Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2011 - 3 StR 326/11

bei uns veröffentlicht am29.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 326/11
vom
29. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
29. November 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 11. April 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden ist (Fall III. 1. der Urteilsgründe );
b) im gesamten Strafausspruch und
c) soweit das Landgericht den Angeklagten verurteilt hat, an den Nebenkläger 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21. März 2011 zu zahlen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des "versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte" (richtig: versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) sowie der versuchten Körperverletzung und der Beleidigung, jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verhängt. Weiter hat es den Angeklagten verurteilt, an den Nebenkläger 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21. März 2011 zu zahlen; im Übrigen hat es von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im Fall III. 1. der Urteilsgründe sowie bezüglich des gesamten Strafausspruchs und der Adhäsionsentscheidung Erfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts im Fall III. 1. der Urteilsgründe beabsichtigten zahlreiche Polizeibeamte, am frühen Morgen des 28. August 2010 in Mönchengladbach auf einem Uferweg der Niers eine etwa acht- bis zehnköpfige Personengruppe zu kontrollieren, der mehrere Verwandte des damals 20 Jahre alten Angeklagten angehörten. Die Anwesenden kamen jedoch der Aufforderung, sich auszuweisen, nicht nach, beschimpften die Polizisten und machten sich über diese lustig. Der Zeuge S. verhielt sich besonders aggressiv. Er wurde daraufhin fixiert, wogegen er sich wehrte. Nach einem Gerangel brachten ihn schließlich mehrere Polizeibeamte, zu denen der zivil gekleidete Nebenkläger gehörte, zu Boden und hielten ihn fest. Dabei kniete der Nebenkläger in gebückter Haltung seitlich auf dem Zeugen und fixierte dessen Kopf und Schultern. Der Angeklagte, dessen Blutalkoholkonzentration 1,81 Promille betrug, befand sich mit Freunden in einer in der Nähe gelegenen Wohnung. Er wurde auf das Geschehen aufmerksam und verließ mit dem Ruf "Mein Vater!" eilig das Haus. Er lief auf die Stelle zu, an welcher der Zeuge S. von mittlerweile vier Polizeibeamten fixiert wurde und rief immer wieder: "Lass meinen Bruder in Ruhe, lass meinen Bruder in Ruhe!". Der Versuch eines Polizeibeamten, den Angeklagten durch einen sog. Bodycheck zu Fall zu bringen, misslang. Nachdem der Angeklagte die Personengruppe erreicht hatte , versuchte er, mit dem Ruf "Das ist mein Bruder, das ist mein Bruder!" einen Polizeibeamten von dem Zeugen S. wegzuziehen. Er wurde jedoch von drei weiteren Polizisten gepackt und einige Meter weggebracht; dabei schlug er wild um sich. Einen kurzen Moment der Passivität der Polizeibeamten nutzte er, riss sich los, überbrückte mit wenigen Schritten die Distanz zu dem am Boden fixierten Zeugen S. und trat dem Nebenkläger in vollem Lauf und mit großer Wucht in das Gesicht. Der Nebenkläger versah sich zu diesem Zeitpunkt keines Angriffs durch den Angeklagten; er konzentrierte sich auf den Zeugen S. und vertraute darauf, dass seine Kollegen die übrigen vor Ort anwesenden Personen in Schach und von ihm fernhalten würden. Er wurde durch den Tritt des Angeklagten schwer verletzt. Der Angeklagte wurde sodann u.a. durch den Einsatz eines Diensthundes überwältigt, festgenommen und zu einem Polizeiwagen verbracht. Hiergegen wehrte er sich, schlug um sich und rief: "Ich mach euch fertig, ihr Dreckschweine!".
3
1. Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe bei seinem Fußtritt in das Gesicht des Nebenklägers heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692; vom 29. November 2007 - 4 StR 425/07, NStZ 2008, 273, 274 jeweils mwN).
5
b) Es erscheint mit Blick auf das vorausgegangene Geschehen bereits fraglich, ob die Feststellungen die Arglosigkeit des Nebenklägers zum Zeitpunkt der ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Handlung - dem Fußtritt des Angeklagten in das Gesicht des Nebenklägers - hinreichend belegen.
6
Auch wenn das Landgericht insoweit keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, lässt sich dem Zusammenhang der Urteilsgründe zwanglos entnehmen, dass der Nebenkläger nach dem ersten tätlichen Angriff des Angeklagten auf die den Zeugen S. festhaltenden Polizeibeamten zunächst nicht arglos war, weil er einen nicht unerheblichen Angriff zumindest auch auf seine eigene Gesundheit konkret besorgte. Denn dem Angeklagten kam es für den Nebenkläger erkennbar darauf an, seinen zu Boden gebrachten Bruder, an dessen Fixierung der Nebenkläger mitwirkte, zu "befreien". Allerdings kann die Arglosigkeit auch bei einer unmittelbar vorausgegangenen Auseinandersetzung wieder eintreten. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung hierfür indessen, dass das Opfer den Streit für beigelegt hält und sich deshalb keines tätlichen Angriffs mehr versieht. Danach kann die Beendigung einer Auseinandersetzung, bei der das Opfer zunächst mit einem Angriff rechnete, vor allem dann angenommen werden, wenn der Täter sich so verhält, dass daraus auf ein Ende der Feindseligkeiten geschlossen werden kann, und das Opfer daraufhin eine Haltung einnimmt, aus der sich ergibt, dass es keinen weiteren Angriff befürchtet (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 - 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN).
7
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Angeklagte verhielt sich keineswegs in einer Weise, aus der sich für den Nebenkläger ergab, dass er seine aggressiven, auf die Befreiung seines Bruders zielenden Handlungen einstellen wollte. Er wehrte sich vielmehr gegen seine eigene Festnahme, indem er wild um sich schlug, und nutzte zeitnah die erste sich bietende Gelegenheit , um sich zu befreien und seine Absicht weiter zu verfolgen. Der Nebenkläger ging auch nicht deshalb davon aus, dass ihm von dem Angeklagten keine Gefahr mehr drohte, weil er diesen nun als friedfertig einschätzte, sondern weil er darauf vertraute, seine Kollegen hätten den Angeklagten und die Situation insgesamt im Griff. Dies könnte - obwohl es bei der Beurteilung seines Erwartungshorizonts entscheidend auf die subjektive Vorstellung des Angegriffenen ankommt - mit Blick auf die hier gegebene Gesamtsituation gegen die Arglosigkeit des Nebenklägers sprechen.
8
c) Der Senat kann jedoch offen lassen, ob die bisherige Rechtsprechung dahin fortzuführen ist, dass gegebenenfalls auch in einem solchen Fall die Arglosigkeit des Opfers zu bejahen ist. Denn jedenfalls beruht die Feststellung, der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Nebenklägers erkannt und zur Tatbegehung ausgenutzt, nicht auf einer sie tragenden Beweiswürdigung.
9
aa) Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist es erforderlich, dass der Täter die Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur an sich wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26). Wenn auch nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteile vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26; vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692). Dasselbe gilt für eine - zumal erhebliche - Alkoholisierung des Täters. Deshalb bedarf es in solchen Fällen in aller Regel der Darlegung der Beweisanzeichen, aus denen der Tatrichter folgert, dass der Täter trotz seiner Alkoholisierung und Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000 - 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166, 167).
10
bb) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an eine umfassende Beweiswürdigung genügen die Urteilsgründe nicht. Nach den Feststellungen war die Tatsituation wesentlich durch eine insgesamt "angeheizte" Stimmung geprägt. Der Angeklagte, der seinen Bruder bedroht wähnte und diesem bei- stehen wollte, befand sich ersichtlich in einem Zustand großer emotionaler Erregung. Er war zudem bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,81 Promille nicht unerheblich alkoholisiert. Die konkrete Tat entwickelte sich spontan aus einem dynamischen Geschehen. Diese Beweisanzeichen hätte das Landgericht erörtern müssen. Die Strafkammer hat jedoch jede Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein unterlassen und nur ihre auf den Angaben des Nebenklägers und weiterer Zeugen beruhende Überzeugung davon begründet, dass sich der Nebenkläger zum Zeitpunkt des gegen ihn gerichteten Trittes keines Angriffs versah. Dies gilt auch mit Blick auf die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung. Dort hat das Landgericht ebenfalls nicht zum Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten Stellung genommen, sondern lediglich dargelegt, ein längeres Überlegen oder ein planvolles Vorgehen werde für die Heimtücke nicht vorausgesetzt. Es genüge, wenn der Täter, einer raschen Eingebung folgend, die für ihn günstige Situation erfasse und sich zunutze mache ; genau das habe der Angeklagte hier getan. Die erforderlichen Erwägungen sind darüber hinaus nicht den Ausführungen des Landgerichts zum bedingten Tötungsvorsatz oder zur wesentlich eingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten zu entnehmen. Gründe, welche die unterlassenen Erörterungen ausnahmsweise entbehrlich machen, liegen nicht vor.
11
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall III. 1. der Urteilsgründe. Damit kommt die in diesem Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten in Wegfall, so dass auch die Gesamtfreiheitsstrafe nicht bestehen bleiben kann. Die Schuldsprüche in den Fällen III. 2. und 3. der Urteilsgründe werden durch den dargelegten Rechtsfehler nicht berührt; insoweit hat das Urteil deshalb Bestand. Der Senat hebt gleichwohl auch in diesen Fällen die Einzelstrafen auf. Zum einen ist nicht auszuschließen, dass sie von der Einsatzstrafe beeinflusst waren; zum anderen soll dem neuen Tatgericht, das u.a. über die Anwendbarkeit von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu befinden haben wird, ermöglicht werden, über den Strafausspruch eine insgesamt in sich stimmige Entscheidung zu treffen.
12
Daneben entfällt die Grundlage der Adhäsionsentscheidung. Der Senat sieht mit Blick darauf, dass die Strafkammer die Höhe des Schmerzensgeldes, auf die sie erkannt hat, in lediglich einem Satz ausschließlich mit einem pauschalen Hinweis auf die vom Nebenkläger erlittenen Verletzungen begründet hat, Anlass für folgenden Hinweis:
13
Derartige rudimentäre, formelhafte Erwägungen genügen den Anforderungen an die Begründungspflicht, die auch für die im Strafurteil getroffene Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche gilt, grundsätzlich nicht. Die Verurteilung zu Schmerzensgeld erfordert regelmäßig zumindest auch die ausdrückliche Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem (BGH, Urteil vom 27. September 1995 - 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4; Urteil vom 21. August 1996 - 2 StR 263/96, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 5 jeweils mwN).
14
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 425/07
vom
29. November 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Totschlags
zu 2. und 3.: Beihilfe zum Totschlag
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. November
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten O. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten V. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin Vanessa B. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger Herbert und Hildegard C. ,
der Nebenkläger Herbert C. in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Herbert und Hildegard C. wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 7. Februar 2007 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum "Vortatgeschehen", zum "Nachtatgeschehen" und zur Schuldfähigkeitsbeurteilung der Angeklagten bleiben jedoch bestehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
II. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagten O. und V. hat es jeweils wegen Beihilfe zum Totschlag zu Freiheitsstrafen von fünf (O. ) bzw. sechs (V. ) Jahren verurteilt.
2
Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger Herbert und Hildegard C. - die Eltern des Tatopfers - sowie die Angeklagten mit ihren Revisionen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger erstreben eine Verurteilung wegen (gemeinschaftlich begangenen) Mordes bzw. wegen Beihilfe zum Mord (V. ). Der Angeklagte S. hat seine Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Er beanstandet, dass das Landgericht zu Unrecht von seiner vollen Schuldfähigkeit ausgegangen sei. Die Angeklagten O. und V. wenden sich gegen den vom Landgericht jeweils angenommenen Gehilfenvorsatz zur Tötung des Tatopfers.
3
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben weitgehend Erfolg; die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.

I.


4
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
5
Der Angeklagte S. und der drogenabhängige Christian C. - das spätere Tatopfer - standen in Geschäftsbeziehung und waren miteinander be- freundet. C. bezog von S. , der einen "Espresso Pub" betrieb, Kokain. Ende November 2005 befand er sich in einer schlechten finanziellen Situation. Seine Firma hatte hohe Verbindlichkeiten bei den Finanzbehörden, er selbst hatte wenigstens 24.500 Euro Schulden beim Angeklagten S. , wobei nicht festgestellt werden konnte, ob diese Verbindlichkeiten allein aus Drogenlieferungen oder auch aus anderen Geschäften stammten. Als C. dem S. zur Rückzahlung seiner Schulden ein Fahrzeug übergab, das dem C. aber gar nicht gehörte, war S. sehr verärgert. Er fühlte sich von C. , der ihm nach seiner Meinung auf Grund der bestehenden Freundschaft und Geschäftsbeziehung zu "Loyalität und Dankbarkeit" verpflichtet sein musste, hintergangen. Hinzu kam, dass S. von eigenen Gläubigern aus den Niederlanden, vermutlich wegen Forderungen aus Betäubungsmittelgeschäften, stark unter Druck gesetzt worden war, er aber nicht zahlen konnte.
6
Am Tag vor der Tat übergab C. dem Angeklagten S. 500 Euro zur (Teil-)Rückzahlung seiner Schulden. Es kam - wohl in diesem Zusammenhang - zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung zwischen beiden, bei der S. massive Drohungen gegen Leib und Leben des Christian C. ausstieß. Nachdem C. gegangen war und er aus Angst Telefonanrufe des S. nicht entgegennahm, entschloss sich dieser, zu C. zu fahren, um ihn zur Rückzahlung des dringend benötigten Geldes zu bewegen. Er rief die Angeklagten O. und V. in seine Wohnung und äußerte - nach dem gemeinsamen Genuss von Alkohol und Kokain - dass "er den umbringen werde, wenn er seine Schulden nicht bezahle" (UA 12 f.). Bevor die Angeklagten die Wohnung des S. verließen, um zu C. zu fahren, steckte S. eine scharfe, geladene Pistole ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fasste er den Entschluss, C. zu töten, falls dieser seine Schulden nicht bezahlen würde. Sodann fuhren die Angeklagten mit dem Fahrzeug des V. , das dieser steuerte, zur Wohnung des Christian C. . Auf der Fahrt sah der Angeklagte O. die Waffe des S. . Wegen der Bewaffnung, der gereizten Stimmung des S. und der in der Wohnung zuvor geäußerten Todesdrohung "argwöhnte" O. , dass es zu einer Tötung des C. kommen könnte, wenn dieser seine Schulden nicht begleichen würde.
7
Als die Angeklagten kurz nach Mitternacht am Wohnhaus des Christian C. ankamen, forderte S. den Angeklagten O. auf, an der Haustür zu klingeln , sich wahrheitswidrig als “der Mann aus Holland" auszugeben und von C. die Rückzahlung der Schulden zu fordern. Er sollte C. erklären, dass das Geld, das C. schuldete, nicht S. allein zustehe, sondern auch den "Leuten aus Holland", die das Geld dringend haben müssten. Der Angeklagte O. wurde nach diesem Ansinnen des S. in seiner Vermutung noch bestärkt, dass es möglicherweise zu einer Tötung des C. kommen könnte. Er ging gleichwohl zur Wohnungstür, die ihm nach dem Läuten von C. geöffnet wurde. Wegen der mit S. geführten heftigen Auseinandersetzung und dessen Drohung fürchtete C. um sein Leben. Er rechnete mit einem Angriff des S. und hatte sich deshalb zur Verteidigung mit einer geladenen Vorderschaftrepetierflinte ("Pumpgun") bewaffnet. Diese hielt er beim Öffnen der Tür in seiner rechten Hand. Als O. das sah, war ihm ohne jeden Zweifel bewusst, dass bei einem Scheitern der Geldbeitreibung von S. die Tötung des C. beabsichtigt war.
8
Inzwischen hatte S. dem Angeklagten V. im Einzelnen mitgeteilt, dass er gegebenenfalls beabsichtige, Christian C. zu töten. Er wies ihm einen Platz an, wo V. sich mit seinem Fahrzeug hinstellen sollte, um nach der Tat eine schnelle Flucht zu ermöglichen.
9
Nachdem C. dem Angeklagten O. die Tür geöffnet hatte, stellte sich dieser, der Anweisung des S. folgend, als “der Mann aus Holland" vor, der gekommen sei, um über die Schulden zu sprechen. C. ließ den Angeklagten O. eintreten und stellte die Waffe ab. Er erklärte O. , dass er sich derzeit bemühe , das Geld für S. zu beschaffen, er aber Schulden beim Finanzamt habe. Im Verlauf des Gesprächs rief S. mehrfach das Mobiltelefon des O. an. Er warf dem C. , an den O. das Telefon weitergereicht hatte, vor, dass dieser ihn mit der Übergabe des ihm nicht gehörenden Fahrzeugs getäuscht und er ihn im Stich gelassen habe. In einem weiteren Gespräch erteilte S. dem Angeklagten O. die Anweisung, ihm unter der Vorgabe, er - O. - müsse austreten , die Hauseingangstür zu öffnen. Das tat der Angeklagte O. auch. Ihm war dabei bewusst, dass der bewaffnete Angeklagte S. so für C. unbemerkt in das Haus eindringen und dieses Überraschungsmoment zur Tötung nutzen konnte.
10
Als S. das Haus betreten hatte, war Christian C. von dessen Erscheinen überrascht. Er war auf Grund der Telefongespräche davon ausgegangen , dass sich S. in dem mehr als 30 km entfernten Ort Neunkirchen aufhielt. C. befürchtete nun endgültig, auch auf Grund dieser Täuschung, dass S. einen Anschlag auf ihn plante. Um S. zu beschwichtigen, umarmte er ihn freundschaftlich. S. verlangte erneut die Rückzahlung des ausstehenden Geldes, worauf C. wieder auf seine hohen Verbindlichkeiten beim Finanzamt hinwies. Die nunmehr zum Teil heftig und lautstark geführte Diskussion - bei der Kokain konsumiert wurde - steigerte sich immer mehr. S. lief aufgebracht in dem Raum hin und her. Als er glaubte, keine Rückzahlung seiner Schulden erhalten zu können, wollte er C. hierfür bestrafen (UA 48). Er feuerte, in der Absicht, Christian C. zu töten, aus der mitgeführten Pistole, die er unbemerkt unter seiner über dem Arm liegenden Lederjacke verborgen hatte, von hinten einen aufgesetzten Schuss durch die Jacke in den linken Brustkorb des C. . Als dieser daraufhin zu Boden fiel, gab S. zwei weitere, wiederum aufgesetzte Schüsse in den Kopf des Christian C. ab. Dieser verstarb innerhalb weniger Minuten. Anschließend reinigten S. und O. den Tatort, beseitigten Spuren und flüchteten mit V. .
11
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte S. nach den getroffenen Feststellungen lediglich des Totschlags schuldig gemacht. Ein "heimtückisches" Vorgehen (§ 211 Abs. 2 5. Alt. StGB) liege nicht vor, weil das Tatopfer vor dem Angriff des Angeklagten S. nicht arglos gewesen sei. Der Angeklagte O. habe sich wegen Beihilfe zum Totschlag strafbar gemacht, weil er vorsätzlich zu dem von S. begangenen Totschlag dadurch Hilfe geleistet habe, dass er diesem mit der wahrheitswidrigen Behauptung, er sei “der Mann aus Holland", der über die Rückzahlung der Schulden verhandeln wolle, und durch die spätere heimliche Öffnung der Haustür Zutritt zum Haus des Opfers verschafft und hierdurch die Tat erst möglich gemacht habe. O. sei nicht Mittäter gewesen, weil er - wovon zu seinen Gunsten auszugehen sei - in eine gemeinsame Planung der Tat nicht mit eingebunden gewesen sei und er keine Tatherrschaft und auch kein eigenes Interesse an der Tat gehabt habe. Auch der Angeklagte V. habe sich der Beihilfe zum Totschlag schuldig gemacht, weil er die Tatausführung des S. dadurch gefördert habe, dass er sein Fahrzeug weisungsgemäß zur schnellen Flucht bereit gestellt und nach der Tat die Flucht ermöglicht habe.

II.


12
Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Herbert und Hildegard

C.


13
1. Die Verfahrensrügen greifen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zu den Revisionen der Nebenkläger genannten Gründen, in der auch zu der ebenfalls von der Staatsanwaltschaft erhobenen Aufklärungsrüge betreffend die Zeugin Z. Stellung genommen wurde, nicht durch.
14
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Herbert und Hildegard C. haben jedoch mit der Sachrüge im Wesentlichen Erfolg.
15
a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Landgericht allerdings ein "heimtückisches" Vorgehen des Angeklagten S. rechtsfehlerfrei verneint.
16
Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Opfer dann, wenn es nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss gerade auf Grund seiner Arglosigkeit wehrlos sein, wobei für die Beurteilung grundsätzlich die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist. Die Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles. Aus der Sicht des Täters ist Voraussetzung für ein heimtückisches Handeln, dass dieser sich bewusst ist, einen ahnungs- und schutzlosen Menschen zu überraschen, und dass er diese Situation in ihrer Bedeutung für die Tatausführung erkennt und nutzt (vgl. nur BGH NJW 2006, 1008, 1010 = BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 33; BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07 jew. m.w.N.).
17
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien war das Mordmerkmal der Heimtücke bei der Tat nicht erfüllt:
18
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen hatte der später getötete Christian C. nach der Drohung durch den Angeklagten S. am Tag vor der Tat erhebliche Angst um sein Leben. Er hatte sich in seiner Wohnung mit einer Schusswaffe bewaffnet, als O. an der Tür klingelte. Als der Angeklagte S. überraschend bei dem zahlungsunfähigen C. erschien, fürchtete dieser endgültig, dass S. einen Anschlag auf ihn vorhatte. Bei dem anschließenden Gespräch kam es zu einer heftigen Diskussion, bevor S. schließlich die tödlichen Schüsse abgab.
19
Dass das Landgericht nach diesen Feststellungen ausgeschlossen hat, dass C. seinen Argwohn vor Abgabe des ersten Schusses - dem hier für die Frage der Heimtücke maßgeblichen Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (vgl. BGH NJW 1991, 1963) - aufgegeben haben könnte (UA 45), ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
20
Die von den Revisionen für ihre Auffassung, S. habe heimtückisch gehandelt, herangezogenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Heimtücke durch von langer Hand geplantes, wohl durchdachtes Locken in einen Hinterhalt bzw. raffiniertes Stellen einer Falle (BGHSt 22, 77, 79 f.; BGH NStZ 1989, 364, 365; BGH, Urteil vom 14. Juni 1960 - 1 StR 73/60), in denen von der Regel, dass die Arglosigkeit bei Beginn des Tötungsversuchs vorliegen muss, eine Ausnahme gemacht wird (vgl. Schneider in MünchKomm-StGB § 211 Rdn. 131), betreffen andere Fallgestaltungen. Sie unterscheiden sich vom vorliegenden Fall insbesondere dadurch, dass das Tatopfer hier von der Tat nicht überrascht worden ist (vgl. BGH NStZ 1989, 364, 365: keine Heimtücke) und die Ausführung der Tat von einem Verhalten des dann Getöteten abhängig war (vgl. BGH NJW 1991, 1963: keine Heimtücke), nämlich dass Christian C. nicht zahlen würde. S. entschloss sich zur Tötung erst, als aus seiner Sicht die “Bedingung“ für die Tötung (keine Rückzahlung der Schulden) eingetreten war. Zu diesem Zeitpunkt war Christian C. aber nicht arglos.
21
Der vom Generalbundesanwalt gerügte Erörterungsmangel, das Landgericht habe sich rechtsfehlerhaft nicht damit beschäftigt, dass S. sein Opfer möglicherweise fälschlich für arglos gehalten haben könnte, liegt angesichts der bisherigen Feststellungen nicht vor; denn S. kannte alle wesentlichen Umstände , aus denen sich der Argwohn des C. ergab.
22
b) Rechtlichen Bedenken begegnet jedoch, dass das Landgericht sich nicht mit dem Mordmerkmal der Tötung aus sonst "niedrigen Beweggründen" auseinandergesetzt hat.
23
Beweggründe sind nach der Rechtsprechung im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB "niedrig", wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung dieser Frage hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung - wie hier festgestellt - aus Wut oder Ärger kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (vgl. nur BGHSt 47, 128, 130; BGH, Urteil vom 5. September 2007 – 2 StR 306/07 m.w.N.).
24
Die Feststellungen des Landgerichts, nach denen der Angeklagte S. sein Tatopfer, mit dem er freundschaftlich verbunden war, zur “Bestrafung“ für die Nicht-Rückzahlung von Schulden gleichsam “hingerichtet“ hat (UA 48), bieten tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme (sonst) niedriger Beweggründe (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 – 3 StR 115/04 ["Hinrichtung" eines Drogenschuldners]; Schneider aaO Rdn. 71 ff.), zumal das Schwurgericht in seinen Strafzumessungserwägungen selbst davon ausgeht, dass die Tötung des Christian C. "auf einem als niedrig einzustufenden Motiv" beruhte (UA 48).
25
Das Mordmerkmal der (sonst) niedrigen Beweggründe hätte daher der Prüfung bedurft. Dies wird nachzuholen sein.
26
Sollte der neue Tatrichter beim Angeklagten S. zu einem Schuldspruch wegen Mordes aus (sonst) niedrigen Beweggründen gelangen, so wird er zu bedenken haben, dass eine Verurteilung von Teilnehmern an dieser Tat - hier: möglicherweise der beiden Mitangeklagten - wegen Beihilfe zum Mord (aus niedrigen Beweggründen) nur dann möglich ist, wenn diese selbst als Gehilfen ihre Tatbeiträge entweder ebenfalls aus niedrigen Beweggründen oder in Kenntnis der niedrigen Beweggründe des (Haupt-)Täters erbracht haben (st. Rspr., vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 43; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 211 Rdn. 42 f. m.w.N.). Auch dies bedarf ggf. der Erörterung.
27
c) Die Verurteilung des Angeklagten O. nur wegen Beihilfe (zum Totschlag ) und nicht wegen Mittäterschaft hält ebenfalls rechtlicher Überprüfung nicht stand.
28
Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) - auf der Grundlage gemeinsamen Wollens - einen die Tatbestandserfüllung fördernden Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränken kann. Hat ein Tat-Beteiligter einen wesentlichen Beitrag geleistet, so ist er als Mittäter anzusehen, wenn er die Tat als eigene wollte. Ob er ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Bedeutsame Anhaltspunkte dafür können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (vgl. BGH StV 1983, 501; NStZ-RR 2002, 74, 75; 2004, 40, 41).
29
Von diesen Kriterien geht das Landgericht bei seiner Abgrenzung, ob der Angeklagte O. Mittäter oder Gehilfe war, im Ansatz zutreffend aus. Rechtlichen Bedenken begegnet jedoch seine Wertung, der Angeklagte O. habe keine Tatherrschaft gehabt, weil er nicht – wie S. – das “Geschehen in den Händen gehalten (habe)“ (UA 46); denn Tatherrschaft ist nicht nur gegeben, wenn der Tatbeteiligte die Tatbestandsverwirklichung eigenhändig vornimmt, sondern bereits dann, wenn er in Arbeitsteilung mit Anderen eine für das Gelingen der Tat wesentliche Funktion innehat (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 74, 75).
30
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte O. das Tatopfer durch Täuschung zum Weglegen seiner Waffe veranlasst und dem bewaffneten An- geklagten S. in dem Bewusstsein, dass es zur Tötung des Christian C. kommen konnte, heimlich den Zugang zu dessen Wohnung verschafft. Durch diesen wesentlichen Tatbeitrag (UA 49) hat er die Tat überhaupt erst ermöglicht (UA 46). Er hat somit den Geschehensablauf mit beherrscht. Damit hatte er Tatherrschaft (vgl. BGHSt 28, 346, 349; BGH NStZ-RR 2004, 40, 41).
31
Selbst wenn der Angeklagte O. , wovon das Landgericht ausgeht, kein eigenes Interesse an der Tat hatte, kommt diesem Umstand im Hinblick auf den von ihm erbrachten wesentlichen Tatbeitrag als Abgrenzungskriterium nur eine marginale indizielle Bedeutung zu (vgl. BGH wistra 2001, 420, 421). Er schließt, ebenso wenig wie der Umstand, dass O. (zunächst) in eine gemeinsame Planung der Tat nicht mit eingebunden war (vgl. BGH NStZ 2006, 44, 45), nicht aus, dass der Angeklagte die Tat als eigene wollte. Die Frage (mit )täterschaftlichen Handelns des Angeklagten O. wird daher unter umfassender Würdigung des Beweisergebnisses - auch seiner Einbindung in die sonstige Tat-Vorbereitung (UA 30 ff.) - neu zu bewerten sein.

III.


32
Revisionen der Angeklagten
33
Die Revisionen der Angeklagten sind aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

IV.


34
Die Fragen des Vorliegens des Tatbestands des § 211 StGB und der Täterschaft des Angeklagten O. bedürfen somit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen zum "Vortatgeschehen" (UA 9 bis 11), zum "Nachtatgeschehen" (UA 20 bis 22) und zur Schuldfähigkeitsbeurteilung der Angeklagten sind rechtsfehlerfrei getroffen; sie können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bestehen gebliebenen nicht widersprechen, sind zulässig. Die übrigen Feststellungen müssen aufgehoben werden. Der neu entscheidende Tatrichter wird insoweit Gelegenheit haben, Näheres über die Beziehungen der Angeklagten zueinander festzustellen, um nachvollziehbar zu machen, warum sich die Angeklagten O. und V. an der Tat des S. beteiligt haben. Auch bedürfen insbesondere die direkt vor der Tat geführten Telefongespräche, die auf eine stärkere Einbindung des Angeklagten O. in die Tatplanung und Tat als bisher festgestellt hindeuten (UA 16 f., 30, 33 [u.a. der Hinweis, dass auch O. eine Waffe bei sich trug]), einer gesamt würdigenden Bewertung.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Der Antrag, durch den der Anspruch geltend gemacht wird, kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten, in der Hauptverhandlung auch mündlich bis zum Beginn der Schlußvorträge gestellt werden. Er muß den Gegenstand und Grund des Anspruchs bestimmt bezeichnen und soll die Beweismittel enthalten. Ist der Antrag außerhalb der Hauptverhandlung gestellt, so wird er dem Beschuldigten zugestellt.

(2) Die Antragstellung hat dieselben Wirkungen wie die Erhebung der Klage im bürgerlichen Rechtsstreit. Sie treten mit Eingang des Antrages bei Gericht ein.

(3) Ist der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt, so wird der Antragsteller von Ort und Zeit der Hauptverhandlung benachrichtigt. Der Antragsteller, sein gesetzlicher Vertreter und der Ehegatte oder Lebenspartner des Antragsberechtigten können an der Hauptverhandlung teilnehmen.

(4) Der Antrag kann bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden.

(5) Dem Antragsteller und dem Angeschuldigten ist auf Antrag Prozeßkostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, sobald die Klage erhoben ist. § 121 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gilt mit der Maßgabe, daß dem Angeschuldigten, der einen Verteidiger hat, dieser beigeordnet werden soll; dem Antragsteller, der sich im Hauptverfahren des Beistandes eines Rechtsanwalts bedient, soll dieser beigeordnet werden. Zuständig für die Entscheidung ist das mit der Sache befaßte Gericht; die Entscheidung ist nicht anfechtbar.