EuGH: Fahrerlaubnisse verschiedener Mitgliedstaaten

published on 22/08/2009 18:45
EuGH: Fahrerlaubnisse verschiedener Mitgliedstaaten
Anwälte, die zu passenden Rechtsgebieten beraten
Artikel zu passenden Rechtsgebieten

Authors

Rechtsanwalt

Languages
EN, DE
Author’s summaryRechtsanwalt für Fahrerlaubnisrecht - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB
Der EuGH hat mit dem Urteil vom 19. 2. 2009 (Az.: C-321/07) folgendes entschieden:

 1. Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats zwei gültige Führerscheine gleichzeitig besitzt, deren einer ein EG Führerschein und deren anderer ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein ist, wenn beide vor dem Beitritt des zuletzt genannten Staates zur Europäischen Union erworben wurden.

2. Die Art. 1 und 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung verwehren es einem Mitgliedstaat nicht, die Anerkennung des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen abzulehnen, das sich aus einer Fahrerlaubnis ergibt, die ein anderer Staat vor seinem Beitritt zur Union erteilt hat, wenn diese Fahrerlaubnis vor einer Fahrerlaubnis erteilt wurde, die der zuerst genannte Mitgliedstaat erteilt hat, in dem diese zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen wurde. Dass diese Ablehnung nach Ablauf der mit der Entziehung verbundenen Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis erfolgt, ist insoweit ohne Bedeutung.


Sachverhalt:

Im Ausgangsverfahren ging es um die Frage, ob sich der Angeklagte eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht hat. Er hatte 1964 in Österreich eine Fahrerlaubnis der Klassen A und B erhalten. 1968 wurde diese in eine deutsche Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 umgeschrieben; der österreichische Führerschein wurde ihm belassen. 1988 verzichtete er auf die deutsche Fahrerlaubnis. Nach einer positiven MPU erhielt er 1994 eine neue Fahrerlaubnis. 1997 wurde ihm diese wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen; eine Neuerteilung wurde im Jahr 2001 abgelehnt. Bei einer Verkehrskontrolle im Jahr 2005 zeigte er den österreichischen Führerschein vor. Das Landgericht Mannheim setzte das Strafverfahren aus und legte dem EuGH die Sache vor. Das Gericht wollte im Wesentlichen wissen, ob es gemeinschaftsrechtlich möglich ist, dass ein EU-Bürger im Besitz zweier Fahrerlaubnisse aus verschiedenen Mitgliedstaaten sein kann, die beide vor dem Beitritt des ausländischen Mitgliedstaats erworben wurden. Weiter war angefragt, ob die früher erteilte ausländische Fahrerlaubnis im Inland nach dem Beitritt des Ausstellerstaats anzuerkennen ist, wenn die zweite inländische Fahrerlaubnis später entzogen wurde, selbst wenn die inländische
Sperrfrist bereits abgelaufen ist.


Entscheidung des Gerichts:

Zur Anwendung von Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439


Nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 kann jede Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein. Demzufolge ist es den Mitgliedstaaten verboten, einen EG Führerschein auszustellen, wenn derjenige, der einen solchen Führerschein beantragt, bereits im Besitz eines anderen Führerscheins ist, der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde.

Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 schreibt zwar die Einmaligkeit der Fahrerlaubnis fest, doch bewirkt er nur ein Verbot der Ausstellung eines zweiten EG Führerscheins ab dem Beginn der Anwendung dieser Bestimmung, nämlich dem 1. Juli 1996, dem Zeitpunkt, zu dem die Richtlinie 80/1263 aufgehoben wurde.

Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 steht dagegen dem nicht entgegen, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats weiterhin über mehr als eine gültige Fahrerlaubnis verfügt, wenn eine dieser Erlaubnisse in einem Mitgliedstaat vor dessen Beitritt erteilt wurde, da eine solche
Erlaubnis nicht ihre Gültigkeit verloren hat.

In einer solchen Situation berührt die betreffende Bestimmung daher, wenn zwei gültige Fahrerlaubnisse nebeneinander bestehen, nicht die Gültigkeit einer von ihnen. Sie stellt in einem derartigen Fall keinen Anwendungsvorrang auf und ordnet weder den automatischen Verlust der ersten Fahrerlaubnis noch die Ungültigkeit der zweiten Fahrerlaubnis an.

Wurde die erste Fahrerlaubnis von einem Staat vor seinem Beitritt zur Union erteilt, verlangt Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 im Fall des Besitzes zweier gültiger Fahrerlaubnisse somit weder den automatischen Verlust der früheren, von diesem Staat vor seinem Beitritt erteilten Fahrerlaubnis noch die Ungültigkeit der späteren, ebenfalls vor dem betreffenden Beitritt in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis.

Dementsprechend ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats zwei gültige Führerscheine gleichzeitig besitzt, deren einer ein EG Führerschein und deren anderer ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein ist, wenn beide vor dem Beitritt des zuletzt genannten Staates zur Union erworben wurden.


Zur zweiten Frage


Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 1 und 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Mitgliedstaat verwehren, die Anerkennung des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen abzulehnen, das sich aus einer Fahrerlaubnis ergibt, die ein anderer Staat vor seinem Beitritt zur Union erteilt hat, wenn diese Fahrerlaubnis vor einer Fahrerlaubnis erteilt wurde, die der zuerst genannte Mitgliedstaat erteilt hat, in dem diese zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen wurde, und die mit der Entziehung verbundene Sperrfrist abgelaufen ist.

Dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 ist zu entnehmen, dass der allgemeine Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie aufgestellt wurde, um insbesondere die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben.

Nach gefestigter Rechtsprechung sieht dieser Art. 1 Abs. 2 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen.

Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats, zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist.

Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen erfüllte.

Im vorliegenden Fall ist zu bemerken, dass die zwischen dem 1. Januar 1956 und dem 1. November 1997 in Österreich ausgestellten Führerscheine in den Äquivalenztabellen im Anhang zur Entscheidung 2000/275 in der durch die Entscheidung 2002/256 geänderten Fassung aufgeführt sind.

Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 gestattet den Mitgliedstaaten, sich unter bestimmten Umständen und insbesondere aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs, wie dem letzten Erwägungsgrund der Richtlinie zu entnehmen ist, auf ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis in Bezug auf jeden Inhaber eines Führerscheins zu berufen, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet hat.

Die Befugnis aus Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 kann aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ausgeübt werden.

Zwar erlaubt Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 es dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes nicht, die Anerkennung des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins allein mit der Begründung abzulehnen, dass dem Inhaber dieses Führerscheins zuvor eine frühere Fahrerlaubnis im ersten Mitgliedstaat entzogen wurde; diese Bestimmung erlaubt es ihm jedoch, auf den Inhaber vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden, wenn dessen Verhalten nach deren Erteilung dies rechtfertigt.

Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 erlaubt es seinerseits einem Mitgliedstaat, die Gültigkeit eines Führerscheins nicht anzuerkennen, der in einem anderen Mitgliedstaat von einer Person erworben wurde, auf die im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats eine Maßnahme der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung der Fahrerlaubnis angewandt wurde.

Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, dass es die Art. 1 Abs. 2 und 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis in Verbindung mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis angewandt worden ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat während dieser Sperrzeit ausgestellten neuen Führerscheins zu versagen.

Die in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 vorgesehene Erlaubnis ist jedoch eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine und aus diesem Grund eng auszulegen.

Der Gerichtshof hat festgestellt, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 8 Abs. 4 berufen kann, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis angewandt wurde, auf
unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später, nämlich nach Ablauf der Sperrfrist, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird.

Ist jemandem in einem Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis entzogen worden, ist es dem betreffenden Mitgliedstaat nach Art. 8 Abs. 4 somit grundsätzlich verwehrt, die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abzulehnen, der dieser Person in einem anderen Mitgliedstaat zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb der Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ausgestellt worden ist.

Im vorliegenden Fall wurde ebenso wie in den Rechtssachen, in denen die in der vorliegenden Randnummer angeführten Urteile und Beschlüsse ergangen sind, der im Ausgangsverfahren streitige Führerschein außerhalb jeglicher Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
ausgestellt und verwendet.

Zu prüfen bleibt allerdings, ob sich der Umstand, dass ein Führerschein von einem Mitgliedstaat vor einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis und damit vor deren Entziehung ausgestellt worden ist, auf die Verpflichtung des zuletzt genannten Mitgliedstaats auswirkt, den im ersten Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen.

Auch wenn ein Führerschein wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende österreichische Führerschein außerhalb der Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sein Inhaber außerhalb dieser Frist von ihm Gebrauch gemacht hat, wurde er nämlich anders als in den erwähnten Urteilen und Beschlüssen vor und nicht nach der Erteilung der deutschen Fahrerlaubnis und somit vor deren Entziehung erworben.

Wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge festgestellt hat, versucht die Richtlinie 91/439, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, durch den die Freizügigkeit von Personen erleichtert werden soll -- ein Ziel der Richtlinie, auf das in Rn. 74 des vorliegenden
Urteils hingewiesen wird --, mit ihrem Ziel der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr in Ausgleich zu bringen, indem sie u. a. den Mitgliedstaaten erlaubt, sich auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 2 und 4 dieser Richtlinie unter bestimmten Umständen auf ihre
innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis zu berufen.

So hat der Gerichtshof entschieden, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit die Gültigkeit dieses Führerscheins in seinem Hoheitsgebiet nicht
anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins die Voraussetzungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früher erworbenen Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.

In diesen Rechtssachen wurde die mit der Entziehung der Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat geahndete Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen durch die von einem anderen Mitgliedstaat bei der späteren Ausstellung eines Führerscheins durchgeführte Eignungsprüfung behoben.

Bei dieser Gelegenheit muss der Ausstellungsmitgliedstaat nämlich, u. a. prüfen, ob der Bewerber gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 die Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erfüllt.

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens stellt die Entziehung einer von einem Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis die Eignung ihres Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen und daher implizit die Fahrerlaubnis, die ihm zuvor von einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde, wieder in Frage.
 
Wie die deutsche und die italienische Regierung vorgetragen haben, wurde der Inhaber jedoch anders als in den Rechtssachen, in denen die Beschlüsse Halbritter und Kremer ergangen sind, nach der Entziehung seiner deutschen Fahrerlaubnis keiner von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats angeordneten Überprüfung seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen unterzogen. Folglich ist nicht der Beweis erbracht, dass dieser Inhaber entsprechend den Anforderungen an die Eignung aus der Richtlinie 91/439 zum Führen von Kraftfahrzeugen und zur Teilnahme am Straßenverkehr geeignet ist.

Könnte eine nationale Maßnahme des Entzugs, wie sie im Ausgangsverfahren auferlegt wurde, dadurch umgangen werden, dass man von einem Führerschein Gebrauch machen könnte, der vor Erteilung der wegen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogenen Fahrerlaubnis ausgestellt wurde, ohne dass der Beweis erbracht wird, dass derjenige, der diesen alten Führerschein vorlegt, zu dem Zeitpunkt, zu dem er von ihm Gebrauch macht, gemäß der Richtlinie 91/439 zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, würde dies die Sicherheit im Straßenverkehr gefährden.

Außerdem wäre es paradox, einem Mitgliedstaat die Anerkennung des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen, das sich aus einer Fahrerlaubnis ergibt, die ein anderer Mitgliedstaat vor einer von dem ersten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis erteilt hat, vorzuschreiben, obwohl diese zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen wurde. Verfügt ein Angehöriger eines Mitgliedstaats über eine einzige, in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Fahrerlaubnis, ist der erste Mitgliedstaat nämlich nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 befugt, seine Vorschriften über den Entzug, z. B. wegen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, auf ihn anzuwenden.

Nach alledem verwehren die Art. 1 und 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Mitgliedstaat nicht, die Anerkennung des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen abzulehnen, das sich aus einer Fahrerlaubnis ergibt, die ein anderer Staat vor seinem Beitritt zur Union erteilt hat, wenn diese Fahrerlaubnis vor einer Fahrerlaubnis erteilt wurde, die der zuerst genannte Mitgliedstaat erteilt hat, in dem diese zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen wurde. Dass diese Ablehnung nach Ablauf der mit der Entziehung verbundenen Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis erfolgt, ist insoweit ohne Bedeutung.


Bedeutung für die Praxis:

Die vorliegende Entscheidung des EuGH ist die derzeit letzte in einer Reihe anderer, die sich mit der Gültigkeit von Fahrerlaubnissen im Inland befassen, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft erteilt wurden. Das Phänomen ist landläufig unter dem Stichwort Führerscheintourismus bekannt, weil sich viele im Bundesgebiet als fahrungeeignet angesehene Kraftfahrer meist im osteuropäischen Ausland Führerschein "besorgt" haben, deren Ausstellung jedenfalls nach inländischen Maßstäben nicht als ordnungsgemäß angesehen wird. Während der EuGH in den ersten Entscheidungen den Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit praktisch nicht erwähnt und einseitig auf die Niederlassungsfreiheit abgestellt hat, die -- vom Fall Halbritter einmal abgesehen -- niemals tangiert war, weil keiner der Betreffenden im Ausland wirksam einen Wohnsitz begründet hatte, gewinnt dieser Aspekt inzwischen zunehmend an Bedeutung; auf Rn. 96 der vorliegenden Entscheidung wird verwiesen. Der EuGH hat mit erfreulicher Deutlichkeit klargestellt, dass die Sicherheit im Straßenverkehr gefährdet würde, wenn man den Rückgriff auf eine "alte" Fahrerlaubnis gestatten würde, nachdem der Inhaber seine neue wegen erwiesener Ungeeignetheit verloren hat. Das ist vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH konsequent. Denn das Gericht hat dem Aufnahmestaat die Prüfung der Gültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis -- von Ausnahmen wie in den Fällen Zerche sowie Wiedemann und Funk abgesehen -- dann verboten, wenn der Ausstellerstaat die Fahreignung nach der Entziehung der inländischen Fahrerlaubnis eigenständig geprüft hat. Eine solche "Einmischung" in die Kompetenz des Ausstellerstaats war vorliegend auszuschließen, weil die österreichischen Fahrerlaubnisbehörden in eine solche Prüfung nach Erteilung und Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis nicht eingetreten sind.

Offen bleibt die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber trotz Besitzes einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis eine weitere erhält, weil er den
Vorbesitz der ersten verschwiegen und dieser Umstand für die entsprechende Verkehrsbehörde mangels eines vollständigen europaweiten Führerscheinregisters auch nicht erkennbar war. Nimmt man die Regelung in Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 bzw. ihrer Nachfolgerin Richtlinie 2006/126/EG ernst, wäre der neuen die Anerkennung zu versagen. Ob der EuGH auch hier wie beim Wohnsitzerfordernis und der Überprüfung der Fahreignung durch den Mitgliedstaat, der die zweite Fahrerlaubnis erteilt hat, ein Prüfungsmonopol für diesen annimmt, bleibt abzuwarten.

Show what you know!
1 Anwälte, die zu passenden Rechtsgebieten beraten

Rechtsanwalt


Öffentliches Wirtschaftsrecht - Bau- und Planungsrecht – Umweltrecht – Abgabenrecht – Verfassungsrecht – Europarecht – Menschenrechtsbeschwerde - Staatshaftungsrecht
Languages
EN, DE
Anwälte der Kanzlei die zu Verwaltungsrecht beraten
204 Artikel zu passenden Rechtsgebieten

moreResultsText

07/03/2008 14:09

Rechtsberatung zum Verwaltungsrecht - BSP Rechtsanwälte Berlin Mitte
12/05/2021 14:55

Das Verwaltungsgericht Weimar (8 E 416/21) erachtet die Entscheidung des AG Weimar (9 F 148/21), die über die Aufhebung jeglicher Corona-Schutzmaßnahmen in Weimarer Schulen befunden hat, als „offensichtlich rechtswidrig“. Eine solche Befugnis über die Anordnungen von Behörden zu entscheiden, stehe nicht dem Familiengericht zu, sondern fällt in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.  So hat mittlerweile das Oberlandesgericht Jena (OLG Jena) den umstrittenen Beschluss wieder aufgehoben. Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin
25/08/2022 01:19

Die Schlussbescheide des Landes NRW mit denen, die Bezirksregierung versucht hat geleistete Corona-Soforthilfen von Empfängern zurückzuerlangen, sind rechtswidrig. Das entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf am 16.08.2022 und gab den Klägern in drei Pilotverfahren Recht.  Dass dies kein Einzelfall ist zeigen auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln sowie des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen. Das VG Köln hat noch am selben Tag, mit sechs Urteilen entschieden, dass die Rückforderung von im Frühjahr ausgezahlten Coronahilfen durch das Land Nordrhein-Westfalen nicht rechtmäßig war. Nur eine Woche später hat auch das VG Gelsenkirchen den Klägern - einen sososälbstständigen Veranstaltungstechniker sowie einer Rechtsanwaltsozietät - Recht gegeben. Auch sie konnten sich erfolgreich gegen die Rückforderungen erhaltener Coronahilfen wehren. Das können Sie auch! Kontaktieren Sie Streifler&Kollegen noch heute! Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin  
15/04/2014 11:58

Mit Verabschiedung der FIFA Regularien das Public Viewing betreffend nimmt Rechtsunsicherheit auf Seiten der Veranstalter fortwährend zu. Wir beraten Sie im Vorfeld über eine sachgerechte Vorgehensweise.
Artikel zu Verwaltungsrecht