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947). Dass sich diese Ausführungen ausschließlich auf Sonderfälle (früherer) politischer Betätigung beziehen würden, vermag die Kammer nicht zu erkennen, da sich die vom OVG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 16.12.2016 (Az.: 1 A 10922/16, juris) angeführte Erläuterung im Bericht des Außenministeriums nicht etwa auf die Feststellung genereller Verhaftungen von Dissidenten und Rückkehrern bezieht, sondern auf die dem vorangestellt angeführte Verhaftung politisch auffälliger Rückkehrer.
61 
Hierauf kommt es indes nicht an, da bereits die objektiv bestehende Möglichkeit, dass ein längerer Auslandsaufenthalt für die syrischen Behörden einen hinreichenden Anlass für die Unterstellung einer potentiell staatsfeindlichen Betätigung darstellt, für die Bejahung einer begründeten Furcht im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG genügt. Denn allein die Möglichkeit, bei einem erst noch kürzlich bestehenden und in Vollzug gesetzten System genereller Rückkehrerverfolgung, allein aufgrund eines Asylantrags im Ausland in den Fokus der syrischen Sicherheitsbehörden zu geraten, rechtfertigt aus der objektiven Sicht eines verständigen Menschen in der Situation der Kläger die Befürchtung, bei der Einreise aufgegriffen und allein wegen der unterstellten politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die allgemeinen Haftbedingungen in Syrien derzeit unabhängig von einer politischen Gesinnung – insbesondere für weibliche Gefangene mit Blick auf Vergewaltigungen sowie gewaltsame Penetrationen mit Gegenständen, aber auch für die übrigen Gefangenen – in keiner Weise mit der Menschenwürde vereinbar oder den Betroffenen zumutbar sind, zumal ausweislich des Berichts des U.S.-Außenministeriums verschiedene Foltermethoden willkürlich bis hin zum Tode eingesetzt werden und die Leichen der jeweiligen Gefangenen durch Verbringung in die Hafträume noch lebender Häftlinge zu Folterinstrumenten verobjektiviert werden (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 5 f. unter ausführlicher Beschreibung der einzelnen Foltermethoden).
62 
Da diese Methoden jedoch bereits an Checkpoints sowie im Rahmen formellen als auch informellen Gewahrsams im Rahmen der Einreisekontrollen angewendet wurden (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees, 2015, S. 3; vgl. hierzu auch VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris, m.w.N.), besteht nach Auffassung der Kammer für die Kläger objektiv die Besorgnis, aufgrund ihrer Ausreise und ihrer Asylantragstellung bzw. ihres Auslandsaufenthalts bei ihrer Rückkehr als potentielle Regimegegner verhaftet und sodann in diesem Status und aufgrund dessen den im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargestellten Methoden unterworfen zu werden. Diese Erkenntnisse erhöhen aus Sicht eines verständigen Menschen nochmals dahingehend die Hemmschwelle, in das Heimatland zurückzukehren, dass bereits eine unter 50 % liegende Wahrscheinlichkeit zum Objekt der Folgen einer – auch anlasslos unterstellten Regimegegnerschaft als sog. „Polit-Malus“ – zu werden, es gebieten wird, sich nicht diesem Risiko auszusetzen.
63 
bb. Das Vorbringen der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 16.09.2016 im Verfahren 3 K 368/16 des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vermag es nicht, diese Annahme zu entkräften oder ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dass das syrische Regime an der Ausgabe von Reisepässen „gut verdiene“ und aufgrund der Visafreiheit gegenüber der Türkei in dem Bewusstsein der legalen Ausreise Pässe ausgeben mag, steht den zumindest im Jahr 2012 noch bestehenden Repressionen im Sinne einer „Rückkehrerverfolgung“ nicht entgegen, da das syrische Regime mit derartigen Maßnahmen nicht das Ziel der Ausreiseverhinderung verfolgt, sondern letztlich die möglichst umfassende Eliminierung potentiell oppositioneller oder regimefeindlicher Tendenzen im Inland. Die Ausreise ist nämlich nicht zwingend darauf gerichtet, wieder in das Heimatland zurückzukehren. Erfolgt jedoch eine Rückkehr, widerspricht eine Verfolgung von Rückkehrern als potentielle Staatsfeinde nicht sinnlogisch einer vorherigen Förderung der Ausreise.
64 
Im Übrigen dürfte es auch dem syrischen Regime bekannt sein, dass es allein mit dem Instrument der Passversagung kaum möglich sein dürfte, illegale Ausreisen zu verhindern. Allein die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016 in jenem Verfahren zitierte Auskunft des Auswärtigen Amtes, wonach „keine Erkenntnisse“ zu einer aktuellen Rückkehrerverfolgung vorliegen, vermag es nicht, ein Nicht-Mehr-Bestehen derartiger Repressionen darzulegen oder derart in Zweifel zu ziehen, als dass es der Kammer hinsichtlich eines zwischenzeitlichen dauerhaften Entfallens von generellen Repressionen gegenüber Rückkehrern auch nur eine im Ansatz hinreichende Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) vermitteln könnte. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, welches sich im Wesentlichen ebenfalls nur auf die Mitteilung beschränkt, dass keine Erkenntnisse vorlägen. Liegen dem Auswärtigen Amt nach dessen eigenen Angaben keine Erkenntnisse vor, kann darauf aufbauenden Auskünften auch kein Beweiswert zukommen. Vielmehr spricht die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zitierte Meldung des Fernsehsenders n-tv vom 01.12.2015, wonach der syrische Präsident Assad eine „Unterwanderung“ der syrischen Flüchtlinge „durch Terroristen“ annehme, mehr für eine verstärkte Überwachung von Rückkehrern als für eine Aufgabe der bisherigen Repressionen bei einer Wiedereinreise.
65 
Dies steht aus Sicht der Kammer in Einklang mit verschiedenen – öffentlich zugänglichen – Berichten (Stiftung Wissenschaft und Politik, Hintergrund Syrien vom 05.08.2015, S. 8 f.; Tharir Institute for Middle East Policy, Russia’s Exit from Syria Highlights Assad’s Limitations, vom 15.03.2016), denen zufolge sich der syrische Präsident Assad im Jahr 2015 dahingehend geäußert hat, dass das Vaterland denen gehöre, die es verteidigten und beschützten. Bereits diese Aussage deutet auf eine Zuordnung rückkehrender Flüchtlinge zu nicht-vaterlands- bzw. nicht-regimetreuen und zugleich – zumindest potentiell – oppositionsfreundlichen Kategorien bzw. deren Ansehung als eine Art „Verräter“ – im Gegensatz zu kämpfenden oder im Heimatland verbleibenden Syrern – hin. Dies genügt aus Sicht der Kammer im Falle einer kürzlich noch bestehenden Rückkehrerverfolgung für die objektiv gerechtfertigte Besorgnis, allein aufgrund der jedenfalls nicht ausdrücklich genehmigten Ausreise und der Asylantragstellung oder des längeren Auslandsaufenthalts im Falle der Wiedereinreise Repressionen des syrischen Staats weiterhin ausgesetzt zu sein.
66 
cc. Auf das Fortbestehen eines Systems gezielter Überprüfung von Rückkehrern, wie sie sich aus den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln ergibt, deutet als Indiztatsache auch der Umstand hin, dass syrische Nachrichtendienste im Jahr 2015 nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz auch im Bundesgebiet entsprechende vorbereitende Aufklärung betrieben haben (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263; vgl. hierzu VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, abrufbar im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen). Nach diesen Erkenntnissen verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und der Auflösungserscheinungen im Machtapparat des syrischen Regimes unverändert über leistungsfähige Strukturen. Der Aufgabenschwerpunkt besteht offenbar in der Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Zwar mag eine nachrichtendienstliche Überwachung sämtlicher syrischer Staatsangehöriger durch das syrische Regime in Deutschland nicht bestehen (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Dass aber überhaupt eine Überwachung von Gegnern durch ein angeschlagenes Regime im Ausland möglich ist und aufrecht erhalten wird, deutet darauf hin, dass die Überwachung von Syrern im Ausland durch die syrischen Sicherheitsbehörden möglichst aufrechterhalten und weiterverfolgt werden soll. Insofern bestehen für die Kammer kaum Anhaltspunkte, welche daran zweifeln ließen, dass die in der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg festgestellten Repressionen gegen Rückkehrer ebenfalls weiterhin aufrechterhalten werden und auch tatsächlich aufrechterhalten werden können.
67 
dd. Die Auffassung der Kammer steht dabei jedenfalls im Ergebnis in Einklang mit den Entscheidungen des VG Sigmaringen (Urteile vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 und A 5 K 1372/16 –), des VG Karlsruhe (Urteil vom 29.11.2016 – A 8 K 4182/16 –), VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, veröffentlicht im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen), VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 – 1 K 5093/16.TR –) sowie des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts, welches in seiner Entscheidung vom 29.07.2015 (Geschäftszahl W224 2102645-1, ECLI:AT:BVWG:2015:W224.2102645.1.01) ausgeführt hat, dass Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl ersucht haben, und solche, die in der Vergangenheit Verbindung mit der Muslimbruderschaft hatten, bei ihrer Rückkehr gerichtlich belangt worden seien. Die Regierung habe routinemäßig Dissidenten und frühere Staatsbürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet, die versuchten, nach Jahren oder Jahrzehnten im Exil in das Land zurückzukehren. Dies wiederum wird bestätigt durch den Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, wonach einzelnen Gruppen offenbar willkürlich durch syrische Behörden Meinungen und Ansichten unterstellt werden (UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Fassung - (November 2015) -, S. 11 f.).
68 
ee. Wie die 5. Kammer des VG Sigmaringen ausgeführt hat (Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris), können bei alledem zunächst die, wenn auch rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber – wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG – indiziell bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Dieser stützt sich – soweit ersichtlich – nicht auf neue Erkenntnismittel, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung der Sachlage hätten geben können. Augenfällig erscheint vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für „nur“ subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG für zwei Jahre ausgesetzt hat (VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris). Wie aus öffentlich zugänglichen Unterlagen zum Vortrag des Sonderbeauftragten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für unbegleitete Flüchtlinge am 17.06.2016 in Neumünster (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https:// www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) hervorgeht, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein „flüchtlingsrelevantes“ Merkmal droht. Insofern erscheint es wenig nachvollziehbar, weshalb gerade ab dem 17.03.2016 die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung nicht mehr gegeben sein sollen. Dies spiegelt sich im vorliegenden Fall auch in den Aktenvermerken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wider, in welchen einerseits eine Flüchtlingseigenschaft bejaht, andererseits aber wiederum verneint wird, ohne dass neue Erkenntnisse über den vorliegenden Sachverhalt oder die allgemeine Lage in Syrien, welche gegen ein Fortbestehen der Rückkehrerverfolgung sprächen, vorlägen.
69 
c. Die Kammer ist aufgrund der verfügbaren Erkenntnismittel ferner davon überzeugt, dass sich die Gefahr von Repressionen allein aufgrund des Auslandsaufenthalts auf sämtliche Rückkehrer gleich welchen Alters im Sinne einer Art „Sippenhaft“ bezieht und schließt sich insofern den Ausführungen im Urteil der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23.11.2016 (Az.: A 5 K 1495/16, juris) an. Es kann in diesem Zusammenhang nicht davon ausgegangen werden, dass Behörden eines in seiner Macht angeschlagenen Regimes zwischen erwachsenen und minderjährigen Personen differenzieren; vielmehr dürfte aufgrund der willkürlichen Handhabe und der sog. „carte blanche“-Ermächtigung für Sicherheitsbehörden an Einreisepunkten davon auszugehen sein, dass sich Repressionen nicht nur auf solche Rückkehrer erstrecken, von denen theoretisch eine Gefahr ausgeht. Vielmehr ist nicht zuletzt mit Blick auf die im Bericht des U.S.-Außenministeriums dargelegten Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten, dass sich Repressionen unmittelbar gegen diese richten oder diese zum Druckmittel gegenüber ihren Eltern verobjektiviert werden. Deshalb müssen sich die minderjährigen Kläger zu 3) und 4) nicht auf das sog. „Familienasyl“ nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ihrer Eltern verweisen lassen (VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris).
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3. Über diese allgemeine Rückkehrerverfolgung hinaus sind jedenfalls beim Kläger zu 1) und den Angehörigen seiner Kernfamilie – den Klägern zu 2)-4) – die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt, da er im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG Bestrafung oder Strafverfolgung im Falle der Verweigerung einer Einberufung in die syrischen Streitkräfte befürchten muss.
71 
Die strafbewehrte Wehrpflicht eines Staates begründet indes nicht in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, sondern nur dann, wenn der Militärdienst in einem Konflikt abgeleistet werden müsste und Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Vorliegend liegt jedoch eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund der syrischen Wehrpflicht vor, da nach den verfügbaren Erkenntnismitteln objektiv zu besorgen ist, dass syrische Staatsangehörige männlichen Geschlechts zum Wehrdienst herangezogen und in diesem Rahmen zu Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG unter Androhung von Strafe oder Bestrafung gezwungen werden.
72 
a. Die Kammer ist davon überzeugt, dass in Syrien zwar ein gesetzlich oder quasi-gesetzlich geregeltes Wehrpflichtwesen besteht, diese Regelungen jedoch nicht eingehalten werden und dass die syrische Regierung vielmehr darum bemüht ist, den Personalbestand der staatlichen Armee mittels willkürlicher Einberufungen und Zwangsrekrutierungen zum Wehrdienst aufzustocken. Dies ergibt sich auch aus den glaubhaften Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, indem er anschaulich solche willkürlichen Zwangsrekrutierungssituationen und -handlungen schilderte. Nach dem Bericht der finnischen Einwanderungsbehörde (Maahanmuuttovirasto) vom 23.08.2016 sind die Gesetze – auch die Wehrpflicht in Syrien betreffend – weiterhin in Kraft. Demnach sind männliche Syrer im Alter von 18-42 Jahren wehrpflichtig, während die Altersgrenze für den Dienst als Reservist bei 52 Jahren bzw. 54 Jahren im Falle eines akademischen Abschlusses liegt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting syrian regime and armed opposition (im Folgenden: „Syria: Military Service“, 2016, S. 5).
73 
Ausweislich dieses Berichts legt die syrische Regierung nach den Angaben einer Kontaktperson einer westlichen Botschaft in Beirut, um anarchistische Zustände zu verhindern, Wert auf den Schein, dass sich im Land und an der Macht des Regimes nichts geändert habe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Viele Männer in Syrien erhalten nach diesem Bericht seit dem Beginn des Konflikts, bspw. aufgrund einer Flucht innerhalb des Landes, keine Rekrutierungsunterlagen mehr. Die Rekrutierungsvorgaben wurden demnach sodann vom Regime angepasst, sodass eine Rekrutierung nunmehr in jedem Rekrutierungsbüro oder auch auf der Straße, in Checkpoints oder anderen Orten des Landes stattfinden kann (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Gesetzliche Ausnahmen von der Wehrpflicht mögen dabei zwar formal weiterhin in Kraft sein. Allerdings bietet nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen auch die Vorlage einer Bescheinigung über die Wehrfreiheit keinen hinreichenden Schutz, da flächendeckend eine Nicht-Beachtung von Ausnahmetatbeständen selbst bei vorgelegten Bescheinigungen zu beobachten ist (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 11 f.) und es auch zur Vernichtung derartiger Unterlagen durch die Sicherheitskräfte bei deren Vorlage kommt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10).
74 
Dies spiegelt sich nach den Erkenntnissen der dänischen Migrationsbehörde auch in der alltäglichen Praxis wider. Männer werden nunmehr auch auf der Straße, in Universitäten, an Kontrollpunkten und sonstigen Orten, die unter der Kontrolle der Regierung stehen, rekrutiert; dabei kommt es teilweise zu willkürlichen Maßnahmen und Ausübung von Gewalt (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG (im Folgenden: „Syria – Update on Military Service“, 2015, S. 10; Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). So werden Wehrdienstvermeider bspw. in Massenverhaftungen, Tür-zu-Tür-Aktionen und in Universitäten rekrutiert. Unternehmen wurden unter der Androhung eines Geschäftsverbots verpflichtet, Arbeitnehmer zum Wehrdienst zu entsenden (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). Dies spiegelt sich im glaubhaften Vortrag des Klägers zu 1) – aber auch in Ansätzen in den Angaben der Klägerin zu 2) – wider, wonach der Kläger zu 1) mehrfach darauf angesprochen wurde, warum er nicht kämpfe und im Rahmen einer Kontrolle auch geschlagen und mit seiner Familie willkürlich festgehalten wurde.
75 
Fahnenflucht wird mit der Todesstrafe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10) oder mit Gefangenschaft, sog. „incomunicado“-(Isolations-)Haft, Folter und lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 18 f.). Im Übrigen kann ein Fahnenflüchtiger eingezogen und umgehend – auch an der Front – eingesetzt oder in Haft genommen werden. Dabei gilt es als wahrscheinlich, dass dieser in der Haft gefoltert wird (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Der Umgang mit Deserteuren hängt von den Umständen im Land ab und variiert; Gleiches gilt für zivile Armeebeschäftigte (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10). Es ist daher mit Blick auf die weitgehenden Ermächtigungen der syrischen Sicherheitsbehörden nicht auszuschließen und vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) entsprechend seiner im Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Besorgnis, aufgrund seiner Flucht als „Verräter“ angesehen und damit den gleichen Folgen ausgesetzt sein wird, wie ein Deserteur oder sonstiger Fahnenflüchtiger.
76 
Dies für sich genommen genügt zwar nicht, um die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Kammer anhand der derzeit verfügbaren Erkenntnismittel und der voranstehend beschriebenen Geschehnisse in Syrien davon überzeugt ist, dass der Kläger zu 1) – wie von ihm befürchtet – objektiv im Falle seiner Einberufung in die syrische arabische Armee zur Erfüllung seiner Wehrpflicht im Falle der Verweigerung von Befehlen, deren Befolgung Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG darstellen würde, Strafen oder Bestrafungen durch den syrischen Staat besorgen müsste.
77 
b. Anhand der den Gegenstand der mündlichen Verhandlung bildenden Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Wehrdienst in der syrischen Armee die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG an eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erfüllt.
78 
aa. Verschiedenen Medienberichten kann entnommen werden, dass es zumindest in Aleppo – aber auch in oppositionell kontrollierten Gebieten – in jüngerer Zeit zum Einsatz von chemischen Waffen – zumindest unter billigender Inkaufnahme ziviler Kollateralschäden – gekommen ist, deren Zurechnung nach diesen Berichten zu Einsätzen der syrischen Regierungstruppen nahe liegt (vgl. den Bericht von amnesty international vom 11.08.2016, Syria: Fresh chemical attack on Aleppo a war crime, allgemein im Internet abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/latest/news/ 2016/08/syria-fresh-chemical-attack-on-aleppo-a-war-crime/; siehe auch CNN, White House condemns Syria’s chemical weapons use, vom 26.08.2016, im Internet allgemein abrufbar unter http://edition.cnn.com/2016/08/25/politics/un-report-chemical-weapons-syria/).
79 
bb. Hierfür spricht allem voran der dritte Bericht der gemeinsamen Untersuchung der Vereinten Nationen und der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW), welcher den Ermittlungsstand zum 19.08.2016 wiedergibt. Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt fünf Vorfälle im Jahr 2014 sowie sechs Vorfälle im Jahr 2015 untersucht.
80 
Diese Ermittlungen ergaben, dass in Talmenes (Gouvernement Idlib) am 21.04.2014 ein Helikopter der syrischen arabischen Armee einen Gegenstand mit einer toxischen Substanz auf ein Gebäude abwarf. Dabei stützt sich der Bericht auf Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen, wonach toxische Substanzen nach dem Abwurf einer sog. „Fassbombe“ freigesetzt wurden, während am selben Tag Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und bewaffneter Opposition stattfanden. Dabei wurde von den Konfliktparteien nicht bestritten, dass es in jenem Ort zum Einsatz von Chlorgas – dessen Einsatz als Kampfstoff seit 1993 völkerrechtlich verboten ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b) des Übereinkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen – Chemiewaffenübereinkommen – vom 13.01.1993, BGBl. 1994 II, S. 807) – kam, während keine Hinweise darauf bestehen, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls oppositionelle Gruppen in Talmenes Helikopter eingesetzt hätten (OPCW, Third report of the Organization for the Prohibition of Chemical Weapons - United Nations Joint Investigative Mechanism vom 24.08.2016 (im Folgenden: „Third report of the OPCW“), S. 13). Sachverständige Analysen ergaben dabei Spuren von Ammonium und Chlor. Die Angaben der syrischen Regierung zu jenem Vorfall wurden als forensisch mit der Spurenlage unvereinbar angesehen (OPCW, Third report of the OPCW, S. 50).
81 
Im Bericht der OPCW wird weiter berichtet, dass sich am 16.03.2015 in Sarmin (Gouvernement Idlib) ein ähnlicher Abwurf eines Gegenstands mit anschließender Freisetzung toxischer Substanzen durch die syrische arabische Armee ereignete. Forensische Analysen haben demnach ergeben, dass ein Gerät oder eine „Fassbombe“ aus einem Helikopter abgeworfen wurde, welches sodann durch einen Belüftungsschacht in ein Wohnhaus eingeschlagen ist. Verschiedene Videoaufnahmen zeigen nach diesem Bericht Chlorkohlenwasserstoff-Behälter innerhalb des Hauses sowie eine lila-violett-farbene Substanz auf dem Fußboden, welche auf den Einsatz von Kaliumpermanganat – etwa in Verbindung mit Glycerin als Zünd- oder Sprengmittel – hindeutet (OPCW, Third report of the OPCW, S. 81). Verschiedene Quellen hätten auch bestätigt, dass es zu jenem Zeitpunkt Flugaktivitäten der syrischen arabischen Armee gegeben habe, was von der syrischen Regierung bestritten worden sei (OPCW, Third report of the OPCW, S. 13 f.). Fluorchlorkohlenwasserstoff (englisch Hydrochlorofluorcarbon – HCFC –) wird nach diesem sachverständigen Bericht in der zivilen Verwendung als Kühlmittel eingesetzt und ist als solches allgemein zugänglich. Dennoch bedarf es zum Einsatz als chemischen Kampfstoff – dem syrischen Regime zur Verfügung stehender – technischer Fähigkeiten und Einrichtungen zur Abfüllung als Flüssigkeit oder kompressiertes Gas (OPCW, Third report of the OPCW, S. 10). Die Angaben der syrischen Regierung, wonach der Vorfall in jenem Wohnhaus auf die Explosion eines Flüssiggaskochers zurückzuführen sei, wurden mangels dem entsprechender Brandspuren als unwahrscheinlich eingeschätzt (OPCW, Third report of the OPCW, S. 83).
82 
In Zusammenhang mit weiteren drei Chlorgas-Vorfällen im Jahr 2015 wird davon ausgegangen, dass Sprengsätze mit Fluorchlorkohlenwasserstoff und Kaliumpermanganat eingesetzt wurden (OPCW, Third report of the OPCW, vom 24.08.2016, S. 13 f.).
83 
Am 16.03.2015 kam es nach diesem OPCW-Bericht überdies in Qmenas (Gouvernement Idlib) zu einem Vorfall, hinsichtlich dessen die Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass ein Helikopter ein Gerät oder eine „Fassbombe“ abgeworfen hat. Ferner kam es in Kafr Zita (Gouvernement Hama) am 11.04.2014 sowie in Binnish (Gouvernement Idlib) am 24.03.2015 und in Al-Tamanah (Gouvernement Idlib) am 29. und 30.04.2014 zum Einsatz chlorhaltiger Kampfstoffe (OPCW, Third report of the OPCW, S. 15 ff.), hinsichtlich derer die Indizienlage uneindeutig ist.
84 
cc. Die Kammer gelangt aufgrund dieser als objektiv einzuschätzenden Erkenntnisse aus vor Ort geführten Ermittlungen der OPCW zu der Überzeugung, dass die objektive Besorgnis besteht, dass die syrische Armee als staatlicher Akteur (§ 3c Nr. 1 AsylG) u.a. durch den Einsatz chemischer Kampfstoffe unter billigender Inkaufnahme ziviler Opfer Handlungen begeht, die das Chemiewaffenübereinkommen verletzen und so die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG erfüllen (zu den Voraussetzungen Bergmann, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 3 AsylG Rn. 7). Dies findet weitere Bestätigung in der Einschätzung des britischen Homeoffice (Home Office, Country Information and Guidance – Syria: the Syrian Civil War, August 2016, S. 19).
85 
Insofern schließt sich die Kammer den Ausführungen der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen in deren Urteil vom 23.11.2016 (A 5 K 1495/16, juris) sowie denen im Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 01.07.2016 (1 K 20205/16 Me, juris) an, wonach die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte wahllos, willkürlich und zumeist völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen – teilweise unter Einsatz verbotener Kriegswaffen – töten und welche Ziele sie dabei auswählen, eine Haltung der syrischen Machthaber mit dem offenkundigen Ziel aufzeigt, jede – tatsächlich bestehende oder auch nur seitens des Regimes unterstellte – Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken und sich hierfür wehrpflichtigen Syrer vor den §§ 3a Abs. 2 Nr. 5, 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG nicht zumutbaren Arten der Kriegsführung in einem Konflikt zu bedienen (vgl. hierzu auch BayVGH, Pressemitteilung vom 13.12.2016).
86 
dd. Darüber hinaus ist die Kammer – wie auch hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“ – davon überzeugt, dass Repressionen aufgrund von Wehrdienstverweigerung auch die Kläger zu 2)-4) als nahe Angehörige des Klägers zu 1) dergestalt treffen können, dass auch ihnen – abgeleitet vom Kläger zu 1) – eine Stellung als „Verräter“ oder Sympathisanten im Sinne eines eigenen „Polit-Malus“ zugerechnet wird oder sie zum Druckmittel gegenüber dem Kläger zu 1) verobjektiviert werden. Demnach ist es auch in Zusammenhang mit dem syrischen Wehrdienst den Klägern zu 2)-4) nicht zumutbar, erst im Wege des sog. „Familienasyls“ ein humanitäres Aufenthaltsrecht vom Kläger zu 1) abzuleiten.
87 
4. Nach alledem sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei den Klägern erfüllt und die Klage begründet.
III.
88 
Die Beklagte trägt gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gem. § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1995 in Damaskus geborene, ledige Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er verließ eigenen Angaben zufolge im November 2014 sein Heimatland und reiste am 26.07.2015 in das Bundesgebiet ein, wo er am 26.08.2015 einen Asylantrag stellte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge händigte ihm im Verwaltungsverfahren einen Fragebogen aus, um ihm die Möglichkeit einzuräumen, „in einem beschleunigten, schriftlichen Verfahren die Gründe für [sein] Schutzersuchen im Bundesgebiet darzulegen“. Das Ausfüllen dieses Fragebogens sei freiwillig, es bestehe aber die Möglichkeit einer „deutlichen zeitlichen Verkürzung“ des Asylverfahrens, wenn sich aus der schriftlichen Erklärung und den vorgelegten Unterlagen ergebe, dass dem Schutzersuchen stattgegeben werden könne; das Bundesamt habe in nahezu allen Fällen, in denen die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei, syrischen Staatsangehörigen Schutz gewährt. Der Kläger beantwortete in der Folge die Formularfragen schriftlich im Ankreuzverfahren. U.a. erklärte er dabei sein Einverständnis mit einer Beschränkung seines Antrags auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz, den er der Formulierung des Fragebogens zufolge ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren erhalten könne.
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 01.03.2016 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er stamme aus Dahiyat Qudsaya, Damaskus, und habe in Syrien als Koch gearbeitet. Fragen nach der Ableistung von Wehrdienst, einer Tätigkeit für die Sicherheitsbehörden oder die Polizei, der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppierung oder in einer politischen Organisation verneinte er ebenso wie die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von Kriegsverbrechen, Übergriffen auf die Zivilbevölkerung o.ä. geworden sei. Ihm sei nichts passiert; er habe befürchtet, zum Militär zu müssen, habe aber auch eine bessere Zukunft gewollt und sei deshalb nach Deutschland gereist. Ferner legte der Kläger dem Bundesamt sein syrisches Abiturzeugnis nebst Übersetzung vor sowie einen am 11.11.2015 ausgestellten Auszug aus dem Zivilregister für Personenstandsangelegenheiten. Einem entsprechenden Aktenvermerk vom 01.03.2016 zufolge hält das Bundesamt den Kläger „zweifelsohne“ für einen Syrer.
Mit Bescheid vom 09.03.2016, zugestellt am 31.03.2016, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Asylantrag im Übrigen jedoch ab. Zur Begründung hieß es, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen jedoch nicht vor. Eine begründete Furcht vor Verfolgung habe er nicht glaubhaft gemacht. Er habe sich allein auf die allgemeine Gefährdung durch den Krieg in seinem Heimatland berufen. Aus seinem Sachvortrag sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich.
Der Kläger hat am 08.04.2016 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, es liege ein objektiver Nachfluchtgrund vor, weil davon auszugehen sei, dass das syrische Regime jeden syrischen Staatsangehörigen, der das Land verlasse bzw. fliehe, als potenziellen Regimegegner betrachte. Hinzu komme, dass der Kläger auch als „fahnenflüchtig“ oder als Deserteur betrachtet werde. Im Übrigen sei den Eltern und Geschwistern des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Es sei schwer vorstellbar, dass die Familie des Klägers das Land aus „flüchtlingsrelevanten Gründen“ verlassen habe, ausgerechnet er selbst aber nicht.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend trägt sie zuletzt vor, schwerwiegende Gründe sprächen gegen die Annahme, Flüchtlingen aus Syrien drohe - ohne Hinzutreten individueller Gründe - im Fall einer Rückkehr allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Hierzu bezieht sie sich auf obergerichtliche Entscheidungen zur Zulassung von Berufungen.
11 
Der Kammer liegen die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor, auch diejenigen der Eltern des Klägers (Gesch.-Z. ...), sowie seiner Brüder A. (Gesch.-Z. ...) und Mohamad A. (Gesch.-Z. ...). Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
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Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
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Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
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In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
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In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
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Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
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http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
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Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
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bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
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(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
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Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
84 
(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
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Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
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Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
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(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
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Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
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Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
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Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
98 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
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Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
74 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
75 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
76 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
77 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
78 
Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
79 
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
80 
Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
81 
bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
82 
(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
83 
Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
84 
(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
85 
Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
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Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
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(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
88 
Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
93 
Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
95 
Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
98 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
119 
Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2009 - M 22 K 07.50683 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bayerische Verwaltungsgericht München zurückverwiesen.

Damit wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 - 21 ZB 09.30109 - gegenstandslos.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer, ein 39jähriger syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste im August 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung gab er an, als Aktivist für die kurdische Sache in das Blickfeld syrischer Sicherheitskräfte geraten zu sein. Er habe sich mehr als zehn Jahre im Irak aufgehalten. Als er im April 2004 nach Syrien zurückgekehrt sei, habe man ihn festgenommen und anschließend bis Mai 2005 inhaftiert; in der Haft sei er erheblich gefoltert worden. Ihm sei die Zugehörigkeit zu einer geheimen Organisation vorgeworfen worden, die Syrien teilweise annektieren wolle. Am 3. März und 29. Mai 2005 habe es Verhandlungen beim Obersten Staatssicherheitsgericht gegeben; dabei sei er von einem Anwalt begleitet worden, den ihm seine gut bemittelte Familie besorgt habe. Ende Mai 2005 sei er wegen gesundheitlicher Gründe gegen Kaution freigelassen worden. Er habe Syrien Anfang September 2005 verlassen und sei über Jordanien nach Ägypten gereist, wo er sich bis zu seiner Ausreise nach Deutschland illegal aufgehalten habe. Dort habe er erfahren, dass er am 25. September 2005 in Abwesenheit zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Bei einem weiteren Verbleib in Syrien habe er mit seiner erneuten Verhaftung und Misshandlung rechnen müssen.

3

Zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens legte der Beschwerdeführer mehrere Unterlagen vor, darunter zwei Ausweise einer irakischen Menschenrechtsorganisation, ein Anwalts- und Gerichtsschreiben vom 9. Juni 2005 und einen Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls.

4

2. Mit Bescheid vom 29. Mai 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die bei der Anhörung gemachten Angaben und vorgelegten Unterlagen hätten zur Überzeugung des Einzelentscheiders geführt, dass der Beschwerdeführer in Syrien eine asyl- oder abschiebungsverbotsrelevante Verfolgung weder erlitten noch bei Rückkehr zu gewärtigen habe. Das Anwalts- und Gerichtsschreiben sowie der Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls wiesen erhebliche Fälschungsmerkmale auf. Einer Korrespondenzbestätigung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers komme demgegenüber keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Auch einen politischen Hintergrund, der die Annahme zuließe, er könnte ernsthaft in das Blickfeld des syrischen Geheimdienstes geraten sein, vermöge der Beschwerdeführer nicht darzutun. Schließlich liege kein Abschiebungsverbot mit Blick auf die geltend gemachten Erkrankungen vor.

5

3. Mit seiner Klage machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, dass die Feststellung des Bundesamts, bei den vorgelegten Urkunden handele es sich um Fälschungen, nicht nachvollziehbar begründet worden sei. Zum Haftbefehl finde sich keine konkrete Aussage. Im Übrigen werde lediglich die Ungewöhnlichkeit der Formulierungen moniert, was nicht genüge, nachdem der frühere Anwalt die Echtheit und Authentizität des anwaltlichen Schreibens sowie die Vertretung des Beschwerdeführers vor dem Obersten Sicherheitsgericht bestätigt habe.

6

Für den Termin zur mündlichen Verhandlung kündigte der Beschwerdeführer an, zum Beweis der von ihm behaupteten Verurteilung und Inhaftierung sowie der Echtheit der vorgelegten Urkunden die Vernehmung des in England lebenden Anwalts zu beantragen. Zudem legte er weitere Unterlagen vor, darunter eine gutachtliche Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien (EZKS) vom 6. Dezember 2008, die das Anwalts- und Gerichtsschreiben und den Bescheid zur Durchführung eines Haftbefehls als echt bewertete und die Angaben des Beschwerdeführers auf der Grundlage eigener Recherchen bestätigte, sowie zwei ärztlich-psychologische Stellungnahmen, die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierten.

7

Im Verhandlungstermin stellte der Beschwerdeführer jeweils hilfsweise den schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag sowie den Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass er vom Staatssicherheitsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen.

8

4. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2009 ab. Eine Asylanerkennung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer für die behauptete Einreise auf dem Luftweg beweisfällig geblieben sei. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft könne der Beschwerdeführer nicht beanspruchen, weil er weder vorverfolgt eingereist sei noch eine politische Nachfluchtaktivität dargetan habe. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot bestehe aus den vom Bundesamt genannten Gründen ebenfalls nicht.

9

Das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG begründete das Gericht damit, dass es dem Beschwerdeführer den Vortrag zu seinen Fluchtgründen nicht glaube. Seine Angaben zu den beim Bundesamt vorgelegten Ausweisen einer irakischen Menschenrechtsorganisation seien ungereimt. Der eigentliche Verfolgungsvortrag weise, insbesondere was den zehnjährigen Aufenthalt im Irak und die Umstände der Rückkehr nach Syrien angehe, schwere Widersprüche auf. Vor dem Hintergrund dieser Widersprüche seien auch die Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft. Auskünfte von offizieller Seite seien nicht zu erwarten; der damalige Anwalt könne keinen Erkenntnisgewinn über die Behandlung des Beschwerdeführers in der Haft erbringen; die in den vorgelegten ärztlichen Gutachten beschriebenen Symptome seien für die behaupteten Misshandlungen nicht spezifisch, sondern könnten auch andere Ursachen haben. Selbst die behauptete Verurteilung und Inhaftierung seien nicht frei von Zweifeln. Das Auswärtige Amt weise in seiner Auskunft vom 23. Januar 2007 auf mehrere Fälschungsmerkmale in den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hin und bezeichne die Freilassung gegen Kaution als ungewöhnlich. Diese gewichtigen Zweifel habe der Beschwerdeführer durch das Gutachten des EZKS vom 6. Dezember 2008, das seinem Wesen nach überdies parteiisch sei, nicht substantiiert erschüttern können. Deshalb und weil nicht dargelegt worden sei, dass bessere Erkenntnisse zu erwarten seien, sei der Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Gutachtens einer anderen fachkundigen Stelle abzulehnen gewesen. Über die konkrete Verurteilung und die Dauer der Haft gäben auch die sonst vorgelegten Unterlagen keine Aufschlüsse. Der gewichtigste Einwand gegen eine Verurteilung liege schließlich in dem Umstand, dass der Beschwerdeführer das Urteil selbst nicht vorgelegt habe, obwohl die syrische Strafprozessordnung Möglichkeiten der Mitteilung an Abwesende vorsehe.

10

Ergänzend führte das Gericht an, dass, selbst wenn man eine Verhaftung des Beschwerdeführers und seine Verurteilung vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht als wahr unterstellte - was das Gericht nicht tue -, darin keine politische Verfolgung gesehen werden könnte. Die Bestrafung wegen hochverräterischen Verhaltens stelle keine solche dar, sondern sei Ausfluss des legitimen Interesses jedes Staates auf Achtung seiner territorialen Integrität. Der Anwalt des Beschwerdeführers könne allenfalls diesen Umstand belegen, nicht jedoch eine politisch motivierte unangemessene Behandlung in der Haft oder sonstige politische Mali während und beim Ergebnis des Verfahrens. Die hilfsweise beantragte Zeugenvernehmung sei deshalb unerheblich, zumal sich der Anwalt schriftlich geäußert habe und die Vernehmung entsprechend § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO habe unterbleiben können.

11

5. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung machte der Beschwerdeführer neben den Zulassungsgründen der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz geltend, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei.

12

Das Verwaltungsgericht sei den hilfsweise gestellten Beweisanträgen pflichtwidrig nicht nachgekommen. Den Antrag auf Vernehmung des früheren Anwalts des Beschwerdeführers habe es mangels Vorliegens der Voraussetzungen weder als unerheblich übergehen noch aus Gründen des Prozessrechts ablehnen dürfen. Entsprechendes gelte für den weiteren Hilfsbeweisantrag. Das Auswärtige Amt habe die Echtheit der vorgelegten Unterlagen nicht abschließend verifiziert, sondern lediglich auf mögliche Fälschungsmerkmale hingewiesen. Diesen Zweifeln habe der Beschwerdeführer durch Vorlage des Gutachtens des EZKS vom 6. Dezember 2008 Rechnung getragen, weshalb die Behauptung des Verwaltungsgerichts, es fehle eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, ins Leere gehe. Die Beweiserhebung sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil das vorgelegte Gutachten, wie vom Verwaltungsgericht behauptet, seinem Wesen nach parteiisch sei; das EZKS werde von vielen Gerichten und auch vom Bundesamt als Gutachter herangezogen.

13

Des Weiteren sei die Unterstellung des Verwaltungsgerichts, die posttraumatische Belastungsstörung des Beschwerdeführers könne andere als die behaupteten Ursachen haben, aus der Luft gegriffen und objektiv nicht begründet. Dem Gericht fehle die erforderliche Sachkunde, um dies beurteilen zu können. Zur Gewährung rechtlichen Gehörs sei weitere Sachaufklärung notwendig gewesen, wie ein aktueller psychologischer Befundbericht bestätige.

14

Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 20. November 2009, der in Anwendung von § 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG nicht begründet worden ist, ab.

15

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Ablehnung seines Schutzbegehrens durch das Verwaltungsgericht erweise sich als willkürlich. Die fachgerichtliche Beweiswürdigung stütze sich auf Indizien, die unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs und unter Missachtung von Beweisanträgen in das Urteil eingeführt worden seien mit der Folge, dass die restlichen Indizien möglicherweise anders gewertet worden wären.

16

Insbesondere die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge verstoße gegen Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Das Verwaltungsgericht sei nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gehalten, den Sachverhalt, solange sich ein so genannter Politmalus nicht von vornherein ausschließen lasse, in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären; dies gelte entsprechend, wenn Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt werde. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Folterungen seien Indizien für einen Politmalus, der sich nicht nur an der Strafhöhe festmachen lasse. Der Beschwerdeführer habe dargelegt, dass sein Anwalt nicht nur zur Frage der Inhaftierung und Verurteilung, sondern auch zur Frage der Folter sachgerechte Angaben hätte machen können. Das Verwaltungsgericht habe den Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung des Anwalts deshalb nicht wegen Unerheblichkeit oder unter Verweis auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO und das Vorliegen einer schriftlichen Äußerung ablehnen dürfen. Auch dem weiteren Hilfsbeweisantrag habe das Verwaltungsgericht stattgeben müssen, um sich hinreichende Überzeugungsgewissheit zu verschaffen; das Vorliegen oder Nichtvorliegen der unter Beweis gestellten Verurteilung wegen eines politischen Delikts beeinflusse die Glaubhaftigkeitsbewertung insgesamt und habe deshalb nicht dahinstehen können.

17

Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liege darin begründet, dass das Verwaltungsgericht sich mit den eingeführten ärztlichen Stellungnahmen nicht hinreichend auseinandergesetzt und es unterlassen habe, zu der vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung und deren Ursachen ein weiteres Gutachten einzuholen.

18

7. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

19

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.

20

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Beschwerdeführer vor ihrer Erhebung den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft.

21

a) Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs keine Anhörungsrüge erhoben hat, obgleich er mit der Verfassungsbeschwerde Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht. Die Anhörungsrüge wäre offensichtlich unzulässig gewesen, weil sich der Beschwerdeführer mit ihr auf keine neue und eigenständige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Verwaltungsgerichtshof hätte berufen können (vgl. BVerfGK 13, 496 <499 f.>).

22

b) Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 95, 96 <127>; 112, 50 <60 ff.>) liegt nicht vor. Ein solcher folgt insbesondere nicht daraus, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit, die beiden Beweisanträge unbedingt zu stellen (§ 86 Abs. 2 VwGO), nicht wahrgenommen hat. Um sich mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz rechtliches Gehör zu verschaffen, kann nicht die Stellung eines durch Beschluss zu bescheidenden unbedingten Beweisantrags verlangt werden. Die hilfsweise Stellung des Beweisantrags reicht aus, da sie das Gericht nicht von der Verpflichtung enthebt, die Erheblichkeit des Beweisangebots zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 1992 - 2 BvR 633/91 -, NVwZ 1992, S. 659 <660>).

23

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Das Verwaltungsgericht hat die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG verfehlt.

24

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16a Abs. 1 GG ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfGE 80, 315 <335>). Dies gilt indes dann nicht, wenn die staatliche Maßnahme allein dem - grundsätzlich legitimen - staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dient (vgl. BVerfGE 80, 315 <339>) oder sie nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird (vgl. BVerfGE 81, 142 <151>). Das Asylgrundrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden (auch massiven) Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614>). Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann freilich in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (so genannter Politmalus; vgl. BVerfGE 80, 315 <336 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Solange sich ein solcher "Politmalus" nicht von vornherein ausschließen lässt, haben die Fachgerichte den diesbezüglichen Sachverhalt in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, NVwZ-RR 2004, S. 613 <614> und Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>).

25

Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtlichen Ermittlungen darauf, ob sie einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufweisen und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind (vgl. BVerfGE 76, 143 <162>; 83, 216 <234>). Eine fachgerichtliche Wertung beanstandet es, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist und/oder nicht auf einer verlässlichen Grundlage beruht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644> m.w.N.).

26

b) Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Asylgrundrecht, sondern auch für Verfahren, die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtet sind (aus einfachrechtlicher Sicht ebenso BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 2 f.; vgl. auch zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 10. Januar 1995 - 9 C 276/94 -, NVwZ 1996, 86 <88 f.>). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ergeben sich insoweit aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.

27

Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss auch im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGK 10, 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit und des Freiheitsgrundrechts. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG BVerfGE 117, 71<106 f.>). Jedenfalls in Fällen, in denen es um die Beurteilung staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen als Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Verneinung einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG muss daher, solange ein politischer Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen nicht von vornherein auszuschließen ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen.

28

c) Diesen Anforderungen werden die tragenden Erwägungen des angegriffenen Urteils zur Verneinung einer vom Beschwerdeführer erlittenen politischen Verfolgung nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht ist der Frage, ob die vom Beschwerdeführer dargelegte und unter Beweis gestellte Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht härter als diejenige zur Verfolgung ähnlicher nicht politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit (vgl. BVerfGE 80, 315 <338>) und damit eine Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG gewesen sein könnte, nicht im verfassungsrechtlich gebotenen Umfang nachgegangen.

29

aa) Mit dem Gebot zureichender richterlicher Sachaufklärung nicht zu vereinbaren ist bereits, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen hat, Feststellungen zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung zu treffen. In den Urteilsgründen findet sich hierzu lediglich die ungenügende Aussage, die Verurteilung sei "keineswegs frei von Zweifeln".

30

(1) Wie die Verfassungsbeschwerde zu Recht ausführt, können aus dem Feststehen der Verurteilung wegen eines Staatsschutzdeliktes als solcher Schlüsse auf die Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu deren politischem Charakter gezogen werden. Eine Bestätigung der vom Beschwerdeführer im Einzelnen dargelegten und unter Beweis gestellten Tatsache hätte insbesondere die vom Verwaltungsgericht gewonnene Auffassung, dass dessen Angaben zu Folter und Misshandlung während der Untersuchungshaft unglaubhaft seien, in Frage stellen und Anlass für eine andere Einschätzung der weiteren Aufklärungsmöglichkeiten, vor allem der mit dem ersten Beweisantrag angebotenen Zeugenvernehmung, geben können. Da das Verwaltungsgericht davon abgesehen hat, hierzu nachvollziehbare Feststellungen zu treffen, fehlt es an einer hinreichend verlässlichen Grundlage für die Beurteilung der Asylrelevanz der Strafverfolgungsmaßnahme.

31

(2) Das Absehen von weiterer Sachaufklärung zum Vorliegen der strafrechtlichen Verurteilung war auch nicht aus der Erwägung heraus gerechtfertigt, dass das Klagevorbringen hierzu keinen tatsächlichen Anlass bot (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2000 - 2 BvR 941/99 -, juris Rn. 5). Der Beschwerdeführer hatte in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt, zum Beweis seiner Verurteilung und Inhaftierung ein Gutachten des EZKS oder einer anderen fachkundigen Stelle einzuholen, und damit eine weitere Aufklärungsmöglichkeit benannt. Diese durfte das Verwaltungsgericht nicht mit der Begründung übergehen, dass der Beschwerdeführer nicht in detailliierter Auseinandersetzung mit der hohen Beweiswert genießenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Januar 2007 dargetan habe, warum an dessen Feststellungen Zweifel bestehen und eine andere Organisation bessere Erkenntnisse erbringen sollte. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes enthielt nämlich zur behaupteten Verurteilung überhaupt keine Aussage, sondern befasste sich lediglich mit der Frage, ob ein vor dieser datiertes Schreiben echt sei.

32

bb) Darüber hinaus entbehrt die hypothetische Annahme des Verwaltungsgerichts, bei unterstellter Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Oberste Staatssicherheitsgericht zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen Separatismus könne hierin keine politische Verfolgung gesehen werden, jeder tatsächlichen Grundlage.

33

Bei einer strafrechtlichen Verurteilung durch ein syrisches Staatssicherheitsgericht bedurfte es einer Auseinandersetzung mit dem Einzelfall, um festzustellen, ob in der Anwendung der Strafgesetze durch das Gericht eine Maßnahme politischer Verfolgung zu erblicken war (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, S. 643 <644>). Das Verwaltungsgericht hätte erwägen und darlegen müssen, weshalb die Strafvorschrift als solche und nach der Strafverfolgungspraxis keinen Verfolgungscharakter aufweist, sowie Feststellungen dazu treffen müssen, dass die gegen den Betroffenen verhängte Strafe keine unverhältnismäßige, (auch) an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Sanktion darstellt (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 3. August 2006 - 1 B 20/06 -, juris Rn. 3). In diesem Zusammenhang wäre auch der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Zuge der Ermittlungen gefoltert worden, als Indiz für das Bestehen eines "Politmalus" nachzugehen gewesen.

34

Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Urteilsgründe keine dieser Erwägungen angestellt. Was die behauptete strafrechtliche Verurteilung angeht, hat es sich auf die - lediglich den Ausgangspunkt der gebotenen Befassung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers bildende - Feststellung beschränkt, dass die Pönalisierung und Bestrafung hochverräterischen Verhaltens als solche keine politische Verfolgung darstelle. Auf die vom Beschwerdeführer vorgetragene Folter und Misshandlung ist es nur insoweit eingegangen, als seiner Auffassung nach die Einvernahme des früheren Anwalts des Beschwerdeführers hierzu keinen Erkenntnisgewinn bringen könne und die vorgelegten ärztlich-psychologischen Stellungnahmen insoweit keinen eindeutigen Aussagegehalt aufwiesen. Damit hat es seiner Aufklärungspflicht nicht genügt. Der Beschwerdeführer hatte klar zu erkennen gegeben, dass er einen Zusammenhang zwischen der Behandlung in der Haft und dem anschließenden Strafverfahren für gegeben erachte. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb seinen Schilderungen über die erlittene Folter durch eigene Sachverhaltsermittlungen weiter nachgehen müssen. Da es hiervon abgesehen hat, entbehrt seine Wertung, dass die unterstellte Strafverfolgungsmaßnahme keinen politischen Charakter aufweise, jeder tatsächlichen Grundlage.

35

3. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Februar 2009 auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Auf das Vorliegen der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen kommt es nicht an.

36

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2009 wird damit gegenstandslos.

III.

37

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1995 in Damaskus geborene, ledige Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er verließ eigenen Angaben zufolge im November 2014 sein Heimatland und reiste am 26.07.2015 in das Bundesgebiet ein, wo er am 26.08.2015 einen Asylantrag stellte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge händigte ihm im Verwaltungsverfahren einen Fragebogen aus, um ihm die Möglichkeit einzuräumen, „in einem beschleunigten, schriftlichen Verfahren die Gründe für [sein] Schutzersuchen im Bundesgebiet darzulegen“. Das Ausfüllen dieses Fragebogens sei freiwillig, es bestehe aber die Möglichkeit einer „deutlichen zeitlichen Verkürzung“ des Asylverfahrens, wenn sich aus der schriftlichen Erklärung und den vorgelegten Unterlagen ergebe, dass dem Schutzersuchen stattgegeben werden könne; das Bundesamt habe in nahezu allen Fällen, in denen die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei, syrischen Staatsangehörigen Schutz gewährt. Der Kläger beantwortete in der Folge die Formularfragen schriftlich im Ankreuzverfahren. U.a. erklärte er dabei sein Einverständnis mit einer Beschränkung seines Antrags auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz, den er der Formulierung des Fragebogens zufolge ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren erhalten könne.
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 01.03.2016 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er stamme aus Dahiyat Qudsaya, Damaskus, und habe in Syrien als Koch gearbeitet. Fragen nach der Ableistung von Wehrdienst, einer Tätigkeit für die Sicherheitsbehörden oder die Polizei, der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppierung oder in einer politischen Organisation verneinte er ebenso wie die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von Kriegsverbrechen, Übergriffen auf die Zivilbevölkerung o.ä. geworden sei. Ihm sei nichts passiert; er habe befürchtet, zum Militär zu müssen, habe aber auch eine bessere Zukunft gewollt und sei deshalb nach Deutschland gereist. Ferner legte der Kläger dem Bundesamt sein syrisches Abiturzeugnis nebst Übersetzung vor sowie einen am 11.11.2015 ausgestellten Auszug aus dem Zivilregister für Personenstandsangelegenheiten. Einem entsprechenden Aktenvermerk vom 01.03.2016 zufolge hält das Bundesamt den Kläger „zweifelsohne“ für einen Syrer.
Mit Bescheid vom 09.03.2016, zugestellt am 31.03.2016, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Asylantrag im Übrigen jedoch ab. Zur Begründung hieß es, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen jedoch nicht vor. Eine begründete Furcht vor Verfolgung habe er nicht glaubhaft gemacht. Er habe sich allein auf die allgemeine Gefährdung durch den Krieg in seinem Heimatland berufen. Aus seinem Sachvortrag sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich.
Der Kläger hat am 08.04.2016 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, es liege ein objektiver Nachfluchtgrund vor, weil davon auszugehen sei, dass das syrische Regime jeden syrischen Staatsangehörigen, der das Land verlasse bzw. fliehe, als potenziellen Regimegegner betrachte. Hinzu komme, dass der Kläger auch als „fahnenflüchtig“ oder als Deserteur betrachtet werde. Im Übrigen sei den Eltern und Geschwistern des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Es sei schwer vorstellbar, dass die Familie des Klägers das Land aus „flüchtlingsrelevanten Gründen“ verlassen habe, ausgerechnet er selbst aber nicht.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend trägt sie zuletzt vor, schwerwiegende Gründe sprächen gegen die Annahme, Flüchtlingen aus Syrien drohe - ohne Hinzutreten individueller Gründe - im Fall einer Rückkehr allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Hierzu bezieht sie sich auf obergerichtliche Entscheidungen zur Zulassung von Berufungen.
11 
Der Kammer liegen die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor, auch diejenigen der Eltern des Klägers (Gesch.-Z. ...), sowie seiner Brüder A. (Gesch.-Z. ...) und Mohamad A. (Gesch.-Z. ...). Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
74 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
75 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
76 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
77 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
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Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
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http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
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Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
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bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
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(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
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Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
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(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
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Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
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Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
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(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
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Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
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Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
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Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
98 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
119 
Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
12 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens des Klägers individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.03.2016 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger daher insoweit in seinen Rechten.
I.
14 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
15 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
16 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
18 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
19 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
20 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
21 
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er kann zwar kein berücksichtigungsrelevantes individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte (dazu 1.); ihm würden aber für den (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die seine diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen (dazu 2.).
22 
1. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder nichtstaatliche Akteure lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 01.03.2016 hat er dergleichen - auch auf Befragen - nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich lediglich auf seine allgemein bestehende Angst, zum Militär zu müssen, berufen und seine - durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien veranlasste - Ausreise auch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunftsperspektive in Deutschland begründet. Ein konkret-individuelles Vorverfolgungsgeschehen in Syrien lässt sich dem nicht entnehmen und wird auch nicht im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch soweit er zuletzt auf die Flüchtlingsanerkennung von Familienangehörigen verweist, die ohne für den Kläger gleichermaßen geltende „flüchtlingsrelevante Gründe“ nicht vorstellbar sei, lässt sich daraus kein individuelles Geschehen ableiten, das zu den Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 QRL führen könnte; die beigezogenen Akten der in Bezug genommenen Verwandten lassen keine individuellen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erkennen.
23 
2. Auch ohne Zugrundelegung eines individuellen Vorverfolgungsschicksals ist dem Kläger jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil in seiner Person Nachfluchtgründe verwirklicht sind, die zur Überzeugung der Kammer eine Verfolgungsfurcht begründen. Für den (unterstellten) Fall einer Rückkehr nach Syrien hätte der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen, die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihm aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens seiner Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
24 
a) Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
25 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
26 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
27 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
28 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
29 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
30 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
31 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
32 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
33 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
34 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
35 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
36 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
37 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
38 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
39 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
40 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
41 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
42 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
43 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
44 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
45 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
46 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
47 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
48 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
49 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
50 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
51 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
52 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
53 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
54 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
55 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
56 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
57 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
58 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
59 
b) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
60 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
61 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
62 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
63 
aa) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
64 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
65 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
66 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
67 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
68 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
69 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
70 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
71 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
72 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
73 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
74 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
75 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
76 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
77 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
78 
Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
79 
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
80 
Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
81 
bb) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu (1)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu (2)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu (3)).
82 
(1) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
83 
Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
84 
(2) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
85 
Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
86 
Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
87 
(3) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
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Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
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Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
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Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
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Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
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Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
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Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
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Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
99 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
100 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
101 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
102 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
103 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
104 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
105 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
106 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
107 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
108 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
109 
cc) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
110 
dd) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG kann der Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
111 
c) Für den Kläger kommt über die vorstehenden allgemeinen Erwägungen hinaus individuell dazu, dass er als 1995 geborener, wehrdienstfähiger Mann ein besonderes Gefährdungsprofil aufweist, das für ihn konkret die Gefahrendichte nochmals in einer Weise erhöht, dass die - wie dargelegt ohnehin schon anzunehmende - beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen zur Überzeugung der Kammer für seine Person nicht mehr in Abrede gestellt werden kann (vgl. zum besonderen Risikoprofil von Wehrdienstverweigerern auch UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, HCR/PC/SYR/01, S. 25 f.). Für ihn erhöht sich im Fall einer Rückkehr zum Einen in beträchtlicher Weise das Risiko, Befragungen mit menschenrechtswidriger Behandlung unterworfen zu werden; ferner treten eigenständige Verfolgungsgründe hinzu, weil der Kläger womöglich auch wegen Wehrdienstentziehung belangt werden könnte oder sich aber an militärischen Handlungen beteiligen müsste, die gegen den Frieden gerichtet wären, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylG).
112 
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4; SFH / Alexandra Geiser, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, S. 1). Der Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016 (Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, a.a.O.), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5) und Soldaten auf der Straße, an den Universitäten und oft auch an Kontrollpunkten rekrutiert (S. 6), nach der Massenemigration im Jahr 2015 sogar in verstärktem Maße (zur Rekrutierung durch die 2014 neu geschaffene Mushtarka vgl. auch SFH, Schnellrecherche vom 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter (52 bzw. 54 Jahre) angehoben wurde. Wehrdienstverweigerung wird bestraft, Deserteure werden vielfach erschossen (vgl. zu alledem auch Danish Refugee Council, „Syria - Update on Military Service, Mandatory SelfDefence Duty and Recruitment to the YPG“, September 2015, abrufbar unter www.ecoi.net; die vorgenannte Studie wird auch vom Auswärtigen Amt als verlässlich eingeschätzt, vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
113 
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beurteilt die diesbezügliche Sachlage in seiner Entscheidungspraxis wie folgt (hier wiedergegeben in der Darstellung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at):
114 
„Zur Lage in Syrien wurde unter anderem ausgeführt, dass alle männlichen Staatsbürger Syriens zwischen 18 und 40 Jahren für den verpflichtenden Militärdienst infrage kämen, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden (…). Ausnahmen vom Militärdienst seien möglich, da es sich bei diesen aber um "Kann-Bestimmungen" handle, sei eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich (…). Das syrische Verteidigungsministerium habe begonnen, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen und auf Grund der Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten die Einberufungen auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten (…). Die Strafen für Wehrdienstverweigerung würden von den Umständen abhängen und von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft reichen, in Kriegszeiten sei für Desertion eine Haftstrafe von zwischen drei und fünf Jahren vorgesehen bzw. wenn der Deserteur das Land verlassen habe, eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen (…).“
115 
Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3) hierzu aus:
116 
„6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmasse vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschliessen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in grosser Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und aussergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Davis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen). (…)“
117 
Der Kläger müsste für den Fall einer Rückkehr - wie von ihm selbst in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch geltend gemacht - damit rechnen, zum Wehrdienst herangezogen bzw. zumindest mit diesem Begehren konfrontiert zu werden, ohne sich dabei auf Ausnahmeregelungen berufen zu können. Die Regelungen über eine Freistellung als „einziger Sohn“ greifen für ihn schon tatbestandlich nicht; gleiches gilt für sonstige Freistellungsmöglichkeiten, die ohnehin nach der verfügbaren Auskunftslage willkürlich gehandhabt werden (vgl. zu alledem nur SFH, Schnellrecherche vom 20.10.2015, „Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als ´einziger Sohn`“; Finnish Immigration Service, Fact-Finding Report vom 23.08.2016, S. 9 f.). Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom November 2016 zufolge sehen sich besonders männliche syrische Staatsangehörige nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet der Einberufung in den - nach aktueller Lage sehr gefährlichen - Wehrdienst gegenüber, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Wurde der Wehrdienst (wie im Fall des Klägers) nicht vor der Ausreise geleistet - und im Übrigen auch unabhängig davon -, könne dies seitens der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen, so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, oft aber auch Folter zur Folge.
118 
Vor dem Hintergrund der geschilderten Sachlage müsste der Kläger ferner bei der Einreise, aber auch sonst an jedem Kontrollpunkt in seinem Heimatland, damit rechnen, seine (illegale) Ausreise nach Westeuropa als Wehrdienstentziehung und/oder als Ausdruck einer Untreue und Illoyalität zum Regime vorgehalten zu bekommen (vgl. amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, a.a.O., S. 44). Dabei drohen ihm in gesteigerter Form Verfolgungshandlungen der bereits allgemein beschriebenen Art und Intensität. Das Immigration and Refugee Board of Canada beruft sich in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) insoweit eindrücklich auf Quellen, die berichten, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter in herausgehobener Weise gefährdet seien, am Flughafen oder anderen Grenzübertrittspunkten misshandelt zu werden, besonders wenn sie noch keinen Dienst geleistet hätten („most vulnerable group“).
119 
Dass allein die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht ohne Weiteres eine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, jeweils Juris), steht der flüchtlingsrechtlichen Relevanz der zu befürchtenden Behandlung hier nicht entgegen. Zum Einen ist die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung in Gestalt der Ausreise hier zunächst als gefahrerhöhender Umstand bei der ohnehin obligatorischen Rückkehrerbefragung einzuordnen. Zum Anderen würden daran anknüpfende Maßnahmen nicht allein der asylrechtlich neutral zu bewertenden und bei Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtskonformer Rahmenbedingungen grundsätzlich als legitim anzusehenden Sicherstellung der Wehrpflicht dienen. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (so etwa auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, Juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -, a.a.O.).
120 
Darüber hinaus würden an die Entziehung vom Militärdienst anknüpfende Maßnahmen, wie sie der Kläger bei einer hypothetischen Rückkehr zu befürchten hätte, auch Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG darstellen. Nach dieser Bestimmung ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt (VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
121 
Dass der Dienst in der syrischen Armee derzeit mit dem Zwang zu derartigen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, lässt sich vor dem Hintergrund der vorliegenden und bereits dargelegten Erkenntnisse nicht bestreiten (vgl. hierzu abermals BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, a.a.O., sowie ausführlich VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, a.a.O.).
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.