Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften: Zum Zeitpunkt der Verlustentstehung
Wird bei Auflösung der Gesellschaft ein Verlust erzielt, ist oft fraglich, zu welchem Zeitpunkt dieser anzusetzen ist. Nach einem Urteil des Finanzgerichts Münster kann ein Verlust erst in dem Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden, in dem endgültig feststeht, in welcher Höhe der Steuerpflichtige mit Zahlungen aus einer Höchstbetrags-Bürgschaft belastet wird.
Die Verlustentstehung setzt u.a. voraus, dass mit Zuteilungen und Rückzahlungen auf Ebene der Gesellschaft nicht mehr zu rechnen ist. Ferner muss feststehen, ob und ggf. in welcher Höhe noch nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen sind. Diese Grundsätze des BFH hat das Finanzgericht Münster nun angewandt. Die Revision wurde indes zugelassen, da der 13. Senat des Finanzgerichts Münster in 2003 die abweichende Ansicht vertreten hat, dass das Ergebnis laufender Vergleichsverhandlungen für die Verlustentstehung noch nicht feststehen muss.
Praxishinweis: Aus verfahrensrechtlichen Gründen sollte der Verlust im Zweifel lieber zu früh als zu spät geltend gemacht werden, um Rechtsnachteile zu vermeiden.
Quelle: FG Münster, Urteil vom 27.3.2014, 2 K 4479/12 E, Rev. BFH IX R 9/14; FG Münster, Urteil vom 7.10.2003, 13 K 6898/00 E.
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Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Zu entscheiden ist, ob im Streitjahr 2010 ein Verlust gem. § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) zu berücksichtigen ist.
3Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Die Kläger erzielten im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung. Der Kläger war Gesellschaftergeschäftsführer der T GmbH (GmbH). Er war seit dem 29.12.2000 - neben einem weiteren Gesellschafter - zu 50 % am Stammkapital der GmbH beteiligt. Auf Antrag der Geschäftsführung vom 04.02.2010 eröffnete das Amtsgericht U unter dem Aktenzeichen 73 IN 13/10 am 01.04.2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens wurden am 06.05.2010 alle Aktiva (der gesamte Betrieb) an einen Erwerber veräußert. Das Insolvenzverfahren ist ausweislich der beigezogenen Insolvenzakten noch nicht abgeschlossen.
4Die beiden GmbH-Gesellschaftergeschäftsführer hatten am 09.07.2009 eine Höchstbetragsbürgschaft i.H.v. X EUR für Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber der Bank 1 übernommen. Mit Schreiben vom 20.08.2010 teilte die Bank 1 dem Kläger mit, dass sie nach Verwertung des Sicherungsgutes noch eine Forderung i.H.v. X EUR gegen die GmbH habe. Der Kläger und sein Mitgesellschafter wurden daher aufgefordert, den Bürgschaftsbetrag bis zum 15.10.2010 zu zahlen. Sollte der Kläger nicht in der Lage sein, den Betrag zu zahlen, werde ein akzeptabler Rückzahlungsvorschlag erwartet. Sollte bis zu dem Termin keine Zahlung auf die Bürgschaft erfolgt sein, werde die Forderung ohne weitere Mahnung auf gerichtlichem Weg geltend gemacht.
5Nach mehrmonatigen Verhandlungen und wechselseitigem Schriftverkehr teilte die Bank 1 dem Kläger mit Schreiben vom 19.05.2011 mit, dass sie ihn bei Zahlung eines Betrages i.H.v. X EUR bis zum 10.06.2011 aus der Bürgschaft entlassen werde. Mit Schreiben vom 30.05.2011 bestätigte die Bank 1, dass sie den Vergleichsbetrag am 27.05.2011 erhalten habe und keine Rechte aus der Gesamtbürgschaft mehr geltend mache.
6Mit ihrer Steuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger einen Verlust gem. § 17 EStG i.H.v. X EUR geltend. Nach den beigefügten Erläuterungen setzte sich der Betrag wie folgt zusammen:
7Stammkapital XEUR
8Verlust Kapitalrücklage X EUR
9Bürgschaft Bank 1 X EUR
10Gesellschafterdarlehen
11gez. laut Vergleich v. 22.07.2010 X EUR
12Haftungsbescheid FA v. 2.11.2010
13gez. 50 % X EUR
14Gebührenrechnung VMG v. 03.11.2010 X EUR
15Gebührenrechnung VMG v. 08.06.2011 X EUR
16X EUR
17Der Beklagte erkannte die Zahlungen für die Haftungsinanspruchnahme als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit an. Im Übrigen ließ er den geltend gemachten Verlust gem. § 17 EStG bei Erlass seines Einkommensteuerbescheides und der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2010 jeweils vom 14.05.2012 für das Streitjahr unberücksichtigt. Der Verlust sei in 2011 zu berücksichtigen.
18Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte hielt in seiner Einspruchsentscheidung vom 05.12.2012 an der Auffassung fest, dass die nachträglichen Anschaffungskosten wegen Inanspruchnahme aus der Bürgschaft der Bank 1 erst mit Abschluss des Vergleichs in 2011 festgestanden hätten. Damit sei der Auflösungsverlust insgesamt erst in 2011 zu berücksichtigen.
19Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren unter Hinweis auf den Vortrag im Verwaltungsverfahren weiter. Sie sind der Auffassung, dass der Auflösungsverlust schon in 2010 festgestanden habe. Die Voraussetzungen für dessen Ermittlung hätten vorgelegen. Denn der Kläger habe bereits in 2010 ernstlich mit der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft rechnen müssen. Die Bank 1 habe deren gerichtliche Geltendmachung schon mit Schreiben vom 25.08.2010 angedroht. Der Kläger sei aufgefordert worden, bis zum 15.10.2010 zu zahlen oder einen angemessenen Rückzahlungsbetrag anzubieten. Aus der Vermögensübersicht zum 01.04.2010 ergäben sich die Vermögenswerte übersteigende Verbindlichkeiten der GmbH i.H.v. X EUR. Mit einer Rückzahlung des hingegebenen Darlehens oder mit der Realisierung von Rückgriffsansprüchen im Hinblick auf die Bürgschaft habe der Kläger nicht rechnen können. Die Bürgschaft sei zum Zeitpunkt des Eintritts der Krise begründet worden. Sie sei daher mit dem Nennwert von X EUR in Ansatz zu bringen. Der Kläger mache aber nur die tatsächlich gezahlten X EUR als nachträgliche Anschaffungskosten geltend. In einem vergleichbaren Fall habe z.B. das FG Münster mit Urteil vom 07.10.2003 13 K 6898/00, EFG 2004, 331 entschieden, dass der Verlust schon im Jahr vor der Vergleichsvereinbarung berücksichtigt werden müsse. Nach den Ausführungen in diesem finanzgerichtlichen Urteil komme es bei der Ermittlung des Zeitpunkts nur darauf an, ob die verlustbegründenden Umstände im Jahr der Verlustentstehung festgestanden hätten.
20Die Kläger beantragen,
21unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 14.05.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2012 einen Veräußerungsverlust i.H.v. X EUR gem. § 17 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen.
22Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Steuerakten des Beklagten verwiesen. Der Senat hat am 27.03.2014 in der Sache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe
27Die zulässige Klage ist nicht begründet.
28Die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid vom 14.05.2012 ist zulässig. Zwar beträgt die festgesetzte Einkommensteuer 0,- EUR. Nach § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG wirkt der Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres bezogen auf die Verlustfeststellung wie ein Grundlagenbescheid i.S.v. § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz1 Nr. 1 Abgabenordnung. Einsprüche zur Berücksichtigung eines Verlustes sind deshalb gegen den Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres zu richten (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG 32. Aufl. 2013 § 10d Rz. 46; Meyer/Ball, Zeitliche Begrenzung des Verlustabzugs nach dem Jahressteuergesetz 2010, DStR 2011, 345).
29Die Kläger werden durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Zu Recht hat der Beklagte die geltend gemachten Aufwendungen im Streitjahr nicht als Veräußerungsverlust gem. § 17 EStG steuermindernd berücksichtigt. Die Voraussetzungen, unter denen Aufwendungen nach § 17 EStG geltend gemacht werden können, sind im Streitjahr nicht erfüllt, weil die Anschaffungskosten des Gesellschafters nicht feststanden.
30Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer in den letzten fünf Jahren am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war, § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. Veräußerungsgewinn im Sinne des Absatzes 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt, § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG. Als Veräußerung im Sinne des Absatzes 1 gilt auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft, § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG. In diesen Fällen ist als Veräußerungspreis der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft anzusehen, § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG.
31Im Streitfall ist die GmbH zwar mit der Insolvenzeröffnung im Jahr 2010 aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 Gesetz über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG)). Im Jahr 2010 kann ein Verlust gem. § 17 Abs. 4 EStG jedoch noch nicht angesetzt werden.
32Denn es stand im Streitjahr 2010 noch nicht fest, in welcher Höhe nachträgliche Anschaffungskosten für den Kläger entstehen würden (Ebene des Gesellschafters). Dabei kann zugunsten der Kläger unterstellt werden, dass der Kläger Rückzahlungsansprüche gegenüber der GmbH nicht mehr realisieren konnte bzw. dass etwaige Rückgriffsansprüche aus hingegebenen Sicherheiten gegenüber der GmbH bereits im Streitjahr wertlos waren (Ebene der GmbH).
33Die Entstehung eines Verlustes i.S.v. § 17 Abs. 4 EStG setzt voraus, dass mit Zuteilungen und Rückzahlungen gem. § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht mehr zu rechnen ist (Ebene der Gesellschaft). Außerdem muss feststehen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 und 4 EStG zu berücksichtigende wesentliche Aufwendungen anfallen werden (Ebene des Gesellschafters), vgl. z.B. BFH-Urteile vom 04.11.1997 VIII R 18/94, BStBl. II 1999, 344 und vom 25.01.2000 VIII R 63/98, BStBl. II 2000, 343.
34Im Streitfall steht in 2010 noch nicht fest, in welcher Höhe der Kläger mit Anschaffungskosten aus der Höchstbetragsbürgschaft belastet wird.
35Nach Auflösung der Gesellschaft bestimmt sich der Zeitpunkt der Entstehung des Auflösungsgewinns- und -verlustes nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (BFH-Urteil vom 03.06.1993 VIII R 81/91, BStBl. II 1994, 162 und vom 08.04.1998 VIII R 21/94, BStBl. II 1998, 660). Dieser Zeitpunkt ist bei einer Auflösung mit anschließender Liquidation normalerweise der Zeitpunkt des Abschlusses der Liquidation; erst dann steht fest, ob und in welcher Höhe der Gesellschafter mit einer Zuteilung und Rückzahlung von Vermögen der Gesellschaft rechnen kann, und ferner welche nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung anfallen und welche Veräußerungs- und Auflösungskosten der Gesellschafter persönlich zu tragen hat (BFH-Urteil vom 03.06.1993 VIII R 81/91, aaO). Der Zeitpunkt, in dem der Veräußerungsverlust realisiert ist, kann auch schon vor Abschluss der Liquidation liegen, wenn mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlustes nicht mehr zu rechnen ist (BFH-Urteile vom 02.10.1984 VIII R 20/84, BStBl. II 1985, 428 und vom 03.06.1993 VIII R 81/91, aaO). Das ist z.B. dann der Fall, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde (BFH-Beschluss vom 27.11.1995 VIII B 16/95, BFH/NV 1996, 406 m.w.N.) oder die Gesellschaft bereits im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses vermögenslos war (BFH-Urteil vom 04.11.1997 VIII R 18/94, BStBl. II 1999, 344).
36Wurde ein Konkurs- oder Insolvenzverfahren eröffnet, kommt ein Auflösungsverlust zu einem früheren Zeitpunkt als dem des Abschlusses des Konkurs- und Insolvenzverfahrens nur ausnahmsweise in Betracht. Denn bei der Auflösung der Gesellschaft wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt sich die Feststellung, ob und in welcher Höhe der Gesellschafter mit einer Zuteilung und Rückzahlung von Vermögen rechnen kann, regelmäßig noch nicht treffen. Der Auflösungsgewinn- oder verlust gem. § 17 Abs. 4 EStG ist nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu ermitteln, soweit die Eigenart der Gewinnermittlung nach § 17 EStG keine Abweichungen von diesem Grundsatz erfordert. Danach ist insbesondere das Realisationsprinzip zu beachten (BFH-Urteile vom 02.10.1984 VIII R 20/84, BStBl. II 1985, 428, vom 07.07.1992 VIII R 56/88, BFH/NV 1993, 25 und vom 21.12.1993 VIII R 69/88, BStBl. II 1994, 648). Die stillen Reserven sind bei den Veräußerungsgeschäften erst dann realisiert, wenn der Ver-äußerer seine Sachleistung erbracht hat. Davon ist auch im Insolvenzfall auszugehen; der Veräußerungsgewinn- oder verlust ist erst dann realisiert, wenn der Konkurs- oder Insolvenzverwalter die einzelnen Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens oder das Unternehmen im Ganzen veräußert und mit dem letzten Geschäftsvorfall die Grundlage für die Schlussverteilung geschaffen hat (BFH-Urteil vom 25.01.2000 VIII R 63/98, aaO; FG Hamburg Urteil vom 23.10.2006 5 K 131/04, juris). Selbst bei einer ansonsten vermögenslosen GmbH ist ein Auflösungsverlust dann noch nicht realisiert, wenn nach Insolvenzeröffnung noch Forderungen gerichtlich geltend gemacht werden (vgl. Niedersächsisches FG Urteil vom 18.05.2011 9 K 307/07, EFG 2011, 2153) oder ein Gerichts- oder Vergleichsverfahren anhängig ist, das z.B. eine Bürgschaft des Gesellschafters betrifft (FG Nürnberg Urteil vom 23.11.2011 3 K 1176/2009, juris). Bei einem noch anhängigen Rechtsstreit oder auch bei noch nicht abgeschlossenen Vergleichsverhandlungen ist der Veräußerungsgewinn- oder verlust nicht realisiert, wenn nicht feststeht, ob und in welcher Höhe Anschaffungskosten auf Seiten des Gesellschafters entstehen. Zu den Anschaffungskosten zählen der Kaufpreis und/oder die Einlageverpflichtung (Nennwert der Bareinlage oder gemeiner Wert der Sacheinlage). Zu den berücksichtigungsfähigen nachträglichen Anschaffungskosten gehören vor allem auch Verluste aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungsmaßnahmen (Darlehen, Bürgschaften, Sicherheitsleistungen). Maßgeblich für die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten ist der Teilwert der Leistung an die Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt der Einlage (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG 32. Aufl. 2013 § 17 Rz. 156f und 163 m.w.N.). War die Darlehens- oder Bürgschaftshingabe kapitalersetzend, ist der Nennwert der Leistung maßgebend; wurde das Darlehen oder die Bürgschaft erst durch Stehenlassen kapitalersetzend, ist der gemeine Wert, d.h. der Teilwert im Zeitpunkt des Eintritts der Krise entscheidend. Wird der Gesellschafter aufgrund einer Bürgschaft für die Gesellschaft in Anspruch genommen, gelten dieselben Grundsätze. Statt auf den Wert des Darlehensrückforderungsanspruchs ist auf den Rückgriffsanspruch gegenüber der Gesellschaft aus der Bürgschaft abzustellen (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, aaO Rz. 175 und 178).
37Hiernach kann ein Auflösungsverlust zu einem früheren Zeitpunkt als dem des Abschlusses des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens nur unter den folgenden, kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen entstehen. Zunächst muss aufgrund des Inventars und der Konkurseröffnungsbilanz des Konkursverwalters oder einer Zwischenrechnungslegung ohne weitere Ermittlungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sein, dass das Vermögen der Gesellschaft zu Liquidationswerten die Schulden nicht mehr decken wird. Weiter muss ein Zwangsvergleich ausgeschlossen erscheinen. Schließlich muss absehbar sein, ob und in welcher Höhe bei den Gesellschaftern noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende Veräußerungs- oder Aufgabekosten anfallen werden, d.h. die nachträglichen Anschaffungskosten des Gesellschafters müssen dem Grunde und der Höhe nach feststehen (BFH-Entscheidungen vom 25.01.2000 VIII R 63/98, aaO; vom 12.12.2000 VIII R 36/97, BFH/NV 2001, 761; vom 25.03.2003 VIII R 24/02, DStRE 2003, 1025; vom 21.01.2004 VIII R 8/02, BFH/NV 2004, 947; vom 01.03.2005 VIII R 46/02, juris; vom 18.05.2005 VIII B 11/04, BFH/NV 2005, 1810). Diese Grundsätze gelten sinngemäß für die seit dem 01.01.1999 anzuwendende Insolvenzordnung. Die Darlegungs- und Feststellungslast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Steuerpflichtige (vgl. auch Völlmeke, Der Auflösungsgewinn oder –verlust gemäß § 17 EStG, DStR 2005, 2024 (2025f)).
38Nach diesen Grundsätzen konnte im Streitjahr noch nicht festgestellt werden, in welcher Höhe nachträgliche Anschaffungskosten durch Inanspruchnahme aus der Höchstbetragsbürgschaft entstehen würden. Jedenfalls haben die Kläger nicht dargetan, dass bereits im Streitjahr abzusehen war, dass der Kläger gegen Zahlung eines Betrages von nur X EUR aus der Höchstbetragsbürgschaft i.H.v. X EUR entlassen würde. Dies geht zu ihren Lasten.
39Zwar war das Insolvenzverfahren im Streitfall mit der bereits in 2010 erfolgten Betriebsveräußerung im Wesentlichen abgewickelt. Es stand aber erst in 2011 fest, dass der Kläger nur i.H.v. X EUR aus der Höchstbetragsbürgschaft von X EUR belastet wurde. Damit stand der auf nur einen einzigen Stichtag (vgl. BFH-Urteil vom 08.12.1992 VIII R 99/90, BFH/NV 1993, 654) zu ermittelnde Veräußerungsverlust im Streitjahr zwar dem Grunde nicht aber der Höhe nach fest. Denn nach eigenem Vortrag musste der Kläger bis März 2011 noch damit rechnen, dass ihn die Bank 1 in voller Höhe in Anspruch nehmen würde. Sie hatte nach Verwertung des Sicherungsgutes noch eine Forderung i.H.v. X EUR gegen die GmbH. Die Bank 1 hätte die Zahlung dieses Betrages bis zur Höhe von X EUR von dem Kläger und seinem Mitgesellschafter verlangen können. Noch mit Schreiben vom 28.12.2010 und 01.03.2011 forderte die Bank 1 ein Schuldanerkenntnisses über X EUR. Die Entscheidung der Bank 1, den Kläger gegen Zahlung nur eines Betrages von X EUR aus der Höchstbetragsbürgschaft zu entlassen, ist nach dem vorliegenden Schriftverkehr erst im Mai 2011 gefallen. Vorangegangen sind mehrmonatige schriftliche und telefonische Verhandlungen. Zwischen der Zahlungsaufforderung im August 2010 und der Freistellung von der Bürgschaftsverpflichtung im Mai 2011 hat sich damit eine nicht unwesentliche Änderung in Bezug auf die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten ergeben. Erst mit dem Schreiben der Bank 1 vom 30.05.2011 stand fest, dass sie weder den Höchstbetrag von X EUR noch das Schuldanerkenntnis über X EUR einfordern, sondern dass sie schon mit Erhalt eines Vergleichsbetrags von nur X EUR keine Rechte aus der Gesamtbürgschaft mehr geltend machen würde. Damit stand hinsichtlich des Bürgschaftsbetrages (Ebene des Gesellschafters) erst im Jahr 2011 fest, wie hoch die nachträglichen Anschaffungskosten für diese Finanzierungsmaßnahme waren.
40Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
41Die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Das FG Münster vertritt in seinem Urteil vom 07.10.2003 13 K 6898/00 E, aaO die abweichende Auffassung, dass das Ergebnis laufender Vergleichsverhandlungen für die Verlustentstehung nach § 17 EStG noch nicht feststehen muss.
Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 27. März 2014 2 K 4479/12 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob im Streitjahr 2010 ein Verlust gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen ist.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammenveranlagte Eheleute, erzielten im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung. Der Kläger war Geschäftsführer einer GmbH und an dieser seit Dezember 2000 zu 50 % beteiligt. Im April 2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet; im Mai 2010 wurden alle Aktiva (der gesamte Betrieb) veräußert. Das Insolvenzverfahren war im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung noch nicht abgeschlossen.
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Der Kläger hatte im Juli 2009 eine Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 450.000 € für Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber einer Bank übernommen. Im August 2010 teilte die Bank dem Kläger mit, dass sie nach Verwertung des Sicherungsgutes noch eine Forderung in Höhe von 1.366.693,57 € gegen die GmbH habe, und nahm den Kläger aus der Bürgschaft auf Zahlung in Anspruch.
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Nach mehrmonatigen Verhandlungen und wechselseitigem Schriftverkehr teilte die Bank dem Kläger mit Schreiben vom 19. Mai 2011 mit, dass sie ihn bei Zahlung eines Betrages in Höhe von 60.000 € bis zum 10. Juni 2011 aus der Bürgschaft entlasse. Mit Schreiben vom 30. Mai 2011 bestätigte die Bank, dass sie den Vergleichsbetrag am 27. Mai 2011 erhalten habe und keine Rechte aus der Gesamtbürgschaft mehr geltend mache.
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Mit ihrer Steuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger einen Verlust gemäß § 17 EStG in Höhe von 260.000 € geltend.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ den geltend gemachten Verlust gemäß § 17 EStG im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und bei der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2010 unberücksichtigt. Da die nachträglichen Anschaffungskosten wegen Inanspruchnahme aus der Bürgschaft der Bank erst mit Abschluss des Vergleichs im Jahr 2011 festgestanden hätten, sei der Auflösungsverlust insgesamt erst 2011 zu berücksichtigen.
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Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1299 veröffentlichten Urteil, die geltend gemachten Aufwendungen seien im Streitjahr nicht als Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG steuermindernd zu berücksichtigen.
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Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts rügen.
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Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung des Bescheides für 2010 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 14. Mai 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2012 einen Veräußerungsverlust in Höhe von 262.975 € gemäß § 17 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Ergebnis zutreffend hat das FG auf der Grundlage seiner Feststellungen angenommen, dass der streitbefangene Verlust i.S. von § 17 EStG im Streitjahr noch nicht entstanden ist.
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1. Das Entstehen eines Auflösungsverlusts i.S. von § 17 Abs. 2 und 4 EStG setzt --neben anderen, vorliegend nicht problematischen Anforderungen-- voraus, dass die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten feststeht (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Juni 1993 VIII R 81/91, BFHE 172, 407, BStBl II 1994, 162; vom 21. Januar 2004 VIII R 8/02, BFH/NV 2004, 947; vom 25. März 2003 VIII R 24/02, BFH/NV 2003, 1305; BFH-Be-schluss vom 18. Mai 2005 VIII B 11/04, BFH/NV 2005, 1810).
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2. Das FG hat auf der Grundlage seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und so den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen im Ergebnis zutreffend angenommen, dass im Streitjahr die nachträglichen Anschaffungskosten des Klägers aus der streitbefangenen Höchstbetragsbürgschaft noch nicht feststanden und deshalb der Auflösungsverlust des Klägers noch nicht entstanden war.
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Das FG hat die --ex ante bestehende-- Unsicherheit hinsicht-lich der Höhe der Inanspruchnahme des Klägers aus der Bürgschaft und damit der Höhe seiner nachträglichen Anschaffungskosten --in schlüssiger Weise-- maßgeblich damit begründet, dass im Streitjahr sowie noch im Jahr 2011 schriftliche und telefonische Verhandlungen über die Höhe der Inanspruchnahme des Klägers geführt worden seien, so dass im Streitjahr noch nicht abzusehen gewesen sei, dass der Kläger nur in Höhe von 60.000 € in Anspruch genommen würde. Soweit die Kläger in ihrer Revisionsbegründung vortragen, der Kläger sei zu einer Leistung von mehr als 60.000 € nach seinen bereits 2010 bekannten Vermögensverhältnissen nicht in der Lage gewesen, so dass deshalb auch die Höhe seiner Inanspruchnahme schon im Streitjahr festgestanden hätte, konnte das FG dies nicht feststellen.
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Ohne Erfolg berufen sich die Kläger auch auf die Entscheidungen des FG Münster vom 7. Oktober 2003 13 K 6898/00 E (EFG 2004, 331) und vom 12. Mai 2004 1 K 6725/02 E. Erstgenanntes Urteil stellt auf die Besonderheiten bei einer Ablehnung eines Konkursverfahrens mangels Masse ab, zweitgenanntes betrifft keinen Fall, in dem über die Höhe der Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft verhandelt worden wäre.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.