Verbot des Compact-Magazins: Ein notwendiger Schritt – oder gefährlicher Dammbruch für die Pressefreiheit?


Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 24. Juni 2025 die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums gegen das rechtsextreme Magazin „Compact“ aufgehoben. Das Verbot sei rechtswidrig, auch wenn zahlreiche Äußerungen der Compact-GmbH verfassungsfeindlich seien. Der Fall wirft weitreichende Fragen zur Pressefreiheit, zur Abgrenzung zwischen Journalismus und politischer Agitation – und zu den Grenzen staatlicher Eingriffsgewalt im Namen der „wehrhaften Demokratie“ auf.
Juristischer Rahmen: Vereinsverbot trotz Pressefreiheit?
Das Bundesinnenministerium hatte das Verbot am 5. Juni 2024 auf Grundlage des Vereinsgesetzes ausgesprochen (§§ 3, 17 VereinsG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 GG). Maßgeblich war dabei die Annahme, dass es sich bei der Compact-GmbH nicht allein um ein Medienunternehmen, sondern um eine verfassungsfeindliche Vereinigung handele. Es sei das Ziel des Vereins, demokratische Institutionen systematisch zu delegitimieren und menschenfeindliche Positionen – insbesondere im Zusammenhang mit „Remigration“, Islamfeindlichkeit und geschichtsrevisionistischen Narrativen – zu verbreiten.
Das BVerwG bestätigte zwar die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vereinsrechts auch auf Medienunternehmen – ein bedeutender Schritt im juristischen Umgang mit politisch motivierten Verlagen –, betonte aber zugleich, dass dabei die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG besonders sorgfältig zu berücksichtigen seien. Der Schutzbereich der Meinungs-, Presse- und Medienfreiheit dürfe durch ein Vereinsverbot nicht umgangen werden. Maßgeblich sei stets eine einzelfallbezogene, restriktive Prüfung.
Verbotsrelevante Aussagen – aber kein „prägender Charakter“?
Im konkreten Fall erkannte das Gericht zahlreiche problematische Aussagen in Compact-Publikationen an – insbesondere fremdenfeindliche, demokratiekritische und verschwörungstheoretische Inhalte. Diese genügten nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht, um die Schwelle zur „prägenden Wirkung“ im Sinne des Vereinsrechts zu überschreiten.
Vereinfacht gesagt: Auch wenn viele Aussagen von Compact verfassungsfeindlich seien, seien sie nicht zentral oder bestimmend für das Gesamtbild der Organisation. Außerdem seien Teile der Kritik – etwa an Migrationspolitik, Corona-Maßnahmen oder außenpolitischen Entscheidungen – im Licht der Meinungsfreiheit noch als zulässige politische Äußerungen zu werten, auch wenn sie polemisch oder überspitzt formuliert seien.
Damit bewegt sich das Gericht entlang einer Linie, die auch im politischen Diskurs intensiv diskutiert wird: Wo endet legitime Systemkritik – und wo beginnt organisierte Verfassungsfeindlichkeit? Eine Antwort darauf bleibt kontextabhängig und vage. Klar ist: Ein solcher Eingriff bedarf einer besonders sorgfältigen Abwägung, insbesondere wenn journalistische Arbeit – gleich welcher Couleur – betroffen ist.
Kein Grundsatzurteil – aber Signalwirkung
Bemerkenswert ist, dass das BVerwG ausdrücklich keine generelle Absage an medienbezogene Vereinsverbote erteilt hat. Im Gegenteil: Die Entscheidung lässt ausdrücklich offen, dass derartige Maßnahmen künftig möglich sein könnten – sofern eine stärkere Verflechtung zwischen journalistischer Tätigkeit und verfassungsfeindlicher Zielsetzung nachgewiesen werden kann.
Damit ist der Fall „Compact“ weniger als endgültige Klärung denn als Präzedenz ohne Leitplanken zu verstehen. Eine offene Frage bleibt: In welchen Fällen darf der Staat künftig gegen Presseakteure vorgehen – ohne in Gefahr zu geraten, selbst verfassungswidrig zu handeln?
Die politische Dimension: Wer schützt die offene Gesellschaft?
Aus juristischer Perspektive mag das Urteil unspektakulär erscheinen – eine einzelfallbezogene Subsumtion unter das Vereinsrecht. Aus gesellschaftlicher Sicht wirft es jedoch grundlegende Fragen auf: Wie belastbar ist die Pressefreiheit, wenn sie auch Akteure schützt, die ihrerseits diese Freiheit aktiv gegen die Demokratie richten?
Zugleich stellt sich die umgekehrte Frage: Darf der Staat sich gegen solche Stimmen wehren – und wenn ja, wie, ohne selbst Freiheitsrechte auszuhöhlen? Wer Compact als Sprachrohr rechtsextremer Propaganda betrachtet, wird das Urteil als gefährlich empfinden. Wer die Pressefreiheit als demokratische Leitplanke betrachtet, könnte es hingegen als notwendige Erinnerung an Zurückhaltung verstehen.
Nicht zuletzt bleibt die Frage: Was passiert, wenn der nächste Fall kommt – und die Grenze zur verfassungsfeindlichen Prägung überschritten scheint? Das BVerwG hat klargestellt, dass das Vereinsrecht auch in solchen Fällen greifen kann. Die Anforderungen daran bleiben jedoch hoch.
Fazit: Kein Freispruch für Compact – aber ein Prüfstein für den Rechtsstaat
Das Urteil ist kein Freibrief für „Compact“ – aber auch keine Vollzugsmeldung für ein medienbezogenes Vereinsverbot. Es stellt klar: Die Pressefreiheit bleibt ein hohes Gut – auch und gerade, wenn ihre Träger missliebige, provokante oder radikale Positionen vertreten. Die Demokratie muss das aushalten – bis zu einem gewissen Punkt.
Was genau diesen Punkt markiert, hat das BVerwG offengelassen. Diese Unbestimmtheit mag rechtsstaatlich geboten sein – sie fordert aber auch zur kritischen Wachsamkeit auf. Denn wer sich für eine offene Gesellschaft einsetzt, sollte bei solchen Entscheidungen nicht wegsehen. Es geht – wie so oft im Verfassungsstaat – nicht um Sympathie, sondern um Prinzipien.

moreResultsText

moreResultsText




Annotations
(1) Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot). Mit dem Verbot ist in der Regel die Beschlagnahme und die Einziehung
- 1.
des Vereinsvermögens, - 2.
von Forderungen Dritter, soweit die Einziehung in § 12 Abs. 1 vorgesehen ist, und - 3.
von Sachen Dritter, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat oder die Sachen zur Förderung dieser Bestrebungen bestimmt sind,
(2) Verbotsbehörde ist
- 1.
die obersten Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde für Vereine und Teilvereine, deren erkennbare Organisation und Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken; - 2.
das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für Vereine und Teilvereine, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.
(3) Das Verbot erstreckt sich, wenn es nicht ausdrücklich beschränkt wird, auf alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, daß sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erscheinen (Teilorganisationen). Auf nichtgebietliche Teilorganisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit erstreckt sich das Verbot nur, wenn sie in der Verbotsverfügung ausdrücklich benannt sind.
(4) Das Verbot ist schriftlich oder elektronisch mit einer dauerhaft überprüfbaren Signatur nach § 37 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes abzufassen, zu begründen und dem Verein, im Falle des Absatzes 3 Satz 2 auch den Teilorganisationen, zuzustellen. Der verfügende Teil des Verbots ist im Bundesanzeiger und danach im amtlichen Mitteilungsblatt des Landes bekanntzumachen, in dem der Verein oder, sofern sich das Verbot hierauf beschränkt, der Teilverein seinen Sitz hat; Verbote nach § 15 werden nur im Bundesanzeiger bekanntgemacht. Das Verbot wird mit der Zustellung, spätestens mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger, wirksam und vollziehbar; § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.
(5) Die Verbotsbehörde kann das Verbot auch auf Handlungen von Mitgliedern des Vereins stützen, wenn
Die Vorschriften dieses Gesetzes sind auf Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, konzessionierte Wirtschaftsvereine nach § 22 des Bürgerlichen Gesetzbuches, Europäische Gesellschaften, Genossenschaften, Europäische Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nur anzuwenden,
- 1.
wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten oder - 2.
wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit den in § 74a Abs. 1 oder § 120 Abs. 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Strafgesetzen oder dem § 130 des Strafgesetzbuches zuwiderlaufen oder - 3.
wenn sie von einem Verbot, das aus einem der in Nummer 1 oder 2 genannten Gründe erlassen wurde, nach § 3 Abs. 3 als Teilorganisation erfaßt werden, oder - 4.
wenn sie Ersatzorganisation eines Vereins sind, der aus einem der in Nummer 1 oder 2 genannten Gründe verboten wurde.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.