Oberlandesgericht Hamm Urteil, 27. Okt. 2015 - 26 U 63/15
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 09. Februar 2015 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 100.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 20.000,00 € seit dem 05. September 2013 und aus weiteren 80.000,00 € seit dem 21. Januar 2015 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die der verstorbenen Frau E aus der fehlerhaften Behandlung in der Gemeinschaftspraxis der Beklagten in dem Zeitraum vom 25. August 2009 bis zum 07. September 2009 entstanden sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Die am ##.##.1954 geborene Frau E (im folgenden: Patientin) hat von den Beklagten als Mitgliedern einer hautärztlichen Gemeinschaftspraxis wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache zunächst die Zahlung eines mit mindestens 20.000,00 € für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Schäden begehrt. Nach dem Tod der Patientin am 12.12.2013 hat der Ehemann als Erbe den Rechtsstreit fortgeführt, das Schmerzensgeldbegehren auf mindestens 100.000,00 € erhöht und auch den Ersatz materieller Schäden in Höhe von 8.577,69 € verlangt.
4Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch dermatologische Begutachtung durch Prof. Dr. B abgewiesen.
5Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich Behandlungsfehler nicht feststellen ließen. Eine unzureichende Durchführung der klinischen Untersuchung - ohne Verwendung einer dermatologischen Speziallupe - sei mangels Beweisangebots nicht festzustellen. Auf der Basis des mangels Beweisangebotes für den Vortrag des Klägers zugrundezulegenden Vortrags der Beklagten sei es auch nicht zu beanstanden, dass zunächst abgeklärt werden sollte, ob ein Nagelhämatom vorliege. Ebenso wenig lasse sich feststellen, dass der Patientin die fehlerhafte Auskunft erteilt worden sei, dass bei ihr nur eine bakterielle Infektion vorliege. Bei den sonstigen möglichen und dahingestellt gelassenen Behandlungsfehlern - Durchführung der Nagelprobenentnahme durch die Patientin selbst, keine rechtzeitige Wiedereinbestellung der Patientin in die Praxis - lasse sich jedenfalls eine Kausalität für den weiteren Verlauf nicht feststellen. Insoweit komme auch eine Beweislastumkehr nicht in Betracht, weil allenfalls einfache Behandlungsfehler vorlägen. Eine Beweiserleichterung sei auch nicht im Blick auf Dokumentationsversäumnisse gerechtfertigt, weil solche Versäumnisse nicht vorlägen.
6Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der das erstinstanzliche Begehren weiter verfolgt.
7Er verbleibt dabei, dass die klinische Untersuchung ohne dermatologische Speziallupe einen haftungsbegründenden Diagnosefehler darstelle. Dabei sei von den Tatsachenbehauptungen des Klägers auszugehen, weil der Beklagte diese zunächst gar nicht und erst nach der sachverständigen Begutachtung nur unzureichend und verspätet bestritten habe. Überdies belege die dürftige Dokumentation, dass eine ausreichende Diagnostik nicht erfolgt sei. Der Fehler sei als grob einzustufen, weil die Beklagten aufgrund des entsprechenden Verdachts der Hausärztin, deren Überweisung und der potentiellen Tödlichkeit der Erkrankung zu einer erhöhten Sorgfalt verpflichtet gewesen seien.
8Überdies sei ausweislich der widersprüchlichen Angaben der Beklagten zu der angeblich von der Patientin geschilderten Stoßverletzung von einer unzureichenden Anamnese auszugehen.
9Fehlerhaft sei es auch gewesen, zunächst die Frage eines Nagelhämatoms abzuklären. Denn nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen sei von vornherein mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Melanom auszugehen gewesen. Dafür spreche insbesondere die vorgefundene Verfärbung des Nagels. Darüber hinaus habe die Entnahme der Nagelprobe nicht der Patientin selbst überlassen werden dürfen.
10Das Landgericht sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass kein Fehler hinsichtlich der Mitteilung des histologischen Ergebnisses vorgelegen habe. Der die Auskunft erteilende Beklagte zu 2) habe die Patientin selbst nie gesehen und habe auch nur bekunden können, was er selbst gegenüber seinen eigenen Patienten mitteile. Auch habe es sich entgegen seiner Erklärung bei der bakteriellen Infektion nicht nur um einen Nebenbefund gehandelt. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass die Notwendigkeit einer weiteren Abklärung durch den Beklagten zu 2) nicht mitgeteilt worden sei, so dass die Patientin davon ausgehen durfte, dass ein besorgniserregender Befund nicht vorlag. Dem Beklagten zu 1) sei insoweit vorzuwerfen, dass er sich selbst um die Patientin nicht mehr gekümmert habe, anstelle, wie erforderlich, die Patientin sofort nach dem Eingang des histologischen Befundes wieder einzubestellen.
11Der Kläger hält weiterhin ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000,00 € für angemessen. Er hat zunächst eine Verurteilung entsprechend den erstinstanzlichen Anträgen begehrt. Im Senatstermin vom 11.9.2015 hat er den Feststellungsantrag auf materielle Schäden begrenzt und den bezifferten Zahlungsantrag der 1. Instanz in den Feststellungsantrag einbezogen. Der Senat hat sodann den Feststellungsantrag dahingehend ausgelegt, dass die Feststellung von Ansprüchen aus der fehlerhaften Behandlung (insbesondere fehlerhafte Aufklärung der Ursachen der Nagelverfärbung) und nicht nur aus einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung begehrt wird. Denn der Kläger hat in beiden Instanzen auch insoweit kausale Behandlungsfehler geltend gemacht; darüber hat das Landgericht auch umfassend Beweis erhoben.
12Der Kläger beantragt nunmehr,
131.
14die Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt wird neben 5 % Zinsen über den jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
152.
16festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die auf die fehlerhafte Behandlung im Jahr 2009 zurückzuführen sind, soweit die Ansprüche nicht an Dritte übergegangen sind.
17Die Beklagten beantragen,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
20Der Beklagte zu 1) habe lege artis wegen des von der Patientin geschilderten Stoßereignisses zunächst die Frage eines Nagelhämatoms durch eine Probenentnahme abklären dürfen. Die zu dem Zeitpunkt des Stoßereignisses wiedergegebenen Angaben seien auch nicht widersprüchlich; die unterschiedlich dargestellten Zeitpunkte hätten auch keine Relevanz. Die von der Klägerin erst in der mündlichen Verhandlung dargestellte und vom Gericht unterstellte Farbe des Zehennagels habe nicht den Verdacht auf ein vorrangig abzuklärendes Melanom begründen können, weil eine solche Abgrenzung zwischen Melanom und Hämatom nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht möglich sei. Dieser habe auch nur eine Vermutung geäußert. Der Beklagte zu 1) habe bei der klinischen Untersuchung auch eine Lupe verwendet.
21Das Ergebnis der histologischen Untersuchung habe die Patientin frühzeitig und maximal eine Woche nach dem Eingang des Ergebnisses der Praxis bereits aufgrund ihres eigenen Anrufs erhalten, sodass es auf eine Pflicht zur unaufgeforderten Information nicht ankomme.
22Es sei prozessual zugestanden, dass die Patientin auch auf die Notwendigkeit der Wiedervorstellung für den Fall hingewiesen worden sei, dass die dunkle Stelle nicht innerhalb von Wochen herauswachse. Weitere Untersuchungen seien nicht möglich gewesen, weil die Klägerin nicht wieder in der Praxis erschienen sei.
23Etwaige Behandlungsfehler seien nur als einfache Fehler einzustufen. Neu, verspätet und falsch sei dazu der Vortrag, dass die Hausärztin Screeningbefugt gewesen ist und einen Tumorverdacht geäußert, hat weiterhin, dass dieser durch die Patientin dem Beklagten zu 1) auch mitgeteilt worden sei.
24Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen dermatologischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin verwiesen.
25Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
26II.
27Die Berufung ist begründet.
28Die Beklagten haften dem Kläger als Mitglieder der von ihnen betriebene Gemeinschaftspraxis gesamtschuldnerisch für die Fehler, die anlässlich der dermatologischen Behandlung in den Zeitraum vom 25.8.2013 bis zum 7.9.2013 unterlaufen sind.
291.
30Der Kläger hat einen Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß den §§ 1922 ff., 611, 280, 249 ff., 823, 253 Abs.2 BGB.
31Der Senat stützt sich insoweit auf die Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B, insbesondere seine Ausführungen bei der Anhörung vor dem Senat.
32a.
33Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte zu 1) es unterlassen hat, bei der klinischen Untersuchung eine Speziallupe zu verwenden.
34Denn das Ergebnis einer optischen Besichtigung sowohl mit als auch ohne Lupe war nach den Erläuterungen des Sachverständigen vor dem Senat nicht geeignet, ein Melanom am Nagel zu erkennen oder auszuschließen. Überdies lässt sich auch nicht prognostizieren, welches Ergebnis im konkreten Fall die Verwendung eine Lupe erbracht hätte.
35b.
36Den Beklagten ist es aber anzulasten, dass es der Beklagte zu 1) am 25.8.2009 unterlassen hat, eine ausreichende histologische Befundung zum sicheren Ausschluss eines Melanoms sicherzustellen.
37Der Senat folgt dem Sachverständigen darin, dass bei dermatologischen Auffälligkeiten insbesondere der bösartigste mögliche Befund differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden musste. Vorliegend kamen in Betracht ein Nagelhämatom, ein Melanom und eine Pilzerkrankung. Das Melanom stellte dabei – als ohne rechtzeitige Behandlung tödlich verlaufende Hautkrebserkrankung – die gefährlichste und schwerwiegendste Erkrankung dar, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen sicher abgeklärt werden musste.
38Auch wenn die Patientin von einem Stoßereignis und damit von einer nahe liegende Ursache für ein Nagelhämatom berichtet haben sollte, hat dies den Beklagten zu 1) nicht von der Pflicht entbunden, die notwendige umfassende Differenzialdiagnostik durchzuführen.
39Die Möglichkeit eines Melanoms hat der Beklagte zu 1) auch gesehen. Das folgt daraus, dass er eine histologische Befundung in die Wege geleitet hat, was im Hinblick auf ein bloßes Nagelhämatom nach den Ausführungen des Sachverständigen vor dem Landgericht nicht sachgerecht gewesen wäre. Entsprechend ist in der Stellungnahme für die Gutachterkommission im Mai 2012 angegeben, dass aus Sicht der Beklagten gutartige und bösartige Hautveränderungen in Betracht gekommen seien.
40Die histologische Befundung, die der Beklagte zu 1) demnach zutreffend als notwendig angesehen hat, hätte aber durch die ordnungsgemäße Entnahme einer Nagelprobe vorbereitet werden müssen. Diese Nagelprobe hätte dabei unbedingt an repräsentativer Stelle im Bereich des möglichen Melanoms entnommen werden müssen, um überhaupt ein aussagekräftiges histologisches Bild geben zu können.
41Vorliegend hat der Beklagte zu 1) es jedoch der Patientin überlassen, den Ort der Nagelprobe zu bestimmen und die Entnahme der Probe durchzuführen. Das war fehlerhaft. Um die erfolgversprechendste Stelle für die Überprüfung des Melanomverdachts zu erreichen, hätte die Nagelprobe nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen durch den behandelnden Hautarzt selbst entnommen werden müssen. Denn nur dieser konnte aufgrund seiner hautärztlichen Kenntnisse das für die Probe relevante Gebiet sicher bestimmen. Der Senat folgt dem Sachverständigen auch darin, dass diese Aufgabe wegen der hautärztlichen Fragestellung und der herausragenden Bedeutung für das Untersuchungsergebnis nicht an Dritte delegiert werden konnte, insbesondere nicht an die Patientin selbst oder an ihre Podologin.
42Dementsprechend hat dann der histologische Befund vom 29.8.2009 tatsächlich auch lediglich einen bakteriellen infizierten Nagel ausgewiesen, nicht dagegen das nach den Ausführungen des Sachverständigen schon Monate lang bestehende Melanom. Für dessen Ausschluss oder Verifizierung war bis zu diesem Zeitpunkt nichts gewonnen.
43c.
44Darüber hinaus ist den Beklagten vorzuwerfen, dass die Patientin nach der telefonischen Mitteilung des Histologiebefundes am 7.9.2009 nicht hinreichend zur alsbaldigen Wiedervorstellung in der Praxis zur weitergehenden Befundung veranlasst worden ist.
45Der Senat folgt dem Sachverständigen darin, dass die Patientin nach dem maßgeblichen medizinischen Facharztstandard anlässlich der telefonischen Mitteilung des Histologiebefundes hätte wieder einbestellt werden müssen. Denn der histologische Befund war hinsichtlich der Frage eines Melanoms nicht aussagekräftig; auch die in ihm angesprochene bakterielle Infektion stellte einen häufigen Befund war, der für die hier maßgebliche Frage aber nicht relevant war.
46Eine solche Wiedereinbestellung ist am 7.9.2009 zur Überzeugung des Senates tatsächlich nicht erfolgt. Die Behandlungsunterlagen enthalten für diesen Tag nur den Hinweis auf eine telefonische Mitteilung des Histologiebefundes, nicht jedoch den Hinweis auf eine Wiedereinbestellung, wie dies für den 25. 8. 2009 mit dem Vermerk einer Wiedervorstellung bei Persistenz dokumentiert worden ist. Darüber hinaus hatte Beklagte zu 1) in seiner Stellungnahme gegenüber der Gutachterkommission im Mai 2012 erklärt, dass man davon ausgegangen sei, dass der Patientin nach der Information über den Histologiebefund klar sein würde, dass die Verdachtsdiagnose eines Nagelhämatoms nicht zutreffend war und der Befund deshalb einer weiteren Abklärung bedurfte. Diese Erklärung setzt inzident voraus, dass eine Wiedereinbestellung gerade nicht erfolgt ist. Andernfalls wäre zu erwarten gewesen, dass nicht auf die bloße subjektive Annahme der Behandler, sondern auf einen tatsächlich erteilten ausdrücklichen Hinweis Bezug genommen worden wäre. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um ein Missverständnis oder um eine Fehlinformation gehandelt haben könnte, bestehen nicht. Plausible Gründe dafür, wie es dazu gekommen sein könnte, haben die Beklagten auch bei der Anhörung vor dem Senat nicht angeben können. Der Senat geht deshalb davon aus, dass am 7.9.2009 kein Hinweis auf die Notwendigkeit einer Wiedervorstellung gegeben worden ist.
47Ein solcher Hinweis war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Notwendigkeit weiterer Befundung der Patientin aufgrund ihrer Tätigkeit im Medizinbereich bekannt gewesen ist. Die Klägerin hatte den Beruf der Zahnarzthelferin gelernt und war September 2009 als Leiterin einer AOK-Geschäftsstelle tätig. Es ist nicht ersichtlich, dass bei dieser Sachlage die notwendigen hautärztlichen Kenntnisse vorhanden gewesen sind.
48Der Hinweis war auch nicht deshalb entbehrlich, wenn die Patientin am 25. 8. 2009 auf die Notwendigkeit der Wiedervorstellung bei Persistenz des Beschwerdebildes hingewiesen worden ist. Denn der telefonische Hinweis vom 7.9.2009 auf das Ergebnis einer bakteriellen Infektion war auch dann geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass damit die Ursache der Beschwerden gefunden worden sei, während tatsächlich der gesamte Befund nach den Ausführungen des Sachverständigen bei der Anhörung vor dem Senat weiterhin suspekt war und der behandelnde Arzt weiterhin in der Verantwortung stand, die Frage eines Melanoms abzuklären. Das Erreichen des Zwecks des früher gegebenen Hinweises war dann aber nach der Mitteilung eines scheinbaren, aber tatsächlich nicht relevanten Befundergebnisses nicht mehr sichergestellt.
49Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, dass sich die Patientin der Notwendigkeit der Wiedervorstellung bewusst gewesen sein muss. Zwar hat auch der Sachverständige bei der mündlichen Anhörung gemeint, dass der Patientin die Notwendigkeit der Wiedervorstellung eigentlich klar sein musste. Er hat aber dabei ausweislich seiner Angaben bei der Anhörung vorausgesetzt, dass die Patientin entsprechend medizinisch vorgebildet ist. Greifbare Anhaltspunkte für eine medizinische, insbesondere hautärztliche Vorbildung oder eine tatsächliche Kenntnis der Notwendigkeit der Wiedervorstellung ungeachtet des Ergebnisses des histologischen Befundes haben jedoch aus den soeben erörterten Gründen nicht vorgelegen. Überdies war ein früherer Hinweis, wie erörtert, für die Patientin wegen des nur bakteriellen Befundes nicht mehr aussagekräftig.
50d.
51Der Senat bewertet das Fehlverhalten der Beklagten hinsichtlich der fehlerhaften Probenentnahme und hinsichtlich des am 7.9.2009 unterlassenen Hinweises auf die Notwendigkeit einer Wiedervorstellung jedenfalls in der Gesamtschau als groben Behandlungsfehler, der zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der zuzurechnenden Folgen führt.
52Der gerichtliche Sachverständige hat bereits die unzureichende Probenentnahme sowohl in seinem schriftlichen Gutachten, dessen Bewertung er bei der Anhörung vor dem Senat bestätigt hat, als auch erneut im Rahmen der Anhörung aus medizinischer Sicht als grob fehlerhaft angesehen. Dem schließt sich der Senat bei juristischer Gesamtbewertung an. Angesichts der Umstände, dass ein unbehandeltes Melanom zum Tode führt, dass die Überlassung der Durchführung der Nagelprobe an die Patientin zur Verifizierung eines solchen Melanoms völlig unzuverlässig und ungeeignet gewesen ist, und dass die deshalb zwingend notwendige erneute histologische und sonstige Befundung mangels Hinweises am 7.9.2009 nicht sichergestellt worden ist, liegt ein Fehlverhalten vor, bei dem eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen worden ist, und das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil es einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. dazu etwa BGH NJW 2001, S.2795).
53Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass hinsichtlich der Durchführung der Nagelprobe erst recht ein einfacher Befunderhebungsfehler vorliegt, der ebenfalls zur Beweislastumkehr führen würde, weil nach den Feststellungen des Sachverständigen bei ordnungsgemäßer Durchführung das schon seit Monaten oder Jahren bestehende Melanom mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt worden wäre und ein Verkennen des Melanoms oder eine Nichtreaktion als grob fehlerhaft anzusehen gewesen wäre.
54Dem Kläger kommt deshalb bei der Bewertung der auf das Fehlverhalten zurückzuführenden Schäden eine Beweislastumkehr zugute.
55Die Beweislastumkehr erfasst den Primärschaden und alle Folgeschäden, die die konkrete Ausprägung des Fehlers darstellen. Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist dabei nicht allein die nicht rechtzeitige Erkennung einer bereits vorhandenen behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung. Die geltend gemachte Körperverletzung (Primärschaden) ist vielmehr in der durch den Behandlungsfehler herbeigeführten gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung zu sehen (vgl. BGH-Urteil vom 02.07.2013 - VI ZR 554/12 -, Juris unter Rz.16). Das heißt, im Streitfall ist Primärschaden die gesundheitliche Befindlichkeit der Patientin, die maßgeblich dadurch entstanden ist, dass eine hinreichende histologische Abklärung der Möglichkeit eines Melanoms nicht sichergestellt worden ist. Eine Beweislastumkehr kommt lediglich insoweit nicht in Betracht, als ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. etwa BGH-Urteil vom 16.11.2004 - VI ZR 328/03 -, Juris unter Rz.12).
56Vorliegend geht der Senat auf der Basis der Ausführungen des Sachverständigen davon aus, dass die Amputation des Zehengrundgliedes in jedem Fall medizinisch notwendig gewesen wäre, sie also den Beklagten nicht anzulasten ist.
57Im übrigen ist das weitere Geschehen mit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis zum Tode den Beklagten zuzurechnen. Der Senat folgt dem Sachverständigen dahingehend, dass eine hypothetische Chance bestanden hat, dass nach der Amputation eine vollständige Heilung eingetreten wäre.
58Die den Beklagten zuzurechnenden Umstände rechtfertigen nach Auffassung des Senates ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 €.
59Der Anspruch auf Schmerzensgeld soll dem Verletzten einen angemessenen Ausgleich für die erlittenen Beeinträchtigungen und Genugtuung für das bieten, was ihm der Schädiger angetan hat. Das Schmerzensgeld ist dabei der Höhe nach unter umfassender Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände festzusetzen und hat in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Gesundheitsbeeinträchtigungen stehen (vgl. nur Palandt-Grüneberg, BGB, 74. Auflage, § 253 Rdn.4, 15 m.w.N.).
60Der Senat hat dabei insbesondere berücksichtigt, dass den Beklagten zuzurechnen ist, dass die zu erwartende Lebenszeit der damals 55-jährigen Patientin deutlich verkürzt worden ist, weiterhin, dass sich die Leidenszeit der Patientin über ca. 3 Jahre erstreckt hat in dem Wissen, dass eine Melanomerkrankung vorgelegen hatte, die zunächst nicht erkannt worden ist. Die Patientin hat eine Reihe von durch Arztberichte nachgewiesenen, sie belastenden Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen. Es sind dabei sodann pulmonale Metastasen festgestellt worden, die zu mehrfachen operativen Eingriffen - Thorakektomie und Metastasektomie - im Januar und Februar 2013 geführt haben. Sie haben der Patientin deutlich gemacht, dass die Erkrankung weiterhin bestanden hat und sie sich auf ein letales Ende einstellen musste.
61Dieser Verlauf rechtfertigt nach Bewertung des Senates ein Schmerzensgeld in der erkannten Höhe.
62e.
63Zinsen sind wie erkannt als Rechtshängigkeitszinsen geschuldet.
642.
65Das Feststellungsbegehren ist begründet. Bereits die zunächst als materieller Schadensersatz geltend gemachten und sodann in den Feststellungsantrag einbezogenen Kostenpositionen belegen, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines materiellen Schadens gegeben ist.
66Eine Haftung der Beklagten ist damit in dem erkannten Umfang gegeben. Die Berufung hat in vollem Umfang Erfolg.
67Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711, 543 ZPO.
68Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.
Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Hamm Urteil, 27. Okt. 2015 - 26 U 63/15
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BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerinnen sind die Töchter und Erbinnen der am 17. Oktober 2003 verstorbenen Frau K. (im Folgenden: Erblasserin). Sie nehmen die Beklagten (behandelnde Ärztin und Krankenhausträger) wegen behaupteter Befunderhebungs -, Diagnose- und Dokumentationsfehler auf Zahlung von Schmerzensgeld und materiellem Schadensersatz in Anspruch.
- 2
- Bei der Erblasserin wurde bereits mehrere Jahre vor dem 3. Februar 2002 eine Migräne diagnostiziert. Sie befand sich deshalb u.a. in Behandlung beim ehemaligen Beklagten zu 3. Wegen bereits seit mehreren Tagen andau- ernder Kopfschmerzen suchte die Erblasserin am 3. Februar 2002 den ärztlichen Notdienst auf. Wie lange die Kopfschmerzen zu diesem Zeitpunkt bereits genau andauerten, ist zwischen den Parteien streitig. Der Notarzt ordnete die Einweisung ins Krankenhaus an. Der erhobene neurologische Untersuchungsbefund war unauffällig. Es wurde dokumentiert, dass keine Hinweise auf eine fokale zerebrale Störungssymptomatik bestünden, insbesondere keine Hinweise auf eine epileptische Aktivität. Angaben zur Art und Ausprägung der Kopfschmerzen wurden nicht festgehalten. Die Beklagte zu 1 entschloss sich zu einer Gabe Aspisol (ein Aspirinmittel) und einer Gabe MCP (gegen die Übelkeit). Was danach geschah, ist zwischen den Parteien streitig. Die Verweildauer der Erblasserin nach der Injektion wurde von der Beklagten zu 1 nicht dokumentiert.
- 3
- Am 4. Februar 2002 verschlechterte sich bei der Erblasserin das Krankheitsbild mit dem Auftreten einer symptomatischen Epilepsie (generalisierter Status epilepticus); es wurde eine Hirnvenenthrombose diagnostiziert. Die Erblasserin erlitt im Rahmen des Status epilepticus eine schwere hirndiffuse Schädigung und verstarb aufgrund der mit der Hirnvenenthrombose auftretenden Komplikationen.
- 4
- Die Klägerinnen haben geltend gemacht, bei der von der Beklagten zu 1 geschilderten Symptomatik seien bereits am 3. Februar 2002 weitere diagnostische Maßnahmen erforderlich gewesen, so dass die Hirnvenenthrombose bereits rund 20 Stunden früher hätte diagnostiziert und eine gezielte Therapie (z.B.) mit Heparin hätte eingeleitet werden können. In diesem Fall wären die schwerwiegenden Folgen bei der Erblasserin nicht eingetreten.
- 5
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 6
- Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass die - unstreitig - unterlassene Dokumentation der Verlaufskontrolle betreffend die Wirkung der verabreichten Medikamente einen erheblichen Dokumentationsmangel darstelle. Den Beweis, dass eine solche Kontrolle doch erfolgt sei, könnten die Beklagten nicht führen. Infolge dessen liege ein gravierender Diagnosefehler vor mit der Folge der versäumten rechtzeitigen, in den Leitlinien der neurologischen Fachgesellschaft empfohlenen Therapie. Eine Verlaufskontrolle hätte im Streitfall bei Ausbleiben eines positiven Effektes der verabreichten Schmerzmittel Anlass zu weiteren diagnostischen Maßnahmen geboten, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätten. Soweit das Verkennen des gravierenden Befundes oder die Nichtreaktion auf ihn generell geeignet erscheine, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen, trete aber - wenn nicht ein Ursachenzusammenhang zwischen dem ärztlichen Fehler und dem Schaden äußerst unwahrscheinlich sei - grundsätzlich eine Beweislastumkehr ein. Ein Fall äußerster Unwahrscheinlichkeit lasse sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Allerdings erstrecke sich die Beweislastumkehr grundsätzlich nur auf den Beweis der Ursächlichkeit des Befunderhebungsfehlers für den haftungsbegründenden Primärschaden (= nicht rechtzeitige Erkennung der Thrombose) sowie auf Sekundärschäden als typische Folge der Primärverletzung. Auf die haftungsausfüllende Kausalität, d.h. den Kausalzusammenhang zwischen körperlicher oder gesundheitlicher Primärschädigung und weiteren Gesundheits- schäden, werde die Beweislastumkehr grundsätzlich nicht ausgedehnt. Insoweit bleibe es bei der Beweislast des Patienten.
- 7
- Im Streitfall stelle sich die Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärschaden als schwierig dar. Denn die Hirnvenenthrombose (als solche) und die Epilepsie stünden irgendwie in einem Kontext. Andererseits sei die Epilepsie keine unmittelbare Folge des Behandlungsfehlers. Der Gerichtssachverständige habe ausgeführt, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der verzögerte Beginn der Antikoagulation zu einer belegten morphologischen Schädigung am Hirn geführt habe. Er habe mehrfach davon gesprochen, dass die Erblasserin nicht an den Folgen einer Hirngewebeschädigung gestorben sei, sondern an den Folgen der Epilepsie. Die eingetretenen Folgen seien am ehesten als Folgen der Verkrampfungen zu erklären und stünden damit nur in einem Kontext mit der Hirnvenenthrombose. Wenn sich aber insoweit schon kein typischer Zusammenhang zwischen Hirnvenenthrombose und Epilepsie feststellen lasse, müsse dies erst recht gelten für den Zusammenhang zwischen dem verspäteten Beginn der Gabe von Heparin und der Epilepsie. Im Hinblick auf diesen allenfalls losen Zusammenhang könne die Epilepsie auf dem vorgenannten Strahl (Primär-, notwendiger Sekundär- und sonstiger Sekundärschaden) allenfalls als sonstiger Sekundärschaden eingeordnet werden.
- 8
- Die Klägerinnen trügen demnach weiter die Beweislast dafür, dass die Schadensfolge von den Beklagten verursacht sei. Diesen Beweis könnten sie aber, aus dem vom Sachverständigen immer wieder betonten Grund, dass es keinerlei gesicherte Erkenntnis über den therapeutischen Wert der Gabe von Heparin gebe, auch nach dem geminderten Beweismaß von § 287 ZPO nicht führen.
II.
- 9
- Die zulässige Revision hat Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.
- 10
- 1. Das Berufungsgericht geht ersichtlich von einem einfachen Befunderhebungsfehler - und nicht von einem Diagnosefehler aus. Es prüft, ob deshalb den Klägerinnen eine Beweislastumkehr nach Maßgabe der vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze zugute kommt und die Feststellung rechtfertigt, dass die von der Beklagten zu 1 unterlassene Verlaufskontrolle für den Tod der Erblasserin kausal geworden ist. Die Verneinung des Kausalzusammenhangs erweist sich auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen als rechtsfehlerhaft.
- 11
- a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats erfolgt bei der Unterlassung der gebotenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (vgl. Senatsurteile vom 13. Januar 1998 - VI ZR 242/96, BGHZ 138, 1, 5 f.; vom 29. September 2009 - VI ZR 251/08, VersR 2010, 115 Rn. 8; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, VersR 2011, 1400 Rn. 8). Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (vgl. Senatsurteile vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 56; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02, VersR 2004, 790, 792; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, VersR 2011, 1148 Rn. 7; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, aaO). Wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, aaO, 56 f.; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, aaO; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, aaO). Nach diesen Grundsätzen kommt eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerinnen in Betracht. Denn für die rechtliche Prüfung ist entsprechend den im Berufungsurteil festgestellten und unterstellten tatsächlichen Umständen davon auszugehen , dass bei einer Verlaufskontrolle der verordneten Medikation deren Wirkungslosigkeit festgestellt worden wäre, die sodann gebotene weitere Befunderhebung zur Feststellung der Hirnvenenthrombose am 3. Februar 2002 - statt am 4. Februar 2002 - geführt hätte und die Ärzte der Beklagten zu 2 darauf sogleich mit der Gabe von Heparin hätten reagieren müssen.
- 12
- b) Allerdings finden die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Beweislastumkehr für den Kausalitätsbeweis bei groben Behandlungsfehlern grundsätzlich nur Anwendung, soweit durch den Fehler des Arztes unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsverletzungen (Primärschäden) in Frage stehen. Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden), die erst durch die infolge des Behandlungsfehlers eingetretene Gesundheitsverletzung entstanden sein sollen, gelten sie nur dann, wenn der Sekundärschaden eine typische Folge des Primärschadens ist. Hinsichtlich der Haftung für Schäden, die durch eine (einfach oder grob fehlerhaft ) unterlassene oder verzögerte Befunderhebung entstanden sein könnten , gilt nichts anderes (Senatsurteile vom 21. Oktober 1969 - VI ZR 82/68, VersR 1969, 1148, 1149; vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77, VersR 1978, 764, 765; vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87, VersR 1989, 145; vom 16. November 2004 - VI ZR 328/03, VersR 2005, 228, 230; vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 13).
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- Das Berufungsgericht meint, nach Maßgabe dieser Rechtsprechung greife im Streitfall eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerinnen nicht ein. Das ist nicht richtig.
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- Der vom Berufungsgericht angenommene Sachverhalt rechtfertigt nicht die Annahme, die von der Erblasserin erlittene Epilepsie sei Teil des Sekundärschadens , auf den sich die Beweislastumkehr nicht beziehe.
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- aa) Die haftungsbegründende Kausalität betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutsverletzung, also für den so genannten Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Dagegen betrifft die haftungsausfüllende Kausalität den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung und weiteren Gesundheitsschäden (vgl. Senatsurteil vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 9; vom 22. Mai 2012 - VI ZR 157/11, VersR 2012, 905 Rn. 10).
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- bb) Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht die nicht rechtzeitige Erkennung einer bereits vorhandenen behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung, hier der Hirnvenenthrombose. Die geltend gemachte Körperverletzung (Primärschaden) ist vielmehr in der durch den Behandlungsfehler herbeigeführten gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung zu sehen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008, aaO, Rn. 10 und vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98, VersR 1998, 1153 - juris Rn. 11). Das heißt im Streitfall ist Primärschaden die gesund- heitliche Befindlichkeit der Erblasserin, die dadurch entstanden ist, dass am 3. Februar 2002 die klinische Verlaufskontrolle und - in der Folge dieses Umstandes - weitere Untersuchungen und die Behandlung der dann entdeckten Hirnvenenthrombose bereits an diesem Tage unterblieben. Zu dieser gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung gehörte auch ein dadurch etwa geschaffenes oder erhöhtes Risiko der Erblasserin, eine Epilepsie - und dies mit tödlichen Folgen - zu erleiden.
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- 2. Das Berufungsgericht hat unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt Feststellungen nicht getroffen.
- 18
- Daher ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr aufgrund der getroffenen oder zusätzlich, evtl. aufgrund weiterer Beweiserhebung, zu treffender Feststellungen zu bejahen sind. Dabei werden auch die im Revisionsverfahren vorgetragenen Gesichts- punkte, insbesondere auch die Gegenrügen der Revisionserwiderung, zu erwägen sein. Galke Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 27.07.2010 - 4 O 233/09 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 15.12.2011 - 1 U 75/10 -
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Zur Entscheidung über den Betrag des Zahlungsanspruchs wird der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, der am 6. Januar 2000 abends Lichtblitze in seinem linken Auge bemerkt hatte, begab sich noch am selben Tag in den augenärztlichen Bereitschaftsdienst, den die Beklagte wahrnahm. Gesichtsfeldmessungen und Messungen des Augeninnendrucks ergaben keinen auffälligen Befund. Auch bei einer Untersuchung des Augenhintergrundes nach Erweiterung der Pupille stellte die Beklagte keine pathologischen Veränderungen fest. Am 11. Januar 2000 trat beim Kläger eine massive Ablösung der Netzhaut im linken Auge auf. Trotz zweier Operationen in der Universitätsklinik, bei denen die Netzhaut angelegt und stabilisiert wurde, ist die Sehfähigkeit des Klägers beeinträchtigt. Der Kläger hält die Untersuchung durch die Beklagte für fehlerhaft; auch habe sie ihn nicht in gehöriger Weise darauf hingewiesen, daß er alsbald Kontrolluntersuchungen durchführen lassen müsse. Er begehrt Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens sowie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche nach Schluß der mündlichen Verhandlung aus dem Behandlungsfehler der Beklagten vom 6. Januar 2000 entstehenden materiellenund immateriellen Schäden zu ersetzen. Seine Klage hatte in beiden Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt, es sei an die Feststellungen des Landgerichts gebunden, die Beklagte habe den Kläger nicht auf die Gefährdung der Netzhaut durch eine fortschreitende Glaskörper-Abhebung hingewiesen und ihn auch nicht aufgefordert , diesen Vorgang unbedingt weiter überwachen zu lassen. Da beim Kläger eine beginnende Glaskörper-Abhebung vorgelegen und die Beklagte das auch erkannt habe, habe sie den Kläger über diese mögliche Diagnose und das dabei bestehende vergleichsweise geringe Risiko einer Netzhautablösung unterrichten müssen. Sie habe den Kläger auffordern müssen, sich auch ohne Zunahme der Symptome zu einer Kontrolluntersuchung beim Augenarzt vorzustellen. Diese Unterlassungen seien als "einfache" Behandlungsfehler zu werten. Daß die Beklagte den Kläger nicht zusätzlich darauf hingewiesen habe, er müsse bei Fortschreiten der Symptome sofort einen Augenarzt aufsuchen, sei als ein grober Behandlungsfehler zu werten. Der Ursachenzusammenhang zwischen diesem groben Behandlungsfehler und dem Körperschaden des Klägers sei zwar nicht schon deshalb ausgeschlossen , weil der Kläger nach eigenen Angaben keine sich ausweitende oder verschlimmernde Symptomatik bemerkt habe. Es sei nämlich nicht ausgeschlossen , daß der Kläger bei zutreffender Information auch ohne Verschlech-terung seines Zustandes zu einer augenärztlichen Kontrolle gegangen wäre und ein Augenarzt dann Anzeichen für eine beginnende Netzhautablösung festgestellt hätte. Möglicherweise hätte dann erfolgreich Vorsorge gegen die spätere Netzhautablösung getroffen werden können. Ein Ursachenzusammenhang könne jedoch nicht festgestellt werden. Es sei zwar davon auszugehen, daß der Kläger nach ordnungsgemäßer Beratung durch die Beklagte innerhalb von zwei oder drei Tagen zu einer Kontrolluntersuchung gegangen wäre. Es sei aber vorstellbar, daß die Glaskörper-Abhebung, die der Netzhautablösung vorangehe , sehr plötzlich und sehr massiv eingesetzt und dann sehr schnell eine erst am 11. Januar 2000 erkennbare Netzhautablösung nach sich gezogen habe. Daher sei völlig offen, ob es zuvor Anzeichen für eine solche Ablösung gegeben habe, die bei einer Kontrolluntersuchung erkennbar gewesen wären. Dem Kläger sei keine Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang zuzubilligen. Es fehle an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, daß bei einer augenärztlichen Kontrolle Anzeichen für die Netzhautablösung erkennbar gewesen wären. Daß eine solche Kontrolle Aufschluß darüber gegeben hätte, ob sich zu jenem Zeitpunkt Anzeichen für eine Netzhautablösung gezeigt hätten , sei keine ausreichende Grundlage für eine Beweislastumkehr. Zwar liege es nicht fern, das Gesamtverhalten der Beklagten ohne Differenzierung zu den einzelnen Unterlassungen als grob fehlerhaft anzusehen. Selbst dann aber sei es nicht gerechtfertigt, dem Kläger ohne jede Wahrscheinlichkeit in die eine oder die andere Richtung eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Auftretens von Gefährdungsanzeichen bei der hypothetischen Kontrolluntersuchung zuzubilligen.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. Das Berufungsgericht wertet im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen und im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats als grob fehlerhaft, daß die Beklagte den Kläger nach Abschluß der Notfalluntersuchung nicht darauf hingewiesen hat, er müsse bei Fortschreiten der Symptome sofort einen Augenarzt aufsuchen (vgl. dazu Senatsurteile vom 29. Mai 2001 - VI ZR 120/00 - VersR 2001, 1030; vom 3. Juli 2001 - VI ZR 418/99 - VersR 2001, 1116, 1117; vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026 - jeweils m.w.N.). Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin; auch die Revisionserwiderung erhebt insoweit keine Beanstandungen. Beim Kläger lag eine beginnende Glaskörper-Abhebung als Vorstufe einer Netzhautablösung nahe und die Beklagte hatte dies erkannt. Sie war infolgedessen verpflichtet, dem Kläger ihre Erkenntnisse ebenso wie ihren Verdacht bekannt zu geben (Diagnoseaufklärung; vgl. Senatsurteil BGHZ 29, 176, 183 f.; OLG Nürnberg AHRS 3130/108). Dementsprechend hatte sie den Kläger im Rahmen der ihr obliegenden therapeutischen Aufklärungspflicht darauf hinzuweisen , er müsse bei fortschreitenden Symptomen sofort einen Augenarzt einschalten und im übrigen alsbald den Befund überprüfen lassen, damit der Kläger mögliche Heilungschancen wahrnehmen konnte. Das hat die Beklagte versäumt. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht in dieser unterlassenen therapeutischen Aufklärung einen Behandlungsfehler gesehen (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 1995 - VI ZR 32/94 - VersR 1995, 1099, 1100) und ihn als grob bewertet.2. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht auch darin, daß der Ursachenzusammenhang zwischen diesem groben Behandlungsfehler und dem entstandenen Körperschaden des Klägers nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Kläger keine sich ausweitende oder verschlechternde Symptomatik bemerkt hat. Das Oberlandesgericht stellt ohne Rechtsfehler fest, daß nicht auszuschließen ist, ein zur Kontrolluntersuchung eingeschalteter Augenarzt hätte vom Kläger selbst noch nicht bemerkte, aber für den Facharzt erkennbare Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung entdecken und daraufhin eine erfolgreiche Therapie durchführen können. 3. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht jedoch eine Umkehr der Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung und dem Schaden des Klägers, weil eine solche Beweislastumkehr dem Kläger nicht "ohne jede Wahrscheinlichkeit in die eine oder andere Richtung" zugebilligt werden könne. Damit zieht das Berufungsgericht nicht die gebotenen Folgerungen aus dem Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers.
a) Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, führt ein grober Behandlungsfehler grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. aa) Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen ; nahelegen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden dagegen nicht (vgl. Senatsurteile BGHZ 85, 212, 216 f.; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - VersR 1996, 1535, 1537; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 363; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - VersR 2004, 909, 911).
Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ist nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 12; 138, 1, 8; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - aaO; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO). Gleiches gilt, wenn sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen läßt (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - VersR 1981, 954, 955), oder wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, daß der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (vgl. Senatsurteile vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026, 1028; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO; KG VersR 1991, 928 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 19. Februar 1991 - VI ZR 224/90; OLG Braunschweig VersR 1998, 459, 461 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. Januar 1998 - VI ZR 161/97). Das Vorliegen einer solchen Ausnahme hat allerdings die Behandlungsseite zu beweisen (vgl. Senatsurteil vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO). bb) Hiernach war es Sache der Beklagten darzulegen und zu beweisen, daß ein ordnungsgemäßer Hinweis an den Kläger, er solle bei Befundverschlechterung umgehend eine Kontrolluntersuchung durchführen lassen, eine Netzhautablösung mit den eingetretenen Folgen weder verhindert noch abgemildert hätte. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, war ein solcher Hinweis geeignet, den Kläger zu einer kurzfristigen Kontrolluntersuchung zu veranlassen; eine solche wäre geeignet gewesen, Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung erkennbar zu machen und frühzeitiger Behandlungsmaßnahmen durchzuführen, die ihrerseits die später eingetretene Netzhautablösung verhindern oder feststellbar hätten vermindern können.
cc) Daß ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich wäre, hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Solches ergibt sich nicht aus den gutachtlichen Äußerungen d es Sachverständigen ; das wird auch von der Revisionserwiderung nicht geltend gemacht. Soweit diese darauf abstellt, das Berufungsgericht habe keine Wahrscheinlichkeit für Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung feststellen können, ist das nicht gleichbedeutend damit, daß ein Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung des Patienten und der Netzhautablösung äußerst unwahrscheinlich war. dd) Einer Umkehr der Beweislast steht auch nicht entgegen, daß der Kläger weitergehende Anzeichen als die bis dahin aufgetretenen Lichtblitze nicht bemerkt hat. Die Beklagte hätte den Kläger durch einen Hinweis auf die Gefahr einer Netzhautablösung, die infolge der Glaskörperabhebung drohte, zu einer baldigen Kontrolle des Augenhintergrundes veranlassen müssen, um das eingetretene Risiko möglichst gering zu halten. Das hat sie versäumt. Die Netzhautablösung ist eingetreten und hat zu einer Verringerung des Sehvermögens auf dem Auge geführt. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger auch ohne Fortschreiten der Symptome alsbald eine Kontrolluntersuchung hätte durchführen lassen, wäre er ordnungsgemäß über die Diagnose und die Gefahr für sein Sehvermögen aufgeklärt und auf die Notwendigkeit einer sofortigen Kontrolluntersuchung bei Verschlechterung hingewiesen worden. Das hätte, wie bereits ausgeführt, zur Vermeidung des Gesundheitsschadens führen können. Ohnehin ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Aufspaltung in eine "einfache" und eine "grobe" Pflichtwidrigkeit verfehlt, weil insoweit eine Gesamtbetrachtung der geschuldeten therapeutischen Aufklärung geboten ist, die sich als insgesamt grob fehlerhaft erweist, ohne daß es hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
b) Das Berufungsgericht hat den Ursachenverlauf in seine einzelnen Bestandteile aufgespalten und dann Anzeichen für eine Netzhautablösung vor dem 11. Januar 2000 sowie für den Erfolg einer vorbeugenden Behandlung vermißt. Eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers hat es verneint, weil zu den genannten Umständen auch keine Wahrscheinlichkeiten feststellbar seien. Das widerspricht den Grundsätzen des erkennenden Senats zu den Rechtsfolgen eines groben Behandlungsfehlers. aa) Eine Unterteilung des Ursachenzusammenhangs in unmittelbare und mittelbare Ursachen ist dem Haftungsrecht fremd (vgl. Senatsurteile vom 11. November 1997 - VI ZR 146/96 - VersR 1998, 200 f.; vom 26. Januar 1999 - VI ZR 374/97 - VersR 1999, 862; vom 27. Juni 2000 – VI ZR 201/99 – VersR 2000, 1282, 1283). Beim groben Behandlungsfehler umfaßt die in Betracht stehende Umkehr der Beweislast den Beweis der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den haftungsbegründenden Primärschaden, der ohne die Beweislastumkehr dem Patienten nach § 286 ZPO obläge. Auf die haftungsausfüllende Kausalität, d.h. den Kausalzusammenhang zwischen körperlicher oder gesundheitlicher Primärschädigung und weiteren Gesundheitsschäden des Patienten wird die Beweislastumkehr nicht ausgedehnt, es sei denn, der sekundäre Gesundheitsschaden wäre typisch mit dem Primärschaden verbunden und die als grob zu bewertende Mißachtung der ärztlichen Verhaltensregel sollte gerade auch solcherart Schädigungen vorbeugen (vgl. Senatsurteile vom 21. Oktober 1969 - VI ZR 82/68 - VersR 1969, 1148, 1149; vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - VersR 1978, 764, 765). Eine Zerlegung des Kausalzusammenhangs in seine einzelnen logischen Bestandteile im übrigen kommt nicht in Betracht. bb) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht hier eine Umkehr der Beweislast nicht verneinen. Die Parteien streiten nicht um einen Sekundärschaden des Klägers. Vielmehr beruht die Schädigung des Sehvermö-
gens auf dem Primärschaden der Netzhautablösung, die der Kläger als Schädigung geltend macht (vgl. zur Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärschaden Senatsurteile vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87 - VersR 1989, 145; vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98 - VersR 1998, 1153, 1154). 4. Nach allem ist die Klage zum Zahlungsanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F.; 304 Abs. 1, 555 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Feststellungsklage hat im Rahmen des gestellten Antrags ebenfalls Erfolg. Sie ist zulässig. Die Beklagte hat ihre haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede gestellt und Verjährung droht; die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts kann nicht verneint werden, das erforderliche Feststellungsinteresse ist daher gegeben (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874). Der Feststellungsantrag ist auch begründet, denn Gegenstand der Feststellungsklage ist ein befürchteter Folgeschaden aus der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - aaO). Auch der Vorbehalt hinsichtlich künftiger noch ungewisser und bei der Ausurteilung der Zahlungsklage auf Schmerzensgeld noch nicht berücksichtigungsfähiger immaterieller Schäden ist zulässig (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 - NJW 2004, 1243, 1244).
Zum Betrag der Zahlungsklage ist die Sache nicht entscheidungsreif. Insoweit ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.