Bundesverfassungsgericht Beschluss, 26. Juli 2016 - 1 BvL 8/15

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2016:ls20160726.1bvl000815
bei uns veröffentlicht am26.07.2016

Tenor

1. Es ist mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar, dass für Betreute, denen schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen drohen und die die Notwendigkeit der erforderlichen ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, eine ärztliche Behandlung gegen ihren natürlichen Willen unter keinen Umständen möglich ist, sofern sie zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind.

2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, unverzüglich eine Regelung für diese Fallgruppe zu treffen.

3. Bis zu einer solchen Regelung ist § 1906 Absatz 3 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung von Artikel 1 Nummer 3 des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (Bundesgesetzblatt I Seite 266) auch auf stationär behandelte Betreute anzuwenden, die sich einer ärztlichen Zwangsbehandlung räumlich nicht entziehen können.

Gründe

A.

1

Der Bundesgerichtshof begehrt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber, ob § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl I S. 266) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er für eine ärztliche Zwangsmaßnahme auch bei Betroffenen, die sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind, voraussetzt, dass die Behandlung im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB erfolgt, welche nach gefestigter Rechtsprechung in diesen Fällen nicht angeordnet werden darf.

I.

2

1. a) Durch das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz), das zum 1. Januar 1992 in Kraft getreten ist (BGBl I 1990, S. 2002), wird das Ziel verfolgt, die Rechtsstellung psychisch kranker und behinderter Volljähriger unter Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu verbessern.

3

Wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (vgl. § 1896 Abs. 1 BGB). Das Gesetz regelt die Bestellung des Betreuers (§§ 1896 ff. BGB), den Umfang der Betreuung (§§ 1901 ff. BGB) und macht bestimmte Maßnahmen von der Genehmigung des Betreuungsgerichts abhängig (§§ 1904 ff. BGB).

4

Soweit eine Betreuung nach § 1896 BGB für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge angeordnet ist, hat der Betreuer die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen und gegebenenfalls auch Einwilligungen in notwendige Heilbehandlungen zu geben (§ 1901 BGB). Die Angelegenheiten des Betreuten sind dabei so zu besorgen, wie es seinem Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten (§ 1901 Abs. 2 BGB). Der Betreuer hat Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Dies gilt auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will (§ 1901 Abs. 3 BGB). Sofern für das Ob und Wie bestimmter Heilmaßnahmen ein freier Wille des Betreuten - etwa durch Patientenverfügung nach § 1901a BGB - feststellbar ist, ist dieser auch für den Betreuer maßgeblich.

5

Die Einwilligung des Betreuers in besonders risikoreiche ärztliche Maßnahmen (vgl. § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB) bedarf der Genehmigung durch das Betreuungsgericht; ebenso die Versagung der Einwilligung durch den Betreuer in dringend notwendige Maßnahmen (vgl. § 1904 Abs. 2 BGB). § 1904 BGB erfasst in beiden Fällen aber nur Konstellationen, in denen ein entgegenstehender Wille des Betreuten nicht feststellbar ist oder der mit der Einwilligung des Betreuers in Einklang stehende Wille des Betreuten feststeht (vgl. § 1904 Abs. 3 BGB).

6

Ärztliche Behandlungen gegen den natürlichen Willen von Betreuten, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung deren Notwendigkeit nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, sind ausschließlich auf der Grundlage des § 1906 BGB und damit nur bei nach § 1906 Abs. 1 BGB freiheitsentziehend untergebrachten Betreuten möglich. Die früher strittige Frage, ob auf der Grundlage von §§ 1896, 1901 BGB ärztliche Zwangsmaßnahmen auch für Betreute, die nicht freiheitsentziehend untergebracht sind, durch eine Einwilligung des Betreuers ermöglicht werden könnten (sog. ambulante Zwangsbehandlungen), ist durch den Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11. Oktober 2000 (XII ZB 69/00 - BGHZ 145, 297 <306 ff.>) verneinend entschieden worden. Dies ist die seither gefestigte Rechtsprechung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - juris, Rn. 21, 25). Der Bundesgerichtshof hat die Ablehnung der Zulässigkeit einer ambulanten Zwangsbehandlung nach geltendem Recht damit begründet, dass es an der verfassungsrechtlich unverzichtbaren förmlichen Gesetzesgrundlage hierfür fehle. Der Versuch, eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für die ambulante Zwangsbehandlung einzuführen, sei im Gesetzgebungsverfahren gescheitert (Hinweis auf BTDrucks 15/4874, S. 8 <25 f.>).

7

Die erforderliche gesetzliche Ermächtigung für eine Zwangsbehandlung findet sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs im Bereich der zivilrechtlichen Betreuung ausschließlich in § 1906 BGB (vgl. BGHZ 145, 297 <310>; 193, 337; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 f.>; Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - Vorlagebeschluss, juris, Rn. 27).

8

b) Der durch das Betreuungsgesetz - BtG - im Jahr 1992 eingeführte § 1906 BGB hatte folgenden Wortlaut:

§ 1906 - in der Fassung von 1992 -

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder

2. eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

9

Spätere Änderungen bis zu der bis zum 25. Februar 2013 geltenden Fassung hatten keine inhaltlichen Änderungen der Absätze 1 - 4 zum Gegenstand.

10

2. Der Bundesgerichtshof ging zunächst in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine ärztliche Behandlung gegen den natürlichen Willen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung biete (vgl. bspw. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2006 - XII ZB 236/05 -, juris). Zur Begründung stellte er unter Berufung auf die Begründung des Regierungsentwurfs zur Einführung des Betreuungsrechts (BTDrucks 11/4528, S. 72, 141) darauf ab, dass mit dem neuen Betreuungsgesetz (vom 12. September 1990 BGBl I S. 2002), die grundsätzliche Befugnis des Betreuers zur Einwilligung in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff des Einwilligungsunfähigen nicht habe in Frage gestellt werden sollen. Nicht einwilligungsfähige Betreute dürften nicht von solchen Maßnahmen ausgeschlossen werden, weil ansonsten ihre gesundheitliche Versorgung und damit ihr Wohl an ihrer mangelnden Einsichts- oder Urteilsfähigkeit scheitern würde. Aus dem gleichen Grunde seien durch die Neuregelung auch Zwangsbehandlungen nicht generell verboten worden.

11

In der vom Bundesgerichtshof in Bezug genommenen Begründung zum Regierungsentwurf des Betreuungsgesetzes (BTDrucks 11/4528, S. 72) heißt es in diesem Zusammenhang:

Wer auf Grund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und eine Behandlung deshalb ablehnt, dem soll nicht schon deshalb die Behandlung versagt werden. So soll eine lebensnotwendige Operation eines Betreuten nicht daran scheitern, dass dieser sich krankheitsbedingt hiergegen wehrt, weil er der Auffassung ist, man wolle ihn durch die Operation ermorden. Der Entwurf sieht deshalb ein Verbot von Zwangsbehandlungen, zwangsweisen Untersuchungen oder zwangsweisen ärztlichen Eingriffen grundsätzlich nicht vor.

12

Allerdings wurde ganz bewusst von einer ausdrücklichen Regelung der Zwangsbehandlung abgesehen. So findet sich in der Einzelbegründung zu § 1904 BGB-E folgender Passus (BTDrucks 11/4528, S. 141):

Der Entwurf enthält keine allgemeinen Regelungen über Zwangsbehandlungen. Zwangsbehandlungen Einwilligungsunfähiger werden vom Entwurf nicht grundsätzlich verboten. Wer auf Grund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und eine Behandlung deshalb ablehnt, dem soll nicht schon deshalb die Behandlung versagt werden. So wäre es nicht zu verantworten, eine Blinddarmoperation am Betreuten deshalb zu verweigern, weil dieser auf Grund einer wahnhaften Vorstellung der Überzeugung ist, keinen Blinddarm mehr zu besitzen, und daher den lebensnotwendigen Eingriff ablehnt. Zwangssterilisationen sind allerdings generell untersagt; […].

13

3. Außerhalb einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB hielt der Bundesgerichtshof ärztliche Zwangsmaßnahmen (ambulante Zwangsmaßnahmen) hingegen mangels Rechtsgrundlage nicht für zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 - BGHZ 145, 297; vgl. ausführlich hierzu Kirsch, Rechtsgrundlagen der stationären und ambulanten psychiatrischen Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht, 2010, S. 130 ff., 180 ff.). In Reaktion auf diese Rechtsprechung schlug der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (BTDrucks 15/2494, S. 7, 30) mit am 12. Februar 2002 vorgelegten Gesetzentwurf (BRDrucks 865/03, S. 54 f.) vor, eine Rechtsgrundlage für die zwangsweise Zuführung des Betreuten zu ambulanten ärztlichen Heilbehandlungen zu schaffen.

14

Dieser Vorschlag wurde nicht Gesetz. Der Rechtsausschuss des Bundestags strich die hierzu vorgesehene Regelung nach der Stellungnahme der Bundesregierung und dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung (vgl. BTDrucks 15/4874, S. 27). Er war im Gesetzgebungsverfahren zu der Überzeugung gelangt, die ambulante Zwangsbehandlung sei nicht als weniger einschneidender Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen anzusehen, sondern als ein anders gelagerter Eingriff (Protokoll der 49. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, 26. Mai 2004, S. 76; so bereits auch BGH, FamRZ 2001, S. 149). Die ambulante Zwangsbehandlung wurde insbesondere unter dem Blickwinkel der Anlasserkrankung, also der psychischen Erkrankung, wegen der die Betreuung eingerichtet wurde, betrachtet und kritisch gesehen, da die im Gesetzgebungsverfahren angehörten psychiatrischen Sachverständigen Bedenken gegen ambulante Zwangsbehandlungen in diesem Bereich hatten. Hauptsächlich argumentierten sie damit, dass die Behandlung der psychischen Erkrankung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Patienten und Therapeuten erfordere. Eine immer wieder erfolgende zwangsweise Vorführung des Betroffenen zur Behandlung laufe diesem konsensualen Ansatz zuwider (Protokoll der 49. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, 26. Mai 2004, S. 72, 76; so auch bereits BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 -, FamRZ, 2001 S. 149).

15

4. Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 23. März 2011 zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entschieden hatte, dass die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung klarer und bestimmter gesetzlicher Vorgaben bedürfen (vgl. BVerfGE 128, 282), gab der Bundesgerichtshof seine bislang zur Zulässigkeit medizinischer Zwangsbehandlungen im Betreuungsrecht auf der Grundlage von § 1906 Abs. 1 BGB in der Fassung von 1992 vertretene Rechtsprechung auf und vertrat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun die Auffassung, es fehle hierfür an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage, weshalb ein Betreuer auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine Zwangsbehandlungen veranlassen dürfe (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 -, BGHZ 193, 337 <353>).

16

5. Der Gesetzgeber reagierte auf diese Rechtsprechungsänderung durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl I S. 266), durch welches neben anderen Änderungen die Absätze 3 und 3a in § 1906 BGB eingefügt wurden. § 1906 BGB lautet seit dem 25. Februar 2013 in der bis heute geltenden Fassung:

§ 1906 - in der Fassung von 2013 -

Genehmigung des Betreuungsgerichts bei der Unterbringung

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder

2. zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen. Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht anzuzeigen.

(3) Widerspricht eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Nummer 2 dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in sie nur einwilligen, wenn

1. der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann,

2. zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,

3. die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung nach Absatz 1 zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,

4. der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und

5. der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

§ 1846 ist nur anwendbar, wenn der Betreuer an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert ist.

(3a) Die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Der Betreuer hat die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat den Widerruf dem Betreuungsgericht anzuzeigen.

(4) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

(5) Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines Bevollmächtigten in Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 4 setzen voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätzen 1, 3 und 4 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

17

Mit der Einfügung der Absätze 3 und 3a verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, eine den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechende Regelung zu schaffen, mit der die bis zu den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012 bestehende Rechtspraxis möglichst nah abgebildet werden sollte. So wird in der Begründung zum Gesetzesentwurf ausgeführt: "Der Entwurf einer Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme bildet damit unter Achtung der verfassungsgerichtlichen Anforderungen die bis zu den jüngsten Beschlüssen des Bundesgerichtshofs bestehende Rechtslage möglichst nah ab. Dazu zählt, dass eine Zwangsbehandlung nur im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB erfolgen kann. Wie die Unterbringung selbst bedarf auch die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme der gerichtlichen Genehmigung und unterliegt denselben strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen. Die strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen werden damit auch die Selbstbestimmung der Betreuten stärken." (BTDrucks 17/11513, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme, S. 1 f.; in der Sache ebenso Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf, BTDrucks 17/12086, S. 1).

II.

18

1. Die 63-jährige Betroffene des Ausgangsverfahrens litt unter einer schizoaffektiven Psychose. Sie stand deswegen seit Ende April 2014 unter Betreuung unter anderem auch für den Aufgabenkreis der Sorge für die Pflege und Gesundheit einschließlich der Zustimmung zu ärztlichen Maßnahmen und Behandlungen sowie der Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung oder unterbringungsähnliche Maßnahmen.

19

Anfang September 2014 wurde die Betroffene kurzzeitig in eine Pflegeeinrichtung aufgenommen. Dort lehnte sie es ab, die zur Behandlung einer Autoimmunerkrankung verordneten Medikamente einzunehmen, verweigerte die Essensaufnahme und äußerte Suizidabsichten. Ab Mitte September 2014 befand sich die Betroffene mit richterlicher Genehmigung auf einer geschlossenen Demenzstation in einem Klinikum. Auf der Grundlage mehrerer betreuungsgerichtlicher Beschlüsse wurde sie im Wege ärztlicher Zwangsmaßnahmen wegen der Autoimmunerkrankung, wegen einer Schilddrüsenunterfunktion und wegen ihrer psychischen Erkrankung medikamentös behandelt. Die Medikamente wurden - wie auch die Nahrung - mittels einer ebenfalls als ärztliche Zwangsmaßnahme gelegten Magensonde verabreicht. Es wurden dort auch weitere Untersuchungen (Stanzbiopsie) hinsichtlich einer vermuteten Krebserkrankung durchgeführt. Diese bestätigten den Verdacht eines - noch nicht durchgebrochenen - Mammakarzinoms.

20

Die Betroffene war zu diesem Zeitpunkt körperlich stark geschwächt, konnte nicht mehr gehen und sich auch nicht selbst mittels eines Rollstuhls fortbewegen. Geistig war sie in der Lage, ihren natürlichen Willen auszudrücken. Auf richterliche Befragung äußerte sie wiederholt, sie wolle sich nicht wegen der Krebserkrankung behandeln lassen. Weder wolle sie eine Operation noch eine Chemotherapie.

21

2. Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 beantragte die Berufsbetreuerin, die Unterbringungsgenehmigung für die Betroffene zu verlängern und ärztliche Zwangsmaßnahmen, insbesondere zur Behandlung des Brustkrebses (Brustektomie, Brustbestrahlung, Knochenmarkspunktion zur weiteren Diagnostik), aber auch zur Fortsetzung der medikamentösen Therapie der weiteren Erkrankungen zu genehmigen.

22

3. Das Amtsgericht wies den Antrag auf Unterbringung und Zwangsbehandlung zurück. Bei der Betroffenen liege zwar eine psychische Krankheit vor, die sie daran hindere, in die erforderlichen ärztlichen Heilbehandlungen einzuwilligen. Eine Unterbringung sei aber nicht erforderlich, da die beantragten Heilbehandlungen und ärztlichen Eingriffe auch im Rahmen einer offenen Einrichtung erfolgen könnten.

23

4. Das Landgericht wies die Beschwerde der Betreuerin zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

24

In tatsächlicher Hinsicht unterstellte es zunächst, dass die von der Betreuerin am 20. Januar 2015 zur Genehmigung beantragten ärztlichen Eingriffe zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens notwendig seien und die Betroffene auf Grund ihrer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln könne.

25

Weiter führte das Landgericht aus, das Amtsgericht habe zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung verneint, weil alle zur Genehmigung beantragten ärztlichen Maßnahmen auch ohne eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung durchgeführt werden könnten. Eine Freiheitsentziehung im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB sei vorliegend aus tatsächlichen Gründen nicht notwendig und damit nicht erforderlich.

26

§ 1906 Abs. 1 BGB gehe von einem engen Begriff der mit der Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung aus. Eine Freiheitsentziehung sei im Sinne dieser Vorschrift nur dann erforderlich und dürfe deshalb auch nur dann angeordnet werden, wenn sich der Betroffene ohne die die Freiheit einschränkenden Vorkehrungen der Örtlichkeit räumlich entziehen könne, wenn also überhaupt die Möglichkeit zur Fortbewegung bestehe. Vorliegend sei die Unterbringung der Betroffenen nicht notwendig und damit auch nicht erforderlich im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB. Die Betroffene sei bettlägerig und nicht in der Lage, sich selbständig aus dem Bett zu bewegen oder zu gehen. Im Liegerollstuhl könne sie sich nicht selbständig fortbewegen. Sie zeige auch keine Weglauftendenzen, indem sie beispielsweise andere Leute beauftrage, sie an einen anderen Ort zu verbringen.

27

Die Zwangsbehandlung sei vom Gesetzgeber nur im Rahmen der geschlossenen Unterbringung im Sinne von § 1906 Abs. 1 BGB zugelassen worden. Ohne eine genehmigte freiheitsentziehende Unterbringung sei eine Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3, 3a BGB nicht zulässig.

28

5. Die Betreuerin erhob namens der Betroffenen Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.

III.

29

1. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung vom 18. Februar 2013 mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit er für die Einwilligung des Betreuers in eine stationär durchzuführende ärztliche Zwangsmaßnahme auch bei Betroffenen, die sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder körperlich hierzu nicht in der Lage sind, voraussetzt, dass die Behandlung im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB erfolgt.

30

a) Der Vorlagebeschluss sei zulässig, obwohl die Vorinstanzen den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt hätten. Es sei zu unterstellen, dass die ärztlichen Eingriffe und Untersuchungen, für die die Betreuerin um eine gerichtliche Genehmigung nach § 1906 Abs. 3a BGB nachgesucht hatte, erforderlich seien, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB) und die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen beziehungsweise nach dieser Einsicht handeln könne (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB).

31

b) Die Kopplung der Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an eine freiheitsentziehende Unterbringung auch für Fallgestaltungen, in denen sich Betroffene einer solchen Maßnahme räumlich nicht entziehen wollten oder könnten, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

32

Die Unterbringung zur Durchführung einer Untersuchung des Gesundheitszustands, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlange nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig sei. Vielmehr müsse die freiheitsentziehende Unterbringung ihrerseits erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden könne. Sie sei in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten sei, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der medizinischen Maßnahme räumlich - also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" - entziehen würde.

33

Der Bundesgerichtshof habe in seiner früheren Rechtsprechung (Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 Rn. 22 ff.>) der Vorschrift des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Rechtsgrundlage für die Durchführung notwendiger medizinischer Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen des Betroffenen entnommen. Er habe dabei den engen Unterbringungsbegriff zugrunde gelegt und daher die erzwungene Einnahme von Medikamenten nicht losgelöst von der Frage, wo sich diese Zwangsbehandlung vollziehe, rechtlich als eine freiheitsentziehende Unterbringung angesehen. Dies habe er mit dem Wortlaut des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB und mit dem Zweck der Vorschrift begründet. Dabei habe er auch wiederholt darauf hingewiesen, dass diese enge Auslegung des Begriffs der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung zu einer Begrenzung der Möglichkeit führe, Betroffene gegen ihren Willen einer medizinischen Behandlung zu unterziehen (vgl. BGHZ 145, 297 <310>; 193, 337; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 Rn. 22 ff.>).

34

Nachdem der Bundesgerichtshof mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug seine Auffassung, wonach Zwangsbehandlungen im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich genehmigungsfähig seien, aufgegeben und auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage hingewiesen habe, habe der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 in die Vorschrift des § 1906 BGB die neuen Absätze 3 und 3a eingefügt. Dabei habe der Gesetzgeber ausdrücklich lediglich die bis zur Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs bestehende Rechtslage möglichst nahe abbilden und eine Rechtsgrundlage für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB schaffen wollen. Dies lasse alleine den Schluss zu, dass die gesetzliche Regelung der Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen nicht zu Änderungen an dem § 1906 Abs. 1 BGB zu Grunde liegenden engen Unterbringungsbegriff führen sollte, sondern dieser nach wie vor für die Anwendung der Vorschrift maßgeblich sein solle.

35

Die neu geschaffene Regelung in § 1906 Abs. 3 BGB sei nicht nur als Eingriffsnorm zu verstehen, da sie als Bestandteil des staatlichen Erwachsenenschutzes ebenso eine Begünstigung darstelle. Die Betroffenen auszunehmen, bei denen es einer stationär durchzuführenden ärztlichen Maßnahme bedürfe, die sich aber räumlich nicht entziehen wollen und/oder können, erfordere eine hinreichende Rechtfertigung. An einer hinreichenden Rechtfertigung fehle es, so dass das Gesetz gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

36

Diese Schutzlücke für immobile Betroffene werde auch nicht durch andere vom Gesetz eröffnete Möglichkeiten geschlossen. Das auf den Fall des Vorlageverfahrens anzuwendende baden-württembergische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG) greife schon deshalb nicht zugunsten von Betroffenen ein, die sich räumlich nicht aus einem stationären Rahmen entfernen wollen oder können, weil § 20 Abs. 3 PsychKHG eine Zwangsbehandlung ebenfalls nur bei einer geschlossenen Unterbringung vorsehe. Auch der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB, der einer ohne die Einwilligung des Patienten oder gar gegen dessen Willen erfolgenden ärztlichen Behandlung gegebenenfalls die Rechtswidrigkeit nehmen könne, lasse die Notwendigkeit der Aufnahme von Betroffenen, die sich räumlich nicht aus dem stationären Raum bewegen wollten oder könnten, in den Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 3 BGB nicht entfallen. Die im Rahmen des § 34 StGB in jedem Einzelfall vorzunehmende schwierige Interessenabwägung könne die vom Gesetzgeber zu treffende Festlegung der Voraussetzungen, unter denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme zulässig sei, nicht ersetzen. Außerdem biete § 34 StGB nicht die angesichts der betroffenen grundrechtlichen Belange gebotene Rechtssicherheit.

37

Der Bundesgerichtshof ließ in seiner Vorlage ausdrücklich offen, ob der Gesetzgeber eine Verpflichtung aus grundrechtlichen Schutzpflichten hat, die gesetzlichen Voraussetzungen für ärztliche Zwangsmaßnahmen zu schaffen.

38

2. Die Betroffene ist während des anhängigen Vorlageverfahrens verstorben.

IV.

39

Zu der Vorlage haben die Bundesnotarkammer, der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V., der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V., der Bundesverband der Berufsbetreuer/innen e.V., der Deutsche Notarverein e.V., die Aktion psychisch Kranke Vereinigung zur Reform der Versorgung psychisch Kranker e.V., die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V., der AWO Bundesverband e.V., die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Caritasverband e.V., die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V. und der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. Stellung genommen.

40

1. Ganz überwiegend wird die Auffassung vertreten, § 1906 Abs. 3 BGB verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Norm jedenfalls auch begünstigend sei und für den Ausschluss der von der Begünstigung nicht erfassten immobilen Betreuten keine Rechtfertigung ersichtlich sei. Teilweise wird zudem von der Verletzung weiterer Grundrechte ausgegangen.

41

a) Die Bundesnotarkammer hält es für wenig überzeugend, sollte man bei der Entscheidung über ärztliche Zwangsmaßnahmen nach dem individuellen Grad der Mobilität differenzieren müssen. Für die begrenzte Zulassung auch ambulanter Zwangsbehandlungen spreche, dass zur Erreichung des Ziels, die schon im stationären Umfeld befindliche Person zu schützen, dem in der Zwangsbehandlung liegenden Grundrechtseingriff nicht noch die Unterbringung als weiteren Eingriff vorangestellt werden müsste.

42

b) Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. sieht in der derzeitigen Rechtslage, bei Menschen, die sich nicht selbständig fortbewegen können, stationäre ärztliche Zwangsmaßnahmen nicht anordnen zu können, eine unzulässige Ungleichbehandlung.

43

c) Auch der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. sieht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit § 1906 Abs. 3 BGB eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur erlaube, wenn eine Unterbringung des Betroffenen erforderlich sei.

44

d) Nach der Auffassung des Bundesverbands der Berufsbetreuer/innen e.V. stellt es einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art 3 Abs. 1 GG dar, die Gruppe von Menschen, die sich einem Klinikaufenthalt aufgrund ihrer schlechten körperlichen Verfassung nicht entziehen können, nicht gegen deren Willen behandeln zu können.

45

e) Der Deutsche Notarverein e.V. gelangt in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis, § 1906 Abs. 3 BGB verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 und gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Verknüpfung der Zwangsbehandlung mit der Unterbringung laufe im Gesetzesvollzug allzu leicht auf eine Freiheitsentziehung hinaus, die unverhältnismäßig sei und auch gegen Art. 2 GG verstoße, da sie nur angeordnet werde, um eine Zwangsbehandlung durchführen zu können. Es gelte der Grundsatz, dass der Staat einen Menschen, der nicht selbstbestimmte und eigenverantwortliche Entscheidungen treffen könne, vor sich selbst schützen müsse. Diese Schutzpflicht werde durch die geltende Regelung des § 1906 BGB nur gegenüber einem Teil der Betroffenen, nämlich den "Fluchtfähigen" wahrgenommen. Hierin liege eine den Gleichheitssatz verletzende Unterlassung, denn zwischen der begünstigten Gruppe und den Fluchtunfähigen bestünden keine erheblichen Unterschiede, die die ungleiche Behandlung rechtfertigten.

46

f) Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. sieht durch § 1906 Abs. 3 BGB sowohl Art. 3 Abs. 1 als auch Art. 3 Abs. 3 GG verletzt.

47

g) Auch der AWO Bundesverband e.V. vertritt die Auffassung, es gebe keinen rechtfertigenden Grund für eine Ungleichbehandlung der beiden Personengruppen.

48

h) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Vorlage des Bundesgerichtshofs für zulässig und begründet. § 1906 Abs. 3 BGB sei nicht nur eine belastende sondern auch eine begünstigende Norm. Es sei kein Grund erkennbar, denjenigen Menschen, die sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder körperlich nicht dazu in der Lage seien, die Behandlung vorzuenthalten, die untergebrachte Betreute erhielten. Die Verfassungswidrigkeit der Norm könne auch nicht durch eine erweiternde, verfassungskonforme Auslegung von § 1906 Abs. 3 BGB überwunden werden. Dem sei bereits durch den eindeutigen Wortlaut eine Grenze gesetzt. Dies folge aber auch aus dem Willen des Gesetzgebers, der in der Gesetzesbegründung deutlich gemacht habe, die Regelung solle ausschließlich für untergebrachte betreute Personen gelten.

49

2. Die Aktion psychisch Kranke Vereinigung zur Reform der Versorgung psychisch Kranker e.V. geht zwar auch davon aus, dass Menschen, die den Behandlungsort nicht aus eigener Kraft verlassen könnten oder wollten, denselben Schutzanspruch hätten wie solche, die sich noch fortbewegen könnten. Das Recht auf Schutz und Behandlung dürfe nicht vorenthalten werden, weil mangels eines formalen Unterbringungsgrundes nicht untergebracht werden könne. Anders als der Bundesgerichtshof meine, habe der Gesetzgeber aber nicht den engen Unterbringungsbegriff verwenden wollen. Es fehle an einer Legaldefinition des Begriffs der Unterbringung. Nach Auffassung des Verbands beginne die Unterbringung schon dann, wenn jemand gegen seinen Willen an einem Ort festgehalten werde. Die enge Auslegung des Unterbringungsbegriffs, der die Unterbringung an einen Freiheitsentzug knüpfe, sei ungeeignet, da sie zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung führe und das Leben und die Gesundheit hilfsbedürftiger Menschen aufs Spiel setze. § 1906 Abs. 3 BGB wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn ein weiter Unterbringungsbegriff zugrunde gelegt würde.

50

3. Auch der Deutsche Caritasverband e.V. ist der Auffassung, mobile und immobile Betroffene seien in ihrem Schutzbedürfnis wesentlich gleich. Das Unterscheidungskriterium sei die Möglichkeit, sich der Behandlung entziehen zu können. Es sei aber fraglich, ob die immobile Personengruppe benachteiligt sei, da gerade ihrem Selbstbestimmungsrecht Rechnung getragen werde. Zwar werde durch den Hinweis des Bundesgerichtshofs auf die Schutzfunktion des § 1906 Abs. 3 BGB auf die begünstigende Wirkung abgestellt. Es müssten aber eben die eingreifende und die schützende Dimension beachtet werden. Wenn man gleichwohl in der Möglichkeit zur Zwangsbehandlung eine Begünstigung sehen wolle, sei es zunächst legitim, die Zwangsmaßnahmen auf einen stationären Rahmen zu beschränken. Es sei jedoch kein sachlicher Grund ersichtlich, ärztliche Zwangsmaßnahmen nur denjenigen zuteil werden zu lassen, die noch mobil seien und sich einer Behandlung entziehen könnten.

51

4. Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. und die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V. sehen in § 1906 Abs. 3 BGB hingegen lediglich eine Eingriffsnorm. Eine ärztliche Zwangsbehandlung könne nicht als Begünstigung angesehen werden. Es müsse immer der Patientenwille gelten. § 1906 Abs. 3 BGB sei schon deswegen verfassungswidrig, weil er Zwangsbehandlungen überhaupt ermögliche.

B.

I.

52

Die Vorlage ist zulässig.

53

1. Der Zulässigkeit der Vorlage steht nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof mit dem vorgelegten § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl I S. 266) nur das nach seiner Überzeugung verfassungswidrige Nichteinbeziehen von Personen in bestimmten Lebenssituationen in diese Regelung und damit ein Unterlassen des Gesetzgebers beanstandet.

54

a) Das Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG dient der Kontrolle konkreter gesetzgeberischer Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz in dem dafür allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltenen Verfahren (vgl. BVerfGE 86, 71 <77>; 138, 64 <90 f. Rn.78>). Es ist damit grundsätzlich kein Instrument, ein von einem Gericht von Verfassungs wegen für geboten gehaltenes allgemeines gesetzgeberisches Tätigwerden zu erzwingen. In diesem Sinne schlichtes Unterlassen des Gesetzgebers kann daher nicht Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle sein (dazu auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Januar 2013 - 1 BvR 2004/10 -, NJW 2013, S. 1148 <1149 Rn. 21>; E. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 24 Rn. 790; Dollinger, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 80 Rn. 49; Zuck, in: Lechner/Zuck, BVerfGG, 7. Aufl. 2015, § 80 Rn. 11; Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 80 Rn. 61).

55

Diese Grundsätze stehen allerdings nicht der Vorlage einer bestimmten Norm nach Art. 100 Abs. 1 GG entgegen, die damit begründet wird, dass die Nichteinbeziehung bestimmter Sachverhalte oder Personengruppen gegen Gleichheitsrechte verstoße. Gegenstand einer solchen Normenkontrolle ist eine konkrete Entscheidung des Gesetzgebers, deren Erstreckung auf bestimmte andere Fälle aus Gründen der Gleichbehandlung für verfassungsrechtlich geboten gehalten wird. In derartigen Konstellationen erachtet es das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als ausreichend, dass die im Falle eines Verstoßes gegen das Grundgesetz zu erwartende Erklärung der Norm als verfassungswidrig für den nicht in ihren Anwendungsbereich fallenden Betroffenen die Chance offen hält, eine ihn einbeziehende Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (vgl. BVerfGE 22, 349 <363>; 61, 138 <146>; 71, 224 <228>; 74, 182 <195>; 93, 386 <395>; 115, 259 <275>; 121, 108 <115 f.>; 130, 131 <140>; vgl. auch BVerfGE 138, 136 <175 Rn. 104>). Nichts anderes gilt für den Fall, dass die vom vorlegenden Gericht im Zusammenhang mit der beanstandeten Norm vermisste Ausgestaltung nach dessen plausibel begründeter Überzeugung durch eine konkrete verfassungsrechtliche Schutzpflicht geboten ist.

56

b) Der Bundesgerichtshof hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm nachvollziehbar damit begründet, dass die Nichteinbeziehung bestimmter Sachverhalte oder Personengruppen in diese Norm gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

57

Er hat in seinem Vorlagebeschluss nicht offensichtlich unhaltbar und damit für die Beurteilung der Zulässigkeit der Vorlage maßgebend (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 138, 136 <171 Rn. 92>) dargelegt, dass für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge unter Betreuung stehende Personen, die sich - wie die Betroffene des Ausgangsverfahrens - in stationärer Behandlung befinden und aus eigener Kraft nicht mehr von dort entfernen und sich auch sonst nicht einer ärztlichen Behandlung räumlich entziehen können, nicht die Voraussetzungen für die Anordnung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB 2013 erfüllen. Damit besteht für sie auch nicht die Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3 BGB, da dies die geschlossene Unterbringung voraussetzt (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB).

58

Zur Begründung seiner Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm muss das Gericht unter Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darlegungen deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>; 138, 136 <171 f. Rn. 93>). Diesen Voraussetzungen genügt der Vorlagebeschluss. Ob in der Verwehrung der ärztlichen Zwangsbehandlung für Betreute trotz der damit für sie zugleich verbundenen Eingriffe tatsächlich die Vorenthaltung einer Begünstigung im gleichheitsrechtlichen Sinne liegt (vgl. zur Notwendigkeit eines Nachteils BVerfGE 132, 195 <235 f. Rn. 95>), kann hier offen bleiben. Dass den nicht unterbringungsfähigen Betreuten mit dem Ausschluss der ärztlichen Zwangsbehandlung eine Option vorenthalten wird, die ihnen nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in diesem Zusammenhang von Verfassungs wegen nicht hätte verwehrt werden dürfen, hat das vorlegende Gericht substantiiert und plausibel dargelegt.

59

2. Der Vorlagebeschluss lässt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die aufgeworfene Frage zur Verfassungsmäßigkeit der Rechtslage für den Bundesgerichtshof entscheidungserheblich ist. Dabei ist dessen Auffassung zur Auslegung des § 1906 Abs. 1 und 3 BGB für die Beurteilung der Zulässigkeit seiner Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG maßgebend, da sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 138, 136 <171 Rn. 92>). Dass der Sachverhalt nicht im Hinblick auf sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 und 3 BGB vollständig durch die Fachgerichte aufgeklärt war, ändert für den mit der Rechtsbeschwerde (§§ 70 ff. FamFG) angerufenen und daher nur mit der Prüfung von Rechtsverletzungen befassten Bundesgerichtshof nichts an der Entscheidungserheblichkeit der von ihm für verfassungswidrig gehaltenen Regelung (vgl. dazu BVerfGE 24, 119 <133 f.>), welche eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur bei freiheitsentziehender Unterbringung nach § 1906 Abs. 3 BGB zulässt, die für die Betroffene ausgeschlossen war.

60

3. Die Vorlage ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass die Betroffene des Ausgangsverfahrens während des Vorlageverfahrens verstorben ist.

61

a) Führt ein Ereignis zur Erledigung des Ausgangsverfahrens, hat dies regelmäßig auch die Erledigung des Vorlageverfahrens zur Folge (vgl. BVerfGE 14, 140 <142>; 29, 325 <326 f.>). Denn Art. 100 Abs. 1 GG lässt ein Verfahren der konkreten Normenkontrolle nur zu, wenn es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift ankommt. Die konkrete Normenkontrolle dient der verfassungsgemäßen Entscheidung in einem bestimmten Gerichtsverfahren und ist insofern von dessen Existenz und Ziel abhängig (vgl. BVerfGE 42, 42 <49>).

62

Die Konzentration der Entscheidungsbefugnis über die Verfassungsmäßigkeit von Parlamentsgesetzen beim Bundesverfassungsgericht soll allerdings auch durch allgemein verbindliche Klärung verfassungsrechtlicher Grundsatzfragen divergierende Entscheidungen der Gerichte, Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung vermeiden (vgl. BVerfGE 1, 184 <199 f.>; 20, 350 <351>; 42, 42 <49 f.>). Es liegt in der Konsequenz dieser der Normenkontrolle auch zukommenden Bedeutung für die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung unter Berufung auf deren Befriedungsfunktion die verfassungsgerichtliche Kontrolle auf Normen erstreckt hat, die mit der vorgelegten in engem Zusammenhang stehen, für das Ausgangsverfahren aber nicht entscheidungserheblich sind (vgl. BVerfGE 27, 195 <200>; 44, 322 <337 f.>; 62, 354 <364>; 78, 132 <143>; 132, 302 <316>; 135, 1 <12>).

63

Diese objektive, auf Rechtsklärung und Befriedung ausgerichtete Funktion der Normenkontrolle kann es auch rechtfertigen, ausnahmsweise nach einem Ereignis, das - wie hier der Tod der Betroffenen im Ausgangsverfahren - regelmäßig zu dessen Erledigung führt, die vorgelegte Frage nach der Gültigkeit einer Norm gleichwohl zu beantworten, wenn ein hinreichend gewichtiges, grundsätzliches Klärungsbedürfnis fortbesteht. Für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde besteht das Rechtsschutzbedürfnis trotz eines erledigenden Ereignisses auch im Fall des Todes des Beschwerdeführers fort (vgl. BVerfGE 124, 300 <318 f.>; vgl. allgemein BVerfGE 81, 138 <140 f.>; 96, 288 <300>; 98, 218 <242 f.>; 119, 309 <317 f.>). Entsprechendes muss erst recht für die konkrete Normenkontrolle gelten, zumal wenn die Vorlage durch ein funktional in besonderer Weise der Rechtsklärung verpflichtetes oberstes Bundesgericht erfolgt. Die konkrete Normenkontrolle steht ungeachtet der engen Bindung an das Ausgangsverfahren mit ihrer Ausrichtung auf die verfassungsrechtliche Normprüfung von vornherein stärker im Dienste der objektiven Rechtsklärung als die eher dem subjektiven Rechtsschutz dienende Verfassungsbeschwerde. Unter welchen Voraussetzungen das Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses zu bejahen ist, hängt dabei letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 124, 300 <318>).

64

b) Trotz des Todes der Betroffenen des Ausgangsverfahrens besteht hier ein gewichtiges objektives Bedürfnis an der Klärung der vom Bundesgerichtshof vorgelegten Verfassungsrechtsfrage.

65

Ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass eine ärztliche Zwangsbehandlung nach geltendem Fachrecht bei Betreuten, die sich einer Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind und deshalb nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können, ausgeschlossen ist, ist nicht geklärt und eine Frage von wesentlicher grundrechtlicher Bedeutung. Sie betrifft auch nicht nur einen seltenen Einzelfall. Aus den beim Bundesverfassungsgericht in diesem Verfahren eingegangenen Stellungnahmen wird deutlich, dass sich die Frage einer medizinisch indizierten Behandlung gegen den natürlichen Willen in ihre Krankheit nicht einsichtsfähiger Betreuter, die stationär behandelt werden, aber nicht mehr mobil und damit nicht unterbringungsfähig sind, in der Praxis keineswegs selten stellt. Zudem weisen Fälle der vorgelegten Art das strukturelle Problem auf, dass eine verfassungsgerichtliche Entscheidung oft nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann. Jedenfalls bei schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankungen besteht stets die Gefahr, dass selbst bei größtmöglicher Verfahrensbeschleunigung die Vorlage eines Gerichts und die darauf ergehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu spät kommen. Außerdem erscheint es gegenüber den schon jetzt von der ungeklärten Verfassungsrechtsfrage Betroffenen nicht vertretbar, bis zu einer etwaigen neuen Vorlage zu warten, die dann wiederum dem Risiko ausgesetzt wäre, dass sie sich vor einer Entscheidung durch Tod des Betroffenen erledigt.

II.

66

Es verstößt gegen die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass für Betreute, die keinen freien Willen bilden können, eine medizinisch notwendige Behandlung - ungeachtet des Ausmaßes ihrer Gefährdung an Leib oder Leben einerseits und der Behandlungsrisiken andererseits - vollständig ausgeschlossen ist, wenn sie ihrem natürlichen Willen widerspricht, sie aber nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (1). Ob dies auch mit dem Gleichheitssatz unvereinbar ist, bedarf danach keiner Entscheidung (2).

67

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat, hilfsbedürftigen Menschen, die im Hinblick auf ihre Gesundheitssorge unter Betreuung stehen und bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren (a). Eine solche ärztliche Zwangsbehandlung ist auch mit den völkerrechtlichen Bindungen Deutschlands vereinbar (b). Es verstößt gegen die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass hilfsbedürftige Menschen, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt werden, sich aber nicht mehr aus eigener Kraft fortbewegen können, nach geltender Rechtslage nicht notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen behandelt werden dürfen (c). Die Situation der Betreuten in ambulanter Behandlung bedarf hier keiner Entscheidung (d).

68

a) Die grundrechtliche Verbürgung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) kann auch konkrete staatliche Schutzpflichten begründen (aa). Solche bestehen unter bestimmten Voraussetzungen für die staatliche Gemeinschaft gegenüber Betreuten, die einer ärztlichen Behandlung bedürfen, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme jedoch nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können (bb).

69

aa) Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in diese Rechtsgüter. Es stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründet. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 90, 145 <195>; 115, 320 <346>). Auch der Schutz vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit werden von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst (vgl. BVerfGE 56, 54 <78>; 121, 317 <356>).

70

Die aus den Grundrechten folgenden subjektiven Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe einerseits und die sich aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergebenden Schutzpflichten andererseits unterscheiden sich insofern grundlegend voneinander, als das Abwehrrecht in Zielsetzung und Inhalt ein bestimmtes staatliches Verhalten verbietet, während die Schutzpflicht grundsätzlich unbestimmt ist. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er dem Grunde nach verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen (vgl. BVerfGE 96, 56 <64>; 121, 317 <356>; 133, 59 <76 Rn. 45>). Das Bundesverfassungsgericht kann die Verletzung einer solchen Schutzpflicht nur feststellen, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfGE 56, 54 <80>; 77, 170 <215>; 92, 26 <46>; 125, 39 <78 f.>).

71

bb) Danach verdichtet sich bei Betreuten, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, die allgemeine Schutzpflicht unter engen Voraussetzungen zu einer konkreten Schutzpflicht. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber, ein System der Hilfe und des Schutzes für unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen, die in diesem Sinne die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr oder Bekämpfung erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln können. Ärztliche Untersuchungs- und Heilmaßnahmen müssen dann in gravierenden Fällen als ultima ratio auch unter Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens solcher Betreuter vorgenommen werden dürfen.

72

Diese Schutzpflicht resultiert aus der spezifischen Hilfsbedürftigkeit der nicht einsichtsfähigen Betreuten ((1)). Steht einer in Wahrnehmung dieser Schutzpflicht medizinisch gebotenen Behandlung der natürliche Wille einer nicht einsichtsfähigen Person entgegen, gerät diese Maßnahme allerdings in Konflikt mit ihrem Selbstbestimmungsrecht ((2)) und mit ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit ((3)). Dieser Konflikt zwischen den hier in ihrer Freiheits- und in ihrer Schutzdimension kollidierenden Grundrechten desselben Grundrechtsträgers ist möglichst schonend aufzulösen. Drohen Betreuten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen und überwiegen die Vorteile eines medizinischen Eingriffs eindeutig gegenüber den damit verbundenen Nachteilen und Risiken, geht jedoch die Schutzpflicht vor, so dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung oder Untersuchung auch gegen den natürlichen Willen der Betreuten vorsehen muss ((4)).

73

(1) Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschuldete verfassungsrechtliche Pflicht, unter eng begrenzten Voraussetzungen Schutzmaßnahmen bis hin zu medizinischen Zwangsbehandlungen für bestimmte unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen, folgt aus deren spezifischer Hilfsbedürftigkeit. Wenn sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, in eigener Sache die medizinische Notwendigkeit einer Untersuchung oder Heilmaßnahme zu erkennen oder danach zu handeln, sind sie insofern schutzlos und hilfsbedürftig, als sie Gefährdungen von Leib und Leben ausgeliefert sind, ohne selbst für ihren Schutz sorgen zu können (vgl. BVerfGE 58, 208 <225>; 128, 282 <304 ff.>). Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen.

74

(2) Jede Zwangsbehandlung greift allerdings in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Denn der Mensch ist nach dem Grundgesetz grundsätzlich frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. Diese Freiheit ist Ausdruck seiner persönlichen Autonomie und als solche auch durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt (im Ergebnis ebenso BVerfGE 128, 282<302>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 49> jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Seine Entscheidung, ob und inwieweit er eine Krankheit diagnostizieren und behandeln lässt, muss er nicht an einem Maßstab objektiver Vernünftigkeit ausrichten. Eine Pflicht des Staates, den Einzelnen "vor sich selbst in Schutz zu nehmen", eröffnet keine "Vernunfthoheit" staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein deshalb beiseitegesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint (vgl. BVerfGE 128, 282 <308>). Die Freiheitsgrundrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der in den Augen Dritter den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwider läuft. Daher ist es grundsätzlich Sache des Einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er sich therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen unterziehen will, auch wenn sie der Erhaltung oder Verbesserung seiner Gesundheit dienen. Die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt auch die "Freiheit zur Krankheit" und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <304> m.w.N.).

75

Sofern Betroffene mit freiem Willen über medizinische Maßnahmen zur Erhaltung oder Besserung der eigenen Gesundheit entscheiden können, besteht daher keine Schutz- und Hilfsbedürftigkeit. Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG tritt insoweit zurück. Eine medizinische Zwangsbehandlung gegen den freien Willen eines Menschen ist ausgeschlossen.

76

Können Betroffene keinen freien Willen in Bezug auf den Umgang mit einer Krankheit bilden, weil sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, die Notwendigkeit einer ärztlichen Maßnahme zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln (zu dieser Bedingung vgl. BVerfGE 128, 282 <304 f.> sowie § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB), bleibt ein etwa vorhandener natürlicher Wille in Bezug auf ihre Krankheit verfassungsrechtlich auch hier Ausdruck ihres durch das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit geschützten Selbstbestimmungsrechts, in das auch unter diesen Voraussetzungen im Falle einer Zwangsbehandlung eingegriffen wird. Allerdings kann der einer notwendigen ärztlichen Behandlung entgegenstehende natürliche Wille nichts an der besonderen Hilfs- und Schutzbedürftigkeit der Betroffenen ändern.

77

(3) Wird eine ärztliche Maßnahme nicht durch ein auf dem freien Willen der Betroffenen beruhendes Einverständnis gerechtfertigt, gerät sie im Falle der Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen auch in Konflikt mit dem Grundrecht der Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit (vgl. auch dazu bereits BVerfGE 128, 282 <300 f.>). Das gilt sowohl für diagnostische als auch für therapeutische Maßnahmen.

78

(4) Drohen dem in seine Krankheit nicht einsichtsfähigen Betreuten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen und führt die Abwägung seiner Heilungschancen mit seinen Belastungen durch die ärztlichen Maßnahmen zu einem eindeutigen Ergebnis, so überwindet die Schutzpflicht des Staates die entgegenstehenden Freiheitsrechte. Hier obliegt es dem Staat, die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung auch gegen den natürlichen Willen der Betreuten zu eröffnen. Dabei müssen strenge materielle und verfahrensrechtliche Anforderungen an eine solche Zwangsbehandlung die möglichst weitgehende Berücksichtigung der betroffenen Freiheitsrechte sicherstellen.

79

(a) Verlangt die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein medizinisches Tätigwerden gegen den natürlichen Willen der Betreuten, kollidiert dies mit ihrem Selbstbestimmungsrecht und ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die Schutzpflicht entfällt hier jedoch nicht schon deshalb, weil sie nicht gegen drohende Grundrechtsverletzungen durch Dritte gerichtet ist, sondern darauf fußende Maßnahmen in Konflikt mit gegenläufigen eigenen Grundrechten der Betroffenen stehen. Die Schutzpflicht hat im Falle der Betreuten ihren Grund nicht in der Pflicht des Staates zur Abwehr fremder Angriffe auf deren Grundrechtspositionen, sondern in dem gesteigerten Schutzbedarf der Betreuten, sofern diese nicht zur Einsicht in die konkrete Notwendigkeit einer medizinischen Maßnahme fähig sind und darum Gefährdungen von Leib und Leben ausgeliefert wären, ohne in Freiheit selbst für den eigenen Schutz sorgen zu können. Während der zur Einsicht in Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit fähige Mensch selbst entscheidet, ob er sich ärztlichen Maßnahmen zur Abwendung schwerwiegender Gesundheits- und Lebensgefahren unterzieht, gebietet im Falle derjenigen, die keine Einsicht in die gesundheitliche Bedrohung und Behandlungsbedürftigkeit haben oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, die grundrechtliche Schutzpflicht unter engen Voraussetzungen, dass der Staat auch gegen den erkennbaren natürlichen Willen Maßnahmen zum Schutz vor schwerwiegenden Gefährdungen ergreift.

80

(b) Der Gesetzgeber muss für Fälle, in denen drohende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich einer Lebensgefahr durch nicht zu eingriffsintensive Behandlungen mit hohen Erfolgsaussichten abgewehrt werden können, die Betroffenen aber aufgrund ihrer krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit mit ihrem natürlichen Willen eine solche Behandlung ablehnen, die Möglichkeit einer medizinischen Zwangsbehandlung vorsehen. Die staatliche Schutzpflicht hat hat bei erheblicher Gesundheitsgefährdung einer zum eigenen Schutz selbst nicht fähigen Person besonderes Gewicht. Gehen mit der zur Abwehr der Gefahr notwendigen medizinischen Maßnahme keine besonderen Behandlungsrisiken einher und gibt es auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass gerade die Behandlungsverweigerung dem ursprünglichen freien Willen der Betreuten entspricht, ist das Ergebnis der Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten offensichtlich vorgezeichnet. Die staatliche Schutzpflicht gegenüber den Hilflosen überwiegt dann im Verhältnis zu deren Selbstbestimmungsrecht und ihrer körperlichen Integrität und setzt sich durch.

81

Bei der Umsetzung dieser Schutzpflicht verfügt der Gesetzgeber über einen Spielraum zur näheren Ausgestaltung der einzelnen Bedingungen konkreter Schutzmaßnahmen. Ein Spielraum bleibt dem Gesetzgeber insbesondere bei der Ausgestaltung der materiellen Voraussetzungen einer Heilbehandlung und der Verfahrensregeln zur Sicherung der Selbstbestimmung und körperlichen Integrität der Betroffenen. Dieser Spielraum betrifft bei bestehender Schutzpflicht indessen nur die Frage wie, nicht aber ob überhaupt verbindliche Regeln für die ärztliche Behandlung in ihrer Gesundheitssorge Betreuter vorzusehen sind.

82

(c) Weil sich in den beschriebenen Fällen einer konkreten Schutzpflicht diese im Ergebnis gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht und der körperlichen Integrität der Betroffenen durchsetzt, ist der Gesetzgeber im Interesse einer möglichst weitgehenden Rücksichtnahme auf die zurücktretenden Freiheitsrechte der Betroffenen gehalten, inhaltlich anspruchsvolle und hinreichend bestimmt formulierte materielle und begleitende verfahrensrechtliche Voraussetzungen für eine medizinische Zwangsbehandlung zu normieren (so bereits für die Rechtfertigung der Zwangsbehandlung als Eingriff BVerfGE 128, 282 <308 ff.>). Dabei hat der Gesetzgeber insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es nicht um die Sicherstellung medizinischen Schutzes nach Maßstäben objektiver Vernünftigkeit geht; vielmehr ist der freie Wille der Betreuten zu respektieren. Dies gilt auch, soweit der freie Wille anhand von Indizien - insbesondere unter Rückgriff auf frühere Äußerungen oder etwa aufgrund der Qualität des geäußerten natürlichen Willens - ermittelbar ist. Nur wo dies nicht möglich ist, kann als letztes Mittel ein krankheitsbedingt entgegenstehender natürlicher Wille überwunden werden.

83

(d) Die materiellen Voraussetzungen einer durch die Schutzpflicht gebotenen Regelung zur medizinischen Zwangsbehandlung haben zu gewährleisten, dass eine solche bei offensichtlicher Eindeutigkeit des Abwägungsergebnisses der genannten Parameter (drohende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen, nicht zu eingriffsintensive Behandlung, hohe Erfolgsaussichten) erfolgen darf (vgl. dazu den im Nachgang zu BVerfGE 128, 282 geschaffenen § 1906 Abs. 3 BGB und dort insbes. die Nrn. 3 und 5). Da angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Kombinationen von Erkrankungen und Behandlungsoptionen die Entscheidungsvorgaben auf Gesetzesebene nicht alle Fallgestaltungen einer medizinischen Zwangsbehandlung im Einzelnen abbilden können und dabei auch noch nach Anlass- und Begleiterkrankung zu differenzieren sein mag, ist die Evidenz des Abwägungsergebnisses vor allem auf der Anwendungsebene im Einzelfall zu suchen. Dies kann unter anderem eine abgestuft intensive Berücksichtigung des natürlichen Willens eines Betreuten verlangen, je nachdem wie nahe er auch nach der gebotenen Unterstützung einem freien (oder dem zu vermutenden freien) Willen der Betreuten kommt.

84

(e) Der Gesetzgeber hat zudem ausreichende verfahrensrechtliche Sicherungen für die Genehmigung einer medizinischen Zwangsbehandlung vorzusehen. Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 zur medizinischen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (BVerfGE 128, 282 <309 ff.>) aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abgeleiteten Verfahrensanforderungen gelten in gleicher Weise für die Behandlung von in ihre Krankheit nicht einsichtsfähigen Betreuten. Dass die ärztliche Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug ihre Rechtfertigung wesentlich auch in der Wiedererlangung der persönlichen Freiheit findet (vgl. BVerfGE 128, 282 <304>), bei Betreuten hingegen die Schutzpflicht unmittelbar auf die Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Gesundheit zielt, ändert nichts an der Notwendigkeit gleichartiger verfahrensrechtlicher Sicherungen. Danach muss durch geeignete verfahrensrechtliche Regeln gewährleistet sein, dass eine medizinische Zwangsbehandlung nur vorgenommen werden darf, wenn fest steht, dass tatsächlich kein freier Wille der Betreuten vorhanden ist, dem gleichwohl vorhandenen natürlichen Willen nach Möglichkeit Rechnung getragen wird und dass die materiellen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung nachweisbar vorliegen.

85

Bei der Ausgestaltung dieser Verfahrenssicherungen hat der Gesetzgeber Gestaltungsspielraum, von dem er in der geltenden Fassung der § 1906 BGB, §§ 312 ff. FamFG im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 (a.a.O.) Gebrauch gemacht hat. Zu den notwendigen Verfahrenssicherungen gehören die Anordnung und Überwachung der Maßnahme durch Ärzte, ihre vorherige Ankündigung, die Einbeziehung von - auch von den behandelnden Ärzten - unabhängigen Sachverständigen, der Genehmigungsvorbehalt durch einen Richter und auch die Dokumentationspflicht (vgl. BVerfGE 128, 282 <311 ff.>).

86

Der vom Grundgesetz geforderte Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung der Einzelnen verlangt vom Gesetzgeber auch bei Menschen, die im Hinblick auf ihre Gesundheitssorge unter Betreuung stehen, durch entsprechende Regelungen sicherzustellen, dass vor konkreten Untersuchungen des Gesundheitszustands, vor Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen stets aktuell festgestellt wird, ob nicht eine hinreichende Einsichts- und Handlungsfähigkeit der Betroffenen im Hinblick auf diese Maßnahmen besteht, so dass sie hierfür einen freien und damit maßgeblichen Willen bilden können. Dabei können, wie es das Gesetz auch jetzt schon vorsieht (vgl. § 1901a Abs. 1 und 2 BGB), eine Patientenverfügung oder früher geäußerte Behandlungswünsche für die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation maßgeblich sein. Im Hinblick auf den entgegenstehenden natürlichen Willen der nicht einsichtsfähigen Betreuten ist außerdem zunächst zu versuchen, die Betreuten von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der vorgesehenen Zwangsbehandlung zu überzeugen (vgl. bereits § 1906 Abs. 3 Nr. 2 BGB), bevor als letztes Mittel zu einer Zwangsbehandlung geschritten werden darf.

87

b) Völkerrechtliche Bindungen stehen der Pflicht des Staates, dem eines freien Willens nicht fähigen Betreuten in hilfloser Lage Schutz zu gewähren und ihn unter den genannten Voraussetzungen (oben a bb, Rn. 71 ff.) notfalls einer medizinischen Zwangsbehandlung zu unterziehen, nicht entgegen.

88

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2011 entschieden, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die in Deutschland Gesetzeskraft hat (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl II S. 1419) und als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>), kein anderes Ergebnis nahe legt (vgl. BVerfGE 128, 282 <306 f.>). Es hat den Konventionsbestimmungen, die auf Sicherung und Stärkung der Autonomie behinderter Menschen gerichtet sind - insbesondere dem Art. 12 BRK - kein grundsätzliches Verbot für Maßnahmen entnommen, die gegen den natürlichen Willen Behinderter vorgenommen werden und an eine krankheitsbedingt eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit anknüpfen. Denn der Regelungszusammenhang des Art. 12 Abs. 4 BRK, der sich gerade auf Maßnahmen bezieht, die Betroffene in der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit beschränken, belegt, dass die Konvention solche Maßnahmen nicht allgemein untersagt, sondern ihre Zulässigkeit unter anderem dadurch beschränkt, dass Art. 12 Abs. 4 BRK die Vertragsstaaten zu geeigneten Sicherungen gegen Interessenkonflikte, Missbrauch und Missachtung sowie zur Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet (vgl. BVerfGE 128, 282 <307>).

89

Die zwischenzeitlichen Berichte (Art. 39 BRK), Leitlinien (Art. 35 Abs. 3 BRK) und Empfehlungen (Art. 36 Abs. 1 BRK) des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach Art. 34 BRK zur Auslegung der Konventionsbestimmungen und insbesondere zur Rechtslage in Deutschland führen zu keiner abweichenden Beurteilung.

90

Den Äußerungen des für die Abgabe solcher Stellungnahmen zuständigen Ausschusses zur Auslegung eines Menschenrechtsabkommens kommt erhebliches Gewicht zu, sie sind aber für internationale und nationale Gerichte nicht völkerrechtlich verbindlich (vgl. IGH, Ahmadou Sadio Diallo [Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo]), I.C.J. Reports 2010, S. 639, <663-664>, para. 66; Supreme Court of Ireland, Kavanagh v. Governor of Mountjoy Prison and the Attorney General, Urteil vom 1. März 2002, S. 14 f.; Tribunal Constitucional [Spanien], STC 070/2002, recurso de amparo núm. 3787-2001, Urteil vom 3. April 2002, II. para. 7 a); Conseil d'État [Frankreich], Juge des référés vom 11. Oktober 2001, No. 238849, ECLI:FR:CEORD:2001:238849.20011011, S. 4; für die Auffassungen unter dem Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte weitergehend Human Rights Committee, General Comment No 33, UN Doc. CCPR/C/GC/33 vom 5. November 2008, Nr. 13). Eine Kompetenz zur Fortentwicklung internationaler Abkommen über Vereinbarungen und die Praxis der Vertragsstaaten hinaus kommt diesen Ausschüssen nicht zu (vgl. Art. 31 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, UNTS 1155, 331 <340>, BGBl II 1985 S. 926, der Völkergewohnheitsrecht wiedergibt; vgl. IGH, LaGrand [Germany v. USA], I.C.J. Reports 2001, S. 466 <501> para. 99; dazu BVerfGE 90, 286 <362 ff.>; Mark Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, 2009, Art. 31 Rn. 37 m.w.N.). Es kann dahingestellt bleiben, ob die zu anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen ergangenen Aussagen für alle Stellungnahmen des Ausschusses für die Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung in gleicher Weise gelten. Jedenfalls ist dem Ausschuss in den Art. 34 ff. BRK kein Mandat zur verbindlichen Interpretation des Vertragstextes übertragen worden. Bei der Vertragsauslegung sollte sich ein nationales Gericht aber mit den Auffassungen eines zuständigen internationalen Vertragsorgans in gutem Glauben argumentativ auseinandersetzen; es muss sie aber nicht übernehmen (vgl. - allerdings für Entscheidungen internationaler Ge- richte - BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <366 ff., 370>; stRspr; Christian Tomuschat, Human Rights Committee, The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. IV, 2012, S. 1058 <1061> Rn. 14).

91

Auch in der Sache stehen die Stellungnahmen des Ausschusses der nach deutschem Verfassungsrecht notfalls gebotenen ärztlichen Zwangsbehandlung nicht entgegen. Soweit der Ausschuss in seinen Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands vom 13. Mai 2015 (UN Doc. CRPD/C/DEU/CO/1) allgemein die Regelungen des Betreuungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch beanstandet und unter Verweisung auf seinen Allgemeinen Kommentar Nr. 1 (2014) (UN Doc. CRPD/C/GC/1 vom 19. Mai 2014) zu Art. 12 BRK fordert, alle ersetzenden Entscheidungen abzuschaffen und ein System der unterstützenden Entscheidung an ihre Stelle treten zu lassen (ebenda Nr. 25 f.), bleibt seine Kritik im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Fälle medizinischer Zwangsbehandlung unspezifisch. Insbesondere verhält sie sich nicht zu der im vorgelegten Fall maßgeblichen Frage eines gänzlich fehlenden freien Willens des Behinderten in einer medizinischen Notsituation. Entsprechendes gilt für die Leitlinien des Ausschusses zur Auslegung des Art. 14 BRK vom September 2015 (abrufbar unter: http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/CRPD/GC/Guidelines Article14.doc, zuletzt aufgerufen am 4. Juli 2016). In ihnen betont der Ausschuss, dass bei Menschen mit Behinderungen keine Maßnahme der Gesundheitsversorgung vorgenommen werden darf, wenn sie nicht auf dem freien und informierten Einverständnis der betroffenen Person beruht (ebenda Nr. 11). Der Ausschuss fordert die Staaten deshalb auf, jede Form der Zwangsbehandlung aufzugeben (ebenda Nr. 12). Auch hier gibt der Ausschuss keine Antwort auf die Frage, was nach seinem Verständnis des Vertragstextes mit Menschen geschehen soll, die keinen freien Willen bilden können und sich in hilfloser Lage befinden. Es spricht auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Ausschusses nichts dafür, dass diese Menschen nach Text und Geist der Behindertenrechtskonvention ihrem Schicksal überlassen werden sollten und die Konvention auch unter den hier von Verfassungs wegen geforderten strengen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung entgegen steht, zumal auch nach den vorstehend dargelegten Forderungen des Verfassungsrechts und den geltenden Regeln des Betreuungsrechts das nationale Recht in Übereinstimmung mit der Behindertenrechtskonvention dem Grundsatz des Vorrangs des - gegebenenfalls unterstützten - Willens des Behinderten folgt.

92

bb) Die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Pflicht des Staates, den eines freien Willens nicht fähigen Betreuten in hilfloser Lage Schutz zu gewähren und sie unter den genannten Voraussetzungen (oben a bb, Rn. 71 ff.) notfalls einer medizinischen Zwangsbehandlung zu unterziehen, steht auch im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

93

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt sich aus Art. 8 EMRK ein Recht, sein Leben so zu leben, wie man es selbst bestimmt hat. Das schließt auch die Möglichkeit ein, Dinge zu tun, die körperlich schädlich oder gefährlich sind. Die ärztliche Behandlung gegen den Willen von erwachsenen Patienten, die im Besitz ihrer geistigen Kräfte sind, würde selbst dann in die körperliche Integrität eingreifen und damit in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte, wenn die Ablehnung der Behandlung den Tod zur Folge hätte (vgl. EGMR (GK), Lambert v. France, Urteil vom 5. Juni 2015, Nr. 46043/14, § 120 ff.; EGMR, Pretty v. United Kingdom, Urteil vom 29. April 2002, Nr. 2346/02, § 62 f.). Dabei besitzen die Staaten aber einen Einschätzungsspielraum ("margin of appreciation", EGMR (GK), Lambert v. France, Urteil vom 5. Juni 2015, Nr. 46043/14, § 148).

94

Voraussetzung dafür, dass Staat und Gesellschaft auch eine nach objektiven Maßstäben unvernünftige und eventuell zum Tod führende Entscheidung akzeptieren müssen, ist danach jedoch stets, dass diese auf dem Willen einer erwachsenen Person beruht, die im Besitz ihrer geistigen Kräfte ist. Trifft eine Person aber die Entscheidung nicht freien Willens und bei vollem Verständnis der Umstände, nimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine aus Art. 2 EMRK abgeleitete Verpflichtung des Staates an, diese Person davon abzuhalten, ihr Leben zu riskieren (vgl. EGMR (GK), Lambert v. France, Urteil vom 5. Juni 2015, Nr. 46043/14, § 140; EGMR, Haas v. Switzerland, Urteil vom 20. Januar 2011, Nr. 31322/07, § 54; EGMR, Arskaya v. Ukraine, Urteil vom 5. Dezember 2013, Nr. 45076/05, § 69 f.). Lehnt ein Patient eine medizinisch indizierte Behandlung ab, mit der Folge, dass sein Leben dadurch gefährdet wird, hält der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat für verpflichtet, hinreichende Vorkehrungen zu treffen, damit die behandelnden Ärzte beim Vorliegen von Indizien, die auf einen fehlenden freien Willen hindeuten, die Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Person weiter aufklären (vgl. EGMR, Arskaya v. Ukraine, Urteil vom 5. Dezember 2013, Nr. 45076/05, §§ 62, 69, 70, 88).

95

Ein Widerspruch der Europäischen Menschenrechtskonvention zu dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unter den dargelegten Bedingungen folgenden Gebot einer medizinischen Zwangsbehandlung hilfsbedürftiger Betreuter (oben a bb, Rn. 71 ff.) kann Art. 2, 8 EMRK in der Auslegung durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof danach nicht entnommen werden.

96

c) Hiernach verstößt es gegen die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass nach geltendem Betreuungsrecht für nicht einsichtsfähige Betreute, denen aufgrund einer Erkrankung eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung droht und die mit guten Erfolgsaussichten durch eine Maßnahme behandelt werden können, die mit verhältnismäßig geringen Belastungen einhergeht, keine Möglichkeit besteht, sie notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen zu behandeln, wenn sie sich in stationärer Behandlung befinden, aber aus eigener Kraft der notwendigen Behandlung nicht entziehen und deshalb nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können.

97

Das Betreuungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht eine ärztliche Zwangsbehandlung nur für solche Betreute vor, die nach § 1906 Abs. 1 BGB geschlossen untergebracht sind (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB). Der Bundesgerichtshof hat in dem Vorlagebeschluss unter Rückgriff auf seine Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 Rn. 22 ff.>) und auf die damit und mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts korrespondierende Gesetzgebungsgeschichte (BTDrucks 17/11513, S. 1 ff. <6>; BTDrucks 17/12086, S. 1) im Einzelnen dargelegt, dass der Gesetzgeber in § 1906 BGB eine Rechtsgrundlage für medizinische Zwangsbehandlungen nur für geschlossen untergebrachte Betreute schaffen wollte und dies in § 1906 BGB eindeutig zum Ausdruck gebracht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 -, Vorlagebeschluss, juris, Rn. 19 ff.). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Fachrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht insoweit anders zu deuten ist (zur Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des einfachen Rechts im Normenkontrollverfahren vgl. BVerfGE 135, 1 <16 Rn. 48>). Auch an den Voraussetzungen für eine freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB für die medizinische Zwangsbehandlung hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum strengen Unterbringungsbegriff festgehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 -, Vorlagebeschluss, juris, Rn. 19 ff.; BTDrucks 17/11513, S. 1 ff. <6>). Damit ist einer - auch verfassungskonformen - Auslegung des § 1906 BGB der Weg versperrt, die eine medizinische Zwangsbehandlung auch ohne freiheitsentziehende Unterbringung zuließe oder eine solche Unterbringung erlaubte, ohne dass sie ihrerseits durch den Willen und die Fähigkeit des Betreuten, sich räumlich zu entfernen, zwingend geboten wäre.

98

In stationärer Behandlung befindliche Betreute, die - wie die Betroffene des Ausgangsverfahrens - faktisch nicht in der Lage sind, sich räumlich zu entfernen, können danach nicht nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB freiheitsentziehend untergebracht und deshalb auch nicht nach § 1906 Abs. 3 BGB zwangsbehandelt werden. Damit wird solchen Betreuten, selbst wenn in ihrer Person sämtliche materiellen Voraussetzungen einer verfassungsgebotenen Schutzpflicht zweifelsfrei vorlägen und die verfahrensrechtlichen Anforderungen eingehalten werden könnten, nicht der nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Schutz zuteil. Insoweit genügt die Rechtslage für Betreute nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

99

Zu dieser Feststellung bedarf es hier nicht der Prüfung, ob § 1906 BGB insgesamt den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Auf eine solche Vollprüfung des § 1906 BGB ist die Vorlage nicht angelegt; dementsprechend ist die Tatsachen- und Rechtslage insoweit auch nicht durch das Vorlagegericht aufgearbeitet, ohne dass dies aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstanden wäre.

100

d) Keiner Entscheidung bedarf schließlich, ob die Rechtslage auch insofern der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht genügt, als § 1906 BGB mit der Beschränkung der ärztlichen Zwangsbehandlung auf freiheitsentziehend Untergebrachte nicht nur die stationär Behandelten, sondern - aufgrund bewusster gesetzgeberischer Entscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 -, Vorlagebeschluss, juris, Rn. 53 ff.; BTDrucks 15/4874, S. 8 <25 f.>; Protokoll der 105. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 17. Wahlperiode, 10. Dezember 2012; vgl. auch BTPlenarprot 15/158, S. 14826 f.) - auch alle anderen Betreuten in ambulanter Behandlung von dieser Möglichkeit ausschließt. Der Ausschluss dieser Gruppe ist nicht Gegenstand der Vorlage. Die Vorlage kann auch nicht ohne weiteres darauf erstreckt werden (zu dieser Möglichkeit vgl. BVerfGE 135, 1 <12 Rn. 33 f.>), weil die Nichtberücksichtigung der Betreuten in ambulanter Behandlung bei der Möglichkeit der ärztlichen Zwangsbehandlung auf Sachgründen beruht, deren Tragfähigkeit nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist (vgl. insbesondere Protokoll der 105. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 17. Wahlperiode, 10. Dezember 2012; vgl. auch BTPlenarprot 15/158, S. 14826 ff.). Außerdem werden ambulant Betreute in schwerwiegenden Fällen letztlich nicht schutzlos gelassen, weil sie nach einer Unterbringung bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB dann doch einer Zwangsbehandlung unterzogen werden können. Damit führt diese Konstellation auf eine Reihe zusätzlicher verfassungsrechtlicher Fragen, die gegen eine schlichte Erstreckung der Normenkontrolle hierauf über die Vorlagefrage hinaus sprechen.

101

2. Es kann offen bleiben, ob, worauf der Bundesgerichtshof seine Vorlage stützt, auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin liegt, dass Betreuten, die sich in stationärer Behandlung befinden und sich aus eigener Kraft nicht mehr räumlich entfernen können, die Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsbehandlung verschlossen bleibt. Da sich die Gesetzeslage schon deshalb als verfassungswidrig erweist, weil § 1906 Abs. 3 BGB eine ärztliche Zwangsbehandlung bei solchen Betreuten, die nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können, völlig ausschließt und damit jedenfalls eine Gruppe keiner freien Willensbildung fähiger, hilfsbedürftiger Betreuter entgegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schutzlos lässt, selbst wenn bei ihnen die Abwägung zwischen erforderlicher ärztlicher Behandlung und dabei drohenden Nachteilen eindeutig ausfällt und deshalb eine konkrete staatliche Schutzpflicht besteht, können die sich im Zusammenhang mit Art. 3 GG stellenden Fragen hier offen bleiben. Dies gilt auch für die Frage, ob das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt ist, da dieses hier jedenfalls nicht mehr fordert als die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

C.

102

Nach § 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG erklärt das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nichtig, von dem es zur Überzeugung gelangt ist, dass es mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Es befindet ein Gesetz allerdings regelmäßig lediglich für verfassungswidrig bei der Verletzung des Gleichheitssatzes (vgl. dazu BVerfGE 133, 59 <99>; 138, 136 <249 Rn. 286>; stRspr) oder in Fällen, in denen die Rechtslage ohne die Norm noch weniger mit der Verfassung vereinbar wäre als im Falle ihrer befristeten Weitergeltung (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 92, 53 <73>; 111, 191 <224>; 117, 163 <201>; 127, 293 <333>; 133, 241 <260 Rn. 51>). Da hier kein Verstoß des vorgelegten § 1906 Abs. 3 BGB in seinem derzeitigen Regelungsgehalt gegen das Grundgesetz festgestellt wird, sondern die Nichterfüllung einer konkreten Schutzpflicht des Gesetzgebers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für eine bestimmte Personengruppe, genügt es festzustellen, dass dieses Defizit verfassungswidrig ist. Der Feststellung eines Verfassungsverstoßes durch § 1906 Abs. 3 BGB bedarf es daneben nicht. Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob er die Schutzlücke durch Einbeziehung der betroffenen Personengruppe in den § 1906 Abs. 3 BGB unter Verzicht auf eine freiheitsentziehende Unterbringung oder außerhalb dieser Norm gesondert behebt.

103

Der Gesetzgeber hat die festgestellte Schutzlücke für Betreute, die bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, und deshalb notfalls auch auf Schutz durch ärztliche Versorgung gegen ihren natürlichen Willen angewiesen sind, unverzüglich zu schließen. Mit Rücksicht darauf, dass - wie gerade der Vorlagefall zeigt - die geltende Rechtslage auch bei drohenden gravierenden oder gar lebensbedrohenden Gesundheitsschäden dieser Personengruppe die Möglichkeit einer Behandlung gänzlich versagt, ist die vorübergehende entsprechende Anwendung des § 1906 Abs. 3 BGB auf diese Gruppe der immobilen Betreuten bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung anzuordnen.

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BESCHLUSS
XII ZB 69/00
vom
11. Oktober 2000
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Die gegen den Willen eines Betreuten in regelmäßigen, hier zweiwöchentlichen,
Zeitabständen durchzuführende Dauermedikation mit Neuroleptika und die zwangsweise
Zuführung des Betreuten zu dieser - jeweils kurzfristigen - Behandlung stellen
keine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung oder unterbringungsähnliche
Maßnahme dar und sind nicht nach § 1906 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 Nr. 2 oder
§ 1906 Abs. 4 BGB genehmigungsfähig.
BGH, Beschluß vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 - OLG Hamm
LG Bielefeld
AG Bielefeld
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2000 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Krohn, Gerber, Sprick
und Weber-Monecke

beschlossen:
Auf die weitere Beschwerde des Betroffenen werden der Beschluß der 25. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 27. Januar 2000 und der Beschluß des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Bielefeld vom 12. Januar 2000 aufgehoben. Der Antrag des Betreuers vom 13. Dezember 1999 wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die Auslagen des Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

I.

1. Bei dem am 10. März 1964 geborenen Betroffenen wurde 1986 eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis festgestellt, deren Verlauf in den folgenden Jahren chronisch wurde. Nach mehreren - teilweise freiwilligen - stationären Behandlungen in der psychiatrischen Klinik ordnete das Amtsgericht 1989 für den Betroffenen eine Pflegschaft mit den Wirkungskreisen "Bestimmung des Aufenthalts" und "Besorgung der Vermögensangelegenheiten"
an. Die Pflegschaft wurde 1990 auf die "Einwilligung in die Behandlung mit Psychopharmaka" erweitert und später in eine Betreuung mit gleichem Wirkungskreis übergeleitet. Seit 1989 sind in mindestens 24 Fällen Genehmigungen für die geschlossene Unterbringung des Betroffenen zur stationären psychiatrischen Behandlung erteilt worden, die teilweise mehrere Wochen oder Monate andauerte. Mehrfach wurde der Betroffene auch auf der Grundlage des PsychKG untergebracht. Der Betroffene lehnt die von den Fachärzten für erforderlich gehaltene Dauermedikation mit Neuroleptika ab. Da er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus die Medikamente nicht einnahm, kam es regelmäßig in gewissen Abständen zu einem akuten Schub seiner psychischen Erkrankung. Dies machte jeweils eine erneute geschlossene Unterbringung erforderlich. Anfang 1999 wurde, befristet bis zum 31. Dezember 1999, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erteilt, den Betroffenen in zweiwöchigen Abständen für die Verabreichung einer Depotspritze kurzfristig geschlossen unterzubringen und bei seiner Zuführung in die Klinik durch die mitwirkende Behörde Gewalt anwenden zu lassen. Unter dem 13. Dezember 1999 beantragte der Betreuer - erneut - die Genehmigung "zur zwangsweisen Vorführung" des Betroffenen "zur Medikation und gegebenenfalls zur zeitweisen Unterbringung im Rahmen der Zwangsmedikation in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik gemäß § 1906 BGB." Auf diesen Antrag erteilte das Amtsgericht mit Beschluß vom 12. Januar 2000 erneut, befristet bis zum 31. Dezember 2000, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, den Betroffenen in zweiwöchigen Abständen zum Zwecke der Verabreichung seiner Medikation für die nach ärztlicher Anordnung unabdingbare Dauer geschlossen unterzubringen; die zuständige Behörde dürfe bei der Zuführung zur Unterbringung Gewalt anwenden. Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen
diesen Beschluß zurück. Dagegen wendet sich der Verfahrenspfleger mit der weiteren sofortigen Beschwerde im Namen des Betroffenen, weil dieser durch die Nebenwirkungen des Neuroleptikums schwerwiegend beeinträchtigt werde. 2. Das Oberlandesgericht hat die Sache gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (Beschluß veröffentlicht in FamRZ 2000, 1115 ff.). Es möchte von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. November 1999 (FamRZ 2000, 1114) abweichen. Dieses hält die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einer ärztlicherseits zur Vermeidung einer Unterbringung für erforderlich gehaltenen regelmäßigen ambulanten Medikation des Betroffenen mit einem Depotneuroleptikum weder nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 noch nach § 1906 Abs. 4 BGB für möglich. Eine ambulante Dauertherapie mit Depot-Spritzen könne - unabhängig davon, ob sie in einer psychiatrischen Klinik, im Krankenhaus, in einer Arztpraxis oder am Aufenthaltsort des Betroffenen durchgeführt werde - nicht zwangsweise gegen dessen Willen durchgesetzt werden. Demgegenüber hält das vorlegende Oberlandesgericht eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eines kurzfristigen auf das unaufschiebbar notwendige Maß beschränkten Klinikaufenthalts zum Zwecke der zwangsweisen medikamentösen Therapie nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB für möglich, sofern sich die Maßnahme als graduell geringerer Eingriff gegenüber einer sonst erforderlichen freiheitsentziehenden Maßnahme darstelle und einen erzwungenen Aufenthalt des Betroffenen in einer Einrichtung decke, in der auch eine freiheitsentziehende Maßnahme vollzogen werden könnte. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei der kurze Aufenthalt in der Klinik gegenüber einer nach § 1906 Abs. 1 BGB zulässigen längerfristigen stationären Unterbringung nur ein graduell geringerer Eingriff, der als milderes Mittel genehmigungsfähig sei. Zur Durchführung dieser den Betroffenen weniger als eine Unterbringung belastenden Maßnahme sei die
Gestattung von Gewalt zur Zuführung des Betroffenen in die Klinik nach § 70 g Abs. 5 Satz 2 FGG gerechtfertigt. Dagegen sei eine Zwangsbehandlung bei niedergelassenen Ä rzten nicht genehmigungsfähig, da diese sich nicht nur graduell von einer Unterbringung unterscheide, sondern eine andere Maßnahme darstelle.

II.

Die Vorlage ist gemäß § 28 Abs. 2 FGG zulässig. 1. Für die Zulässigkeit ist erforderlich, daß es vom Rechtsstandpunkt des vorlegenden Gerichts aus auf die streitige Rechtsfrage für die Entscheidung ankommt. Aus dem Vorlagebeschluß muß sich ergeben, daß das vorlegende Gericht bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einer anderen Fallentscheidung gelangen würde (Senatsbeschlüsse BGHZ 82, 34, 36 f.; 133, 384, 386). Das Oberlandesgericht hat dargelegt, daß es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung die Sache zur weiteren Aufklärung und erneuten Prüfung der Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB an das Amtsgericht zurückgeben müsse. Demgegenüber müsse es die nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom Amtsgericht erteilte Genehmigung abschließend aufheben, wenn es der rechtlichen Beurteilung des Oberlandesgerichts Zweibrücken folge. Auch wenn das Oberlandesgericht es hat dahinstehen lassen, ob neben einer endgültigen Aufhebung noch eine Zurückverweisung an das Amtsgericht im Hinblick auf eine eventuell zu erteilende Genehmigung nach § 1904 BGB in Betracht käme, läßt dies die Zulässigkeit der Vorlage nicht entfallen. Denn auch im Falle einer Zurückverweisung ist die Vorinstanz an die tragende rechtliche Beurteilung durch das Beschwerdegericht gebunden (BGHZ 15, 122, 124;
in Keidel/Kahl, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl. 1999 § 27 Rdn. 69). Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen hätten daher Entscheidungen unterschiedlicher Tragweite zur Folge, was für die Annahme einer Divergenz ausreicht (Senatsbeschluß BGHZ 82 aaO S. 37). 2. Der Beschluß des Oberlandesgerichts Zweibrücken beruht auch auf der Rechtsauffassung, von der das vorlegende Oberlandesgericht abweichen will. Dem Beschluß sind zwar keine Feststellungen dazu zu entnehmen, ob die Behandlung in einem allgemeinen oder in einem psychiatrischen Krankenhaus mit geschlossener Abteilung vorgenommen werden sollte. Aus der Begründung des Beschlusses ergibt sich aber, daß das Oberlandesgericht Zweibrücken unabhängig vom Ort der Behandlung eine ambulante Maßnahme nicht als Unterbringung , als unterbringungsähnliche Maßnahme oder als “geringeren Eingriff” gegenüber einer Unterbringung ansieht, sondern dafür einen stationären Aufenthalt für erforderlich hält (aaO S. 1114). Auf der Grundlage dieser Auffassung bedurfte es jedoch keiner näheren Feststellungen zum Behandlungsort.

III.

Die zulässige weitere (sofortige) Beschwerde ist begründet. Die regelmäßige ambulante Verabreichung einer Depotspritze mit einem Neuroleptikum und der damit verbundene kurzfristige Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik, dem der Betroffene notfalls unter Anwendung von Zwang zugeführt werden soll, ist nicht genehmigungsfähig. 1. Die vom Betreuer beabsichtigte Maßnahme ist keine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB.

a) Diese Vorschrift geht von einem engen Unterbringungsbegriff aus (Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige - Betreuungsgesetz, BTG -, BT-Drucks. 11/4528, S. 145 f.; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl. 1999 § 1906 BGB Rdn. 43; Marschner in Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994 § 1906 BGB Rdn. 1). Eine freiheitsentziehende Unterbringung in diesem Sinn ist gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird (Damrau in Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht , 2. Aufl. 1995 § 1906 BGB Rdn. 1; Marschner in Jürgens /Kröger/Marschner/Winterstein, Das neue Betreuungsrecht, 4. Aufl. 1999 Rdn.493; Staudinger/Bienwald, Bearb. 1999 § 1906 Rdn. 18; MünchKomm/Schwab 3. Aufl. 1992 § 1906 Rdn. 5 f.; LG Hamburg FamRZ 1994, 1619, 1620, OLG Düsseldorf NJW 1963, 397, 398; auch BGHZ 82, 261, 266 ff.). Die Maßnahme muß auf eine gewisse Dauer angelegt sein, um als Freiheitsentziehung angesehen werden zu können (Damrau aaO § 1906 Rdn. 1; Holzhauer in Holzhauer/Reinicke, Betreuungsrecht 1993 § 1906 BGB Rdn. 17). Die ausdrückliche Einschränkung auf eine freiheitsentziehende Unterbringung in § 1906 Abs. 1 BGB dient allein der Abgrenzung zu anderen Unterbringungen nach bürgerlichen Recht, die ohne Freiheitsbeschränkungen erfolgen können, zum Beispiel zu der Unterbringung in einer anderen Familie nach dem zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens noch geltenden § 1838 BGB (BT-Drucks. 11/4528, S. 145; § 1838 BGB wurde aufgehoben durch das KJHG vom 26. Juni 1990 (SGB VIII) - BGBl. I 3546 -). Entscheidendes Kriteri-
um für eine zivilrechtliche freiheitsentziehende Unterbringung ist daher wie auch im öffentlichen Recht die nicht nur kurzfristige Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten Lebensraum (vgl. OLG Düsseldorf aaO S. 398).
b) Beide Kriterien sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Verabreichung der Depotspritze, die der Betreute zwar unter Protest, aber ohne körperlichen Widerstand, in einem offenen Behandlungsraum der Klinik über sich ergehen läßt, dauert lediglich ca. 10 Minuten. Insoweit kann nicht von einer erheblichen Dauer der Maßnahme, auch bei Berücksichtigung des notwendigen Transports innerhalb derselben Stadt, gesprochen werden. Dies gilt unabhängig davon, nach welchen Kriterien die Mindestdauer einer freiheitsentziehenden Maßnahme im einzelnen bemessen wird. Im übrigen wird der Betroffene weder durch die Behandlung noch durch die Zuführung zum Krankenhaus in seiner gesamten Lebensführung auf einen bestimmten räumlichen Bereich begrenzt. 2. Die Voraussetzungen für eine Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB liegen ebenfalls nicht vor. § 1906 Abs. 4 BGB schützt - ebenso wie Abs. 1 der Vorschrift - die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit (vgl. OLG Zweibrücken aaO S. 1114; Bienwald aaO § 1906 BGB Rdn.63; Marschner in Jürgens u.a. aaO Rdn. 518). Zwar ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens der im Regierungsentwurf noch enthaltene Zweck der Maßnahme “wenn der Betreute ... am Verlassen seines Aufenthalts gehindert werden soll” (BT-Drucks. 11/4528, S. 16), aus dem Gesetzestext gestrichen worden. Jedoch wird in der beschlossenen Gesetzesfassung auf den Erfolg der Freiheitsentziehung abgestellt, um zu verdeutlichen, daß nur
Maßnahmen erfaßt werden sollen, deren Auswirkungen der Unterbringung vergleichbar sind (BT-Drucks. 11/6949, S. 76). Das ist nicht der Fall, wenn der Betroffene, wie hier, gegen seinen Willen für kurze Zeit von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort weggebracht wird. Damit wird zwar in die körperliche Bewegungsfreiheit eingegriffen, der Lebensraum und die persönliche Freiheit zur Wahl des dauernden Aufenthaltsorts aber nicht allseitig eingeschränkt, wie es eine Unterbringung zur Folge hat. Die Behandlung selbst erfolgt hier ohne körperlichen Zwang. Hinzu kommt im übrigen, daß nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift auf solche Betreute beschränkt ist, die sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhalten. In einer entsprechenden Einrichtung lebt der Betroffene jedoch nicht. 3. Eine - unmittelbare oder gegebenenfalls entsprechende - Anwendung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt auch nicht im Hinblick darauf in Betracht, daß sich die beabsichtigte ambulante Behandlung gegenüber einer genehmigungsfähigen freiheitsentziehenden Unterbringung als "milderes Mittel" darstellen würde. Insoweit teilt der Senat die Auffassung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (aaO S. 11156).
a) Das Gesetz geht in § 1906 Abs. 1 BGB, wie bereits anhand der Gesetzesgeschichte und der Systematik des § 1906 BGB dargelegt, von einem engen Unterbringungsbegriff aus. Um Unschärfen bei der Definition dieses Begriffs zu vermeiden, werden andere freiheitsentziehende oder -beschränkende Maßnahmen, bei denen es sich nicht um einen nach § 1906 Abs. 1 BGB zu genehmigenden länger dauernden Aufenthalt in geschlossenen Einrichtungen oder geschlossenen Teilen solcher Einrichtungen handelt, von der in § 1906
Abs. 4 BGB enthaltenen Pauschalverweisung erfaßt. Der im Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Vorschlag des Bundesrats, § 1906 Abs. 4 BGB nur auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu beziehen, während Abs. 1 alle freiheitsentziehenden Maßnahmen erfassen sollte (BT-Drucks. 11/4528, S. 209 f., Gegenäußerung der Bundesregierung: S. 228.), ist nicht Gesetz geworden. Vielmehr ist der Gesetzgeber der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages gefolgt, der § 1906 Abs. 4 BGB ausdrücklich wieder auf freiheitsentziehende Maßnahmen ausgeweitet hat. Dabei wurde klargestellt, daß nur solche Maßnahmen erfaßt werden sollten, deren Auswirkungen denen der Unterbringung vergleichbar seien (BT-Drucks. 11/6949, S. 76). Diese Einschränkung verdeutlicht, daß mit der Vorschrift des § 1906 BGB vor allem dem Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG Rechnung getragen werden sollte. Der Gesetzgeber setzte damit für die Unterbringung Betreuter die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um, die eine richterliche Entscheidung nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG auch dann für erforderlich hielt, wenn der Vormund in Ausübung seines Aufenthaltsbestimmungsrechts den volljährigen Entmündigten in einer geschlossenen Anstalt unterbrachte (BVerfGE 10, 302, 327 f.). Bei der Ermittlung des Anwendungsbereichs des § 1906 BGB ist daher auch Art. 104 GG zu beachten. Dieser enthält einen festen Begriffskern der Freiheitsentziehung - als Aufhebung der Bewegungsfreiheit in jeder Richtung von einer gewissen Mindestdauer - wie bei der Verhaftung, Einsperrung, Arrestierung, etc. (vgl. nur BGHZ 82, 261, 263 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2000 Art. 104 Rdn. 10). Dem entspricht die von dem Betreuer im vorliegenden Fall beantragte Maßnahme nicht. Sie wird daher sowohl nach dem Wortlaut als auch nach einer dem Sinn und Zweck entsprechenden verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung des § 1906 BGB nicht von dieser Vorschrift gedeckt.

b) Dem vorlegenden Oberlandesgericht kann ferner nicht darin zugestimmt werden, daß die regelmäßigen kurzfristigen Aufenthalte in der Klinik als "milderes Mittel" gegenüber einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB genehmigungsfähig seien. Unabhängig davon, ob die ca. 25 mal im Jahr stattfindenden Vorführungen zur Verabreichung der Depotspritze auch in ihrer Gesamtheit lediglich als freiheitsbeschränkende Maßnahme - so das vorlegende Oberlandesgericht - oder aber als Freiheitsentziehung (zur Abgrenzung vgl. BGHZ 82, 261, 266 f. mit Nachw.) zu behandeln wären, hält der Senat die dafür beantragte Genehmigung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht für zulässig. Nach Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG darf in die Freiheit der Person, die unverletzlich ist, nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Dieses Grundrecht wird durch die formellen Garantien des Art. 104 GG verstärkt (Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rdn. 1, Anm. 1 a). Die Vorschriften richten sich an die Träger öffentlicher Gewalt (BGH, Urteil vom 16. Juni 1959 - 1 StR 191/59 - NJW 1959, 1595). Allerdings greift ihr Schutz auch dann ein, wenn der Staat sich einer Privatperson bedient, um öffentliche Aufgaben, wie hier die Fürsorge, wahrzunehmen (vgl. grundlegend BVerfGE 10 aaO S. 327). Um dem formellen Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 GG gerecht zu werden, müssen die Grundzüge der Eingriffsvoraussetzungen in einem formellen Gesetz geregelt werden (Jarass aaO Art. 104 Rdn. 3 m.N.). Dadurch soll der Gesetzgeber gezwungen werden, Freiheitsentziehungen in berechenbarer, meßbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln (BVerfGE 29, 183, 196; Jarass aaO Art. 104 Rdn. 4). Die vom Oberlandesgericht vorgenommene "Auslegung" entspricht diesen Grundsätzen nicht.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht allerdings aus dem Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 GG geschlossen, daß eine Anwendung des § 1906 Abs. 1 BGB im Wege der erweiternden Analogie nicht in Betracht kommt (zum Analogieverbot im Schutzbereich des Art. 104 Abs. 1 GG: BVerfGE 29, 183, 195 f.; 83, 24, 31 ff.; NStZ 1995, 399; Rüping in Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 104 Rdn. 30). Zuzustimmen ist auch dem Ansatz, daß es zugunsten des von einer Freiheitsbeschränkung Betroffenen möglich sein könnte, in Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine sich nur in der Intensität, nicht aber in der Art und Weise unterscheidende Maßnahme zuzulassen und vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen, wenn die Voraussetzungen für die belastendere Maßnahme ebenfalls erfüllt wären. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Denn die beabsichtigten zwangsweisen Zuführungen zu den 14-tägig vorgesehenen Medikationen stellen nicht einen lediglich in der Dauer gegenüber der Unterbringung beschränkten Eingriff in das Freiheitsrecht des Betroffenen dar, sondern eine andersartige Maßnahme. Es geht bereits vom Zweck her nicht um eine Unterbringung, sondern darum, den Betroffenen einer ambulanten medizinischen Behandlung gegen seinen Willen zuzuführen. Auch die Belastung für den Betroffenen ist eine andere als die durch eine einmalige - selbst länger dauernde - Unterbringung verursachte und mit dieser nicht vergleichbar. Der Betroffene läßt sich nur mit Zwang, unter Einschaltung der Polizei oder durch entsprechende Drohung, in das Psychiatrische Krankenhaus bringen, auch wenn er die Behandlung dort ohne Gegenwehr über sich ergehen läßt. Diese Art der Vorführung hat nach außen hin diskriminierende Wirkung.
Hinzu kommt, daß der Betroffene über Nebenwirkungen der Medikamente klagt und angibt, es sei ihm lieber, für längere Zeit geschlossen untergebracht zu werden, wenn aufgrund der unterbliebenen Medikation ein Krankheitsschub mit Selbstgefährdung auftritt, als die Beeinträchtigungen durch die Medikamente hinzunehmen. Der Staat kann im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auch einem Kranken, der seine Behandlungsdürftigkeit aufgrund seiner Krankheit nicht einsehen kann, nicht die medizinische Hilfe versagen (BT-Drucks. 11/4528 S. 72, 141 f.; BVerfG NJW 1998, 1774, 1775). Dabei kommt es auf die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen an (BT-Drucks. 11/4528, S. 71; BGHZ 29, 33 f.; Steinle, BtPrax 1996, 139, 142). Da der Betroffene hier bezüglich seiner Behandlungsbedürftigkeit nach den bisherigen Feststellungen nicht einwilligungsfähig ist, verhindert seine Weigerung zwar unter weiteren Voraussetzungen nicht die Behandlung, wenn sein Betreuer dieser zustimmt. Allerdings ist bei der Beurteilung, ob gegen den Willen des nicht einsichtsfähigen Betroffenen eine Unterbringung angeordnet werden kann, zu berücksichtigen, daß das Recht auf persönliche Freiheit auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" einräumt (BVerfGE 58, 208, 224 ff., BVerfG aaO S. 1775). Diese Freiheit läßt auch bei einem einwilligungsunfähigen Betroffenen weder eine Unterbringung noch eine Zwangsbehandlung in jedem Falle als verhältnismäßig erscheinen. Für den Betroffenen stellt sich die Gewißheit, für die Dauer eines Jahres regelmäßig der Behandlung zugeführt zu werden, als eine andere, subjektiv möglicherweise stärkere Belastung dar als eine zeitnah angeordnete Unterbringung, selbst wenn diese mit der gleichen Behandlung verbunden ist. Die Verwirklichung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann daher nicht zu einer Anwendung des § 1906 BGB auf die regelmäßige Behandlung mit Depotmedikamenten führen.
4. Nachdem § 1906 BGB hiernach die Erteilung der beantragten Genehmigung aus Rechtsgründen nicht zuläßt, läßt sich eine Rechtsgrundlage für die von dem Betreuer beabsichtigte Zuführung des Betroffenen zur ambulanten Behandlung und für die dafür beantragte Genehmigung auch nicht aus anderen Vorschriften herleiten.
a) Eine Anwendung des § 70 g Abs. 5 FGG zur Rechtfertigung der Anwendung unmittelbaren Zwangs scheidet aus. Die Vorschrift setzt eine Unterbringungsmaßnahme voraus, bei deren Vollzug die Betreuungsbehörde die Zuführung, erforderlichenfalls mit Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane , sicherzustellen hat. Darüber hinaus kann die Vorschrift weder für den Betreuer noch für die Behörde eine eigenständige Rechtsgrundlage für eine Zuführung zu einer ärztlichen Behandlung bilden.
b) Auch § 33 Abs. 2 FGG kann nicht als selbständige Rechtsgrundlage für die zwangsweise Zuführung des Betroffenen zum Arzt herangezogen werden. Nach allgemeiner Ansicht setzt § 33 FGG das Vorliegen einer gerichtlichen Verfügung voraus und regelt nur deren Vollziehung (vgl. nur Keidel /Zimmermann aaO § 33 Rdn. 8 f., Rdn. 32; Jansen FGG, 2. Aufl. 1969, § 33 Rdn. 48). Der Erlaß einer entsprechenden gerichtlichen Verfügung scheitert aber - wie dargelegt - am Fehlen einer rechtlichen Grundlage.
c) Aus der Befugnis des Betreuers, für den einwilligungsunfähigen Betreuten in ärztliche Behandlungen mit Psychopharmaka einzuwilligen, folgt nicht, daß der Betreuer auch befugt wäre, körperlichen Widerstand des Betreuten mit Gewalt zu brechen. Insoweit verzichtet das Betreuungsrecht - wie auch im grundrechtsrelevanten Bereich des Betretens der Wohnung (Art. 13 Abs. 1, 7 GG) - auf Regelungen (BT-Drucks. 11/4528, S.141).
aa) Ein Teil der Literatur und Rechtsprechung hält es gleichwohl, zumeist aus Zweckmäßigkeitsgründen, für zulässig, daß der Betreuer - gegebenenfalls mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts - in seinem Aufgabenbereich zur Durchsetzung des Wohls des Betreuten notfalls auch Zwang anwenden kann (für die ambulante Zwangsbehandlung: AG Bremen RuP 1997, 84, 86, Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts 1994, S. 72 f.; Knittel, Betreuungsrecht § 1904 Anm. 6 f, § 1906 Anm. 22 d; Schweitzer , FamRZ 1996, 1317, 1324; Zimmermann, Betreuungsrecht 4. Aufl. 1999 S. 169; für die Heimunterbringung gegen den Willen des Betreuten: LG Bremen BtPrax 94, 102, 103; LG Berlin FamRZ 1996, 821; Jürgens/Kröger u.a. aaO Rdn. 243 f.). Dabei wird die Anwendung von Zwang in diesen Fällen mit der Verwirklichung des Wohls des Betreuten und der Vermeidung weitergehender Beeinträchtigungen begründet. Bei der ambulanten Behandlung wird die Anwendung unmittelbaren Zwangs allerdings auf einmalige oder in der Wiederholung seltene Maßnahmen beschränkt, so daß sie für eine Behandlung einer psychischen Erkrankung kaum in Betracht kommt (vgl. Knittel aaO § 1904 Rdn. 6 ff., § 1906 Rdn. 22 d; Schweitzer aaO S. 1324; Jürgens/Kröger u.a. aaO Rdn. 241). bb) Demgegenüber lehnen andere Autoren und Gerichte die Anwendung von Zwang durch den Betreuer außerhalb des Unterbringungsrechts und der dort geregelten Grundlagen in § 1906 BGB und § 70 g Abs. 5 FGG ab (Arnold /Kloß FUR 1996, 263, 265 f; wohl auch Damrau in Damrau/Zimmermann § 1901 BGB Rdn. 3 b; Dodegge, BtPrax 1996, 173; Pardey, Betreuung Volljähriger : Hilfe oder Eingriff, 1989, S. 140 f.; differenzierend Bienwald, § 1904 BGB Rdn. 24; zur zwangsweisen Verbringung eines Betreuten in ein Altenpflegeheim : LG Offenburg FamRZ 1997, 899, 900; BayObLG BtPrax 1995, 182, 183).
cc) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Der Betreuer ist nach § 1902 BGB der gesetzliche Vertreter des Betreuten. Er hat dessen Angelegenheiten so zu besorgen, wie es seinem Wohl entspricht, § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB. Durch die gesetzliche Vertreterstellung wird die Rechtsmacht des Betreuers nach außen begründet. Gleichzeitig ist er gegenüber dem Betreuten berechtigt, innerhalb des Aufgabenkreises, für den er bestellt ist, dessen Geschäfte zu besorgen. Allerdings ist nach heutigem Verständnis die Einräumung einer Rechtsmacht nicht zwingend mit der Macht zur Durchsetzung der getroffenen Entscheidung verbunden (Jürgens/Kröger u.a. aaO Rdn. 240; Helle FamRZ 1984, 639, 643). Gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist die Rechtsmacht des gesetzlichen Vertreters beschränkt. Bei Minderjährigen wird das Recht der Eltern, Anweisungen - notfalls mit Hilfe einer Behörde - durchzusetzen, aus dem Erziehungsrecht und insbesondere aus § 1631 Abs. 3 BGB hergeleitet. Auf diese Vorschrift verweist das Betreuungsrecht in § 1908 i Abs. 1 BGB jedoch nicht, da die Funktion des Betreuers für die Personensorge nicht mit derjenigen der sorge- und erziehungsberechtigten Eltern vergleichbar ist. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, daß der Vormund im Rahmen der Fürsorge öffentliche Funktionen wahrnimmt und sich daher der Mündel auch gegenüber Handlungen des Vormunds auf seine Grundrechte berufen kann (BVerfGE 10 aaO S. 327 ff.). Insoweit gilt für das Verhältnis des Betreuers zum Betreuten nichts anderes. Dies vorausgesetzt greift der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein, und es bedarf zur Vornahme von Zwangshandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz. Eine Analogie zu § 1906 Abs. 1 BGB oder anderen Vorschriften über Zwangsmaßnahmen scheidet ebenso aus wie eine Zwangsbefugnis auf Grund der allgemeinen Regelungen der §§ 1896, 1901, 1902 BGB (Pardey aaO
S. 140). Anderenfalls wäre nicht sichergestellt, daß Eingriffe in die durch Gesetzesvorbehalt gesicherten Grundrechte berechenbar und kontrollierbar bleiben. Wie der hier zu entscheidende Fall deutlich zeigt, sind klare Grenzen zwischen der gesetzlich geregelten Unterbringung und anderen Zwangsmaßnahmen des Betreuers notwendig. Die vom Oberlandesgericht vorgenommene Differenzierung danach, ob die ambulante Zwangsbehandlung in einer Einrichtung vorgenommen wird, die auch eine Unterbringung im Sinne des § 1906 BGB vornehmen könnte, oder in einer ärztlichen Praxis, ist nicht geeignet, die verfassungsrechtlichen Bedenken zu entkräften. Das gilt unabhängig davon, ob für die Einordnung als freiheitsentziehende oder freiheitsbeschränkende Maßnahme auf den Zweck der Maßnahme oder deren Dauer abgestellt wird (vgl. dazu BGHZ 82 aaO S. 266 f. m.N.). Der Zweck der zwangsweisen Verbringung des Betroffenen zum Arzt ist unabhängig von der Art der Einrichtung, in der die Behandlung vorgenommen werden soll, stets der gleiche. Auch der Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen ist nicht abhängig davon, ob die Depotspritze in einem psychiatrischen Krankenhaus mit geschlossener Abteilung, einem allgemeinen Krankenhaus oder einer Arztpraxis gegeben wird. Auch im Hinblick auf die Verfahrensgarantien der §§ 70 ff. FGG kann die Ansicht des Oberlandesgerichts nicht überzeugen. Sie macht eine Abgrenzung zwischen den Unterbringungsmaßnahmen nach § 1906 Abs. 1 BGB und den unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB unmöglich. Diese Abgrenzung ist jedoch für das Verfahren von Bedeutung, da die Verfahrensgarantien bei Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB weniger stark ausgeprägt sind als für die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB. Für erstere ist lediglich die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses erforderlich, während für
letztere ein Sachverständigengutachten eingeholt werden muß, § 70 e Abs. 1 FGG. Schließlich ist aus § 70 g Abs. 5 Satz 2 FGG, demzufolge Gewalt bei der Zuführung zur Unterbringung nur bei ausdrücklicher Anordnung durch das Gericht angewandt werden darf, zu schließen, daß der Betreuer in sonstigen Fällen keinen Zwang zur Überwindung körperlichen Widerstandes des Betreuten anwenden darf. Reicht selbst eine gerichtliche Genehmigung der Unterbringungsverfügung , mit der die Rechtmäßigkeit der Unterbringung festgestellt wird, allein nicht aus, um eine Gewaltanwendung zu rechtfertigen, so kann der Einsatz unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung anderer vom Gericht nicht zu genehmigender Maßnahmen des Betreuers erst recht nicht zulässig sein. Der Senat verkennt nicht, daß das Fehlen einer Zwangsbefugnis dazu führen kann, daß ein Betroffener einen erneuten Krankheitsschub erleidet und dann möglicherweise für längere Zeit untergebracht werden muß. Es könnte daher im Einzelfall sinnvoll erscheinen und im Interesse des Betroffenen liegen , daß der Betreuer seine Einwilligung in die Behandlung auch gegen den Willen des Betroffenen durchsetzen könnte. Die Problematik der fehlenden Zwangsbefugnisse im Unterbringungsrecht war indessen bereits im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zum Betreuungsrechtsgesetz bekannt (vgl. nur Helle, FamRZ 1984, S. 643; Pardey aaO S. 140 f.). Daß der Gesetzgeber gleichwohl auf Regelungen verzichtet hat (BT-Drucks. 11/4528 S. 72, 92 ff.), muß von den Gerichten respektiert werden. Wenn das Anliegen des Betreuungsrechts ernstgenommen wird, die Rechtsstellung psychisch kranker und körperlich, geistig und seelisch behinderter Menschen durch eine grundlegende Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft zu verbessern (BTDrucks. 11/4528 S. 1), dürfen deren verfassungsrechtlich garantierte Rechte
nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen - auch nicht im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen - mißachtet werden. Darüber hinaus kann den Betreuern, insbesondere den ehrenamtlich tätigen, nicht zugemutet werden, ohne verläßliche Kriterien zu entscheiden, ob die Anwendung unmittelbaren Zwangs in einer bestimmten Situation rechtmäßig ist oder nicht. Schließlich besteht auch nur auf einer gesetzlichen Grundlage ein Rechtsanspruch des Betreuers gegen die Behörde, ihn bei der Ausübung von Zwang zu unterstützen.

IV.

Aus den dargelegten Gründen sind die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts aufzuheben. Der Senat kann selbst abschließend in der Sache entscheiden. Die von dem Betreuer beantragte Genehmigung nach § 1906 BGB kann aus rechtlichen Gründen nicht erteilt werden. Unter diesen Umständen kommt es auf etwaige den Betroffenen belastende Verfahrensfehler der Vorinstanzen im Hinblick auf § 70 e Abs. 1 FGG und § 70 c Satz 1 FGG nicht an. Da der Antrag des Betreuers ausdrücklich - nur - auf eine Genehmigung nach § 1906 BGB gerichtet ist, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der - hiervon zu unterscheidenden - Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Voraussetzungen für eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Behandlung des Betroffenen nach Maßgabe des § 1904 BGB erfüllt wären. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 128 b KostO und § 13 a Abs. 2 Satz 1 FGG.

Blumenröhr Krohn Gerber Sprick Weber-Monecke
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Wie der Senat dargelegt hat (Senatsbeschlüsse BGHZ 145, 297, 300 ff. = FamRZ 2001, 149 ff. und BGHZ 166, 141, 148 ff. = FamRZ 2006, 615, 616 ff.), darf der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen (§ 1902 BGB) zwar für diesen in medizinische Behandlungen einwilligen, wenn der Betroffene selbst zu einer solchen Einwilligung nicht in der Lage, insbesondere nicht einsichts- oder steuerungsfähig ist. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage , ob der Betreuer auch befugt ist, den einer solchen medizinischen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen durch Zwang zu überwinden. Allein aus den Vertretungsvorschriften der §§ 1901, 1902 BGB kann der Betreuer eine solche Zwangsbefugnis nicht herleiten, weil diese Vorschriften für sich genommen keine hinreichende Bestimmung von Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß der vom Betreuten unter Zwang zu duldenden Behandlung ermöglichen. Dies wäre jedoch notwendig, da der Betreuer gegenüber dem Betroffenen ein öffentliches Amt wahrnimmt und Zwangsmaßnahmen des Betreuers , mit denen der Widerstand des Betroffenen gegen Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit und Freiheit überwunden werden soll, einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz bedürfen (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 2 GG).
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a) Nach dieser Bestimmung eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, ärztliche Maßnahmen zwangsweise gegen den natürlichen Willen des Betroffenen durchzusetzen, ausschließlich im Rahmen einer - hier nicht genehmigungsfähigen - geschlossenen Unterbringung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 69/00
vom
11. Oktober 2000
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Die gegen den Willen eines Betreuten in regelmäßigen, hier zweiwöchentlichen,
Zeitabständen durchzuführende Dauermedikation mit Neuroleptika und die zwangsweise
Zuführung des Betreuten zu dieser - jeweils kurzfristigen - Behandlung stellen
keine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung oder unterbringungsähnliche
Maßnahme dar und sind nicht nach § 1906 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 Nr. 2 oder
§ 1906 Abs. 4 BGB genehmigungsfähig.
BGH, Beschluß vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 - OLG Hamm
LG Bielefeld
AG Bielefeld
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2000 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Krohn, Gerber, Sprick
und Weber-Monecke

beschlossen:
Auf die weitere Beschwerde des Betroffenen werden der Beschluß der 25. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 27. Januar 2000 und der Beschluß des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Bielefeld vom 12. Januar 2000 aufgehoben. Der Antrag des Betreuers vom 13. Dezember 1999 wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die Auslagen des Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

I.

1. Bei dem am 10. März 1964 geborenen Betroffenen wurde 1986 eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis festgestellt, deren Verlauf in den folgenden Jahren chronisch wurde. Nach mehreren - teilweise freiwilligen - stationären Behandlungen in der psychiatrischen Klinik ordnete das Amtsgericht 1989 für den Betroffenen eine Pflegschaft mit den Wirkungskreisen "Bestimmung des Aufenthalts" und "Besorgung der Vermögensangelegenheiten"
an. Die Pflegschaft wurde 1990 auf die "Einwilligung in die Behandlung mit Psychopharmaka" erweitert und später in eine Betreuung mit gleichem Wirkungskreis übergeleitet. Seit 1989 sind in mindestens 24 Fällen Genehmigungen für die geschlossene Unterbringung des Betroffenen zur stationären psychiatrischen Behandlung erteilt worden, die teilweise mehrere Wochen oder Monate andauerte. Mehrfach wurde der Betroffene auch auf der Grundlage des PsychKG untergebracht. Der Betroffene lehnt die von den Fachärzten für erforderlich gehaltene Dauermedikation mit Neuroleptika ab. Da er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus die Medikamente nicht einnahm, kam es regelmäßig in gewissen Abständen zu einem akuten Schub seiner psychischen Erkrankung. Dies machte jeweils eine erneute geschlossene Unterbringung erforderlich. Anfang 1999 wurde, befristet bis zum 31. Dezember 1999, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erteilt, den Betroffenen in zweiwöchigen Abständen für die Verabreichung einer Depotspritze kurzfristig geschlossen unterzubringen und bei seiner Zuführung in die Klinik durch die mitwirkende Behörde Gewalt anwenden zu lassen. Unter dem 13. Dezember 1999 beantragte der Betreuer - erneut - die Genehmigung "zur zwangsweisen Vorführung" des Betroffenen "zur Medikation und gegebenenfalls zur zeitweisen Unterbringung im Rahmen der Zwangsmedikation in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik gemäß § 1906 BGB." Auf diesen Antrag erteilte das Amtsgericht mit Beschluß vom 12. Januar 2000 erneut, befristet bis zum 31. Dezember 2000, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, den Betroffenen in zweiwöchigen Abständen zum Zwecke der Verabreichung seiner Medikation für die nach ärztlicher Anordnung unabdingbare Dauer geschlossen unterzubringen; die zuständige Behörde dürfe bei der Zuführung zur Unterbringung Gewalt anwenden. Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen
diesen Beschluß zurück. Dagegen wendet sich der Verfahrenspfleger mit der weiteren sofortigen Beschwerde im Namen des Betroffenen, weil dieser durch die Nebenwirkungen des Neuroleptikums schwerwiegend beeinträchtigt werde. 2. Das Oberlandesgericht hat die Sache gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (Beschluß veröffentlicht in FamRZ 2000, 1115 ff.). Es möchte von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. November 1999 (FamRZ 2000, 1114) abweichen. Dieses hält die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einer ärztlicherseits zur Vermeidung einer Unterbringung für erforderlich gehaltenen regelmäßigen ambulanten Medikation des Betroffenen mit einem Depotneuroleptikum weder nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 noch nach § 1906 Abs. 4 BGB für möglich. Eine ambulante Dauertherapie mit Depot-Spritzen könne - unabhängig davon, ob sie in einer psychiatrischen Klinik, im Krankenhaus, in einer Arztpraxis oder am Aufenthaltsort des Betroffenen durchgeführt werde - nicht zwangsweise gegen dessen Willen durchgesetzt werden. Demgegenüber hält das vorlegende Oberlandesgericht eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eines kurzfristigen auf das unaufschiebbar notwendige Maß beschränkten Klinikaufenthalts zum Zwecke der zwangsweisen medikamentösen Therapie nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB für möglich, sofern sich die Maßnahme als graduell geringerer Eingriff gegenüber einer sonst erforderlichen freiheitsentziehenden Maßnahme darstelle und einen erzwungenen Aufenthalt des Betroffenen in einer Einrichtung decke, in der auch eine freiheitsentziehende Maßnahme vollzogen werden könnte. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei der kurze Aufenthalt in der Klinik gegenüber einer nach § 1906 Abs. 1 BGB zulässigen längerfristigen stationären Unterbringung nur ein graduell geringerer Eingriff, der als milderes Mittel genehmigungsfähig sei. Zur Durchführung dieser den Betroffenen weniger als eine Unterbringung belastenden Maßnahme sei die
Gestattung von Gewalt zur Zuführung des Betroffenen in die Klinik nach § 70 g Abs. 5 Satz 2 FGG gerechtfertigt. Dagegen sei eine Zwangsbehandlung bei niedergelassenen Ä rzten nicht genehmigungsfähig, da diese sich nicht nur graduell von einer Unterbringung unterscheide, sondern eine andere Maßnahme darstelle.

II.

Die Vorlage ist gemäß § 28 Abs. 2 FGG zulässig. 1. Für die Zulässigkeit ist erforderlich, daß es vom Rechtsstandpunkt des vorlegenden Gerichts aus auf die streitige Rechtsfrage für die Entscheidung ankommt. Aus dem Vorlagebeschluß muß sich ergeben, daß das vorlegende Gericht bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einer anderen Fallentscheidung gelangen würde (Senatsbeschlüsse BGHZ 82, 34, 36 f.; 133, 384, 386). Das Oberlandesgericht hat dargelegt, daß es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung die Sache zur weiteren Aufklärung und erneuten Prüfung der Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB an das Amtsgericht zurückgeben müsse. Demgegenüber müsse es die nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom Amtsgericht erteilte Genehmigung abschließend aufheben, wenn es der rechtlichen Beurteilung des Oberlandesgerichts Zweibrücken folge. Auch wenn das Oberlandesgericht es hat dahinstehen lassen, ob neben einer endgültigen Aufhebung noch eine Zurückverweisung an das Amtsgericht im Hinblick auf eine eventuell zu erteilende Genehmigung nach § 1904 BGB in Betracht käme, läßt dies die Zulässigkeit der Vorlage nicht entfallen. Denn auch im Falle einer Zurückverweisung ist die Vorinstanz an die tragende rechtliche Beurteilung durch das Beschwerdegericht gebunden (BGHZ 15, 122, 124;
in Keidel/Kahl, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl. 1999 § 27 Rdn. 69). Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen hätten daher Entscheidungen unterschiedlicher Tragweite zur Folge, was für die Annahme einer Divergenz ausreicht (Senatsbeschluß BGHZ 82 aaO S. 37). 2. Der Beschluß des Oberlandesgerichts Zweibrücken beruht auch auf der Rechtsauffassung, von der das vorlegende Oberlandesgericht abweichen will. Dem Beschluß sind zwar keine Feststellungen dazu zu entnehmen, ob die Behandlung in einem allgemeinen oder in einem psychiatrischen Krankenhaus mit geschlossener Abteilung vorgenommen werden sollte. Aus der Begründung des Beschlusses ergibt sich aber, daß das Oberlandesgericht Zweibrücken unabhängig vom Ort der Behandlung eine ambulante Maßnahme nicht als Unterbringung , als unterbringungsähnliche Maßnahme oder als “geringeren Eingriff” gegenüber einer Unterbringung ansieht, sondern dafür einen stationären Aufenthalt für erforderlich hält (aaO S. 1114). Auf der Grundlage dieser Auffassung bedurfte es jedoch keiner näheren Feststellungen zum Behandlungsort.

III.

Die zulässige weitere (sofortige) Beschwerde ist begründet. Die regelmäßige ambulante Verabreichung einer Depotspritze mit einem Neuroleptikum und der damit verbundene kurzfristige Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik, dem der Betroffene notfalls unter Anwendung von Zwang zugeführt werden soll, ist nicht genehmigungsfähig. 1. Die vom Betreuer beabsichtigte Maßnahme ist keine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB.

a) Diese Vorschrift geht von einem engen Unterbringungsbegriff aus (Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige - Betreuungsgesetz, BTG -, BT-Drucks. 11/4528, S. 145 f.; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl. 1999 § 1906 BGB Rdn. 43; Marschner in Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994 § 1906 BGB Rdn. 1). Eine freiheitsentziehende Unterbringung in diesem Sinn ist gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird (Damrau in Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht , 2. Aufl. 1995 § 1906 BGB Rdn. 1; Marschner in Jürgens /Kröger/Marschner/Winterstein, Das neue Betreuungsrecht, 4. Aufl. 1999 Rdn.493; Staudinger/Bienwald, Bearb. 1999 § 1906 Rdn. 18; MünchKomm/Schwab 3. Aufl. 1992 § 1906 Rdn. 5 f.; LG Hamburg FamRZ 1994, 1619, 1620, OLG Düsseldorf NJW 1963, 397, 398; auch BGHZ 82, 261, 266 ff.). Die Maßnahme muß auf eine gewisse Dauer angelegt sein, um als Freiheitsentziehung angesehen werden zu können (Damrau aaO § 1906 Rdn. 1; Holzhauer in Holzhauer/Reinicke, Betreuungsrecht 1993 § 1906 BGB Rdn. 17). Die ausdrückliche Einschränkung auf eine freiheitsentziehende Unterbringung in § 1906 Abs. 1 BGB dient allein der Abgrenzung zu anderen Unterbringungen nach bürgerlichen Recht, die ohne Freiheitsbeschränkungen erfolgen können, zum Beispiel zu der Unterbringung in einer anderen Familie nach dem zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens noch geltenden § 1838 BGB (BT-Drucks. 11/4528, S. 145; § 1838 BGB wurde aufgehoben durch das KJHG vom 26. Juni 1990 (SGB VIII) - BGBl. I 3546 -). Entscheidendes Kriteri-
um für eine zivilrechtliche freiheitsentziehende Unterbringung ist daher wie auch im öffentlichen Recht die nicht nur kurzfristige Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten Lebensraum (vgl. OLG Düsseldorf aaO S. 398).
b) Beide Kriterien sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Verabreichung der Depotspritze, die der Betreute zwar unter Protest, aber ohne körperlichen Widerstand, in einem offenen Behandlungsraum der Klinik über sich ergehen läßt, dauert lediglich ca. 10 Minuten. Insoweit kann nicht von einer erheblichen Dauer der Maßnahme, auch bei Berücksichtigung des notwendigen Transports innerhalb derselben Stadt, gesprochen werden. Dies gilt unabhängig davon, nach welchen Kriterien die Mindestdauer einer freiheitsentziehenden Maßnahme im einzelnen bemessen wird. Im übrigen wird der Betroffene weder durch die Behandlung noch durch die Zuführung zum Krankenhaus in seiner gesamten Lebensführung auf einen bestimmten räumlichen Bereich begrenzt. 2. Die Voraussetzungen für eine Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB liegen ebenfalls nicht vor. § 1906 Abs. 4 BGB schützt - ebenso wie Abs. 1 der Vorschrift - die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit (vgl. OLG Zweibrücken aaO S. 1114; Bienwald aaO § 1906 BGB Rdn.63; Marschner in Jürgens u.a. aaO Rdn. 518). Zwar ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens der im Regierungsentwurf noch enthaltene Zweck der Maßnahme “wenn der Betreute ... am Verlassen seines Aufenthalts gehindert werden soll” (BT-Drucks. 11/4528, S. 16), aus dem Gesetzestext gestrichen worden. Jedoch wird in der beschlossenen Gesetzesfassung auf den Erfolg der Freiheitsentziehung abgestellt, um zu verdeutlichen, daß nur
Maßnahmen erfaßt werden sollen, deren Auswirkungen der Unterbringung vergleichbar sind (BT-Drucks. 11/6949, S. 76). Das ist nicht der Fall, wenn der Betroffene, wie hier, gegen seinen Willen für kurze Zeit von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort weggebracht wird. Damit wird zwar in die körperliche Bewegungsfreiheit eingegriffen, der Lebensraum und die persönliche Freiheit zur Wahl des dauernden Aufenthaltsorts aber nicht allseitig eingeschränkt, wie es eine Unterbringung zur Folge hat. Die Behandlung selbst erfolgt hier ohne körperlichen Zwang. Hinzu kommt im übrigen, daß nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift auf solche Betreute beschränkt ist, die sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhalten. In einer entsprechenden Einrichtung lebt der Betroffene jedoch nicht. 3. Eine - unmittelbare oder gegebenenfalls entsprechende - Anwendung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt auch nicht im Hinblick darauf in Betracht, daß sich die beabsichtigte ambulante Behandlung gegenüber einer genehmigungsfähigen freiheitsentziehenden Unterbringung als "milderes Mittel" darstellen würde. Insoweit teilt der Senat die Auffassung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (aaO S. 11156).
a) Das Gesetz geht in § 1906 Abs. 1 BGB, wie bereits anhand der Gesetzesgeschichte und der Systematik des § 1906 BGB dargelegt, von einem engen Unterbringungsbegriff aus. Um Unschärfen bei der Definition dieses Begriffs zu vermeiden, werden andere freiheitsentziehende oder -beschränkende Maßnahmen, bei denen es sich nicht um einen nach § 1906 Abs. 1 BGB zu genehmigenden länger dauernden Aufenthalt in geschlossenen Einrichtungen oder geschlossenen Teilen solcher Einrichtungen handelt, von der in § 1906
Abs. 4 BGB enthaltenen Pauschalverweisung erfaßt. Der im Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Vorschlag des Bundesrats, § 1906 Abs. 4 BGB nur auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu beziehen, während Abs. 1 alle freiheitsentziehenden Maßnahmen erfassen sollte (BT-Drucks. 11/4528, S. 209 f., Gegenäußerung der Bundesregierung: S. 228.), ist nicht Gesetz geworden. Vielmehr ist der Gesetzgeber der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages gefolgt, der § 1906 Abs. 4 BGB ausdrücklich wieder auf freiheitsentziehende Maßnahmen ausgeweitet hat. Dabei wurde klargestellt, daß nur solche Maßnahmen erfaßt werden sollten, deren Auswirkungen denen der Unterbringung vergleichbar seien (BT-Drucks. 11/6949, S. 76). Diese Einschränkung verdeutlicht, daß mit der Vorschrift des § 1906 BGB vor allem dem Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG Rechnung getragen werden sollte. Der Gesetzgeber setzte damit für die Unterbringung Betreuter die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um, die eine richterliche Entscheidung nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG auch dann für erforderlich hielt, wenn der Vormund in Ausübung seines Aufenthaltsbestimmungsrechts den volljährigen Entmündigten in einer geschlossenen Anstalt unterbrachte (BVerfGE 10, 302, 327 f.). Bei der Ermittlung des Anwendungsbereichs des § 1906 BGB ist daher auch Art. 104 GG zu beachten. Dieser enthält einen festen Begriffskern der Freiheitsentziehung - als Aufhebung der Bewegungsfreiheit in jeder Richtung von einer gewissen Mindestdauer - wie bei der Verhaftung, Einsperrung, Arrestierung, etc. (vgl. nur BGHZ 82, 261, 263 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2000 Art. 104 Rdn. 10). Dem entspricht die von dem Betreuer im vorliegenden Fall beantragte Maßnahme nicht. Sie wird daher sowohl nach dem Wortlaut als auch nach einer dem Sinn und Zweck entsprechenden verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung des § 1906 BGB nicht von dieser Vorschrift gedeckt.

b) Dem vorlegenden Oberlandesgericht kann ferner nicht darin zugestimmt werden, daß die regelmäßigen kurzfristigen Aufenthalte in der Klinik als "milderes Mittel" gegenüber einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB genehmigungsfähig seien. Unabhängig davon, ob die ca. 25 mal im Jahr stattfindenden Vorführungen zur Verabreichung der Depotspritze auch in ihrer Gesamtheit lediglich als freiheitsbeschränkende Maßnahme - so das vorlegende Oberlandesgericht - oder aber als Freiheitsentziehung (zur Abgrenzung vgl. BGHZ 82, 261, 266 f. mit Nachw.) zu behandeln wären, hält der Senat die dafür beantragte Genehmigung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht für zulässig. Nach Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG darf in die Freiheit der Person, die unverletzlich ist, nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Dieses Grundrecht wird durch die formellen Garantien des Art. 104 GG verstärkt (Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rdn. 1, Anm. 1 a). Die Vorschriften richten sich an die Träger öffentlicher Gewalt (BGH, Urteil vom 16. Juni 1959 - 1 StR 191/59 - NJW 1959, 1595). Allerdings greift ihr Schutz auch dann ein, wenn der Staat sich einer Privatperson bedient, um öffentliche Aufgaben, wie hier die Fürsorge, wahrzunehmen (vgl. grundlegend BVerfGE 10 aaO S. 327). Um dem formellen Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 GG gerecht zu werden, müssen die Grundzüge der Eingriffsvoraussetzungen in einem formellen Gesetz geregelt werden (Jarass aaO Art. 104 Rdn. 3 m.N.). Dadurch soll der Gesetzgeber gezwungen werden, Freiheitsentziehungen in berechenbarer, meßbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln (BVerfGE 29, 183, 196; Jarass aaO Art. 104 Rdn. 4). Die vom Oberlandesgericht vorgenommene "Auslegung" entspricht diesen Grundsätzen nicht.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht allerdings aus dem Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 GG geschlossen, daß eine Anwendung des § 1906 Abs. 1 BGB im Wege der erweiternden Analogie nicht in Betracht kommt (zum Analogieverbot im Schutzbereich des Art. 104 Abs. 1 GG: BVerfGE 29, 183, 195 f.; 83, 24, 31 ff.; NStZ 1995, 399; Rüping in Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 104 Rdn. 30). Zuzustimmen ist auch dem Ansatz, daß es zugunsten des von einer Freiheitsbeschränkung Betroffenen möglich sein könnte, in Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine sich nur in der Intensität, nicht aber in der Art und Weise unterscheidende Maßnahme zuzulassen und vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen, wenn die Voraussetzungen für die belastendere Maßnahme ebenfalls erfüllt wären. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Denn die beabsichtigten zwangsweisen Zuführungen zu den 14-tägig vorgesehenen Medikationen stellen nicht einen lediglich in der Dauer gegenüber der Unterbringung beschränkten Eingriff in das Freiheitsrecht des Betroffenen dar, sondern eine andersartige Maßnahme. Es geht bereits vom Zweck her nicht um eine Unterbringung, sondern darum, den Betroffenen einer ambulanten medizinischen Behandlung gegen seinen Willen zuzuführen. Auch die Belastung für den Betroffenen ist eine andere als die durch eine einmalige - selbst länger dauernde - Unterbringung verursachte und mit dieser nicht vergleichbar. Der Betroffene läßt sich nur mit Zwang, unter Einschaltung der Polizei oder durch entsprechende Drohung, in das Psychiatrische Krankenhaus bringen, auch wenn er die Behandlung dort ohne Gegenwehr über sich ergehen läßt. Diese Art der Vorführung hat nach außen hin diskriminierende Wirkung.
Hinzu kommt, daß der Betroffene über Nebenwirkungen der Medikamente klagt und angibt, es sei ihm lieber, für längere Zeit geschlossen untergebracht zu werden, wenn aufgrund der unterbliebenen Medikation ein Krankheitsschub mit Selbstgefährdung auftritt, als die Beeinträchtigungen durch die Medikamente hinzunehmen. Der Staat kann im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auch einem Kranken, der seine Behandlungsdürftigkeit aufgrund seiner Krankheit nicht einsehen kann, nicht die medizinische Hilfe versagen (BT-Drucks. 11/4528 S. 72, 141 f.; BVerfG NJW 1998, 1774, 1775). Dabei kommt es auf die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen an (BT-Drucks. 11/4528, S. 71; BGHZ 29, 33 f.; Steinle, BtPrax 1996, 139, 142). Da der Betroffene hier bezüglich seiner Behandlungsbedürftigkeit nach den bisherigen Feststellungen nicht einwilligungsfähig ist, verhindert seine Weigerung zwar unter weiteren Voraussetzungen nicht die Behandlung, wenn sein Betreuer dieser zustimmt. Allerdings ist bei der Beurteilung, ob gegen den Willen des nicht einsichtsfähigen Betroffenen eine Unterbringung angeordnet werden kann, zu berücksichtigen, daß das Recht auf persönliche Freiheit auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" einräumt (BVerfGE 58, 208, 224 ff., BVerfG aaO S. 1775). Diese Freiheit läßt auch bei einem einwilligungsunfähigen Betroffenen weder eine Unterbringung noch eine Zwangsbehandlung in jedem Falle als verhältnismäßig erscheinen. Für den Betroffenen stellt sich die Gewißheit, für die Dauer eines Jahres regelmäßig der Behandlung zugeführt zu werden, als eine andere, subjektiv möglicherweise stärkere Belastung dar als eine zeitnah angeordnete Unterbringung, selbst wenn diese mit der gleichen Behandlung verbunden ist. Die Verwirklichung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann daher nicht zu einer Anwendung des § 1906 BGB auf die regelmäßige Behandlung mit Depotmedikamenten führen.
4. Nachdem § 1906 BGB hiernach die Erteilung der beantragten Genehmigung aus Rechtsgründen nicht zuläßt, läßt sich eine Rechtsgrundlage für die von dem Betreuer beabsichtigte Zuführung des Betroffenen zur ambulanten Behandlung und für die dafür beantragte Genehmigung auch nicht aus anderen Vorschriften herleiten.
a) Eine Anwendung des § 70 g Abs. 5 FGG zur Rechtfertigung der Anwendung unmittelbaren Zwangs scheidet aus. Die Vorschrift setzt eine Unterbringungsmaßnahme voraus, bei deren Vollzug die Betreuungsbehörde die Zuführung, erforderlichenfalls mit Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane , sicherzustellen hat. Darüber hinaus kann die Vorschrift weder für den Betreuer noch für die Behörde eine eigenständige Rechtsgrundlage für eine Zuführung zu einer ärztlichen Behandlung bilden.
b) Auch § 33 Abs. 2 FGG kann nicht als selbständige Rechtsgrundlage für die zwangsweise Zuführung des Betroffenen zum Arzt herangezogen werden. Nach allgemeiner Ansicht setzt § 33 FGG das Vorliegen einer gerichtlichen Verfügung voraus und regelt nur deren Vollziehung (vgl. nur Keidel /Zimmermann aaO § 33 Rdn. 8 f., Rdn. 32; Jansen FGG, 2. Aufl. 1969, § 33 Rdn. 48). Der Erlaß einer entsprechenden gerichtlichen Verfügung scheitert aber - wie dargelegt - am Fehlen einer rechtlichen Grundlage.
c) Aus der Befugnis des Betreuers, für den einwilligungsunfähigen Betreuten in ärztliche Behandlungen mit Psychopharmaka einzuwilligen, folgt nicht, daß der Betreuer auch befugt wäre, körperlichen Widerstand des Betreuten mit Gewalt zu brechen. Insoweit verzichtet das Betreuungsrecht - wie auch im grundrechtsrelevanten Bereich des Betretens der Wohnung (Art. 13 Abs. 1, 7 GG) - auf Regelungen (BT-Drucks. 11/4528, S.141).
aa) Ein Teil der Literatur und Rechtsprechung hält es gleichwohl, zumeist aus Zweckmäßigkeitsgründen, für zulässig, daß der Betreuer - gegebenenfalls mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts - in seinem Aufgabenbereich zur Durchsetzung des Wohls des Betreuten notfalls auch Zwang anwenden kann (für die ambulante Zwangsbehandlung: AG Bremen RuP 1997, 84, 86, Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts 1994, S. 72 f.; Knittel, Betreuungsrecht § 1904 Anm. 6 f, § 1906 Anm. 22 d; Schweitzer , FamRZ 1996, 1317, 1324; Zimmermann, Betreuungsrecht 4. Aufl. 1999 S. 169; für die Heimunterbringung gegen den Willen des Betreuten: LG Bremen BtPrax 94, 102, 103; LG Berlin FamRZ 1996, 821; Jürgens/Kröger u.a. aaO Rdn. 243 f.). Dabei wird die Anwendung von Zwang in diesen Fällen mit der Verwirklichung des Wohls des Betreuten und der Vermeidung weitergehender Beeinträchtigungen begründet. Bei der ambulanten Behandlung wird die Anwendung unmittelbaren Zwangs allerdings auf einmalige oder in der Wiederholung seltene Maßnahmen beschränkt, so daß sie für eine Behandlung einer psychischen Erkrankung kaum in Betracht kommt (vgl. Knittel aaO § 1904 Rdn. 6 ff., § 1906 Rdn. 22 d; Schweitzer aaO S. 1324; Jürgens/Kröger u.a. aaO Rdn. 241). bb) Demgegenüber lehnen andere Autoren und Gerichte die Anwendung von Zwang durch den Betreuer außerhalb des Unterbringungsrechts und der dort geregelten Grundlagen in § 1906 BGB und § 70 g Abs. 5 FGG ab (Arnold /Kloß FUR 1996, 263, 265 f; wohl auch Damrau in Damrau/Zimmermann § 1901 BGB Rdn. 3 b; Dodegge, BtPrax 1996, 173; Pardey, Betreuung Volljähriger : Hilfe oder Eingriff, 1989, S. 140 f.; differenzierend Bienwald, § 1904 BGB Rdn. 24; zur zwangsweisen Verbringung eines Betreuten in ein Altenpflegeheim : LG Offenburg FamRZ 1997, 899, 900; BayObLG BtPrax 1995, 182, 183).
cc) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Der Betreuer ist nach § 1902 BGB der gesetzliche Vertreter des Betreuten. Er hat dessen Angelegenheiten so zu besorgen, wie es seinem Wohl entspricht, § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB. Durch die gesetzliche Vertreterstellung wird die Rechtsmacht des Betreuers nach außen begründet. Gleichzeitig ist er gegenüber dem Betreuten berechtigt, innerhalb des Aufgabenkreises, für den er bestellt ist, dessen Geschäfte zu besorgen. Allerdings ist nach heutigem Verständnis die Einräumung einer Rechtsmacht nicht zwingend mit der Macht zur Durchsetzung der getroffenen Entscheidung verbunden (Jürgens/Kröger u.a. aaO Rdn. 240; Helle FamRZ 1984, 639, 643). Gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist die Rechtsmacht des gesetzlichen Vertreters beschränkt. Bei Minderjährigen wird das Recht der Eltern, Anweisungen - notfalls mit Hilfe einer Behörde - durchzusetzen, aus dem Erziehungsrecht und insbesondere aus § 1631 Abs. 3 BGB hergeleitet. Auf diese Vorschrift verweist das Betreuungsrecht in § 1908 i Abs. 1 BGB jedoch nicht, da die Funktion des Betreuers für die Personensorge nicht mit derjenigen der sorge- und erziehungsberechtigten Eltern vergleichbar ist. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, daß der Vormund im Rahmen der Fürsorge öffentliche Funktionen wahrnimmt und sich daher der Mündel auch gegenüber Handlungen des Vormunds auf seine Grundrechte berufen kann (BVerfGE 10 aaO S. 327 ff.). Insoweit gilt für das Verhältnis des Betreuers zum Betreuten nichts anderes. Dies vorausgesetzt greift der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein, und es bedarf zur Vornahme von Zwangshandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz. Eine Analogie zu § 1906 Abs. 1 BGB oder anderen Vorschriften über Zwangsmaßnahmen scheidet ebenso aus wie eine Zwangsbefugnis auf Grund der allgemeinen Regelungen der §§ 1896, 1901, 1902 BGB (Pardey aaO
S. 140). Anderenfalls wäre nicht sichergestellt, daß Eingriffe in die durch Gesetzesvorbehalt gesicherten Grundrechte berechenbar und kontrollierbar bleiben. Wie der hier zu entscheidende Fall deutlich zeigt, sind klare Grenzen zwischen der gesetzlich geregelten Unterbringung und anderen Zwangsmaßnahmen des Betreuers notwendig. Die vom Oberlandesgericht vorgenommene Differenzierung danach, ob die ambulante Zwangsbehandlung in einer Einrichtung vorgenommen wird, die auch eine Unterbringung im Sinne des § 1906 BGB vornehmen könnte, oder in einer ärztlichen Praxis, ist nicht geeignet, die verfassungsrechtlichen Bedenken zu entkräften. Das gilt unabhängig davon, ob für die Einordnung als freiheitsentziehende oder freiheitsbeschränkende Maßnahme auf den Zweck der Maßnahme oder deren Dauer abgestellt wird (vgl. dazu BGHZ 82 aaO S. 266 f. m.N.). Der Zweck der zwangsweisen Verbringung des Betroffenen zum Arzt ist unabhängig von der Art der Einrichtung, in der die Behandlung vorgenommen werden soll, stets der gleiche. Auch der Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen ist nicht abhängig davon, ob die Depotspritze in einem psychiatrischen Krankenhaus mit geschlossener Abteilung, einem allgemeinen Krankenhaus oder einer Arztpraxis gegeben wird. Auch im Hinblick auf die Verfahrensgarantien der §§ 70 ff. FGG kann die Ansicht des Oberlandesgerichts nicht überzeugen. Sie macht eine Abgrenzung zwischen den Unterbringungsmaßnahmen nach § 1906 Abs. 1 BGB und den unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB unmöglich. Diese Abgrenzung ist jedoch für das Verfahren von Bedeutung, da die Verfahrensgarantien bei Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB weniger stark ausgeprägt sind als für die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB. Für erstere ist lediglich die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses erforderlich, während für
letztere ein Sachverständigengutachten eingeholt werden muß, § 70 e Abs. 1 FGG. Schließlich ist aus § 70 g Abs. 5 Satz 2 FGG, demzufolge Gewalt bei der Zuführung zur Unterbringung nur bei ausdrücklicher Anordnung durch das Gericht angewandt werden darf, zu schließen, daß der Betreuer in sonstigen Fällen keinen Zwang zur Überwindung körperlichen Widerstandes des Betreuten anwenden darf. Reicht selbst eine gerichtliche Genehmigung der Unterbringungsverfügung , mit der die Rechtmäßigkeit der Unterbringung festgestellt wird, allein nicht aus, um eine Gewaltanwendung zu rechtfertigen, so kann der Einsatz unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung anderer vom Gericht nicht zu genehmigender Maßnahmen des Betreuers erst recht nicht zulässig sein. Der Senat verkennt nicht, daß das Fehlen einer Zwangsbefugnis dazu führen kann, daß ein Betroffener einen erneuten Krankheitsschub erleidet und dann möglicherweise für längere Zeit untergebracht werden muß. Es könnte daher im Einzelfall sinnvoll erscheinen und im Interesse des Betroffenen liegen , daß der Betreuer seine Einwilligung in die Behandlung auch gegen den Willen des Betroffenen durchsetzen könnte. Die Problematik der fehlenden Zwangsbefugnisse im Unterbringungsrecht war indessen bereits im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zum Betreuungsrechtsgesetz bekannt (vgl. nur Helle, FamRZ 1984, S. 643; Pardey aaO S. 140 f.). Daß der Gesetzgeber gleichwohl auf Regelungen verzichtet hat (BT-Drucks. 11/4528 S. 72, 92 ff.), muß von den Gerichten respektiert werden. Wenn das Anliegen des Betreuungsrechts ernstgenommen wird, die Rechtsstellung psychisch kranker und körperlich, geistig und seelisch behinderter Menschen durch eine grundlegende Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft zu verbessern (BTDrucks. 11/4528 S. 1), dürfen deren verfassungsrechtlich garantierte Rechte
nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen - auch nicht im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen - mißachtet werden. Darüber hinaus kann den Betreuern, insbesondere den ehrenamtlich tätigen, nicht zugemutet werden, ohne verläßliche Kriterien zu entscheiden, ob die Anwendung unmittelbaren Zwangs in einer bestimmten Situation rechtmäßig ist oder nicht. Schließlich besteht auch nur auf einer gesetzlichen Grundlage ein Rechtsanspruch des Betreuers gegen die Behörde, ihn bei der Ausübung von Zwang zu unterstützen.

IV.

Aus den dargelegten Gründen sind die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts aufzuheben. Der Senat kann selbst abschließend in der Sache entscheiden. Die von dem Betreuer beantragte Genehmigung nach § 1906 BGB kann aus rechtlichen Gründen nicht erteilt werden. Unter diesen Umständen kommt es auf etwaige den Betroffenen belastende Verfahrensfehler der Vorinstanzen im Hinblick auf § 70 e Abs. 1 FGG und § 70 c Satz 1 FGG nicht an. Da der Antrag des Betreuers ausdrücklich - nur - auf eine Genehmigung nach § 1906 BGB gerichtet ist, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der - hiervon zu unterscheidenden - Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Voraussetzungen für eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Behandlung des Betroffenen nach Maßgabe des § 1904 BGB erfüllt wären. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 128 b KostO und § 13 a Abs. 2 Satz 1 FGG.

Blumenröhr Krohn Gerber Sprick Weber-Monecke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 99/12
vom
20. Juni 2012
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur
Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72 und
FamRZ 2011, 1927 Rn. 38) fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen
Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche
Zwangsbehandlung (Aufgabe der Senatsrechtsprechung Senatsbeschlüsse BGHZ
166, 141 = FamRZ 2006, 615; vom 23. Januar 2008 XII ZB 185/07 - FamRZ 2008,
866 und vom 22. September 2010 XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976).
Deshalb darf der Betreuer derzeit auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung
keine Zwangsbehandlung veranlassen.
BGH, Beschluss vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 - LG Stuttgart
AG Ludwigsburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 KostO). Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

A.

1
Die Beteiligte zu 1 begehrt als Betreuerin die Genehmigung einer Zwangsbehandlung der Betroffenen.
2
Die Betroffene leidet an einer blanden Psychose bei vielfältigen sozialen Problemen und an einer Borderline Persönlichkeitsstörung. Die Betreuung wurde unter anderem für die Bereiche Bestimmung des Aufenthalts einschließlich Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung und -entziehung sowie der Unterbringung und für die medizinische und pflegerische Betreuung und Versorgung, einschließlich der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen und Eingriffe angeordnet. Die Beteiligte zu 1 wurde zur Betreuerin bestellt. Anschließend genehmigte das Betreuungsgericht auf ihren Antrag die Unterbringung der Betroffenen auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Einrichtung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB.
3
Den Antrag der Betreuerin auf betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine Zwangsmedikation nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB hat das Betreuungsgericht unter Hinweis auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgelehnt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betreuerin zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betreuerin mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
4
Am 2. April 2012 ist die Betroffene entlassen worden.

B.

5
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat die Genehmigung der Zwangsbehandlung zu Recht abgelehnt.

I.

6
Nach Auffassung des Landgerichts genügt § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage. Die Norm ermächtige das Betreuungsgericht nach seinem Wortlaut nur dazu, die Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung zu genehmigen, dem Betroffenen gegenüber also eine freiheitsentziehende Maßnahme anzuordnen, in deren Rahmen dann eine Heilbehandlung durchgeführt werden könne. Der Wortlaut enthalte keinerlei Hinweise auf eine Zwangsbehandlung. Für den jeweiligen Kreis der Normbetroffenen, bei denen es sich in aller Regel um schwer psychisch erkrankte und deshalb beein- trächtigte Menschen handele, ergebe sich keineswegs bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass die Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden könne, die Norm also etwa zur Zwangsmedikation berechtigen solle. Zudem habe der Gesetzgeber § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB bewusst nicht als Grundlage für eine Zwangsbehandlung formuliert. Er habe vielmehr trotz Problembewusstseins ausdrücklich davon abgesehen, im Betreuungsrecht eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung wie auch ein generelles Verbot zur Zwangsbehandlung zu regeln. Ein formelles Gesetz, das zum Grundrechtseingriff berechtige, habe er also gerade nicht geschaffen.
7
Dass die Vorschrift nach diesem Verständnis nur einen beschränkten Anwendungsbereich habe, müsse angesichts der unmissverständlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hingenommen werden. Dabei sei nicht zu verkennen, dass es zumeist dem objektiven Wohl des Betroffenen entsprechen möge, eine Behandlung durchzuführen. Die derzeitige Situation, die eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen trotz Behandlungsbedürftigkeit nicht zulasse, sei für alle Beteiligten unbefriedigend. Dieser Nachteil müsse angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs und des Fehlens einer klaren und bestimmten Eingriffsnorm im Sinne eines wirksamen Grundrechtsschutzes und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung hingenommen werden.
8
Die Ansicht, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts würden für den Bereich des Betreuungsrechts nicht gelten, weil die §§ 1896 ff. BGB ein geschlossenes Regelungssystem enthielten, dessen Schutzniveau den verfassungsrechtlichen Anforderungen sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht gerecht würde, überzeuge nicht. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur ermächtigenden Norm gründeten auf der Qualität des Grundrechtseingriffs. Für den Betroffenen werde der Eingriff, der in der medizinischen Zwangsbehandlung liege, nicht dadurch weniger belastend, dass ein Betreuer zustimme. Es sei gemäß Art. 2 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber vorbehalten , Eingriffsbereiche und deren Ziele zu formulieren, dies sei hinsichtlich einer betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung nicht erfolgt. Eine Norm, deren Wortlaut für den Kreis der Normanwender und Normbetroffenen klar ergebe, dass die Zwangsbehandlung betreuungsgerichtlich genehmigt werden könne, sei auch nicht in den übrigen Vorschriften des Betreuungsrechts zu erkennen.
9
Die Betreuerin begehre auch nicht nur die Anordnung einer Unterbringung an sich. Die freiheitsentziehende Maßnahme sei bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts aufgrund § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgt. Der Antrag der Betreuerin auf Unterbringung zur Heilbehandlung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verfolge vielmehr den Zweck, die von der Betroffenen verweigerte medikamentöse Behandlung zwangsweise gegen ihren Willen durchzusetzen. Eine solche Zwangsbehandlung sei aber - wie vorstehend ausgeführt - nicht möglich. Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei der die Heilbehandlung - aus welchen Gründen auch immer - nicht durchgeführt werde oder werden könne, dürfe jedoch nicht genehmigt werden. Wenn und soweit weiterhin die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorlägen, werde eine Unterbringung der Betroffenen auch weiterhin betreuungsgerichtlich zu genehmigen sein.

II.

10
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
11
1. Allerdings bleibt der Rechtsbeschwerde nicht bereits deshalb der Erfolg versagt, weil die Betroffene nach den Angaben der Betreuerin bereits aus der Betreuung entlassen worden ist bzw. sie gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB wegen Selbstgefährdung untergebracht war.
12
Nach den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht mehr vorliegen und eine Unterbringung nach Nr. 2 deshalb nicht in Betracht kommt, weil die gebotene medikamentöse Behandlung gegen den Willen der Betroffenen entsprechend der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts nicht durchsetzbar ist. Auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung, wonach eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung im Rahmen der Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zulässig war, wäre der Antrag der Betreuerin auf Genehmigung der Zwangsmedikation jedenfalls dahin auszulegen, dass auch die übrigen Voraussetzungen einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB festzustellen und bei Vorliegen der Voraussetzungen eine entsprechende Unterbringung zu genehmigen wäre. Denn bereits der ursprüngliche Antrag der Betreuerin auf Genehmigung der Unterbringung war auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt.
13
Ausgehend von der Prämisse, dass nach der jüngsten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht mehr genehmigungsfähig ist, sind die weiteren Ausführungen des Beschwerdegerichts allerdings konsequent , wonach eine solche Unterbringung nicht in Betracht kommt, weil die Heilbehandlung nicht durchgeführt werden kann. Deshalb kommt es für die Entscheidung der Rechtsbeschwerde maßgeblich darauf an, ob § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch unter Berücksichtigung der jüngsten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Genehmigung in die Einwilligung einer mit Zwangsbehandlung verbundenen Unterbringung noch zu rechtfertigen vermag.
14
2. Diese Frage ist zu verneinen; der Senat hält an seiner Rechtsprechung insoweit nicht mehr fest.
15
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats umfasst die Befugnis des Betreuers, in ärztliche Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betroffenen einzuwilligen, im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch das Recht, erforderlichenfalls einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 149 ff. = FamRZ 2006, 615, 617 f.). Da eine medizinische Maßnahme nur dann als notwendig im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB angesehen werden könne, wenn sie rechtlich zulässig sei, könne der Betroffene auf dieser Rechtsgrundlage nur untergebracht werden, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden dürfe. Sähe man die zwangsweise Überwindung eines der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betroffenen auch im Rahmen einer Unterbringungsmaßnahme als unzulässig an, würde der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB von vornherein auf die - eher seltenen - Fälle beschränkt, in denen der Betroffene zwar die Notwendigkeit der medizinischen Maßnahme bejahe oder jedenfalls trotz fehlender Behandlungseinsicht keinen der medizinischen Maßnahme entgegenstehenden natürlichen Willen manifestiere, er aber nicht die Notwendigkeit der Unterbringung einsehe. Die Vorschrift könne daher sinnvoll nur dahin ausgelegt werden, dass der Betroffene die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu seinem Wohl eingewilligt habe und derentwegen der Betroffene untergebracht werden dürfe, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden habe (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 152 = FamRZ 2006, 615, 618). Allerdings müsse in der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die von dem Betroffenen zu duldende Behandlung so präzise wie möglich angegeben werden, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der vom Betroffenen zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergäben; dazu gehörten bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffs und deren (Höchst-)Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 153 f. = FamRZ 2006, 615, 618).
16
Aus dem Umstand, dass die Erzwingung medizinischer Maßnahmen gegen den Widerstand des Betroffenen nur im Rahmen einer vom Betreuungsgericht nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigten freiheitsentziehenden Unterbringung zulässig sei, dürfe freilich nicht gefolgert werden, dass eine freiheitsentziehende Unterbringung immer schon dann vom Betreuer veranlasst werden dürfe, wenn eine medizinische Maßnahme notwendig sei, aber nur gegen den Widerstand des Betroffenen durchgeführt werden könne. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlange nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig sei. Die freiheitsentziehende Unterbringung müsse vielmehr auch ihrerseits erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden könne. Sie sei in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten sei, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der erforderlichen medizinischen Maßnahme räumlich, also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" , entziehe. Umgekehrt begründe die Erforderlichkeit der medizinischen Maßnahme ebenso wie die Erforderlichkeit, den dieser Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, für sich genommen noch keine Notwendigkeit, den Betroffenen freiheitsentziehend unterzubringen, also etwa auch dann, wenn der Betroffene sich der Maßnahme zwar physisch widersetze , sich ihr aber nicht räumlich entziehe (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 23).
17
Der Senat hat ferner entschieden, dass die Genehmigung nur zulässig sei, wenn die Zwangsmedikation erforderlich und angemessen sei. Ob dies der Fall sei, bedürfe im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs einer besonders sorgfältigen Prüfung (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 8). Es liege auf der Hand, dass ein noch strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen sei, wenn die Freiheitsentziehung mit einer Zwangsbehandlung des Betroffenen - deren Zulässigkeit vorausgesetzt - verbunden werden solle. Dies folge schon daraus, dass in diesem Falle nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen seien. Bei der Prüfung, ob eine - insbesondere längerfristige - Behandlung eines untergebrachten Betroffenen unter Zwang dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch entspreche, seien an die Gewichtigkeit des ohne Behandlung drohenden Gesundheitsschadens, aber auch an die Heilungs- bzw. Besserungsprognose strengere Anforderungen zu stellen. Dies lege gerade bei der Behandlung psychischer Erkrankungen eine besonders kritische Prüfung des therapeutischen Nutzens einer nur unter Zwang durchgeführten Medikation nahe (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 146 f. = FamRZ 2006, 615, 616).
18
Schließlich sei ein Vorratsbeschluss für den Fall, dass der Betroffene sich gegen die Verabreichung von Medikamenten durch Spritzen wehren werde , im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs unzulässig (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 11).
19
b) Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr in zwei grundlegenden Beschlüssen aus dem Jahr 2011 entschieden, dass die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig sei, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs be- stimme (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72 und 2011, 1927 Rn. 38). Dies gelte nicht nur für die materiellen, sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen. Die in verfahrensrechtlicher wie in materieller Hinsicht für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen bedürften gesetzlicher Regelungen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72). Der Gesetzgeber sei gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Die notwendige Bestimmtheit fehle zwar nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig sei. Die Betroffenen müssten jedoch die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können, und die gesetzesausführende Verwaltung müsse für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden. Zur notwendigen Erkennbarkeit des Norminhalts gehöre die Klarheit und, als deren Bestandteil, die Widerspruchsfreiheit der Norm. Die Anforderung an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit seien umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff sei, den eine Norm vorsehe. Dabei könne auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73).
20
Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung stehe nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen werde (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 40). Krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit eines Untergebrachten ändere ebenfalls nichts daran, dass eine gegen seinen natürlichen Willen erfolgende Behandlung, die seine körperliche Integrität berühre, einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstelle. Sie könne im Gegenteil dazu führen, dass der Eingriff von dem Betroffenen als besonders bedrohlich erlebt werde. Selbst die Einwilligung des Betreuers nehme daher der Maßnahme nicht den Eingriffscharakter (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 42), zumal der Eingriff für den Betroffenen nicht dadurch weniger belastend sei, dass gerade ein Betreuer ihr zugestimmt habe (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71).
21
Der Gesetzgeber sei (allerdings) berechtigt, unter engen Voraussetzungen Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers ausnahmsweise zu ermöglichen, wenn dieser zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig sei (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 49).
22
In materieller Hinsicht folge aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst, dass Maßnahmen der Zwangsbehandlung nur eingesetzt werden dürften, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertige , Erfolg versprächen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 57). Zwangsmaßnahmen dürften ferner nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn mildere Mittel keinen Erfolg versprächen. Zudem müsse der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig sei, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von unzulässigem Druck unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 58).
23
Grundsätzlich sei eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffne, vor Schaffung vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, auch wenn die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters vorliege (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 63). Allerdings dürfe die Flexibilität der fachgerechten ärztlichen Reaktion auf individuelle Unterschiede nicht über Gebühr beeinträchtigt werden (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 64), wobei die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt unabdingbar seien. Es sei notwendig, die Zwangsbehandlung zu dokumentieren. Art. 2 Abs. 2 GG fordere darüber hinaus spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen , die sich ergäben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheide (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 68). Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende versetzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit , in der er besonderen Schutz dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt würden (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 69). Es seien keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, derentwegen eine Betreuerlösung von Verfassungs wegen vorzugswürdiger wäre beispielsweise gegenüber einem Richtervorbehalt oder gegenüber der Beteiligung einer anderen neutralen Stelle. Die Ausgestaltung der Art und Weise , in der sichergestellt werde, dass vor Durchführung einer Zwangsbehandlung eine - sich nicht in bloßer Schreibtischroutine erschöpfende - Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung stattfinde, sei Sache des jeweils zuständigen Gesetzgebers (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71).
24
c) Nach überwiegender Auffassung in der - nach Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 (FamRZ 2011, 1128) veröffentlichten - Rechtsprechung und Literatur fehlt es an einer den vorgenannten verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Ermächtigungsgrundlage für eine betreuungsrechtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung (LG Bremen Beschluss vom 10. Mai 2012 - 5 T 101/12 - juris; LG Stuttgart Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 T 35/12 - juris; AG Ludwigsburg Beschluss vom 18. Mai 2011 - 8 VII 257/11 - juris und FamRZ 2012, 739; AG Bremen BtPrax 2012, 85 und NJW 2012, 1090; AG Frankfurt a.M. Beschluss vom 29. Februar 2012 - 49 XVII HOF 399/12 - juris; Bienwald FPR 2012, 4, 8; Moll-Vogel FamRB 2011, 249, 250; Marschner R&P 2011, 160, 163; aA LG Berlin Beschluss vom 21. Mai 2012 - 83 T 163/12 - juris; Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 236 ff., 238).
25
d) Der Senat teilt im Ergebnis diese Auffassung und gibt damit seine Rechtsprechung auf, wonach Zwangsbehandlungen im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich genehmigungsfähig sind (Senatsbeschlüsse BGHZ 166, 141 = FamRZ 2006, 615; vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 und vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976).
26
Nach Auffassung des Senats sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts und die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586 - FamFG) werden den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung aufgestellt hat, nicht gerecht.
27
aa) Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237 mwN; s. auch LG Berlin Beschluss vom 21. Mai 2012 - 83 T 163/12 - juris Rn. 19) finden die Grundrechte auch bei der im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung stattfindenden Zwangsbehandlung unmittelbar Anwendung. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 (BGHZ 166, 141, 148 = FamRZ 2006, 615, 616 f.) ausgeführt hat, gilt im Verhältnis des Betreuers zum Betroffenen nichts anderes als in dem Verhältnis zwischen Vormund und Mündel. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Vormund im Rahmen der Fürsorge eine öffentliche Funktion wahrnimmt und sich daher der Mündel auch gegenüber Handlungen des Vormunds auf seine Grundrechte berufen kann. Es verbiete sich, die Unterbringung volljähriger Geisteskranker durch den Vormund rechtlich so zu würdigen, als ob sich die Freiheitsentziehung im Rahmen privatrechtlicher Beziehung zwischen Staatsbürgern abspielte. Der Staat könne sich von der Grundrechtsbindung nicht dadurch befreien, dass er eine Privatperson zur Wahrung einer öffentlichen Aufgabe bestelle und ihm die Entscheidung über den Einsatz staatlicher Machtmittel überlasse (vgl. BVerfGE 10, 302, 327).
28
Richtig ist allerdings, dass das Genehmigungserfordernis des § 1906 BGB die sich aus §§ 1901, 1902 BGB ergebende Rechtsmacht des Betreuers, nicht jedoch die Freiheit des Betroffenen einschränkt (Lipp JZ 2006, 661, 663 f.). § 1906 BGB regelt also nicht den Eingriff in die Rechte des Betroffenen, sondern die Kontrolle des Betreuers wegen seiner dem Grunde nach bestehenden unbeschränkten Vertretungsmacht (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 83; vgl. zum Vormund BVerfGE 10, 302, 310; zum Bevollmächtigten BVerfG FamRZ 2009, 945, 947). Die sich hieran anschließende Frage, ob sich die Kontrolle des von staatlichen Gerichten bestellten Betreuers hinsichtlich der grundrechtsrelevanten Eingriffe an denselben Maßstäben messen lassen muss, die gelten, wenn der Staat die Maßnahmen, in die der Betreuer einwilligen will, selbst angeordnet hätte, ist nach Auffassung des Senats zu bejahen.
29
Das Bundesverfassungsgericht geht auch bei der Genehmigung einer - von dem Betreuer veranlassten - Unterbringung von "einem staatlichen Eingriff" aus (BVerfG FamRZ 1998, 895, 896). Zudem hat es ausgeführt, dass selbst die Einwilligung des Betreuers der (Zwangs-) Maßnahme nicht den Eingriffscharakter nehme (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 42). Auch wenn sich seine Handlungsbefugnisse nach der Dogmatik des Betreuungsrechts unmittelbar aus §§ 1901, 1902 BGB ergeben (vgl. Lipp JZ 2006, 661, 663 f.), muss die gebotene staatliche Kontrolle inhaltlich den Anforderungen genügen, die das Bundesverfassungsgericht für eine an den Staat adressierte Ermächtigungsgrundlage fordert. Dass die Betreuung im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist, die Betreuung die mit der Menschenwürde garantierte Selbstbestimmung des Einzelnen verwirklichen soll und der Betreuer die Rechte des Betroffenen auch gegenüber dem Staat wahrzunehmen hat (Lipp JZ 2006, 661, 663), ändert nichts daran, dass jener bei fehlender Einsichtsfähigkeit des Betroffenen neben der zivilrechtlichen Vertretung auch öffentliche Fürsorge ausübt.
30
bb) Die Vorschriften des Betreuungsrechts genügen den Anforderungen nicht, die das Bundesverfassungsgericht für die gesetzliche Regelung einer Zwangsbehandlung aufgestellt hat und die für die staatliche Kontrolle des darauf bezogenen Betreuerhandelns gleichermaßen gelten müssen. Ebenso wenig enthalten die §§ 1896 ff. BGB ein geschlossenes Regelungssystem zur betreuungsrechtlichen Genehmigung einer Zwangsbehandlung, dessen Schutzniveau den nunmehr vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (aA Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237 f.).
31
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss die Vorschrift so bestimmt gefasst sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73). Dem aktuell oder potentiell betroffenen Untergebrachten sowie den zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträgern , dem Betreuer, der Unterbringungseinrichtung und den behandelnden Ärzten, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung aus dem Gesetz erkennbar sein (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 74).
32
Weder § 1906 BGB noch die übrigen betreuungsrechtlichen materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften verhalten sich zur Frage der Zwangsbehandlung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die notwendige Bestimmtheit nicht schon deshalb fehle, weil eine Norm auslegungsbedürftig sei. Demgemäß hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB darauf abgestellt, dass die Norm im Wesentlichen sinnlos wäre, wenn die von ihr vorausgesetzte Heilbehandlung nicht durchsetzbar wäre. Das ändert indes nichts daran, dass für die aktuell bzw. potentiell betroffenen Untergebrachten die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung aus dem Gesetz selbst nicht erkennbar sind.
33
Hinzu kommt, dass § 1906 BGB seinem Wortlaut nach unmittelbar nur die Kontrolle eines Eingriffs in die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Freiheit der Person gewährleistet, sich aber nicht zu dem in besonders intensiver Weise tangierten, von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit geschützten Recht auf Selbstbestimmung des Betroffenen hinsichtlich seiner körperlichen Integrität (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 44) verhält.
34
(2) Der vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zwar entsprochen (so zutreffend Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237). Danach waren nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen (BGHZ 166, 141, 146 = FamRZ 2006, 615, 616). Auch wenn sich Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 1906 BGB selbst finden, weil die Unterbringung nur zulässig ist, "solange sie zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist", kann das allerdings im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht darüber hinweghelfen, dass das Gesetz selbst keine Ausführungen zur Zwangsbehandlung, namentlich zur Auswahl der konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und Dauer - einschließlich der Auswahl und Dosierung einzusetzender Medikamente und begleitender Kontrollen - enthält. Ebenso fehlen Regelungen dazu, dass die Zwangsbehandlung nicht mit Belastungen verbunden sein darf, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen und dass die Zwangsbehandlung nur das letzte Mittel darstellen darf, also eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 58). Soweit der Senat hierzu bereits Leitsätze aufgestellt hat, handelt es sich um Richterrecht. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts kann das indes nicht genügen. Danach sind die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm vorsieht. Für die näheren Anforderungen ist auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73 - s. auch LG Stuttgart Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 T 35/12 - juris Rn. 13).
35
(3) Schließlich sind auch die in verfahrensrechtlicher Hinsicht für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen zur Zwangsbehandlung (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72) gesetzlich nicht geregelt.
36
(a) Allerdings dürfte die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dass vor Durchführung der Zwangsbehandlung eine - sich nicht in bloßer Schreibtischroutine erschöpfende - Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung stattfinden muss (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71), erfüllt sein.
37
Denn zum einen ist in den Fällen der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung der Betreuer eingeschaltet; grundsätzlich ist nur er befugt, die Behandlung zu veranlassen. Hinzu kommt nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats für den Fall der bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Unterbringung bekannten Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung, dass sich der genehmigende Beschluss nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch auf die Zwangsbehandlung zu erstrecken hat (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 153 = FamRZ 2006, 615, 618).
38
Gleiches dürfte für den Fall gelten, dass sich die Erforderlichkeit einer Zwangsmedikation bei einem bereits nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB untergebrachten Betroffenen erst im Nachhinein herausstellt. Denn der Senat hat bereits entschieden, dass ein Vorratsbeschluss für den Fall, dass der Betroffene sich gegen die Verabreichung von Medikamenten durch Spritzen wehren werde , im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs unzulässig ist (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 11).
39
(b) Demgegenüber vermögen die im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit enthaltenen Verfahrensvorschriften den von dem Bundesverfassungsgericht gestellten Anforderungen an die gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung nicht gerecht zu werden. Sie beziehen sich jeweils nur auf die Unterbringung, nicht aber auf eine Zwangsbehandlung. In § 321 FamFG ist beispielsweise geregelt, dass vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden hat. Demgegenüber genügt gemäß § 321 Abs. 2 FamFG für eine Maßnahme nach § 312 Nr. 2 FamFG (die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB) eine ärztliche Stellungnahme. Ob vor der Genehmigung einer Zwangsbehandlung ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, oder ob insoweit auch eine ärztliche Stellungnahme ausreicht , ist gesetzlich nicht geregelt. Zwar dürfte ein Sachverständigengutachten notwendig sein, wenn die Genehmigung der Zwangsbehandlung mit der Unter- bringung einhergeht. Welche Anforderungen aber bestehen, wenn eine gesonderte Genehmigung der Zwangsbehandlung erforderlich wird, kann dem Gesetz nicht entnommen werden.
40
(c) Ferner finden sich im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit weder Vorschriften, die - wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 67, 79) - zur Dokumentation der Maßnahme verpflichten, noch enthält es Bestimmungen, wonach die Maßnahme nur auf Anordnung und unter der Leitung eines Arztes durchgeführt werden darf (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 79). Dass die behandelnde Klinik beide Aspekte regelmäßig aus eigenem Interesse beachten und der Arzt - berufsrechtlich - zur Dokumentation verpflichtet sein wird (so Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 238), genügt nicht, um den vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten verfahrensrechtlichen Anforderungen zu genügen.
41
(d) Ebenso fehlen konkrete Regelungen darüber, welche Behandlungsdauer eine gerichtliche Genehmigung umfassen kann und wie konkret die Genehmigung erfolgen muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedürfen auch diese wesentlichen Fragen einer gesetzlichen Regelung.
42
e) Gemessen an den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Regelung vermag § 1906 Abs. 4 BGB ebenso wenig die Genehmigung der Anordnung einer Zwangsbehandlung durch den Betreuer zu rechtfertigen. Wie § 1906 Abs. 1 BGB regelt auch § 1906 Abs. 4 BGB den Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 145, 297, 301 f. = FamRZ 2001, 149, 150). Die Regelungsmaterie geht also nicht über den in § 1906 Abs. 1 BGB geregelten Bereich hinaus. Vielmehr hat der Gesetzgeber Absatz 4 ersichtlich als geringeren Eingriff angesehen, weil es für eine Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB gemäß § 321 Abs. 2 iVm § 312 Nr. 2 FamFG lediglich der Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses bedarf.
43
f) Nach alledem fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Deshalb darf ein Betreuer derzeit auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine Zwangsbehandlung veranlassen.
44
3. Entgegen dem Antrag der Betreuerin kommt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht (aA LG Bremen Beschluss vom 10. Mai 2012 - 5 T 101/12 - juris).
45
Voraussetzung hierfür ist, dass das vorlegende Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Das ist hier nicht der Fall.
46
Unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts enthalten die Vorschriften des Betreuungsrechts, insbesondere § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Eine Auslegung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Gestalt der bisherigen Senatsrechtsprechung kommt nicht mehr in Betracht. Deshalb kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.
47
Ob der Staat im Rahmen seiner ihm nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG obliegenden Schutzpflicht (vgl. dazu BVerfG NVwZ 2011, 991 Rn. 37) verpflichtet ist, zum Wohle der Betroffenen die betreuungsgerichtliche Genehmigung einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu regeln, kann dahinstehen. Art. 100 Abs. 1 GG enthält nach seinem Wortlaut nicht die Verpflichtung des Gerichts, ein Unterlassen des Gesetzgebers als Verfassungsverstoß zur Prüfung zu stellen. Dass Art. 100 Abs. 1 GG entsprechend auszulegen wäre, hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls bislang nicht entschieden (offengelassen in BVerfG Beschluss vom 9. Mai 2006 - 2 BvL 4/02 - juris Rn. 22; NJW 1994, 2750, 2751; NVwZ 1984, 365 und NJW 1964, 1411).
48
4. Der Senat verkennt nicht, dass das Fehlen von Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen dazu führen kann, dass ein Betroffener ohne eine solche Behandlung einen erheblichen Schaden nimmt. Der Senat hat bereits hinsichtlich der Problematik einer ambulanten Zwangsbehandlung wiederholt darauf hingewiesen (Senatsbeschlüsse BGHZ 145, 297, 310 = FamRZ 2001, 149, 152 und vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866, 868). Dose Klinkhammer Schilling Günter Botur
Vorinstanzen:
AG Ludwigsburg, Entscheidung vom 26.01.2012 - 8 XVII 58/12 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 16.02.2012 - 2 T 35/12 -

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

21
Wie der Senat dargelegt hat (Senatsbeschlüsse BGHZ 145, 297, 300 ff. = FamRZ 2001, 149 ff. und BGHZ 166, 141, 148 ff. = FamRZ 2006, 615, 616 ff.), darf der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen (§ 1902 BGB) zwar für diesen in medizinische Behandlungen einwilligen, wenn der Betroffene selbst zu einer solchen Einwilligung nicht in der Lage, insbesondere nicht einsichts- oder steuerungsfähig ist. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage , ob der Betreuer auch befugt ist, den einer solchen medizinischen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen durch Zwang zu überwinden. Allein aus den Vertretungsvorschriften der §§ 1901, 1902 BGB kann der Betreuer eine solche Zwangsbefugnis nicht herleiten, weil diese Vorschriften für sich genommen keine hinreichende Bestimmung von Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß der vom Betreuten unter Zwang zu duldenden Behandlung ermöglichen. Dies wäre jedoch notwendig, da der Betreuer gegenüber dem Betroffenen ein öffentliches Amt wahrnimmt und Zwangsmaßnahmen des Betreuers , mit denen der Widerstand des Betroffenen gegen Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit und Freiheit überwunden werden soll, einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz bedürfen (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 2 GG).

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

21
Wie der Senat dargelegt hat (Senatsbeschlüsse BGHZ 145, 297, 300 ff. = FamRZ 2001, 149 ff. und BGHZ 166, 141, 148 ff. = FamRZ 2006, 615, 616 ff.), darf der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen (§ 1902 BGB) zwar für diesen in medizinische Behandlungen einwilligen, wenn der Betroffene selbst zu einer solchen Einwilligung nicht in der Lage, insbesondere nicht einsichts- oder steuerungsfähig ist. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage , ob der Betreuer auch befugt ist, den einer solchen medizinischen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen durch Zwang zu überwinden. Allein aus den Vertretungsvorschriften der §§ 1901, 1902 BGB kann der Betreuer eine solche Zwangsbefugnis nicht herleiten, weil diese Vorschriften für sich genommen keine hinreichende Bestimmung von Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß der vom Betreuten unter Zwang zu duldenden Behandlung ermöglichen. Dies wäre jedoch notwendig, da der Betreuer gegenüber dem Betroffenen ein öffentliches Amt wahrnimmt und Zwangsmaßnahmen des Betreuers , mit denen der Widerstand des Betroffenen gegen Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit und Freiheit überwunden werden soll, einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz bedürfen (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 2 GG).
27
a) Nach dieser Bestimmung eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, ärztliche Maßnahmen zwangsweise gegen den natürlichen Willen des Betroffenen durchzusetzen, ausschließlich im Rahmen einer - hier nicht genehmigungsfähigen - geschlossenen Unterbringung.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

27
a) Nach dieser Bestimmung eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, ärztliche Maßnahmen zwangsweise gegen den natürlichen Willen des Betroffenen durchzusetzen, ausschließlich im Rahmen einer - hier nicht genehmigungsfähigen - geschlossenen Unterbringung.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Kommt das Bundesverfassungsgericht zu der Überzeugung, daß Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist, so erklärt es das Gesetz für nichtig. Sind weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar, so kann sie das Bundesverfassungsgericht gleichfalls für nichtig erklären.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.