Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 17. Juni 2016 - 16 Sa 1711/15

ECLI:ECLI:DE:LAGHAM:2016:0617.16SA1711.15.00
bei uns veröffentlicht am17.06.2016

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 14.10.2015 – Az. 6 Ca 1789/15 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 17. Juni 2016 - 16 Sa 1711/15

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 17. Juni 2016 - 16 Sa 1711/15

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei
Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 17. Juni 2016 - 16 Sa 1711/15 zitiert 14 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 323 Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung


#BJNR001950896BJNE031602377 (1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung

Zivilprozessordnung - ZPO | § 517 Berufungsfrist


Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Bundesdatenschutzgesetz - BDSG 2018 | § 4 Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume


(1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie 1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder3. zur Wahrnehmung berechti

Bundesdatenschutzgesetz - BDSG 2018 | § 32 Informationspflicht bei Erhebung von personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person


(1) Die Pflicht zur Information der betroffenen Person gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Verordnung (EU)2016/679besteht ergänzend zu der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Ausnahme dann nicht, wenn die Erteilung der Information

Referenzen - Urteile

Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 17. Juni 2016 - 16 Sa 1711/15 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 17. Juni 2016 - 16 Sa 1711/15 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Arbeitsgericht Herne Urteil, 14. Okt. 2015 - 6 Ca 1789/15

bei uns veröffentlicht am 14.10.2015

Tenor 1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche fristlose noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 19.05.2015 aufgelöst worden ist.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 21. Nov. 2013 - 2 AZR 797/11

bei uns veröffentlicht am 21.11.2013

Tenor 1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12

bei uns veröffentlicht am 20.06.2013

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. April 2012 - 18 Sa 1474/11 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 19. Apr. 2012 - 2 AZR 186/11

bei uns veröffentlicht am 19.04.2012

Tenor 1. Die Revision des Klägers und die Anschlussrevision der Beklagten zu 1) bis 3) gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 17. November 2010 - 4 Sa 795/07 - werd

Bundesarbeitsgericht Urteil, 19. Apr. 2012 - 2 AZR 258/11

bei uns veröffentlicht am 19.04.2012

Tenor 1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. November 2010 - 2 Sa 979/10 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als

Referenzen

Tenor

  • 1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche fristlose noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 19.05.2015 aufgelöst worden ist.

  • 2. Die Beklagt wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Webentwickler weiter zu beschäftigen.

  • 3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  • 4. Der Streitwert wird auf 12.830,80 € festgesetzt.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Pflicht zur Information der betroffenen Person gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Verordnung (EU)2016/679besteht ergänzend zu der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Ausnahme dann nicht, wenn die Erteilung der Information über die beabsichtigte Weiterverarbeitung

1.
eine Weiterverarbeitung analog gespeicherter Daten betrifft, bei der sich der Verantwortliche durch die Weiterverarbeitung unmittelbar an die betroffene Person wendet, der Zweck mit dem ursprünglichen Erhebungszweck gemäß der Verordnung (EU)2016/679vereinbar ist, die Kommunikation mit der betroffenen Person nicht in digitaler Form erfolgt und das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere mit Blick auf den Zusammenhang, in dem die Daten erhoben wurden, als gering anzusehen ist,
2.
im Fall einer öffentlichen Stelle die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgaben im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 Buchstabe a bis e der Verordnung (EU) 2016/679 gefährden würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
3.
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
4.
die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen oder
5.
eine vertrauliche Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen gefährden würde.

(2) Unterbleibt eine Information der betroffenen Person nach Maßgabe des Absatzes 1, ergreift der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zum Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Person, einschließlich der Bereitstellung der in Artikel 13 Absatz 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Informationen für die Öffentlichkeit in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache. Der Verantwortliche hält schriftlich fest, aus welchen Gründen er von einer Information abgesehen hat. Die Sätze 1 und 2 finden in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 4 und 5 keine Anwendung.

(3) Unterbleibt die Benachrichtigung in den Fällen des Absatzes 1 wegen eines vorübergehenden Hinderungsgrundes, kommt der Verantwortliche der Informationspflicht unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Verarbeitung innerhalb einer angemessenen Frist nach Fortfall des Hinderungsgrundes, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen, nach.

Tenor

  • 1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche fristlose noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 19.05.2015 aufgelöst worden ist.

  • 2. Die Beklagt wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Webentwickler weiter zu beschäftigen.

  • 3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  • 4. Der Streitwert wird auf 12.830,80 € festgesetzt.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2010 - 1 Ca 2998/09 - zurückgewiesen hat.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die 1967 geborene Klägerin war - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts G tätig. Im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung erzielte sie einen monatlichen Bruttoverdienst iHv. 1.406,92 Euro. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7-köpfiger Betriebsrat errichtet ist.

3

In dem Getränkemarkt waren drei Kassen eingerichtet. Über eine Kasse erfolgte die Leergutannahme. Soweit sie nicht zu besetzen waren, wurde den Kassen der Geräteeinsatz mit dem Wechselgeld entnommen. Ursprünglich wurden die Einsätze im zentralen Kassenbüro des Einkaufsmarkts aufbewahrt. Das brachte es mit sich, dass die Kassenmitarbeiter des Getränkemarkts den Einsatz bei Dienstantritt im Kassenbüro abholen und nach Dienstschluss dorthin zurückbringen mussten. Im Kassenbüro erhielten sie auch das Wechselgeld. Diese Gänge entfielen ab Mitte August 2009, nachdem die Beklagte im Getränkemarkt einen Tresor für die Aufbewahrung der Einsätze und des Wechselgelds hatte installieren lassen.

4

Der Umgang mit Geld war für alle Märkte in sog. Kassenanweisungen geregelt. Deren Erhalt hatte die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt. Nach den zuletzt gültigen Regelungen war es Kassenmitarbeitern untersagt, Bargeld in der Dienstkleidung oder im Schubfach des Kassentischs aufzubewahren, Geld aus der Kasse zu entnehmen oder es sich leihweise selbst oder anderen zur Verfügung zu stellen. Geld durfte weder zwischen den Kassenkräften untereinander gewechselt noch nach Geschäftsschluss in den Schubfächern der Kassen aufbewahrt werden. Die Herausgabe zusätzlichen Wechselgelds hatte durch die Marktleitung zu erfolgen. Geldwechselgeschäfte mit Kunden waren untersagt. Geld, das von Kunden liegengelassen wurde, war unmittelbar der Marktleitung auszuhändigen; anschließend sollte es im Büro/Tresor deponiert werden. Im August 2009 erließ die Beklagte zusätzlich eine „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“. Danach sollten „Kassierdifferenzen“ täglich dem Geschäftsleiter gemeldet werden. „Fundgeld“ sollte einmal monatlich „in die 99-er Kasse eingezahlt“, „Klüngelgeld“ einmal pro Woche „auf WGR 700“ gebucht werden.

5

Im Getränkemarkt war seit jeher eine Videokamera installiert. Darüber waren die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden. Die Kamera ermöglichte die Überwachung des Kassenbereichs sowie der Ein- und Ausgänge. Die eigentlichen Kassiervorgänge wurden nicht erfasst.

6

Zur Mitte des Jahres 2009 stellte die Beklagte anlässlich einer Revision fest, dass in der ersten Jahreshälfte Leergutdifferenzen iHv. mehr als 7.000,00 Euro aufgetreten waren. Nachdem Kontrollen des Lagerbestands und des Warenausgangs keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hatten, vermutete sie deren Ursache im Kassenbereich. Sie ging von der Möglichkeit aus, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut „falsche“ Bons gedruckt und entsprechende Gelder der Kasse entnommen würden. Am 7. Juli 2009 vereinbarte sie mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung des Kassenbereichs. Sie beauftragte eine Fachfirma, die in der Zeit vom 13. Juli bis 3. August 2009 die Kassenvorgänge mittels Videokamera aufzeichnete. Die der Firma gleichfalls übertragene Auswertung der Aufzeichnungen einschließlich der Erstellung eines Zusammenschnitts und einer Dokumentation war am 3. September 2009 abgeschlossen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sich unter der Leergutkasse des Getränkemarkts ein Plastikbehälter befand, in dem Geld aufbewahrt wurde. Außerdem war zu erkennen, dass die Klägerin am 16. Juli 2009 gegen 8:45 Uhr, am 22. Juli 2009 gegen 16:13 Uhr und am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr diesem Behältnis Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Die Vorgänge als solche sind unstreitig.

7

Am 14. August 2009 hatte die Beklagte der Klägerin wegen eines Verhaltens vom 11. Juli 2009 eine Abmahnung erteilt. An diesem Tag hatte die Klägerin nach Dienstschluss Wechselgeld iHv. 300,00 Euro mit nach Hause genommen, statt es weisungsgemäß im Kassenbüro abzugeben. Die Klägerin hatte sich in einem noch am selben Abend geführten Telefonat auf ein Versehen berufen und das Geld am 12. Juli 2009 bei der Beklagten abgeliefert.

8

Noch am 3. September 2009 führte die Beklagte im Getränkemarkt eine Kontrolle des Kassenbereichs durch; der dort vorgefundene Plastikbehälter enthielt Münzen im Wert von 12,35 Euro. Am 4. September 2009 hörte sie die Klägerin zur Existenz dieser sog. Klüngelgeld-Kasse an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Mit Schreiben vom 8. September 2009 bat sie den Betriebsrat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11. September 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010“.

9

Die Klägerin hat mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 BGB liege nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. „Klüngelgeld-Kassen“ existierten in sämtlichen Bereichen des Einkaufsmarkts. Sie dienten dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet - wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe. Überdies sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Die Klägerin hat Lohnforderungen für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2010 erhoben.

10

Sie hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.506,28 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diversen Teilbeträgen seit unterschiedlichen Zeitpunkten zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Warengutschein über 275,00 Euro auszustellen und auszuhändigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe ihre Vertragspflichten schon durch das unerlaubte Führen einer „schwarzen Kasse“ erheblich verletzt. Darüber hinaus habe sie der fraglichen Kasse Geld in der offenkundigen Absicht entnommen, es für sich zu behalten. Zumindest sei sie einer solchen Tat dringend verdächtig. Die Klägerin habe sich - wie aus den Videoaufnahmen ersichtlich - vor jeder Geldentnahme vergewissert, dass ihr niemand zusehe. Dessen habe es bei redlichem Vorgehen nicht bedurft. Ihre Einlassung, sie habe Geldstücke für den Transport der Kasseneinsätze benötigt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Für entsprechende Zwecke habe ein Einkaufswagen bereitgestanden, der nicht eigens habe ausgelöst werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Videomaterial nicht, dass die Klägerin mitgeführte Geldstücke je in die „Klüngelgeld-Kasse“ zurückgelegt habe. Die Videoaufzeichnungen seien rechtlich verwertbar. Im Zeitpunkt der Beobachtung habe ein hinreichend eingegrenzter Verdacht dahingehend bestanden, dass Leergutdifferenzen durch Unregelmäßigkeiten im Kassenbereich des Getränkemarkts entstünden. Mildere Mittel zur Aufklärung des Verdachts hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Klage - soweit noch von Interesse - in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung von Vergütung nebst Zinsen für die Zeit bis zum 31. März 2010 und zur Aushändigung eines Warengutscheins verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und davon abhängiger Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

13

Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 ist unwirksam. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin richtet, hat keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden.

15

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

16

2. Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zu den Voraussetzungen vgl. nur BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN).

17

3. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich mehrfach Geldstücke aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben, und deshalb „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Im Rahmen seiner Beurteilung, selbst dann sei es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, hat das Landesarbeitsgericht alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zugutegehalten, dass sie durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre hinweg als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies hält sich - auch in Anbetracht der Abmahnung vom 14. August 2009 - im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerin, sie habe am 11. Juli 2009 die Ablieferung des Wechselgeldes aufgrund hohen Arbeitsanfalls schlicht vergessen, nicht entgegengetreten. Bei dem gerügten Verhalten handelt es sich mithin um einen - unbewussten - Ordnungsverstoß, der die Annahme, die Klägerin habe sich bis zu den umstrittenen Geldentnahmen aus der „Klüngelgeld-Kasse“ als vertrauenswürdig erwiesen, nicht, schon gar nicht zwingend infrage zu stellen vermochte.

20

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden sei. Hat der Arbeitnehmer die Integrität von Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich verletzt oder ist er einer solchen Tat dringend verdächtig, beeinträchtigt dies zwar die für die Durchführung der Vertragsbeziehung notwendige Vertrauensgrundlage grundsätzlich unabhängig vom Wert des betroffenen Gegenstands (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, BAGE 134, 349). Das schließt es aber nicht aus, bei der Gewichtung des Kündigungssachverhalts auf die Höhe eines eingetretenen Schadens Bedacht zu nehmen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184). Die im Berufungsurteil getroffene Interessenabwägung ist - anders als die Beklagte meint - nicht deshalb zu beanstanden, weil sich in der fraglichen Kasse am 4. September 2009 Münzen im Wert von etwas mehr als zwölf Euro befanden. Unbeschadet der Frage, ob bei einem Vermögensnachteil in dieser Höhe eine „Geringfügigkeitsschwelle“ überschritten wäre, ist nicht festgestellt, dass die Klägerin im Verdacht stand, sich Geld in diesem Umfang rechtswidrig zugeeignet oder hierzu doch unmittelbar angesetzt zu haben. Im Übrigen handelte es sich bei dem Umgang mit „Klüngelgeld“ um einen Bereich am Rande der Kassentätigkeit, den die Beklagte ausweislich der im August 2009 erlassenen „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“ offenbar selbst für nicht ausreichend geregelt hielt. Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht geeignet ist, das dem - unterstellten - Verdacht zugrundeliegende Verhalten zu rechtfertigen, durfte das Landesarbeitsgericht ihn zugunsten der Klägerin in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen.

21

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Heimlichkeit des dem Verdacht zugrundeliegenden - unterstellten - Verhaltens nicht außer Acht gelassen, wie die Beklagte gemeint hat. Es hat in ihr lediglich keinen Umstand gesehen, der im vorliegenden Fall die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätte. Das hält sich ebenso im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum wie die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem Kind.

22

II. Ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Zwar geht das Landesarbeitsgericht zutreffend von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats aus (1.). Es durfte aber nicht annehmen, die ordentliche Kündigung sei auch materiell-rechtlich als Verdachtskündigung rechtswirksam, weil sie zwar nicht den Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB, wohl aber denen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das, wäre es erwiesen, nicht auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - trotz des Verdachts - nicht unzumutbar(2.). Da das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hat es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten berechtigt wäre. Dies wird es nachzuholen haben. Dabei darf es den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig (3.).

23

1. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

24

a) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“(BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er schon aus seiner eigenen Sicht dem Betriebsrat einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 18; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - zu B I 1 a der Gründe mwN).

25

b) Danach ist die Anhörung inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt.

26

aa) Die Beklagte hat den Betriebsrat am 8. September 2009 schriftlich von ihrer Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des „Verdachts einer Untreue und Unterschlagung“ hilfsweise auch ordentlich zu kündigen. Sie hat ihm dabei die Sozialdaten der Klägerin und die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist mitgeteilt. Außerdem hat sie den Anlass, den Zeitraum und das Ergebnis der Videoüberwachung dargestellt. Selbst wenn sich einzelne Angaben als unzutreffend herausgestellt haben sollten - etwa weil die für den 24. Juli 2009 mitgeteilte Geldentnahme tatsächlich nicht die Klägerin, sondern eine Kollegin betrifft und weder die „Speisung“ der Kasse noch die Geldentnahme vom 22. Juli 2009 in Zusammenhang mit der Entgegennahme von Leergut gestanden haben mögen - genügt die Anhörung den gesetzlichen Anforderungen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst unrichtige oder irreführende Unterrichtung des Betriebsrats vor. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten oder fehlerhaften Deutung von Äußerungen der Klägerin im Anhörungsgespräch vom 4. September 2009, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich. Entscheidend ist, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde. Maßgebend für den Kündigungsentschluss der Beklagten war, dass die Klägerin entgegen eindeutigen Vorgaben Geld, das entweder ihr - der Beklagten - oder ihren Kunden zustand, in einem Plastikbehälter neben der Kasse im Getränkemarkt aufbewahrte, und der damit in Zusammenhang stehende Verdacht, aus diesem Behälter gelegentlich Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Darauf, ob die Klägerin dies zweimal oder dreimal tat, kam es der Beklagten nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Geldentnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bedienung eines Kunden stand.

27

bb) Die Beklagte brauchte den Betriebsrat nicht darüber zu unterrichten, dass die Überwachung mittels Videokamera - wie die Klägerin gemeint hat - unrechtmäßig war. Davon ging sie subjektiv nicht aus. Soweit die Klägerin nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu kündigen, impliziert die von der Beklagten zu ihren - der Klägerin - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht, dass die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reicht wie seine Darlegungslast im Prozess(vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 45; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN).

28

cc) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge hat der Betriebsrat am 10. September 2009 erklärt, er habe die Kündigungsabsicht zur Kenntnis genommen. Das Landesarbeitsgericht hat darin fehlerfrei eine abschließende Stellungnahme erblickt, die es der Beklagten betriebsverfassungsrechtlich ermöglichte, die ordentliche Kündigung am 11. September 2009 zu erklären.

29

2. Dagegen trägt die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 auch materiell-rechtlich für wirksam angesehen hat, seine Würdigung nicht.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin komme zwar nicht als Verursacherin der Leergutdifferenzen in Betracht. Sie stehe aber im dringenden Verdacht, sich fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben. Am 16. Juli und am 22. Juli 2009 habe sie einzelne daraus entnommene Geldstücke in ihre Hosentasche gesteckt. Durch die in Augenschein genommenen Videosequenzen sei bewiesen, dass sie sich bei diesen Handlungen jeweils „versichernd“ in mehrere Richtungen umgesehen habe. Damit habe sie sicherstellen wollen, nicht beobachtet zu werden. Das heimliche Vorgehen spreche für eine Zueignungsabsicht. Zugleich widerlege es ihre Einlassung, die Geldstücke für das Auslösen eines Einkaufswagens benötigt zu haben. Erhärtet werde der Verdacht auf eine Zueignungsabsicht dadurch, dass die Klägerin am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr der fraglichen Kasse mehrere Geldstücke entnommen und gegen Geld aus der Scannerkasse „getauscht“ habe. Überdies sei die Höhe des am 3. September 2009 in dem fraglichen Behälter vorgefundenen Geldbetrags nicht mit dem nur gelegentlichen Auslösen eines Einkaufswagens zu erklären. Gestützt auf diese tatsächlichen Umstände ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, die Kündigung vom 11. September 2009 sei „durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen, bedingt“. Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei „durch die erwiesenen Verdachtsmomente“ irreparabel erschüttert. Die ordentliche Kündigung sei deshalb als gegenüber der außerordentlichen Kündigung milderes Mittel sozial gerechtfertigt.

31

b) Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 11. September 2009 erkennbar als die einer Verdachtskündigung bejaht. Als solche genügt sie den gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht. Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen.

32

aa) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 22; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 470; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 276). Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (vorausgesetzt in BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 42; Bader/Bram-Bram KSchG § 1 Rn. 251). Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

33

bb) Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden, gegensätzlichen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

34

cc) Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, dass selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten. Weder liegt ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers, noch liegt ein Grund in der Person des Arbeitnehmers vor, der die Kündigung „bedingen“ könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten ist - wie stets bei der Verdachtskündigung - nicht erwiesen und der bloße Verdacht auf ein lediglich die ordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten führt nicht zu einem Eignungsmangel.

35

c) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB angenommen, dass das Verhalten, dessen die Klägerin verdächtig ist, eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermöchte. Diese Würdigung hält, wie dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Damit steht zugleich fest, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt.

36

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht deshalb als im Ergebnis richtig dar, weil die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 zwar nicht als Verdachts-, aber doch als sog. Tatkündigung wirksam wäre. Als solche ist sie nicht schon auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Klägerin sozial gerechtfertigt. Um dies auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten beurteilen zu können, fehlt es an Feststellungen und deren Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Diese sind nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Beklagte auf eine erwiesene Pflichtverletzung als Kündigungsgrund prozessual nicht berufen hat und der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung unter diesem Aspekt überdies § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenstünde.

37

a) Das Vorbringen der Klägerin selbst trägt die Kündigung nicht. Die Klägerin hat sich für die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ auf eine in verschiedenen Abteilungen des Betriebs geübte Praxis und überdies darauf berufen, diese sei der Beklagten - zumindest rudimentär - bekannt gewesen. Trifft dies zu, liegt in dem Vorhalten der fraglichen Kasse für sich genommen kein Verhalten, das die Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin, wie sie einräumt, dieser Kasse gelegentlich einzelne Geldstücke entnommen und außerdem darin enthaltene Münzen gegen im Kasseneinsatz befindliche Geldstücke gewechselt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass sie Geldstücke an sich genommen habe, um sich diese rechtswidrig zuzueignen, hat die Klägerin stets in Abrede gestellt.

38

b) Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Auch wenn die Beklagte neben dem Führen der „Klüngelgeld-Kasse“ als solchem nur den Verdacht auf die rechtswidrige Zueignung von Geldstücken als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat, ist das Landesarbeitsgericht nicht gehindert, aufgrund der objektiven Verdachtsumstände ggf. zu der Überzeugung zu gelangen, der Verdacht habe sich in der Weise bestätigt, dass die fragliche Pflichtwidrigkeit nachgewiesen sei.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht würde auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigen, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 131, 155). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 26, BAGE 137, 54; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, BAGE 134, 349).

40

bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit ersichtlich weder eine positive noch eine negative Überzeugung gebildet, weil es schon den Verdacht auf eine Zueignungsabsicht der Klägerin als Grund für die ordentliche Kündigung hat ausreichen lassen. Die Beklagte darf nach Aufhebung des für sie günstigen Berufungsurteils nicht um die prozessuale Chance gebracht werden, dass das Landesarbeitsgericht auf der Basis der Rechtsauffassung des Senats die mögliche Erwiesenheit einer Pflichtwidrigkeit der Klägerin geprüft und dabei eine für sie - die Beklagte - günstige Überzeugung gewonnen hätte.

41

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat am 8. September 2009 sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur - möglichen - Überzeugung des Landesarbeitsgerichts auch den Tatvorwurf begründen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, BAGE 134, 349; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 131, 155). In diesem Fall wäre dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat würde dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, aaO; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 217).

42

d) Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.

43

aa) Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

44

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 15, BAGE 127, 276). Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

45

cc) Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (für das DSG NRW vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG prägt das deutsche Datenschutzrecht(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

46

(1) In diesem Sinne regelt § 6b BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329, S. 38). Unerheblich ist, ob das Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die dort beschäftigten Arbeitnehmer sind (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 36). Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

47

(2) Gemäß dem zum 1. September 2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

48

dd) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kassen des Getränkemarkts vom übrigen Verkaufsraum abgegrenzt waren und die verdeckte Videoüberwachung deshalb keinen „öffentlichen Raum“ iSd. § 6b BDSG betraf(zur Problematik Simitis/Scholz BDSG 7. Aufl. § 6b Rn. 51; Bayreuther NZA 2005, 1038). Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. Ebenso kann offen bleiben, ob § 32 BDSG auf Überwachungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten bereits beendet waren, und wie der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem des § 6b BDSG abzugrenzen ist(dazu ErfK/Franzen 13. Aufl. § 6b BDSG Rn. 2; Simitis/Scholz aaO; Bayreuther DB 2012, 2222). Schließlich kann dahinstehen, ob Videoaufzeichnungen, die nicht von den Erlaubnistatbeständen des BDSG gedeckt sind, ohne Weiteres einem prozessualen Beweisverwertungsverbot unterliegen oder ob es für ein solches Verbot einer weitergehenden Abwägung der betroffenen Grundrechte bedarf, in die freilich die im Bundesdatenschutzgesetz getroffene Interessenabwägung einzubeziehen wäre (dazu Bayreuther DB 2012, 2222, 2225; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 349; Lunk NZA 2009, 457; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Die Verwertung des verdeckt gewonnenen Videomaterials allein für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich bei der - als solcher unstreitigen - Entnahme von „Klüngelgeld“ „versichernd umgeschaut“, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig.

49

(1) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).

50

(2) Dementsprechend sind Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnungen dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356; 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30 - beide Male vor Inkrafttreten des § 32 BDSG ). Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO).

51

(3) Das in § 6b Abs. 2 BDSG normierte Kennzeichnungsgebot steht einer Verwertung von Daten, die aus einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, nicht zwingend entgegen(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 41; Bauer/Schansker NJW 2012, 3537; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; wohl auch Bayreuther DB 2012, 2222 ff.). Das gegenteilige Normverständnis, das zu einem absoluten, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (etwa durch § 100c, § 100h StPO)eingeschränkten Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen führte, begegnete mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Bedenken.

52

(4) Die Regelung des § 32 BDSG baut auf den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf. Nach der Gesetzesbegründung sollte sie diese nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Aufdeckung einer Straftat erforderlich ist, und verlangt insoweit eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten abwägende Einzelfallentscheidung. Diese muss zumindest den schon bisher geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung entsprechen (Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235).

53

(5) Es kann dahinstehen, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG weitergehend verlangt, dass sich der Verdacht auf ein strafbares Verhalten richtet und deshalb auch der Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, ohne dass zugleich ihre Strafbarkeit feststünde, die Beobachtung nicht rechtfertigen könnte. Ebenso kann offenbleiben, ob die Regelung zusätzliche Anforderungen an die personelle Konkretisierung des Verdachts sowie dessen Dokumentation stellt (zweifelnd Bauer/Schansker NJW 2012, 3537, 3539; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Hier fehlt es schon an der Erfüllung der bisher geltenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung und der Verwertung des daraus gewonnenen Materials. Damit liegt auch ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vor.

54

(a) Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. Zwar ist - mangels zulässiger Verfahrensrügen der Revision - davon auszugehen, dass im ersten Halbjahr 2009 im Getränkemarkt Leergutdifferenzen iHv. insgesamt 7.081,63 Euro zu verzeichnen waren. Es ist weder dargetan noch festgestellt, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte ausgeschlossen haben will, dass Leergut nicht etwa aus dem Lager entwendet worden ist. Ihr Vorbringen, sie habe „keine Fehlbestände an Leergut im Lager und im Kassenbereich festgestellt“ bleibt im Allgemeinen haften. Es lässt nicht erkennen, dass sie stichprobenartige Kontrollen ausreichend oft durchgeführt hätte. Überdies macht ihr Vortrag nicht deutlich, ob vergleichbare Fehlbestände schon früher aufgetreten, ob diese ggf. als „auflaufender Posten“ in die Berechnungen des Jahres 2009 eingeflossen sind und wie Fehlbuchungen als mögliche Ursache ausgeschlossen wurden. Selbst wenn die Beklagte die Ursache der Leergutdifferenzen berechtigterweise im Kassenbereich hätte vermuten dürfen, fehlt es an Vortrag und Feststellungen dazu, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So ist nicht erkennbar, weshalb nicht stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der - einzigen - Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes geeignete Maßnahmen hätten sein können.

55

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt im Übrigen nicht ausreichend, dass der fragliche Kündigungssachverhalt der Beklagten nur „zufällig“ bekannt geworden ist. Auf seine Entdeckung war die heimliche Videoüberwachung nicht gerichtet.

56

(aa) Zwar mögen solche „Zufallsfunde“ - unbeschadet der Regelung in § 6b Abs. 3 BDSG - nicht in jedem Fall deshalb unverwertbar sein, weil sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen(vgl. Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 340; aA wohl Bergwitz NZA 2012, 353, 358). Auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ muss aber das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben.

57

(bb) So liegt es hier. Zwischen den Parteien ist die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin daraus gelegentlich kleinere Geldstücke entnommen hat. Die Beweisaufnahme durch Augenschein sollte allein dem Nachweis dienen, dass sich die Klägerin bei der Geldentnahme „versichernd umgesehen“ hat und deshalb vermutlich Zueignungsabsicht besaß. Das rechtfertigt keine Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen. Zum einen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Verwertung erforderlich war, um die Einlassung der Klägerin zum Fehlen ihrer Zueignungsabsicht zu widerlegen. Zum anderen ist die heimliche Videoüberwachung zum Nachweis der Absicht, sich einige Münzen im Wert von Centbeträgen zuzueignen, schlechthin unverhältnismäßig.

58

(cc) Es erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen einer nochmaligen Beweiswürdigung auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der Videoaufzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das fragliche Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ entnommen, um es für sich zu behalten. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, für das Auslösen eines Einkaufswagens mit Hilfe von „Klüngelgeld“ habe keinerlei dienstliches Bedürfnis bestanden. Zum Zweck des Transports der Kasseneinsätze sei stets ein frei zugänglicher Wagen bereitgestellt worden.

59

III. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, die von der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung abhängen. Wegen der der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche hat die Entscheidung dagegen Bestand. Die gegen sie gerichtete Anschlussrevision der Beklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

60

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden. Der für diese Zeit geltend gemachte Vergütungsanspruch folgt aus § 615 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 5 KSchG iVm. § 11 Nr. 3 KSchG. Er ist der Höhe nach ebenso unstreitig wie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des begehrten Warengutscheins.

61

2. Der entsprechende Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Sowohl der betreffende Antrag der Klägerin als auch der Tenor des Berufungsurteils sind dahin auszulegen, dass - im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruchsübergang - Zinsen nur aus den jeweiligen Bruttobeträgen abzüglich des für den jeweiligen Monat in Anrechnung gebrachten Arbeitslosengelds verlangt bzw. geschuldet sind.

62

IV. Die Zurückverweisung erfasst ferner die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Beide Anträge verfolgt die Klägerin nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Feststellungsbegehren.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    B. Schipp    

        

    Söller    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. November 2010 - 2 Sa 979/10 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 31. März 2010 - 7 Ca 3503/09 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet, gehbehindert und mit einem Grad von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er war beim beklagten Land seit 1989 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit dem Jahr 2005 war er beim staatlichen Immobilienmanagement, Niederlassung W (im Folgenden: Immobilienmanagement), tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) Anwendung. Nach § 53 BAT war der Kläger ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Im Jahr 2007 beschwerte sich eine beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin bei der Leitung der Niederlassung über den Kläger. Sie fühlte sich von ihm belästigt. Es kam zu einem Verfahren vor der Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit Schreiben vom 19. April 2007 teilte die Beschwerdestelle dem Kläger mit, dass die Mitarbeiterin weder dienstlich noch privat Kontakt mit ihm wünsche und dieser Wunsch vorbehaltlos zu respektieren sei. Eine unmittelbare dienstliche Kontaktaufnahme mit der Mitarbeiterin habe „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben“.

4

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 wandte sich eine andere, seit Februar 2009 beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin an dessen Direktor. Dieser leitete das Schreiben am 12. Oktober 2009 an die zuständige Personalabteilung in der Zentrale weiter. In dem Schreiben erklärte die Mitarbeiterin, dass sie sich durch den Kläger in unerträglicher Art und Weise belästigt und bedrängt fühle. Obwohl sie sich ihm gegenüber deutlich abweisend geäußert habe, suche er weiterhin Kontakt zu ihr. In der Zeit von Mitte Juni 2009 bis Anfang Oktober 2009 hatte der Kläger - unstreitig - insgesamt mehr als 120 E-Mails, MMS und SMS an die Mitarbeiterin versandt. Das beklagte Land teilte dem Kläger am 13. Oktober 2009 mit, dass eine Beschwerde gegen ihn vorliege, der Sachverhalt aber noch aufgeklärt werden müsse. Als „Sofortmaßnahme“ ordnete es an, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung jeden dienstlichen und privaten Verkehr mit der Beschwerdeführerin zu unterlassen habe und nur in dienstlichen Dingen über Dritte Kontakt zu ihr aufnehmen dürfe. Am 15. Oktober 2009 hörte das beklagte Land die Mitarbeiterin an, die ihm am 16. Oktober 2009 den gesamten E-Mail-Verkehr mit dem Kläger überließ. Noch am selben Tag wurde der Kläger schriftlich über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert. Er erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23. Oktober 2009. Mit Schreiben von diesem Tage, das beim beklagten Land am 26. Oktober 2009 einging, nahm er zu den Vorwürfen Stellung.

5

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 hörte das beklagte Land den Personalrat der Niederlassung W zu einer - nach noch einzuholender Zustimmung des Integrationsamts - beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung, hilfsweise jeweils mit sozialer Auslauffrist bis zum 30. Juni 2010 an. Der Personalrat stimmte der Kündigung tags darauf zu. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 hörte das beklagte Land auch die örtliche Schwerbehindertenvertretung an. Mit weiterem Schreiben vom selben Tage beantragte es beim Integrationsamt die Zustimmung, die dieses am 13. November 2009 erteilte.

6

Noch mit Schreiben vom 13. November 2009 erklärte das beklagte Land gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung, hilfsweise die außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30. Juni 2010.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung lägen nicht vor. Das beklagte Land habe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Im Übrigen fehle es an einem wichtigen Grund. Nachdem die betreffende Mitarbeiterin Anfang September 2009 erklärt habe, keinen privaten Kontakt mehr mit ihm zu wünschen, habe er nur noch wenige Male den Kontakt zu ihr gesucht. Das beklagte Land habe ihn allenfalls abmahnen dürfen. Dass er zu einer Verhaltensänderung in der Lage sei, zeige sein Verhalten nach Erhalt des Schreibens vom 19. April 2007, welches freilich seinerseits gerade keine Abmahnung darstelle. Im Übrigen sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

8

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 weder fristlos noch mit Ablauf des 30. Juni 2010 beendet worden ist.

9

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, bereits die außerordentliche fristlose Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege vor. Einer (weiteren) Abmahnung habe es nicht bedurft, nachdem der Kläger sich bereits im Jahr 2007 in vergleichbarer Weise pflichtwidrig verhalten habe.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die außerordentliche Kündigung vom 13. November 2009 an einem wichtigen Grund iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB.

13

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB - und dem inhaltsgleichen § 54 Abs. 1 BAT - kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

14

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO ). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO).

15

b) Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 37, BAGE 134, 349). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, aaO ; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31).

16

c) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO).

17

2. Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, mangels einschlägiger Abmahnung sei die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 wegen Fehlens eines wichtigen Grundes iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, auf der Basis seiner bisher getroffenen Feststellungen einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme, eine Abmahnung sei im Streitfall nicht entbehrlich gewesen, wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

18

a) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei dem Schreiben der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 habe es sich nicht um eine Abmahnung gehandelt.

19

aa) Dies folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht daraus, dass das Schreiben nicht auf die Änderung eines generellen Verhaltens auch gegenüber anderen Beschäftigten des beklagten Landes abzielte. Für die Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die zu unterlassende Pflichtverletzung losgelöst vom konkreten Verstoß generalisierend beschreibt. Der mit einer Abmahnung verbundene Hinweis auf eine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall erstreckt sich grundsätzlich auch auf vergleichbare Pflichtverletzungen. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit gegebene Abmahnungs- und potentielle Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

20

bb) Entgegen der - Teilen des Schrifttums folgenden - Auffassung des Klägers fehlt dem Schreiben vom 19. April 2007 auch nicht deshalb der Abmahnungscharakter, weil die darin für den Wiederholungsfall enthaltene Androhung von „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ zur Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung nicht ausreichend wäre.

21

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens (Rügefunktion) der Hinweis auf die Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses für den Wiederholungsfall (kündigungsrechtliche Warnfunktion) (BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Der Arbeitgeber muss in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringen und damit deutlich - wenn auch nicht expressis verbis - den Hinweis verbinden, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG 17. Februar 1994 - 2 AZR 616/93 - zu II 1 der Gründe, BAGE 76, 35). Der Senat hat einer „ordnungsgemäßen Abmahnung“ ein „nur als Abmahnung bezeichnetes Schreiben“ gegenübergestellt, in welchem nicht ausdrücklich auf kündigungsrechtliche Konsequenzen hingewiesen, sondern nur „mit weiteren rechtlichen Schritten“ für den Wiederholungsfall gedroht worden war (vgl. BAG 15. März 2001 - 2 AZR 147/00 - EzA BGB § 626 nF Nr. 185; vgl. auch 8. Dezember 1988 - 2 AZR 294/88 - EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 60). Die Androhung „arbeitsrechtlicher Schritte“ sei zur Erfüllung der Warnfunktion hingegen ausreichend (BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - zu B I 2 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6 mit zust. Anm. Bemm; vgl. auch 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34: Androhung „individualrechtlicher Konsequenzen“).

22

(2) Im Schrifttum wird zumeist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt, dass die Abmahnung einen Hinweis auf die Gefährdung von Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses enthalten muss, um ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion zu erfüllen (Adam AuR 2001, 41; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert 8. Aufl. KSchR § 314 BGB Rn. 56; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 348; HaKo-Fiebig/Zimmermann 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 244; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 270; v. Hoyningen-Huene RdA 1990, 193, 198; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher KSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 389; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 495; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 25; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 8, 1205). Dafür sei zwar nicht unbedingt die ausdrückliche Androhung einer Kündigung notwendig, der Arbeitgeber müsse aber in einer dem Arbeitnehmer deutlich erkennbaren Art und Weise konkret bestimmte Leistungs- oder Verhaltensmängel beanstanden und damit den eindeutigen und unmissverständlichen Hinweis verbinden, bei künftigen gleichartigen Vertragsverletzungen seien Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; KR-Fischermeier § 626 BGB Rn. 273 mwN ua. auf BAG 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - BAGE 46, 163; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497). Das Inaussichtstellen konkreter kündigungsrechtlicher Maßnahmen, etwa einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung bzw. einer Beendigungs- oder Änderungskündigung, sei hingegen nicht erforderlich (Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert aaO; APS/Dörner/Vossen aaO; HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO); es reiche die Androhung „kündigungsrechtlicher Konsequenzen“ (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO). Zum Teil wird auch der Hinweis auf „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ für ausreichend gehalten (Beckerle Die Abmahnung 10. Aufl. S. 127 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert KSchR § 314 BGB Rn. 60) oder, jedenfalls unter besonderen Umständen, die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Schritte“ (v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497 unter Hinweis auf BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6; Th. Wolf Zur Abmahnung als Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber S. 164). Nach anderer Ansicht genügt die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ nicht, da dadurch nicht hinreichend deutlich gemacht werde, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher auf dem Spiel stehe; arbeitsrechtliche Konsequenzen könnten auch Versetzungen, Umsetzungen oder weitere Abmahnungen sein (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO).

23

(3) Nach zutreffender Auffassung kann schon die Androhung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ eine hinreichende Warnung vor einer Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses sein. Mit einer solchen Formulierung wird ausgedrückt, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit allen denkbaren arbeitsrechtlichen Folgen bis hin zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss. Eine ausdrückliche Kündigungsandrohung ist dafür nicht erforderlich. Es ist ausreichend, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann, der Arbeitgeber werde im Wiederholungsfall möglicherweise auch mit einer Kündigung reagieren.

24

cc) Das Schreiben vom 19. April 2007 stellt gleichwohl keine Abmahnung dar. Es fehlt an einer Rüge vorherigen Fehlverhaltens. In dem Schreiben ist als Ergebnis des Beschwerdeverfahrens lediglich dokumentiert, dass die betroffene Mitarbeiterin keinen Kontakt mehr mit dem Kläger wünsche. Zwar wird außerdem - zur Vermeidung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ - die Beachtung dieses Wunsches der Mitarbeiterin für die Zukunft verlangt. Das Schreiben enthält aber nicht die eindeutige Bewertung, dass das vorangegangene Verhalten des Klägers eine Pflichtverletzung dargestellt habe.

25

b) Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall auch nicht entbehrlich gewesen, hält dagegen - auf der Basis der bisher getroffenen Feststellungen - einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

26

aa) Es steht nicht fest, welchen Kündigungssachverhalt das Landesarbeitsgericht dieser Würdigung zugrunde gelegt hat. Es hat dahingestellt sein lassen, ob das Verhalten des Klägers gegenüber der betroffenen Mitarbeiterin eine Straftat oder jedenfalls eine schwerwiegende Pflichtverletzung dargestellt oder zumindest einen entsprechenden Verdacht begründet habe. Es hat angenommen, der Kläger habe, selbst wenn nur sein Sachvortrag als wahr unterstellt werde, die ihm aufgrund des Arbeitsvertrags obliegenden Verhaltenspflichten in jedem Fall verletzt. Es hat aber nicht gewürdigt, ob nicht auf Basis des Vorbringens des beklagten Landes von einer erheblich schwerer wiegenden Pflichtverletzung auszugehen wäre. Festgestellt sind nur die mehr als 120 vom Kläger an die betroffene Mitarbeiterin gesandten Nachrichten. Nach dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen des beklagten Landes hatte sich der Kläger jedoch immer wieder auch auf andere Weise, wie etwa durch unerwünschte persönliche Kontaktaufnahmen, aufgedrängt. Das beklagte Land hat ua. geltend gemacht, der Kläger habe sich gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Mitarbeiterin wiederholt und zunehmend aggressiv und aufdringlich in ihr Privatleben eingemischt. Um sie zu weiterem privaten Kontakt mit ihm zu bewegen, habe er ihr ua. damit gedroht, er könne dafür sorgen, dass sie keine Anstellung beim Land bekomme, und werde ihren Ehemann, der über keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte, bei der Polizei und der Ausländerbehörde anzeigen. Bei der Mitarbeiterin habe dies massive Angstzustände verursacht.

27

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, dem Kläger habe die Distanzlosigkeit seines Verhaltens und die damit einhergehende Pflichtverletzung „aufgrund des schleichenden Prozesses“ entgehen können, steht dies im Widerspruch zu seiner Feststellung, die betroffene Mitarbeiterin habe dem Kläger Anfang September 2009 den „eindeutigen“ Hinweis gegeben, nur noch im unbedingt notwendigen dienstlichen Rahmen mit ihm Kontakt haben zu wollen. Warum dem Kläger die Pflichtwidrigkeit und der bedrängende Charakter seines Verhaltens auch nach diesem Hinweis nicht erkennbar gewesen sein sollen, ist nicht ersichtlich. Nach dem vom Arbeitsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt war aus den dem Hinweis nachfolgenden Nachrichten gerade nicht herauszulesen, der Kläger habe, wie von ihm behauptet, weiterhin lediglich einen rein freundschaftlichen Kontakt gewollt. Die Nachrichten hätten vielmehr einen drohenden Charakter angenommen. Abweichende Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.

28

cc) Das Landesarbeitsgericht hat zudem nicht ausreichend geprüft, ob eine Abmahnung im Streitfall deshalb entbehrlich war, weil dem Kläger schon aufgrund des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens und des Schreibens der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 bewusst sein musste, dass die Verletzung der Privatsphäre von Mitarbeiterinnen durch beharrliche Kontaktaufnahme gegen deren Willen eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellte, deren abermalige Hinnahme durch das beklagte Land ausgeschlossen wäre. Dem stünde nicht entgegen, dass sich das Schreiben nur mit dem zu respektierenden Wunsch der damals betroffenen Mitarbeiterin befasste. Der Kläger konnte nicht annehmen, das beklagte Land würde den entsprechenden Wunsch einer anderen Mitarbeiterin nicht für gleichermaßen verbindlich halten.

29

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlverhalten des Klägers stelle sich nicht als so gravierend dar, dass seine Weiterbeschäftigung dem beklagten Land „unter keinen Umständen zuzumuten“ sei, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Es ist erneut nicht ersichtlich, welches Fehlverhalten das Landesarbeitsgericht seiner Bewertung zugrunde gelegt hat. Der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers steht jedenfalls nicht notwendig entgegen, dass dieser auf die entsprechende Aufforderung des beklagten Landes vom 13. Oktober 2009 hin jegliche Kontaktaufnahme mit der betroffenen Mitarbeiterin unterlassen hat. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger den Wunsch einer anderen Mitarbeiterin, ihre Privatsphäre zu respektieren, künftig wiederum solange missachten wird, wie ihn das beklagte Land nicht auffordert, ihm nachzukommen.

30

II. Die angegriffene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig oder sonst zur Endentscheidung reif. Ob die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, kann noch nicht beurteilt werden.

31

1. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob dem beklagten Land unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile eine Weiterbeschäftigung des Klägers iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar war.

32

a) Der Kündigungssachverhalt ist bisher nicht umfassend festgestellt. Ob eine Abmahnung angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers und des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens entbehrlich war, kann der Senat daher nicht abschließend würdigen. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die nachfolgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.

33

b) Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens im Betrieb oder im Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit beharrlich nach, ist dies an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (vgl. § 238 StGB), sondern auf die mit diesem Verhalten verbundene Störung des Betriebsfriedens. In einem derartigen Verhalten liegt nicht nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen, sondern zugleich eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Dieser hat die Integritätsinteressen seiner Mitarbeiter zu schützen. Ob das Nachstellen zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere vom Ausmaß und von der Intensität der Pflichtverletzung und deren Folgen - vor allem für die betroffenen Mitarbeiter -, einer etwaigen Wiederholungsgefahr und dem Grad des Verschuldens. Die für diese Würdigung relevanten Umstände sind deshalb festzustellen.

34

2. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang nicht geprüft, ob das beklagte Land die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß beteiligt hat. Sollte es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu dem Ergebnis kommen, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB bestand, wird es dies nachzuholen haben.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2010 - 1 Ca 2998/09 - zurückgewiesen hat.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die 1967 geborene Klägerin war - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts G tätig. Im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung erzielte sie einen monatlichen Bruttoverdienst iHv. 1.406,92 Euro. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7-köpfiger Betriebsrat errichtet ist.

3

In dem Getränkemarkt waren drei Kassen eingerichtet. Über eine Kasse erfolgte die Leergutannahme. Soweit sie nicht zu besetzen waren, wurde den Kassen der Geräteeinsatz mit dem Wechselgeld entnommen. Ursprünglich wurden die Einsätze im zentralen Kassenbüro des Einkaufsmarkts aufbewahrt. Das brachte es mit sich, dass die Kassenmitarbeiter des Getränkemarkts den Einsatz bei Dienstantritt im Kassenbüro abholen und nach Dienstschluss dorthin zurückbringen mussten. Im Kassenbüro erhielten sie auch das Wechselgeld. Diese Gänge entfielen ab Mitte August 2009, nachdem die Beklagte im Getränkemarkt einen Tresor für die Aufbewahrung der Einsätze und des Wechselgelds hatte installieren lassen.

4

Der Umgang mit Geld war für alle Märkte in sog. Kassenanweisungen geregelt. Deren Erhalt hatte die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt. Nach den zuletzt gültigen Regelungen war es Kassenmitarbeitern untersagt, Bargeld in der Dienstkleidung oder im Schubfach des Kassentischs aufzubewahren, Geld aus der Kasse zu entnehmen oder es sich leihweise selbst oder anderen zur Verfügung zu stellen. Geld durfte weder zwischen den Kassenkräften untereinander gewechselt noch nach Geschäftsschluss in den Schubfächern der Kassen aufbewahrt werden. Die Herausgabe zusätzlichen Wechselgelds hatte durch die Marktleitung zu erfolgen. Geldwechselgeschäfte mit Kunden waren untersagt. Geld, das von Kunden liegengelassen wurde, war unmittelbar der Marktleitung auszuhändigen; anschließend sollte es im Büro/Tresor deponiert werden. Im August 2009 erließ die Beklagte zusätzlich eine „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“. Danach sollten „Kassierdifferenzen“ täglich dem Geschäftsleiter gemeldet werden. „Fundgeld“ sollte einmal monatlich „in die 99-er Kasse eingezahlt“, „Klüngelgeld“ einmal pro Woche „auf WGR 700“ gebucht werden.

5

Im Getränkemarkt war seit jeher eine Videokamera installiert. Darüber waren die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden. Die Kamera ermöglichte die Überwachung des Kassenbereichs sowie der Ein- und Ausgänge. Die eigentlichen Kassiervorgänge wurden nicht erfasst.

6

Zur Mitte des Jahres 2009 stellte die Beklagte anlässlich einer Revision fest, dass in der ersten Jahreshälfte Leergutdifferenzen iHv. mehr als 7.000,00 Euro aufgetreten waren. Nachdem Kontrollen des Lagerbestands und des Warenausgangs keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hatten, vermutete sie deren Ursache im Kassenbereich. Sie ging von der Möglichkeit aus, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut „falsche“ Bons gedruckt und entsprechende Gelder der Kasse entnommen würden. Am 7. Juli 2009 vereinbarte sie mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung des Kassenbereichs. Sie beauftragte eine Fachfirma, die in der Zeit vom 13. Juli bis 3. August 2009 die Kassenvorgänge mittels Videokamera aufzeichnete. Die der Firma gleichfalls übertragene Auswertung der Aufzeichnungen einschließlich der Erstellung eines Zusammenschnitts und einer Dokumentation war am 3. September 2009 abgeschlossen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sich unter der Leergutkasse des Getränkemarkts ein Plastikbehälter befand, in dem Geld aufbewahrt wurde. Außerdem war zu erkennen, dass die Klägerin am 16. Juli 2009 gegen 8:45 Uhr, am 22. Juli 2009 gegen 16:13 Uhr und am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr diesem Behältnis Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Die Vorgänge als solche sind unstreitig.

7

Am 14. August 2009 hatte die Beklagte der Klägerin wegen eines Verhaltens vom 11. Juli 2009 eine Abmahnung erteilt. An diesem Tag hatte die Klägerin nach Dienstschluss Wechselgeld iHv. 300,00 Euro mit nach Hause genommen, statt es weisungsgemäß im Kassenbüro abzugeben. Die Klägerin hatte sich in einem noch am selben Abend geführten Telefonat auf ein Versehen berufen und das Geld am 12. Juli 2009 bei der Beklagten abgeliefert.

8

Noch am 3. September 2009 führte die Beklagte im Getränkemarkt eine Kontrolle des Kassenbereichs durch; der dort vorgefundene Plastikbehälter enthielt Münzen im Wert von 12,35 Euro. Am 4. September 2009 hörte sie die Klägerin zur Existenz dieser sog. Klüngelgeld-Kasse an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Mit Schreiben vom 8. September 2009 bat sie den Betriebsrat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11. September 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010“.

9

Die Klägerin hat mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 BGB liege nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. „Klüngelgeld-Kassen“ existierten in sämtlichen Bereichen des Einkaufsmarkts. Sie dienten dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet - wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe. Überdies sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Die Klägerin hat Lohnforderungen für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2010 erhoben.

10

Sie hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.506,28 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diversen Teilbeträgen seit unterschiedlichen Zeitpunkten zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Warengutschein über 275,00 Euro auszustellen und auszuhändigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe ihre Vertragspflichten schon durch das unerlaubte Führen einer „schwarzen Kasse“ erheblich verletzt. Darüber hinaus habe sie der fraglichen Kasse Geld in der offenkundigen Absicht entnommen, es für sich zu behalten. Zumindest sei sie einer solchen Tat dringend verdächtig. Die Klägerin habe sich - wie aus den Videoaufnahmen ersichtlich - vor jeder Geldentnahme vergewissert, dass ihr niemand zusehe. Dessen habe es bei redlichem Vorgehen nicht bedurft. Ihre Einlassung, sie habe Geldstücke für den Transport der Kasseneinsätze benötigt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Für entsprechende Zwecke habe ein Einkaufswagen bereitgestanden, der nicht eigens habe ausgelöst werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Videomaterial nicht, dass die Klägerin mitgeführte Geldstücke je in die „Klüngelgeld-Kasse“ zurückgelegt habe. Die Videoaufzeichnungen seien rechtlich verwertbar. Im Zeitpunkt der Beobachtung habe ein hinreichend eingegrenzter Verdacht dahingehend bestanden, dass Leergutdifferenzen durch Unregelmäßigkeiten im Kassenbereich des Getränkemarkts entstünden. Mildere Mittel zur Aufklärung des Verdachts hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Klage - soweit noch von Interesse - in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung von Vergütung nebst Zinsen für die Zeit bis zum 31. März 2010 und zur Aushändigung eines Warengutscheins verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und davon abhängiger Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

13

Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 ist unwirksam. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin richtet, hat keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden.

15

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

16

2. Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zu den Voraussetzungen vgl. nur BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN).

17

3. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich mehrfach Geldstücke aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben, und deshalb „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Im Rahmen seiner Beurteilung, selbst dann sei es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, hat das Landesarbeitsgericht alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zugutegehalten, dass sie durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre hinweg als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies hält sich - auch in Anbetracht der Abmahnung vom 14. August 2009 - im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerin, sie habe am 11. Juli 2009 die Ablieferung des Wechselgeldes aufgrund hohen Arbeitsanfalls schlicht vergessen, nicht entgegengetreten. Bei dem gerügten Verhalten handelt es sich mithin um einen - unbewussten - Ordnungsverstoß, der die Annahme, die Klägerin habe sich bis zu den umstrittenen Geldentnahmen aus der „Klüngelgeld-Kasse“ als vertrauenswürdig erwiesen, nicht, schon gar nicht zwingend infrage zu stellen vermochte.

20

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden sei. Hat der Arbeitnehmer die Integrität von Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich verletzt oder ist er einer solchen Tat dringend verdächtig, beeinträchtigt dies zwar die für die Durchführung der Vertragsbeziehung notwendige Vertrauensgrundlage grundsätzlich unabhängig vom Wert des betroffenen Gegenstands (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, BAGE 134, 349). Das schließt es aber nicht aus, bei der Gewichtung des Kündigungssachverhalts auf die Höhe eines eingetretenen Schadens Bedacht zu nehmen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184). Die im Berufungsurteil getroffene Interessenabwägung ist - anders als die Beklagte meint - nicht deshalb zu beanstanden, weil sich in der fraglichen Kasse am 4. September 2009 Münzen im Wert von etwas mehr als zwölf Euro befanden. Unbeschadet der Frage, ob bei einem Vermögensnachteil in dieser Höhe eine „Geringfügigkeitsschwelle“ überschritten wäre, ist nicht festgestellt, dass die Klägerin im Verdacht stand, sich Geld in diesem Umfang rechtswidrig zugeeignet oder hierzu doch unmittelbar angesetzt zu haben. Im Übrigen handelte es sich bei dem Umgang mit „Klüngelgeld“ um einen Bereich am Rande der Kassentätigkeit, den die Beklagte ausweislich der im August 2009 erlassenen „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“ offenbar selbst für nicht ausreichend geregelt hielt. Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht geeignet ist, das dem - unterstellten - Verdacht zugrundeliegende Verhalten zu rechtfertigen, durfte das Landesarbeitsgericht ihn zugunsten der Klägerin in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen.

21

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Heimlichkeit des dem Verdacht zugrundeliegenden - unterstellten - Verhaltens nicht außer Acht gelassen, wie die Beklagte gemeint hat. Es hat in ihr lediglich keinen Umstand gesehen, der im vorliegenden Fall die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätte. Das hält sich ebenso im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum wie die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem Kind.

22

II. Ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Zwar geht das Landesarbeitsgericht zutreffend von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats aus (1.). Es durfte aber nicht annehmen, die ordentliche Kündigung sei auch materiell-rechtlich als Verdachtskündigung rechtswirksam, weil sie zwar nicht den Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB, wohl aber denen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das, wäre es erwiesen, nicht auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - trotz des Verdachts - nicht unzumutbar(2.). Da das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hat es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten berechtigt wäre. Dies wird es nachzuholen haben. Dabei darf es den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig (3.).

23

1. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

24

a) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“(BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er schon aus seiner eigenen Sicht dem Betriebsrat einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 18; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - zu B I 1 a der Gründe mwN).

25

b) Danach ist die Anhörung inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt.

26

aa) Die Beklagte hat den Betriebsrat am 8. September 2009 schriftlich von ihrer Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des „Verdachts einer Untreue und Unterschlagung“ hilfsweise auch ordentlich zu kündigen. Sie hat ihm dabei die Sozialdaten der Klägerin und die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist mitgeteilt. Außerdem hat sie den Anlass, den Zeitraum und das Ergebnis der Videoüberwachung dargestellt. Selbst wenn sich einzelne Angaben als unzutreffend herausgestellt haben sollten - etwa weil die für den 24. Juli 2009 mitgeteilte Geldentnahme tatsächlich nicht die Klägerin, sondern eine Kollegin betrifft und weder die „Speisung“ der Kasse noch die Geldentnahme vom 22. Juli 2009 in Zusammenhang mit der Entgegennahme von Leergut gestanden haben mögen - genügt die Anhörung den gesetzlichen Anforderungen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst unrichtige oder irreführende Unterrichtung des Betriebsrats vor. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten oder fehlerhaften Deutung von Äußerungen der Klägerin im Anhörungsgespräch vom 4. September 2009, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich. Entscheidend ist, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde. Maßgebend für den Kündigungsentschluss der Beklagten war, dass die Klägerin entgegen eindeutigen Vorgaben Geld, das entweder ihr - der Beklagten - oder ihren Kunden zustand, in einem Plastikbehälter neben der Kasse im Getränkemarkt aufbewahrte, und der damit in Zusammenhang stehende Verdacht, aus diesem Behälter gelegentlich Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Darauf, ob die Klägerin dies zweimal oder dreimal tat, kam es der Beklagten nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Geldentnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bedienung eines Kunden stand.

27

bb) Die Beklagte brauchte den Betriebsrat nicht darüber zu unterrichten, dass die Überwachung mittels Videokamera - wie die Klägerin gemeint hat - unrechtmäßig war. Davon ging sie subjektiv nicht aus. Soweit die Klägerin nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu kündigen, impliziert die von der Beklagten zu ihren - der Klägerin - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht, dass die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reicht wie seine Darlegungslast im Prozess(vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 45; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN).

28

cc) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge hat der Betriebsrat am 10. September 2009 erklärt, er habe die Kündigungsabsicht zur Kenntnis genommen. Das Landesarbeitsgericht hat darin fehlerfrei eine abschließende Stellungnahme erblickt, die es der Beklagten betriebsverfassungsrechtlich ermöglichte, die ordentliche Kündigung am 11. September 2009 zu erklären.

29

2. Dagegen trägt die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 auch materiell-rechtlich für wirksam angesehen hat, seine Würdigung nicht.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin komme zwar nicht als Verursacherin der Leergutdifferenzen in Betracht. Sie stehe aber im dringenden Verdacht, sich fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben. Am 16. Juli und am 22. Juli 2009 habe sie einzelne daraus entnommene Geldstücke in ihre Hosentasche gesteckt. Durch die in Augenschein genommenen Videosequenzen sei bewiesen, dass sie sich bei diesen Handlungen jeweils „versichernd“ in mehrere Richtungen umgesehen habe. Damit habe sie sicherstellen wollen, nicht beobachtet zu werden. Das heimliche Vorgehen spreche für eine Zueignungsabsicht. Zugleich widerlege es ihre Einlassung, die Geldstücke für das Auslösen eines Einkaufswagens benötigt zu haben. Erhärtet werde der Verdacht auf eine Zueignungsabsicht dadurch, dass die Klägerin am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr der fraglichen Kasse mehrere Geldstücke entnommen und gegen Geld aus der Scannerkasse „getauscht“ habe. Überdies sei die Höhe des am 3. September 2009 in dem fraglichen Behälter vorgefundenen Geldbetrags nicht mit dem nur gelegentlichen Auslösen eines Einkaufswagens zu erklären. Gestützt auf diese tatsächlichen Umstände ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, die Kündigung vom 11. September 2009 sei „durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen, bedingt“. Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei „durch die erwiesenen Verdachtsmomente“ irreparabel erschüttert. Die ordentliche Kündigung sei deshalb als gegenüber der außerordentlichen Kündigung milderes Mittel sozial gerechtfertigt.

31

b) Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 11. September 2009 erkennbar als die einer Verdachtskündigung bejaht. Als solche genügt sie den gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht. Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen.

32

aa) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 22; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 470; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 276). Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (vorausgesetzt in BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 42; Bader/Bram-Bram KSchG § 1 Rn. 251). Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

33

bb) Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden, gegensätzlichen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

34

cc) Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, dass selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten. Weder liegt ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers, noch liegt ein Grund in der Person des Arbeitnehmers vor, der die Kündigung „bedingen“ könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten ist - wie stets bei der Verdachtskündigung - nicht erwiesen und der bloße Verdacht auf ein lediglich die ordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten führt nicht zu einem Eignungsmangel.

35

c) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB angenommen, dass das Verhalten, dessen die Klägerin verdächtig ist, eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermöchte. Diese Würdigung hält, wie dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Damit steht zugleich fest, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt.

36

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht deshalb als im Ergebnis richtig dar, weil die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 zwar nicht als Verdachts-, aber doch als sog. Tatkündigung wirksam wäre. Als solche ist sie nicht schon auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Klägerin sozial gerechtfertigt. Um dies auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten beurteilen zu können, fehlt es an Feststellungen und deren Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Diese sind nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Beklagte auf eine erwiesene Pflichtverletzung als Kündigungsgrund prozessual nicht berufen hat und der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung unter diesem Aspekt überdies § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenstünde.

37

a) Das Vorbringen der Klägerin selbst trägt die Kündigung nicht. Die Klägerin hat sich für die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ auf eine in verschiedenen Abteilungen des Betriebs geübte Praxis und überdies darauf berufen, diese sei der Beklagten - zumindest rudimentär - bekannt gewesen. Trifft dies zu, liegt in dem Vorhalten der fraglichen Kasse für sich genommen kein Verhalten, das die Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin, wie sie einräumt, dieser Kasse gelegentlich einzelne Geldstücke entnommen und außerdem darin enthaltene Münzen gegen im Kasseneinsatz befindliche Geldstücke gewechselt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass sie Geldstücke an sich genommen habe, um sich diese rechtswidrig zuzueignen, hat die Klägerin stets in Abrede gestellt.

38

b) Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Auch wenn die Beklagte neben dem Führen der „Klüngelgeld-Kasse“ als solchem nur den Verdacht auf die rechtswidrige Zueignung von Geldstücken als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat, ist das Landesarbeitsgericht nicht gehindert, aufgrund der objektiven Verdachtsumstände ggf. zu der Überzeugung zu gelangen, der Verdacht habe sich in der Weise bestätigt, dass die fragliche Pflichtwidrigkeit nachgewiesen sei.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht würde auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigen, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 131, 155). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 26, BAGE 137, 54; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, BAGE 134, 349).

40

bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit ersichtlich weder eine positive noch eine negative Überzeugung gebildet, weil es schon den Verdacht auf eine Zueignungsabsicht der Klägerin als Grund für die ordentliche Kündigung hat ausreichen lassen. Die Beklagte darf nach Aufhebung des für sie günstigen Berufungsurteils nicht um die prozessuale Chance gebracht werden, dass das Landesarbeitsgericht auf der Basis der Rechtsauffassung des Senats die mögliche Erwiesenheit einer Pflichtwidrigkeit der Klägerin geprüft und dabei eine für sie - die Beklagte - günstige Überzeugung gewonnen hätte.

41

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat am 8. September 2009 sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur - möglichen - Überzeugung des Landesarbeitsgerichts auch den Tatvorwurf begründen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, BAGE 134, 349; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 131, 155). In diesem Fall wäre dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat würde dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, aaO; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 217).

42

d) Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.

43

aa) Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

44

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 15, BAGE 127, 276). Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

45

cc) Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (für das DSG NRW vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG prägt das deutsche Datenschutzrecht(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

46

(1) In diesem Sinne regelt § 6b BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329, S. 38). Unerheblich ist, ob das Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die dort beschäftigten Arbeitnehmer sind (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 36). Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

47

(2) Gemäß dem zum 1. September 2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

48

dd) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kassen des Getränkemarkts vom übrigen Verkaufsraum abgegrenzt waren und die verdeckte Videoüberwachung deshalb keinen „öffentlichen Raum“ iSd. § 6b BDSG betraf(zur Problematik Simitis/Scholz BDSG 7. Aufl. § 6b Rn. 51; Bayreuther NZA 2005, 1038). Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. Ebenso kann offen bleiben, ob § 32 BDSG auf Überwachungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten bereits beendet waren, und wie der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem des § 6b BDSG abzugrenzen ist(dazu ErfK/Franzen 13. Aufl. § 6b BDSG Rn. 2; Simitis/Scholz aaO; Bayreuther DB 2012, 2222). Schließlich kann dahinstehen, ob Videoaufzeichnungen, die nicht von den Erlaubnistatbeständen des BDSG gedeckt sind, ohne Weiteres einem prozessualen Beweisverwertungsverbot unterliegen oder ob es für ein solches Verbot einer weitergehenden Abwägung der betroffenen Grundrechte bedarf, in die freilich die im Bundesdatenschutzgesetz getroffene Interessenabwägung einzubeziehen wäre (dazu Bayreuther DB 2012, 2222, 2225; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 349; Lunk NZA 2009, 457; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Die Verwertung des verdeckt gewonnenen Videomaterials allein für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich bei der - als solcher unstreitigen - Entnahme von „Klüngelgeld“ „versichernd umgeschaut“, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig.

49

(1) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).

50

(2) Dementsprechend sind Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnungen dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356; 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30 - beide Male vor Inkrafttreten des § 32 BDSG ). Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO).

51

(3) Das in § 6b Abs. 2 BDSG normierte Kennzeichnungsgebot steht einer Verwertung von Daten, die aus einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, nicht zwingend entgegen(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 41; Bauer/Schansker NJW 2012, 3537; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; wohl auch Bayreuther DB 2012, 2222 ff.). Das gegenteilige Normverständnis, das zu einem absoluten, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (etwa durch § 100c, § 100h StPO)eingeschränkten Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen führte, begegnete mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Bedenken.

52

(4) Die Regelung des § 32 BDSG baut auf den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf. Nach der Gesetzesbegründung sollte sie diese nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Aufdeckung einer Straftat erforderlich ist, und verlangt insoweit eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten abwägende Einzelfallentscheidung. Diese muss zumindest den schon bisher geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung entsprechen (Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235).

53

(5) Es kann dahinstehen, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG weitergehend verlangt, dass sich der Verdacht auf ein strafbares Verhalten richtet und deshalb auch der Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, ohne dass zugleich ihre Strafbarkeit feststünde, die Beobachtung nicht rechtfertigen könnte. Ebenso kann offenbleiben, ob die Regelung zusätzliche Anforderungen an die personelle Konkretisierung des Verdachts sowie dessen Dokumentation stellt (zweifelnd Bauer/Schansker NJW 2012, 3537, 3539; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Hier fehlt es schon an der Erfüllung der bisher geltenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung und der Verwertung des daraus gewonnenen Materials. Damit liegt auch ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vor.

54

(a) Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. Zwar ist - mangels zulässiger Verfahrensrügen der Revision - davon auszugehen, dass im ersten Halbjahr 2009 im Getränkemarkt Leergutdifferenzen iHv. insgesamt 7.081,63 Euro zu verzeichnen waren. Es ist weder dargetan noch festgestellt, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte ausgeschlossen haben will, dass Leergut nicht etwa aus dem Lager entwendet worden ist. Ihr Vorbringen, sie habe „keine Fehlbestände an Leergut im Lager und im Kassenbereich festgestellt“ bleibt im Allgemeinen haften. Es lässt nicht erkennen, dass sie stichprobenartige Kontrollen ausreichend oft durchgeführt hätte. Überdies macht ihr Vortrag nicht deutlich, ob vergleichbare Fehlbestände schon früher aufgetreten, ob diese ggf. als „auflaufender Posten“ in die Berechnungen des Jahres 2009 eingeflossen sind und wie Fehlbuchungen als mögliche Ursache ausgeschlossen wurden. Selbst wenn die Beklagte die Ursache der Leergutdifferenzen berechtigterweise im Kassenbereich hätte vermuten dürfen, fehlt es an Vortrag und Feststellungen dazu, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So ist nicht erkennbar, weshalb nicht stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der - einzigen - Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes geeignete Maßnahmen hätten sein können.

55

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt im Übrigen nicht ausreichend, dass der fragliche Kündigungssachverhalt der Beklagten nur „zufällig“ bekannt geworden ist. Auf seine Entdeckung war die heimliche Videoüberwachung nicht gerichtet.

56

(aa) Zwar mögen solche „Zufallsfunde“ - unbeschadet der Regelung in § 6b Abs. 3 BDSG - nicht in jedem Fall deshalb unverwertbar sein, weil sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen(vgl. Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 340; aA wohl Bergwitz NZA 2012, 353, 358). Auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ muss aber das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben.

57

(bb) So liegt es hier. Zwischen den Parteien ist die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin daraus gelegentlich kleinere Geldstücke entnommen hat. Die Beweisaufnahme durch Augenschein sollte allein dem Nachweis dienen, dass sich die Klägerin bei der Geldentnahme „versichernd umgesehen“ hat und deshalb vermutlich Zueignungsabsicht besaß. Das rechtfertigt keine Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen. Zum einen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Verwertung erforderlich war, um die Einlassung der Klägerin zum Fehlen ihrer Zueignungsabsicht zu widerlegen. Zum anderen ist die heimliche Videoüberwachung zum Nachweis der Absicht, sich einige Münzen im Wert von Centbeträgen zuzueignen, schlechthin unverhältnismäßig.

58

(cc) Es erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen einer nochmaligen Beweiswürdigung auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der Videoaufzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das fragliche Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ entnommen, um es für sich zu behalten. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, für das Auslösen eines Einkaufswagens mit Hilfe von „Klüngelgeld“ habe keinerlei dienstliches Bedürfnis bestanden. Zum Zweck des Transports der Kasseneinsätze sei stets ein frei zugänglicher Wagen bereitgestellt worden.

59

III. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, die von der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung abhängen. Wegen der der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche hat die Entscheidung dagegen Bestand. Die gegen sie gerichtete Anschlussrevision der Beklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

60

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden. Der für diese Zeit geltend gemachte Vergütungsanspruch folgt aus § 615 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 5 KSchG iVm. § 11 Nr. 3 KSchG. Er ist der Höhe nach ebenso unstreitig wie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des begehrten Warengutscheins.

61

2. Der entsprechende Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Sowohl der betreffende Antrag der Klägerin als auch der Tenor des Berufungsurteils sind dahin auszulegen, dass - im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruchsübergang - Zinsen nur aus den jeweiligen Bruttobeträgen abzüglich des für den jeweiligen Monat in Anrechnung gebrachten Arbeitslosengelds verlangt bzw. geschuldet sind.

62

IV. Die Zurückverweisung erfasst ferner die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Beide Anträge verfolgt die Klägerin nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Feststellungsbegehren.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    B. Schipp    

        

    Söller    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Tenor

1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2010 - 1 Ca 2998/09 - zurückgewiesen hat.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die 1967 geborene Klägerin war - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts G tätig. Im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung erzielte sie einen monatlichen Bruttoverdienst iHv. 1.406,92 Euro. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7-köpfiger Betriebsrat errichtet ist.

3

In dem Getränkemarkt waren drei Kassen eingerichtet. Über eine Kasse erfolgte die Leergutannahme. Soweit sie nicht zu besetzen waren, wurde den Kassen der Geräteeinsatz mit dem Wechselgeld entnommen. Ursprünglich wurden die Einsätze im zentralen Kassenbüro des Einkaufsmarkts aufbewahrt. Das brachte es mit sich, dass die Kassenmitarbeiter des Getränkemarkts den Einsatz bei Dienstantritt im Kassenbüro abholen und nach Dienstschluss dorthin zurückbringen mussten. Im Kassenbüro erhielten sie auch das Wechselgeld. Diese Gänge entfielen ab Mitte August 2009, nachdem die Beklagte im Getränkemarkt einen Tresor für die Aufbewahrung der Einsätze und des Wechselgelds hatte installieren lassen.

4

Der Umgang mit Geld war für alle Märkte in sog. Kassenanweisungen geregelt. Deren Erhalt hatte die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt. Nach den zuletzt gültigen Regelungen war es Kassenmitarbeitern untersagt, Bargeld in der Dienstkleidung oder im Schubfach des Kassentischs aufzubewahren, Geld aus der Kasse zu entnehmen oder es sich leihweise selbst oder anderen zur Verfügung zu stellen. Geld durfte weder zwischen den Kassenkräften untereinander gewechselt noch nach Geschäftsschluss in den Schubfächern der Kassen aufbewahrt werden. Die Herausgabe zusätzlichen Wechselgelds hatte durch die Marktleitung zu erfolgen. Geldwechselgeschäfte mit Kunden waren untersagt. Geld, das von Kunden liegengelassen wurde, war unmittelbar der Marktleitung auszuhändigen; anschließend sollte es im Büro/Tresor deponiert werden. Im August 2009 erließ die Beklagte zusätzlich eine „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“. Danach sollten „Kassierdifferenzen“ täglich dem Geschäftsleiter gemeldet werden. „Fundgeld“ sollte einmal monatlich „in die 99-er Kasse eingezahlt“, „Klüngelgeld“ einmal pro Woche „auf WGR 700“ gebucht werden.

5

Im Getränkemarkt war seit jeher eine Videokamera installiert. Darüber waren die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden. Die Kamera ermöglichte die Überwachung des Kassenbereichs sowie der Ein- und Ausgänge. Die eigentlichen Kassiervorgänge wurden nicht erfasst.

6

Zur Mitte des Jahres 2009 stellte die Beklagte anlässlich einer Revision fest, dass in der ersten Jahreshälfte Leergutdifferenzen iHv. mehr als 7.000,00 Euro aufgetreten waren. Nachdem Kontrollen des Lagerbestands und des Warenausgangs keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hatten, vermutete sie deren Ursache im Kassenbereich. Sie ging von der Möglichkeit aus, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut „falsche“ Bons gedruckt und entsprechende Gelder der Kasse entnommen würden. Am 7. Juli 2009 vereinbarte sie mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung des Kassenbereichs. Sie beauftragte eine Fachfirma, die in der Zeit vom 13. Juli bis 3. August 2009 die Kassenvorgänge mittels Videokamera aufzeichnete. Die der Firma gleichfalls übertragene Auswertung der Aufzeichnungen einschließlich der Erstellung eines Zusammenschnitts und einer Dokumentation war am 3. September 2009 abgeschlossen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sich unter der Leergutkasse des Getränkemarkts ein Plastikbehälter befand, in dem Geld aufbewahrt wurde. Außerdem war zu erkennen, dass die Klägerin am 16. Juli 2009 gegen 8:45 Uhr, am 22. Juli 2009 gegen 16:13 Uhr und am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr diesem Behältnis Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Die Vorgänge als solche sind unstreitig.

7

Am 14. August 2009 hatte die Beklagte der Klägerin wegen eines Verhaltens vom 11. Juli 2009 eine Abmahnung erteilt. An diesem Tag hatte die Klägerin nach Dienstschluss Wechselgeld iHv. 300,00 Euro mit nach Hause genommen, statt es weisungsgemäß im Kassenbüro abzugeben. Die Klägerin hatte sich in einem noch am selben Abend geführten Telefonat auf ein Versehen berufen und das Geld am 12. Juli 2009 bei der Beklagten abgeliefert.

8

Noch am 3. September 2009 führte die Beklagte im Getränkemarkt eine Kontrolle des Kassenbereichs durch; der dort vorgefundene Plastikbehälter enthielt Münzen im Wert von 12,35 Euro. Am 4. September 2009 hörte sie die Klägerin zur Existenz dieser sog. Klüngelgeld-Kasse an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Mit Schreiben vom 8. September 2009 bat sie den Betriebsrat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11. September 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010“.

9

Die Klägerin hat mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 BGB liege nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. „Klüngelgeld-Kassen“ existierten in sämtlichen Bereichen des Einkaufsmarkts. Sie dienten dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet - wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe. Überdies sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Die Klägerin hat Lohnforderungen für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2010 erhoben.

10

Sie hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.506,28 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diversen Teilbeträgen seit unterschiedlichen Zeitpunkten zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Warengutschein über 275,00 Euro auszustellen und auszuhändigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe ihre Vertragspflichten schon durch das unerlaubte Führen einer „schwarzen Kasse“ erheblich verletzt. Darüber hinaus habe sie der fraglichen Kasse Geld in der offenkundigen Absicht entnommen, es für sich zu behalten. Zumindest sei sie einer solchen Tat dringend verdächtig. Die Klägerin habe sich - wie aus den Videoaufnahmen ersichtlich - vor jeder Geldentnahme vergewissert, dass ihr niemand zusehe. Dessen habe es bei redlichem Vorgehen nicht bedurft. Ihre Einlassung, sie habe Geldstücke für den Transport der Kasseneinsätze benötigt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Für entsprechende Zwecke habe ein Einkaufswagen bereitgestanden, der nicht eigens habe ausgelöst werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Videomaterial nicht, dass die Klägerin mitgeführte Geldstücke je in die „Klüngelgeld-Kasse“ zurückgelegt habe. Die Videoaufzeichnungen seien rechtlich verwertbar. Im Zeitpunkt der Beobachtung habe ein hinreichend eingegrenzter Verdacht dahingehend bestanden, dass Leergutdifferenzen durch Unregelmäßigkeiten im Kassenbereich des Getränkemarkts entstünden. Mildere Mittel zur Aufklärung des Verdachts hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Klage - soweit noch von Interesse - in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung von Vergütung nebst Zinsen für die Zeit bis zum 31. März 2010 und zur Aushändigung eines Warengutscheins verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und davon abhängiger Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

13

Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 ist unwirksam. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin richtet, hat keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden.

15

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

16

2. Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zu den Voraussetzungen vgl. nur BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN).

17

3. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich mehrfach Geldstücke aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben, und deshalb „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Im Rahmen seiner Beurteilung, selbst dann sei es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, hat das Landesarbeitsgericht alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zugutegehalten, dass sie durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre hinweg als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies hält sich - auch in Anbetracht der Abmahnung vom 14. August 2009 - im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerin, sie habe am 11. Juli 2009 die Ablieferung des Wechselgeldes aufgrund hohen Arbeitsanfalls schlicht vergessen, nicht entgegengetreten. Bei dem gerügten Verhalten handelt es sich mithin um einen - unbewussten - Ordnungsverstoß, der die Annahme, die Klägerin habe sich bis zu den umstrittenen Geldentnahmen aus der „Klüngelgeld-Kasse“ als vertrauenswürdig erwiesen, nicht, schon gar nicht zwingend infrage zu stellen vermochte.

20

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden sei. Hat der Arbeitnehmer die Integrität von Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich verletzt oder ist er einer solchen Tat dringend verdächtig, beeinträchtigt dies zwar die für die Durchführung der Vertragsbeziehung notwendige Vertrauensgrundlage grundsätzlich unabhängig vom Wert des betroffenen Gegenstands (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, BAGE 134, 349). Das schließt es aber nicht aus, bei der Gewichtung des Kündigungssachverhalts auf die Höhe eines eingetretenen Schadens Bedacht zu nehmen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184). Die im Berufungsurteil getroffene Interessenabwägung ist - anders als die Beklagte meint - nicht deshalb zu beanstanden, weil sich in der fraglichen Kasse am 4. September 2009 Münzen im Wert von etwas mehr als zwölf Euro befanden. Unbeschadet der Frage, ob bei einem Vermögensnachteil in dieser Höhe eine „Geringfügigkeitsschwelle“ überschritten wäre, ist nicht festgestellt, dass die Klägerin im Verdacht stand, sich Geld in diesem Umfang rechtswidrig zugeeignet oder hierzu doch unmittelbar angesetzt zu haben. Im Übrigen handelte es sich bei dem Umgang mit „Klüngelgeld“ um einen Bereich am Rande der Kassentätigkeit, den die Beklagte ausweislich der im August 2009 erlassenen „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“ offenbar selbst für nicht ausreichend geregelt hielt. Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht geeignet ist, das dem - unterstellten - Verdacht zugrundeliegende Verhalten zu rechtfertigen, durfte das Landesarbeitsgericht ihn zugunsten der Klägerin in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen.

21

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Heimlichkeit des dem Verdacht zugrundeliegenden - unterstellten - Verhaltens nicht außer Acht gelassen, wie die Beklagte gemeint hat. Es hat in ihr lediglich keinen Umstand gesehen, der im vorliegenden Fall die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätte. Das hält sich ebenso im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum wie die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem Kind.

22

II. Ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Zwar geht das Landesarbeitsgericht zutreffend von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats aus (1.). Es durfte aber nicht annehmen, die ordentliche Kündigung sei auch materiell-rechtlich als Verdachtskündigung rechtswirksam, weil sie zwar nicht den Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB, wohl aber denen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das, wäre es erwiesen, nicht auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - trotz des Verdachts - nicht unzumutbar(2.). Da das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hat es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten berechtigt wäre. Dies wird es nachzuholen haben. Dabei darf es den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig (3.).

23

1. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

24

a) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“(BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er schon aus seiner eigenen Sicht dem Betriebsrat einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 18; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - zu B I 1 a der Gründe mwN).

25

b) Danach ist die Anhörung inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt.

26

aa) Die Beklagte hat den Betriebsrat am 8. September 2009 schriftlich von ihrer Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des „Verdachts einer Untreue und Unterschlagung“ hilfsweise auch ordentlich zu kündigen. Sie hat ihm dabei die Sozialdaten der Klägerin und die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist mitgeteilt. Außerdem hat sie den Anlass, den Zeitraum und das Ergebnis der Videoüberwachung dargestellt. Selbst wenn sich einzelne Angaben als unzutreffend herausgestellt haben sollten - etwa weil die für den 24. Juli 2009 mitgeteilte Geldentnahme tatsächlich nicht die Klägerin, sondern eine Kollegin betrifft und weder die „Speisung“ der Kasse noch die Geldentnahme vom 22. Juli 2009 in Zusammenhang mit der Entgegennahme von Leergut gestanden haben mögen - genügt die Anhörung den gesetzlichen Anforderungen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst unrichtige oder irreführende Unterrichtung des Betriebsrats vor. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten oder fehlerhaften Deutung von Äußerungen der Klägerin im Anhörungsgespräch vom 4. September 2009, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich. Entscheidend ist, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde. Maßgebend für den Kündigungsentschluss der Beklagten war, dass die Klägerin entgegen eindeutigen Vorgaben Geld, das entweder ihr - der Beklagten - oder ihren Kunden zustand, in einem Plastikbehälter neben der Kasse im Getränkemarkt aufbewahrte, und der damit in Zusammenhang stehende Verdacht, aus diesem Behälter gelegentlich Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Darauf, ob die Klägerin dies zweimal oder dreimal tat, kam es der Beklagten nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Geldentnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bedienung eines Kunden stand.

27

bb) Die Beklagte brauchte den Betriebsrat nicht darüber zu unterrichten, dass die Überwachung mittels Videokamera - wie die Klägerin gemeint hat - unrechtmäßig war. Davon ging sie subjektiv nicht aus. Soweit die Klägerin nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu kündigen, impliziert die von der Beklagten zu ihren - der Klägerin - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht, dass die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reicht wie seine Darlegungslast im Prozess(vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 45; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN).

28

cc) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge hat der Betriebsrat am 10. September 2009 erklärt, er habe die Kündigungsabsicht zur Kenntnis genommen. Das Landesarbeitsgericht hat darin fehlerfrei eine abschließende Stellungnahme erblickt, die es der Beklagten betriebsverfassungsrechtlich ermöglichte, die ordentliche Kündigung am 11. September 2009 zu erklären.

29

2. Dagegen trägt die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 auch materiell-rechtlich für wirksam angesehen hat, seine Würdigung nicht.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin komme zwar nicht als Verursacherin der Leergutdifferenzen in Betracht. Sie stehe aber im dringenden Verdacht, sich fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben. Am 16. Juli und am 22. Juli 2009 habe sie einzelne daraus entnommene Geldstücke in ihre Hosentasche gesteckt. Durch die in Augenschein genommenen Videosequenzen sei bewiesen, dass sie sich bei diesen Handlungen jeweils „versichernd“ in mehrere Richtungen umgesehen habe. Damit habe sie sicherstellen wollen, nicht beobachtet zu werden. Das heimliche Vorgehen spreche für eine Zueignungsabsicht. Zugleich widerlege es ihre Einlassung, die Geldstücke für das Auslösen eines Einkaufswagens benötigt zu haben. Erhärtet werde der Verdacht auf eine Zueignungsabsicht dadurch, dass die Klägerin am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr der fraglichen Kasse mehrere Geldstücke entnommen und gegen Geld aus der Scannerkasse „getauscht“ habe. Überdies sei die Höhe des am 3. September 2009 in dem fraglichen Behälter vorgefundenen Geldbetrags nicht mit dem nur gelegentlichen Auslösen eines Einkaufswagens zu erklären. Gestützt auf diese tatsächlichen Umstände ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, die Kündigung vom 11. September 2009 sei „durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen, bedingt“. Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei „durch die erwiesenen Verdachtsmomente“ irreparabel erschüttert. Die ordentliche Kündigung sei deshalb als gegenüber der außerordentlichen Kündigung milderes Mittel sozial gerechtfertigt.

31

b) Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 11. September 2009 erkennbar als die einer Verdachtskündigung bejaht. Als solche genügt sie den gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht. Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen.

32

aa) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 22; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 470; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 276). Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (vorausgesetzt in BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 42; Bader/Bram-Bram KSchG § 1 Rn. 251). Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

33

bb) Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden, gegensätzlichen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

34

cc) Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, dass selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten. Weder liegt ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers, noch liegt ein Grund in der Person des Arbeitnehmers vor, der die Kündigung „bedingen“ könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten ist - wie stets bei der Verdachtskündigung - nicht erwiesen und der bloße Verdacht auf ein lediglich die ordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten führt nicht zu einem Eignungsmangel.

35

c) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB angenommen, dass das Verhalten, dessen die Klägerin verdächtig ist, eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermöchte. Diese Würdigung hält, wie dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Damit steht zugleich fest, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt.

36

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht deshalb als im Ergebnis richtig dar, weil die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 zwar nicht als Verdachts-, aber doch als sog. Tatkündigung wirksam wäre. Als solche ist sie nicht schon auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Klägerin sozial gerechtfertigt. Um dies auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten beurteilen zu können, fehlt es an Feststellungen und deren Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Diese sind nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Beklagte auf eine erwiesene Pflichtverletzung als Kündigungsgrund prozessual nicht berufen hat und der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung unter diesem Aspekt überdies § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenstünde.

37

a) Das Vorbringen der Klägerin selbst trägt die Kündigung nicht. Die Klägerin hat sich für die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ auf eine in verschiedenen Abteilungen des Betriebs geübte Praxis und überdies darauf berufen, diese sei der Beklagten - zumindest rudimentär - bekannt gewesen. Trifft dies zu, liegt in dem Vorhalten der fraglichen Kasse für sich genommen kein Verhalten, das die Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin, wie sie einräumt, dieser Kasse gelegentlich einzelne Geldstücke entnommen und außerdem darin enthaltene Münzen gegen im Kasseneinsatz befindliche Geldstücke gewechselt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass sie Geldstücke an sich genommen habe, um sich diese rechtswidrig zuzueignen, hat die Klägerin stets in Abrede gestellt.

38

b) Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Auch wenn die Beklagte neben dem Führen der „Klüngelgeld-Kasse“ als solchem nur den Verdacht auf die rechtswidrige Zueignung von Geldstücken als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat, ist das Landesarbeitsgericht nicht gehindert, aufgrund der objektiven Verdachtsumstände ggf. zu der Überzeugung zu gelangen, der Verdacht habe sich in der Weise bestätigt, dass die fragliche Pflichtwidrigkeit nachgewiesen sei.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht würde auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigen, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 131, 155). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 26, BAGE 137, 54; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, BAGE 134, 349).

40

bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit ersichtlich weder eine positive noch eine negative Überzeugung gebildet, weil es schon den Verdacht auf eine Zueignungsabsicht der Klägerin als Grund für die ordentliche Kündigung hat ausreichen lassen. Die Beklagte darf nach Aufhebung des für sie günstigen Berufungsurteils nicht um die prozessuale Chance gebracht werden, dass das Landesarbeitsgericht auf der Basis der Rechtsauffassung des Senats die mögliche Erwiesenheit einer Pflichtwidrigkeit der Klägerin geprüft und dabei eine für sie - die Beklagte - günstige Überzeugung gewonnen hätte.

41

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat am 8. September 2009 sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur - möglichen - Überzeugung des Landesarbeitsgerichts auch den Tatvorwurf begründen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, BAGE 134, 349; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 131, 155). In diesem Fall wäre dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat würde dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, aaO; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 217).

42

d) Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.

43

aa) Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

44

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 15, BAGE 127, 276). Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

45

cc) Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (für das DSG NRW vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG prägt das deutsche Datenschutzrecht(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

46

(1) In diesem Sinne regelt § 6b BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329, S. 38). Unerheblich ist, ob das Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die dort beschäftigten Arbeitnehmer sind (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 36). Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

47

(2) Gemäß dem zum 1. September 2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

48

dd) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kassen des Getränkemarkts vom übrigen Verkaufsraum abgegrenzt waren und die verdeckte Videoüberwachung deshalb keinen „öffentlichen Raum“ iSd. § 6b BDSG betraf(zur Problematik Simitis/Scholz BDSG 7. Aufl. § 6b Rn. 51; Bayreuther NZA 2005, 1038). Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. Ebenso kann offen bleiben, ob § 32 BDSG auf Überwachungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten bereits beendet waren, und wie der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem des § 6b BDSG abzugrenzen ist(dazu ErfK/Franzen 13. Aufl. § 6b BDSG Rn. 2; Simitis/Scholz aaO; Bayreuther DB 2012, 2222). Schließlich kann dahinstehen, ob Videoaufzeichnungen, die nicht von den Erlaubnistatbeständen des BDSG gedeckt sind, ohne Weiteres einem prozessualen Beweisverwertungsverbot unterliegen oder ob es für ein solches Verbot einer weitergehenden Abwägung der betroffenen Grundrechte bedarf, in die freilich die im Bundesdatenschutzgesetz getroffene Interessenabwägung einzubeziehen wäre (dazu Bayreuther DB 2012, 2222, 2225; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 349; Lunk NZA 2009, 457; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Die Verwertung des verdeckt gewonnenen Videomaterials allein für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich bei der - als solcher unstreitigen - Entnahme von „Klüngelgeld“ „versichernd umgeschaut“, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig.

49

(1) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).

50

(2) Dementsprechend sind Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnungen dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356; 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30 - beide Male vor Inkrafttreten des § 32 BDSG ). Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO).

51

(3) Das in § 6b Abs. 2 BDSG normierte Kennzeichnungsgebot steht einer Verwertung von Daten, die aus einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, nicht zwingend entgegen(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 41; Bauer/Schansker NJW 2012, 3537; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; wohl auch Bayreuther DB 2012, 2222 ff.). Das gegenteilige Normverständnis, das zu einem absoluten, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (etwa durch § 100c, § 100h StPO)eingeschränkten Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen führte, begegnete mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Bedenken.

52

(4) Die Regelung des § 32 BDSG baut auf den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf. Nach der Gesetzesbegründung sollte sie diese nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Aufdeckung einer Straftat erforderlich ist, und verlangt insoweit eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten abwägende Einzelfallentscheidung. Diese muss zumindest den schon bisher geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung entsprechen (Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235).

53

(5) Es kann dahinstehen, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG weitergehend verlangt, dass sich der Verdacht auf ein strafbares Verhalten richtet und deshalb auch der Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, ohne dass zugleich ihre Strafbarkeit feststünde, die Beobachtung nicht rechtfertigen könnte. Ebenso kann offenbleiben, ob die Regelung zusätzliche Anforderungen an die personelle Konkretisierung des Verdachts sowie dessen Dokumentation stellt (zweifelnd Bauer/Schansker NJW 2012, 3537, 3539; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Hier fehlt es schon an der Erfüllung der bisher geltenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung und der Verwertung des daraus gewonnenen Materials. Damit liegt auch ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vor.

54

(a) Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. Zwar ist - mangels zulässiger Verfahrensrügen der Revision - davon auszugehen, dass im ersten Halbjahr 2009 im Getränkemarkt Leergutdifferenzen iHv. insgesamt 7.081,63 Euro zu verzeichnen waren. Es ist weder dargetan noch festgestellt, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte ausgeschlossen haben will, dass Leergut nicht etwa aus dem Lager entwendet worden ist. Ihr Vorbringen, sie habe „keine Fehlbestände an Leergut im Lager und im Kassenbereich festgestellt“ bleibt im Allgemeinen haften. Es lässt nicht erkennen, dass sie stichprobenartige Kontrollen ausreichend oft durchgeführt hätte. Überdies macht ihr Vortrag nicht deutlich, ob vergleichbare Fehlbestände schon früher aufgetreten, ob diese ggf. als „auflaufender Posten“ in die Berechnungen des Jahres 2009 eingeflossen sind und wie Fehlbuchungen als mögliche Ursache ausgeschlossen wurden. Selbst wenn die Beklagte die Ursache der Leergutdifferenzen berechtigterweise im Kassenbereich hätte vermuten dürfen, fehlt es an Vortrag und Feststellungen dazu, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So ist nicht erkennbar, weshalb nicht stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der - einzigen - Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes geeignete Maßnahmen hätten sein können.

55

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt im Übrigen nicht ausreichend, dass der fragliche Kündigungssachverhalt der Beklagten nur „zufällig“ bekannt geworden ist. Auf seine Entdeckung war die heimliche Videoüberwachung nicht gerichtet.

56

(aa) Zwar mögen solche „Zufallsfunde“ - unbeschadet der Regelung in § 6b Abs. 3 BDSG - nicht in jedem Fall deshalb unverwertbar sein, weil sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen(vgl. Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 340; aA wohl Bergwitz NZA 2012, 353, 358). Auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ muss aber das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben.

57

(bb) So liegt es hier. Zwischen den Parteien ist die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin daraus gelegentlich kleinere Geldstücke entnommen hat. Die Beweisaufnahme durch Augenschein sollte allein dem Nachweis dienen, dass sich die Klägerin bei der Geldentnahme „versichernd umgesehen“ hat und deshalb vermutlich Zueignungsabsicht besaß. Das rechtfertigt keine Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen. Zum einen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Verwertung erforderlich war, um die Einlassung der Klägerin zum Fehlen ihrer Zueignungsabsicht zu widerlegen. Zum anderen ist die heimliche Videoüberwachung zum Nachweis der Absicht, sich einige Münzen im Wert von Centbeträgen zuzueignen, schlechthin unverhältnismäßig.

58

(cc) Es erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen einer nochmaligen Beweiswürdigung auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der Videoaufzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das fragliche Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ entnommen, um es für sich zu behalten. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, für das Auslösen eines Einkaufswagens mit Hilfe von „Klüngelgeld“ habe keinerlei dienstliches Bedürfnis bestanden. Zum Zweck des Transports der Kasseneinsätze sei stets ein frei zugänglicher Wagen bereitgestellt worden.

59

III. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, die von der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung abhängen. Wegen der der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche hat die Entscheidung dagegen Bestand. Die gegen sie gerichtete Anschlussrevision der Beklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

60

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden. Der für diese Zeit geltend gemachte Vergütungsanspruch folgt aus § 615 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 5 KSchG iVm. § 11 Nr. 3 KSchG. Er ist der Höhe nach ebenso unstreitig wie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des begehrten Warengutscheins.

61

2. Der entsprechende Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Sowohl der betreffende Antrag der Klägerin als auch der Tenor des Berufungsurteils sind dahin auszulegen, dass - im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruchsübergang - Zinsen nur aus den jeweiligen Bruttobeträgen abzüglich des für den jeweiligen Monat in Anrechnung gebrachten Arbeitslosengelds verlangt bzw. geschuldet sind.

62

IV. Die Zurückverweisung erfasst ferner die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Beide Anträge verfolgt die Klägerin nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Feststellungsbegehren.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    B. Schipp    

        

    Söller    

                 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. April 2012 - 18 Sa 1474/11 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt sog. Cash & Carry-Märkte. Der 1971 geborene Kläger war in einem ihrer Großhandelsmärkte seit August 1994 als Verkaufsmitarbeiter in der Getränkeabteilung tätig. In dem Markt beschäftigt die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 4. März 2011 war der Kläger in der Spätschicht von 15:00 bis 22:00 Uhr eingesetzt. Wegen eines laut gewordenen Diebstahlverdachts öffnete der zuständige Geschäftsleiter im Beisein eines Betriebsratsmitglieds während der Arbeitszeit den verschlossenen Spind des Klägers und durchsuchte ihn. Nach Behauptung der Beklagten wurde dabei vom Kläger entwendete Damenunterwäsche entdeckt. Der Geschäftsleiter äußerte daraufhin seine Absicht, gegen Ende der Schicht unter Hinzuziehung zweier Betriebsratsmitglieder eine Taschen-/Personenkontrolle durchzuführen. Dem Kläger gelang es, den Markt schon vorher unkontrolliert zu verlassen. Die Umstände, unter denen dies geschah, sind streitig.

4

Die Beklagte erstattete nach Schichtende Strafanzeige gegen den Kläger wegen Diebstahls von vier Teilen Damenunterwäsche. Eine unmittelbar darauf beim Kläger - mit dessen Einverständnis - polizeilich durchgeführte Wohnungsdurchsuchung verlief ergebnislos. Gegen 22:30 Uhr durchsuchte der Geschäftsleiter den Spind des Klägers in Gegenwart eines Betriebsratsmitglieds ein weiteres Mal. Die Beklagte hat behauptet, dabei seien die Wäschestücke nicht mehr aufgefunden worden.

5

In der Zeit vom 5. bis zum 13. März 2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 7. März 2011 teilte ihm die Beklagte schriftlich mit, er stehe im Verdacht, zum Verkauf bestimmte Damenunterwäsche aus dem Markt entwendet zu haben. Sie lud ihn zu einem Gespräch am 11. März 2011, alternativ gab sie ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 14. März 2011. Der Kläger ließ den Gesprächstermin verstreichen und gab binnen der Frist auch keine schriftliche Erklärung ab. Auf Befragen durch den Geschäftsleiter äußerte er, er werde zu dem Vorwurf keine Angaben machen.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 17. März 2011 fristlos, mit einem weiteren Schreiben vom selben Tage kündigte sie „hilfsweise“ ordentlich zum 31. Oktober 2011.

7

Der Kläger hat mit seiner fristgerecht erhobenen Kündigungsschutzklage geltend gemacht, beide Kündigungen seien unwirksam. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe keinen Diebstahl begangen, insbesondere habe er keine Damenunterwäsche in seinem persönlichen Schrank aufbewahrt. Dessen heimliche Durchsuchung verletze sein Persönlichkeitsrecht. Daraus gewonnene Erkenntnisse seien prozessual nicht verwertbar.

8

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 17. März 2011 aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

3. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1., ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag zu unveränderten Bedingungen als Mitarbeiter im Verkauf weiter zu beschäftigten;

4. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1., ihm ein Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, beide Kündigungen seien wirksam. Sie hat behauptet, in der Getränkeabteilung seien mehrfach Etiketten gefunden worden, die von nicht bezahlten Waren anderer Abteilungen stammten. Auch hätten sich unter dem Müll Verpackungen von Backwaren aus ihrem Sortiment befunden. Befragungen von Mitarbeitern hätten ergeben, dass der Kläger einige Male „Rosinenschnecken“ aus der Warenauslage des „Backshops“ entnommen habe, ohne damit die Kasse zu passieren. Außerdem habe er eine Mitarbeiterin des „Textilshops“ nach der Farbe einer Kinderhose gefragt. Später sei das Etikett einer solchen Hose im Abfall bei den Getränken gefunden worden. Am 4. März 2011 habe ihr Geschäftsleiter beobachtet, wie der Kläger in der Wäscheabteilung Unterwäsche betrachtet und den Eindruck erweckt habe, als wolle er diese zum Kauf auswählen. Gegen 16:00 Uhr des Tages seien im Mülleimer der Getränkeabteilung vier Etiketten entsprechender Unterwäsche gefunden worden. Eine anhand der Artikelnummern erfolgte Nachfrage bei der Buchhaltung habe ergeben, dass die dazugehörigen Artikel nicht bezahlt worden seien. Der Geschäftsleiter habe sodann die Vorsitzende und ein weiteres Mitglied des Betriebsrats von einem gegen den Kläger bestehenden Verdacht unterrichtet, rechtswidrig Unterwäsche entwendet zu haben. Gegen 21:35 Uhr habe er im Beisein des betreffenden Mitglieds den verschlossenen Spind des Klägers geöffnet, diesen durchsucht und in einer Jacke des Klägers Unterwäsche gefunden. Die Betriebsratsvorsitzende habe vorab ihr Einverständnis mit der Maßnahme erklärt. Anschließend habe der Geschäftsleiter mit den beiden Betriebsratsmitgliedern verabredet abzuwarten, ob der Kläger die Waren bis Dienstschluss noch bezahle. Da dieser den Markt schon um 21:53 Uhr verlassen habe, sei es nicht gelungen, bei ihm - wie geplant - eine Taschenkontrolle durchzuführen. Geschäftsleiter und Betriebsratsmitglieder hätten versucht, den Kläger auf dem Parkplatz einzuholen, und sich dabei durch Zurufe bemerkbar gemacht. Der Kläger sei jedoch zu seinem Fahrzeug gerannt und eilig davongefahren. Da bei einer anschließenden Kontrolle im Spind des Klägers keine Unterwäsche mehr auffindbar gewesen, die vermisste Ware aber auch nicht bezahlt worden sei, sei erwiesen, dass der Kläger ein Vermögensdelikt zu ihrem Nachteil begangen habe. Zumindest sei er dessen dringend verdächtig. Ein prozessuales Beweisverwertungsverbot bestehe nicht. Die heimliche Kontrolle des Spinds sei die einzig effektive Möglichkeit gewesen, den Sachverhalt aufzuklären.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben (I.). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17. März 2011 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest (II.).

12

I. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht das Ergebnis, ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Zwar ist die fristlose Kündigung nicht wegen einer erwiesenen Pflichtverletzung gerechtfertigt. Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als Verdachtskündigung unwirksam. Der Beklagten ist es, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, nicht aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen verwehrt, sich auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung als Kündigungsgrund zu berufen.

13

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei sind vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 17; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 26, BAGE 134, 349; jeweils mwN).

14

2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine auf ihn gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16). Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 14; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30).

15

3. Die kündigungsrechtliche Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens hängt - auch soweit es Grundlage eines Verdachts ist - nicht von der strafrechtlichen Bewertung des mitgeteilten Kündigungssachverhalts ab. Entscheidend ist der mit dem Verhalten oder dem Verdacht einhergehende Vertrauensverlust (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 15; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17).

16

4. Die Würdigung, ob dem Arbeitnehmer ein Vermögensdelikt zum Nachteil seines Arbeitgebers oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung anzulasten ist oder ob zumindest ein dahingehender, dringender Verdacht besteht, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSd. § 286 ZPO. Diese ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (vgl. BAG 18. Oktober 2012 - 6 AZR 289/11 - Rn. 43; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29).

17

5. Danach ist die fristlose Kündigung vom 17. März 2011 nicht deshalb gerechtfertigt, weil dem Kläger eine strafbare Handlung oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung zum Nachteil der Beklagten vorzuwerfen wäre.

18

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein solcher Tatvorwurf könne dem Kläger deshalb nicht gemacht werden, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass er sich Waren aus ihrem Bestand tatsächlich angeeignet habe. Davon sei zwar auszugehen, falls am 4. März 2011 im Spind des Klägers Damenunterwäsche und zuvor im Mülleimer der Getränkeabteilung die dazugehörigen Preisetiketten gefunden worden sein sollten. Für ihr - vom Kläger bestrittenes - Vorbringen habe die Beklagte aber keinen geeigneten Beweis angeboten. Ihre Kenntnis vom Inhalt des Spinds beruhe auf einem unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Das schließe die gerichtliche Beweiserhebung über das Ergebnis der Spindkontrolle aus.

19

b) Dagegen wendet sich die Beklagte ohne Erfolg. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält sich, was die für einen Tatnachweis vorgetragenen Indiztatsachen betrifft, im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Das Landesarbeitsgericht hat § 286 ZPO auch nicht dadurch verletzt, dass es eine Beweiserhebung zum Ergebnis der Durchsuchung des Spinds unterlassen hat. Die darauf bezogene Rüge der Beklagten ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet (zu den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Aufklärungsrüge vgl. BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 16, BAGE 130, 347). Die Verwertung von Beweismitteln, die die Beklagte aufgrund der in Abwesenheit des Klägers und insoweit für ihn heimlich erfolgten Durchsuchung gewonnen hat, ist im Streitfall ausgeschlossen. Dies folgt - sofern sich ein entsprechendes Verbot nicht bereits unmittelbar aus § 32 BDSG ergibt - daraus, dass mit der prozessualen Verwertung der Beweismittel durch Beweiserhebung ein - erneuter bzw. fortgesetzter - Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers einherginge, ohne dass ein solcher Eingriff durch überwiegende Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Das Verwertungsverbot impliziert ein Erhebungsverbot und schließt es aus, Personen, die die Schrankkontrolle selbst durchgeführt haben oder zu ihr hinzugezogen wurden, als Zeugen zu vernehmen (zum Beweiserhebungsverbot vgl. BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 26, aaO; 10. Dezember 1998 - 8 AZR 366/97 - zu II 1 der Gründe).

20

aa) Die Zivilprozessordnung kennt für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Verwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindern soll, einer besonderen Legitimation in Gestalt einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - aaO; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MünchKommZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

21

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 94 mwN, aaO). Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen Rechnung (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 28). Es gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Diesem Schutz dient auch Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

22

cc) Die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung im BDSG konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in dieses Recht zulässig sind (vgl. für das Datenschutzgesetz NRW BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift diese erlaubt. Fehlt es an der danach erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser das deutsche Datenschutzrecht prägende Grundsatz ist in § 4 Abs. 1 BDSG kodifiziert(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

23

dd) Gemäß der - zum 1. September 2009 in Kraft getretenen und damit im Streitfall anwendbaren - Bestimmung des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

24

ee) Es spricht viel dafür, dass es sich bei der in Rede stehenden Schrankkontrolle tatbestandlich um eine Datenerhebung iSv. § 32 Abs. 1 BDSG handelt(so Brink in jurisPR-ArbR 20/2013). Nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 Satz 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Um die Gewinnung und Verwertung solcher Daten geht es hier. Die Durchsuchung des dem Kläger zugeordneten Spinds hatte zum Ziel, Erkenntnisse über dessen Inhalt zu gewinnen, um festzustellen, ob der Kläger im Besitz nicht bezahlter Waren aus dem Bestand der Beklagten war. § 32 BDSG setzt nicht voraus, dass die Datenerhebung zum Zwecke ihrer Nutzung und Verarbeitung in automatisierten Dateien erfolgt. Durch § 32 Abs. 2 BDSG wird die grundsätzliche Beschränkung der Anwendung des dritten Abschnitts des BDSG auf dateigebundene bzw. automatisierte Verarbeitungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 27 Abs. 1 BDSG) ausdrücklich aufgehoben. Die Vorschrift erfasst damit sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungsgehalt die Datenerhebung durch rein tatsächliche Handlungen (Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 32 Rn. 7; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 2; Simitis/Seifert BDSG 7. Aufl. § 32 Rn. 14, 100).

25

ff) Im Streitfall kann offen bleiben, ob § 32 BDSG einschlägig ist. Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung des Spinds ergeben sich aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gegenüber einer unmittelbar an Art. 2 Abs. 1 GG orientierten Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers keine anderen Vorgaben. Entsprechendes gilt mit Blick auf die Frage, ob der durch § 32 BDSG oder unmittelbar durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz des Persönlichkeitsrechts die prozessuale Verwertung der durch die Spindkontrolle gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel ausschließt. Auf die im Schrifttum umstrittene Frage, ob § 32 BDSG der Durchführung rein präventiver Kontrollen entgegensteht(zum Meinungsstand ErfK/Franzen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 7; Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 43 Rn. 7), kommt es nicht an. Um eine solche Maßnahme handelt es sich hier nicht.

26

(1) Nach der Gesetzesbegründung sollte die Regelung des § 32 BDSG die bislang von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG orientiert sich im Wortlaut an § 100 Abs. 3 Satz 1 TKG und inhaltlich an den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht ua. in seinem Urteil vom 27. März 2003 (- 2 AZR 51/02 - BAGE 105, 356) zur verdeckten Überwachung von Beschäftigten aufgestellt hat (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten zur „Aufdeckung [einer Straftat] erforderlich ist“. Das verlangt eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten berücksichtigende Abwägung im Einzelfall, so wie sie ua. bei der heimlichen Videoüberwachung eines Arbeitnehmers vorzunehmen ist (statt vieler: Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235; zur Videoüberwachung BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO). Auch körperliche und sonstige Untersuchungen wie die Kontrolle des persönlichen Schranks des Arbeitnehmers, mitgeführter Taschen oder von Kleidungsstücken stellen grundsätzlich einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar. Da das Persönlichkeitsrecht im Arbeitsverhältnis - jedenfalls außerhalb des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensführung - nicht schrankenlos gewährleistet ist, können solche Eingriffe aufgrund überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Das ist im Rahmen einer Güterabwägung festzustellen (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 35, 36). Mitentscheidend ist die Intensität des Eingriffs (ErfK/Schmidt 13. Aufl. Art. 2 GG Rn. 100). In diesem Zusammenhang gibt auch das Unionsrecht nichts anderes vor (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 43).

27

(2) Der persönliche Schrank eines Arbeitnehmers und dessen Inhalt sind Teil der Privatsphäre. Sie sind gleichwohl nicht unter allen Umständen einer Kontrolle durch den Arbeitgeber entzogen. Betroffen ist nicht der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern der nur relativ geschützte Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (zur Abgrenzung vgl. BVerfG 14. September 1989 - 2 BvR 1062/87 - BVerfGE 80, 367; vgl. auch BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - zu B I 2 c der Gründe, BAGE 111, 173). Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer - ggf. zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus § 6 Abs. 2 ArbStättV iVm. Nr. 4.1 Abs. 3 des Anhangs - einen abschließbaren Schrank zur Verfügung, berührt diese Überlassung auch seine eigenen Belange. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass ein Arbeitnehmer den Spind nicht bestimmungsgemäß nutzt, möglicherweise darin Gegenstände aufbewahrt, von denen Gefahren ausgehen, die der Arbeitgeber abzuwenden verpflichtet ist. Zum anderen kann es das Vorhandensein von Orten, auf die der Arbeitgeber keinen Zugriff hat, böswilligen Arbeitnehmern erleichtern, Handlungen zum Nachteil des Arbeitgebers oder anderer Mitarbeiter zu begehen. Dass dies uU Kontrollen des Arbeitgebers erforderlich machen kann, muss einem Arbeitnehmer bewusst sein.

28

(3) Arbeitnehmer müssen gleichwohl darauf vertrauen können, dass ihnen zugeordnete Schränke nicht ohne ihre Einwilligung geöffnet, dort eingebrachte persönliche Sachen nicht ohne ihr Einverständnis durchsucht werden. Geschieht dies dennoch, liegt regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in ihre Privatsphäre vor. Er kann nur bei Vorliegen zwingender Gründe gerechtfertigt sein. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und zählt der Arbeitnehmer zu dem anhand objektiver Kriterien eingegrenzten Kreis der Verdächtigen, kann sich zwar aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 242 BGB eine Verpflichtung ergeben, Aufklärungsmaßnahmen zu dulden(ErfK/Schmidt 13. Aufl. Art. 2 GG Rn. 100). Erforderlich iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bzw. verhältnismäßig im Sinne einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann eine Schrankkontrolle aber nur sein, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dem Arbeitgeber dürfen keine ebenso effektiven, den Arbeitnehmer weniger belastenden Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen. Außerdem muss die Art und Weise der Kontrolle als solche den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren.

29

(4) Sowohl die Gerichte für Arbeitssachen als auch die ordentlichen Gerichte sind befugt, Erkenntnisse zu verwerten, die sich eine Prozesspartei durch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verschafft hat, wenn eine Abwägung der beteiligten Belange ergibt, dass das Interesse an einer Verwertung der Beweise trotz der damit einhergehenden Rechtsverletzung das Interesse am Schutz der Daten überwiegt. Das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen dabei für sich betrachtet nicht aus, dem Verwertungsinteresse den Vorzug zu geben (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29). Dafür bedarf es zusätzlicher Umstände. Sie können etwa darin liegen, dass sich der Beweisführer mangels anderer Erkenntnisquellen in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 22; jeweils mwN). Die besonderen Umstände müssen gerade die in Frage stehende Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt ausweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO).

30

gg) Nach diesen Grundsätzen ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung fehlerfrei. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass zum Zeitpunkt der Schrankkontrolle ein durch objektive - im Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zu dokumentierende - Tatsachen begründeter Verdacht gegen den Kläger bestand, sich Unterwäsche aus dem Bestand der Beklagten rechtswidrig zugeeignet oder zu einer solchen Tat zumindest unmittelbar angesetzt zu haben. Der Eingriff erweist sich auch dann als unverhältnismäßig. Die Beklagte hätte den Kläger zur Kontrolle seines Schranks hinzuziehen müssen. Ein Grund, der unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs eine „heimliche“ Durchsuchung hätte rechtfertigen können, liegt nicht vor.

31

(1) Eine in Anwesenheit des Arbeitnehmers durchgeführte Schrankkontrolle ist gegenüber einer heimlichen Durchsuchung das mildere Mittel. Die Kontrolle in seinem Beisein gibt dem Arbeitnehmer nicht nur die Möglichkeit, auf die Art und Weise ihrer Durchführung Einfluss zu nehmen. Er kann sie uU - etwa durch freiwillige Herausgabe gesuchter Gegenstände - sogar ganz abwenden. Die verdeckte Ermittlung führt ferner dazu, dass dem Betroffenen vorbeugender Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher Rechtsschutz erschwert wird. Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden Maßnahme erhöht typischerweise das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 21 mwN, BAGE 127, 276).

32

(2) Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass eine Kontrolle im Beisein des Klägers gegenüber der heimlichen weniger effektiv gewesen wäre. Zwar mögen „ertappte“ Arbeitnehmer im Falle offener Kontrollen einwenden können, sie hätten die bei ihnen aufgefundene, unbezahlte Ware vor Verlassen des Betriebs noch bezahlen wollen. Eine solche Einlassung ist aber auch bei heimlich durchgeführter Kontrolle nicht auszuschließen. Im Streitfall kommt - ausgehend vom eigenen Vorbringen der Beklagten - hinzu, dass die Etiketten der im Besitz des Klägers vermuteten Unterwäsche im Abfall der Getränkeabteilung gefunden worden waren. Dies hätte - als wahr unterstellt - eine (mögliche) Behauptung des Klägers, er habe die in seinem Spind gefundene Ware noch bezahlen wollen, ohne Weiteres als Schutzbehauptung entlarvt. Das gilt erst recht, wenn im Betrieb die Anweisung bestanden haben sollte, keinerlei für den Verkauf bestimmte Ware im Spind aufzubewahren. Dagegen kann die Beklagte nicht erfolgreich einwenden, in ihren Märkten würden gelegentlich auch nicht ausgezeichnete Waren zum Verkauf angeboten. Darauf musste es dem Landesarbeitsgericht in Anbetracht des von der Beklagten unterbreiteten Geschehensablaufs nicht ankommen. Aus diesem Grund ist auch die von der Beklagten im vorliegenden Zusammenhang erhobene Rüge, das Landesarbeitsgericht habe gegen seine Hinweispflicht verstoßen, nicht berechtigt.

33

(3) Es kann dahinstehen, ob schon diese Begründung des Landesarbeitsgerichts seine Entscheidung trägt. Die Schrankkontrolle erweist sich jedenfalls mit Blick auf die beabsichtigte anschließende Taschen-/Personenkontrolle als unverhältnismäßig. Mit seiner entsprechenden Würdigung hat das Landesarbeitsgericht nicht, wie die Beklagte offenbar meint, eine allgemeine, gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern angeordnete Taschenkontrolle oder eine Videoüberwachung als „milderes Mittel“ angesehen. Es hat einen überschießenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers vielmehr darin erblickt, dass die heimliche Schrankkontrolle lediglich der Vorbereitung einer geplanten Taschenkontrolle diente und deshalb nicht zwingend erforderlich war. Die Würdigung ist rechtsfehlerfrei. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, sie habe abwarten wollen, ob der Kläger die Ware bis Dienstschluss noch bezahle. Dies kann nur so verstanden werden, dass auch sie selbst - aus der maßgebenden Sicht ex ante - in der Ausgangskontrolle das effektivere Mittel erblickt hatte, den Kläger zu überführen. Die Schrankdurchsuchung sollte lediglich dazu dienen, die Grundlage für eine passgenaue Taschenkontrolle zu schaffen. Das reicht nicht aus, um den mit der verdeckten Durchsuchung verbundenen intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass Arbeitnehmer in großen Einkaufsmärkten während der Geschäftszeiten in aller Regel - so auch hier - mehrere Möglichkeiten haben, den Arbeitsplatz zu verlassen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, weshalb sie den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten nicht durch eine intensivere Beobachtung des Klägers hätte begegnen können. Eine plausible Begründung dafür, dass sie nicht den Kündigungssachverhalt ebensogut durch eine (Personen-)Kontrolle des Klägers beim Verlassen des Marktes und ggf. eine anschließende - offene - Schrankkontrolle hätte aufklären können, hat sie nicht gegeben.

34

(4) Zu Unrecht meint die Beklagte, ihr müsse hinsichtlich mehrerer zur Verfügung stehender Aufklärungsmöglichkeiten ein Bewertungsspielraum zugebilligt werden; nicht jeder „Fehlgriff“ dürfe zur Unverhältnismäßigkeit der gewählten Maßnahme führen. Es ist stattdessen nicht Sache des Arbeitgebers, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer Arbeitnehmer Schutz vor Eingriffen in ihr Persönlichkeitsrecht beanspruchen können. Wie Sachverhalte zu beurteilen sind, bei denen der Arbeitgeber unter mehreren gleich effektiven Aufklärungsmaßnahmen diejenige ergreift, die den Arbeitnehmer - geringfügig - stärker belastet, bedarf keiner Entscheidung; so liegt der Streitfall nicht.

35

(5) Die - bestrittene - Behauptung der Beklagten, ihre Vorgehensweise sei mit zwei Mitgliedern des Betriebsrats abgestimmt gewesen, von denen eines an der Kontrolle teilgenommen habe, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Aus persönlichkeitsrechtlicher und datenschutzrechtlicher Sicht ist der Eingriff deshalb nicht weniger intensiv. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Privatsphäre des Arbeitnehmers umso stärker verletzt wird, je mehr Personen ohne sein Einverständnis an dem Eingriff beteiligt sind (vgl. Brink jurisPR-ArbR 20/2013).

36

(6) Eine Beweiserhebung über das Ergebnis der Schrankdurchsuchung war deshalb ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Kläger am 4. März 2011 - wie von der Beklagten behauptet - einer Ausgangskontrolle bewusst entzogen haben sollte. Dies ändert nichts an der Unverhältnismäßigkeit der von der Beklagten ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen.

37

hh) Auf die Frage, ob Personalaufenthaltsräume einschließlich dort vorhandener Schränke als „Wohnung“ iSv. Art. 13 GG zu qualifizieren sind(bejahend für nicht allgemein zugängliche Personalaufenthaltsräume Papier in Maunz/Dürig <2013> Art. 13 GG Rn. 11) und ob die Erkenntnisse aus einer heimlichen Schrankdurchsuchung durch den Arbeitgeber auch mit Blick auf Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO einem Verwertungsverbot unterliegen, kommt es nicht an. Ebenso wenig braucht der Frage nachgegangen zu werden, ob die Beklagte ihre Erkenntnisse aus der Schrankkontrolle mitbestimmungswidrig erlangt hat (zur Problematik vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 26).

38

6. Auch wenn die Beklagte den Beweis fällig geblieben ist, dass der Kläger tatsächlich Unterwäsche entwendet hat, folgt daraus nicht notwendig, dass ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. Die Beklagte hat die Kündigung auch auf den Verdacht der rechtswidrigen Entwendung gestützt. Dies war ihr prozessual - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht deshalb verwehrt, weil sie den Betriebsrat zu diesem Kündigungsgrund nicht ordnungsgemäß angehört hätte. Zum einen ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass der Betriebsrat erkennen konnte, er solle auch zu einer Verdachtskündigung angehört werden. Zum anderen setzt die gerichtliche Würdigung, der Arbeitgeber sei mangels Anhörung des Betriebsrats gehindert, sich auf bestimmte Kündigungsgründe zu berufen, voraus, dass die Parteien über die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats überhaupt streiten. Daran fehlt es hier.

39

a) Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Eine ohne Anhörung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Dabei steht die nicht ordnungsgemäße Anhörung der unterbliebenen gleich (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13 mwN). Im Falle der auf einen bloßen Verdacht gestützten Kündigung zählt zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats über die Kündigungsgründe die Mitteilung, das Arbeitsverhältnis solle gerade (auch) deshalb gekündigt werden, weil der Arbeitnehmer eines bestimmten rechtswidrigen Verhaltens dringend verdächtig sei. Eine solche Mitteilung gibt dem Betriebsrat weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden im Anhörungsverfahren als eine Unterrichtung wegen einer als erwiesen dargestellten Handlung (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 28, BAGE 137, 54; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe).

40

b) Hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitgeteilt, er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis wegen einer nach dem geschilderten Sachverhalt für erwiesen erachteten Handlung zu kündigen, und stützt er die Kündigung im Prozess bei unverändert gebliebenem Sachverhalt auch darauf, der Arbeitnehmer sei dieser Handlung zumindest verdächtig, so ist er mit dem Kündigungsgrund des Verdachts wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats ausgeschlossen (BAG 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c der Gründe; vgl. auch BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 804/08 - Rn. 24; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 536/02 - Rn. 27).

41

c) Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen wurde der Betriebsrat über die Absicht der Beklagten, eine Kündigung auch wegen des Verdachts eines pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers auszusprechen, ausreichend unterrichtet. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts lässt wesentliche Umstände, die für die Auslegung der Anhörung von Bedeutung sind, außer Acht.

42

aa) Die Beklagte hat sich im Anhörungsschreiben vom 15. März 2011 für die Darstellung der Kündigungsgründe auf ein Protokoll vom 7. März 2011 bezogen. Darin heißt es einleitend, der Kläger habe seit längerer Zeit „unter Verdacht des Diebstahls“ gestanden. Es folgt eine Darstellung tatsächlicher Ereignisse, die sich am 4. März 2011 zugetragen haben sollen, ohne dass die Geschehnisse einer Beurteilung dahingehend unterzogen würden, ob sie den Verdacht aus Sicht der Beklagten endgültig bestätigt oder nur erhärtet haben. Unter diesen Umständen bedarf es für die Annahme, die Beklagte habe ihren Kündigungsentschluss ausschließlich mit einer nachgewiesenen Tat und nicht (auch) mit dem bloßen Verdacht der in Rede stehenden Pflichtwidrigkeit des Klägers begründen wollen, besonderer Anhaltspunkte.

43

bb) Solche Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich, insbesondere dann nicht, wenn der Betriebsrat im Anhörungszeitpunkt auch vom Inhalt eines Gesprächsprotokolls vom 14. März 2011 Kenntnis hatte, wie vom Landesarbeitsgericht zugunsten der Beklagten unterstellt. Sowohl der in dem Protokoll angegebene Betreff „Verdacht des Diebstahls“ als auch der darin enthaltene Hinweis auf die Anhörung des Klägers zu einem gegen ihn gerichteten entsprechenden Verdacht legen vielmehr den Schluss nahe, dass die Beklagte trotz des Ergebnisses ihrer Ermittlungen weiterhin nur von einem - wenngleich verfestigten - Diebstahlsverdacht ausging.

44

d) Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an. Über die Anhörung des Betriebsrats streiten die Parteien nicht mehr.

45

aa) Hat sich der Arbeitnehmer rechtzeitig iSv. §§ 4, 6 KSchG auf eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG berufen, ist es Sache des Arbeitgebers, im Prozess die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats darzulegen und ggf. zu beweisen. Das betreffende Vorbringen des Arbeitgebers hat das mit der Sache befasste Gericht grundsätzlich selbst dann auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, wenn der Arbeitnehmer ihm im weiteren Verlauf des Prozesses nicht nochmals entgegengetreten ist (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 49).

46

bb) Das gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er an der betriebsverfassungsrechtlichen Rüge als solcher nicht mehr festhalte. Dann ist die Wirksamkeit der Kündigung unter dem Aspekt des § 102 Abs. 1 BetrVG nicht zu überprüfen(BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 50). Zwar führt die Rüge des Arbeitnehmers, die Kündigung sei auch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess (BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 26 mwN, BAGE 140, 261). Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Das gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG für die außerordentliche Kündigung entsprechend.

47

cc) Unterliegt es in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht (mehr) berufen zu wollen (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 50). An eine solche Beschränkung des Sachvortrags, die grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz möglich ist, sind die Gerichte selbst dann gebunden, wenn sich aus dem eigenen Vorbringen des Arbeitgebers Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung unter dem betreffenden Gesichtspunkt ergeben.

48

dd) Danach ist die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats hier nicht mehr Streitstoff. Der Kläger hat auf Seite 21 seines - erstinstanzlichen - Schriftsatzes vom 8. August 2011 ausgeführt: „Die Rüge, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde, bleibt nicht aufrechterhalten“. Die sich daraus ergebende Beschränkung des Prozessstoffs hat nicht nur mit Blick auf den Unwirksamkeitsgrund des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG als solchen Bedeutung. Sie verbietet es zugleich, bei der materiell-rechtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung den von der Beklagten geltend gemachten Verdacht außer Acht zu lassen, selbst wenn er dem Betriebsrat nicht explizit als Kündigungsgrund unterbreitet worden sein sollte.

49

(1) Das sich aus einer unvollständigen Unterrichtung des Betriebsrats ergebende Verbot der Berücksichtigung nicht mitgeteilter Kündigungsgründe dient der Absicherung der Beteiligungsrechte aus § 102 BetrVG. Der Betriebsrat soll Gelegenheit haben, im Vorfeld der Kündigung auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen und sein Widerspruchsrecht auszuüben (vgl. BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 608/11 - Rn. 75; 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 2 der Gründe, BAGE 78, 39). Dem widerspräche es, wenn sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess auf Kündigungsgründe berufen könnte, zu denen Stellung zu nehmen der Betriebsrat keine Gelegenheit hatte.

50

(2) Auf ein - betriebsverfassungsrechtlich begründetes - Verbot der Verwertung von Sachvortrag kommt es nur an, wenn sich die Frage nach einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats überhaupt stellt. Erklärt der Arbeitnehmer ausdrücklich, er erhebe insoweit keine Rüge, gibt er zu erkennen, dass die ordnungsgemäße Beteiligung der Arbeitnehmervertretung für den Kündigungsrechtsstreit keine Rolle spielen soll. Der Arbeitgeber hat dann keine Veranlassung (mehr), entsprechenden Vortrag zu leisten oder doch zu vertiefen und/oder entsprechende Beweise zu sichern (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 804/08 - Rn. 24).

51

(3) Ob der Arbeitnehmer den Prozessstoff auch in der Weise einschränken kann, dass er zwar den Unwirksamkeitsgrund des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht geltend machen wolle, wohl aber mögliche Folgen, die sich aus einer objektiv unvollständigen Anhörung für die Beachtlichkeit von Kündigungsgründen im Prozess ergeben, bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Differenzierung gibt die Erklärung des Klägers nichts her.

52

II. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dessen Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

53

1. Dem Feststellungsbegehren des Klägers kann nicht deshalb stattgegeben werden, weil das Vorbringen der Beklagten, aus dem sie einen schwerwiegenden, die außerordentliche Kündigung tragenden Verdacht gegen ihn herleiten will, dafür gänzlich untauglich wäre.

54

2. Ein anderer Grund, der der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung entgegenstünde, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ebenso wenig erkennbar. Es fehlt für eine Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht an der erforderlichen vorhergehenden Anhörung des Klägers. Die Beklagte hatte ihm mit Schreiben vom 5. März 2011 unter Bezug auf eine von ihr erstattete Strafanzeige mitgeteilt, er stehe im Verdacht, am 4. März 2011 Unterwäsche „entnommen“ und diese nach Feierabend „ohne Bezahlung mitgenommen“ zu haben. Sie hatte ihn für den 11. März 2011 zu einem Gespräch darüber geladen. Hilfsweise hatte sie ihm für eine schriftliche Äußerung eine Frist bis zum 14. März 2011 gesetzt. Sie hatte ihn in einem Gespräch am 14. März 2011 nochmals mit den Vorwürfen konfrontiert und ihm erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Kläger lehnte eine konkrete Stellungnahme zu den Vorwürfen ab. Danach ist die Beklagte - auch angesichts der zeitweiligen Erkrankung des Klägers - ihrer Verpflichtung zur Anhörung hinreichend nachgekommen. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.

55

3. Über die materielle Berechtigung der Verdachtskündigung kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit - aus seiner Sicht folgerichtig - keine zureichenden Feststellungen getroffen. Dies wird es - unter der Fragestellung, ob die von der Beklagten vorgebrachten Tatsachen auch ohne das Ergebnis der Schrankkontrolle den dringenden Verdacht begründen, der Kläger habe ein Vermögensdelikt zu ihrem Nachteil begangen - nachzuholen haben. Sollte es auf die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung ankommen, wird das Landesarbeitsgericht davon ausgehen müssen, dass auch diese nicht wegen erwiesener Tat gerechtfertigt ist. Insoweit gelten die Ausführungen zur fristlosen Kündigung gleichermaßen.

56

4. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch die Entscheidung über die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

(1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie

1.
zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
2.
zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
3.
zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke
erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen überwiegen. Bei der Videoüberwachung von
1.
öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder
2.
Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs
gilt der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als ein besonders wichtiges Interesse.

(2) Der Umstand der Beobachtung und der Name und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sind durch geeignete Maßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennbar zu machen.

(3) Die Speicherung oder Verwendung von nach Absatz 1 erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen überwiegen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur weiterverarbeitet werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist.

(4) Werden durch Videoüberwachung erhobene Daten einer bestimmten Person zugeordnet, so besteht die Pflicht zur Information der betroffenen Person über die Verarbeitung gemäß den Artikeln 13 und 14 der Verordnung (EU) 2016/679. § 32 gilt entsprechend.

(5) Die Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen einer weiteren Speicherung entgegenstehen.

Tenor

1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2010 - 1 Ca 2998/09 - zurückgewiesen hat.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die 1967 geborene Klägerin war - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts G tätig. Im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung erzielte sie einen monatlichen Bruttoverdienst iHv. 1.406,92 Euro. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7-köpfiger Betriebsrat errichtet ist.

3

In dem Getränkemarkt waren drei Kassen eingerichtet. Über eine Kasse erfolgte die Leergutannahme. Soweit sie nicht zu besetzen waren, wurde den Kassen der Geräteeinsatz mit dem Wechselgeld entnommen. Ursprünglich wurden die Einsätze im zentralen Kassenbüro des Einkaufsmarkts aufbewahrt. Das brachte es mit sich, dass die Kassenmitarbeiter des Getränkemarkts den Einsatz bei Dienstantritt im Kassenbüro abholen und nach Dienstschluss dorthin zurückbringen mussten. Im Kassenbüro erhielten sie auch das Wechselgeld. Diese Gänge entfielen ab Mitte August 2009, nachdem die Beklagte im Getränkemarkt einen Tresor für die Aufbewahrung der Einsätze und des Wechselgelds hatte installieren lassen.

4

Der Umgang mit Geld war für alle Märkte in sog. Kassenanweisungen geregelt. Deren Erhalt hatte die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt. Nach den zuletzt gültigen Regelungen war es Kassenmitarbeitern untersagt, Bargeld in der Dienstkleidung oder im Schubfach des Kassentischs aufzubewahren, Geld aus der Kasse zu entnehmen oder es sich leihweise selbst oder anderen zur Verfügung zu stellen. Geld durfte weder zwischen den Kassenkräften untereinander gewechselt noch nach Geschäftsschluss in den Schubfächern der Kassen aufbewahrt werden. Die Herausgabe zusätzlichen Wechselgelds hatte durch die Marktleitung zu erfolgen. Geldwechselgeschäfte mit Kunden waren untersagt. Geld, das von Kunden liegengelassen wurde, war unmittelbar der Marktleitung auszuhändigen; anschließend sollte es im Büro/Tresor deponiert werden. Im August 2009 erließ die Beklagte zusätzlich eine „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“. Danach sollten „Kassierdifferenzen“ täglich dem Geschäftsleiter gemeldet werden. „Fundgeld“ sollte einmal monatlich „in die 99-er Kasse eingezahlt“, „Klüngelgeld“ einmal pro Woche „auf WGR 700“ gebucht werden.

5

Im Getränkemarkt war seit jeher eine Videokamera installiert. Darüber waren die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden. Die Kamera ermöglichte die Überwachung des Kassenbereichs sowie der Ein- und Ausgänge. Die eigentlichen Kassiervorgänge wurden nicht erfasst.

6

Zur Mitte des Jahres 2009 stellte die Beklagte anlässlich einer Revision fest, dass in der ersten Jahreshälfte Leergutdifferenzen iHv. mehr als 7.000,00 Euro aufgetreten waren. Nachdem Kontrollen des Lagerbestands und des Warenausgangs keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hatten, vermutete sie deren Ursache im Kassenbereich. Sie ging von der Möglichkeit aus, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut „falsche“ Bons gedruckt und entsprechende Gelder der Kasse entnommen würden. Am 7. Juli 2009 vereinbarte sie mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung des Kassenbereichs. Sie beauftragte eine Fachfirma, die in der Zeit vom 13. Juli bis 3. August 2009 die Kassenvorgänge mittels Videokamera aufzeichnete. Die der Firma gleichfalls übertragene Auswertung der Aufzeichnungen einschließlich der Erstellung eines Zusammenschnitts und einer Dokumentation war am 3. September 2009 abgeschlossen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sich unter der Leergutkasse des Getränkemarkts ein Plastikbehälter befand, in dem Geld aufbewahrt wurde. Außerdem war zu erkennen, dass die Klägerin am 16. Juli 2009 gegen 8:45 Uhr, am 22. Juli 2009 gegen 16:13 Uhr und am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr diesem Behältnis Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Die Vorgänge als solche sind unstreitig.

7

Am 14. August 2009 hatte die Beklagte der Klägerin wegen eines Verhaltens vom 11. Juli 2009 eine Abmahnung erteilt. An diesem Tag hatte die Klägerin nach Dienstschluss Wechselgeld iHv. 300,00 Euro mit nach Hause genommen, statt es weisungsgemäß im Kassenbüro abzugeben. Die Klägerin hatte sich in einem noch am selben Abend geführten Telefonat auf ein Versehen berufen und das Geld am 12. Juli 2009 bei der Beklagten abgeliefert.

8

Noch am 3. September 2009 führte die Beklagte im Getränkemarkt eine Kontrolle des Kassenbereichs durch; der dort vorgefundene Plastikbehälter enthielt Münzen im Wert von 12,35 Euro. Am 4. September 2009 hörte sie die Klägerin zur Existenz dieser sog. Klüngelgeld-Kasse an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Mit Schreiben vom 8. September 2009 bat sie den Betriebsrat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11. September 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010“.

9

Die Klägerin hat mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 BGB liege nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. „Klüngelgeld-Kassen“ existierten in sämtlichen Bereichen des Einkaufsmarkts. Sie dienten dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet - wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe. Überdies sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Die Klägerin hat Lohnforderungen für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2010 erhoben.

10

Sie hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.506,28 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diversen Teilbeträgen seit unterschiedlichen Zeitpunkten zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Warengutschein über 275,00 Euro auszustellen und auszuhändigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe ihre Vertragspflichten schon durch das unerlaubte Führen einer „schwarzen Kasse“ erheblich verletzt. Darüber hinaus habe sie der fraglichen Kasse Geld in der offenkundigen Absicht entnommen, es für sich zu behalten. Zumindest sei sie einer solchen Tat dringend verdächtig. Die Klägerin habe sich - wie aus den Videoaufnahmen ersichtlich - vor jeder Geldentnahme vergewissert, dass ihr niemand zusehe. Dessen habe es bei redlichem Vorgehen nicht bedurft. Ihre Einlassung, sie habe Geldstücke für den Transport der Kasseneinsätze benötigt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Für entsprechende Zwecke habe ein Einkaufswagen bereitgestanden, der nicht eigens habe ausgelöst werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Videomaterial nicht, dass die Klägerin mitgeführte Geldstücke je in die „Klüngelgeld-Kasse“ zurückgelegt habe. Die Videoaufzeichnungen seien rechtlich verwertbar. Im Zeitpunkt der Beobachtung habe ein hinreichend eingegrenzter Verdacht dahingehend bestanden, dass Leergutdifferenzen durch Unregelmäßigkeiten im Kassenbereich des Getränkemarkts entstünden. Mildere Mittel zur Aufklärung des Verdachts hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Klage - soweit noch von Interesse - in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung von Vergütung nebst Zinsen für die Zeit bis zum 31. März 2010 und zur Aushändigung eines Warengutscheins verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und davon abhängiger Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

13

Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 ist unwirksam. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin richtet, hat keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden.

15

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

16

2. Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zu den Voraussetzungen vgl. nur BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN).

17

3. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich mehrfach Geldstücke aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben, und deshalb „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Im Rahmen seiner Beurteilung, selbst dann sei es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, hat das Landesarbeitsgericht alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zugutegehalten, dass sie durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre hinweg als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies hält sich - auch in Anbetracht der Abmahnung vom 14. August 2009 - im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerin, sie habe am 11. Juli 2009 die Ablieferung des Wechselgeldes aufgrund hohen Arbeitsanfalls schlicht vergessen, nicht entgegengetreten. Bei dem gerügten Verhalten handelt es sich mithin um einen - unbewussten - Ordnungsverstoß, der die Annahme, die Klägerin habe sich bis zu den umstrittenen Geldentnahmen aus der „Klüngelgeld-Kasse“ als vertrauenswürdig erwiesen, nicht, schon gar nicht zwingend infrage zu stellen vermochte.

20

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden sei. Hat der Arbeitnehmer die Integrität von Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich verletzt oder ist er einer solchen Tat dringend verdächtig, beeinträchtigt dies zwar die für die Durchführung der Vertragsbeziehung notwendige Vertrauensgrundlage grundsätzlich unabhängig vom Wert des betroffenen Gegenstands (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, BAGE 134, 349). Das schließt es aber nicht aus, bei der Gewichtung des Kündigungssachverhalts auf die Höhe eines eingetretenen Schadens Bedacht zu nehmen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184). Die im Berufungsurteil getroffene Interessenabwägung ist - anders als die Beklagte meint - nicht deshalb zu beanstanden, weil sich in der fraglichen Kasse am 4. September 2009 Münzen im Wert von etwas mehr als zwölf Euro befanden. Unbeschadet der Frage, ob bei einem Vermögensnachteil in dieser Höhe eine „Geringfügigkeitsschwelle“ überschritten wäre, ist nicht festgestellt, dass die Klägerin im Verdacht stand, sich Geld in diesem Umfang rechtswidrig zugeeignet oder hierzu doch unmittelbar angesetzt zu haben. Im Übrigen handelte es sich bei dem Umgang mit „Klüngelgeld“ um einen Bereich am Rande der Kassentätigkeit, den die Beklagte ausweislich der im August 2009 erlassenen „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“ offenbar selbst für nicht ausreichend geregelt hielt. Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht geeignet ist, das dem - unterstellten - Verdacht zugrundeliegende Verhalten zu rechtfertigen, durfte das Landesarbeitsgericht ihn zugunsten der Klägerin in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen.

21

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Heimlichkeit des dem Verdacht zugrundeliegenden - unterstellten - Verhaltens nicht außer Acht gelassen, wie die Beklagte gemeint hat. Es hat in ihr lediglich keinen Umstand gesehen, der im vorliegenden Fall die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätte. Das hält sich ebenso im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum wie die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem Kind.

22

II. Ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Zwar geht das Landesarbeitsgericht zutreffend von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats aus (1.). Es durfte aber nicht annehmen, die ordentliche Kündigung sei auch materiell-rechtlich als Verdachtskündigung rechtswirksam, weil sie zwar nicht den Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB, wohl aber denen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das, wäre es erwiesen, nicht auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - trotz des Verdachts - nicht unzumutbar(2.). Da das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hat es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten berechtigt wäre. Dies wird es nachzuholen haben. Dabei darf es den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig (3.).

23

1. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

24

a) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“(BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er schon aus seiner eigenen Sicht dem Betriebsrat einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 18; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - zu B I 1 a der Gründe mwN).

25

b) Danach ist die Anhörung inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt.

26

aa) Die Beklagte hat den Betriebsrat am 8. September 2009 schriftlich von ihrer Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des „Verdachts einer Untreue und Unterschlagung“ hilfsweise auch ordentlich zu kündigen. Sie hat ihm dabei die Sozialdaten der Klägerin und die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist mitgeteilt. Außerdem hat sie den Anlass, den Zeitraum und das Ergebnis der Videoüberwachung dargestellt. Selbst wenn sich einzelne Angaben als unzutreffend herausgestellt haben sollten - etwa weil die für den 24. Juli 2009 mitgeteilte Geldentnahme tatsächlich nicht die Klägerin, sondern eine Kollegin betrifft und weder die „Speisung“ der Kasse noch die Geldentnahme vom 22. Juli 2009 in Zusammenhang mit der Entgegennahme von Leergut gestanden haben mögen - genügt die Anhörung den gesetzlichen Anforderungen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst unrichtige oder irreführende Unterrichtung des Betriebsrats vor. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten oder fehlerhaften Deutung von Äußerungen der Klägerin im Anhörungsgespräch vom 4. September 2009, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich. Entscheidend ist, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde. Maßgebend für den Kündigungsentschluss der Beklagten war, dass die Klägerin entgegen eindeutigen Vorgaben Geld, das entweder ihr - der Beklagten - oder ihren Kunden zustand, in einem Plastikbehälter neben der Kasse im Getränkemarkt aufbewahrte, und der damit in Zusammenhang stehende Verdacht, aus diesem Behälter gelegentlich Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Darauf, ob die Klägerin dies zweimal oder dreimal tat, kam es der Beklagten nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Geldentnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bedienung eines Kunden stand.

27

bb) Die Beklagte brauchte den Betriebsrat nicht darüber zu unterrichten, dass die Überwachung mittels Videokamera - wie die Klägerin gemeint hat - unrechtmäßig war. Davon ging sie subjektiv nicht aus. Soweit die Klägerin nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu kündigen, impliziert die von der Beklagten zu ihren - der Klägerin - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht, dass die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reicht wie seine Darlegungslast im Prozess(vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 45; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN).

28

cc) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge hat der Betriebsrat am 10. September 2009 erklärt, er habe die Kündigungsabsicht zur Kenntnis genommen. Das Landesarbeitsgericht hat darin fehlerfrei eine abschließende Stellungnahme erblickt, die es der Beklagten betriebsverfassungsrechtlich ermöglichte, die ordentliche Kündigung am 11. September 2009 zu erklären.

29

2. Dagegen trägt die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 auch materiell-rechtlich für wirksam angesehen hat, seine Würdigung nicht.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin komme zwar nicht als Verursacherin der Leergutdifferenzen in Betracht. Sie stehe aber im dringenden Verdacht, sich fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben. Am 16. Juli und am 22. Juli 2009 habe sie einzelne daraus entnommene Geldstücke in ihre Hosentasche gesteckt. Durch die in Augenschein genommenen Videosequenzen sei bewiesen, dass sie sich bei diesen Handlungen jeweils „versichernd“ in mehrere Richtungen umgesehen habe. Damit habe sie sicherstellen wollen, nicht beobachtet zu werden. Das heimliche Vorgehen spreche für eine Zueignungsabsicht. Zugleich widerlege es ihre Einlassung, die Geldstücke für das Auslösen eines Einkaufswagens benötigt zu haben. Erhärtet werde der Verdacht auf eine Zueignungsabsicht dadurch, dass die Klägerin am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr der fraglichen Kasse mehrere Geldstücke entnommen und gegen Geld aus der Scannerkasse „getauscht“ habe. Überdies sei die Höhe des am 3. September 2009 in dem fraglichen Behälter vorgefundenen Geldbetrags nicht mit dem nur gelegentlichen Auslösen eines Einkaufswagens zu erklären. Gestützt auf diese tatsächlichen Umstände ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, die Kündigung vom 11. September 2009 sei „durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen, bedingt“. Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei „durch die erwiesenen Verdachtsmomente“ irreparabel erschüttert. Die ordentliche Kündigung sei deshalb als gegenüber der außerordentlichen Kündigung milderes Mittel sozial gerechtfertigt.

31

b) Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 11. September 2009 erkennbar als die einer Verdachtskündigung bejaht. Als solche genügt sie den gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht. Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen.

32

aa) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 22; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 470; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 276). Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (vorausgesetzt in BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 42; Bader/Bram-Bram KSchG § 1 Rn. 251). Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

33

bb) Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden, gegensätzlichen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

34

cc) Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, dass selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten. Weder liegt ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers, noch liegt ein Grund in der Person des Arbeitnehmers vor, der die Kündigung „bedingen“ könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten ist - wie stets bei der Verdachtskündigung - nicht erwiesen und der bloße Verdacht auf ein lediglich die ordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten führt nicht zu einem Eignungsmangel.

35

c) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB angenommen, dass das Verhalten, dessen die Klägerin verdächtig ist, eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermöchte. Diese Würdigung hält, wie dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Damit steht zugleich fest, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt.

36

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht deshalb als im Ergebnis richtig dar, weil die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 zwar nicht als Verdachts-, aber doch als sog. Tatkündigung wirksam wäre. Als solche ist sie nicht schon auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Klägerin sozial gerechtfertigt. Um dies auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten beurteilen zu können, fehlt es an Feststellungen und deren Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Diese sind nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Beklagte auf eine erwiesene Pflichtverletzung als Kündigungsgrund prozessual nicht berufen hat und der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung unter diesem Aspekt überdies § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenstünde.

37

a) Das Vorbringen der Klägerin selbst trägt die Kündigung nicht. Die Klägerin hat sich für die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ auf eine in verschiedenen Abteilungen des Betriebs geübte Praxis und überdies darauf berufen, diese sei der Beklagten - zumindest rudimentär - bekannt gewesen. Trifft dies zu, liegt in dem Vorhalten der fraglichen Kasse für sich genommen kein Verhalten, das die Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin, wie sie einräumt, dieser Kasse gelegentlich einzelne Geldstücke entnommen und außerdem darin enthaltene Münzen gegen im Kasseneinsatz befindliche Geldstücke gewechselt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass sie Geldstücke an sich genommen habe, um sich diese rechtswidrig zuzueignen, hat die Klägerin stets in Abrede gestellt.

38

b) Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Auch wenn die Beklagte neben dem Führen der „Klüngelgeld-Kasse“ als solchem nur den Verdacht auf die rechtswidrige Zueignung von Geldstücken als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat, ist das Landesarbeitsgericht nicht gehindert, aufgrund der objektiven Verdachtsumstände ggf. zu der Überzeugung zu gelangen, der Verdacht habe sich in der Weise bestätigt, dass die fragliche Pflichtwidrigkeit nachgewiesen sei.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht würde auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigen, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 131, 155). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 26, BAGE 137, 54; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, BAGE 134, 349).

40

bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit ersichtlich weder eine positive noch eine negative Überzeugung gebildet, weil es schon den Verdacht auf eine Zueignungsabsicht der Klägerin als Grund für die ordentliche Kündigung hat ausreichen lassen. Die Beklagte darf nach Aufhebung des für sie günstigen Berufungsurteils nicht um die prozessuale Chance gebracht werden, dass das Landesarbeitsgericht auf der Basis der Rechtsauffassung des Senats die mögliche Erwiesenheit einer Pflichtwidrigkeit der Klägerin geprüft und dabei eine für sie - die Beklagte - günstige Überzeugung gewonnen hätte.

41

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat am 8. September 2009 sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur - möglichen - Überzeugung des Landesarbeitsgerichts auch den Tatvorwurf begründen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, BAGE 134, 349; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 131, 155). In diesem Fall wäre dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat würde dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, aaO; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 217).

42

d) Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.

43

aa) Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

44

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 15, BAGE 127, 276). Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

45

cc) Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (für das DSG NRW vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG prägt das deutsche Datenschutzrecht(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

46

(1) In diesem Sinne regelt § 6b BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329, S. 38). Unerheblich ist, ob das Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die dort beschäftigten Arbeitnehmer sind (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 36). Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

47

(2) Gemäß dem zum 1. September 2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

48

dd) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kassen des Getränkemarkts vom übrigen Verkaufsraum abgegrenzt waren und die verdeckte Videoüberwachung deshalb keinen „öffentlichen Raum“ iSd. § 6b BDSG betraf(zur Problematik Simitis/Scholz BDSG 7. Aufl. § 6b Rn. 51; Bayreuther NZA 2005, 1038). Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. Ebenso kann offen bleiben, ob § 32 BDSG auf Überwachungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten bereits beendet waren, und wie der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem des § 6b BDSG abzugrenzen ist(dazu ErfK/Franzen 13. Aufl. § 6b BDSG Rn. 2; Simitis/Scholz aaO; Bayreuther DB 2012, 2222). Schließlich kann dahinstehen, ob Videoaufzeichnungen, die nicht von den Erlaubnistatbeständen des BDSG gedeckt sind, ohne Weiteres einem prozessualen Beweisverwertungsverbot unterliegen oder ob es für ein solches Verbot einer weitergehenden Abwägung der betroffenen Grundrechte bedarf, in die freilich die im Bundesdatenschutzgesetz getroffene Interessenabwägung einzubeziehen wäre (dazu Bayreuther DB 2012, 2222, 2225; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 349; Lunk NZA 2009, 457; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Die Verwertung des verdeckt gewonnenen Videomaterials allein für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich bei der - als solcher unstreitigen - Entnahme von „Klüngelgeld“ „versichernd umgeschaut“, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig.

49

(1) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).

50

(2) Dementsprechend sind Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnungen dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356; 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30 - beide Male vor Inkrafttreten des § 32 BDSG ). Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO).

51

(3) Das in § 6b Abs. 2 BDSG normierte Kennzeichnungsgebot steht einer Verwertung von Daten, die aus einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, nicht zwingend entgegen(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 41; Bauer/Schansker NJW 2012, 3537; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; wohl auch Bayreuther DB 2012, 2222 ff.). Das gegenteilige Normverständnis, das zu einem absoluten, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (etwa durch § 100c, § 100h StPO)eingeschränkten Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen führte, begegnete mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Bedenken.

52

(4) Die Regelung des § 32 BDSG baut auf den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf. Nach der Gesetzesbegründung sollte sie diese nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Aufdeckung einer Straftat erforderlich ist, und verlangt insoweit eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten abwägende Einzelfallentscheidung. Diese muss zumindest den schon bisher geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung entsprechen (Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235).

53

(5) Es kann dahinstehen, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG weitergehend verlangt, dass sich der Verdacht auf ein strafbares Verhalten richtet und deshalb auch der Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, ohne dass zugleich ihre Strafbarkeit feststünde, die Beobachtung nicht rechtfertigen könnte. Ebenso kann offenbleiben, ob die Regelung zusätzliche Anforderungen an die personelle Konkretisierung des Verdachts sowie dessen Dokumentation stellt (zweifelnd Bauer/Schansker NJW 2012, 3537, 3539; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Hier fehlt es schon an der Erfüllung der bisher geltenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung und der Verwertung des daraus gewonnenen Materials. Damit liegt auch ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vor.

54

(a) Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. Zwar ist - mangels zulässiger Verfahrensrügen der Revision - davon auszugehen, dass im ersten Halbjahr 2009 im Getränkemarkt Leergutdifferenzen iHv. insgesamt 7.081,63 Euro zu verzeichnen waren. Es ist weder dargetan noch festgestellt, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte ausgeschlossen haben will, dass Leergut nicht etwa aus dem Lager entwendet worden ist. Ihr Vorbringen, sie habe „keine Fehlbestände an Leergut im Lager und im Kassenbereich festgestellt“ bleibt im Allgemeinen haften. Es lässt nicht erkennen, dass sie stichprobenartige Kontrollen ausreichend oft durchgeführt hätte. Überdies macht ihr Vortrag nicht deutlich, ob vergleichbare Fehlbestände schon früher aufgetreten, ob diese ggf. als „auflaufender Posten“ in die Berechnungen des Jahres 2009 eingeflossen sind und wie Fehlbuchungen als mögliche Ursache ausgeschlossen wurden. Selbst wenn die Beklagte die Ursache der Leergutdifferenzen berechtigterweise im Kassenbereich hätte vermuten dürfen, fehlt es an Vortrag und Feststellungen dazu, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So ist nicht erkennbar, weshalb nicht stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der - einzigen - Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes geeignete Maßnahmen hätten sein können.

55

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt im Übrigen nicht ausreichend, dass der fragliche Kündigungssachverhalt der Beklagten nur „zufällig“ bekannt geworden ist. Auf seine Entdeckung war die heimliche Videoüberwachung nicht gerichtet.

56

(aa) Zwar mögen solche „Zufallsfunde“ - unbeschadet der Regelung in § 6b Abs. 3 BDSG - nicht in jedem Fall deshalb unverwertbar sein, weil sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen(vgl. Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 340; aA wohl Bergwitz NZA 2012, 353, 358). Auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ muss aber das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben.

57

(bb) So liegt es hier. Zwischen den Parteien ist die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin daraus gelegentlich kleinere Geldstücke entnommen hat. Die Beweisaufnahme durch Augenschein sollte allein dem Nachweis dienen, dass sich die Klägerin bei der Geldentnahme „versichernd umgesehen“ hat und deshalb vermutlich Zueignungsabsicht besaß. Das rechtfertigt keine Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen. Zum einen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Verwertung erforderlich war, um die Einlassung der Klägerin zum Fehlen ihrer Zueignungsabsicht zu widerlegen. Zum anderen ist die heimliche Videoüberwachung zum Nachweis der Absicht, sich einige Münzen im Wert von Centbeträgen zuzueignen, schlechthin unverhältnismäßig.

58

(cc) Es erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen einer nochmaligen Beweiswürdigung auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der Videoaufzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das fragliche Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ entnommen, um es für sich zu behalten. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, für das Auslösen eines Einkaufswagens mit Hilfe von „Klüngelgeld“ habe keinerlei dienstliches Bedürfnis bestanden. Zum Zweck des Transports der Kasseneinsätze sei stets ein frei zugänglicher Wagen bereitgestellt worden.

59

III. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, die von der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung abhängen. Wegen der der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche hat die Entscheidung dagegen Bestand. Die gegen sie gerichtete Anschlussrevision der Beklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

60

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden. Der für diese Zeit geltend gemachte Vergütungsanspruch folgt aus § 615 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 5 KSchG iVm. § 11 Nr. 3 KSchG. Er ist der Höhe nach ebenso unstreitig wie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des begehrten Warengutscheins.

61

2. Der entsprechende Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Sowohl der betreffende Antrag der Klägerin als auch der Tenor des Berufungsurteils sind dahin auszulegen, dass - im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruchsübergang - Zinsen nur aus den jeweiligen Bruttobeträgen abzüglich des für den jeweiligen Monat in Anrechnung gebrachten Arbeitslosengelds verlangt bzw. geschuldet sind.

62

IV. Die Zurückverweisung erfasst ferner die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Beide Anträge verfolgt die Klägerin nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Feststellungsbegehren.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    B. Schipp    

        

    Söller    

                 

(1) Die Pflicht zur Information der betroffenen Person gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Verordnung (EU)2016/679besteht ergänzend zu der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Ausnahme dann nicht, wenn die Erteilung der Information über die beabsichtigte Weiterverarbeitung

1.
eine Weiterverarbeitung analog gespeicherter Daten betrifft, bei der sich der Verantwortliche durch die Weiterverarbeitung unmittelbar an die betroffene Person wendet, der Zweck mit dem ursprünglichen Erhebungszweck gemäß der Verordnung (EU)2016/679vereinbar ist, die Kommunikation mit der betroffenen Person nicht in digitaler Form erfolgt und das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere mit Blick auf den Zusammenhang, in dem die Daten erhoben wurden, als gering anzusehen ist,
2.
im Fall einer öffentlichen Stelle die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgaben im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 Buchstabe a bis e der Verordnung (EU) 2016/679 gefährden würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
3.
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
4.
die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen oder
5.
eine vertrauliche Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen gefährden würde.

(2) Unterbleibt eine Information der betroffenen Person nach Maßgabe des Absatzes 1, ergreift der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zum Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Person, einschließlich der Bereitstellung der in Artikel 13 Absatz 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Informationen für die Öffentlichkeit in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache. Der Verantwortliche hält schriftlich fest, aus welchen Gründen er von einer Information abgesehen hat. Die Sätze 1 und 2 finden in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 4 und 5 keine Anwendung.

(3) Unterbleibt die Benachrichtigung in den Fällen des Absatzes 1 wegen eines vorübergehenden Hinderungsgrundes, kommt der Verantwortliche der Informationspflicht unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Verarbeitung innerhalb einer angemessenen Frist nach Fortfall des Hinderungsgrundes, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen, nach.

Tenor

1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2010 - 1 Ca 2998/09 - zurückgewiesen hat.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die 1967 geborene Klägerin war - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts G tätig. Im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung erzielte sie einen monatlichen Bruttoverdienst iHv. 1.406,92 Euro. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7-köpfiger Betriebsrat errichtet ist.

3

In dem Getränkemarkt waren drei Kassen eingerichtet. Über eine Kasse erfolgte die Leergutannahme. Soweit sie nicht zu besetzen waren, wurde den Kassen der Geräteeinsatz mit dem Wechselgeld entnommen. Ursprünglich wurden die Einsätze im zentralen Kassenbüro des Einkaufsmarkts aufbewahrt. Das brachte es mit sich, dass die Kassenmitarbeiter des Getränkemarkts den Einsatz bei Dienstantritt im Kassenbüro abholen und nach Dienstschluss dorthin zurückbringen mussten. Im Kassenbüro erhielten sie auch das Wechselgeld. Diese Gänge entfielen ab Mitte August 2009, nachdem die Beklagte im Getränkemarkt einen Tresor für die Aufbewahrung der Einsätze und des Wechselgelds hatte installieren lassen.

4

Der Umgang mit Geld war für alle Märkte in sog. Kassenanweisungen geregelt. Deren Erhalt hatte die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt. Nach den zuletzt gültigen Regelungen war es Kassenmitarbeitern untersagt, Bargeld in der Dienstkleidung oder im Schubfach des Kassentischs aufzubewahren, Geld aus der Kasse zu entnehmen oder es sich leihweise selbst oder anderen zur Verfügung zu stellen. Geld durfte weder zwischen den Kassenkräften untereinander gewechselt noch nach Geschäftsschluss in den Schubfächern der Kassen aufbewahrt werden. Die Herausgabe zusätzlichen Wechselgelds hatte durch die Marktleitung zu erfolgen. Geldwechselgeschäfte mit Kunden waren untersagt. Geld, das von Kunden liegengelassen wurde, war unmittelbar der Marktleitung auszuhändigen; anschließend sollte es im Büro/Tresor deponiert werden. Im August 2009 erließ die Beklagte zusätzlich eine „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“. Danach sollten „Kassierdifferenzen“ täglich dem Geschäftsleiter gemeldet werden. „Fundgeld“ sollte einmal monatlich „in die 99-er Kasse eingezahlt“, „Klüngelgeld“ einmal pro Woche „auf WGR 700“ gebucht werden.

5

Im Getränkemarkt war seit jeher eine Videokamera installiert. Darüber waren die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden. Die Kamera ermöglichte die Überwachung des Kassenbereichs sowie der Ein- und Ausgänge. Die eigentlichen Kassiervorgänge wurden nicht erfasst.

6

Zur Mitte des Jahres 2009 stellte die Beklagte anlässlich einer Revision fest, dass in der ersten Jahreshälfte Leergutdifferenzen iHv. mehr als 7.000,00 Euro aufgetreten waren. Nachdem Kontrollen des Lagerbestands und des Warenausgangs keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hatten, vermutete sie deren Ursache im Kassenbereich. Sie ging von der Möglichkeit aus, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut „falsche“ Bons gedruckt und entsprechende Gelder der Kasse entnommen würden. Am 7. Juli 2009 vereinbarte sie mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung des Kassenbereichs. Sie beauftragte eine Fachfirma, die in der Zeit vom 13. Juli bis 3. August 2009 die Kassenvorgänge mittels Videokamera aufzeichnete. Die der Firma gleichfalls übertragene Auswertung der Aufzeichnungen einschließlich der Erstellung eines Zusammenschnitts und einer Dokumentation war am 3. September 2009 abgeschlossen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sich unter der Leergutkasse des Getränkemarkts ein Plastikbehälter befand, in dem Geld aufbewahrt wurde. Außerdem war zu erkennen, dass die Klägerin am 16. Juli 2009 gegen 8:45 Uhr, am 22. Juli 2009 gegen 16:13 Uhr und am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr diesem Behältnis Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Die Vorgänge als solche sind unstreitig.

7

Am 14. August 2009 hatte die Beklagte der Klägerin wegen eines Verhaltens vom 11. Juli 2009 eine Abmahnung erteilt. An diesem Tag hatte die Klägerin nach Dienstschluss Wechselgeld iHv. 300,00 Euro mit nach Hause genommen, statt es weisungsgemäß im Kassenbüro abzugeben. Die Klägerin hatte sich in einem noch am selben Abend geführten Telefonat auf ein Versehen berufen und das Geld am 12. Juli 2009 bei der Beklagten abgeliefert.

8

Noch am 3. September 2009 führte die Beklagte im Getränkemarkt eine Kontrolle des Kassenbereichs durch; der dort vorgefundene Plastikbehälter enthielt Münzen im Wert von 12,35 Euro. Am 4. September 2009 hörte sie die Klägerin zur Existenz dieser sog. Klüngelgeld-Kasse an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Mit Schreiben vom 8. September 2009 bat sie den Betriebsrat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11. September 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010“.

9

Die Klägerin hat mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 BGB liege nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. „Klüngelgeld-Kassen“ existierten in sämtlichen Bereichen des Einkaufsmarkts. Sie dienten dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet - wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe. Überdies sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Die Klägerin hat Lohnforderungen für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2010 erhoben.

10

Sie hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.506,28 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diversen Teilbeträgen seit unterschiedlichen Zeitpunkten zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Warengutschein über 275,00 Euro auszustellen und auszuhändigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe ihre Vertragspflichten schon durch das unerlaubte Führen einer „schwarzen Kasse“ erheblich verletzt. Darüber hinaus habe sie der fraglichen Kasse Geld in der offenkundigen Absicht entnommen, es für sich zu behalten. Zumindest sei sie einer solchen Tat dringend verdächtig. Die Klägerin habe sich - wie aus den Videoaufnahmen ersichtlich - vor jeder Geldentnahme vergewissert, dass ihr niemand zusehe. Dessen habe es bei redlichem Vorgehen nicht bedurft. Ihre Einlassung, sie habe Geldstücke für den Transport der Kasseneinsätze benötigt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Für entsprechende Zwecke habe ein Einkaufswagen bereitgestanden, der nicht eigens habe ausgelöst werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Videomaterial nicht, dass die Klägerin mitgeführte Geldstücke je in die „Klüngelgeld-Kasse“ zurückgelegt habe. Die Videoaufzeichnungen seien rechtlich verwertbar. Im Zeitpunkt der Beobachtung habe ein hinreichend eingegrenzter Verdacht dahingehend bestanden, dass Leergutdifferenzen durch Unregelmäßigkeiten im Kassenbereich des Getränkemarkts entstünden. Mildere Mittel zur Aufklärung des Verdachts hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Klage - soweit noch von Interesse - in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung von Vergütung nebst Zinsen für die Zeit bis zum 31. März 2010 und zur Aushändigung eines Warengutscheins verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und davon abhängiger Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

13

Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 ist unwirksam. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin richtet, hat keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden.

15

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

16

2. Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zu den Voraussetzungen vgl. nur BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN).

17

3. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich mehrfach Geldstücke aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben, und deshalb „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Im Rahmen seiner Beurteilung, selbst dann sei es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, hat das Landesarbeitsgericht alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zugutegehalten, dass sie durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre hinweg als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies hält sich - auch in Anbetracht der Abmahnung vom 14. August 2009 - im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerin, sie habe am 11. Juli 2009 die Ablieferung des Wechselgeldes aufgrund hohen Arbeitsanfalls schlicht vergessen, nicht entgegengetreten. Bei dem gerügten Verhalten handelt es sich mithin um einen - unbewussten - Ordnungsverstoß, der die Annahme, die Klägerin habe sich bis zu den umstrittenen Geldentnahmen aus der „Klüngelgeld-Kasse“ als vertrauenswürdig erwiesen, nicht, schon gar nicht zwingend infrage zu stellen vermochte.

20

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden sei. Hat der Arbeitnehmer die Integrität von Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich verletzt oder ist er einer solchen Tat dringend verdächtig, beeinträchtigt dies zwar die für die Durchführung der Vertragsbeziehung notwendige Vertrauensgrundlage grundsätzlich unabhängig vom Wert des betroffenen Gegenstands (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, BAGE 134, 349). Das schließt es aber nicht aus, bei der Gewichtung des Kündigungssachverhalts auf die Höhe eines eingetretenen Schadens Bedacht zu nehmen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184). Die im Berufungsurteil getroffene Interessenabwägung ist - anders als die Beklagte meint - nicht deshalb zu beanstanden, weil sich in der fraglichen Kasse am 4. September 2009 Münzen im Wert von etwas mehr als zwölf Euro befanden. Unbeschadet der Frage, ob bei einem Vermögensnachteil in dieser Höhe eine „Geringfügigkeitsschwelle“ überschritten wäre, ist nicht festgestellt, dass die Klägerin im Verdacht stand, sich Geld in diesem Umfang rechtswidrig zugeeignet oder hierzu doch unmittelbar angesetzt zu haben. Im Übrigen handelte es sich bei dem Umgang mit „Klüngelgeld“ um einen Bereich am Rande der Kassentätigkeit, den die Beklagte ausweislich der im August 2009 erlassenen „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“ offenbar selbst für nicht ausreichend geregelt hielt. Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht geeignet ist, das dem - unterstellten - Verdacht zugrundeliegende Verhalten zu rechtfertigen, durfte das Landesarbeitsgericht ihn zugunsten der Klägerin in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen.

21

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Heimlichkeit des dem Verdacht zugrundeliegenden - unterstellten - Verhaltens nicht außer Acht gelassen, wie die Beklagte gemeint hat. Es hat in ihr lediglich keinen Umstand gesehen, der im vorliegenden Fall die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätte. Das hält sich ebenso im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum wie die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem Kind.

22

II. Ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Zwar geht das Landesarbeitsgericht zutreffend von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats aus (1.). Es durfte aber nicht annehmen, die ordentliche Kündigung sei auch materiell-rechtlich als Verdachtskündigung rechtswirksam, weil sie zwar nicht den Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB, wohl aber denen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das, wäre es erwiesen, nicht auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - trotz des Verdachts - nicht unzumutbar(2.). Da das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hat es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten berechtigt wäre. Dies wird es nachzuholen haben. Dabei darf es den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig (3.).

23

1. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

24

a) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“(BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er schon aus seiner eigenen Sicht dem Betriebsrat einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 18; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - zu B I 1 a der Gründe mwN).

25

b) Danach ist die Anhörung inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt.

26

aa) Die Beklagte hat den Betriebsrat am 8. September 2009 schriftlich von ihrer Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des „Verdachts einer Untreue und Unterschlagung“ hilfsweise auch ordentlich zu kündigen. Sie hat ihm dabei die Sozialdaten der Klägerin und die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist mitgeteilt. Außerdem hat sie den Anlass, den Zeitraum und das Ergebnis der Videoüberwachung dargestellt. Selbst wenn sich einzelne Angaben als unzutreffend herausgestellt haben sollten - etwa weil die für den 24. Juli 2009 mitgeteilte Geldentnahme tatsächlich nicht die Klägerin, sondern eine Kollegin betrifft und weder die „Speisung“ der Kasse noch die Geldentnahme vom 22. Juli 2009 in Zusammenhang mit der Entgegennahme von Leergut gestanden haben mögen - genügt die Anhörung den gesetzlichen Anforderungen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst unrichtige oder irreführende Unterrichtung des Betriebsrats vor. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten oder fehlerhaften Deutung von Äußerungen der Klägerin im Anhörungsgespräch vom 4. September 2009, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich. Entscheidend ist, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde. Maßgebend für den Kündigungsentschluss der Beklagten war, dass die Klägerin entgegen eindeutigen Vorgaben Geld, das entweder ihr - der Beklagten - oder ihren Kunden zustand, in einem Plastikbehälter neben der Kasse im Getränkemarkt aufbewahrte, und der damit in Zusammenhang stehende Verdacht, aus diesem Behälter gelegentlich Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Darauf, ob die Klägerin dies zweimal oder dreimal tat, kam es der Beklagten nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Geldentnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bedienung eines Kunden stand.

27

bb) Die Beklagte brauchte den Betriebsrat nicht darüber zu unterrichten, dass die Überwachung mittels Videokamera - wie die Klägerin gemeint hat - unrechtmäßig war. Davon ging sie subjektiv nicht aus. Soweit die Klägerin nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu kündigen, impliziert die von der Beklagten zu ihren - der Klägerin - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht, dass die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reicht wie seine Darlegungslast im Prozess(vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 45; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN).

28

cc) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge hat der Betriebsrat am 10. September 2009 erklärt, er habe die Kündigungsabsicht zur Kenntnis genommen. Das Landesarbeitsgericht hat darin fehlerfrei eine abschließende Stellungnahme erblickt, die es der Beklagten betriebsverfassungsrechtlich ermöglichte, die ordentliche Kündigung am 11. September 2009 zu erklären.

29

2. Dagegen trägt die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 auch materiell-rechtlich für wirksam angesehen hat, seine Würdigung nicht.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin komme zwar nicht als Verursacherin der Leergutdifferenzen in Betracht. Sie stehe aber im dringenden Verdacht, sich fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben. Am 16. Juli und am 22. Juli 2009 habe sie einzelne daraus entnommene Geldstücke in ihre Hosentasche gesteckt. Durch die in Augenschein genommenen Videosequenzen sei bewiesen, dass sie sich bei diesen Handlungen jeweils „versichernd“ in mehrere Richtungen umgesehen habe. Damit habe sie sicherstellen wollen, nicht beobachtet zu werden. Das heimliche Vorgehen spreche für eine Zueignungsabsicht. Zugleich widerlege es ihre Einlassung, die Geldstücke für das Auslösen eines Einkaufswagens benötigt zu haben. Erhärtet werde der Verdacht auf eine Zueignungsabsicht dadurch, dass die Klägerin am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr der fraglichen Kasse mehrere Geldstücke entnommen und gegen Geld aus der Scannerkasse „getauscht“ habe. Überdies sei die Höhe des am 3. September 2009 in dem fraglichen Behälter vorgefundenen Geldbetrags nicht mit dem nur gelegentlichen Auslösen eines Einkaufswagens zu erklären. Gestützt auf diese tatsächlichen Umstände ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, die Kündigung vom 11. September 2009 sei „durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen, bedingt“. Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei „durch die erwiesenen Verdachtsmomente“ irreparabel erschüttert. Die ordentliche Kündigung sei deshalb als gegenüber der außerordentlichen Kündigung milderes Mittel sozial gerechtfertigt.

31

b) Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 11. September 2009 erkennbar als die einer Verdachtskündigung bejaht. Als solche genügt sie den gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht. Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen.

32

aa) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 22; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 470; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 276). Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (vorausgesetzt in BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 42; Bader/Bram-Bram KSchG § 1 Rn. 251). Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

33

bb) Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden, gegensätzlichen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

34

cc) Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, dass selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten. Weder liegt ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers, noch liegt ein Grund in der Person des Arbeitnehmers vor, der die Kündigung „bedingen“ könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten ist - wie stets bei der Verdachtskündigung - nicht erwiesen und der bloße Verdacht auf ein lediglich die ordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten führt nicht zu einem Eignungsmangel.

35

c) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB angenommen, dass das Verhalten, dessen die Klägerin verdächtig ist, eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermöchte. Diese Würdigung hält, wie dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Damit steht zugleich fest, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt.

36

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht deshalb als im Ergebnis richtig dar, weil die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 zwar nicht als Verdachts-, aber doch als sog. Tatkündigung wirksam wäre. Als solche ist sie nicht schon auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Klägerin sozial gerechtfertigt. Um dies auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten beurteilen zu können, fehlt es an Feststellungen und deren Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Diese sind nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Beklagte auf eine erwiesene Pflichtverletzung als Kündigungsgrund prozessual nicht berufen hat und der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung unter diesem Aspekt überdies § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenstünde.

37

a) Das Vorbringen der Klägerin selbst trägt die Kündigung nicht. Die Klägerin hat sich für die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ auf eine in verschiedenen Abteilungen des Betriebs geübte Praxis und überdies darauf berufen, diese sei der Beklagten - zumindest rudimentär - bekannt gewesen. Trifft dies zu, liegt in dem Vorhalten der fraglichen Kasse für sich genommen kein Verhalten, das die Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin, wie sie einräumt, dieser Kasse gelegentlich einzelne Geldstücke entnommen und außerdem darin enthaltene Münzen gegen im Kasseneinsatz befindliche Geldstücke gewechselt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass sie Geldstücke an sich genommen habe, um sich diese rechtswidrig zuzueignen, hat die Klägerin stets in Abrede gestellt.

38

b) Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Auch wenn die Beklagte neben dem Führen der „Klüngelgeld-Kasse“ als solchem nur den Verdacht auf die rechtswidrige Zueignung von Geldstücken als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat, ist das Landesarbeitsgericht nicht gehindert, aufgrund der objektiven Verdachtsumstände ggf. zu der Überzeugung zu gelangen, der Verdacht habe sich in der Weise bestätigt, dass die fragliche Pflichtwidrigkeit nachgewiesen sei.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht würde auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigen, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 131, 155). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 26, BAGE 137, 54; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, BAGE 134, 349).

40

bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit ersichtlich weder eine positive noch eine negative Überzeugung gebildet, weil es schon den Verdacht auf eine Zueignungsabsicht der Klägerin als Grund für die ordentliche Kündigung hat ausreichen lassen. Die Beklagte darf nach Aufhebung des für sie günstigen Berufungsurteils nicht um die prozessuale Chance gebracht werden, dass das Landesarbeitsgericht auf der Basis der Rechtsauffassung des Senats die mögliche Erwiesenheit einer Pflichtwidrigkeit der Klägerin geprüft und dabei eine für sie - die Beklagte - günstige Überzeugung gewonnen hätte.

41

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat am 8. September 2009 sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur - möglichen - Überzeugung des Landesarbeitsgerichts auch den Tatvorwurf begründen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, BAGE 134, 349; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 131, 155). In diesem Fall wäre dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat würde dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, aaO; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 217).

42

d) Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.

43

aa) Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

44

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 15, BAGE 127, 276). Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

45

cc) Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (für das DSG NRW vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG prägt das deutsche Datenschutzrecht(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

46

(1) In diesem Sinne regelt § 6b BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329, S. 38). Unerheblich ist, ob das Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die dort beschäftigten Arbeitnehmer sind (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 36). Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

47

(2) Gemäß dem zum 1. September 2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

48

dd) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kassen des Getränkemarkts vom übrigen Verkaufsraum abgegrenzt waren und die verdeckte Videoüberwachung deshalb keinen „öffentlichen Raum“ iSd. § 6b BDSG betraf(zur Problematik Simitis/Scholz BDSG 7. Aufl. § 6b Rn. 51; Bayreuther NZA 2005, 1038). Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. Ebenso kann offen bleiben, ob § 32 BDSG auf Überwachungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten bereits beendet waren, und wie der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem des § 6b BDSG abzugrenzen ist(dazu ErfK/Franzen 13. Aufl. § 6b BDSG Rn. 2; Simitis/Scholz aaO; Bayreuther DB 2012, 2222). Schließlich kann dahinstehen, ob Videoaufzeichnungen, die nicht von den Erlaubnistatbeständen des BDSG gedeckt sind, ohne Weiteres einem prozessualen Beweisverwertungsverbot unterliegen oder ob es für ein solches Verbot einer weitergehenden Abwägung der betroffenen Grundrechte bedarf, in die freilich die im Bundesdatenschutzgesetz getroffene Interessenabwägung einzubeziehen wäre (dazu Bayreuther DB 2012, 2222, 2225; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 349; Lunk NZA 2009, 457; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Die Verwertung des verdeckt gewonnenen Videomaterials allein für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich bei der - als solcher unstreitigen - Entnahme von „Klüngelgeld“ „versichernd umgeschaut“, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig.

49

(1) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).

50

(2) Dementsprechend sind Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnungen dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356; 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30 - beide Male vor Inkrafttreten des § 32 BDSG ). Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO).

51

(3) Das in § 6b Abs. 2 BDSG normierte Kennzeichnungsgebot steht einer Verwertung von Daten, die aus einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, nicht zwingend entgegen(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 41; Bauer/Schansker NJW 2012, 3537; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; wohl auch Bayreuther DB 2012, 2222 ff.). Das gegenteilige Normverständnis, das zu einem absoluten, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (etwa durch § 100c, § 100h StPO)eingeschränkten Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen führte, begegnete mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Bedenken.

52

(4) Die Regelung des § 32 BDSG baut auf den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf. Nach der Gesetzesbegründung sollte sie diese nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Aufdeckung einer Straftat erforderlich ist, und verlangt insoweit eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten abwägende Einzelfallentscheidung. Diese muss zumindest den schon bisher geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung entsprechen (Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235).

53

(5) Es kann dahinstehen, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG weitergehend verlangt, dass sich der Verdacht auf ein strafbares Verhalten richtet und deshalb auch der Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, ohne dass zugleich ihre Strafbarkeit feststünde, die Beobachtung nicht rechtfertigen könnte. Ebenso kann offenbleiben, ob die Regelung zusätzliche Anforderungen an die personelle Konkretisierung des Verdachts sowie dessen Dokumentation stellt (zweifelnd Bauer/Schansker NJW 2012, 3537, 3539; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Hier fehlt es schon an der Erfüllung der bisher geltenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung und der Verwertung des daraus gewonnenen Materials. Damit liegt auch ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vor.

54

(a) Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. Zwar ist - mangels zulässiger Verfahrensrügen der Revision - davon auszugehen, dass im ersten Halbjahr 2009 im Getränkemarkt Leergutdifferenzen iHv. insgesamt 7.081,63 Euro zu verzeichnen waren. Es ist weder dargetan noch festgestellt, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte ausgeschlossen haben will, dass Leergut nicht etwa aus dem Lager entwendet worden ist. Ihr Vorbringen, sie habe „keine Fehlbestände an Leergut im Lager und im Kassenbereich festgestellt“ bleibt im Allgemeinen haften. Es lässt nicht erkennen, dass sie stichprobenartige Kontrollen ausreichend oft durchgeführt hätte. Überdies macht ihr Vortrag nicht deutlich, ob vergleichbare Fehlbestände schon früher aufgetreten, ob diese ggf. als „auflaufender Posten“ in die Berechnungen des Jahres 2009 eingeflossen sind und wie Fehlbuchungen als mögliche Ursache ausgeschlossen wurden. Selbst wenn die Beklagte die Ursache der Leergutdifferenzen berechtigterweise im Kassenbereich hätte vermuten dürfen, fehlt es an Vortrag und Feststellungen dazu, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So ist nicht erkennbar, weshalb nicht stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der - einzigen - Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes geeignete Maßnahmen hätten sein können.

55

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt im Übrigen nicht ausreichend, dass der fragliche Kündigungssachverhalt der Beklagten nur „zufällig“ bekannt geworden ist. Auf seine Entdeckung war die heimliche Videoüberwachung nicht gerichtet.

56

(aa) Zwar mögen solche „Zufallsfunde“ - unbeschadet der Regelung in § 6b Abs. 3 BDSG - nicht in jedem Fall deshalb unverwertbar sein, weil sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen(vgl. Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 340; aA wohl Bergwitz NZA 2012, 353, 358). Auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ muss aber das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben.

57

(bb) So liegt es hier. Zwischen den Parteien ist die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin daraus gelegentlich kleinere Geldstücke entnommen hat. Die Beweisaufnahme durch Augenschein sollte allein dem Nachweis dienen, dass sich die Klägerin bei der Geldentnahme „versichernd umgesehen“ hat und deshalb vermutlich Zueignungsabsicht besaß. Das rechtfertigt keine Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen. Zum einen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Verwertung erforderlich war, um die Einlassung der Klägerin zum Fehlen ihrer Zueignungsabsicht zu widerlegen. Zum anderen ist die heimliche Videoüberwachung zum Nachweis der Absicht, sich einige Münzen im Wert von Centbeträgen zuzueignen, schlechthin unverhältnismäßig.

58

(cc) Es erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen einer nochmaligen Beweiswürdigung auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der Videoaufzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das fragliche Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ entnommen, um es für sich zu behalten. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, für das Auslösen eines Einkaufswagens mit Hilfe von „Klüngelgeld“ habe keinerlei dienstliches Bedürfnis bestanden. Zum Zweck des Transports der Kasseneinsätze sei stets ein frei zugänglicher Wagen bereitgestellt worden.

59

III. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, die von der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung abhängen. Wegen der der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche hat die Entscheidung dagegen Bestand. Die gegen sie gerichtete Anschlussrevision der Beklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

60

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden. Der für diese Zeit geltend gemachte Vergütungsanspruch folgt aus § 615 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 5 KSchG iVm. § 11 Nr. 3 KSchG. Er ist der Höhe nach ebenso unstreitig wie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des begehrten Warengutscheins.

61

2. Der entsprechende Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Sowohl der betreffende Antrag der Klägerin als auch der Tenor des Berufungsurteils sind dahin auszulegen, dass - im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruchsübergang - Zinsen nur aus den jeweiligen Bruttobeträgen abzüglich des für den jeweiligen Monat in Anrechnung gebrachten Arbeitslosengelds verlangt bzw. geschuldet sind.

62

IV. Die Zurückverweisung erfasst ferner die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Beide Anträge verfolgt die Klägerin nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Feststellungsbegehren.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    B. Schipp    

        

    Söller    

                 

(1) Die Pflicht zur Information der betroffenen Person gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Verordnung (EU)2016/679besteht ergänzend zu der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Ausnahme dann nicht, wenn die Erteilung der Information über die beabsichtigte Weiterverarbeitung

1.
eine Weiterverarbeitung analog gespeicherter Daten betrifft, bei der sich der Verantwortliche durch die Weiterverarbeitung unmittelbar an die betroffene Person wendet, der Zweck mit dem ursprünglichen Erhebungszweck gemäß der Verordnung (EU)2016/679vereinbar ist, die Kommunikation mit der betroffenen Person nicht in digitaler Form erfolgt und das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere mit Blick auf den Zusammenhang, in dem die Daten erhoben wurden, als gering anzusehen ist,
2.
im Fall einer öffentlichen Stelle die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgaben im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 Buchstabe a bis e der Verordnung (EU) 2016/679 gefährden würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
3.
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen,
4.
die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen oder
5.
eine vertrauliche Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen gefährden würde.

(2) Unterbleibt eine Information der betroffenen Person nach Maßgabe des Absatzes 1, ergreift der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zum Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Person, einschließlich der Bereitstellung der in Artikel 13 Absatz 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Informationen für die Öffentlichkeit in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache. Der Verantwortliche hält schriftlich fest, aus welchen Gründen er von einer Information abgesehen hat. Die Sätze 1 und 2 finden in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 4 und 5 keine Anwendung.

(3) Unterbleibt die Benachrichtigung in den Fällen des Absatzes 1 wegen eines vorübergehenden Hinderungsgrundes, kommt der Verantwortliche der Informationspflicht unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Verarbeitung innerhalb einer angemessenen Frist nach Fortfall des Hinderungsgrundes, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen, nach.

*

(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.

(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn

1.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
2.
der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist, oder
3.
im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.

(3) Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung.

(4) Der Gläubiger kann bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.

(5) Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, so kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, so kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

(6) Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.

Tenor

1. Die Revision des Klägers und die Anschlussrevision der Beklagten zu 1) bis 3) gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 17. November 2010 - 4 Sa 795/07 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger zu ¼, die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu ¾ zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten. Der Kläger macht zudem Vergütungsansprüche geltend.

2

Der 1963 geborene Kläger war seit 1992 bei der Beklagten zu 1) beschäftigt, seit Januar 1997 als Leiter der Abteilung Baufinanzierung. Die Beklagte zu 1), eine Bausparkasse, erteilte ihm zum 1. Januar 2001 Prokura. Der Kläger bezog ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 8.155,19 Euro.

3

Mit Schreiben vom 4. Dezember 1997 und 5. April 2006 traten die Beklagten zu 2) und 3) dem Arbeitsverhältnis im Einverständnis mit dem Kläger als weitere Arbeitgeberinnen bei.

4

Durch Rundschreiben vom 8. August 2002 wurden die Mitarbeiter, die Abteilungsleiter am 9. August 2002 außerdem im Rahmen einer Konzern-Abteilungsleiterbesprechung, darauf hingewiesen, dass jegliche private Nutzung von Internet, Intranet und E-Mail untersagt sei und sie auch bei einem einmaligen Verstoß mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Abmahnung, Kündigung)“ rechnen müssten.

5

Bei einer Überprüfung des Internetzugangs des Klägers wurde festgestellt, dass über diesen in der Zeit vom 13. Oktober 2006 bis 2. November 2006 in erheblichem Umfang auf Internetseiten mit pornografischen Inhalten zugegriffen worden war.

6

Die Beklagten hörten mit Schreiben vom 17. November 2006 den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten, mit Schreiben vom 20. November 2006 vorsorglich auch den Betriebsrat der Zentrale zu einer beabsichtigten außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an.

7

Der Sprecherausschuss stimmte den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 20. November 2006 zu. Der Betriebsrat teilte am gleichen Tag mit, gegen die beabsichtigten Kündigungen keine Bedenken zu haben.

8

Mit drei Schreiben jeweils vom 21. November 2006 kündigten die Beklagten jede für sich das Arbeitsverhältnis fristlos und vorsorglich ordentlich zum 30. Juni 2007.

9

Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und zugleich Zahlung der Vergütung für den vollen Monat November und für Dezember 2006 begehrt. Er hat die außerordentliche ebenso wie die ordentliche Kündigung für unwirksam gehalten. Die - von ihm eingestandene - private Internetnutzung rechtfertige allenfalls eine Abmahnung. Für ihn hätten keine festen Arbeitszeiten gegolten. Er habe durch die private Nutzung des Internets seine Arbeit nicht vernachlässigt, die privat verwandte Zeit vielmehr wieder „eingearbeitet“. Er habe zwar auch auf Seiten zugegriffen, die sich mit Erotik im weitesten Sinne befassten, aber keine pornografischen Seiten oder solche mit strafbarem Inhalt geöffnet.

10

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die ordentliche Kündigung vom 21. November 2006 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 9.494,16 Euro brutto sowie den Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von 9,37 Euro und den Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 161,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 2.791,26 Euro vom 1. Dezember 2006 bis 31. Dezember 2006 und aus 9.665,43 Euro seit dem 1. Januar 2007 zu zahlen.

11

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, „die Arbeitsverhältnisse“ gegen Zahlung einer Abfindung zum Ablauf des 30. Juni 2007 aufzulösen. Sie haben die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger habe bereits aufgrund der außerordentlichen Kündigung geendet. Dieser habe den Zugriff auf bestimmte Internetseiten eingeräumt. Ein zusätzlicher Missbrauch des Internetzugangs durch Dritte sei ausgeschlossen. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis gerichtlich zum 30. Juni 2007 aufzulösen. Eine den Betriebszwecken dienliche vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kläger sei nicht mehr möglich. Im Übrigen bedürfe der Auflösungsantrag keiner Begründung. Der Kläger sei leitender Angestellter iSd. § 14 Abs. 2 KSchG gewesen. Er habe die Befugnis gehabt, eigenverantwortlich die Mitarbeiter seines Teams einzustellen und zu entlassen. Bei der Stellenbesetzung habe er nur die Anzahl der bewilligten Stellen berücksichtigen müssen.

12

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf den zweitinstanzlich gestellten Auflösungsantrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 111.800,00 Euro zum 30. Juni 2007 aufgelöst. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Abweisung des Auflösungsantrags. Mit ihrer Anschlussrevision verfolgen die Beklagten den Antrag auf Klageabweisung weiter und beantragen hilfsweise, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

13

Revision und Anschlussrevision sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. November 2006 ohne Rechtsfehler als unwirksam erachtet (I.). Auch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand (II.). Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der noch offenen Vergütung für November und Dezember 2006 (III.).

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag ist unbegründet. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung vom 21. November 2006 sei unwirksam, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

15

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, Gegenstand des Kündigungsschutzantrags sei die Beendigung eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die angegriffene Kündigung. Bei den drei im Wesentlichen gleichlautenden Kündigungsschreiben vom 21. November 2006 handelt es sich materiell um eine einheitliche Kündigung dieses Arbeitsverhältnisses durch die daran auf Arbeitgeberseite beteiligten drei Beklagten.

16

a) Ebenso wie auf Arbeitnehmerseite (BAG 21. Oktober 1971 - 2 AZR 17/71 - AP BGB § 611 Gruppenarbeitsverhältnis Nr. 1 mit Anm. Hanau = EzA KSchG § 1 Nr. 23) können auf Arbeitgeberseite mehrere rechtlich selbständige Personen an demselben Arbeitsverhältnis beteiligt sein (BAG 15. Dezember 2011 - 8 AZR 692/10 - Rn. 30, DB 2012, 1690; 27. März 1981 - 7 AZR 523/78 - zu I 1 a der Gründe, BAGE 37, 1 = AP BGB § 611 Arbeitgebergruppe Nr. 1 mit Anm. Wiedemann = SAE 1983, 288 mit Anm. Schulin; Schwerdtner ZIP 1982, 900; Linck in v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 75; ErfK/Preis 12. Aufl. § 611 BGB Rn. 191). Stehen mehrere natürliche oder juristische Personen in arbeitsrechtlichen Beziehungen zu demselben Arbeitnehmer, liegen nicht notwendig mehrere getrennte Arbeitsverhältnisse vor. Vielmehr kann auch ein einheitliches Arbeitsverhältnis gegeben sein. Erforderlich ist ein rechtlicher Zusammenhang der arbeitsvertraglichen Beziehungen des Arbeitnehmers zu den einzelnen Arbeitgebern, der es verbietet, diese Beziehungen rechtlich getrennt zu behandeln (BAG 15. Dezember 2011 - 8 AZR 692/10 - aaO; 5. März 1987 - 2 AZR 623/85 - zu B III 5 der Gründe, BAGE 55, 117; 27. März 1981 - 7 AZR 523/78 - aaO; Linck Rn. 76 aaO; ErfK/Preis aaO). Der rechtliche Zusammenhang kann sich insbesondere aus einer Auslegung des Vertragswerks der Parteien ergeben (BAG 15. Dezember 2011 - 8 AZR 692/10 - aaO; 27. März 1981 - 7 AZR 523/78 - zu I 2 b der Gründe, aaO). Nach Maßgabe von §§ 133, 157 BGB ist zu prüfen, ob nach den Vorstellungen der Vertragschließenden die einzelnen Vereinbarungen nur gemeinsam gelten und zusammen durchgeführt werden sollen, dh. Teile eines einzigen Gesamtgeschäfts sein sollen (Linck aaO; vgl. auch ErfK/Preis aaO). Ist dies zu bejahen, kann ein solches einheitliches Arbeitsverhältnis im Regelfall nur von und gegenüber allen auf einer Vertragsseite Beteiligten gekündigt werden (BAG 27. März 1981 - 7 AZR 523/78 - zu II 1 der Gründe, aaO; ErfK/Preis aaO).

17

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, zwischen den Parteien habe ein einheitliches Arbeitsverhältnis bestanden. Die Beklagten zu 2) und 3) sind gemäß Schreiben vom 4. Dezember 1997 und 5. April 2006 dem zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) begründeten Arbeitsverhältnis als weitere Arbeitgeberinnen „beigetreten“. Schon diese Formulierung spricht für die Absicht, keine gesonderten Arbeitsverhältnisse mit dem Kläger zu begründen. Zudem wäre eine nach Arbeitgebern getrennte Durchführung der Vertragsabreden nicht möglich gewesen. In den Beitrittsschreiben ist nur abstrakt bestimmt, der Kläger erbringe nunmehr Tätigkeiten auch für die Beklagte zu 2) bzw. zu 3). Konkrete Tätigkeitsanteile wurden jedoch nicht festgelegt. Diese sollten vielmehr jeweils nachträglich quartalsweise ermittelt werden. Auch der Entgeltanspruch des Klägers wurde nicht auf die nun mehreren Arbeitgeberinnen aufgeschlüsselt. Außerdem war vorgesehen, dass eine Kündigung nur insgesamt für und gegen alle Arbeitgeberinnen ausgesprochen werden konnte. Dies ist die typische Rechtsfolge aus dem Bestehen eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses. Eine Ausnahme von der gemeinsamen Fortführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses war nur für den Fall vorgesehen, dass die Tätigkeit des Klägers für eine der beigetretenen Arbeitgeberinnen zukünftig entfiele. In diesem Fall sollte der Anstellungsvertrag nur mit den übrigen Beklagten fortgeführt werden.

18

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, weder die außerordentliche, noch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten hätten das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die Bestimmungen des § 626 Abs. 1 BGB und § 1 KSchG ohne Rechtsfehler auf den Streitfall angewandt.

19

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

20

aa) Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

21

bb) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zuzumuten ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO ). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33).

22

cc) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, BAGE 134, 349). Einer entsprechenden Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - aaO;  9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - aaO ; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31).

23

b) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78).

24

c) Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden, eine Abmahnung sei im Verhältnis zu einer Kündigung ein den Beklagten zumutbares milderes Mittel der Reaktion auf die Pflichtverletzungen des Klägers gewesen.

25

aa) Das Landesarbeitsgericht hat das Vorbringen der Beklagten zu den Kündigungsgründen als wahr unterstellt, im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die vorzunehmende Interessenabwägung eine vorherige Abmahnung jedoch für nicht entbehrlich gehalten. Das Fehlverhalten des Klägers lasse keine eindeutige negative Prognose zu, selbst wenn man den zeitlichen Umfang der privaten Internetnutzung und den Inhalt der aufgerufenen Seiten zugrunde lege, wie ihn die Beklagten im einzelnen dargelegt hätten. Eine Privatnutzung während der Arbeitszeit sei nicht feststellbar. Der Kläger habe sich darauf berufen, als leitender Angestellter keine festen Arbeitszeiten gehabt zu haben und daher in seiner Pausengestaltung frei gewesen zu sein. Ausgefallene Arbeitszeit habe er in den Abendstunden oder am Wochenende ausgeglichen, er habe seine Arbeitspflichten nicht vernachlässigt und nur während erforderlicher Entspannungs- und Erholungspausen privat im Internet gesurft. Dem seien die Beklagten nicht mit konkreten Tatsachen entgegengetreten. Sie hätten auch nicht näher dargelegt, dass ihnen durch die Privatnutzung des Klägers zusätzliche Kosten entstanden seien. Als kündigungsrelevanter Sachverhalt verblieben damit ein Verstoß gegen das ausdrückliche Verbot der privaten Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses, das Aufrufen von Internetseiten und Herunterladen von Bildmaterial, das zu einer Vireninfizierung des Betriebssystems hätte führen können und eine mögliche Rufschädigung der Beklagten infolge des Aufrufens und Herunterladens der fraglichen Seiten. Zugunsten der Beklagten könne unterstellt werden, dass nur der Kläger der betreffende Nutzer gewesen sei. Auch dann hätten die Beklagten sich angesichts der langen beanstandungsfreien Dauer seines Arbeitsverhältnisses auf den Ausspruch einer Abmahnung beschränken und dem Kläger die Möglichkeit geben müssen, sein Verhalten zu korrigieren. Dies sei auch deshalb geboten, weil der Kläger aufgrund seiner hervorgehobenen Position offenbar davon ausgegangen sei, bei ihm werde eine private Nutzung des Internets in gewissem Umfang hingenommen. Er habe nicht damit rechnen müssen, es würden schon bei einem ersten Verstoß kündigungsrechtliche Konsequenzen gezogen.

26

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar musste dem Kläger angesichts des ausdrücklichen Verbots jeglicher privater Internetnutzung klar sein, dass die Beklagten sein Verhalten als vertragswidrig erachten würden. Es ist aber revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Kläger habe davon ausgehen dürfen, die Beklagten würden auf einen Verstoß nicht sofort mit einer Kündigung reagieren. Dieser Würdigung steht die ausdrückliche Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen bereits bei einem erstmaligen Verstoß in dem Rundschreiben vom 8. August 2002 schon deshalb nicht entgegen, weil als arbeitsrechtliche Konsequenzen unterschiedliche Reaktionen (Abmahnung; Kündigung) in Betracht kommen.

27

cc) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die nahezu 15-jährige, bislang unbelastete Betriebszugehörigkeit des Klägers zu seinen Gunsten berücksichtigt. Ferner fehlt nach seiner Auffassung bei Ausspruch einer Abmahnung die Wiederholungsgefahr. Dies zusammen mit dem Umstand, dass das pflichtwidrige Verhalten des Klägers zu keinem konkreten Schaden bei den Beklagten geführt hat, lässt es im Streitfall vertretbar erscheinen, eine Abmahnung für nicht entbehrlich zu halten. Demgegenüber musste es das Landesarbeitsgericht nicht entscheidungserheblich zulasten des Klägers gewichten, dass dieser als Abteilungsleiter eine Vorbildfunktion hatte.

28

dd) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten der Beklagten unterstellt, dass der Kläger das Internet an mehreren Tagen und insgesamt über mehrere Stunden privat genutzt und dabei ua. pornografisches Bildmaterial heruntergeladen hat. Auch ein solches Verhalten schafft keinen absoluten Kündigungsgrund. Zwar hat der Senat dies als einen denkbaren Fall erachtet, in dem es vor Ausspruch einer Kündigung einer Abmahnung nicht bedarf (BAG 7. Juli 2005 - 2 AZR 581/04 - zu B III 2 der Gründe, BAGE 115, 195). Dies ändert aber nichts daran, dass die Verhältnismäßigkeit einer Kündigung auch bei einem solchen Sachverhalt anhand aller relevanten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zu prüfen ist. Diese Prüfung hat das Landesarbeitsgericht in vertretbarer Weise vorgenommen. Nicht zu entscheiden ist, wie es zu beurteilen wäre, wenn der Kläger mithilfe des ihm dienstlich zur Verfügung gestellten Internets Straftaten begangen hätte. Hierfür fehlt es an Vortrag der Beklagten.

29

II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung zum 30. Juni 2007 aufzulösen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, der Auflösungsantrag der Beklagten habe gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG keiner Begründung bedurft. Der Kläger war leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Mit Blick auf die Einheitlichkeit des Arbeitsverhältnisses hat das Landesarbeitsgericht dabei den Antrag der Beklagten zu Recht als einen einheitlichen verstanden, gerichtet darauf, das Arbeitsverhältnis - und nicht, wie nach der Antragsformulierung, „die Arbeitsverhältnisse“ - der Parteien aufzulösen.

30

1. Nach § 14 Abs. 2 KSchG findet auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG mit der Maßgabe Anwendung, dass der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung bedarf.

31

a) Die Befugnis zur selbständigen Einstellung oder Entlassung muss entweder eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern oder eine gewisse Anzahl bedeutender Arbeitnehmer erfassen. Entscheidend für das Gewicht der Personalkompetenz ist, welchen Stellenwert die Tätigkeit der Mitarbeiter, die der Betreffende einstellt oder entlässt, für das Unternehmen hat. Es kann auch dann ausreichend sein, wenn sich die personellen Entscheidungskompetenzen des Angestellten auf eine geschlossene Gruppe beziehen, die für das Unternehmen, insbesondere für dessen unternehmerischen Erfolg, von Bedeutung ist (BAG 14. April 2011 - 2 AZR 167/10 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 14 Nr. 12 = EzA KSchG § 14 Nr. 9; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122).

32

b) Zur selbständigen Einstellung oder Entlassung iSd. § 14 Abs. 2 KSchG sind nur solche Arbeitnehmer berechtigt, deren entsprechende Befugnis nicht nur im Außen-, sondern auch im Innenverhältnis besteht. Von einer Berechtigung zur selbständigen Einstellung kann nicht die Rede sein, wenn sie sich auf die Befugnis beschränkt, intern Vorschläge zu unterbreiten (BAG 14. April 2011 - 2 AZR 167/10 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 14 Nr. 12 = EzA KSchG § 14 Nr. 9; 18. November 1999 - 2 AZR 903/98 - zu II 1 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 14 Nr. 5 = EzA KSchG § 14 Nr. 4).

33

c) Die Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen und darf nicht „nur auf dem Papier stehen“. Sie muss tatsächlich ausgeübt werden (BAG 14. April 2011 - 2 AZR 167/10 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 14 Nr. 12 = EzA KSchG § 14 Nr. 9; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122).

34

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

35

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe als Abteilungsleiter die Befugnis gehabt, die ihm unterstellten Mitarbeiter selbständig einzustellen und zu entlassen. Diese Kompetenz habe sich zwar nur auf eine geschlossene Gruppe innerhalb der Belegschaft der Beklagten zu 1) - die insgesamt etwa 110 Mitarbeiter beschäftigt - bezogen, nämlich auf die 45 Mitarbeiter in der von ihm geleiteten Abteilung Baufinanzierung. Diese seien aber für den unternehmerischen Erfolg der Beklagten zu 1) von besonderem Gewicht. Für eine Bausparkasse, die die Finanzmittel für die Durchführung von Bau- oder Modernisierungsvorhaben zur Verfügung stelle, sei entscheidend, wie die rechtliche und technische Abwicklung der Baufinanzierung gehandhabt werde. Die Personalkompetenz bestehe im Innen- und im Außenverhältnis. Der Kläger sei insofern nicht an Weisungen oder Genehmigungen von Vorstandsmitgliedern gebunden gewesen. Die Personalverantwortung des Klägers habe auch tatsächlich zu einem wichtigen Teilbereich seiner Führungsaufgaben gezählt.

36

b) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht eine Stellung des Klägers als leitender Angestellter im Verhältnis zur Beklagten zu 1) als ausreichend erachtet. Die Auflösung durch Urteil (§ 9 KSchG) kann im einheitlichen Arbeitsverhältnis mit mehreren Arbeitgebern grundsätzlich nur insgesamt erfolgen (BAG 27. März 1981 - 7 AZR 523/78 - zu II 4 der Gründe, BAGE 37, 1). Ausreichend ist im Regelfall ein Auflösungsgrund, der für oder gegen einen der Arbeitgeber vorliegt (BAG 27. März 1981 - 7 AZR 523/78 - zu II 4 a der Gründe, aaO). Ist der Arbeitnehmer leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG nur im Verhältnis zu einem der Arbeitgeber und stellt dieser einen Auflösungsantrag, schlägt dies wegen der vereinbarten Einheitlichkeit des Arbeitsverhältnisses auf die Beziehung zu den anderen Arbeitgebern durch. Eine Fortsetzung des einheitlichen Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitgeberseite dann in der Regel insgesamt unzumutbar. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht auch für den vorliegenden Fall angenommen. Besteht deshalb eine Auflösungsmöglichkeit der Beklagten zu 1), weil der Kläger im Verhältnis zu ihr leitender Angestellter iSd. § 14 Abs. 2 KSchG ist, wirkt sich dies wegen der vereinbarten Einheitlichkeit des Arbeitsverhältnisses zu allen drei Beklagten auf das Arbeitsverhältnis insgesamt aus. Eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit Tätigkeiten des Klägers ggf. nur noch für die Beklagten zu 2) und 3) ist nach den Vereinbarungen der Parteien nicht vorgesehen. Zwar sollte das Arbeitsverhältnis bei einem Wegfall der Tätigkeiten für die später beigetretenen Beklagten zu 2) und 3) auch ohne diese fortgesetzt werden können, nicht aber umgekehrt nur für sie.

37

c) Das Landesarbeitsgericht hat den Begriff des leitenden Angestellten iSv. § 14 Abs. 2 KSchG auch im Übrigen nicht verkannt.

38

aa) Eine Beschränkung der selbständigen Entscheidungskompetenz des Klägers auf die in seiner Abteilung vorzunehmenden Einstellungen ergibt sich nicht daraus, dass er an den festgelegten Stellenplan gebunden war. So wenig es einer selbständigen Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis entgegensteht, wenn der Angestellte unternehmensinterne Vorgaben beachten muss (BAG 27. September 2001 - 2 AZR 176/00 - AP KSchG 1969 § 14 Nr. 6 = EzA KSchG § 14 Nr. 6), so wenig verlangt eine Personalkompetenz iSv. § 14 Abs. 2 KSchG eine unternehmerische Entscheidungshoheit über den Stellenplan und die Befugnis, selbst über Stellenausweitungen oder -kürzungen zu entscheiden. Nach der gesetzlichen Regelung ist der Angestellte vielmehr bereits dann als „im Lager“ des Arbeitgebers stehend anzusehen, wenn er selbständig darüber entscheiden kann, wer in einem wesentlichen Bereich des Unternehmens eingestellt oder entlassen wird.

39

bb) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, die Personalverantwortung des Klägers habe zu einem wichtigen Teilbereich seiner Führungsaufgaben gezählt. Es hat dies aus der Bedeutung der von dem Kläger geleiteten Abteilung für den unternehmerischen Erfolg der Beklagten zu 1) abgeleitet. Mit seinem hiergegen gerichteten neuen Sachvortrag zur Art des von seiner Abteilung verantworteten Geschäfts und der tariflichen Eingruppierung seiner Mitarbeiter kann der Kläger in der Revision gem. § 559 Abs. 1 ZPO nicht mehr gehört werden. Das Landesarbeitsgericht musste auch nicht aufklären, ob es entsprechend dem Vorbringen des Klägers nur eine Entlassung und maximal zehn Einstellungen in seiner Abteilung während der Zeit seiner Leitung gegeben hat. Die Personalkompetenz iSv. § 14 Abs. 2 KSchG muss zwar einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen. Hierfür kommt es aber nicht allein darauf an, welchen zeitlichen Anteil sie an der Tätigkeit des Angestellten hat. Maßgeblich ist, ob sie von wesentlicher Bedeutung für das Unternehmen und damit als Teil der Tätigkeit des Angestellten qualitativ nicht unwesentlich ist. Dies war nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts beim Kläger der Fall. Der Kläger hat seine Befugnisse nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts auch tatsächlich ausgeübt.

40

Der Kläger rügt in der Revision ohne Erfolg, er habe in diesem Zusammenhang vorgetragen, über die eine Entlassung und die fünf bis zehn Einstellungen nicht selbst entschieden zu haben. Sein Vorbringen war nach dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung streitig. Die Richtigstellung des Tatbestands kann nicht im Wege der Verfahrensrüge, sondern nur durch einen Antrag nach § 320 ZPO erreicht werden(BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 69 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 68; 26. Februar 1987 - 2 AZR 177/86 - zu B II 1 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 15 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 24; BGH 22. September 2008 - II ZR 235/07 - zu II 1 a der Gründe, DStR 2008, 2228; 2. Juli 2007 - II ZR 111/05 - zu B III 1 der Gründe, ZIP 2007, 1942; Müller-Glöge in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 74 Rn. 106; Schwab/Weth/Ulrich ArbGG 3. Aufl. § 74 Rn. 57 ). Einen solchen Antrag hat der Kläger nicht gestellt.

41

d) Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gem. § 355 ZPO verletzt, weil es die Zeugen nicht selbst vernommen, sondern darum das Arbeitsgericht ersucht habe, ist unbegründet. Selbst wenn man darin einen Verfahrensverstoß sehen wollte, wäre dieser gem. § 295 Abs. 1 ZPO geheilt. Der Kläger hätte diese Rüge bereits in der auf die Beweisaufnahme folgenden mündlichen Verhandlung erheben müssen (vgl. BGH 2. Februar 1979 - V ZR 146/77 - zu I der Gründe, NJW 1979, 2518; 16. Oktober 1963 - IV ZR 17/63 - BGHZ 40, 179; Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 355 Rn. 8). Dies hat er nicht getan.

42

aa) Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Inanspruchnahme des ersuchten Richters, welche die Aufhebung des Berufungsurteils erfordern könnte (vgl. dazu BGH 2. Februar 1979 - V ZR 146/77 - NJW 1979, 2518), sind nicht ersichtlich.

43

bb) Der gerügte Verfahrensverstoß ist nicht erst durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts erkennbar geworden, so dass der Kläger die Rüge im Berufungsverfahren noch nicht hätte erheben können (zu den Konsequenzen vgl. BGH 4. November 2010 - I ZR 190/08 - zu II 2 der Gründe, NJW-RR 2011, 569; 9. Januar 1997 - III ZR 162/95 - zu I 2 der Gründe, AP ZPO § 355 Nr. 2). Der Kläger beruft sich zum einen darauf, es habe schon im Beweisbeschluss des Landesarbeitsgerichts eine Begründung dafür gefehlt, warum mit der Beweisaufnahme ein anderes Gericht ersucht worden sei. Dies war bereits mit Erlass des Beweisbeschlusses erkennbar. Zum anderen macht er geltend, es sei von vornherein mit widersprechenden Zeugenaussagen zu rechnen gewesen. Auch dies wurde nicht erst durch das Berufungsurteil erkennbar - zumal das Landesarbeitsgericht eine Widersprüchlichkeit der Zeugenaussagen nicht angenommen hat.

44

e) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts hält auch in der Sache einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

45

aa) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Würdigung des Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme ist durch das Revisionsgericht nur begrenzt überprüfbar. Dieses kann lediglich prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO gewahrt und eingehalten hat. Dafür ist nur von Bedeutung, ob das Berufungsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist. Dabei verlangt die Berücksichtigung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nicht eine Würdigung jeder einzelnen Ausführung eines Sachverständigen oder Zeugen. Ausreichend ist, dass das Berufungsgericht insgesamt widerspruchsfrei und umfassend hinsichtlich aller wesentlichen Aspekte zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen hat (BAG 27. Juli 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 51, EzA TzBfG § 17 Nr. 14; 18. Januar 2007 - 2 AZR 759/05 - Rn. 28, PatR 2008, 34; BGH 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - zu B II 3 a der Gründe, NJW 1993, 935).

46

bb) Danach ist ein Fehler des Landesarbeitsgerichts nicht ersichtlich. Dieses hat widerspruchsfrei und umfassend hinsichtlich aller wesentlichen Aspekte zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen. Es hat es aufgrund der Aussagen der vernommenen anderen Abteilungsleiter als erwiesen angesehen, dass die Personalverantwortung des Klägers für die ihm unterstellten Mitarbeiter zu einem wichtigen Teilbereich seiner Führungsaufgaben gezählt hat. Die Zeugen hätten übereinstimmend ausgesagt, dass sie zwar auf die vorherige Genehmigung einer Stelle durch die sog. Clearingkommission des Konzerns angewiesen seien. Nach Genehmigung einer Stelle hätten sie aber eigenständig darüber zu entscheiden, wie diese ausgeschrieben werde und welcher Kandidat zum Zuge komme. Eine Genehmigung durch den Vorstand oder einzelne Vorstandsmitglieder sei nicht erforderlich. Soweit der Kläger gerügt hat, die vernommenen Abteilungsleiter hätten nur ihre jeweils eigene Kompetenz darstellen können, hat er übersehen, dass das Landesarbeitsgericht der Aussage eines der Zeugen gerade entnommen hat, das Einstellungsprozedere sei in jeder Abteilung gleich gewesen, ebenso die Zuständigkeit für die Sachentscheidungen bei Entlassungen.

47

3. Der gerichtlichen Auflösung steht nicht entgegen, dass die - hilfsweise erklärte ordentliche - Kündigung der Beklagten vom 21. November 2006 schon aus anderen Gründen als dem Fehlen einer sozialen Rechtfertigung rechtsunwirksam wäre. Dies hat das Landesarbeitsgericht mit nicht zu beanstandender Würdigung ausgeschlossen. Insbesondere ist der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten nach § 31 Abs. 2 SprAuG ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung gehört worden.

48

4. Die Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG kann in einem einheitlichen Arbeitsverhältnis in der Regel nur einheitlich festgesetzt werden. Bemessungsgrundlage („Monatsverdienst“ iSd. § 10 Abs. 3 KSchG) sind die Bezüge, die dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis insgesamt zustehen (BAG 27. März 1981 - 7 AZR 523/78 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 37, 1). Das Landesarbeitsgericht hat einen Betrag in Höhe von zwölf durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen unter Einbezug von Sonderzahlungen festgesetzt. Dies hält sich im Rahmen von § 10 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG.

49

III. Die Anschlussrevision der Beklagten ist auch insoweit unbegründet, wie sie sich gegen die Entscheidung über den Zahlungsantrag richtet. Der Kläger hat Anspruch auf die noch offene Vergütung für November und auf Vergütung für Dezember 2006 gem. §§ 615, 611 BGB. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat im Anspruchszeitraum fortbestanden. Aufgrund der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung befanden sich die Beklagten im Annahmeverzug iSv. §§ 293 ff. BGB. Der Anspruch auf die Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung für Dezember 2006 ergibt sich aus § 257 SGB V und § 61 SGB II. Der Senat hatte gem. §§ 65, 73 Abs. 2 ArbGG nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg insoweit zulässig ist(vgl. zur Unzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für die Arbeitgeberzuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung BAG 19. August 2008 - 5 AZB 75/08 - Rn. 6, AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 12 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 72). Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

50

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO. Die Beklagten zu 1) bis 3) haften gem. § 100 Abs. 4 ZPO gesamtschuldnerisch.

        

    Kreft     

        

    Eylert    

        

    Rachor     

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg     

        

        

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.