Freiberufler und Gewerbetreibende: Unterhaltsleistungen auch bei mehrjähriger Steuernachzahlung abziehbar
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Bei Selbstständigen und Gewerbetreibenden, deren Einkünfte naturgemäß stärkeren Schwankungen unterliegen, ist bei der Ermittlung des Nettoeinkommens regelmäßig ein Dreijahresdurchschnitt zu bilden. Steuerzahlungen (einschließlich der Voraus- und Nachzahlungen) sind von dem hiernach zugrunde zu legenden Einkommen grundsätzlich in dem Jahr abzuziehen, in dem sie geleistet wurden – aber nicht ausnahmslos. Denn Steuervorauszahlungen, -erstattungen und -nachzahlungen für mehrere Jahre können insbesondere bei Selbstständigen und Gewerbetreibenden zu erheblichen Verzerrungen des unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommens im Streitjahr führen.
Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem innerhalb eines Jahres die Einkommensteuer für drei zurückliegende Jahre und die Vorauszahlungen für das Streitjahr entrichtet wurden. In einem solchen Fall sind die im maßgeblichen Dreijahreszeitraum geleisteten durchschnittlichen Steuerzahlungen zu ermitteln und vom Durchschnittseinkommen des Streitjahres abzuziehen.
• So rechnete das Finanzamt: 480.000 EUR Durchschnittseinkommen in 2012 (Basis: Dreijahreszeitraum 2010 bis 2012) abzüglich der Steuerzahlungen in 2012 in Höhe von 564.000 EUR.
• So rechnete der BFH: 480.000 EUR Durchschnittseinkommen (siehe Berechnung Finanzamt) abzüglich der durchschnittlichen Steuerzahlung von 188.000 EUR (564.000 EUR/3).
Kurzum: Nach der Berechnung des BFH verblieben dem Steuerpflichtigen auch unter Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen angemessene Mittel zur Bestreitung des eigenen Lebensbedarfs.
BFH, Urteil vom 28.4.2016, (Az.: VI R 21/15).
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Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. Februar 2015 16 K 10187/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist die Berechnung der nach § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehbaren Unterhaltsleistungen bei einem Selbständigen, der Steuerzahlungen für mehrere Jahre geleistet hat.
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Der mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr (2012) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 425.642 €. In den Jahren 2010 bis 2012 betrug der Durchschnitt seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit 483.096 €. Daneben erwirtschafteten die Eheleute im Streitjahr noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 4.190 € bzw. 2.934 €. Im Streitjahr leistete der Kläger Zahlungen für Einkommensteuer 2009 (in Höhe von 1.085 €), 2010 (in Höhe von 210.905,31 €), 2011 (in Höhe von 195.059 €) und 2012 (in Höhe von 129.657 €) sowie für Solidaritätszuschlag und Annexsteuern 2009 (in Höhe von 59,67 €), 2010 (in Höhe von 9.974,41 €), 2011 (in Höhe von 10.520,10 €) und 2012 (in Höhe von 7.140 €). Hierfür verwendete er u.a. Bankguthaben in Höhe von 270.288,44 € und 140.696,87 €.
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In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten der Kläger und seine Ehefrau, für Unterhaltsleistungen an die beiden volljährigen Söhne des Klägers und Stiefsöhne der Ehefrau gemäß § 33a Abs. 1 EStG einen Betrag in Höhe von jeweils 8.004 € als außergewöhnliche Belastungen anzusetzen. Die Söhne A und B studierten im Streitjahr und wohnten in Y bzw. Z. Nach den Angaben in der Steuererklärung bezogen beide keine eigenen Einkünfte und Bezüge oder öffentlichen Ausbildungshilfen. Des Weiteren lebte der Sohn der Ehefrau und Stiefsohn des Klägers C im Haushalt des Klägers und seiner --insoweit kindergeldberechtigten-- Ehefrau.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die geltend gemachten Unterhaltsleistungen im Rahmen der streitigen Einkommensteuerfestsetzung nicht, weil die sog. Opfergrenze aufgrund der Steuerzahlungen im Streitjahr von insgesamt ca. 564.000 € unterschritten worden sei. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hingegen statt. Es führte aus, das FA habe die Opfergrenze vorliegend fehlerhaft berechnet. Denn es habe außer Acht gelassen, dass der Kläger zur Abdeckung der Steuerschulden angesparte Mittel in Höhe von etwa 410.000 € eingesetzt habe.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 19. Februar 2015 16 K 10187/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Während des Revisionsverfahrens ist das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dem Rechtsstreit gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat die streitigen Unterhaltsaufwendungen des Klägers an seine Söhne A und B im Ergebnis zu Recht als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33a Abs. 1 EStG berücksichtigt.
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1. Erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen (im Streitjahr) bis zu 8.004 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG).
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a) Die von § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG vorausgesetzte gesetzliche Unterhaltsberechtigung richtet sich ebenso nach dem Zivilrecht wie die Unterhaltsbedürftigkeit (Senatsurteil vom 28. März 2012 VI R 31/11, BFHE 237, 79, BStBl II 2012, 769; Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz 42). Gesetzlich unterhaltsberechtigt sind damit diejenigen Personen, denen gegenüber der Steuerpflichtige unterhaltsverpflichtet ist. Nach der sog. konkreten Betrachtungsweise setzt die Abziehbarkeit von Leistungen des Steuerpflichtigen an dem Grunde nach unterhaltsberechtigte Personen zudem voraus, dass die unterhaltene Person bedürftig ist (§ 1602 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--; Senatsurteil vom 5. Mai 2010 VI R 29/09, BFHE 230, 12, BStBl II 2011, 116). Darüber hinaus ist § 1603 BGB zu beachten. Nach dieser Vorschrift ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den Unterhalt zu gewähren. Dabei kommt es auf das Vermögen und die Einkünfte des Unterhaltsverpflichteten (sog. Nettoeinkommen) an (Senatsurteil vom 6. Februar 2014 VI R 34/12, BFHE 245, 127, BStBl II 2014, 619). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs können daher Unterhaltsaufwendungen im Allgemeinen nur dann als zwangsläufig und folglich als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs verbleiben (sog. Opfergrenze, vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 245, 127, BStBl II 2014, 619, m.w.N.). Dies gilt allerdings nicht für Ehegatten und minderjährige Kinder, mit denen der Steuerpflichtige gemäß § 1603 Abs. 2 BGB alle ihm verfügbaren Mittel teilen muss (Senatsurteil in BFHE 245, 127, BStBl II 2014, 619), sowie bei einer bestehenden Haushaltsgemeinschaft mit der unterhaltenen Person (sozialrechtliche Bedarfsgemeinschaft; Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 VI R 64/08, BFHE 227, 491, BStBl II 2010, 343, m.w.N.; BMF-Schreiben vom 7. Juni 2010, BStBl I 2010, 582, Tz 12).
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b) Im Fall von Selbständigen und Gewerbetreibenden, deren Einkünfte naturgemäß stärkeren Schwankungen unterliegen, ist bei der Ermittlung des Nettoeinkommens regelmäßig ein Dreijahresdurchschnitt zu bilden (Senatsurteil in BFHE 237, 79, BStBl II 2012, 769).
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c) Steuerzahlungen (einschließlich entsprechender Voraus- und Nachzahlungen) sind von dem hiernach zugrunde zu legenden Einkommen grundsätzlich in dem Jahr abzuziehen, in dem sie geleistet wurden (Senatsurteil in BFHE 237, 79, BStBl II 2012, 769, m.w.N.). Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht ausnahmslos. Denn Steuervorauszahlungen, -erstattungen und -nachzahlungen für mehrere Jahre können insbesondere bei Selbständigen und Gewerbetreibenden zu nicht unerheblichen Verzerrungen des unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommens im Streitjahr führen. In einem solchen Fall gilt es, das Nettoeinkommen als Grundlage der Unterhaltsbemessung realitätsgerecht zu ermitteln. Das entspricht auch der familienrichterlichen Praxis (z.B. Urteile des Bundesgerichtshofs vom 21. September 2011 XII ZR 121/09, Neue Juristische Wochenschrift 2011, 3577, und vom 2. Juni 2004 XII ZR 217/01, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2004, 1177; Gerhardt in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl., § 1 Rz 1009 ff.; Ehinger/Griesche/Rasch, Handbuch Unterhaltsrecht, 7. Aufl., A. Rz 89, E. Rz 128; Kleffmann/Klein, Unterhaltsrecht, 2. Aufl., Grundlagen der Einkommensermittlung Rz 409 f.; Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 3. Aufl., vor § 1361 BGB Rz 35). Deshalb sind in Fällen wie dem vorliegenden, in dem innerhalb eines Jahres die Einkommensteuer für drei zurückliegende Jahre und die Vorauszahlungen für das Streitjahr entrichtet wurden, für die Ermittlung der unterhaltsrelevanten Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen sämtliche im maßgeblichen Dreijahreszeitraum geleisteten Steuerzahlungen in den Blick zu nehmen und ein Durchschnittsbetrag zu ermitteln. Dieser ist sodann vom "Durchschnittseinkommen" des Streitjahres in Abzug zu bringen und erst das danach verbleibende Nettoeinkommen der Berechnung der Opfergrenze zugrunde zu legen.
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2. Nach diesen Grundsätzen waren die vom Kläger an seine Söhne geleisteten Unterhaltsaufwendungen nach § 33a EStG als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) waren im Streitjahr die von dem Kläger unterstützten Söhne A und B tatsächlich unterhaltsbedürftig. Überdies war der Kläger entgegen der Auffassung des FA auch unter Berücksichtigung der Opfergrenze entsprechend leistungsfähig. Denn das vom FA für den maßgeblichen Dreijahreszeitraum (2010 bis 2012) zutreffend ermittelte Durchschnittseinkommen des Klägers in Höhe von 483.096 € war um die durchschnittliche Steuerzahlung in Höhe von ca. 188.000 € zu vermindern. Bei dem danach verbleibenden Nettoeinkommen wird die Opfergrenze bei der vorliegenden Familiensituation und Unterhaltsleistungen des Klägers in Höhe von 16.008 € nicht berührt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz beruht die Leistungsfähigkeit des Klägers demnach nicht auf seinen Vermögensverhältnissen, insbesondere dem Umstand, dass er die Steuerzahlungen zum Teil aus privaten Rücklagen bestritten hat, sondern auf der Höhe seines Nettoeinkommens.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.