Kindergeld: Kindergeld ist auch bei einem berufsbegleitenden Studium möglich

bei uns veröffentlicht am28.02.2017

Rechtsgebiete

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

EnglischDeutsch
Zusammenfassung des Autors
Wann ist eine Erstausbildung abgeschlossen? Bei der Antwort auf diese Frage ist der Bundesfinanzhof großzügig.
Das heißt bezogen auf den aktuellen Streitfall: Anspruch auf Kindergeld besteht selbst, wenn ein Kind als Physiotherapeut ein Studium anhängt und in dieser Zeit 30 Stunden pro Woche arbeitet.

Hintergrund: Für den Kindergeldanspruch für volljährige Kinder ist es oft entscheidend, ob sich das Kind in einer Erst- oder einer Zweitausbildung befindet. Denn nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ist eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich schädlich. Ausgenommen sind nur: Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis.

Aus der aktuellen Entscheidung des BFH sind zwei Aussagen hervorzuheben:
  • Das Kind schloss die Realschule ab, machte eine Lehre zur Physiotherapeutin, ging dann auf die Fachoberschule und studierte anschließend „Physiotherapie“. Bemerkenswert ist, dass der BFH die gesamte Ausbildungskette als mehraktige Ausbildung eingestuft hat.
  • Ein Kind wird für einen Beruf ausgebildet, wenn es neben seiner Erwerbstätigkeit ein Studium ernsthaft und nachhaltig betreibt. Eine zeitliche Mindestgrenze für eine im Inland absolvierte Schul- oder Universitätsausbildung gibt es nicht. Somit war der Umfang von durchschnittlich nur fünf Semesterwochenstunden im Streitfall nicht schädlich.

Der BFH hat in seinem Urteil (III R 27/15) vom 8.9.2016 folgendes entschieden:

Es kann eine einheitliche "erstmalige Berufsausbildung" iSv § 32 IV S. 2 EStG 2012 vorliegen, wenn die volljährige Tochter nach dem Realschulabschluss vorhat, den Studiengang "Bachelor of Science Physiotherapie" aufzunehmen, und dazu zunächst eine dreijährige Ausbildung zur Physiotherapeutin absolviert, im unmittelbaren Anschluss daran nach einem einjährigen Fachhochschulbesuch die für die Aufnahme des Studiums erforderliche Fachhochschulreife erlangt und anschließend sofort den Studiengang "Bachelor of Science Physiotherapie" "Physiotherapie mit dem Profil Präventions- und Rehabilitationssport -dual-" mit einer Regelstudienzeit von 9 Semestern aufnimmt.

Sieht der duale Studiengang "Bachelor of Science Physiotherapie" aber in den ersten sechs Semestern unter der Woche die Durchführung einer externen Ausbildung an einer staatlich anerkannten Fachschule zum Physiotherapeuten vor, findet deswegen ein Studium an der Hochschule in dieser Zeit nur in Wochenendblöcken in einem auf das Semester hochgerechneten zeitlichen Umfang von lediglich fünf Semesterwochenstunden statt, kann die Tochter, weil ihre bereits abgeschlossene Ausbildung voll auf das Studium angerechnet wird, während der ersten sechs Semester unter der Woche frei und unabhängig über ihre Zeit verfügen und arbeitet sie wöchentlich 20 bis 30 Stunden in einer privaten Krankengymnastikpraxis, so befindet sich die Tochter angesichts des nur geringen zeitlichen Aufwands für das Studium in den ersten sechs Semestern kindergeldrechtlich nicht in Berufsausbildung.

Tenor: 

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Kindergeld im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung der Tochter B., geboren am ... 1990, für die Zeit von Juni 2013 bis September 2014.

Die Ausbildung im Bereich Physiotherapie erfuhr in den letzten Jahren eine Akademisierung.

Die seinerzeitige Hochschule Lausitz führte ab Wintersemester 2010/11 einen neu strukturierten Studiengang „Bachelor of Science Physiotherapie“ ein. Der Fachbereichsrat beschloss am 12.05.2011 die Studien- und Prüfungsordnung für den Bachelor-Studiengang „Physiotherapie mit dem Profil Präventions- und Rehabilitationssport“. Daraus ergibt sich u. a. eine Regelstudienzeit von 9 Semestern. In den ersten 6 Semestern besteht eine „duale Phase“ mit einer Ausbildung an einer staatlich anerkannten Berufsfachschule für Physiotherapie mit theoretischem und praktischem Unterricht zum staatlich anerkannten Physiotherapeuten gemäß dem Gesetz über Berufe in der Physiotherapie. Parallel wird an der Hochschule in jedem Semester ein Basismodul im Umfang von 5 Semesterwochenstunden unterrichtet. Dieser akademische Unterricht findet - mit Rücksicht auf die unter der Woche erfolgende externe Ausbildung - nur in Blöcken ausschließlich am Wochenende statt, wobei als Wochenende der Zeitraum von Freitag ab 15 Uhr bis Sonntag 18 Uhr zählt. Je nach Art der Lehrveranstaltung finden pro Semester 3 bis 5 dieser Wochenenden statt, die jedoch nicht immer voll genutzt werden; je nach den zeitlichen Möglichkeiten der Lehrkräfte kann die Lehre z. B. auch nur freitags und samstags oder auch nur samstags erfolgen. Am Ende des 6. Semesters erwerben die Studierenden extern den Abschluss als staatlich anerkannter Physiotherapeut. Vom 7. bis 9. Semester findet eine „Präsenzphase“ von 1 ½ Jahren statt. Im 7. und 8. Semester sind jeweils sechs Module zu absolvieren, im 9. drei Module sowie die Bachelorarbeit. Darauf wird der akademische Grad eines „B. Sc. Physiotherapie“ verliehen.

Studierende, die bereits vor Aufnahme dieses Studiengangs die Ausbildung als Physiotherapeut(in) erfolgreich abgeschlossen haben, erhalten diese angerechnet. Sie haben daher in den ersten sechs Semestern nur jeweils ein Modul zu belegen; im Übrigen haben sie frei. Nach der Erfahrung des Studiendekans nutzen derartig Studierende die Zeit, um als Physiotherapeut(in) zu praktizieren bzw. zu arbeiten. Der Studiengang ist in den ersten sechs Semestern nach seiner Konzeption ein dualer und kein berufsbegleitender, wurde jedoch für die Studieninteressenten mit bereits abgeschlossener Berufsausbildung in der vorgezeigten Weise geöffnet und daher für diese faktisch in den ersten sechs Semestern berufs-begleitend.

Die Tochter der Klägerin wurde nach ihrem Realschulabschluss in der Zeit vom 01.10.2007 bis 30.09.2010 an der Medizinischen Schule am Carl-Thiem-Klinikum Cottbus zur Physiotherapeutin ausgebildet. Sie legte dort am 13.09.2010 erfolgreich die Prüfung ab und erhielt vom Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz am 01.10.2010 die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“.

Bereits am 27.05.2010 hatte sie die Zusage vom Oberstufenzentrum I Cottbus zum Besuch der Fachoberschule, Fachrichtung Sozialwesen, die sie vom 23.08.2010 bis 28.06.2011 besuchte. Am 28.06.2011 erhielt sie das Zeugnis der Fachhochschulreife.

Am 19.07.2011 erhielt sie die Zulassung der Hochschule Lausitz zum zulassungsbeschränkten Studiengang „Physiotherapie Dual“ zum Wintersemester 2011/12 und wurde dort am 30.09.2011 immatrikuliert; das Sommersemester 2015 war ihr 8. Fachsemester.

Die Tochter arbeitete aufgrund folgender Arbeitsverträge als Physiotherapeutin:
  • ab 01.03.2011 bei Physiotherapie H..., 7 Stunden/Woche, Vergütung netto 6 €/Stunde;
  • ab 06.08.2012 bei I... Krankengymnastikpraxis, Umfang 30 Stunden/Woche, Vergütung brutto

zunächst 9,50 €/Stunde, nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit 10 €/Stunde.
In einer nicht datierten, handschriftlichen Bestätigung des Arbeitgebers wird eine Änderung der Wochenarbeitszeit von 30 Stunden auf 20 Stunden bestätigt vorläufig wegen des dualen Studiengangs, es heißt dort „Dies ist seit dem 01.10.2014 wirksam“. Das Wintersemester 2014/15 war das 7. Fachsemester der Tochter.

Die Landesfamilienkasse bewilligte der Klägerin Kindergeld bis August 2012 und ab Oktober 2014. Zunächst war die Kindergeldberechtigung für den dazwischen liegenden Zeitraum Gegenstand der Klage. Nach Hinweis des Senats, dass bezüglich September 2012 bis Mai 2013 bereits mit bestandskräftigem Bescheid vom 29.05.2013 Kindergeld abgelehnt worden ist und für diesen Zeitraum der Bescheid vom 26.02.2015 eine nicht anfechtbare sog. wiederholende Verfügung darstellt, nahm die Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Klage insoweit zurück. Somit ist noch die Kindergeldberechtigung für den Zeitraum Juni 2013 bis September 2014 streitig.

Mit Schreiben vom 09.11.2014 beantragte die Klägerin Kindergeld ab August 2013. Sie führte aus, die Tochter habe sich ab diesem Zeitpunkt weiterhin in Ausbildung befunden, es habe sich um ein Dualstudium gehandelt, welches vorrangig an den Wochenenden stattgefunden habe. Der Arbeitsvertrag, den sie für den praktischen Bereich ihres Studiums benötigt habe, habe bis Oktober 2014 30 Stunden umfasst, mit Einsetzen der Präsenzphase umfasse er jedoch nur noch 20 Stunden, da sich jetzt das Studium auf alle Tage der Woche erstrecken könne. Sie verwies auf Rechtsprechung des FG Münster. Beigefügt waren vier Studienbescheinigungen für Sommersemester 2013 bis Wintersemester 2014/15.

Nach Schriftwechsel mit der Landesfamilienkasse führte die Klägerin mit Schreiben vom 20.01.2015 aus, sie habe mit Schreiben vom 09.11.2014 Kindergeld ab August 2013 beantragt, gezahlt worden sei bis Juni 2013. Aus diesem Grunde stelle sie den Antrag ab Juli 2013.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 26.02.2015 wurde Kindergeld von Oktober 2014 bis Juli 2015 bewilligt und Kindergeld von September 2012 bis September 2014 abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt: Ein Dualstudium liege nicht vor. Das Studium sei eine Zweitausbildung, da mit dem Abschluss als Physiotherapeutin die Erstausbildung abgeschlossen worden sei. Die Erwerbstätigkeit mit mehr als 20 Stunden sei daher schädlich gewesen.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 20.03.2015, eingegangen am 23.03.2015, Einspruch ein. Es handele sich um ein Dualstudium. Die Tochter habe während ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin von der Möglichkeit des dualen Physiotherapiestudiums erfahren. Im Hinblick darauf habe sie nach Abschluss der Ausbildung zunächst ihr Fachabitur nachmachen müssen. Für das Dualstudium habe sie einen Arbeitgeber benötigt, der in praxisbezogenen Inhalten und Arbeitszeitgestaltung die Aufnahme des Dualstudiums ermöglicht habe. Sie werde voraussichtlich 2016 mit dem Bachelor abschließen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 02.07.2015 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Es handele sich zwar um ein duales und grundsätzlich als Ausbildung berücksichtigungsfähiges Studium, jedoch nach abgeschlossener Ausbildung zur Physiotherapeutin um eine Zweitausbildung, so dass die Erwerbstätigkeit mit mehr als 20 Stunden pro Woche anspruchsschädlich gewesen sei.
Die Einspruchsentscheidung wurde der Klägerin am 21.07.2015 zugestellt.

Mit ihrer am 19.08.2015 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Kindergeldanspruch weiter. Nach der Rechtsprechung sei die Ausbildung als Einheit anzusehen, so dass noch eine Erstausbildung vorliege, weswegen es auf den Umfang der daneben ausgeführten Arbeitstätigkeit nicht ankomme. Das duale Studium sei eine Fortsetzung der bisherigen Ausbildung, somit liege eine einheitliche Erstausbildung vor. Fünf Semesterwochenstunden seien unter Berücksichtigung des notwendigen parallelen Selbststudiums ausreichend, um eine Ausbildung im Sinne des Kindergeldrechts darzustellen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 26.02.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2015 zu verpflichten, für das Kind B. für den Zeitraum Juni 2013 bis September 2014 Kindergeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Kindergeldakte der Klägerin lag vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Ablehnung des Kindergeldes ist rechtmäßig.

Zwar entfällt der Kindergeldanspruch nicht wegen einer zeitlich zu umfangreichen Arbeitstätigkeit der Tochter.

Denn läge während der dualen Phase des Studiums bei der Klägerin überhaupt eine Berufsausbildung vor, dann würde es sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - noch um eine erstmalige Ausbildung handeln, so dass der zeitliche Umfang einer parallelen Arbeitstätigkeit unerheblich ist.

Der BFH hat unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte, insbesondere die Gesetzesmaterialien, sowie den Zweck der Vorschrift ausgeführt, dass auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein kann, wenn aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar ist, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Abzustellen ist dabei darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Nicht erheblich ist hingegen, ob das Kind - unabhängig vom angestrebten Berufsziel - irgendeinen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hat. Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das --von den Eltern und dem Kind-- bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Dann stellt ein erster objektiv berufsqualifizierender Abschluss selbst dann nicht das Ende der Erstausbildung dar, wenn es sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handelt. Ebenfalls unschädlich ist, wenn das Kind aufgrund der neben der Ausbildung ausgeübten Vollzeiterwerbstätigkeit gegenüber seinen Eltern möglicherweise mangels Bedürftigkeit keinen Unterhaltsanspruch hatte; das Erfordernis einer typischen Unterhaltssituation ist von der Rechtsprechung des BFH seit 2013 aufgegeben worden. Die Prüfung, ob die mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen noch als einheitliche Erstausbildung zu qualifizieren sind, obliegt dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz.

Zwar sind die Entscheidungen des FG Berlin-Brandenburg und des FG Rheinland-Pfalz anderslautend, sie ergingen jedoch vor Veröffentlichung der vorgenannten beiden bzw. der vorgenannten letzten BFH-Entscheidung und die gegen beide anhängigen Revisionsverfahren sind noch nicht abgeschlossen.

Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des BFH an.

Danach läge hier noch eine Erstausbildung vor.

Der Bachelorstudiengang „Physiotherapie Dual“ betrifft denselben fachlichen Bereich wie die vorherige Ausbildung zur Physiotherapeutin. Die Tochter hat nach Abschluss ihrer Berufsausbildung das Studium schnellstmöglich aufgenommen. Der dazwischen liegende Besuch der Fachoberschule zur Erlangung der Fachhochschulreife war notwendig, denn anders hätte sie die Zugangsvoraussetzungen für den Studiengang nicht erfüllt. Es liegt daher sowohl ein äußerst enger sachlicher als auch ein enger zeitlicher Zusammenhang vor. Die Tochter hat keine der zwischenliegenden längeren Zeitabschnitte, in denen sie ihr abschließendes Ausbildungsziel nicht verfolgt hätte.

Allerdings lag im fraglichen Zeitraum gar keine Ausbildung vor, weil der zeitliche Umfang der Ausbildung, jedenfalls in Zusammenschau mit ihrer zeitlichen Verteilung, zu gering ist.

Bereits in seinem vorgenannten Urteil vom 03.07.2014 hat der BFH darauf hingewiesen, dass das notwendige Korrektiv auf vorgelagerter Ebene in der konsequenten Anwendung des Berufsausbildungsbegriffs besteht. Der Senat pflichtet dem bei.

Zwar gibt es dann während einer Erstausbildung keine maximale parallele Arbeitszeit und schon grundsätzlich kein maximales Einkommen des Kindes, aber es ist ein minimaler Umfang für das Vorliegen einer Ausbildung zu fordern.

Der BFH hat dazu schon früher ausgeführt:

Eine „Berufsausbildung“ setzt nicht voraus, dass sie die Arbeitskraft des Kindes überwiegend beansprucht, und kann daher auch neben einer Erwerbstätigkeit erfolgen. Sie muss jedoch ernsthaft und nachhaltig betrieben werden.

Der erforderliche Umfang der Ausbildung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Wöchentlich 10 Unterrichtsstunden können ausreichen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier während der dualen Phase des Studiums, die für die Tochter faktisch berufsbegleitend war, bei nur 5 Semesterwochenstunden, die außerdem blockweise an Wochenenden unterrichtet werden, trotz der auch in Betracht zu ziehenden Zeit für Vor- und Nachbereitung keine Ausbildung im kindergeldrechtlichen Sinne vor.

Zunächst ist festzuhalten, dass entgegen dem Vortrag der Klägerin im Verwaltungs- und Einspruchsverfahren die Arbeitstätigkeit der Tochter während ihres Studiums für ihr Studium nicht erforderlich war, weil ihre vor ihrem Studium absolvierte Ausbildung anerkannt worden war und sie die entsprechenden Credits schon alle bekommen hatte. Die Tochter hatte daher - neben den 5 Semesterwochenstunden an den Wochenendblöcken - frei. Es stand daher aus der Sicht der Studienordnung in ihrem Belieben, einer Berufstätigkeit entsprechend ihrer Ausbildung oder einer gänzlich andersartigen Berufstätigkeit nachzugehen oder - bei vorhandenen finanziellen Mitteln - auch gar nichts zu tun. Die ausgeübte Berufstätigkeit als Physiotherapeutin stand völlig unabhängig neben dem Studium.

Die übliche Gesamtbelastung eines Vollzeitstudierenden liegt an Universitäten bei ca. 20 bis 25 Semesterwochenstunden, an Fachhochschulen bei ca. 25 bis 28 Semesterwochenstunden.

Die die Tochter im fraglichen Zeitraum treffende Studienzeitbelastung von 5 Semesterwochenstunden liegt danach bei ungefähr 1/5 derjenigen eines Vollzeitstudierenden.

Im siebten und achten Fachsemester müssen im Studiengang der Tochter jeweils sechs Module absolviert werden, in den ersten sechs Semestern jeweils nur eines. Danach läge der Studienumfang ungefähr bei 1/6 einer vollen Belastung.

Daraus ergibt sich, dass die Tochter nur 1/5 oder sogar etwas weniger dessen zu studieren hatte, was ein Vollzeitstudium typischer Weise umfasst. Dies ist - auch unter Berücksichtigung existenter Teilzeitstudienmöglichkeiten - noch kein ausreichender Umfang für eine Ausbildung im Sinne des Kindergeldrechts.

Dies dürfte bereits an und für sich gelten, gilt aber umso mehr, als die Lehrveranstaltungen in der fraglichen Studienphase ausschließlich blockweise an Wochenenden unterrichtet wurden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO bezüglich Juni 2013 bis September 2014 und aus § 136 Abs. 2 FGO bezüglich September 2012 bis Mai 2013.

Die Zulassung der Revision erfolgt zur Fortbildung des Rechts, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO.
Der BFH bisher keine klare Untergrenze für den zeitlichen Umfang einer Berufsausbildung gezogen. Nach der bis 2011 geltenden Rechtslage mit dem seinerzeitigen Korrektiv einer Obergrenze eigener Einkünfte des Kindes war dies auch selten praktisch relevant. Nachdem seit 2012 die Einkommensobergrenze weggefallen ist, bei einer Erstausbildung keine zeitumfangsmäßige Begrenzung für die Arbeit des Kindes vorhanden ist und der BFH mit seiner sich anscheinend verfestigenden Rechtsprechung zur mehraktigen Erstausbildung diese recht weit zieht mit der Folge, dass Mischformen aus Arbeit und Ausbildung nunmehr häufig und in komplexer Vielfalt kindergeldrechtlich relevant sein werden, tut eine klarere Konturierung der Untergrenze für das Vorliegen einer Ausbildung not. Die bisherige Rechtsprechung, 10 Stunden pro Woche könnten ausreichen, erscheint nicht mehr ausreichend.

Gesetze

Gesetze

5 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 136


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Urteile

1 Urteile zitieren order werden zitiert von diesem Artikel

1 Urteile werden in dem Artikel zitiert

Bundesfinanzhof Urteil, 08. Sept. 2016 - III R 27/15

bei uns veröffentlicht am 08.09.2016

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2015  3 K 3221/15 in vollem Umfang sowie der Kindergeldablehnungsbescheid vom 26. Februar

Anwälte der Kanzlei die zu passenden Rechtsgebieten beraten

Anwälte der Kanzlei die zu Steuerrecht beraten

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
EnglischDeutsch

Artikel zu passenden Rechtsgebieten

Artikel zu Steuerrecht

BGH: Cum-Ex-Aktiengeschäfte sind strafbar

30.08.2021

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Mittwoch, den 28.07.2021 das erste Urteil (1 StR 519/20) zu den lange Zeit umstrittenen „Cum-Ex-Aktiengeschäften“ gesprochen. Nach Ansicht der Karlsruher Richter handelt es sich bei den „Cum-Ex-Deals“ um strafbare S

Wissenswertes zum Steuerrecht

01.03.2007

Haftungsbescheid Schätzungsbescheid Mehrwertsteuer / Umsatzssteuer Gewerbesteuer Körperschaftssteuer Erbschaftssteuer Grundsteuer Grunderwerbssteuer
Steuerrecht

Archiv

01.03.2007

ältere Artikel - Rechtsberatung zum Steuerrecht - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB
Steuerrecht

sonstige Rechtsprechung

14.12.2007

Rechtsberatung zum Steuerrecht - BSP Bierbach Streifler & Partner PartGmbB Berlin Mitte
Steuerrecht

Insolvenzrecht: Steuerforderung widerspruchslos festgestellt – Einwendungen des Geschäftsführers einer GmbH im Haftungsverfahren gem. § 166 AO ausgeschlossen

17.04.2020

Wird eine Steuerforderung gegenüber einer GmbH widerspruchslos zur Insolvenztabelle festgestellt, sind Einwendungen des Geschäftsführers der GmbH auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen der Haftung gem. § 166 AO gegen die Höhe der Steuerforderung ausgeschlossen, wenn er der Forderungsanmeldung hätte widersprechen können, dies aber nicht getan hat – Streifler & Kollegen Rechtsanwälte – Anwalt für Insolvenzrecht Berlin

Referenzen

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2015  3 K 3221/15 in vollem Umfang sowie der Kindergeldablehnungsbescheid vom 26. Februar 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2015, soweit der Zeitraum Juni 2013 bis September 2014 betroffen ist, aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, Kindergeld für den Zeitraum Juni 2013 bis September 2014 für die Tochter der Klägerin in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Die Kosten des Klageverfahrens, soweit der Zeitraum September 2012 bis Mai 2013 betroffen ist, hat die Klägerin, im Übrigen die Beklagte zu tragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist der Kindergeldanspruch für die Tochter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für die Zeit von Juni 2013 bis September 2014.

2

Die im Juli 1990 geborene Tochter der Klägerin (L) wurde nach ihrem Realschulabschluss in der Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 30. September 2010 an der S-Schule zur Physiotherapeutin ausgebildet. Am 1. Oktober 2010 erhielt sie die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung "Physiotherapeutin".

3

Bereits im Mai 2010 hatte L eine Zusage zum Besuch einer Fachoberschule, Fachrichtung Sozialwesen, die sie von August 2010 bis Juni 2011 besuchte und mit dem Zeugnis der Fachhochschulreife abschloss. Im Juli 2011 erhielt sie die Zulassung der Hochschule X zum zulassungsbeschränkten Studiengang "Physiotherapie Dual" für das Wintersemester 2011/2012 und wurde dort im September 2011 immatrikuliert.

4

Die Hochschule X führte ab Wintersemester 2010/2011 einen neu strukturierten Studiengang "Bachelor of Science Physiotherapie" ein. Der Fachbereichsrat beschloss im Mai 2011 die Studien- und Prüfungsordnung für den Bachelor-Studiengang "Physiotherapie mit dem Profil Präventions- und Rehabilitationssport (dual)". Zulassungsvoraussetzung war die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife oder die Fachhochschulreife.

5

Das Studium war wie folgt aufgebaut: Die Regelstudienzeit des Studiums umfasste 9 Semester. Die duale Phase der ersten 6 Semester (3 Jahre) bestand aus einer (externen) Ausbildung an einer staatlich anerkannten Berufsfachschule für Physiotherapie mit theoretischem und praktischem Unterricht zum staatlich anerkannten Physiotherapeuten. Parallel wurde an der Hochschule in jedem Semester ein Basismodul von 5 Semesterwochenstunden unterrichtet. Dieser akademische Unterricht fand --mit Rücksicht auf die externe Ausbildung-- ausschließlich in Blöcken, je nach Art der Lehrveranstaltung, pro Semester an 3 bis 5 Wochenenden statt (in der Zeit von Freitag ab 15 Uhr bis Sonntag 18 Uhr). Am Ende des 6. Semesters erwarben die Studierenden extern den Abschluss als staatlich anerkannter Physiotherapeut. Vom 7. bis 9. Semester folgte eine "Präsenzphase". Im 7. und 8. Semester waren jeweils sechs Module zu absolvieren, im 9. drei sowie eine Bachelorarbeit. Nach erfolgreichem Studium wurde der akademische Grad eines "B. Sc. Physiotherapie" verliehen.

6

Studierende, die --wie die Tochter der Klägerin-- bereits vor Aufnahme dieses Studiengangs die Ausbildung als Physiotherapeut(in) erfolgreich abgeschlossen hatten, erhielten diese angerechnet. Sie hatten daher in den ersten sechs Semestern nur jeweils ein Modul (fünf Semesterwochenstunden ausschließlich in Wochenendblöcken nebst Vor- und Nachbereitung im Eigenstudium) zu belegen; im Übrigen hatten sie frei. Der Studiengang war in den ersten sechs Semestern nach seiner Konzeption ein dualer und kein berufsbegleitender, wurde jedoch für die Studieninteressenten mit bereits abgeschlossener Berufsausbildung geöffnet und daher für diese faktisch in den ersten sechs Semestern berufs- (oder freizeit-)begleitend.

7

L arbeitete neben ihrem Studium im Streitzeitraum 30 Stunden pro Woche als angestellte Physiotherapeutin.

8

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte mit Bescheid vom 26. Februar 2015 das Kindergeld u.a. für den Streitzeitraum ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte nach teilweise zurückgenommener Klage für den noch verbliebenen streitigen Zeitraum zur Begründung aus, dass das Studium zwar eine (mehraktige) Erstausbildung darstelle, es sich aber aufgrund des zeitlichen Umfangs der Ausbildung (5 Semesterwochenstunden) jedenfalls in Zusammenschau mit ihrer zeitlichen Verteilung (nur Wochenendblöcke) nicht um eine Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) handele.

9

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Revision. Zur Begründung trägt sie vor, das FG sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass im Streitzeitraum keine Berufsausbildung vorliege, weil der zeitliche Umfang der Ausbildung zu gering sei. Die Tochter habe ihre Ausbildung nach Maßgabe des vorgesehenen Umfangs ernsthaft und nachhaltig betrieben. Darüber hinaus müssten noch Vor- und Nachbereitungen hinzugerechnet werden, die mindestens fünf weitere Stunden ausmachten. Der Wegfall der Einkommensobergrenze rechtfertige zudem keine Bezugnahme auf eine Untergrenze.

10

Die Klägerin beantragt,
die Familienkasse unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Februar 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2015 zu verpflichten, für das Kind L für den Zeitraum Juni 2013 bis September 2014 Kindergeld zu gewähren.

11

Die Familienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

13

Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Denn L befand sich entgegen der Auffassung des FG im Streitzeitraum in Berufsausbildung und hatte eine erstmalige Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen.

14

1. Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).

15

a) In Berufsausbildung befindet sich, wer "sein Berufsziel" noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 29, m.w.N.). Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des "angestrebten" Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, Rz 9, m.w.N.).

16

b) Der Bundesfinanzhof (BFH) erkennt damit an, dass von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung besteht (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701). Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (Senatsurteil vom 24. Juni 2004 III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294). Insoweit wird der Tatbestand der Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auch nicht durch eine daneben ausgeübte Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen, wenn die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betrieben wird (Senatsurteil vom 21. Januar 2010 III R 68/08, BFH/NV 2010, 872, Rz 11, m.w.N.).

17

2. Nach diesen Grundsätzen stellte das von L absolvierte Studium eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dar.

18

Im Streitfall war die Erlangung des akademischen Grads eines "Bachelor of Science Physiotherapie" das Ausbildungsziel von L. Das Studium vermittelte ihr auch in den ersten sechs Semestern aufgrund der vorgeschriebenen Basismodule Kenntnisse und Fähigkeiten, die Grundlage für ihr angestrebtes Ausbildungsziel waren. Zudem waren diese Basismodule Voraussetzung, um in die "Präsenzphase" der nachfolgenden Semester (7. bis 9.) und damit zu einem Studienabschluss zu gelangen.

19

a) Entgegen der Ansicht des FG scheitert die Annahme einer Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht an dem geringen Umfang von durchschnittlich 5 Semesterwochenstunden, die blockweise an einigen Wochenenden während des Semesters durchgeführt wurden.

20

aa) Das Tatbestandsmerkmal der Berufsausbildung enthält kein einschränkendes Erfordernis eines zeitlichen Mindestumfangs von Ausbildungsmaßnahmen. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um Ausbildungsmaßnahmen handelt, die als Grundlage für den angestrebten Beruf geeignet sind. Daher können die konkreten beruflichen Pläne eines Kindes die Würdigung von Tätigkeiten beeinflussen, deren Ausbildungscharakter zweifelhaft ist (Senatsurteil vom 8. Mai 2015 III R 41/13, BFHE 245, 237, BStBl II 2014, 717, Rz 17). Darüber hinaus kann die Beurteilung als Berufsausbildung entfallen, wenn eine ernsthafte und nachhaltige Vorbereitung auf das Erreichen eines bestimmten Berufsziels unterbleibt. Auch die Art der Ausbildungsmaßnahme kann ein Abgrenzungskriterium sein. So kann bei einem Sprachunterricht im Ausland im Hinblick auf die dann erforderliche Abgrenzung zu Urlaubsaufenthalten von einer Berufsausbildung regelmäßig nur dann ausgegangen werden, wenn das Kind an einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht mit grundsätzlich mindestens zehn Wochenstunden teilnimmt (BFH-Urteil in BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701). Ist hingegen der Auslandaufenthalt von einer Ausbildungs- oder Prüfungsordnung zwingend vorgeschrieben oder dient er dazu, ein gutes Ergebnis in einem für die Zulassung zum angestrebten Studium oder zu einer anderweitigen Ausbildung erforderlichen Fremdsprachentest (z.B. TOEFL oder IELTS) zu erlangen, kann ein Sprachaufenthalt auch dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Unterricht weniger als zehn Wochenstunden umfasst (Senatsurteil in BFHE 245, 237, BStBl II 2014, 717, Rz 17).

21

Die Grundsätze, die der BFH für die Anerkennung eines Sprachschulunterrichts im Rahmen eines Au-pair-Aufenthalts als Berufsausbildung aufgestellt hat, führen ebenfalls zu keiner Mindestgrenze für eine im Inland absolvierte Schul- oder Universitätsausbildung (Senatsurteil vom 18. März 2009 III R 26/06, BFHE 225, 331, BStBl II 2010, 296, Rz 13). Denn anders als bei einem Sprachunterricht im Ausland, ist bei einer Schul-, Universitätsausbildung oder einer sonstigen "klassischen" Ausbildung regelmäßig eine Abgrenzung zur "reinen Freizeitgestaltung oder zum bloßen Müßiggang" (FG München, Urteil vom 18. August 2010  10 K 2169/09, Rz 16) oder zu "längeren Urlauben oder sonstigen Auslandsaufenthalten, etwa zur Persönlichkeitsbildung" (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2012 VI R 102/10, BFH/NV 2013, 366, Rz 14) nicht erforderlich. Dementsprechend hat der Senat einen Mindestumfang für die Ausbildungsmaßnahmen beispielsweise für die Vorbereitung auf ein Abitur für Nichtschüler nicht als notwendig angesehen (vgl. Senatsurteil in BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298). Darüber hinaus sollen nach dem Wegfall des Grenzbetrags in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. auch "Ausbildungsgänge (zum Beispiel Abendschulen, Fernstudium), die neben einer (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit ohne eine vorhergehende Berufsausbildung durchgeführt werden", begünstigt werden (Gesetzesbegründung zu der ab 1. Januar 2012 geltenden Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG --Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011, BGBl I 2011, 2131, BStBl I 2011, 986--, BTDrucks 17/5125, S. 1, 41).

22

b) Soweit allerdings Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind seinem gewählten Ausbildungsgang nicht ernsthaft und hinreichend nachgeht, indem etwa nur eine "Pro-forma-Immatrikulation" besteht, dürfte eine Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG regelmäßig ausgeschlossen sein. Eine strenge Prüfung der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Ausbildungsbemühungen trägt dazu bei, Missbrauch zu vermeiden (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 32), erfordert aber auch insoweit keine feste Mindestgrenze im Hinblick auf den zeitlichen Umfang einer Ausbildungsmaßnahme.

23

c) Anhaltspunkte dafür, dass L ihr Studium nicht nachhaltig und ernsthaft betrieben hat, hat das FG nicht festgestellt. Das FG hat vielmehr ausgeführt, dass sich L mittlerweile im 8. Fachsemester (2015) befand. Somit ist davon auszugehen, dass sie ihrem Studium ernsthaft und hinreichend nachgegangen ist (vgl. Senatsurteil in BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, Rz 12).

24

3. Der Anspruch auf Kindergeld ist auch nicht wegen der Erwerbstätigkeit der L in einem Umfang von 30 Wochenstunden im Streitzeitraum ausgeschlossen. Denn L hatte in diesem Zeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen. Das Studium stellte vielmehr einen Teil der Erstausbildung dar. Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG war die Erwerbstätigkeit der L im Streitzeitraum nicht anspruchsausschließend. Eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG entfällt.

25

a) Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 25 ff.). Dies folgt u.a. aus einer gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Kind, das "für einen Beruf ausgebildet wird") engeren Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs (BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BFHE 251, 10, BStBl II 2016, 166, Rz 15).

26

Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 25; vom 15. April 2015 V R 27/14, BFHE 249, 500, Rz 20; in BFH/NV 2015, 1378, Rz 26; in BFHE 251, 10, BStBl II 2016, 166, Rz 16). Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Hierfür ist auch erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30).

27

b) Nach diesen Grundsätzen hat der erste berufsqualifizierende Abschluss zur Physiotherapeutin der L noch nicht zu einem "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" geführt. Das Studium steht in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zur ersten berufsqualifizierenden Maßnahme. Das von L angestrebte Berufsziel konnte im Streitfall nur über einen weiteren Abschluss --also eine weiterführende Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung-- erreicht werden. Bereits während ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin hatte sich L bei einer weiterführenden Schule beworben, um die Fachhochschulreife zu erlangen, die wiederum Voraussetzung für das von ihr angestrebte Studium war. Das Studium schloss sich unmittelbar an die Schulausbildung an. Der erforderliche fachliche Zusammenhang ergibt sich schon daraus, dass sich die Ausbildungsgänge inhaltlich und schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich derselben Berufssparte bezogen und auf dasselbe Berufsfeld vorbereiteten.

28

4. L ist als Kind auch dann zu berücksichtigen, wenn sie aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit möglicherweise gegenüber ihren Eltern --mangels Bedürftigkeit-- keinen Unterhaltsanspruch hatte, da eine typische Unterhaltssituation seitens der Eltern für den Kindergeldanspruch bei volljährigen Kindern nicht erforderlich ist (vgl. BFH-Urteile vom 17. Oktober 2013 III R 22/13, BFHE 243, 246, BStBl II 2014, 257, Rz 15; vom 5. März 2014 XI R 32/13, BFH/NV 2014, 1031, Rz 21).

29

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 136 Abs. 2 und § 135 Abs. 1 FGO.

30

Da die Revision der Klägerin Erfolg hat, kann auch die Kostenentscheidung des FG keinen Bestand haben. Aufgrund der Klagerücknahme für den Zeitraum September 2012 bis Mai 2013 im erstinstanzlichen Verfahren hat der Senat nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (vgl. Senatsurteil vom 13. April 2016 III R 7/13, BFH/NV 2016, 1462, Rz 24) über die Kosten des gesamten Verfahrens (Klageverfahren und Revisionsverfahren) zu entscheiden (§ 143 Abs. 1 FGO). Für das Klageverfahren hat die Klägerin, soweit sie die Klage zurückgenommen hat (§ 136 Abs. 2 FGO), die Kosten zu tragen, im Übrigen die Beklagte (§ 135 Abs. 1 FGO). Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen (§ 135 Abs. 1 FGO).

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.