Finanzgericht München Urteil, 29. Apr. 2015 - 1 K 1080/13

bei uns veröffentlicht am29.04.2015
nachgehend
Bundesfinanzhof, VII R 13/15, 08.03.2017

Gericht

Finanzgericht München

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzamt zu Recht Guthaben aus den Einkommensteuerveranlagungen 2007 und 2008 mit Einkommensteuerrückständen des Klägers aus den Jahren 1993 und 2000 verrechnet hat.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2011 erfolgte im Rahmen der Änderungsvorschrift des § 164 Abs. 2 Abgabenordnung - AO - die Festsetzung der Einkommensteuer 2007 in Höhe von 44.571 €. In Anbetracht der durch Steuerabzug vom Lohn geleisteten Zahlungen ergaben sich Überzahlungen von 4.835 € auf die Einkommensteuer, 600 € auf Zinsen und 265,73 € auf den Solidaritätszuschlag. Im Bescheid wurde angekündigt, dass über die Verwendung der Guthaben eine besondere Mitteilung erfolgen werde.

Ebenfalls mit Bescheid vom 11. Mai 2011 wurde die Einkommensteuer 2008 festgesetzt. Auch hier ergaben sich Überzahlungen in Höhe von 11.314 € auf die Einkommensteuer, 735 € auf Zinsen und 622,17 € auf den Solidaritätszuschlag. Auch hier wurde darauf hingewiesen, dass über die Verwendung des Guthabens eine besondere Mitteilung ergehen werde.

Das Finanzamt trägt vor, es habe im Wege einer Umbuchungsmitteilung vom 18. Mai 2011 Aufrechnung gegen die Erstattungsansprüche des Klägers erklärt. In den Akten ist eine derartige Umbuchungsmitteilung nicht enthalten. Der Kläger wendet ein, er habe eine derartige Umbuchungsmitteilung nicht bekommen.

Auf Anfrage des Prozessvertreters mit Schreiben vom 2. November 2011 teilte die Finanzkasse mit Schreiben 24. November 2011 mit, dass die Guthaben mit Einkommensteuerrückständen und Steuerrückständen aus den Jahren 1993 und 2000 verrechnet worden seien  und dem Kläger die entsprechenden Umbuchungsmitteilungen zugegangen sein sollten.

Hiergegen legte der Kläger am 12. Dezember 2011 Einspruch ein. Er wandte ein, sämtliche Steuerschulden, insbesondere auch solche aus den Jahren 1993 und 2000 seien aufgrund eines in Großbritannien durchgeführten Privatinsolvenzverfahrens mit anschließender Restschuldbefreiung weggefallen.

Als Belege für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in A/England legte der Kläger im Verlauf des Abrechnungs-, Rechtsbehelfs und Klageverfahrens folgende Unterlagen vor:

  • ·Kopie einer „Bankruptcy order on a debtors petition“ (Verfügung auf einen Insolvenzantrag des Schuldners) mit der „No. 6100 of 2010“ vom 5. Oktober 2010 vorgelegt,  mit welcher festgestellt wurde, dass der Kläger insolvent sei.

  • ·Des Weiteren wurde die Kopie eines „Certificate of discharge“ datiert auf den 19. September 2014 vorgelegt, mit welcher bescheinigt wurde, dass der Kläger auf seine Insolvenz zum 5. Oktober 2011 „discharged“ sei. Das Dokument ist mit einem Stempel des High Court of Justice, Bankruptcy Court mit dem Datum 19. November 2011 versehen. Ebenfalls vorgelegt wurde eine Beglaubigung (Apostille) vom 17. November 2011. Worauf sich die Apostille bezieht ist der Kopie nicht zu entnehmen.

Das Finanzamt hat über die Durchführung eines Insolvenzverfahrens des Klägers in England keine Mitteilung erhalten.

Unter dem Datum 7. Februar 2012 erteilte das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid, mit welchem es an der Verrechnung der Guthaben aus der Einkommensteuerveranlagung 2007 von 4.835 € auf die Einkommensteuer, 600 € auf Zinsen und 265,73 € auf den Solidaritätszuschlag und 2008 in Höhe von 11.314 € auf die Einkommensteuer, 735 € auf Zinsen und 622,17 € auf den Solidaritätszuschlag mit Rückständen aus den Jahren 1993 und 2000 festhielt.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 20. Februar 2012.

Da keine Begründung des Einspruchs erfolgte, wurde der Kläger mit Schreiben des Finanzamts vom 7. März 2012 aufgefordert, seinen Einspruch zu begründen oder diesen zurückzunehmen.

Mit Schreiben vom 12. März 2012 teilte das Finanzamt dem Prozessvertreter, bezugnehmend auf ein Schreiben vom 24. Februar 2012 mit, dass das Steuerkonto derzeit keinen Rückstand aufweise. Mit besagtem Schreiben vom 24. Februar 2012 hatte der Klägervertreter angefragt, inwieweit die bisherigen Steuerschulden von der „discharge“ erfasst seien.

Mit Schreiben vom 2. April 2012 wurde die Abgabe des Einspruchsverfahrens an die Rechtsbehelfsstelle mitgeteilt.

Zur Begründung des Einspruchs trug der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2012 vor, nach deutschem Recht fehle es an einer Aufrechnungserklärung und nach englischem Recht an einer konkretisierten und fälligen Gegenforderung.

Dies ergebe sich zum einen daraus, dass keine konkrete Mitteilung über die Aufrechnung erfolgt sei. Die Aufrechnungserklärung sei eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie habe den Kläger als Empfänger aber nicht erreicht.

Zum anderen seien die Erstattungsansprüche aus den Einkommensteuerveranlagungen 2007 und 2008 zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 5. Oktober 2010 betragsmäßig noch nicht konkretisiert gewesen. Mangels Bestimmtheit der Gegenforderung könne nicht von einer Aufrechnungslage ausgegangen werden. Es sei auch zu berücksichtigen, dass wegen des in England durchgeführten Insolvenzverfahrens englisches Recht maßgeblich sei. Dieses stelle in Rule 4.90 der Insolvency Rules 1986 darauf ab, dass nur betragsmäßig genau bezifferte und auch fällige Forderungen Gegenstand einer Aufrechnung sein könnten. Die Erstattungsansprüche des Klägers seien aber der Höhe nach nicht konkretisiert und insoweit nicht fällig gewesen. Art. 4 Abs. 2 Buchst. d EUInsVO schreibe vor, dass für die Wirkungen der Aufrechnung das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung gelte. Dies sei im Streitfall englisches Recht. Section 323 (1) Insolvency Act 1986 sehe vor, dass die Aufrechenbarkeit vor Beginn des Insolvenzverfahrens gegeben sein müsse, was im Streitfall nicht gegeben sei.

Der Kläger legt des Weiteren die Kopie eines Formularblattes „Statement of Affairs“ vor, in welchem der Name des Klägers eingetragen ist und das Datum 8. September 2010. Es folgen zwei Seiten eines Formblatts einer Tabelle, dessen Eintragungen, abgesehen von 2 Zeilen geschwärzt sind. Dort ist einmal genannt „Finanzamt…“ mit einem geschuldeten Betrag in englischen Pfund von „ca. 110.000 £“ als Zeitpunkt der Entstehung („date incurred“) ist genannt 2006 und zum anderen „Finanzamt…“ mit einem geschuldeten Betrag in englischen Pfund von „ca. 25.000 £“; als Zeitpunkt der Entstehung („date incurred“) ist genannt 2001; als Schuldgrund bezeichnet ist in beiden Fällen Steuerschulden („tax liabilities“).

Im Rahmen einer Sachaufsichtsbeschwerde beim Landesamt für Finanzen hatte der Kläger weiter vorgelegt:

  • ·Rechnung X

  • ·Mietvertrag vom 17. Mai 2010

  • ·Checkout Report vom 1. Dezember 2010

Mit Schreiben vom 30. Juli 2012 hatte sich das Finanzamt unter Bezugnahme auf das Bankruptcy Verfahren 6100 aus 2010 an B, den Official Receiver (OR), gewandt. Dort wurden Bedenken geäußert, ob eine Wohnsitzverlegung nur zum Schein erfolgte, sowie um Nachricht gebeten, ob die Rückstände des Finanzamts sowie zu gewärtigende Erstattungsansprüche im Insolvenzverfahren mitgeteilt worden seien. Eine  Reaktion auf dieses Schreiben erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2012 (S. 64 FaA) forderte das Finanzamt die vollständige Vorlage eines „statement of affairs“ nach § 272 Abs. 2 Insolvency Act 1986 sowie eine Bestätigung des „official receivers“ an, aus der hervorgehe, auf welche Forderung sich die Schuldbefreiung beziehe.

Der Kläger wandte sich daraufhin an die vorgesetzte Behörde mit einer Sachaufsichtsbeschwerde.

Im Weiteren legte der Kläger, neben den bereits genannten, noch folgende weitere Dokumente vor:

  • ·Abrechnungen der British Gas

  • ·Abrechnungen der Southern Electric

  • ·div. Weitere Abrechnungen

  • ·Zuweisung einer „National Insurance Number“

  • ·Schreiben vom 5. Mai 2010 über die Eröffnung einer Bankverbindung

  • ·Kontoauszüge der X- Bank

  • ·Employer Annual Return für ein Jahr

Auch in verschiedenen gerichtlichen Eilverfahren wurden, neben den bereits genannten Dokumenten, noch folgende weitere vorgelegt:

  • ·Anschreiben des Assistent Official Receiver

  • ·Unterlagen zum Mietverhältnis

  • ·Arbeitsvertrag mit Y

  • ·Kopie einer Ablichtung des Reisepasses des Klägers

Mit Einspruchsentscheidung vom 18. März 2013 wurde der Einspruch zurückgewiesen.

Nach deren Ergehen bemühte sich das Finanzamt weiterhin um Klärung, ob die Steuerforderungen Gegenstand eines englischen Insolvenzverfahrens, wie vom Kläger angegeben, gewesen seien. Zu diesem Zweck richtete es am 7. Januar 2014 ein Auskunftsersuchen nach der Beitreibungsrichtlinie 2010/24 EU über das Bundeszentralamt für Steuern an das „mard team“ des „centenary court“ und erhielt am 1. März 2014 sinngemäß die Antwort, die deutschen Steuerbehörden seien nicht als Gläubiger der Konkursmasse aufgelistet worden, das Ersuchen müsse aber nach sec. 40 (2) Freedom of Information Act zurückgewiesen werden.

Der Kläger bemühte sich im Anschluss mit E-Mail vom 26. März 2014 um eine Bestätigung des Official Receiver, dass er die deutschen Steuerbehörden korrekt als ungesicherten Gläubiger genannt habe. Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2014 legte der Kläger eine E-Mail vom 17. April 2014, gefertigt im Auftrag des OR vor, die eine „List of Creditors“ mitführte, welche das Finanzamt mit einer berücksichtigten Forderungen von 110.000 £ nennt.

Der Kläger meint zur Begründung seiner Klage, mit dem Schreiben vom 12. März 2012 habe das Finanzamt einen Verwaltungsakt erlassen, welcher als Abrechnungsbescheid zu qualifizieren sei. Dieser sei, weil keine Rechtsmittel eingelegt worden seien, bestandskräftig geworden. In dem Schreiben des Finanzamts seien die Feststellungen enthalten „Mit Urteil vom 19.9.2011 wurde ihrem Mandanten Restschuldbefreiung erteilt“ und „das Steuerkonto weist derzeit keine Rückstände auf“. Damit sei auf das Schreiben des Klägervertreters vom 24. Februar 2012, welches sich als impliziter Antrag auf Abrechnung nach § 218 Abs. 2 AO qualifiziere, konkret geantwortet worden. Die Bezeichnung „Abrechnungsbescheid“ in diesem Zusammenhang sei nicht von Nöten. Die Auslegung ergebe, dass es sich um einen Abrechnungsbescheid handeln müsse, etwas anderes sei nicht vorstellbar.

Abweichend vom Schreiben vom 12. März 2012 habe das Finanzamt am 5. November 2012  mit einer Kassenmitteilung Steuern und steuerliche Nebenleistungen im Gesamtbetrag von 202.443,32 € aufgelistet und am 25. September 2012 einen weiteren  Abrechnungsbescheid erteilt, gegen den Rechtsmittel eingelegt worden sei.

Was den streitgegenständlichen Bescheid anbelange, sei die erklärte Aufrechnung wegen § 301 Abs. 1 InsO (Wirkung der Restschuldbefreiung) unzulässig gewesen. Infolge des am 5. Oktober 2010 eröffneten englischen Insolvenzverfahrens seien die Vorschriften der InsO über § 338 InsO ergänzend heranzuziehen. Durch das „Certificate of Discharge“ vom 19. September 2011 sei Restschuldbefreiung mit Wirkung zum 5. Oktober 2011 ausgesprochen worden. Ab diesem Zeitpunkt seien die Steuerverbindlichkeiten nicht mehr vorhanden gewesen, so dass auch nicht gegen sie habe aufgerechnet werden können. Der Schuldner werde nach sec. 210 (1) und sec 282 (1) Insolvency Act 1986 nach englischem Recht grundsätzlich von allen Forderungen befreit, denen er zum Zeitpunkt des Insolvenzeröffnungsbeschlusses ausgesetzt gewesen sei. Dies gelte für alle Schulden, die bis zu diesem Zeitpunkt rechtlich entstanden gewesen seien. Die Verrechnung der Steuerguthaben sei erst mit Schreiben vom 24. November 2011 und damit nach der Restschuldbefreiung erfolgt.

Nach dem Urteil des Hessischen Finanzgerichts in der Streitsache 6 K 1110/10 komme es nicht darauf an, ob das Finanzamt Kenntnis von dem Insolvenzverfahren gehabt habe, ebenso nicht darauf, ob dessen Forderungen fällig gewesen oder angemeldet worden seien.

Der Kläger meint aus Art. 4 Abs. 2 Satz 2 b) und Art. 6 EGV 1346/2000 (EUInsVO) ergebe sich, dass hinsichtlich der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Aufrechnung deutsches Recht anwendbar sei. Dabei differenziere Art. 6 EUInsVO hinsichtlich der prozessualen Zulässigkeit. Nur wenn nach englischem Recht die Aufrechnung als unzulässig betrachtet werde, könne sich der Gläubiger auf das weitergehende Insolvenzrecht des Aufrechnungsstaates und damit auf deutsches Recht berufen. Da aber sec. 323 Insolcency Act 1986 eine Aufrechnung vorsehe, verbliebe es beim englischen Insolvenzrecht. Durch den Verlauf des englischen Insolvenzverfahrens sei die insolvenzrechtliche Situation grundlegend verändert worden. Nach sec. 281 (1) Insolvency Act 1986 seien alle vor Insolvenzeröffnung entstandenen Schulden untergegangen. Mit der „Discharge“ gehe das Klagerecht des Gläubigers unter. Abweichend von der deutschen Rechtslage, bei der nach der Restschuldbefreiung eine unvollkommene Forderung vorliege, gehe eine Forderung durch die „Discharge“ vollständig unter, so dass die Aufrechnungserklärung vom 24. November 2011 keine Aufrechnungswirkung habe auslösen können. Mangels Gegenforderung sei daher die Aufrechnung auch nach deutschem Recht unzulässig.

Würde die deutsche Aufrechnung das englische Recht überlagern, käme es zu einer unterschiedlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so dass ein Vorabentscheidungsverfahren des EuGH zur unterschiedlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beantragt werde.

Das Finanzamt änderte den Abrechnungsbescheid am 5. Juni 2014 in Entsprechung des Einspruchs des Klägers, indem es Teilbeträge von 168 € und 339 €, welche auf Zinsen beruhten, die erst nach Eröffnung des „Bankruptcy“-Verfahrens in England entstanden waren, mit Steuerforderungen, die nach Beendigung des „Bankruptcy“-Verfahrens entstanden waren, verrechnete

Der Kläger beantragt, den Abrechnungsbescheid vom 7. Februar 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2013, geändert am 5. Juni 2014 dahingehend zu ändern, dass ein erstattungsfähiges Guthaben aus 2007 in Höhe von 5.532,73 € (5.700,73 € minus 168 €) und aus 2008 in Höhe von 12.332,71 € (12.671,71 € minus 339 €) ausgewiesen wird.

Der Beklagte (das Finanzamt) beantragt, die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, die Aufrechnung sei zulässig, solange nicht feststehe, dass die Restschuldbefreiung durch den High Court of Justice auch die Steuerforderungen gegen den Kläger erfasse. Anhand des Certificate of Discharge sei zu prüfen, ob wegen der Erteilung der Restschuldbefreiung eine Forderung nicht mehr durchsetzbar sei, weil es sich um eine Insolvenzforderung handle.

Nach sec. 286 Abs. 6 Insolvency Act 1986 greife die Restschuldbefreiung nicht, wenn ein Insolvenzschuldner falsche Angaben in seiner Vermögensübersicht mache und einem Gläubiger infolgedessen ein Schaden entstehe.

Es bestünden Zweifel, dass der Kläger die Insolvenzforderungen im Vermögensverzeichnis angegeben habe, da der englische Insolvenzverwalter andernfalls Kontakt zum Finanzamt aufgenommen hätte.

Einen Nachweis dafür, dass die Restschuldbefreiung sich auf die Steuerschulden beziehe, sei der Kläger bislang schuldig geblieben. Auch Anfragen des Finanzamts seien unbeantwortet geblieben.

Der spätere Wegfall der Durchsetzbarkeit der Gegenforderung durch die Restschuldbefreiung stehe der Aufrechnung nicht entgegen. Das Finanzamt schließe sich der Auffassung des FG Schleswig-Holstein an (4 K 186/11), wonach die Vorschrift des § 94 InsO dahin zu verstehen sei, dass ein rechtskräftiger Beschluss über die Restschuldbefreiung gem. § 301 InsO ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung unberührt lasse.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die vorgelegten Unterlagen und Akten gemäß § 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - FGO - sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 29. April 2015 verwiesen.

Gründe

II. Die Klage ist nicht begründet.

Der Senat geht bei seiner Entscheidung angesichts der mittlerweile vorliegenden Dokumente davon aus, dass der Kläger tatsächlich mit Eröffnung am 5. Oktober 2010 ein Insolvenzverfahren in England durchgeführt und dass er das Finanzamt als Insolvenzgläubiger benannt hat. Insoweit sind sich die Beteiligten, wie in der mündlichen Verhandlung erklärt wurde, auch einig.

Das englische Insolvenzverfahren und dessen, nach englischem Recht, nach einem Jahr eingetretene „Discharge“ haben jedoch nicht dazu geführt, dass die vom Finanzamt erklärte Aufrechnung von Erstattungsansprüchen im Zuge der Einkommensteuerfestsetzung für die Jahre 2007 und 2008 mit Rückständen aus den Jahren 1993 und 2000 als unrechtmäßig und nicht berücksichtigungsfähig zu qualifizieren wäre.

1. Der Senat vermag die Auffassung der Klägerin nicht zu teilen, dass mit dem Schreiben des Finanzamts vom 12. März 2012 ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt einer Abrechnung erteilt worden sei, wonach die strittigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erloschen seien.

a) Ob eine bestimmte Äußerung des Finanzamts als ein Abrechnungsbescheid anzusehen ist, ist eine Frage der Auslegung. Bei dieser kommt es darauf an, ob die Äußerung des Finanzamt als eine Entscheidung über eine Streitigkeit i.S. des § 218 Abs. 2 AO anzusehen ist, ob das Finanzamt also in ihr nach dem für den Adressaten objektiv erkennbaren Erklärungswert mit unmittelbarer Wirksamkeit nach außen zwischen den Beteiligten rechtsfeststellend diese Streitigkeit entschieden hat (vgl. auch § 118 S. 1 AO). Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist ein Abrechnungsbescheid auch dann gegeben, wenn das Finanzamt die Äußerung nicht ausdrücklich als Abrechnungsbescheid oder als Bescheid nach § 218 Abs. 2 AO bezeichnet hat (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 7. August 1990 VII R 120/89, BFH/NV 1991, 569).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Schreiben des Finanzamts vom 12. März 2012 nicht als Abrechnungsbescheid über die streitgegenständlichen Ansprüche zu werten.

Diesem Schreiben vorausgegangen ist ein ausdrücklich als Abrechnungsbescheid bezeichnetes Schreiben vom 7. Februar 2012, mit welchem das Finanzamt, offensichtlich und unmissverständlich, eine Regelung zu der zwischen den Beteiligten strittigen Frage getroffen hat, ob Erstattungsansprüche aus den Einkommensteuerveranlagungen 2007 und 2008 durch Aufrechnung erloschen seien. Hiergegen hatte sich der Kläger mit Einspruch vom 20. Februar 2012 gewandt. Dies voraussetzend konnte der Kläger das Schreiben nicht als Abrechnung über die streitgegenständlichen Ansprüche auffassen, da über diese bereits durch Abrechnungsbescheid vom 7. Februar 2012 ausdrücklich entschieden worden war.

Das Schreiben vom 12. März 2012 verfügt über keinerlei Inhalte, welche den Kläger zu der Annahme veranlassen hätten können, der Abrechnungsbescheid vom 7. Februar 2012 sei aufgehoben, widerrufen oder geändert worden oder das Schreiben beinhalte eine stattgebende Entscheidung zu seinem Einspruch vom 20. Februar 2012. Dass er ein derartiges Verständnis (zutreffender Weise) auch nicht hatte, erschließt sich aus der erfolgten Begründung des Einspruchs vom 13. April 2012, die vorbehaltslos erfolgte, also nicht nur für den Fall, dass nicht bereits durch das Schreiben vom 12. März 2012 über die streitgegenständlichen Steueransprüche anderweitig entschieden worden sei oder etwa mit dem Einwand, es sei am 12. März 2012 anderweitig bereits über den Einspruch entschieden worden.

c) Ganz offensichtlich hat auch der Abrechnungsbescheid vom 25. September 2012 nicht den streitgegenständlichen Bescheid geändert. Entschieden ist dort über Ansprüche wegen Steuererstattungsansprüchen aus der Einkommensteuerfestsetzung 2009. Zu den im Streitfall gegenständlichen Erstattungsansprüchen 2007 und 2008 sind dort keine (abweichenden) Regelungen getroffen.

d) Hinzukommt, dass es dem Schreiben vom 12. März 2012 an der von einem Verwaltungsakt geforderten Bestimmtheit gem. § 119 Abs. 1 AO fehlt, um Regelungsqualität annehmen zu können.

Die in dem Schreiben getroffene Aussage „Das Steuerkonto weist derzeit keinen Rückstand auf“, lässt keinen eindeutigen Rückschluss darauf zu, ob es an einem Ausweis von Rückständen fehlt, weil solche aus materiellen Gründen nicht existieren oder weil aus technischen Gründen gerade kein Ausweis von Rückständen stattfindet. Eine eindeutige Zuordnung zu einer materiellen Ursache lässt sich nicht vornehmen, da ein ursächlicher Zusammenhang mit der zuvor erfolgten Feststellung „es sei Restschuldbefreiung erteilt worden“ gerade nicht hergestellt ist („weil“, „deshalb“, „aufgrund“, „in der Folge“ o.ä.). Dass und, wenn ja, welche Forderung des Klägers oder des Finanzamts aus welchem Grund besteht oder nicht besteht oder nicht mehr besteht, lässt sich dem Schreiben in keiner Weise entnehmen. Insbesondere lässt sich nicht einmal eine konkrete Antwort auf die mit Schreiben vom 24. Februar 2012 gestellte Frage entnehmen, welche Steueransprüche durch die „Discharge“ erloschen seien, da es an der Benennung relevanter Steueransprüche fehlt.

2. Der Abrechnungsbescheid erweist sich auch nicht als unrechtmäßig, weil die gesichert am 24. November 2011 durch das Finanzamt erklärte Aufrechnung aus materiellen Gründen ins Leere gegangen wäre.

        

a) Nach § 335 InsO unterliegen das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen, soweit nichts anderes bestimmt ist, dem Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden ist. Dies ist im Streitfall englisches Recht.

        

b) Nach § 338 InsO wird das Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn er nach dem für die Forderung des Schuldners maßgebenden Recht zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Aufrechnung berechtigt ist.

Diese Regelung des deutschen Insolvenzrechts bleibt auch unter Berücksichtigung der  EUInsVO erhalten insoweit, als auch dort Artikel 6 Abs. (1) EUInsVO vorsieht, dass die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt wird, wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist.

c)  Vorstehendes berücksichtigend, erweist sich die erfolgte Aufrechnung als rechtmäßig.

Nach deutschem (materiellem) Recht gilt, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 47 AO - unter anderem - durch Aufrechnung (§ 226 AO) erlöschen.

Gemäß § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sinngemäß, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.

Nach § 387 BGB kann aufgerechnet werden, wenn eine Aufrechnungslage besteht. Diese liegt vor, wenn die zur Aufrechnung einander gegenüberstehenden Forderungen gegenseitig geschuldet werden und gleichartig sind. Die Gegenforderung muss fällig, die Hauptforderung muss erfüllbar sein. Der Aufrechnung dürfen keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen und die Aufrechnungsvoraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegeben sein (vgl. Bundesgerichtshof -BGH- vom 8. November 2011, Az. XI ZR 341/10, NJW 2012, 445). Diese Voraussetzungen liegen für den Streitfall vor.

Nach § 389 BGB hat die zulässige Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, rückwirkend und damit vor Insolvenzeröffnung als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (vgl. BFH, Urteil vom 12. Juli 2001 VII R 19, 20/00, VII R 19/00, VII R 20/00, unter II. 2. BStBl. II 2002, 67; Beschluss vom 4. Juli 2005, VII B 300/04, BFH BFH/NV 2005, 1753).

aa) Bei den in Streit stehenden Forderungen handelt es sich um solche, die gleichartig sind (Geldforderungen) und die gegenseitig von Seiten des Klägers und dem Finanzamt geschuldet werden.

bb) Besondere materielle Aufrechnungsverbote, welche im Hinblick auf das in England ins Werk gesetzte Insolvenzverfahren gem. §§ 94 bis 96 InsO zu beachten sind, standen der Aufrechnung nicht entgegen.

aaa) Bei den Hauptforderungen des Klägers (die Erstattungsansprüche ESt 2007, 2008) handelt es sich um solche, die unter Berücksichtigung der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung hierzu, als vor Insolvenzeröffnung am 5. Oktober 2010 fällig gelten, so dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO einer Aufrechnung durch das Finanzamt nicht entgegen stand.

Ihrem Kern nach waren die Erstattungsforderungen 2007 und 2008 bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und damit erfüllbar.

Ob ein Steueranspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH, die der erkennende Senat nicht in Zweifel zieht, nicht danach, ob der Anspruch im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern danach, ob im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung der Rechtsgrund für den Anspruch im insolvenzrechtlichen Sinne gelegt war (BFH, Urteile vom 5. Oktober 2004, VII R 69/03, BStBl. II 2005, 195; vom 16. November 2004 VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193; BFH, Beschlüsse vom 6. Oktober 2005, VII B 309/04 und vom 7. Juni 2006 VII B 329/05, BStBl. II 2006, 641). Der Anspruch auf eine Steuer ist im insolvenzrechtlichen Sinne dann vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand, der zur Entstehung der Steuer führt, bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist (BFH in BStBl. II 2005, 195; in BStBl. II 2006, 193; in BFH/NV 2006, 369; BFH, Beschluss vom 20. April 2007 VII B 252/06, BFH/NV 2007, 1395, m.w.N.). Das gilt auch für Steuererstattungsansprüche. Steuererstattungsansprüche aufgrund von Steuervorauszahlungen - im Streitfall die Lohnsteuerzahlung als Vorauszahlung auf die Einkommensteuer - entstehen im Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraumes die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung (BFH, Urteil vom 29. Januar 1991 VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791; in BStBl. II 2006, 641; Beschluss des BGH vom 12. Januar 2006 IX ZB 239/04, NJW 2006, 1127, dort für einen Fall des Lohnsteuerabzuges). Auf die Festsetzung des Erstattungsanspruches in einem Erstattungsbescheid kommt es nicht an (BFH in BFH/NV 1991, 791), da das Finanzamt nach einer Insolvenz-Verfahrenseröffnung einstweilen nicht einmal einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO erlassen kann, weil es bis zum Bestreiten seiner Forderung durch einen dazu Berechtigten an der Erforderlichkeit eines solchen Bescheides fehlt (vgl. BFH, Entscheidungen vom 17. Mai 1984 V R 80/77, BFHE 141, 7, BStBl II 1984, 545, und vom 18. November 1999 V B 73/99, BFH/NV 2000, 548).  § 220 Abs. 2 Satz 2 AO greift deshalb nicht ein.

Da es für das Bestehen der Erstattungsforderung nicht darauf ankommt, dass und wann ein insoweit feststellender Bescheid ergangen ist, kann für den Streitfall dahin gestellt bleiben, ob der Erlass der die Erstattung konkretisierenden Festsetzungsbescheide am 11. Mai 2011, zwar in Unkenntnis, aber doch während des Insolvenzverfahrens, rechtmäßig war, da es darauf letztlich nicht ankommt.

bbb) Auch war die Aufrechnung des Finanzamts nicht gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen, weil dessen Gegenforderungen (die Rückstände aus den Jahren 1993 und 2000) bereits seit 17. Oktober 2001 respektive 17. Juni 2006 und damit vor der Erstattungsforderung des Klägers fällig geworden waren.

cc) Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung war, auch unter Berücksichtigung des englischen Verfahrensrechts, noch von einer zu berücksichtigenden Aufrechnungslage auszugehen.

Dem Einwand des Klägers, die Aufrechnung sei deshalb rechtswidrig gewesen, weil zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung am 24. November 2011 die Aufrechnungslage nicht mehr vorgelegen habe, weil die Forderung des Finanzamts durch die am 5. Oktober 2011 eingetretene „Discharge“ nicht mehr bestanden habe, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Soweit sich der Kläger zu den Voraussetzungen einer Aufrechnung im englischen Verfahrensrecht auf Rule 4.90 der Insolvenzy Rules 1986 (IR) beruft, ist diese nicht einschlägig. Rule 4.90 IR betrifft den Fall der Insolvenz einer Firma („Part 4 Companies Winding Up“), was auf den Streitfall offensichtlich nicht zutrifft. Vielmehr handelt es sich im Streitfall um ein Verfahren nach Teil 6 IR („Part 6 Bankruptcy“). Dort ist gerade keine Regelung zum Zeitpunkt der Anmeldung einer Gegenforderung näher ausgeführt, vielmehr sieht sec. 281 Abs. (1) 2. Halbsatz Insolvency Act 1986 hinsichtlich der Wirkung einer „Discharge“ einschränkend vor, dass

 „..discharge does not affect the right of any creditor of the bankrupt to prove in the bankruptcy for any debt from which the bankrupt is released.”

…eine Restschuldbefreiung beeinträchtigt nicht das Recht eines Gläubigers des Insolvenzschuldners in der Insolvenz eine Schuld geltend zu machen, von welcher der Insolvenzschuldner befreit ist

Dies bedeutet, dass es einem Gläubiger auch nach Erteilung der „discharge“ unbenommen bleibt, sich auf eine Schuld zu berufen, die von der „discharge“ erfasst sein soll.

Damit bleibt dem Gläubiger auch nach Ausspruch der „discharge“ nicht nur der Einwand erhalten, dass er eine Insolvenzschuld hat, sondern auch der Einwand (maior ad minus), in welcher Höhe tatsächlich eine Insolvenzschuld vorliegt, welche die „discharge“ erfasst. Nach 6.96 (1) IR ist ein derartiger Einwand an keinerlei besonderen Formalitäten gebunden, so dass bereits das Schreiben des Finanzamts vom 30. Juni 2012 an den Official Receiver als Reklamieren des entsprechenden Einwands ausgelegt werden kann, dass bei den „bankruptcy dept“, soweit das Finanzamts betroffen ist, auch Gegenansprüche zu berücksichtigen sind.

In sec. 281 Insolvency Act 1986 (Effect of discharge) ist geregelt: E+W

(1)     

Subject as follows, where a bankrupt is discharged, the discharge releases him from all the bankruptcy debts, but has no effect—

        

Damit wird eine Gläubigerforderung von der „discharge“ dann aber gleichzeitig nur dann erfasst, wenn es sich um eine Insolvenzschuld („bankruptcy dept“) handelt.

Für die Bestimmung, was eine Insolvenzschuld ist, wenn sich gegenseitige Forderungen von Insolvenzschuldner und Insolvenzgläubiger gegenüberstehen, hält sec. 323 Insolvency Act 1986 eine eigene Regelung bereit. Dort heißt es:

Mutual credit and set-off.

(1)     

This section applies where before the commencement of the bankruptcy there have been mutual credits, mutual debts or other mutual dealings between the bankruptcy and any creditor of the bankrupt proving or claiming to prove for a bankruptcy debt.

        

Dieser Abschnitt findet dort Verwendung, wo vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beidseitige Darlehen, beidseitige Schulden oder andere gegenseitige Beziehungen zwischen dem Insolvenzschuldner und einem Insolvenzgläubiger, zu gewärtigen sind, welche bewiesene oder zum Beweis angemeldete Insolvenzschulden betreffen.

        

        

(2)     

An account shall be taken of what is due from each party to the other in respect of the mutual dealings and the sums due from one party shall be set off against the sums due from the other.

        

Eine Verrechnung soll vorgenommen werden, für das, was jede Partei der anderen schuldet mit Rücksicht auf gegenseitige Beziehungen und die Summen, die die eine Partei der anderen schuldet und die Summen sollen gegengerechnet werden, was eine Partei der anderen schuldet

(3)     

….    

(4)     

Only the balance (if any) of the account taken under subsection (2) is provable as a bankruptcy debt or, as the case may be, to be paid to the trustee as part of the bankrupt’s estate.

        

Nur der Saldo der Aufrechnungen ist eine nachweisbare Insolvenzforderung oder je nachdem, an den Insolvenzverwalter zu zahlen als Vermögen des Insolvenzschuldners.

Nach sec. 323 Abs. (4) Insolvency Act 1986 sieht das englische Recht damit vor, dass als Insolvenzschuld nur der Saldo aus Forderungen und Gegenforderungen, die zu Beginn des Insolvenzverfahrens vorlagen als Insolvenzschuld zu berücksichtigen ist.

Da nur der Saldo derartiger gegenseitiger Beziehungen als Insolvenzschuld von der „Discharge“ verfahrensrechtlich erfasst wird, konnte die „Discharge“ den Kläger nur insoweit von Forderungen des Finanzamts befreien, als sie einem Saldo aus Forderungen und Gegenforderungen entsprechen, welcher sich aus den gegenseitigen Forderungen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergibt.

Da die Frage, ob Aufrechenbarkeit zu Beginn des Insolvenzverfahrens vorlag, eine des materiellen Rechts ist, ist eine Aufrechnung nach Art. 6 EUInsVO unabhängig von den englischen Bestimmungen dann möglich, wenn eine Aufrechenbarkeit nach deutschem Recht zu bejahen ist. Wie bereits dargelegt (II. 2 c. bb) aaa) der Gründe) ist hiernach von einer Aufrechenbarkeit zu Beginn des Verfahrens auszugehen.

Wie ebenfalls bereits dargelegt räumt sec. 281 Insolvency Act 1986 am Ende dem Gläubiger ein, sich auf die tatsächliche Insolvenzschuld zu berufen.

Das Finanzamt war entsprechend an einer Aufrechnung gegen bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens entstandener Steuererstattungsansprüchen mit zu Beginn des Insolvenzverfahrens bestehenden Steuerrückständen durch englisches Verfahrensrecht nicht gehindert, da sich hierdurch lediglich der Saldo konkretisierte der von der „discharge“ als „Bankruptcy Dept“ erfasst wird und dem Gläubiger eine Berufung auf einen entsprechend niedrigeren Saldo auch nach Eintritt der „discharge“ unbenommen ist.

dd) Der Senat schließt sich im Übrigen der Auffassung des FG Schleswig-Holstein an (Urteil vom 23. Oktober 2013, 4 K 186/11, EFG 2014, 1028 nach Einstellung des Revisionsverfahrens rechtskräftig), wonach die Vorschrift des § 94 InsO dahin zu verstehen ist, dass ein rechtskräftiger Beschluss über die Restschuldbefreiung gem. § 301 InsO ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahren bestehendes Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung unberührt lässt, so dass auch nach deutschem Recht eine Aufrechnungserklärung am 24. November 2011 noch möglich war (vgl. zur Rechtsentwicklung BGH, Urteil vom 19. Mai 2011 IX ZR 222/08, NJW-RR 2011, 1142).

ee) Zu bedenken gilt es letztlich auch, dass es in der Hand des Klägers lag durch zeitnahe Abgabe der entsprechenden Steuererklärungen die Konkretisierung der Erstattungsansprüche schon vor Beginn des „bankruptcy“ Verfahrens zu ermöglichen. Es widerspricht den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie einem „fair trial“, wenn es ins Belieben des Schuldners gestellt wäre, einerseits die Forderungen eines Insolvenzgläubigers ins Insolvenzverfahren und eine Restschuldbefreiung zu verlagern, demgegenüber die Forderungen gegenüber diesem, auch wenn deren Wurzeln in einen Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fallen, nach Gutdünken in eine Zeit nach Abschluss des Insolvenzverfahrens zu verlagern und diese, ungeachtet einer  grundsätzlich vor Insolvenz bestehenden Aufrechnungslage, zu Lasten des Gläubigers einseitig durchzusetzen.

ff) Selbst wenn man die Auffassung des Senats nicht teilen möchte, dass bereits die entsprechende Anwendung englischen und deutschen Rechts zu dem gefundenen Ergebnis der möglichen Aufrechnung führt, wäre weitergehend für den Streitfall zu  prüfen, ob angesichts der fehlenden Beteiligung des Finanzamts am gerichtlichen „Bankruptcy“-Verfahren und der damit einhergehenden Verletzung eines grundrechtsgleichen Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) als Betroffener eines Gerichtsverfahrens, eine Berücksichtigung des „Bankruptcy“-Verfahrens nach Art. 26 EUInsVO insgesamt oder mit dem eingeschränkten Ergebnis einer gleichwohl möglichen Aufrechnung in Betracht zu ziehen wäre.

Bei dem durch den Senat gefunden Ergebnis kommt es hierauf jedoch nicht an.

3. Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH hält der Senat nicht für veranlasst, da konkrete Zweifelsfragen zur Auslegung europäischen Rechts, die eine Vorabentscheidung erforderten, sich nicht ergeben. Hinzukommt, dass das Finanzgericht als erstinstanzliches Gericht, selbst wenn eine derartige Frage zu formulieren wäre, gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nur berechtigt, nicht aber verpflichtet ist , eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (BFH, Beschluss vom 9. Juni 2009, VII B 182/08, BFH/NV 2009, 1681; vom 11. August 1999 VII B 162/99, BFH/NV 2000,77; vom 25. Juni 1991 VII B 33/91,BFH/NV 1992, 286). Letztlich hält der erkennende Senat die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts - im Streitfall des Art. 6 EUInsO - für derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel an dessen Auslegung, was den Streitfall anbelangt, kein Raum besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 6.10.1982 283/81 „Cilfit u.a.“ Celex-Nr. 61981CJ0283, juris).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Absatz 1 FGO.

Urteilsbesprechung zu Finanzgericht München Urteil, 29. Apr. 2015 - 1 K 1080/13

Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht München Urteil, 29. Apr. 2015 - 1 K 1080/13

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd
Finanzgericht München Urteil, 29. Apr. 2015 - 1 K 1080/13 zitiert 24 §§.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Abgabenordnung - AO 1977 | § 164 Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung


(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 387 Voraussetzungen


Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 389 Wirkung der Aufrechnung


Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 105


(1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrun

Abgabenordnung - AO 1977 | § 218 Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis


(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden

Insolvenzordnung - InsO | § 96 Unzulässigkeit der Aufrechnung


(1) Die Aufrechnung ist unzulässig, 1. wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist,2. wenn ein Insolvenzgläubiger seine Forderung erst nach der Eröffnung des Verfahrens vo

Abgabenordnung - AO 1977 | § 119 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsakts


(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein. (2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein

Abgabenordnung - AO 1977 | § 47 Erlöschen


Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225), Aufrechnung (§ 226), Erlass (§§ 163, 227), Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ans

Abgabenordnung - AO 1977 | § 251 Vollstreckbare Verwaltungsakte


(1) Verwaltungsakte können vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist (§ 361; § 69 der Finanzgerichtsordnung). Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbescheide können außerdem

Abgabenordnung - AO 1977 | § 118 Begriff des Verwaltungsakts


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemein

Abgabenordnung - AO 1977 | § 226 Aufrechnung


(1) Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Mit Ansprüchen aus dem Steuer

Insolvenzordnung - InsO | § 95 Eintritt der Aufrechnungslage im Verfahren


(1) Sind zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so kann die Aufrechnung ers

Insolvenzordnung - InsO | § 301 Wirkung der Restschuldbefreiung


(1) Wird die Restschuldbefreiung erteilt, so wirkt sie gegen alle Insolvenzgläubiger. Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben. (2) Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners so

Insolvenzordnung - InsO | § 94 Erhaltung einer Aufrechnungslage


Ist ein Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes oder auf Grund einer Vereinbarung zur Aufrechnung berechtigt, so wird dieses Recht durch das Verfahren nicht berührt.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 220 Fälligkeit


(1) Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den Vorschriften der Steuergesetze. (2) Fehlt es an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit, so wird der Anspruch mit seiner Entstehung fällig,

Insolvenzordnung - InsO | § 335 Grundsatz


Das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen unterliegen, soweit nichts anderes bestimmt ist, dem Recht des Staats, in dem das Verfahren eröffnet worden ist.

Insolvenzordnung - InsO | § 338 Aufrechnung


Das Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn er nach dem für die Forderung des Schuldners maßgebenden Recht zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Aufrechnung berec

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Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen. Tatbestand 1 Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Aufrechnung eines Umsatzsteuerguthabens nebst Zinsen des Klägers
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Bundesfinanzhof Beschluss, 08. März 2017 - VII R 13/15

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 29. April 2015  1 K 1080/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.

(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.

(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.

(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.

(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden; bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240). Die Steueranmeldungen (§ 168) stehen den Steuerbescheiden gleich.

(2) Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2) betrifft.

(3) Wird eine Anrechnungsverfügung oder ein Abrechnungsbescheid auf Grund eines Rechtsbehelfs oder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückgenommen und in dessen Folge ein für ihn günstigerer Verwaltungsakt erlassen, können nachträglich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person die entsprechenden steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.

(1) Wird die Restschuldbefreiung erteilt, so wirkt sie gegen alle Insolvenzgläubiger. Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben.

(2) Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger aus einer zu ihrer Sicherung eingetragenen Vormerkung oder aus einem Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, werden durch die Restschuldbefreiung nicht berührt. Der Schuldner wird jedoch gegenüber dem Mitschuldner, dem Bürgen oder anderen Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber den Insolvenzgläubigern.

(3) Wird ein Gläubiger befriedigt, obwohl er auf Grund der Restschuldbefreiung keine Befriedigung zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten.

(4) Ein allein aufgrund der Insolvenz des Schuldners erlassenes Verbot, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, tritt mit Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung außer Kraft. Satz 1 gilt nicht für die Versagung und die Aufhebung einer Zulassung zu einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit.

Das Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn er nach dem für die Forderung des Schuldners maßgebenden Recht zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Aufrechnung berechtigt ist.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Aufrechnung eines Umsatzsteuerguthabens nebst Zinsen des Klägers für das Jahr 1995 mit Einkommensteuerforderungen für die Jahre 1991, 1994 und 1996 rechtmäßig erfolgt ist. Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, der Aufrechnung stehe die unstreitig erfolgte Restschuldbefreiung nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen entgegen.

2

Der Klage liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Ausgangspunkt für den vorliegenden Rechtsstreit ist der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) und ihm folgend der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2005 entschieden haben, dass die Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit nicht der Umsatzsteuer unterliegen.

3

Der Kläger hat in den Streitjahren mehrere Spielhallen betrieben. Über sein Vermögen wurde im August 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts von September 2010 wurde dem Kläger die Restschuldbefreiung erteilt. Das Umsatzsteuerguthaben für das Jahr 1995 nebst Zinsen in einer Gesamthöhe von 67.297,74 € wurde am 18. April 2011 festgesetzt, nachdem der Beklagte, das Finanzamt, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens festgestellt hatte, dass der geänderte Bescheid über Umsatzsteuer für 1995 vom 20. März 1998 anlässlich eines vom Kläger eingereichten Einspruches vom 17. Februar 1998 nicht wirksam bekannt gegeben worden war. Auch für die Jahre 1991 - 1994 sowie 1996 - 2001 war die Umsatzsteuer wegen der geänderten Rechtsprechung des EuGH gegenüber dem Kläger bereits im Jahre 2006 durch geänderte Bescheide gemindert worden. Mit Schreiben vom 28. Juli 2006 hatte das Finanzamt der Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Klägers mitgeteilt, es beabsichtige, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1991 - 2001 zu ändern und den Gewinn jeweils um die erstattete Umsatzsteuer zu erhöhen und die entsprechenden Festsetzungen gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu erhöhen. Zwar seien Steuererstattungen grundsätzlich im Jahr der Zahlung als Gewinn zu erfassen, dies gelte jedoch nicht in den Fällen, in denen über das Vermögen des Steuerpflichtigen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Diese Änderungen sind in dem vom Finanzamt am 08. Januar 2007 angemeldeten Einkommensteuerforderungen für die Jahre 1991 - 2000 nebst Verzugszinsen enthalten und wurden als Ergebnis der Prüfungsverhandlung am 17. November 2009 zur Tabelle festgestellt. Ob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Einwände gegen die Festsetzungen und Anmeldungen zur Insolvenztabelle erhoben hat, ist zwischen den Beteiligten streitig.

4

Das Finanzamt hat durch Schreiben vom 16. Mai 2011 das Umsatzsteuerguthaben aufgrund des Änderungsbescheides für das Jahr 1995 vom 18. April 2011 in Höhe von 37.702,67 € nebst 29.595,07 € Zinsen mit Einkommensteuerforderungen für die Jahre 1991, 1994 und 1996 in Höhe von insgesamt 52.217,17 € aufgerechnet. Der Kläger hat im Klageverfahren drei Kopien von Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 01. November 2004, vom 30. November 2006 und 28. April 2008 an das Insolvenzgericht eingereicht mit denen dieser u. a. vom Finanzamt angemeldeten Forderungen widersprach. Den Restbetrag von 15.080,57 € hat das Finanzamt an den Kläger ausgezahlt. Es erfolgte keine Aufrechnung mit den während des Insolvenzverfahrens entstandenen Zinsen zur Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1995.

5

Nachdem der Kläger gegen die erfolgte Aufrechnung Einwände erhoben hatte und auch Gespräche zwischen den Beteiligten nicht zur Beilegung der unterschiedlichen Rechtsauffassung geführt hatten, erteilte das Finanzamt dem Kläger am 28. Juni 2011 einen entsprechenden Abrechnungsbescheid. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen vor und würden auch nicht durch die erfolgte Restschuldbefreiung beeinträchtigt. Vor und nach der erfolgten Insolvenzeröffnung hätten die Voraussetzungen für eine Aufrechnung gem. § 226 AO i.V.m. § 387 BGB vorgelegen, da die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit, der Gleichartigkeit, der Gläubiger-Schuldneridentität sowie der Durchsetzbarkeit der Forderungen gegeben gewesen seien. Der spätere Wegfall der Durchsetzbarkeit der Forderungen durch die erfolgte Restschuldbefreiung sei unerheblich, da gem. § 94 der Insolvenzordnung (InsO) vor oder während des Insolvenzverfahrens eingetretene Aufrechnungslagen von der Insolvenz unberührt blieben. Somit stehe auch die erfolgte Restschuldbefreiung der Aufrechnung nicht entgegen.

6

Den gegen diesen Bescheid fristgemäß erhobenen Rechtsbehelf  hat das Finanzamt mit der Einspruchsentscheidung vom 31. August 2011 als unbegründet zurückgewiesen und in den Gründen ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, eine erfolgte Aufrechnung sei rechtmäßig, wenn
- zwei gleichartige Forderungen vorlägen (Gleichartigkeit),
- die Schuldner-Gläubigeridentität gegeben sei (Gegenseitigkeit),
- die Hauptforderung, d. h. im Streitfall der Erstattungsanspruch des Klägers entstanden sei und
- die Gegenforderung, die Forderung des Finanzamtes entstanden und fällig sei.

7

Auf die Festsetzung der Hauptforderung und deren Fälligkeit komme es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht an. Es dürfe lediglich kein Aufrechnungsverbot bestehen und die Gegenforderung müsse durchsetzbar sein.

8

Die Gleichartigkeit und die Gegenseitigkeit der Forderungen seien im vorliegenden Fall zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Erstattungsanspruch des Klägers sei mit Ablauf des Kalenderjahres 1995 und somit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Für die Zinsen zur Umsatzsteuer gelte dies für die bis zur Insolvenzeröffnung entstandenen Zinsen. Die Gegenforderungen des Finanzamtes seien mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraumes und damit ebenfalls vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden. Sie seien auch mit Ablauf der entsprechenden Veranlagungszeiträume fällig geworden, da aufgrund des Insolvenzverfahrens eine Festsetzung durch Steuerbescheid nicht mehr möglich gewesen sei und die Fälligkeit sich somit nach § 220 AO bestimme. Werde über das Vermögen des Steuerschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, so würden die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Steueransprüche fällig, ohne dass es hierfür einer Festsetzung oder Feststellung durch einen Verwaltungsakt oder der Anmeldung zur Tabelle bedürfe (vgl. BFH-Urteil vom 04. Mai 2004, VII R 45/03). Somit seien die Voraussetzungen für eine Aufrechnung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen.

9

Die Aufrechnungsklage habe über die Beendigung des Insolvenzverfahrens und die formelle Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung hinaus Bestand. Nach den §§ 94 und 95 InsO werde eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage durch den Eintritt der Insolvenz nicht berührt. Die Aufrechnungslage bleibe bestehen und die Restschuldbefreiung habe auf sie keine Auswirkung.

10

Der Einwand des Klägers, dass es an einer Durchsetzbarkeit der Gegenforderung wegen der erteilten Restschuldbefreiung gemangelt habe, greife nicht durch. Denn die Restschuldbefreiung bewirke nicht, dass die Verbindlichkeiten des Schuldners erlöschen würden, sondern sie würden gem. § 301 Abs. 3 InsO nur unvollkommene Verbindlichkeiten. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung könne deshalb nicht mehr mit von der Insolvenz betroffenen Forderungen aufgerechnet werden. Dies gelte jedoch nicht, wenn bereits vor der Restschuldbefreiung die Aufrechnungslage bestandenen habe. Dies ergebe sich aus dem Urteil des BGH vom 19. Mai 2011 zum Az. 222/08, in dem die Zulässigkeit einer Aufrechnung mit einer Forderung bejaht werde, die nach einem Insolvenzplan als erlassen gelte.

11

Mit dem am 09. September 2011 bei dem Gericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Prozesskostenhilfe für eine zu erhebende Klage gegen den Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung beantragt und diesen Antrag näher begründet. Nachdem der Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2012 die beantragte Prozesskostenhilfe gewährt hat, hat der Kläger die angekündigte Klage, die am 25. Januar 2012 bei dem Gericht eingegangen ist, erhoben und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde ausgeführt, der Kläger sei aufgrund seiner finanziellen Lage vor der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe nicht in der Lage gewesen, das Kostenrisiko eines gerichtlichen Verfahrens zu tragen.

12

Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, die erfolgte Aufrechnung sei rechtswidrig, weil von der Restschuldbefreiung auch die Einkommensteuer für die Jahre 1991, 1994 und 1996 erfasst würde, die das Finanzamt auch zur Tabelle angemeldet habe. Die angemeldeten Forderungen beruhten auf Berechnungen vom 04. Januar 2007; zuvor habe das Finanzamt die Forderung für alle drei Jahre jeweils mit Null Euro angegeben. Wegen der erteilten Restschuldbefreiung seien die vom Finanzamt zur Aufrechnung geltend gemachten Forderungen gem. § 301 InsO nicht mehr durchsetzbar gewesen, da ihnen eine Einrede im Sinne des § 390 BGB entgegen stünde. Eine Aufrechnung mit der Restschuldbefreiung unterliegenden Insolvenzforderungen mit Gegenansprüchen des Insolvenzschuldners sei jedenfalls nach Erteilung der Restschuldbefreiung ausgeschlossen. Die Argumentation des Finanzamtes, eine Aufrechnung sei im vorliegenden Fall zulässig, weil mit vor der Insolvenzeröffnung entstandenen Ansprüchen aufgerechnet worden sei, sei zum einen unzutreffend und gehe zudem von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Denn tatsächlich seien die behaupteten Gegenansprüche aus der Einkommensteuer nicht mit Ablauf der entsprechenden Jahre und damit vor der Insolvenzeröffnung entstanden. Denn das Finanzamt habe die dem Kläger aufgrund der im Jahre 2005 - also nach der Insolvenzeröffnung ergangenen Rechtsprechung - zustehenden Umsatzsteuererstattungsansprüche auch ertragsteuerlich den jeweiligen Jahren zugeordnet. Dies sei jedoch schlicht unzutreffend und widerspreche dem materiellen Bilanzsteuerrecht. Es bestünden keine Einkommensteuerforderungen des Finanzamtes für die Jahre 1991, 1994 und 1996. Weder bestünden materielle Ansprüche noch seien sie festgesetzt worden geschweige denn vor der Insolvenzeröffnung, so dass sich das Finanzamt auf eine vor der Insolvenzeröffnung entstandene Aufrechnungslage nicht berufen könne. Die Rechtsauffassung des Finanzamtes, die Einkommensteuer entstehe mit Ablauf des Kalenderjahres, möge zutreffend sein, dies könne jedoch nicht in Fällen wie dem vorliegenden gelten, in dem die Festsetzungen eindeutig materiell-rechtlich falsch seien. Die ertragsteuerlichen Konsequenzen aus der Rechtsprechungsänderung im Jahre 2005, die zu den Erstattungsansprüchen des Klägers geführt habe, seien im Kalenderjahr 2005 zu ziehen gewesen. Des Weiteren habe der Prozessbevollmächtigte die vom Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen bestritten. Insoweit werde auf die Schuldnerwidersprüche vom 01. November 2004, 30. November  2006 und 28. April 2008 Bezug genommen. Die vom Finanzamt vorgelegte Auskunft des Amtsgerichts vom 19. Juli 2012, in der mitgeteilt werde, dass dort kein Widerspruch des Schuldners gegen die angemeldete Forderung laut Insolvenztabelle eingegangen sei, sei ohne Beweiswert, denn das Amtsgericht habe bereits einmal eine unzutreffende Auskunft über einen nicht vorliegenden Schuldnerwiderspruch erteilt. Insoweit werde auf das Schreiben des Amtsgerichts vom 02. November 2004 und das Antwortschreiben des Prozessbevollmächtigten vom 11. November 2004 Bezug genommen.

13

Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Abrechnungsbescheides vom 28. Juni 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. August 2011 den dem Kläger zustehenden Erstattungsanspruch aus dem Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 vom
18. April 2011 um 52.217,17 € höher festzusetzen.

14

Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, die Einwendungen, die Umsatzsteuererstattungen seien nicht in den zutreffenden Jahren gewinnerhöhend berücksichtigt worden, könnten im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, weil diese in einem gesonderten Verfahren zu berücksichtigen gewesen wären. Nach § 178 Abs. 3 InsO wirke die Feststellung zur Insolvenztabelle wie ein rechtskräftiges Urteil und somit gewissermaßen konstitutiv, so dass die Steuern in den entsprechenden Kalenderjahren entstanden seien. Der Kläger habe den angemeldeten Forderungen des Finanzamtes auch nicht widersprochen. Aus dem Tabellenauszug sei ersichtlich, dass die Anmeldung vom 08. Januar 2007 nicht bestritten worden sei. Des Weiteren habe das Amtsgericht mit Schreiben vom 19. Juli 2012 mitgeteilt, dass dort kein Widerspruch des Schuldners gegen die angemeldeten Forderungen eingegangen sei und die Forderung im schriftlichen Verfahren am 13. November 2009 geprüft worden sei.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie die Steuerakte Verrechnung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17

Die Klage ist unbegründet.

18

Die Klage ist unbegründet, weil der angefochtene Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtmäßig ist und den Kläger somit nicht in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO). Das Finanzamt hat zutreffend festgestellt, dass der Erstattungsanspruch des Klägers aus dem Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 vom 18. April 2011 nebst Zinsen in Höhe von insgesamt 51.217,17 € durch Aufrechnung mit den zur Tabelle angemeldeten Einkommensteuerforderungen für das Jahr 1991 in Höhe von 13.902,03 €, mit Einkommensteuer für das Jahr 1994 in Höhe von 17.995,43 € und Einkommensteuer für das Jahr 1996 in Höhe von 20.319,71 € erloschen ist.

19

Das Finanzamt hat zutreffend durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO über das Erlöschen des Umsatzsteuererstattungsanspruches gem. § 47 AO durch Aufrechnung entschieden.

20

Gem. § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des BGB sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann gem. § 387 BGB jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung muss voll wirksam, fällig und erzwingbar (vgl. BGH vom 19.5.2011, Az. IX ZR 222/08, NJW-RR 2011,1142) und die Hauptforderung erfüllbar sein. Der Aufrechnung dürfen keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen und die Aufrechnungsvoraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegeben sein (vgl. BGH vom 8.11.2011, Az. XI ZR 341/10; NJW 2012,445).  Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Einkommensteuerforderungen waren wirksam, fällig und auch im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung erzwingbar, das FA durfte die Umsatzsteuerforderung im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung auch bewirken und ein Aufrechnungsverbot lag nicht vor.

21

Nach § 387 BGB ist erforderlich, dass die Gegenforderung (hier Einkommensteuerforderungen) besteht, der Aufrechnungsgegner (der Kläger) also dem Aufrechnenden (Finanzamt) etwas schuldet. Das Finanzamt kann Steuern von demjenigen fordern, gegen den es sie wirksam festgesetzt hat. Die Festsetzung als Grundlage der Verwirklichung des gesetzlichen Steueranspruchs entfaltet - wie jeder wirksame sonstige Verwaltungsakt - Tatbestandswirkung. Im Erhebungsverfahren, zu dem die Aufrechnung gehört, ist folglich grundsätzlich nur zu prüfen, ob eine Steuerfestsetzung gegen den Abrechnungsschuldner vorliegt und ob sie wirksam ist. Auch eine rechtswidrige jedoch wirksam festgesetzte Steuerforderung besteht, solange die Festsetzung nicht aufgehoben ist oder in anderer Weise ihre Rechtswirkungen verloren hat (vgl. BFH-Entscheidung vom 15. Juni 1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46 ff.). Zwar hat das Finanzamt die Einkommensteuerforderungen wegen des eröffneten Insolvenzverfahrens nicht festgesetzt, die Forderungen sind aber wirksam zur Insolvenztabelle festgestellt worden und somit gem. § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO gegenüber dem Kläger wirksam.

22

Insolvenzgläubiger können nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre rechtlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt gelten machen (§ 201 Abs. 1 InsO). Die Insolvenzgläubiger, deren Forderungen festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden sind, können aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben (§ 201 Abs. 2 Satz 1 InsO). Einer nicht bestrittenen Forderung steht eine Forderung gleich, bei der ein erhobener Widerspruch beseitigt ist (§ 201 Abs. 2 Satz 2 InsO). Diese Voraussetzungen liegen vor.

23

Das Insolvenzverfahren wurde nach § 289 Abs. 2 S. 2 InsO durch den rechtskräftigen Beschluss über die Restschuldbefreiung aufgehoben. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die Einkommensteuerforderungen als Insolvenzforderungen gegenüber dem FA als Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers am 17. November 2009 zur Insolvenztabelle festgestellt worden sind. Streitig ist, ob im Prüfungszeitpunkt durch das Insolvenzgericht diese Forderungen durch den Kläger bestritten waren. Nach Überzeugung des Gerichts liegen für ein Bestreiten keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. In den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegten Kopien der Schreiben an das Insolvenzgericht vom 01. November 2004, 30. November 2006 und 28. April 2008 sind die hier gegenständlichen Einkommensteuerforderungen nicht konkret benannt und die Schreiben vom 01. November 2004 und 30. November 2006 lagen vor dem Tag der Anmeldung am 08. Januar 2007 durch das Finanzamt. Gegen die Erhebung eines Widerspruches spricht, dass ein solcher nicht in die Tabelle eingetragen worden ist. Denn gem. § 178 Abs. 2 Satz 2 InsO ist auch ein Widerspruch des Schuldners in die Tabelle einzutragen. Maßgeblich für die Eintragung ist, ob im Zeitpunkt des Prüfungstermins ein Widerspruch vorliegt. So ist ein einmal erhobener Widerspruch, der im Prüfungszeitpunkt nicht aufrecht erhalten bleibt, nicht einzutragen. Gegen das Vorliegen eines Widerspruches spricht auch, dass der Kläger gegen die fehlende Eintragung seines vermeintlichen Widerspruches keine Berichtigung beantragt hat.

24

Da die Einkommensteuerforderungen des Finanzamtes zur Tabelle festgestellt worden sind, muss der Kläger sie als Insolvenzschuldner auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens durch die Restschuldbefreiung gegen sich gelten lassen, unabhängig davon, ob die Gewinnerhöhungen aufgrund der Umsatzsteuererstattungen materiell-rechtlich zutreffend in diesen Jahren vorzunehmen waren.

25

Die Einkommensteuerforderungen waren auch fällig. Nach § 220 Abs.1 AO richtet sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nach den Vorschriften des der Steuergesetze. Gem. § 36 Abs.4 EStG wird die Einkommensteuer innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides fällig. Steuerbescheide konnten vorliegend wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ergehen, sondern durften nur zur Tabelle angemeldet werden. Dies führt dazu, dass die Insolvenzforderungen gem. § 220 Abs. 2 S. 1 AO mit der Entstehung der Steuer fällig werden (vgl. BFH vom 4.5.2004, Az. VII R 45/03; BStBl. II 2004, 815). Die Einkommensteuer entsteht gem. § 36 Abs.1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraumes. Da gem. § 25 Abs. 1 EStG das Kalenderjahr der Veranlagungszeitraum ist, waren die Gegenforderungen mit Ablauf des 31.12.1991, 31.12.1994 und 31.12.1996 fällig.

26

Die Einkommensteuerforderungen waren auch trotz der Restschuldbefreiung im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung durchsetzbar.

27

Unvollkommene, rechtlich nicht durchsetzbare Forderungen können nicht aufgerechnet werden (vgl. BGH 29.3.2007, Az. IX ZB 204/05, ZIP 2007,923). Erlangt der gerichtliche Beschluss über die Restschuldbefreiung formelle Rechtskraft, wirkt die Restschuldbefreiung gem. § 301 Abs.1 S.1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Mit der Rechtskraft tritt eine Entschuldung ein. Allerdings folgt aus § 301 Abs. 3 InsO, dass Leistungen, die nach der Restschuldbefreiung zur Befriedigung eines Insolvenzgläubigers erbracht werden, nicht zurückgefordert werden können. Zumindest als Rechtsgrund bestehen die ursprünglichen Forderungen über die Wirksamkeit der Restschuldbefreiung hinaus fort. Es liegt eine unvollkommene Verbindlichkeit des Schuldners vor (vgl. Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 301 Rn. 3). Damit wären die Einkommensteuerforderungen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung durch das FA nicht mehr durchsetzbar und nicht mehr aufrechenbar (so das Finanzgericht Hamburg, Az. 3 K 132/11 vom 15.8.2011, EFG 2011, 2180). Allerdings hat der BGH (Entscheidung vom 19.5.2011, Az. IX ZR 222/08, NJW-RR 2011, 1142 ff.) entschieden, dass ein Aufrechnungsrecht einer Gegenforderung, die nach einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan als erlassen gelte, bestehen bleibe, wenn die Aufrechnungslage bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden habe. Nach § 94 InsO werde das bei Verfahrenseröffnung bestehende Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung durch das Verfahren nicht berührt. Diese Vorschrift sei dahin zu verstehen, dass zum „Verfahren“ auch das Ergebnis des Insolvenzverfahrens gehöre, das - etwa als Insolvenzplan – über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens hinauswirken könne. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers habe § 94 InsO diese Wirkung zukommen sollen. Dieser überzeugenden Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Der vom BGH entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden vergleichbar, weil es sich auch dort um eine unvollkommen gewordene Verbindlichkeit handelte. Die Gegenforderungen des FA blieben trotz Restschuldbefreiung aufrechenbar, weil im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im August 2004 die Aufrechnungslage bereits vorlag.

28

Gem. § 94 InsO muss der Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens zur Aufrechnung berechtigt sein. Insolvenzgläubiger ist gem. § 38 InsO, wer einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Das bedeutet, der Rechtsgrund ihrer Entstehung muss bereits zu diesem Zeitpunkt gelegt sein. Eine Steuerforderung ist immer dann Insolvenzforderung, wenn der ihr zugrunde liegende Tatbestand, der zur Entstehung des Steueranspruches führt, vom Schuldner bereits vor Verfahrenseröffnung verwirklicht worden ist. Nicht entscheidend für die Zuordnung ist demnach, zu welchem Zeitpunkt hieraus die konkrete Steuerforderung entsteht (vgl. Nerlich/Römermann, § 38 Rn. 13, 15, a.a.O.) Welche Anforderungen im Einzelnen an die vollständige Tatbestandsverwirklichung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts (vgl. BFH vom 11.7.2013, Az. XI B 41/13, BFH/NV 2013,1647). Insolvenzgläubiger können gem. § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner „begründeten“ Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern beim Insolvenzverwalter zur Eintragung in die Tabelle und zur Prüfung mit dem Ziel der Feststellung anzumelden (vgl. BFH vom 11.7.2013, a.a.O., II Ziff. 1). Da die hier gegenständlichen Einkommensteuerforderungen auf diese Weise wirksam zur Tabelle als Insolvenzforderungen festgestellt worden sind, steht für die Beteiligten fest, dass die Voraussetzungen als Insolvenzforderung gem. § 38 InsO vorliegen. Wegen der Rechtskraftwirkung der Feststellung ist eine materiell-rechtliche Überprüfung, ob die Qualifizierung als Insolvenzforderung zutreffend ist, entgegen der Auffassung des Klägers nicht vorzunehmen.

29

Das Finanzamt durfte auch im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung mit dem Erstattungsanspruch wegen Umsatzsteuer für 1995 aufrechnen, weil ein Aufrechnungsverbot gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht eingreift und der Anspruch erfüllbar war.

30

Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Das Finanzamt wird etwas nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig, wenn die Hauptforderung bereits im Sinne des § 38 InsO im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war (vgl. BFH vom 25.7.2012, Az. VII R 29/11, BFH/NV 2012, 2106 ff, I Ziff. 4). Bei Erstattungsansprüchen muss der Rechtsgrund für den Erstattungsanspruch bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden sein. Bereits mit der Besteuerung bzw. mit der Leistung von Vorauszahlungen wird aus insolvenzrechtlicher Sicht ein Grund für den Erstattungsanspruch gelegt (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, § 251 Rn 438). Das Finanzamt kann eine materiell zu Unrecht gezahlte Steuer dem Steuerpflichtigen erstatten, auch wenn die Steuerfestsetzung noch nicht aufgehoben worden ist, obgleich der Anspruch des Steuerpflichtigen auf eine solche Zahlung erst mit der Aufhebung dieser Forderung entsteht. Das insolvenzrechtliche Entstehen eines Steuererstattungsanspruches ist erstens unabhängig von seiner Festsetzung in einem Erstattungsbescheid und zweitens nicht nur vor einer solchen Festsetzung, sondern selbst dann „erfüllbar“, wenn dem steuerrechtlichen Entstehen eines solchen Anspruches noch (materiell rechtswidrige) Steuerfestsetzungen als Rechtsgrund der zu erstattenden Leistung entgegenstehen. Denn ein steuerlicher Anspruch ist in einer Anwendung des § 387 BGB rechtfertigenden Weise existent und erfüllbar, wenn er i.S. des § 38 AO entstanden ist, d.h. der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Dies gilt auch für einen Steuererstattungsanspruch. Es ist deshalb insolvenzrechtlich ausreichend, dass der Sachverhalt verwirklicht ist, der zu der Entstehung des Steuer(erstattungs)anspruches führt (vgl. BFH vom 10.5.2007, Az. VII R 18/05, BStBl. II 2007, 914 ff). Danach war der Erstattungsanspruch für 1995 bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, weil der maßgebliche Sachverhalt für die Erstattung, die in 1995 ausgeführten und nicht steuerpflichtigen Umsätze mit Geldspielautomaten und die hierauf entrichteten Umsatzsteuern vor dem ... August 2004 erfolgten.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.

32

Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der Wirkung einer Restschuldbefreiung auf die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers zuzulassen.


Ist ein Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes oder auf Grund einer Vereinbarung zur Aufrechnung berechtigt, so wird dieses Recht durch das Verfahren nicht berührt.

(1) Wird die Restschuldbefreiung erteilt, so wirkt sie gegen alle Insolvenzgläubiger. Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben.

(2) Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger aus einer zu ihrer Sicherung eingetragenen Vormerkung oder aus einem Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, werden durch die Restschuldbefreiung nicht berührt. Der Schuldner wird jedoch gegenüber dem Mitschuldner, dem Bürgen oder anderen Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber den Insolvenzgläubigern.

(3) Wird ein Gläubiger befriedigt, obwohl er auf Grund der Restschuldbefreiung keine Befriedigung zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten.

(4) Ein allein aufgrund der Insolvenz des Schuldners erlassenes Verbot, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, tritt mit Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung außer Kraft. Satz 1 gilt nicht für die Versagung und die Aufhebung einer Zulassung zu einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit.

(1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefasst war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln. Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Fall des § 104 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden; bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240). Die Steueranmeldungen (§ 168) stehen den Steuerbescheiden gleich.

(2) Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2) betrifft.

(3) Wird eine Anrechnungsverfügung oder ein Abrechnungsbescheid auf Grund eines Rechtsbehelfs oder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückgenommen und in dessen Folge ein für ihn günstigerer Verwaltungsakt erlassen, können nachträglich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person die entsprechenden steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden; bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240). Die Steueranmeldungen (§ 168) stehen den Steuerbescheiden gleich.

(2) Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2) betrifft.

(3) Wird eine Anrechnungsverfügung oder ein Abrechnungsbescheid auf Grund eines Rechtsbehelfs oder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückgenommen und in dessen Folge ein für ihn günstigerer Verwaltungsakt erlassen, können nachträglich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person die entsprechenden steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und die betroffene Person dies unverzüglich verlangt.

(3) Ein schriftlich oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen. Ferner muss er die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten; dies gilt nicht für einen Verwaltungsakt, der formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird. Ist für einen Verwaltungsakt durch Gesetz eine Schriftform angeordnet, so muss bei einem elektronischen Verwaltungsakt auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Falle des § 87a Absatz 4 Satz 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Finanzbehörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

Das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen unterliegen, soweit nichts anderes bestimmt ist, dem Recht des Staats, in dem das Verfahren eröffnet worden ist.

Das Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn er nach dem für die Forderung des Schuldners maßgebenden Recht zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Aufrechnung berechtigt ist.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225), Aufrechnung (§ 226), Erlass (§§ 163, 227), Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen.

(1) Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis kann nicht aufgerechnet werden, wenn sie durch Verjährung oder Ablauf einer Ausschlussfrist erloschen sind.

(3) Die Steuerpflichtigen können gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen.

(4) Für die Aufrechnung gilt als Gläubiger oder Schuldner eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis auch die Körperschaft, die die Steuer verwaltet.

Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 341/10 Verkündet am:
8. November 2011
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ein in einem Darlehensvertrag vereinbartes Sondertilgungsrecht begründet
- soweit vertraglich nichts anderes vereinbart ist - ein kündigungsunabhängiges
Teilleistungsrecht des Darlehensnehmers ohne Verpflichtung zur Zahlung einer
Vorfälligkeitsentschädigung, das bei Ablauf der für die Ausübung des Sondertilgungsrechts
vorgesehenen Frist erlischt.

b) An der für eine wirksame Aufrechnung im Zeitpunkt des Zuganges
der Aufrechnungserklärung erforderlichen Erfüllbarkeit der Hauptforderung fehlt
es, wenn ein Darlehensnehmer unter Berufung auf ein in unverjährter Zeit nicht
ausgeübtes und deswegen erloschenes Sondertilgungsrecht gegen den noch
nicht fälligen Darlehensrückzahlungsanspruch des Darlehensgebers mit einer
verjährten Gegenforderung aufrechnen will.
BGH, Urteil vom 8. November 2011 - XI ZR 341/10 - OLG Koblenz
LG Koblenz
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers und die
Richter Dr. Joeres, Maihold, Dr. Matthias und Pamp

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. September 2010 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. Oktober 2010 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass Ansprüche der Beklagten aus zwei Verbraucherdarlehensverträgen nach Aufrechnung mit Rückzahlungsansprüchen wegen überzahlter Zinsen und daraus gezogener Nutzungen erloschen sind.
2
Die Parteien schlossen am 24. Januar 1996 zwei Verbraucherdarlehensverträge über eine Gesamtvaluta in Höhe von 484.000 DM (247.465,27 €) einschließlich 5% Disagio. Der Zinssatz war mit 6,2 % p.a. bis zum 30. Januar 2006 fest vereinbart. Ein effektiver Jahreszins war nicht angegeben. Die endfälligen Darlehen sollten spätestens am 30. April 2008 zurückgezahlt werden. Innerhalb der Zinsbindungsfrist waren der Klägerin, jeweils zum Ende eines Quartals , Sondertilgungen in Höhe von maximal 100.000 DM jährlich gestattet. Nach Ablauf der Zinsbindung vereinbarten die Parteien am 28. Februar 2006 bis zum Laufzeitende einen festen Zinssatz von 4% p.a.. Nunmehr wurde ein effektiver Jahreszins angegeben. Sondertilgungen hingegen wurden ausgeschlossen.
3
Vorprozessual kamen die Parteien überein, dass die Klägerin wegen der anfänglich fehlenden Pflichtangabe des effektiven Jahreszinses bis zur Vertragsänderung nur den gesetzlichen Zinssatz von 4% p.a. geschuldet hatte und ihr deswegen insoweit Bereicherungsansprüche wegen überzahlter Zinsen und daraus gezogener Nutzungen zustehen. Die Beklagte berücksichtigte diese Bereicherungsansprüche bei ihren Kontoberichtigungen jedoch erst ab Januar 2005 und erhob hinsichtlich der bis Ende 2004 entstandenen Ansprüche die Einrede der Verjährung. Mit den nicht berücksichtigten Ansprüchen erklärte die Klägerin durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 5. März 2008 die Aufrechnung gegenüber den Darlehensrückzahlungsansprüchen der Beklagten. Zur Begründung verwies sie auf die von ihr in den Jahren 1996 bis 2004 nicht genutzten Sondertilgungsmöglichkeiten. Die Darlehensverträge wurden inzwischen unter Abzug der zur Aufrechnung gestellten Bereicherungsansprüche, die die Klägerin mit insgesamt 97.468,32 € beziffert (überzahlte Zinsen 60.917,70 € und gezogene Nutzungen 36.550,62 €), in unstreitiger Höhe von 149.987,95 € auf zwei neue Kreditverträge umgeschuldet.
4
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass Rückzahlungsansprüche der Beklagten aus den umgeschuldeten Darlehensverträgen wegen der von ihr erklärten Aufrechnung nicht mehr in einer über den Differenzbetrag von 149.987,95 € hinausgehenden Höhe bestehen, sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

5
Die zulässige Revision ist unbegründet.

I.

6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
7
Die Gegenforderungen der Klägerin aus dem Zeitraum vor Januar 2005 seien bei Abgabe der Aufrechnungserklärung verjährt gewesen, weshalb die Beklagte insoweit den Bereicherungsausgleich zu Recht verweigert habe. Zwar sei die Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung gemäß § 215 BGB390 Satz 2 BGB aF) dann nicht ausgeschlossen, wenn diese der Hauptforderung einmal in unverjährter Zeit aufrechenbar gegenüber gestanden habe. Die danach erforderliche Aufrechnungslage habe jedoch in unverjährter Zeit nicht bestanden, weil die Klägerin die ihr vormals zustehenden Sondertilgungsrechte nicht ausgeübt habe. Die Darlehensrückzahlungsansprüche der Beklagten seien deshalb für sie in unverjährter Zeit zu keinem Zeitpunkt erfüllbar gewesen. Die Gewährung eines Rechts zur Sondertilgung genüge hierfür nicht, da dieses Recht dem Darlehensnehmer lediglich eine Option zur Änderung des Schuldverhältnisses einräume. Deren wirksame Ausübung verlange eine aktivierende Gestaltungserklärung. Werde ein Sondertilgungsrecht - wie von der Klägerin - nicht zu den festgelegten Terminen ausgeübt, verfalle die Option. Sie könne dann auch unter Berücksichtigung von § 215 BGB390 Satz 2 BGB aF) nicht mehr rückwirkend geltend gemacht werden.

II.

8
Diese Beurteilung ist im Ergebnis richtig. Die Klägerin kann die begehrte Feststellung, dass der Beklagten aus den umgeschuldeten Darlehensverträgen keine Rückzahlungsansprüche in einer den unstreitigen Betrag von 149.987,95 € (rechnerisch richtig: 149.996,95 €) übersteigenden Höhe zustehen , nicht verlangen. Daher hat sie auch keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten.
9
1. Das Berufungsgericht ist zu Recht und unangegriffen davon ausgegangen , dass der Klägerin mangels der nach § 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. e) VerbrKrG in der bis zum 30. September 2000 geltenden Fassung (im Folgenden : aF) erforderlichen Angabe des effektiven Jahreszinses in den Darlehensverträgen vom 24. Januar 1996 gegen die Beklagte Bereicherungsansprüche aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 818 Abs. 1 BGB auf Herausgabe der bis Ende 2004 überzahlten Zinsen und gezogenen Nutzungen in der unstreitigen Höhe von insgesamt 97.468,32 € zustehen, die jedoch gemäß § 197 BGB aF in Verbindung mit Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 EGBGB bzw. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB seit dem Ende des Jahres 2007 in vollem Umfang verjährt sind (vgl. Senatsurteile vom 23. Januar 2007 - XI ZR 44/06, BGHZ 171, 1 Rn. 28 ff. und vom 20. Januar 2009 - XI ZR 504/07, BGHZ 179, 260 Rn. 44 ff.).
10
2. Entgegen der Ansicht der Revision ist das Berufungsgericht zu Recht weiter zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 5. März 2008 erklärte Aufrechnung mit den vorgenannten Bereicherungsansprüchen auch unter Berücksichtigung von § 215 BGB390 Satz 2 BGB aF) nicht nach § 389 BGB in entsprechender Höhe das Erlöschen der Rückzahlungsansprüche der Beklagten aus den Darlehensverträgen vom 24. Januar 1996 bewirkt hat, weil es an der nach § 387 BGB erfor- derlichen Aufrechnungslage gefehlt hat. Diese muss zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung bestehen (BGH, Beschluss vom 20. Juni 1951 - GSZ 1/51, BGHZ 2, 300, 304; BAG, NJW 1968, 813 f.; Palandt/ Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 387 Rn. 3 und § 388 Rn. 1; Staudinger/Gursky, BGB, Neubearb. 2011, § 387 Rn. 2; MünchKommBGB/Schlüter, 5. Aufl., § 387 Rn. 6). Das ist hier nicht der Fall. Die Bereicherungsansprüche der Klägerin waren zum Zeitpunkt des Zugangs ihrer Aufrechnungserklärung vom 5. März 2008, wie vorstehend erwähnt, bereits verjährt; der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der ursprünglichen Darlehen war wegen Erlöschens der Sondertilgungsrechte nicht erfüllbar.
11
a) Allerdings schließt die Verjährung einer Gegenforderung gemäß § 215 BGB die Aufrechnung nicht aus, wenn sie in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem sie der Hauptforderung erstmals aufrechenbar gegenübergestanden hat. Dies traf hier für die Bereicherungsansprüche der Klägerin in der Zeit bis Januar 2006, als sie zur Sondertilgung berechtigt war, zu. Die Verjährung der Bereicherungsansprüche der Klägerin steht danach zwar der von ihr am 3. März 2008 erklärten Aufrechnung nicht entgegen. Das ändert jedoch nichts daran, dass es an der weiteren Voraussetzung fehlt, dass die Hauptforderung der Beklagten auf Rückzahlung der ursprünglichen Darlehen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung vom 3. März 2008 erfüllbar sein musste. Dies war nicht der Fall, weil das Sondertilgungsrecht der Klägerin zu diesem Zeitpunkt erloschen war. Danach kann dahingestellt bleiben , ob das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, eine Aufrechnungslage habe bereits in unverjährter Zeit nicht bestanden, weil die Klägerin ihre Sondertilgungsrechte damals nicht ausgeübt habe und deswegen die Darlehensrückzahlungsansprüche der Beklagten nicht erfüllbar gewesen seien.
12
aa) Sondertilgungsrechte begründen ein kündigungsunabhängiges Teilleistungsrecht des Darlehensnehmers zur Rückerstattung der Valuta ohne Verpflichtung zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung. Die Pflicht zur Zinszahlung für den getilgten Anteil der Valuta endet, soweit die Vertragsparteien - wie hier - nichts anderes vereinbart haben, nach der ungeschriebenen Regel des Darlehensrechts, wonach die Zinspflicht vom Bestand der Kapitalschuld abhängig ist (vgl. BGH, Urteile vom 21. Oktober 1954 - IV ZR 171/52, BGHZ 15, 87, 88 f. und vom 24. November 1988 - III ZR 188/87, BGHZ 106, 42, 45, 47), im Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung (MünchKommBGB/Berger, 5. Aufl., § 488 Rn. 52 mwN).
13
Lässt der Darlehensnehmer die für eine Sondertilgung vorgesehene Frist verstreichen, verfällt das Sondertilgungsrecht (MünchKommBGB/Berger, 5. Aufl., § 488 Rn. 52 mwN). Deswegen kann der Darlehensnehmer die - hier zeitlich gestaffelten - Sondertilgungsrechte nicht nach Belieben kumulieren, um sie später in Höhe des Gesamtbetrages aller vermeintlich angesparten Tilgungsmöglichkeiten geltend zu machen. Die ohne Nachteilsausgleich gewährte Tilgungsbefugnis endet vielmehr mit Ablauf der zeitlich begrenzten Beseitigung der Erfüllungssperre, denn es besteht für den Darlehensnehmer kein anerkennenswertes Interesse daran, mit der Ansammlung von Sondertilgungsrechten dem Darlehensgeber die - gemäß Umkehrschluss aus § 488 Abs. 3 Satz 3 BGB gesetzlich geschützte (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 271 Rn. 11) - Zinserwartung zu versagen, die dieser bei Vertragsschluss vorausgesetzt und nur unter bestimmten Bedingungen ohne Vorfälligkeitsentschädigungsanspruch aufgegeben hat (vgl. auch BGH, Urteile vom 1. Juli 1997 - XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 166 und vom 3. Dezember 1981 - III ZR 30/81, WM 1982, 185, 186).
14
bb) So liegt der Fall auch hier. Nach den vertraglichen Vereinbarungen konnte die Klägerin ihr Sondertilgungsrecht nur während der Festzinszeit, das heißt bis Ende Januar 2006, ausüben. Da sie von der jährlichen Tilgungsbefugnis bis zu diesem Zeitpunkt keinen Gebrauch gemacht hat, ist ihr Sondertilgungsrecht erloschen. Zum Zeitpunkt ihrer Aufrechnungserklärung vom 5. März 2008 war sie daher zur Erbringung von vorzeitigen Teilleistungen nicht mehr berechtigt. Vielmehr hatten die Parteien die Möglichkeit von Sondertilgungen zuvor mit der Änderungsvereinbarung vom 28. Februar 2006 für die Zukunft sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Da die Darlehensschuld der Klägerin über den mit jeder Rate auf die vereinbarten Zinsen geleisteten Betrag hinaus nicht erfüllbar war, konnte die Klägerin insoweit eine weitergehende Leistung im Sinne des § 387 BGB nicht bewirken. Damit ging die Aufrechnungserklärung der Klägerin zur maßgeblichen Zeit ihres Zuganges im März 2008 ins Leere.
15
cc) Soweit die im Rahmen der Umsetzung von Art. 13 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge (ABl. EG 2008 Nr. L 133/66) neu geschaffene Regelung des § 500 Abs. 2 BGB für Verbraucherdarlehen nunmehr eine gemäß § 511 BGB auch durch Parteivereinbarung nicht abdingbare jederzeitige Tilgungsbefugnis des Darlehensnehmers vorsieht, ergibt sich daraus im Streitfall nichts anderes. Die Regelung ist erst am 11. Juni 2010 in Kraft getreten und findet gemäß Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 22 Abs. 2 und 3 EGBGB auf die vor diesem Zeitpunkt entstandenen Schuldverhältnisse keine Anwendung.
16
b) An diesem Ergebnis ändert entgegen der Auffassung der Revision auch die von § 389 BGB angeordnete Rückwirkung der Aufrechnung nichts, da diese lediglich die Konsequenz aus der Vorschrift des § 387 BGB zieht, nach der die Hauptforderung zumindest - bereits oder noch - erfüllbar sein muss.
17
aa) Auch die in § 389 BGB angeordnete Rückwirkung knüpft nur insoweit an die beiderseitigen Forderungen an, als sie einander im Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung noch aufrechenbar gegenüberstehen. Sie beschränkt sich jedoch auf die Wirkungen der Aufrechnung, erstreckt sich hingegen nicht auf ihre Voraussetzungen (BGH, Beschluss vom 20. Juni 1951 - GSZ 1/51, BGHZ 2, 300, 303 f.; BAG, NJW 1968, 813 f.). Infolgedessen kommt der Rückwirkungsfiktion des § 389 BGB nicht die Bedeutung zu, dass die Aufrechnungserklärung als im Zeitpunkt der in der Vergangenheit entstandenen Aufrechnungslage zugegangen gilt. Vielmehr bezieht die Regelung des § 389 BGB lediglich die rechtsgestaltenden Wirkungen der Aufrechnungserklärung auf diesen Zeitpunkt zurück (BFH, NVwZ 2000, 1331, 1332; Staudinger/ Gursky, BGB, Neubearb. 2011, § 389 Rn. 31; MünchKommBGB/Schlüter, 5. Aufl., § 389 Rn. 6; Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl., § 389 Rn. 1). Daraus folgt, dass die durch § 389 BGB angeordnete Rückwirkung sich nicht auch auf die Voraussetzungen der Aufrechnung erstreckt. Diese müssen im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung vielmehr noch gegeben sein (Staudinger /Gursky, BGB, Neubearb. 2011, § 389 Rn. 31).
18
bb) Wäre der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen, dass die Aufrechnungserklärung eine gegenwärtige Aufrechnungslage als Regelfall voraussetzt, hätte es im Übrigen gerade der Ausnahmevorschrift des § 215 BGB390 Satz 2 BGB aF), auf die sich die Revision maßgeblich beruft, nicht bedurft. Die Regelung des § 215 BGB390 Satz 2 BGB aF) macht von dem Grundsatz, dass einredebehaftete Forderungen nicht aufgerechnet werden können (§ 390 BGB), nur eine Ausnahme für die Einreden der Verjährung und des Zurückbehaltungsrechts (§ 214 Abs. 1, § 273 Abs. 1 BGB). Sie perpetuiert hingegen nicht die im Übrigen nach § 387 BGB erforderlichen Voraussetzungen der in unverjährter Zeit der Gegenforderung gegebenen Aufrechnungslage. Der Schuldner kann die durch eine Aufrechnungslage begründete Aufrechnungsbe- fugnis danach nicht mehr durch Verjährung verlieren, wohl aber aus anderen Gründen (Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2009, § 215 Rn. 5). Andernfalls würde der Inhaber einer verjährten Forderung sogar besser stehen als der Inhaber einer zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung noch unverjährten Forderung. Entsprechendes gilt für die weiteren Sonderbestimmungen der §§ 392, 406 BGB, nach denen ebenfalls eine zur Aufrechnungslage gehörende Voraussetzung vom Gesetz fingiert wird, was überflüssig wäre, wenn die Aufrechnungserklärung nicht im Regelfall das Bestehen der Aufrechnungslage voraussetzen würde (BGH, Beschluss vom 20. Juni 1951 - GSZ 1/51, BGHZ 2, 300, 304; Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl., § 389 Rn. 2).
19
cc) Die Revision beruft sich deshalb auch zu Unrecht darauf, die Klägerin habe sich bei rückwärtiger Betrachtung jeweils von dem Zeitpunkt an, als ihre Gegenforderungen der auf Darlehensrückzahlung gerichteten Hauptforderung der Beklagten gegenübergetreten seien, nicht mehr als Schuldnerin zu betrachten brauchen, weil sie durch Aufrechnung deren vorzeitige Tilgung hätte herbeiführen können. Ein Schuldner, der gegen die Forderung seines Gläubigers mit einer eigenen Forderung aufrechnen kann, darf zwar das Bewusstsein haben, dass er in Höhe der Gegenforderung im Grunde nichts mehr zu leisten braucht, denn dass der Schuldner nicht sogleich aufrechnet, besagt im Allgemeinen nichts (BGH, Urteil vom 17. April 1958 - II ZR 335/56, BGHZ 27, 123, 125; Palandt /Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 389 Rn. 2). Etwas anderes muss aber gelten , wenn der Schuldner - wie vorliegend die Klägerin - eine temporäre Tilgungsbefugnis wieder verliert. Das von § 389 BGB vorausgesetzte Deckungsverhältnis , das zu dem Zeitpunkt bestand, als die wechselseitigen Forderungen einander erstmals aufrechenbar gegenüberstanden, kann nur maßgebend sein, wenn der Schuldner gegenüber einer nur vorübergehend erfüllbaren Hauptforderung die Aufrechnung innerhalb des hierfür vereinbarten Zeitraums erklärt. Ist dies nicht geschehen, muss er sich mangels fortbestehender Aufrechnungsbefugnis weiterhin als Schuldner betrachten.
Wiechers Joeres Maihold Matthias Pamp

Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 26.11.2009 - 3 O 117/09 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 17.09.2010 - 1 U 1516/09 -

Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind.

(1) Die Aufrechnung ist unzulässig,

1.
wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist,
2.
wenn ein Insolvenzgläubiger seine Forderung erst nach der Eröffnung des Verfahrens von einem anderen Gläubiger erworben hat,
3.
wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat,
4.
wenn ein Gläubiger, dessen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu erfüllen ist, etwas zur Insolvenzmasse schuldet.

(2) Absatz 1 sowie § 95 Abs. 1 Satz 3 stehen nicht der Verfügung über Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Abs. 17 des Kreditwesengesetzes oder der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen aus Zahlungsaufträgen, Aufträgen zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen oder Aufträgen zur Übertragung von Wertpapieren entgegen, die in Systeme im Sinne des § 1 Abs. 16 des Kreditwesengesetzes eingebracht wurden, das der Ausführung solcher Verträge dient, sofern die Verrechnung spätestens am Tage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt; ist der andere Teil ein Systembetreiber oder Teilnehmer in dem System, bestimmt sich der Tag der Eröffnung nach dem Geschäftstag im Sinne des § 1 Absatz 16b des Kreditwesengesetzes.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 239/04
vom
12. Januar 2006
in dem Verbraucherinsolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein

a) Der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen wird von der Abtretungserklärung
gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht erfasst (Fortführung von
BGH, ZVI 2005, 437).

b) Der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen gehört zur Insolvenzmasse
, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder
während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist.
BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 - IX ZB 239/04 - LG Aschaffenburg
AG Aschaffenburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
am 12. Januar 2006

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners und die sofortige Beschwerde des Treuhänders werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg vom 29. September 2004 und der Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 19. August 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerdeverfahren, an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.022,90 € festgesetzt.
Dem Schuldner wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. Kummer beigeordnet.

Gründe:


I.


1
Beschluss Mit vom 24. Oktober 2001 eröffnete das Amtsgericht - Insolvenzgericht - auf Eigenantrag das vereinfachte Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den weiteren Beteiligten zum Treuhänder. Nach Durchführung des Schlusstermins wurde das Verfahren durch Beschluss vom 18. November 2003 aufgehoben. Zum Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren wurde der bisherige Treuhänder bestimmt.
2
Für das Jahr 2003 stand dem Schuldner ein Einkommensteuererstattungsanspruch von 1.162 € zu. Diesen teilte das Finanzamt, nachdem das Insolvenzverfahren am 18. November 2003 aufgehoben worden war, anteilig auf. Den auf die Zeit vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfallenden Betrag in Höhe von 1.022,90 € überwies es an die Gerichtskasse, den Restbetrag von 139,10 € an den Schuldner.
3
Beschluss Mit vom 19. August 2004 hat das Amtsgericht - Insolvenzgericht - von Amts wegen entschieden, dass auch der an die Gerichtskasse überwiesene Betrag dem Schuldner zustehe. Auf die sofortige Beschwerde des Treuhänders hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts abgeändert und festgestellt, dass der (Rest-)Anspruch auf Einkommensteuererstattung in Höhe von 1.022,90 € dem Treuhänder zustehe. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

II.


4
Rechtsbeschwerde Die ist statthaft, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO, weil sie vom Landgericht zugelassen worden ist. Hieran ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden, § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
5
Für die Frage, was der Treuhänder durch die Abtretung erlangt, findet gemäß § 292 Abs. 1 Satz 3 InsO die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 InsO entsprechende Anwendung. Vorliegend geht es um die Frage, ob der Einkommensteuererstattungsanspruch pfändbares Einkommen darstellt. Dies ist in § 850 ZPO geregelt. Gemäß § 36 Abs. 4 InsO ist für die Entscheidung dieser Frage wie in den Fällen des § 89 Abs. 3 InsO das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht zuständig (BGH, Beschl. v. 5. Februar 2004 - IX ZB 97/03, ZIP 2004, 732). Der Rechtsmittelzug richtet sich in diesem Fall nach den allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften. Deshalb war hier gemäß § 793 ZPO die sofortige Beschwerde gegeben (BGH, Beschl. v. 5. Februar 2004 aaO; v. 17. Februar 2004 - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Der Beschluss des Insolvenzgerichts, dem eine Anhörung des Treuhänders vorausgegangen war, hatte Entscheidungscharakter (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Mai 2004 - IX ZB 104/04, ZIP 2004, 1379).
6
Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, § 575 Abs. 1 bis 3 ZPO.

III.


7
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der bisherigen Entscheidungen sowie zur Zurückverweisung an das Insolvenzgericht.
8
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Anspruch auf Einkommensteuererstattung für das Jahr 2003 von der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO umfasst sei und deshalb dem Treuhänder zustehe.
9
Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Wie der Senat zwischenzeitlich entschieden hat, wird der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht erfasst , weil er öffentlich-rechtlicher Natur ist und nicht den Charakter eines Einkommens hat, das dem Berechtigten aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zusteht (BGH, Urt. v. 21. Juli 2005 - IX ZR 115/04, ZVI 2005, 437, 438).
10
2. Der streitige Betrag unterfällt damit derzeit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss vom 18. November 2003 hat der Schuldner dieses Recht über sein Vermögen zurückerlangt, soweit es nicht von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst wird. Der Anspruch auf Steuerrückerstattung war damit aus der Insolvenzbeschlagnahme entlassen (MünchKomm-InsO/Hintzen, § 200 Rn. 31, § 203 Rn. 21; Kübler/Prütting/Holzer, InsO § 200 Rn. 6 f).
11
3. Das Insolvenzgericht hätte jedoch von Amts wegen die Anordnung einer Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 InsO prüfen müssen. Eine sol- che Anordnung ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren zulässig (BGH, Beschl. v. 1. Dezember 2005 - IX ZB 17/04, z.V.b.). Diese Entscheidung wird das Insolvenzgericht nach der Zurückverweisung nachzuholen haben. Mit der Anordnung der Nachtragsverteilung tritt dann eine erneute Insolvenzbeschlagnahme ein (MünchKomm-InsO/Hintzen, § 203 Rn. 21; HK-InsO/Irschlinger, aaO § 203 Rn. 6).
12
Bei seiner Entscheidung wird das Insolvenzgericht davon auszugehen haben, dass der streitige Betrag nach dem Schlusstermin als Gegenstand der Masse ermittelt worden ist, § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
13
Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Gegenstände, die nicht gepfändet werden können, gehören gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse (vgl. BGHZ 92, 339, 340 f). Ansprüche auf Erstattung von Einkommensteuer sind jedoch gemäß § 46 Abs. 1 AO pfändbar (BGHZ 157, 195; BFHE 187, 1, 3; BFH InVo 2000, 277, 278; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 35 Rn. 68).
14
Der Anspruch auf Steuererstattung entsteht, wie die Einkommensteuerschuld , gemäß § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Vor diesem Zeitpunkt steht nicht fest, ob für das Kalenderjahr eine Einkommensteuer entstanden ist, die niedriger ist als die Vorauszahlungen , die der Steuerpflichtige geleistet hat (BFHE 128, 146, 147; 179, 547, 550 f). Die Steuerfestsetzung hat auf den Entstehungszeitpunkt keinen Einfluss; denn sie hat für das Steuerschuldverhältnis nur deklaratorischen Charakter (BFHE 73, 300, 301; Jaeger/Henckel, InsO § 35 Rn. 109).
15
Die Frage, welchem Vermögen Steuererstattungsansprüche zuzuordnen sind, bestimmt sich für die Zwecke des Insolvenzverfahrens nicht nach Steuerrecht , sondern nach Insolvenzrecht. Maßgebend ist danach nicht der Zeitpunkt der Vollentstehung des Rechts, sondern der Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist (BFHE 128, 146, 147; 172, 308, 310; 179, 547, 551). Der Anspruch hängt in diesem Fall nur noch vom Zeitablauf ab (vgl. BGHZ 92, 339, 341).
16
Dieser Rechtsgrund ist hier bereits mit der Abführung der Lohnsteuer entstanden, die auf die Einkommensteuer anzurechnen ist, § 36 Abs. 2 EStG. Durch Steuerabzug erhoben im Sinne dieser Vorschrift ist auch die gemäß § 38 EStG einbehaltene und an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer (Ludwig Schmidt/Heinicke, EStG 24. Aufl. § 36 Rn. 5, § 38 Rn. 1).
17
Der Erstattungsanspruch stand lediglich unter der aufschiebenden Bedingung , dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer sein würde als die Summe der Anrechnungsbeträge, so dass sich gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsbetrag ergab (vgl. BFH BStBl II 1979, 639, 640; BFHE 179, 547, 551; Tipke/Kruse, AO Stand September 2005 § 251 Rn. 102; Jaeger/Henckel, InsO § 35 Rn. 109). Die Finanzbehörde ist bereits dann etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt verwirklicht worden ist (Franz Klein, AO 8. Aufl. § 251 Rn. 25; MünchKomm-InsO/Brandes, § 95 Rn. 26).
18
Der Insolvenzschuldner hat mit der Vorauszahlung eine Anwartschaft auf den am Ende des Veranlagungszeitraums entstehenden Erstattungsanspruch, so dass dieser in die Masse fällt, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während dessen Dauer der ihn begründende Sachverhalt verwirklicht ist. Derartige Steuererstattungsanspüche werden daher zu Recht allgemein als zur Insolvenzmasse gehörig angesehen (BFHE 170, 300, 301; 179, 547, 551 und ständig; AG Göttingen NZI 2001, 270, 271; AG Dortmund ZInsO 2002, 685; Jaeger/Henckel, InsO § 35 Rn. 109; Uhlenbruck, InsO § 35 Rn. 68; Kilger/ K. Schmidt, Insolvenzgesetze § 1 KO Anm. 2 B d; Kübler/Prütting/Holzer, § 35 Rn. 84; MünchKomm-InsO/Lwowski, § 35 Rn. 422; Tipke/Kruse aaO § 251 Rn. 102; Pahlke/Koenig, AO § 251 Rn. 104; Hess, InsO 2. Aufl. § 35 f Rn. 250; HK-InsO/Eickmann, 3. Aufl. § 35 Rn. 24; Nerlich/Römermann/Andres, § 35 Rn. 59; Braun/Bäuerle, InsO 2. Aufl. § 35 Rn. 70; Frotscher, Besteuerung in der Insolvenz 5. Aufl. S. 52).
19
4. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO; vgl. BGHZ 160, 176, 185 f).
Fischer Raebel Vill
Cierniak Lohmann
Vorinstanzen:
AG Aschaffenburg, Entscheidung vom 19.08.2004 - IK 168/01 -
LG Aschaffenburg, Entscheidung vom 29.09.2004 - 4 T 169/04 -

(1) Verwaltungsakte können vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist (§ 361; § 69 der Finanzgerichtsordnung). Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbescheide können außerdem nur vollstreckt werden, soweit die Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung nicht ausgesetzt ist (Artikel 108 Absatz 3 des Zollkodex der Union).

(2) Unberührt bleiben die Vorschriften der Insolvenzordnung sowie § 79 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Die Finanzbehörde ist berechtigt, in den Fällen des § 201 Abs. 2, §§ 257 und 308 Abs. 1 der Insolvenzordnung sowie des § 71 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes gegen den Schuldner im Verwaltungswege zu vollstrecken.

(3) Macht die Finanzbehörde im Insolvenzverfahren einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung geltend, so stellt sie erforderlichenfalls die Insolvenzforderung durch schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt fest.

(1) Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den Vorschriften der Steuergesetze.

(2) Fehlt es an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit, so wird der Anspruch mit seiner Entstehung fällig, es sei denn, dass in einem nach § 254 erforderlichen Leistungsgebot eine Zahlungsfrist eingeräumt worden ist. Ergibt sich der Anspruch in den Fällen des Satzes 1 aus der Festsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, so tritt die Fälligkeit nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung ein.

(1) Sind zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so kann die Aufrechnung erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind. Die §§ 41, 45 sind nicht anzuwenden. Die Aufrechnung ist ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann.

(2) Die Aufrechnung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Forderungen auf unterschiedliche Währungen oder Rechnungseinheiten lauten, wenn diese Währungen oder Rechnungseinheiten am Zahlungsort der Forderung, gegen die aufgerechnet wird, frei getauscht werden können. Die Umrechnung erfolgt nach dem Kurswert, der für diesen Ort zur Zeit des Zugangs der Aufrechnungserklärung maßgeblich ist.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Aufrechnung eines Umsatzsteuerguthabens nebst Zinsen des Klägers für das Jahr 1995 mit Einkommensteuerforderungen für die Jahre 1991, 1994 und 1996 rechtmäßig erfolgt ist. Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, der Aufrechnung stehe die unstreitig erfolgte Restschuldbefreiung nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen entgegen.

2

Der Klage liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Ausgangspunkt für den vorliegenden Rechtsstreit ist der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) und ihm folgend der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2005 entschieden haben, dass die Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit nicht der Umsatzsteuer unterliegen.

3

Der Kläger hat in den Streitjahren mehrere Spielhallen betrieben. Über sein Vermögen wurde im August 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts von September 2010 wurde dem Kläger die Restschuldbefreiung erteilt. Das Umsatzsteuerguthaben für das Jahr 1995 nebst Zinsen in einer Gesamthöhe von 67.297,74 € wurde am 18. April 2011 festgesetzt, nachdem der Beklagte, das Finanzamt, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens festgestellt hatte, dass der geänderte Bescheid über Umsatzsteuer für 1995 vom 20. März 1998 anlässlich eines vom Kläger eingereichten Einspruches vom 17. Februar 1998 nicht wirksam bekannt gegeben worden war. Auch für die Jahre 1991 - 1994 sowie 1996 - 2001 war die Umsatzsteuer wegen der geänderten Rechtsprechung des EuGH gegenüber dem Kläger bereits im Jahre 2006 durch geänderte Bescheide gemindert worden. Mit Schreiben vom 28. Juli 2006 hatte das Finanzamt der Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Klägers mitgeteilt, es beabsichtige, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1991 - 2001 zu ändern und den Gewinn jeweils um die erstattete Umsatzsteuer zu erhöhen und die entsprechenden Festsetzungen gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu erhöhen. Zwar seien Steuererstattungen grundsätzlich im Jahr der Zahlung als Gewinn zu erfassen, dies gelte jedoch nicht in den Fällen, in denen über das Vermögen des Steuerpflichtigen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Diese Änderungen sind in dem vom Finanzamt am 08. Januar 2007 angemeldeten Einkommensteuerforderungen für die Jahre 1991 - 2000 nebst Verzugszinsen enthalten und wurden als Ergebnis der Prüfungsverhandlung am 17. November 2009 zur Tabelle festgestellt. Ob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Einwände gegen die Festsetzungen und Anmeldungen zur Insolvenztabelle erhoben hat, ist zwischen den Beteiligten streitig.

4

Das Finanzamt hat durch Schreiben vom 16. Mai 2011 das Umsatzsteuerguthaben aufgrund des Änderungsbescheides für das Jahr 1995 vom 18. April 2011 in Höhe von 37.702,67 € nebst 29.595,07 € Zinsen mit Einkommensteuerforderungen für die Jahre 1991, 1994 und 1996 in Höhe von insgesamt 52.217,17 € aufgerechnet. Der Kläger hat im Klageverfahren drei Kopien von Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 01. November 2004, vom 30. November 2006 und 28. April 2008 an das Insolvenzgericht eingereicht mit denen dieser u. a. vom Finanzamt angemeldeten Forderungen widersprach. Den Restbetrag von 15.080,57 € hat das Finanzamt an den Kläger ausgezahlt. Es erfolgte keine Aufrechnung mit den während des Insolvenzverfahrens entstandenen Zinsen zur Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1995.

5

Nachdem der Kläger gegen die erfolgte Aufrechnung Einwände erhoben hatte und auch Gespräche zwischen den Beteiligten nicht zur Beilegung der unterschiedlichen Rechtsauffassung geführt hatten, erteilte das Finanzamt dem Kläger am 28. Juni 2011 einen entsprechenden Abrechnungsbescheid. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen vor und würden auch nicht durch die erfolgte Restschuldbefreiung beeinträchtigt. Vor und nach der erfolgten Insolvenzeröffnung hätten die Voraussetzungen für eine Aufrechnung gem. § 226 AO i.V.m. § 387 BGB vorgelegen, da die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit, der Gleichartigkeit, der Gläubiger-Schuldneridentität sowie der Durchsetzbarkeit der Forderungen gegeben gewesen seien. Der spätere Wegfall der Durchsetzbarkeit der Forderungen durch die erfolgte Restschuldbefreiung sei unerheblich, da gem. § 94 der Insolvenzordnung (InsO) vor oder während des Insolvenzverfahrens eingetretene Aufrechnungslagen von der Insolvenz unberührt blieben. Somit stehe auch die erfolgte Restschuldbefreiung der Aufrechnung nicht entgegen.

6

Den gegen diesen Bescheid fristgemäß erhobenen Rechtsbehelf  hat das Finanzamt mit der Einspruchsentscheidung vom 31. August 2011 als unbegründet zurückgewiesen und in den Gründen ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, eine erfolgte Aufrechnung sei rechtmäßig, wenn
- zwei gleichartige Forderungen vorlägen (Gleichartigkeit),
- die Schuldner-Gläubigeridentität gegeben sei (Gegenseitigkeit),
- die Hauptforderung, d. h. im Streitfall der Erstattungsanspruch des Klägers entstanden sei und
- die Gegenforderung, die Forderung des Finanzamtes entstanden und fällig sei.

7

Auf die Festsetzung der Hauptforderung und deren Fälligkeit komme es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht an. Es dürfe lediglich kein Aufrechnungsverbot bestehen und die Gegenforderung müsse durchsetzbar sein.

8

Die Gleichartigkeit und die Gegenseitigkeit der Forderungen seien im vorliegenden Fall zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Erstattungsanspruch des Klägers sei mit Ablauf des Kalenderjahres 1995 und somit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Für die Zinsen zur Umsatzsteuer gelte dies für die bis zur Insolvenzeröffnung entstandenen Zinsen. Die Gegenforderungen des Finanzamtes seien mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraumes und damit ebenfalls vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden. Sie seien auch mit Ablauf der entsprechenden Veranlagungszeiträume fällig geworden, da aufgrund des Insolvenzverfahrens eine Festsetzung durch Steuerbescheid nicht mehr möglich gewesen sei und die Fälligkeit sich somit nach § 220 AO bestimme. Werde über das Vermögen des Steuerschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, so würden die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Steueransprüche fällig, ohne dass es hierfür einer Festsetzung oder Feststellung durch einen Verwaltungsakt oder der Anmeldung zur Tabelle bedürfe (vgl. BFH-Urteil vom 04. Mai 2004, VII R 45/03). Somit seien die Voraussetzungen für eine Aufrechnung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen.

9

Die Aufrechnungsklage habe über die Beendigung des Insolvenzverfahrens und die formelle Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung hinaus Bestand. Nach den §§ 94 und 95 InsO werde eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage durch den Eintritt der Insolvenz nicht berührt. Die Aufrechnungslage bleibe bestehen und die Restschuldbefreiung habe auf sie keine Auswirkung.

10

Der Einwand des Klägers, dass es an einer Durchsetzbarkeit der Gegenforderung wegen der erteilten Restschuldbefreiung gemangelt habe, greife nicht durch. Denn die Restschuldbefreiung bewirke nicht, dass die Verbindlichkeiten des Schuldners erlöschen würden, sondern sie würden gem. § 301 Abs. 3 InsO nur unvollkommene Verbindlichkeiten. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung könne deshalb nicht mehr mit von der Insolvenz betroffenen Forderungen aufgerechnet werden. Dies gelte jedoch nicht, wenn bereits vor der Restschuldbefreiung die Aufrechnungslage bestandenen habe. Dies ergebe sich aus dem Urteil des BGH vom 19. Mai 2011 zum Az. 222/08, in dem die Zulässigkeit einer Aufrechnung mit einer Forderung bejaht werde, die nach einem Insolvenzplan als erlassen gelte.

11

Mit dem am 09. September 2011 bei dem Gericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Prozesskostenhilfe für eine zu erhebende Klage gegen den Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung beantragt und diesen Antrag näher begründet. Nachdem der Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2012 die beantragte Prozesskostenhilfe gewährt hat, hat der Kläger die angekündigte Klage, die am 25. Januar 2012 bei dem Gericht eingegangen ist, erhoben und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde ausgeführt, der Kläger sei aufgrund seiner finanziellen Lage vor der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe nicht in der Lage gewesen, das Kostenrisiko eines gerichtlichen Verfahrens zu tragen.

12

Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, die erfolgte Aufrechnung sei rechtswidrig, weil von der Restschuldbefreiung auch die Einkommensteuer für die Jahre 1991, 1994 und 1996 erfasst würde, die das Finanzamt auch zur Tabelle angemeldet habe. Die angemeldeten Forderungen beruhten auf Berechnungen vom 04. Januar 2007; zuvor habe das Finanzamt die Forderung für alle drei Jahre jeweils mit Null Euro angegeben. Wegen der erteilten Restschuldbefreiung seien die vom Finanzamt zur Aufrechnung geltend gemachten Forderungen gem. § 301 InsO nicht mehr durchsetzbar gewesen, da ihnen eine Einrede im Sinne des § 390 BGB entgegen stünde. Eine Aufrechnung mit der Restschuldbefreiung unterliegenden Insolvenzforderungen mit Gegenansprüchen des Insolvenzschuldners sei jedenfalls nach Erteilung der Restschuldbefreiung ausgeschlossen. Die Argumentation des Finanzamtes, eine Aufrechnung sei im vorliegenden Fall zulässig, weil mit vor der Insolvenzeröffnung entstandenen Ansprüchen aufgerechnet worden sei, sei zum einen unzutreffend und gehe zudem von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Denn tatsächlich seien die behaupteten Gegenansprüche aus der Einkommensteuer nicht mit Ablauf der entsprechenden Jahre und damit vor der Insolvenzeröffnung entstanden. Denn das Finanzamt habe die dem Kläger aufgrund der im Jahre 2005 - also nach der Insolvenzeröffnung ergangenen Rechtsprechung - zustehenden Umsatzsteuererstattungsansprüche auch ertragsteuerlich den jeweiligen Jahren zugeordnet. Dies sei jedoch schlicht unzutreffend und widerspreche dem materiellen Bilanzsteuerrecht. Es bestünden keine Einkommensteuerforderungen des Finanzamtes für die Jahre 1991, 1994 und 1996. Weder bestünden materielle Ansprüche noch seien sie festgesetzt worden geschweige denn vor der Insolvenzeröffnung, so dass sich das Finanzamt auf eine vor der Insolvenzeröffnung entstandene Aufrechnungslage nicht berufen könne. Die Rechtsauffassung des Finanzamtes, die Einkommensteuer entstehe mit Ablauf des Kalenderjahres, möge zutreffend sein, dies könne jedoch nicht in Fällen wie dem vorliegenden gelten, in dem die Festsetzungen eindeutig materiell-rechtlich falsch seien. Die ertragsteuerlichen Konsequenzen aus der Rechtsprechungsänderung im Jahre 2005, die zu den Erstattungsansprüchen des Klägers geführt habe, seien im Kalenderjahr 2005 zu ziehen gewesen. Des Weiteren habe der Prozessbevollmächtigte die vom Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen bestritten. Insoweit werde auf die Schuldnerwidersprüche vom 01. November 2004, 30. November  2006 und 28. April 2008 Bezug genommen. Die vom Finanzamt vorgelegte Auskunft des Amtsgerichts vom 19. Juli 2012, in der mitgeteilt werde, dass dort kein Widerspruch des Schuldners gegen die angemeldete Forderung laut Insolvenztabelle eingegangen sei, sei ohne Beweiswert, denn das Amtsgericht habe bereits einmal eine unzutreffende Auskunft über einen nicht vorliegenden Schuldnerwiderspruch erteilt. Insoweit werde auf das Schreiben des Amtsgerichts vom 02. November 2004 und das Antwortschreiben des Prozessbevollmächtigten vom 11. November 2004 Bezug genommen.

13

Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Abrechnungsbescheides vom 28. Juni 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. August 2011 den dem Kläger zustehenden Erstattungsanspruch aus dem Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 vom
18. April 2011 um 52.217,17 € höher festzusetzen.

14

Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, die Einwendungen, die Umsatzsteuererstattungen seien nicht in den zutreffenden Jahren gewinnerhöhend berücksichtigt worden, könnten im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, weil diese in einem gesonderten Verfahren zu berücksichtigen gewesen wären. Nach § 178 Abs. 3 InsO wirke die Feststellung zur Insolvenztabelle wie ein rechtskräftiges Urteil und somit gewissermaßen konstitutiv, so dass die Steuern in den entsprechenden Kalenderjahren entstanden seien. Der Kläger habe den angemeldeten Forderungen des Finanzamtes auch nicht widersprochen. Aus dem Tabellenauszug sei ersichtlich, dass die Anmeldung vom 08. Januar 2007 nicht bestritten worden sei. Des Weiteren habe das Amtsgericht mit Schreiben vom 19. Juli 2012 mitgeteilt, dass dort kein Widerspruch des Schuldners gegen die angemeldeten Forderungen eingegangen sei und die Forderung im schriftlichen Verfahren am 13. November 2009 geprüft worden sei.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie die Steuerakte Verrechnung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

18

Die Klage ist unbegründet, weil der angefochtene Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtmäßig ist und den Kläger somit nicht in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO). Das Finanzamt hat zutreffend festgestellt, dass der Erstattungsanspruch des Klägers aus dem Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 vom 18. April 2011 nebst Zinsen in Höhe von insgesamt 51.217,17 € durch Aufrechnung mit den zur Tabelle angemeldeten Einkommensteuerforderungen für das Jahr 1991 in Höhe von 13.902,03 €, mit Einkommensteuer für das Jahr 1994 in Höhe von 17.995,43 € und Einkommensteuer für das Jahr 1996 in Höhe von 20.319,71 € erloschen ist.

19

Das Finanzamt hat zutreffend durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO über das Erlöschen des Umsatzsteuererstattungsanspruches gem. § 47 AO durch Aufrechnung entschieden.

20

Gem. § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des BGB sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann gem. § 387 BGB jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung muss voll wirksam, fällig und erzwingbar (vgl. BGH vom 19.5.2011, Az. IX ZR 222/08, NJW-RR 2011,1142) und die Hauptforderung erfüllbar sein. Der Aufrechnung dürfen keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen und die Aufrechnungsvoraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegeben sein (vgl. BGH vom 8.11.2011, Az. XI ZR 341/10; NJW 2012,445).  Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Einkommensteuerforderungen waren wirksam, fällig und auch im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung erzwingbar, das FA durfte die Umsatzsteuerforderung im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung auch bewirken und ein Aufrechnungsverbot lag nicht vor.

21

Nach § 387 BGB ist erforderlich, dass die Gegenforderung (hier Einkommensteuerforderungen) besteht, der Aufrechnungsgegner (der Kläger) also dem Aufrechnenden (Finanzamt) etwas schuldet. Das Finanzamt kann Steuern von demjenigen fordern, gegen den es sie wirksam festgesetzt hat. Die Festsetzung als Grundlage der Verwirklichung des gesetzlichen Steueranspruchs entfaltet - wie jeder wirksame sonstige Verwaltungsakt - Tatbestandswirkung. Im Erhebungsverfahren, zu dem die Aufrechnung gehört, ist folglich grundsätzlich nur zu prüfen, ob eine Steuerfestsetzung gegen den Abrechnungsschuldner vorliegt und ob sie wirksam ist. Auch eine rechtswidrige jedoch wirksam festgesetzte Steuerforderung besteht, solange die Festsetzung nicht aufgehoben ist oder in anderer Weise ihre Rechtswirkungen verloren hat (vgl. BFH-Entscheidung vom 15. Juni 1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46 ff.). Zwar hat das Finanzamt die Einkommensteuerforderungen wegen des eröffneten Insolvenzverfahrens nicht festgesetzt, die Forderungen sind aber wirksam zur Insolvenztabelle festgestellt worden und somit gem. § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO gegenüber dem Kläger wirksam.

22

Insolvenzgläubiger können nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre rechtlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt gelten machen (§ 201 Abs. 1 InsO). Die Insolvenzgläubiger, deren Forderungen festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden sind, können aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben (§ 201 Abs. 2 Satz 1 InsO). Einer nicht bestrittenen Forderung steht eine Forderung gleich, bei der ein erhobener Widerspruch beseitigt ist (§ 201 Abs. 2 Satz 2 InsO). Diese Voraussetzungen liegen vor.

23

Das Insolvenzverfahren wurde nach § 289 Abs. 2 S. 2 InsO durch den rechtskräftigen Beschluss über die Restschuldbefreiung aufgehoben. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die Einkommensteuerforderungen als Insolvenzforderungen gegenüber dem FA als Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers am 17. November 2009 zur Insolvenztabelle festgestellt worden sind. Streitig ist, ob im Prüfungszeitpunkt durch das Insolvenzgericht diese Forderungen durch den Kläger bestritten waren. Nach Überzeugung des Gerichts liegen für ein Bestreiten keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. In den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegten Kopien der Schreiben an das Insolvenzgericht vom 01. November 2004, 30. November 2006 und 28. April 2008 sind die hier gegenständlichen Einkommensteuerforderungen nicht konkret benannt und die Schreiben vom 01. November 2004 und 30. November 2006 lagen vor dem Tag der Anmeldung am 08. Januar 2007 durch das Finanzamt. Gegen die Erhebung eines Widerspruches spricht, dass ein solcher nicht in die Tabelle eingetragen worden ist. Denn gem. § 178 Abs. 2 Satz 2 InsO ist auch ein Widerspruch des Schuldners in die Tabelle einzutragen. Maßgeblich für die Eintragung ist, ob im Zeitpunkt des Prüfungstermins ein Widerspruch vorliegt. So ist ein einmal erhobener Widerspruch, der im Prüfungszeitpunkt nicht aufrecht erhalten bleibt, nicht einzutragen. Gegen das Vorliegen eines Widerspruches spricht auch, dass der Kläger gegen die fehlende Eintragung seines vermeintlichen Widerspruches keine Berichtigung beantragt hat.

24

Da die Einkommensteuerforderungen des Finanzamtes zur Tabelle festgestellt worden sind, muss der Kläger sie als Insolvenzschuldner auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens durch die Restschuldbefreiung gegen sich gelten lassen, unabhängig davon, ob die Gewinnerhöhungen aufgrund der Umsatzsteuererstattungen materiell-rechtlich zutreffend in diesen Jahren vorzunehmen waren.

25

Die Einkommensteuerforderungen waren auch fällig. Nach § 220 Abs.1 AO richtet sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nach den Vorschriften des der Steuergesetze. Gem. § 36 Abs.4 EStG wird die Einkommensteuer innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides fällig. Steuerbescheide konnten vorliegend wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ergehen, sondern durften nur zur Tabelle angemeldet werden. Dies führt dazu, dass die Insolvenzforderungen gem. § 220 Abs. 2 S. 1 AO mit der Entstehung der Steuer fällig werden (vgl. BFH vom 4.5.2004, Az. VII R 45/03; BStBl. II 2004, 815). Die Einkommensteuer entsteht gem. § 36 Abs.1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraumes. Da gem. § 25 Abs. 1 EStG das Kalenderjahr der Veranlagungszeitraum ist, waren die Gegenforderungen mit Ablauf des 31.12.1991, 31.12.1994 und 31.12.1996 fällig.

26

Die Einkommensteuerforderungen waren auch trotz der Restschuldbefreiung im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung durchsetzbar.

27

Unvollkommene, rechtlich nicht durchsetzbare Forderungen können nicht aufgerechnet werden (vgl. BGH 29.3.2007, Az. IX ZB 204/05, ZIP 2007,923). Erlangt der gerichtliche Beschluss über die Restschuldbefreiung formelle Rechtskraft, wirkt die Restschuldbefreiung gem. § 301 Abs.1 S.1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Mit der Rechtskraft tritt eine Entschuldung ein. Allerdings folgt aus § 301 Abs. 3 InsO, dass Leistungen, die nach der Restschuldbefreiung zur Befriedigung eines Insolvenzgläubigers erbracht werden, nicht zurückgefordert werden können. Zumindest als Rechtsgrund bestehen die ursprünglichen Forderungen über die Wirksamkeit der Restschuldbefreiung hinaus fort. Es liegt eine unvollkommene Verbindlichkeit des Schuldners vor (vgl. Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 301 Rn. 3). Damit wären die Einkommensteuerforderungen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung durch das FA nicht mehr durchsetzbar und nicht mehr aufrechenbar (so das Finanzgericht Hamburg, Az. 3 K 132/11 vom 15.8.2011, EFG 2011, 2180). Allerdings hat der BGH (Entscheidung vom 19.5.2011, Az. IX ZR 222/08, NJW-RR 2011, 1142 ff.) entschieden, dass ein Aufrechnungsrecht einer Gegenforderung, die nach einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan als erlassen gelte, bestehen bleibe, wenn die Aufrechnungslage bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden habe. Nach § 94 InsO werde das bei Verfahrenseröffnung bestehende Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung durch das Verfahren nicht berührt. Diese Vorschrift sei dahin zu verstehen, dass zum „Verfahren“ auch das Ergebnis des Insolvenzverfahrens gehöre, das - etwa als Insolvenzplan – über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens hinauswirken könne. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers habe § 94 InsO diese Wirkung zukommen sollen. Dieser überzeugenden Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Der vom BGH entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden vergleichbar, weil es sich auch dort um eine unvollkommen gewordene Verbindlichkeit handelte. Die Gegenforderungen des FA blieben trotz Restschuldbefreiung aufrechenbar, weil im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im August 2004 die Aufrechnungslage bereits vorlag.

28

Gem. § 94 InsO muss der Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens zur Aufrechnung berechtigt sein. Insolvenzgläubiger ist gem. § 38 InsO, wer einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Das bedeutet, der Rechtsgrund ihrer Entstehung muss bereits zu diesem Zeitpunkt gelegt sein. Eine Steuerforderung ist immer dann Insolvenzforderung, wenn der ihr zugrunde liegende Tatbestand, der zur Entstehung des Steueranspruches führt, vom Schuldner bereits vor Verfahrenseröffnung verwirklicht worden ist. Nicht entscheidend für die Zuordnung ist demnach, zu welchem Zeitpunkt hieraus die konkrete Steuerforderung entsteht (vgl. Nerlich/Römermann, § 38 Rn. 13, 15, a.a.O.) Welche Anforderungen im Einzelnen an die vollständige Tatbestandsverwirklichung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts (vgl. BFH vom 11.7.2013, Az. XI B 41/13, BFH/NV 2013,1647). Insolvenzgläubiger können gem. § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner „begründeten“ Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern beim Insolvenzverwalter zur Eintragung in die Tabelle und zur Prüfung mit dem Ziel der Feststellung anzumelden (vgl. BFH vom 11.7.2013, a.a.O., II Ziff. 1). Da die hier gegenständlichen Einkommensteuerforderungen auf diese Weise wirksam zur Tabelle als Insolvenzforderungen festgestellt worden sind, steht für die Beteiligten fest, dass die Voraussetzungen als Insolvenzforderung gem. § 38 InsO vorliegen. Wegen der Rechtskraftwirkung der Feststellung ist eine materiell-rechtliche Überprüfung, ob die Qualifizierung als Insolvenzforderung zutreffend ist, entgegen der Auffassung des Klägers nicht vorzunehmen.

29

Das Finanzamt durfte auch im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung mit dem Erstattungsanspruch wegen Umsatzsteuer für 1995 aufrechnen, weil ein Aufrechnungsverbot gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht eingreift und der Anspruch erfüllbar war.

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Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Das Finanzamt wird etwas nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig, wenn die Hauptforderung bereits im Sinne des § 38 InsO im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war (vgl. BFH vom 25.7.2012, Az. VII R 29/11, BFH/NV 2012, 2106 ff, I Ziff. 4). Bei Erstattungsansprüchen muss der Rechtsgrund für den Erstattungsanspruch bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden sein. Bereits mit der Besteuerung bzw. mit der Leistung von Vorauszahlungen wird aus insolvenzrechtlicher Sicht ein Grund für den Erstattungsanspruch gelegt (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, § 251 Rn 438). Das Finanzamt kann eine materiell zu Unrecht gezahlte Steuer dem Steuerpflichtigen erstatten, auch wenn die Steuerfestsetzung noch nicht aufgehoben worden ist, obgleich der Anspruch des Steuerpflichtigen auf eine solche Zahlung erst mit der Aufhebung dieser Forderung entsteht. Das insolvenzrechtliche Entstehen eines Steuererstattungsanspruches ist erstens unabhängig von seiner Festsetzung in einem Erstattungsbescheid und zweitens nicht nur vor einer solchen Festsetzung, sondern selbst dann „erfüllbar“, wenn dem steuerrechtlichen Entstehen eines solchen Anspruches noch (materiell rechtswidrige) Steuerfestsetzungen als Rechtsgrund der zu erstattenden Leistung entgegenstehen. Denn ein steuerlicher Anspruch ist in einer Anwendung des § 387 BGB rechtfertigenden Weise existent und erfüllbar, wenn er i.S. des § 38 AO entstanden ist, d.h. der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Dies gilt auch für einen Steuererstattungsanspruch. Es ist deshalb insolvenzrechtlich ausreichend, dass der Sachverhalt verwirklicht ist, der zu der Entstehung des Steuer(erstattungs)anspruches führt (vgl. BFH vom 10.5.2007, Az. VII R 18/05, BStBl. II 2007, 914 ff). Danach war der Erstattungsanspruch für 1995 bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, weil der maßgebliche Sachverhalt für die Erstattung, die in 1995 ausgeführten und nicht steuerpflichtigen Umsätze mit Geldspielautomaten und die hierauf entrichteten Umsatzsteuern vor dem ... August 2004 erfolgten.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.

32

Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der Wirkung einer Restschuldbefreiung auf die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers zuzulassen.


Ist ein Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes oder auf Grund einer Vereinbarung zur Aufrechnung berechtigt, so wird dieses Recht durch das Verfahren nicht berührt.

(1) Wird die Restschuldbefreiung erteilt, so wirkt sie gegen alle Insolvenzgläubiger. Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben.

(2) Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger aus einer zu ihrer Sicherung eingetragenen Vormerkung oder aus einem Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, werden durch die Restschuldbefreiung nicht berührt. Der Schuldner wird jedoch gegenüber dem Mitschuldner, dem Bürgen oder anderen Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber den Insolvenzgläubigern.

(3) Wird ein Gläubiger befriedigt, obwohl er auf Grund der Restschuldbefreiung keine Befriedigung zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten.

(4) Ein allein aufgrund der Insolvenz des Schuldners erlassenes Verbot, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, tritt mit Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung außer Kraft. Satz 1 gilt nicht für die Versagung und die Aufhebung einer Zulassung zu einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 222/08
Verkündet am:
19. Mai 2011
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Aufrechnungsrecht bleibt
auch dann erhalten, wenn die aufgerechnete Gegenforderung nach einem rechtskräftig
bestätigten Insolvenzplan als erlassen gilt.
BGH, Urteil vom 19. Mai 2011 - IX ZR 222/08 - OLG Celle
LG Hannover
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. April 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 13. November 2008 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 30. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Über das Vermögen der I. GmbH (fortan: Schuldnerin) wurde am 29. Dezember 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das verklagte Land meldete Umsatzsteuerforderungen aus den Jahren 2005 und 2006 zur Insolvenztabelle an, die in Höhe von mehr als 1 Mio. € festgestellt wurden. Mit Zustimmung der Vertreterin des Beklagten beschloss die Gläubigerversammlung einen Insolvenzplan, dessen gestaltender Teil für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger einen Teilerlass von 93,65 v.H. ihrer Forderungen vorsah. Das Insolvenzgericht bestätigte den Insolvenzplan und hob das Insolvenzver- fahren am 14. März 2007 auf. Die Schuldnerin erbrachte die nach dem Insolvenzplan dem Beklagten geschuldeten Zahlungen. Anschließend machte sie gegen diesen Werklohnansprüche für Bauleistungen geltend, die sie bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens für ihn erbracht hatte.
2
Der Beklagte hat nach Rechtshängigkeit der zunächst auf Zahlung von 117.585,81 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage einen Teilbetrag von 36.273,86 € gezahlt und im Übrigen mit dem noch nicht getilgten Teil seiner Umsatzsteuerforderungen der Jahre 2005 und 2006 aufgerechnet. Das Landgericht hat die Klage mit Ausnahme eines Anspruchs auf Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Über das Vermögen der Schuldnerin ist mittlerweile erneut ein Insolvenzverfahren eröffnet worden; der Insolvenzverwalter hat den Rechtsstreit aufgenommen.

Entscheidungsgründe:


3
Die Revision hat Erfolg. Die Forderungen der Schuldnerin sind, soweit sie nicht durch Zahlung erfüllt wurden, durch die vom Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.

I.


4
Das Berufungsgericht (ZIP 2008, 2372) meint, der im ersten Insolvenzverfahren beschlossene Insolvenzplan stehe der vom Beklagten erklärten Aufrechnung entgegen. Die von diesem Plan erfassten Forderungen könnten nicht mehr zur Aufrechnung gestellt werden, weil sie erlassen, mindestens aber zu unvollkommenen Verbindlichkeiten geworden seien, die zwar erfüllbar, aber nicht erzwingbar seien. Das gelte auch für die Steuerforderungen des Beklagten. Die Regelung in § 94 InsO, wonach die bei Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungsbefugnis eines Gläubigers durch das Insolvenzverfahren nicht berührt werde, ändere daran nichts. Sie ermögliche es einem Gläubiger lediglich , sich einem Insolvenzplan zu entziehen, indem er rechtzeitig vorher die Aufrechnung erkläre. Tue er dies nicht und lege er gegen den bestätigenden Beschluss des Insolvenzgerichts kein Rechtsmittel ein, sei er an den Plan gebunden. Letztlich verhalte sich der Beklagte auch treuwidrig, weil er durch seine Vertreterin dem Plan zugestimmt habe.

II.


5
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
1. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (§ 387 BGB). Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung muss voll wirksam und fällig sein. Ihre Erfüllung muss erzwungen werden können (BGH, Urteil vom 16. März 1981 - II ZR 110/80, WM 1981, 711; vom 20. November 2008 - IX ZR 139/07, WM 2009, 273 Rn. 10; Staudinger/Gursky, BGB, Bearb. 2006, § 387 Rn. 132; MünchKomm-BGB/Schlüter, 5. Aufl., § 387 Rn. 36) und ihr darf keine Einrede entgegenstehen (§ 390 BGB). Unvollkommene, rechtlich nicht durchsetzbare Verbindlichkeiten wie eine Spielschuld (§ 762 Abs. 1 BGB) oder ein Ehemäklerlohn (§ 656 Abs. 1 BGB) können nicht aufgerechnet werden. Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gelten diese Grundsätze entsprechend (§ 226 Abs. 1 AO).
7
2. Um unvollkommene, rechtlich nicht durchsetzbare Forderungen handelt es sich auch bei den von dem Beklagten zur Aufrechnung gestellten Umsatzsteuerforderungen.
8
Erlangt die gerichtliche Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 248 Abs. 1 InsO formelle Rechtskraft, treten gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO die in seinem gestaltenden Teil festgelegten materiellen Wirkungen unmittelbar für und gegen alle Beteiligten ein. Insolvenzforderungen können nur noch in Höhe der vereinbarten Quoten durchgesetzt werden. Soweit sie als erlassen gelten, sind sie zwar nicht erloschen, bestehen indes nur noch als natürliche, unvollkommene Verbindlichkeiten fort, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann. Das folgt im Gegenschluss aus den Regelungen in § 254 Abs. 3 und § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO (BT-Drucks. 12/2443, S. 213; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rn. 28.80; Otte in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 254 Rn. 14 und § 255 Rn. 6; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 13. Aufl., § 227 Rn. 4 und § 254 Rn. 8; MünchKomm-InsO/Huber, 2. Aufl., § 254 Rn. 33; FK-InsO/Jaffé, 6. Aufl., § 254 Rn. 3; Braun/Frank, InsO, 4. Aufl., § 254 Rn. 10; zum Liquidationsvergleich nach § 7 Abs. 4 VglO: BGH, Urteil vom 9. April 1992 - IX ZR 304/90, BGHZ 118, 70, 76; speziell für Steuerforderungen: MünchKomm-InsO/ Kling/Schüppen/Ruh, aaO, Insolvenzsteuerrecht, Rn. 243; Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch , 4. Aufl., § 69 Rn. 21). Mit einer solchen nicht durchsetzbaren Forderung kann grundsätzlich nicht aufgerechnet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2007 - IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923 Rn. 8).
9
3. Die Aufrechnung mit einer Forderung, die nach dem Insolvenzplan als erlassen gilt, bleibt jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gemäß § 94 InsO möglich, wenn die Aufrechnungslage bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand.
10
a) Nach § 94 InsO wird das bei Verfahrenseröffnung bestehende Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung "durch das Verfahren nicht berührt". Dem Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob sich die Aufrechnungsbefugnis auch gegenüber der gestaltenden Wirkung eines Insolvenzplans (§ 254 Abs. 1 InsO) durchsetzt. Er kann im Sinne einer Regelung ausschließlich für die Zeit des laufenden Insolvenzverfahrens verstanden werden. Rechnet ein Gläubiger - wie im Streitfall das verklagte Land - nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf, gibt es kein Verfahren mehr, durch das die Aufrechnungsbefugnis berührt sein könnte. Ob eine Aufrechnung möglich ist, richtet sich dann nach der materiellen Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Erklärung. Vom Wortlaut gedeckt wird jedoch auch ein Verständnis, wonach zum "Verfahren" auch das Ergebnis des Insolvenzverfahrens gehört, das - etwa als Insolvenzplan - über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens hinauswirken kann. Dann bliebe eine bei Verfahrenseröffnung bestehende Aufrechnungslage über das Ende des Verfahrens hinaus ungeachtet der in einem Insolvenzplan getroffenen Regelungen erhalten (so OLG Celle ZIP 2009, 140, 141, nicht rechtskräftig).
11
b) Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte § 94 InsO die zuletzt genannte Wirkung haben. Bereits unter der Geltung der Konkursordnung, der Vergleichsordnung und der Gesamtvollstreckungsordnung konnte eine bei Eröffnung des Verfahrens bestehende Aufrechnungsmöglichkeit auch noch im Verfahren ausgeübt werden (§ 53 KO, § 54 Satz 1 VglO, § 7 Abs. 4 GesO). Von den Wirkungen eines Vergleichs wurde dieses Recht nicht berührt (§ 54 Satz 2 VglO; vgl. zu dieser Norm BGH, Urteil vom 9. Februar 1983 - VIII ZR 305/81, NJW 1983, 1119, 1120). An dieser Rechtslage wollte der Gesetzgeber der Insolvenzordnung festhalten. Sowohl der vom Bundesministerium der Justiz vorgelegte Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Insolvenzrechts (§ 101 DiskE) als auch der endgültige Regierungsentwurf der Insolvenzordnung106 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 25) enthielten schon eine mit § 94 InsO weitgehend wortgleiche Regelung zur Erhaltung einer Aufrechnungslage. In der Einzelerläuterung wurde ausgeführt, es habe geltendem Konkurs- und Vergleichsrecht entsprochen, dass ein Insolvenzgläubiger, der zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens zur Aufrechnung berechtigt sei, dieses Recht durch die Verfahrenseröffnung nicht verliere. Die Formulierung der neuen Vorschrift bringe zusätzlich zum Ausdruck, dass auch der weitere Ablauf des Verfahrens, insbesondere die Annahme und Bestätigung eines Sanierungsplans, die Befugnis zur Aufrechnung nicht beeinträchtigen könne, was auch in der Regelung des § 54 Satz 2 VglO zum Ausdruck komme (BT-Drucks. 12/2443, S. 140). Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages schlug die Klarstellung vor, dass sowohl eine gesetzliche als auch eine vertragliche Aufrechnungsberechtigung erhalten bleiben sollte (BT-Drucks. 12/7302, S. 38 und 165). Da der Deutsche Bundestag den nur insoweit veränderten Gesetzentwurf beschlossen hat, ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber § 94 InsO nicht anders verstanden wissen wollte als die Bundesregierung.
12
c) Der mit § 94 InsO verfolgte Regelungszweck macht seine Anwendung im Falle eines Insolvenzplans allerdings nicht zwingend erforderlich. Die Vorschrift dient nach allgemeiner Ansicht dem Vertrauensschutz. Eine vor Insolvenzeröffnung erworbene Aufrechnungsbefugnis und die daraus folgende Selbstexekutionsbefugnis sind eine von der Rechtsordnung weitgehend geschützte Rechtsstellung (vgl. §§ 389, 392, 406 BGB), die auch im Insolvenzverfahren uneingeschränkt anerkannt bleiben soll (BT-Drucks. 12/2443, S. 140; HKInsO /Kayser, 5. Aufl., § 94 Rn. 1 f; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, aaO, § 94 Rn. 6 f; Graf-Schlicker/Hofmann, InsO, 2. Aufl., § 94 Rn. 1; aA Jaeger/Windel, InsO, § 94 Rn. 9). Den gleichen Regelungszweck hatte der Große Senat für Zivilsachen bereits den Vorgängervorschriften § 53 KO und § 54 VglO beigemessen. Der Aufrechnungsberechtigte solle nicht durch nachträgliche Vorgänge, die seiner Einflussmöglichkeit entzogen sind und sich in der Sphäre des Aufrechnungsgegners abspielen, der ursprünglich vorhandenen Aufrechnungsbefugnis verlustig gehen (BGH, Beschluss vom 20. Juni 1951 - GSZ 1/51, BGHZ 2, 300, 304 f). Im Falle der Bereinigung einer Insolvenz mittels eines Insolvenzplans bedarf der Insolvenzgläubiger eines solchen Schutzes nicht im gleichen Umfang wie unter der Geltung der Vergleichsordnung. Er wird zu dem Termin zur Erörterung und Abstimmung über den Plan besonders geladen (§ 235 Abs. 3 InsO) und kann durchsetzen, dass dem Plan die gerichtliche Bestätigung versagt wird, wenn er durch ihn schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde (§ 251 InsO). Diese Voraussetzung wird im Falle des Verlusts einer Aufrechnungsmöglichkeit regelmäßig gegeben sein. Eine vergleichbare Schutzvorschrift gab es weder in der Konkursordnung noch in der Vergleichsordnung. Dort war der Gläubiger daher auf den Schutz seiner Aufrechnungsberechtigung durch die Regelung in § 54 Satz 2 VglO angewiesen.
13
d) Der Senat hält letztlich für ausschlaggebend, dass mit der Insolvenzordnung die nach früherem Recht bestehenden Aufrechnungsmöglichkeiten nicht beschränkt werden sollten. In einzelnen Beziehungen, insbesondere im Hinblick auf vertragliche Aufrechnungsberechtigungen, wurden sie sogar erweitert. Der Umstand, dass der Fall eines Insolvenzplans in § 94 InsO anders als der Fall eines Vergleichs in § 54 Satz 2 VglO nicht ausdrücklich erwähnt ist, kann mit der Einbeziehung des Insolvenzplanverfahrens in ein einheitliches Insolvenzverfahren erklärt werden. Nicht zuletzt zeigt die Regelung in § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO, dass der Gesetzgeber dem Insolvenzplan keine stärkere Wirkung als einem Vergleich nach altem Recht zukommen lassen wollte. Der dort bestimmte Fortbestand akzessorischer Sicherungsrechte ungeachtet des planbedingten Wegfalls der gesicherten Forderungen entspricht der früheren Rechtslage (§ 82 Abs. 2 VglO; § 193 Satz 2 KO).
14
e) Die Zulassung der Aufrechnung gemäß § 94 InsO nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans führt nicht zwangsläufig zu unbilligen Ergebnissen. Aufrechnungsmöglichkeiten eines Insolvenzgläubigers sind vor der Entscheidung über die Bestätigung des Insolvenzplans für den Insolvenzverwalter erkennbar. Er kann versuchen, den betreffenden Gläubiger zu einem Verzicht auf sein Aufrechnungsrecht zu bewegen, oder - falls dies nicht gelingt - die fortbestehende Aufrechnungsmöglichkeit bei der Gestaltung des Insolvenzplans einbeziehen. Eine Berücksichtigung der aufrechenbaren Gegenforderung des Insolvenzgläubigers bei der Berechnung und Auszahlung der nach dem Insolvenzplan den Gläubigern zukommenden Quote kann er vermeiden, indem er selbst die Aufrechnung erklärt. Bestehen sonach Möglichkeiten, einer fortbestehenden Aufrechnungsmöglichkeit bei der Gestaltung des Insolvenzplans Rechnung zu tragen, kann von einer Beschädigung der Gläubigerautonomie durch die Zulassung der Aufrechnung mit einer nach dem Insolvenzplan als erlassen geltenden Forderung nicht die Rede sein (aA Braun, NZI 2009, 409, 411).
15
4. In der Zustimmung des zur Aufrechnung berechtigten Insolvenzgläubigers zum Insolvenzplan oder auch nur in der widerstandslosen Hinnahme des Plans liegt regelmäßig kein Verzicht auf die mögliche Aufrechnung. An die Feststellung eines solchen Willens sind strenge Anforderungen zu stellen. Schließt der in einem Insolvenzplan geregelte Teilerlass von Forderungen eine Aufrechnung mit diesen Forderungen nicht aus, kann das Einverständnis eines Insolvenzgläubigers mit dem Plan auch in seiner objektiven Bedeutung nicht als Erklärung des Inhalts ausgelegt werden, dass eine Abweichung von den gesetzlichen Rechtsfolgen zum eigenen Nachteil akzeptiert würde. Auch unter den im Streitfall gegebenen konkreten Umständen kann ein solcher Verzicht nicht angenommen werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Dezember 1998 über die Behandlung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Insolvenzverfahren (BStBl. I S. 1500). Unter Nr. 9.3 wird dort zu den Wirkungen eines bestätigten Insolvenzplans ausgeführt, soweit nach dem Insolvenzplan auf Abgabenforderungen zu verzichten sei, würden diese zu sogenannten unvollkommenen Forderungen, die zwar erfüllbar seien, aber gegenüber dem Schuldner nicht mehr geltend gemacht werden dürften (Vollstreckungsverbot, Aufrechnungsverbot ). Zur Frage des Fortbestands einer bereits bei Verfahrenseröffnung bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit nach § 94 InsO verhält sich der Erlass nicht. Schon deshalb gibt er keine Veranlassung, die Zustimmung der Vertreterin des Beklagten zum Insolvenzplan als Verzicht auf die durch § 94 InsO begründete Rechtsposition zu deuten.
16
Die Aufrechnung des Beklagten trotz der im Abstimmungstermin erklärten Zustimmung zum Insolvenzplan verstößt auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Zustimmung der Vertreterin des Beklagten zum Insolvenzplan erlaubte nicht den Schluss, der Beklagte werde nach Rechtskraft des Insolvenzplans zur Abwehr von Ansprüchen der Masse von einer bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit keinen Gebrauch mehr machen. Das Verhalten des Beklagten war deshalb nicht widersprüchlich.

III.


17
Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache nach letzterem zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
18
Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Aufrechnung nach § 387 BGB in Verbindung mit § 94 InsO liegen vor. Zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29. Dezember 2006 hatte der Beklagte gegen die Schuldnerin eine fällige Umsatzsteuerforderung in einer die Forderungen der Schuldnerin auf Bezahlung von Bauleistungen (81.311,95 €) übersteigenden Höhe. Dies gilt zumindest im Hinblick auf die von der Schuldnerin für die Monate Oktober und November 2006 vorangemeldete, nach § 220 Abs. 1 AO, § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums, somit am 10. November 2006 und am 10. Dezember 2006 fällige und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht abgeführte Umsatzsteuer in Höhe von jeweils mehr als 200.000 €, auch wenn berücksichtigt wird, dass der Landesanteil des Beklagten nur 47 v.H. betrug (vgl. Anlage B 3, GA I 86). Der Umstand, dass ein Jahressteuerbescheid erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens erging, ändert daran nichts (BFHE 189, 14, 22).
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 30.05.2008 - 9 O 269/07 -
OLG Celle, Entscheidung vom 13.11.2008 - 16 U 63/08 -

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.