EuGH: Zur Anerkennung von EU-Führerscheinen
Der EuGH hat mit dem Urteil vom 20. 11. 2008 (Az.: C-1/07) folgendes entschieden:
Art. 1 II i.V. mit Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. 7. 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 9. 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.
Zum Sachverhalt:
Am 18. 9. 2004 wurde festgestellt, dass Herr Weber, der deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland ist, ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel (Cannabis und Amphetamin) führte. Diese Zuwiderhandlung wurde durch einen Bußgeldbescheid des Kreises Siegen-Wittgenstein vom 17. 11. 2004, bestandskräftig seit dem 4. 12. 2004, mit einem Bußgeld und einer Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis (Fahrverbot) von einem Monat geahndet. Am 18. 11. 2004 erhielt Herr Weber von den Behörden der Stadt Karlovy Vary (Tschechische Republik) einen für zehn Jahre gültigen Führerschein für Fahrzeuge der Klassen A1, A, B und AM. In dem Führerschein ist als Datum, an dem die Führerscheinprüfung abgelegt wurde, der 16. 11. 2004 angegeben. Am 7. 1. 2005 wurde Herr Weber vom Ordnungsamt des Kreises Siegen-Wittgenstein davon in Kenntnis gesetzt, dass wegen der am 18. 9. 2004 festgestellten Zuwiderhandlung ein Verfahren zur Prüfung seiner Fahreignung eingeleitet werde. Im Februar 2005 gab Herr Weber seinen deutschen Führerschein bei der Verwaltungsbehörde ab. Mit Bescheid vom 17. 3. 2005, bestandskräftig seit dem 6. 4. 2005, entzog das Ordnungsamt des Kreises Siegen-Wittgenstein Herrn Weber gem. § 3 I StVG i.V. mit § 46 I FeV die deutsche Fahrerlaubnis; gem. § 3 II StVG i.V. mit § 46 V 2 FeV umfasst die Entziehung das Erlöschen des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland.
Durch Urteil des AG Siegen vom 22. 8. 2006 wurde Herr Weber auf Grund einer bei einer Polizeikontrolle am 6. 1. 2006 festgestellten Zuwiderhandlung nach § 21 StVG wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Herr Weber legte gegen dieses Urteil Berufung beim LG Siegen ein, mit der er einen Freispruch erstrebt, weil er als Inhaber einer tschechischen Fahrerlaubnis nach dem in Art. 1 II der Richtlinie 91/439 aufgestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine berechtigt gewesen sei, weiterhin Kraftfahrzeuge zu führen. Vor diesem Hintergrund hat das LG Siegen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof seine Frage zur Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der EuGH hat wie aus dem Leitsatz ersichtlich entschieden.
Aus den Gründen:
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht klären lassen, ob Art. 1 II i.V. mit Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, und damit die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins abzulehnen, wenn dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis durch eine Maßnahme entzogen wurde, die zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung des fraglichen Führerscheins, jedoch zur Ahndung einer vor diesem Zeitpunkt festgestellten Zuwiderhandlung erlassen worden ist.
Herr Weber macht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs in erster Linie geltend, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nur wegen eines Verhaltens nach dessen Erteilung ablehnen könne.
Die italienische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind dagegen der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens berechtigt sei, es abzulehnen, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuerkennen, auch wenn diese Ablehnung ihren Grund in einem vor dem Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins liegenden Verhalten habe.
Die portugiesische Regierung ist der Auffassung, dass Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG gerade die Gefahren verhüten solle, die sich aus dem Verhalten von Personen ergäben, die während einer gegen sie verhängten Maßnahme der befristeten Aussetzung ihrer Fahrerlaubnis in einen anderen Mitgliedstaat reisten, um einen zweiten Führerschein zu erwerben, obwohl ihre Fahreignung in einem Verfahren überprüft werde, das zum Entzug der Fahrerlaubnis führen könne.
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der allgemeine Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nach Art. 1 II der Richtlinie aufgestellt wurde, um insbesondere die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben.
Nach gefestigter Rechtsprechung sieht dieser Art. 1 II die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen.
Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG gestattet den Mitgliedstaaten jedoch, unter bestimmten Umständen, insbesondere aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs, ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf jeden Inhaber eines Führerscheins, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet hat, anzuwenden, und es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine dieser Maßnahmen angewendet wird.
Der Gerichtshof hat insoweit wiederholt darauf hingewiesen, dass Art. 8 IV Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439/ EWG eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine darstellt und aus diesem Grund eng auszulegen ist.
Den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist zu entnehmen, dass für Herrn Weber zu dem Zeitpunkt, zu dem er seine tschechische Fahrerlaubnis erwarb, also am 18. 11. 2004, eine am 17. 11. 2004 für einen Monat verhängte und am 4. 12. 2004 bestandskräftig gewordene Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis galt. Nach dem Erwerb seines tschechischen Führerscheins wurde ihm am 17. 3. 2005 seine Fahrerlaubnis entzogen. Im Übrigen steht fest, dass der Sachverhalt, der sowohl die befristete Aussetzung als auch den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt, am 18. 9. 2004 festgestellt wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins.
Es kann nicht angenommen werden, dass die Richtlinie 91/439/EWG dazu verpflichtet, die Gültigkeit eines unter solchen Bedingungen erteilten Führerscheins anzuerkennen.
Der Gerichtshof hat zwar Gelegenheit gehabt, festzustellen, dass ein Mitgliedstaat die ihm von Art. 8 II der Richtlinie 91/439/EWG eröffnete Befugnis, seine innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuwenden, nur auf Grund eines Verhaltens des Inhabers dieses Führerscheins nach dessen Erwerb ausüben kann.
Die Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, die gegen den Betroffenen in der dem Beschluss Kremer zu Grunde liegenden Rechtssache verhängt worden war, war jedoch nicht mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verbunden. In den Rechtssachen, die den anderen in der vorstehenden Randummer angeführten Entscheidungen zu Grunde liegen, waren die Sperrfristen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, mit denen die Maßnahmen des Entzugs verbunden waren, allesamt zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis abgelaufen.
Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat von der in Art. 8 II der Richtlinie 91/439/EWG vorgesehenen Befugnis nur auf Grund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins Gebrauch machen kann. Diese Bestimmung erlaubt es dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes nämlich nicht, die Anerkennung des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins allein mit der Begründung abzulehnen, dass dem Inhaber dieses Führerscheins zuvor eine frühere Fahrerlaubnis im erstgenannten Mitgliedstaat entzogen wurde.
Ganz anders stellt sich hier die Situation im Ausgangsverfahren dar. Auf Herrn Weber wurde, als er seine tschechische Fahrerlaubnis erwarb, eine von den zuständigen deutschen Behörden erlassene Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis angewandt. Außerdem wurde gegen ihn nach der Erteilung seines tschechischen Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis verhängt, mit der dieselbe Tat geahndet wurde, die die Maßnahme des Fahrverbots gerechtfertigt hatte.
In einer solchen Situation ist auf der Grundlage der Richtlinie 91/439/EWG und insbesondere ihres Art. 8 IV die Befugnis der zuständigen Behörden und der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins abzulehnen, den eine Person in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, während sie im erstgenannten Mitgliedstaat einer Maßnahme der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis unterlag, uneingeschränkt und endgültig anzuerkennen, wenn auf die befristete Aussetzung ein Entzug der Fahrerlaubnis folgt, mit dem dieselbe Tat geahndet wird. Der Umstand, dass der Entzug der Fahrerlaubnis nach dem Zeitpunkt der Erteilung des neuen Führerscheins angeordnet wird, ist insoweit ohne Bedeutung, da die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zu eben diesem Zeitpunkt bereits vorlagen.
Jede andere Auslegung nähme der in Art. 8 IV Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG vorgesehenen Befugnis eines Mitgliedstaats, es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, den eine Person, die in seinem Hoheitsgebiet einer Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterlag, in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat,
jeden Inhalt.
Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, ist allein der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Zuwiderhandlung begangen wird, dafür zuständig, diese zu ahnden, indem er gegebenenfalls eine Maßnahme des Entzugs, eventuell verbunden mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, verhängt.
Einen Mitgliedstaat mit der Begründung, dass der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nach dessen Erteilung keine Zuwiderhandlung im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats begangen hat, zur Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins zu verpflichten, obwohl diese Person noch einer gültigen, durch eine vor dieser Erteilung liegende Tat gerechtfertigten Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterliegt, schüfe nun aber gleichsam einen Anreiz für Täter von Zuwiderhandlungen, die mit einer Maßnahme des Entzugs bestraft werden können, sich unverzüglich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um den verwaltungs- oder strafrechtlichen Folgen dieser Zuwiderhandlungen zu entgehen, und zerstörte letztendlich das Vertrauen, auf dem das System der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine beruht.
Wie die Kommission darüber hinaus in ihren schriftlichen Erklärungen hervorgehoben hat, liefe es in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens sowohl dem Geist der Richtlinie 91/439/EWG als auch dem Wortlaut ihres Art. 7 V zuwider, wonach eine Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein kann, wenn die Gültigkeit des Herrn Weber von den tschechischen Behörden ausgestellten Führerscheins anerkannt würde, obwohl Herr Weber zum Zeitpunkt der Erteilung dieses Führerscheins noch immer Inhaber eines deutschen Führerscheins war.
Folglich ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 1 II i.V. mit Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/ EWG dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.
Art. 1 II i.V. mit Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. 7. 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 9. 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.
Zum Sachverhalt:
Am 18. 9. 2004 wurde festgestellt, dass Herr Weber, der deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland ist, ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel (Cannabis und Amphetamin) führte. Diese Zuwiderhandlung wurde durch einen Bußgeldbescheid des Kreises Siegen-Wittgenstein vom 17. 11. 2004, bestandskräftig seit dem 4. 12. 2004, mit einem Bußgeld und einer Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis (Fahrverbot) von einem Monat geahndet. Am 18. 11. 2004 erhielt Herr Weber von den Behörden der Stadt Karlovy Vary (Tschechische Republik) einen für zehn Jahre gültigen Führerschein für Fahrzeuge der Klassen A1, A, B und AM. In dem Führerschein ist als Datum, an dem die Führerscheinprüfung abgelegt wurde, der 16. 11. 2004 angegeben. Am 7. 1. 2005 wurde Herr Weber vom Ordnungsamt des Kreises Siegen-Wittgenstein davon in Kenntnis gesetzt, dass wegen der am 18. 9. 2004 festgestellten Zuwiderhandlung ein Verfahren zur Prüfung seiner Fahreignung eingeleitet werde. Im Februar 2005 gab Herr Weber seinen deutschen Führerschein bei der Verwaltungsbehörde ab. Mit Bescheid vom 17. 3. 2005, bestandskräftig seit dem 6. 4. 2005, entzog das Ordnungsamt des Kreises Siegen-Wittgenstein Herrn Weber gem. § 3 I StVG i.V. mit § 46 I FeV die deutsche Fahrerlaubnis; gem. § 3 II StVG i.V. mit § 46 V 2 FeV umfasst die Entziehung das Erlöschen des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland.
Durch Urteil des AG Siegen vom 22. 8. 2006 wurde Herr Weber auf Grund einer bei einer Polizeikontrolle am 6. 1. 2006 festgestellten Zuwiderhandlung nach § 21 StVG wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Herr Weber legte gegen dieses Urteil Berufung beim LG Siegen ein, mit der er einen Freispruch erstrebt, weil er als Inhaber einer tschechischen Fahrerlaubnis nach dem in Art. 1 II der Richtlinie 91/439 aufgestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine berechtigt gewesen sei, weiterhin Kraftfahrzeuge zu führen. Vor diesem Hintergrund hat das LG Siegen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof seine Frage zur Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der EuGH hat wie aus dem Leitsatz ersichtlich entschieden.
Aus den Gründen:
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht klären lassen, ob Art. 1 II i.V. mit Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, und damit die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins abzulehnen, wenn dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis durch eine Maßnahme entzogen wurde, die zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung des fraglichen Führerscheins, jedoch zur Ahndung einer vor diesem Zeitpunkt festgestellten Zuwiderhandlung erlassen worden ist.
Herr Weber macht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs in erster Linie geltend, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nur wegen eines Verhaltens nach dessen Erteilung ablehnen könne.
Die italienische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind dagegen der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens berechtigt sei, es abzulehnen, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuerkennen, auch wenn diese Ablehnung ihren Grund in einem vor dem Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins liegenden Verhalten habe.
Die portugiesische Regierung ist der Auffassung, dass Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG gerade die Gefahren verhüten solle, die sich aus dem Verhalten von Personen ergäben, die während einer gegen sie verhängten Maßnahme der befristeten Aussetzung ihrer Fahrerlaubnis in einen anderen Mitgliedstaat reisten, um einen zweiten Führerschein zu erwerben, obwohl ihre Fahreignung in einem Verfahren überprüft werde, das zum Entzug der Fahrerlaubnis führen könne.
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der allgemeine Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nach Art. 1 II der Richtlinie aufgestellt wurde, um insbesondere die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben.
Nach gefestigter Rechtsprechung sieht dieser Art. 1 II die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen.
Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/EWG gestattet den Mitgliedstaaten jedoch, unter bestimmten Umständen, insbesondere aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs, ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf jeden Inhaber eines Führerscheins, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet hat, anzuwenden, und es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine dieser Maßnahmen angewendet wird.
Der Gerichtshof hat insoweit wiederholt darauf hingewiesen, dass Art. 8 IV Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439/ EWG eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine darstellt und aus diesem Grund eng auszulegen ist.
Den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist zu entnehmen, dass für Herrn Weber zu dem Zeitpunkt, zu dem er seine tschechische Fahrerlaubnis erwarb, also am 18. 11. 2004, eine am 17. 11. 2004 für einen Monat verhängte und am 4. 12. 2004 bestandskräftig gewordene Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis galt. Nach dem Erwerb seines tschechischen Führerscheins wurde ihm am 17. 3. 2005 seine Fahrerlaubnis entzogen. Im Übrigen steht fest, dass der Sachverhalt, der sowohl die befristete Aussetzung als auch den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt, am 18. 9. 2004 festgestellt wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins.
Es kann nicht angenommen werden, dass die Richtlinie 91/439/EWG dazu verpflichtet, die Gültigkeit eines unter solchen Bedingungen erteilten Führerscheins anzuerkennen.
Der Gerichtshof hat zwar Gelegenheit gehabt, festzustellen, dass ein Mitgliedstaat die ihm von Art. 8 II der Richtlinie 91/439/EWG eröffnete Befugnis, seine innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuwenden, nur auf Grund eines Verhaltens des Inhabers dieses Führerscheins nach dessen Erwerb ausüben kann.
Die Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, die gegen den Betroffenen in der dem Beschluss Kremer zu Grunde liegenden Rechtssache verhängt worden war, war jedoch nicht mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verbunden. In den Rechtssachen, die den anderen in der vorstehenden Randummer angeführten Entscheidungen zu Grunde liegen, waren die Sperrfristen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, mit denen die Maßnahmen des Entzugs verbunden waren, allesamt zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis abgelaufen.
Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat von der in Art. 8 II der Richtlinie 91/439/EWG vorgesehenen Befugnis nur auf Grund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins Gebrauch machen kann. Diese Bestimmung erlaubt es dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes nämlich nicht, die Anerkennung des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins allein mit der Begründung abzulehnen, dass dem Inhaber dieses Führerscheins zuvor eine frühere Fahrerlaubnis im erstgenannten Mitgliedstaat entzogen wurde.
Ganz anders stellt sich hier die Situation im Ausgangsverfahren dar. Auf Herrn Weber wurde, als er seine tschechische Fahrerlaubnis erwarb, eine von den zuständigen deutschen Behörden erlassene Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis angewandt. Außerdem wurde gegen ihn nach der Erteilung seines tschechischen Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis verhängt, mit der dieselbe Tat geahndet wurde, die die Maßnahme des Fahrverbots gerechtfertigt hatte.
In einer solchen Situation ist auf der Grundlage der Richtlinie 91/439/EWG und insbesondere ihres Art. 8 IV die Befugnis der zuständigen Behörden und der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins abzulehnen, den eine Person in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, während sie im erstgenannten Mitgliedstaat einer Maßnahme der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis unterlag, uneingeschränkt und endgültig anzuerkennen, wenn auf die befristete Aussetzung ein Entzug der Fahrerlaubnis folgt, mit dem dieselbe Tat geahndet wird. Der Umstand, dass der Entzug der Fahrerlaubnis nach dem Zeitpunkt der Erteilung des neuen Führerscheins angeordnet wird, ist insoweit ohne Bedeutung, da die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zu eben diesem Zeitpunkt bereits vorlagen.
Jede andere Auslegung nähme der in Art. 8 IV Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG vorgesehenen Befugnis eines Mitgliedstaats, es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, den eine Person, die in seinem Hoheitsgebiet einer Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterlag, in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat,
jeden Inhalt.
Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, ist allein der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Zuwiderhandlung begangen wird, dafür zuständig, diese zu ahnden, indem er gegebenenfalls eine Maßnahme des Entzugs, eventuell verbunden mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, verhängt.
Einen Mitgliedstaat mit der Begründung, dass der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nach dessen Erteilung keine Zuwiderhandlung im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats begangen hat, zur Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins zu verpflichten, obwohl diese Person noch einer gültigen, durch eine vor dieser Erteilung liegende Tat gerechtfertigten Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterliegt, schüfe nun aber gleichsam einen Anreiz für Täter von Zuwiderhandlungen, die mit einer Maßnahme des Entzugs bestraft werden können, sich unverzüglich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um den verwaltungs- oder strafrechtlichen Folgen dieser Zuwiderhandlungen zu entgehen, und zerstörte letztendlich das Vertrauen, auf dem das System der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine beruht.
Wie die Kommission darüber hinaus in ihren schriftlichen Erklärungen hervorgehoben hat, liefe es in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens sowohl dem Geist der Richtlinie 91/439/EWG als auch dem Wortlaut ihres Art. 7 V zuwider, wonach eine Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein kann, wenn die Gültigkeit des Herrn Weber von den tschechischen Behörden ausgestellten Führerscheins anerkannt würde, obwohl Herr Weber zum Zeitpunkt der Erteilung dieses Führerscheins noch immer Inhaber eines deutschen Führerscheins war.
Folglich ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 1 II i.V. mit Art. 8 II und IV der Richtlinie 91/439/ EWG dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.
Gesetze
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Anwälte der Kanzlei die zu passenden Rechtsgebieten beraten
Anwälte der Kanzlei die zu Verwaltungsrecht beraten
Artikel zu passenden Rechtsgebieten
Artikel zu Verwaltungsrecht
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
- 1.
ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat oder ihm das Führen des Fahrzeugs nach § 44 des Strafgesetzbuchs oder nach § 25 dieses Gesetzes verboten ist, oder - 2.
als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat oder dem das Führen des Fahrzeugs nach § 44 des Strafgesetzbuchs oder nach § 25 dieses Gesetzes verboten ist.
(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen wird bestraft, wer
- 1.
eine Tat nach Absatz 1 fahrlässig begeht, - 2.
vorsätzlich oder fahrlässig ein Kraftfahrzeug führt, obwohl der vorgeschriebene Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung in Verwahrung genommen, sichergestellt oder beschlagnahmt ist, oder - 3.
vorsätzlich oder fahrlässig als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, obwohl der vorgeschriebene Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung in Verwahrung genommen, sichergestellt oder beschlagnahmt ist.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 kann das Kraftfahrzeug, auf das sich die Tat bezieht, eingezogen werden, wenn der Täter
- 1.
das Fahrzeug geführt hat, obwohl ihm die Fahrerlaubnis entzogen oder das Führen des Fahrzeugs nach § 44 des Strafgesetzbuchs oder nach § 25 dieses Gesetzes verboten war oder obwohl eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs gegen ihn angeordnet war, - 2.
als Halter des Fahrzeugs angeordnet oder zugelassen hat, dass jemand das Fahrzeug führte, dem die Fahrerlaubnis entzogen oder das Führen des Fahrzeugs nach § 44 des Strafgesetzbuchs oder nach § 25 dieses Gesetzes verboten war oder gegen den eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs angeordnet war, oder - 3.
in den letzten drei Jahren vor der Tat schon einmal wegen einer Tat nach Absatz 1 verurteilt worden ist.