Sozialgericht Dortmund Beschluss, 18. Mai 2015 - S 35 AL 256/15 ER
Tenor
Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes werden abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darum, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller trotz einer gegen ihn im August 2014 verhängten Bewährungsstrafe Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt eines Rehabilitationsvorbereitungslehrgangs vom 16.03.2015 bis zum 21.06.2015 und einer Umschulung zum Automobilkaufmann vom 22.06.2015 bis zum 21.06.2017 zu gewähren hat.
3Der Antragsteller ist am 30.06.1989 geboren. Er absolvierte von 2007 bis 2011 eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker. Er steht nunmehr beim Jobcenter Kreis Unna im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
4Die letzte in der vom Gericht beigezogenen Ermittlungsakte in der Sache 117 Js 248/12 der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 31.05.2014 vorliegende Auskunft des Bundeszentralregisters enthält im Hinblick auf den Antragsteller folgende Eintragungen:
5• Eine Eintragung aufgrund einer Verurteilung des Amtsgerichts Warendorf vom 03.05.2011 zu 50 Tagessätzen je EUR 15,- Geldstrafe (Az. 81 Js 2609/10 40 Cs 103/11) wegen Beleidigung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (Datum der (letzten) Tat: 18.09.2010).
6• Eine Eintragung aufgrund einer Verurteilung des Amtsgerichts Warendorf vom 29.06.2011 zu 30 Tagessätzen zu je EUR 10,- Geldstrafe (Az. 82 Js 244/11 40 Ds 10/11) wegen Sachbeschädigung (Datum der (letzten) Tat: 06.12.2010).
7• Eine Eintragung aufgrund einer Entscheidung des Amtsgerichts Warendorf vom 23.09.2011 (Az. 81 Js 2609/10 40 Cs 103/11) im Hinblick auf die Bildung einer Gesamtstrafe (65 Tagessätze zu je EUR 15,- Geldstrafe) aufgrund der vorgenannten Verurteilungen.
8• Eine Eintragung aufgrund einer Verurteilung des Amtsgerichts Warendorf vom 16.01.2012 zu 30 Tagessätzen zu je EUR 15,- Geldstrafe (Az. 82 Js 8830/11 40 Cs 289/11) wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz (Datum der (letzten) Tat: 25.08.2011).
9Mit Urteil vom 05.08.2014 verurteilte das Amtsgericht Unna - Schöffengericht - (Az. 103 Ls - 117 Js 248/12 - 81/14) den Antragsteller darüberhinaus wegen gewerbsmäßigen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
10In dem Urteil heißt es:
11"Der Angeklagte bot im Internet über die Verkaufsplattform "XXX" hochwertige Mobiltelefone und Kleidungsstücke zum Verkauf an, obwohl er von Anfang weder in der Lage war, die von den Käufern erworbenen Gegenstände zu liefern noch willens war, diese zu beschaffen. Die Käufer zahlten den Kaufpreis per Nachnahmeüberweisung auf sein Konto bei der XXX. Statt der erworbenen Gegenstände übersandte der Angeklagte an die Käufer Pakete, welche Erde, Steine oder alte Kleidungsstücke enthielten. Er wollte sich hierdurch eine nicht nur vorübergehende, erhebliche Einnahmequelle verschaffen, weil er anderweitig keinen Kredit bekommen konnte. Das erbeutete Geld verwendete er unter anderem für den Kauf eines PKWs."
12In der Folge stellt das Urteil 15 einzelne Fallgestaltungen dar.
13Weiter heißt es:
14"Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts auf Grund der geständigen Einlassungen des Angeklagten, die sich auch mit dem Inhalt der Ermittlungsakte deckt, fest. Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Angeklagten bestehen nicht."
15Das Urteil des Amtsgerichts Unna ist rechtskräftig. Mit Beschluss ebenfalls vom 05.08.2014 wurde die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt.
16Am 23.08.2014 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Insbesondere aufgrund von Rückenbeschwerden nach einem Sportunfall und einer Allergie könne er seine Tätigkeit als Kraftfahrzeugmechaniker nicht mehr ausüben. Er begehre nunmehr eine Ausbildung zum Automobilkaufmann. Nach der Einholung ärztlicher und psychologischer Gutachten meldete die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 13.02.2015 für den Zeitraum vom 16.03.2015 bis zum 22.06.2015 für einen Rehabilitationsvorbereitungslehrgang und für den Zeitraum vom 21.06.2015 bis zum 21.06.2017 für eine Umschulung zum Automobilkaufmann beim XXX an.
17Einen bereits vorbereiteten und auf den 04.03.2015 datierten "Grundsatzbescheid" über die Bewilligung der vorgenannten Leistungen händigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller nicht aus. Mit Bescheid vom 05.03.2015 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Lehrgangskosten in Höhe von EUR 1634,70 monatlich für den Zeitraum vom 16.03.2015 bis zum 21.03.2015 ( Rehabilitationsvorbereitungslehrgang) und in Höhe von EUR 1729,20 monatlich für den Zeitraum vom 22.06.2015 bis zum 21.06.2017 (Umschulung zum Automobilkaufmann). Die Lehrgangskosten würden direkt an den Maßnahmeträger gezahlt. In der Folge brachte die Antragsgegnerin über das Jobcenter Kreis Unna in Erfahrung, dass der Antragsteller sich im Juni und August 2014 in Untersuchungshaft befunden hatte. Gemäß einem Verbis-Vermerk der Antragsgegnerin vom 10.03.2015 informierte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf entsprechende Rückfrage über seine Verurteilung und erklärte, dass er nach seiner Auffassung einen diesbezüglichen Eintrag in seinem polizeilichen Führungszeugnis habe. Die Mitarbeiterin der Antragsgegnerin, Frau XXX, äußerte in der Folge gegenüber dem Antragsteller, dass er ihrer Auffassung nach in dem Zielberuf keine Integrationschance mehr habe, sofern die Eintragung noch zum Zeitpunkt des Abschlusses der Maßnahme vorliege. Der Antragsteller solle klären, welche Eintragungen im Führungszeugnis wie lange bestünden, und das Führungszeugnis vorlegen. Gemäß Verbis-Vermerk vom 13.03.2015 erklärte der Antragsteller, dass er das Führungszeugnis nicht vorlegen werde. Er zeigte das Führungszeugnis in der Folgezeit auch nicht vor.
18Mit Schreiben vom 13.03.2015 erklärte die Antragsgegnerin gegenüber dem Berufsförderungswerk Dortmund, dass sie die Anmeldung des Antragstellers zu den vorgenannten Maßnahmen zurücknehme.
19Mit Bescheid vom 16.03.2015 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers die von ihm begehrten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Die Eignung für eine Schulung im kaufmännischen Bereich liege nicht vor. Eine berufliche Rehabilitation in diesem Bereich könne wegen fehlender Integrationschancen nicht erreicht werden. Ebenfalls mit Bescheid vom 16.03.2015 hob sie den Bescheid vom 16.03.2015 über die Bewilligung der Lehrgangsgebühren auf. Die Förderzusage sei wegen fehlender Eignung von der Rehaberatung zurückgezogen worden. Eine Auszahlung der Lehrgangsgebühren an den Maßnahmeträger war zuvor nach Stand der Akte nicht erfolgt. Gegen beide Bescheide erhob der Antragsteller am 18.03.2015 Widerspruch.
20Am 20.03.2015 hat der Antragsteller einen Antrag auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel einer vorläufigen Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung der Leistung für Rehabilitationsmaßnahmen - so wörtlich - "gemäß dem Bewilligungsbescheid vom 05.03.2015" - gestellt.
21Er habe im Zusammenhang mit der Antragstellung alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortet. Zu etwaigen Vorstrafen sei er nicht befragt worden. Er sei nicht davon ausgegangen, ungefragt Auskünfte geben zu müssen.
22Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
231.)
24der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig im Hinblick auf die Entscheidung in einem möglichen Hauptsacheverfahren aufzugeben, ihm dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß den §§ 112 ff. SGB III für seine Teilnahme am Rehabilitationsvorbereitungslehrgang und die anschließende Umschulung zum Automobilkaufmann beim Berufsförderungswerk Dortmund zu gewähren.
252.)
26die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 18.03.2015 gegen den Aufhebungsbescheid vom 16.03.2015 anzuordnen.
27Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
28die Anträge abzulehnen.
29Sie nimmt weiterhin Bezug auf die fehlende Eignung des Antragstellers für die Rehabilitationsmaßnahme. Bereits aufgrund der Länge der Bewährungszeit könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Umschulung nach ihrem geplanten Ende zum Erfolg führe. Bei erstmaliger Förderung ergehe gemäß ihrer Verwaltungspraxis immer ein Grundsatzbescheid, mit dem der grundsätzliche Rehabilitationsbedarf festgestellt und die konkrete Maßnahme aufgeführt werde. Dieser Bescheid sei Grundlage für die einzelnen Leistungsbescheide. Zur Bewilligung der Lehrgangskosten sei es nur gekommen, weil die Rehabilitationsberaterin ihre positive Stellungnahme bereits zu einem Zeitpunkt an den Leistungsbereich übersandt habe, zu dem der "Grundsatzbescheid" nur vorbereitet war.
30Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat auf Anfrage des Gerichts dahingehend Stellung genommen, dass die Verurteilung des Amtsgerichts Unna in ein polizeiliches Führungszeugnis aufzunehmen sei. Aufgrund der Vorschrift des § 47 Abs.3 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) könne nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, welche Eintragungen am 21.06.2017 noch vorlägen.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten sowie auf die beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Dortmund Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe:
33Im vorliegenden Fall bedarf der Antrag des Antragstellers zunächst der Auslegung im Sinne von § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Ausweislich der Antragstellung und der diese begründenden Schriftsätze ist das einstweilige Rechtsschutzverfahren auf die Förderung des Rehabilitationsvorbereitungslehrgangs und der Umschulung zum Automobilkaufmann gemäß den zwischen den Beteiligten ursprünglich anvisierten Planung gerichtet. Die vorzunehmende Auslegung führt dazu, dass das Begehren des Antragstellers durch zwei separate - in den Gründen zu 1.) dargestellte - Anträge zu verfolgen ist. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu beachten, dass die gesetzliche Konzeption eine Abstufung zwischen einer "grundsätzlichen Entscheidung" über die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 112 Abs.1 SGB III; 33 Abs.1 SGB IX) und die Bewilligung von gegebenenfalls periodisch neu zu beurteilenden Folgebewilligungen (so z.B. § 33 Abs.3 Nr. 3 SGB IX: Weiterbildungskosten; § 53 SGB IX: Reisekosten) nahelegt. Dies entspricht gemäß der Stellungnahme der Antragsgegnerin auch der dortigen Verwaltungspraxis. Im vorliegenden Fall liegt nunmehr eine noch nicht bestandskräftige ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin über die grundsätzliche Bewilligung der Leistungen für die Rehabilitationsmaßnahmen "Rehabilitationsvorbereitungslehrgang" und "Umschulung zum Automobilkaufmann" vor. Da dem Antragsteller in dieser Fallgestaltung die alleinige "Beseitigung" der ablehnenden Entscheidung nicht weiterhilft, kann er aufgrund der in § 86 b Abs.2 Satz 1 SGG getroffenen Abgrenzungsregelung sein Ziel im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 SGG erreichen. Auf der "zweiten Stufe" hatte die Antragsgegnerin im Hinblick auf die Lehrgangskosten mit dem Bescheid vom 05.03.2015 dagegen schon eine Bewilligung ausgesprochen, die sie nunmehr mit dem Bescheid vom 16.03.2015 aufgehoben hat. In einer möglichen Hauptsache ist das Begehren des Antragstellers damit auf das "Wiederaufleben" des Bewilligungsbescheides vom 05.03.2015 gerichtet, das er allein durch eine Kassation des Aufhebungsbescheides vom 16.03.2015 und damit über eine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs.1 Satz 1 1. Alt. SGG erreichen könnte. Aufgrund dieser Anfechtungssituation und der Tatsache, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers aufgrund der Vorschriften der §§ 336 a Satz 2 SGB III, 86 b Abs.2 Nr.2 SGG entfällt, ist insoweit ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG statthaft.
34Die so verstandenen Anträge des Antragstellers waren abzulehnen.
35Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Antrag zu 1.).
36Eine einstweilige Anordnung kann gemäß § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG hat der Antragsteller im Sinne von § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen, dass ihm der umstrittene und zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) zusteht und die Regelung eines vorläufigen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund).
37Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller aber bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat unter Berücksichtigung der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Prüfungsdichte keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf die Gewährung von Leistungen für die von ihm durch seinen Antrag ausdrücklich konkretisierten Rehabilitationsmaßnahmen beim Berufsförderungswerk Dortmund.
38Gemäß § 112 Abs.1 SGB III können für behinderte Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern. Gemäß § 112 Abs.2 SGB III Satz 1 SGB III sind bei der Auswahl der Leistungen Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen.
39In diesem Zusammenhang steht der Antragsgegnerin insbesondere im Hinblick auf das "Wie" der Maßnahme ein Ermessensspielraum ("Auswahlermessen") zu, der nur in Ausnahmefällen auf Null reduziert ist und dem Leistungsbegehrenden nur dann das Recht auf eine ganz bestimmte Leistung vermitteln kann (vgl. hierzu nur Karmanski in Brand, SGB III, Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung, 6. Auflage, München 2012, - zu § 112 SGB III, Rn.5). Eine solche Ermessensreduzierung auf Null ist im Hinblick auf den vom Antragsteller verfolgten Anspruch aber bereits deshalb nicht gegeben, weil die Antragsgegnerin zur Überzeugung des Gerichts eine der gemäß der gesetzlichen Wertung des § 112 Abs.2 Satz 1 SGB III bei der Ermessensausübung zu berücksichtigenden Kriterien - nämlich die Eignung für die konkrete Maßnahme - zu Recht verneint hat. Der Rehabilitand ist für eine berufsfördernde Leistung nämlich nur geeignet, wenn er hierdurch auf Dauer beruflich eingegliedert werden kann (Karmanski in Brand, SGB III, Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung, 6. Auflage, München 2012, - zu § 112 SGB III, Rn.28).
40Nach Auffassung des Gerichts ist aufgrund der Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht Unna am 05.08.2014 aber nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller zeitnah nach dem anvisierten Abschluss der Umschulungsmaßnahme im Jahr 2017 eine dauerhafte Anstellung als Automobilkaufmann finden kann.
41Bei der vom Amtsgericht Unna in diesem Urteil verhängte Strafe handelt es sich um eine solche, die der Antragsteller über das Jahr 2017 hinaus gegenüber einem potentiellen Arbeitgeber jedenfalls auf Nachfrage benennen muss. Der Arbeitgeber darf nämlich beim Arbeitnehmer bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses Informationen zu Vorstrafen einholen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies "erfordert", d.h. bei objektiver Betrachtung, berechtigt erscheinen lässt (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1071/12 –, Rn. 29, juris). Dies gilt insbesondere, wenn die verübten Straftaten negative Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit für die Pflichterfüllung im einzugehenden Arbeitsverhältnis zulassen. Dies kann etwa bei Vermögensstraftaten des Bewerbers bei einer Einstellung als Bankangestellter oder bei Verkehrsstraftaten eines Berufskraftfahrers der Fall sein (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 10. März 2011 – 11 Sa 2266/10 –, Rn. 49, juris). Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber in der Folge nach § 123 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1071/12 –, Rn. 28, juris). Bei der Verurteilung des Antragstellers wegen gewerbsmäßigen Betruges als Vermögensdelikt handelt es sich nach Auffassung des Gerichts auch um eine solche, die negative Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit für die Pflichterfüllung im Arbeitsverhältnis als Automobilkaufmann zulässt. Die Tätigkeit als Automobilkaufmann ist nämlich sowohl durch einen Umgang mit nicht unerheblichen Vermögenswerten als auch durch beratende Funktionen gegenüber potentiellen Käufern von Kraftfahrzeugen geprägt. Insbesondere die letztgenannte Tätigkeit zeitigt ein gewisses Gefährdungspotential für die Begehung von Täuschungshandlungen. Das Gericht geht in diesem Zusammenhang auch davon aus, dass sich insbesondere eine Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Betruges auf die Einstellungschancen des Antragstellers jedenfalls bei der großen Mehrheit der Kraftfahrzeughändler weit überwiegend negativ auswirkt.
42Ein Recht des Antragstellers, sich als unbestraft zu bezeichnen, folgt jedenfalls im Jahr 2017 auch noch nicht aus dem Rehabilitationsgedanken. Hierbei ist an die Wertungen des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) anzuknüpfen (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 10. März 2011 – 11 Sa 2266/10 –, Rn. 49, juris). Gemäß § 53 Abs.1 BZRG darf der Verurteilte sich als ungestraft bezeichnen und braucht den der Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren, wenn die Verurteilung 1. nicht in das Führungszeugnis oder nur in ein Führungszeugnis nach § 32 Abs.3, 4 aufzunehmen oder 2. zu tilgen ist.
43Die Verurteilung des Antragstellers ist aber gemäß § 32 Abs.1 Satz 1 BZRG in ein polizeiliches Führungszeugnis aufzunehmen. Das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands gemäß § 32 Abs.2 BZRG ist nicht erkennbar. Dies entspricht auch der Einschätzung der Staatsanwaltschaft Dortmund in ihrer Stellungnahme vom 07.05.2015. Auch die Voraussetzungen des § 34 Abs.1 Satz 1 BZRG, wonach eine Verurteilung nach einer bestimmten Frist nicht mehr in ein Führungszeugnis aufzunehmen ist, sind hinsichtlich der hier in Rede stehenden Vorstrafe jedenfalls im Jahr 2017 noch nicht gegeben. Im vorliegenden Fall greift nämlich der Regelfall des § 34 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 BZRG, wonach eine Strafe fünf Jahre nach dem Tag des ersten Urteils (§ 36 Abs.1 Satz1 BZRG) nicht mehr in das Führungszeugnis aufzunehmen ist. Dies wäre hier erst am 05.08.2019 der Fall. Zu beachten ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf die weiteren Vorstrafen des Antragstellers auch, dass aufgrund der Vorschrift des § 47 Abs.3 BZRG bei mehreren Verurteilungen die Tilgung einer Verurteilung aus dem Bundeszentralregister erst möglich ist, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen einer Tilgung vorliegen. Gemäß § 38 Abs.1 BZRG sind bei mehreren im Bundeszentralregister eingetragenen Verurteilungen auch alle Verurteilungen in das Führungszeugnis aufzunehmen, solange eine von ihnen aufzunehmen ist.
44Nach der Einschätzung des Gerichts ist die Anforderung eines polizeilichen Führungszeugnisses bei der Einstellung in kaufmännische Berufe auch durchaus üblich. Die Pflicht eines Arbeitnehmers zur Vorlage eines Führungszeugnisses kann sich auch aus § 241 Abs.2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergeben (vgl. hierzu allgemein Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 04. Juli 2014 – 10 Sa 171/14 –, juris).
45Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 18.03.2015 gegen den Aufhebungsbescheid vom 16.03.2015 hat ebenfalls keinen Erfolg.
46Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG hat das Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse), mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorzunehmen. Diese Abwägung gestaltet sich wie folgt: Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil dann ein öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht besteht (vgl. z. B. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 12c ff.; Conrads in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2012, § 39 Rn. 16). Ist der Hauptsacherechtsbehelf hingegen aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Dabei kann die Klage unter Umständen auch bei einem Verwaltungsakt, der unter Verletzung von Form- oder Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist, ohne Erfolgsaussicht sein, wenn damit zu rechnen ist, dass dieser Fehler noch korrigiert (vgl. § 41 Abs.1, 2 SGB X) wird (vgl. Keller a. a. O. m. w. N.). Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung. Es gilt insoweit der Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten sind, um so geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. Keller a. a. O. m. w. N.). Sofern die vorgenannte Interessenabwägung nicht zu einem Ergebnis führt ("non liquet"), ist die gesetzliche Wertung zu beachten: Aus den im vorliegenden Fall einschlägigen §§ 336 a Satz 2 SGB III, 86a Abs.2 Nr.2 SGG ergibt sich, dass der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individualinteressen und der öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt.
47Nach diesen Maßgaben war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 18.03.2015 gegen den Aufhebungsbescheid vom 16.03.2015 nicht anzuordnen. Dieser erweist sich nach der im Rahmen eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vorzunehmenden summarischen Prüfung nämlich als rechtmäßig, so dass einem möglichen Hauptsacherechtsbehelf keine Erfolgsaussicht zukommt. Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides ist § 45 Abs.1 SGB X. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bescheid über die Bewilligung von Lehrgangskosten war nach der Einschätzung des Gerichts bereits ursprünglich rechtswidrig. In diesem Rahmen kann dahinstehen, inwiefern eine solche Rechtswidrigkeit bereits daraus resultiert, dass die Antragsgegnerin ohne das Vorliegen der "Grundsatzentscheidung" über die Bewilligung der Rehabilitationsmaßnahme die Bewilligung einer hierauf fußenden Einzelleistung vorgenommen hat. Jedenfalls schlägt die festgestellte fehlende Eignung des Antragstellers für die begehrte Maßnahme, die auch zur Rechtswidrigkeit einer "Grundsatzentscheidung" gemäß § 112 SGB IIIf führen würde, auch auf die Rechtmäßigkeit der Folgeentscheidung durch.
48Auf Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X kann der Antragsteller sich nicht berufen. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Im vorliegenden Fall sind aber weder Lehrgangskosten an den Antragsteller noch an das Berufsförderungswerk Dortmund ausgezahlt worden. Auch ist in keiner Weise erkennbar, dass der Antragsteller im Hinblick auf die von ihm zum Zeitpunkt der Aufhebung noch nicht angetretene Maßnahme irgendwelche Vermögensdispositionen getroffen hat. Sind Leistungen nicht erbracht oder Vermögensdispositionen nicht getroffen worden, überwiegt aber stets das öffentliche Interesse an der Herstellung der wahren Rechtslage für die Zukunft (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 SGB X, Rn. 70; vgl. hierzu auch Schütze in Von Wulffen, SGB X, Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, 6. Auflage zu § 45 SGB X, Rdnr.40).
49Da bereits grundsätzlich kein Vertrauensschutz des Antragstellers anzunehmen ist, kann dahinstehen, ob ein vertrauensschutzausschließender Tatbestand gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegt, insbesondere ob der Antragsteller gehalten war, die Antragsgegnerin über seine Vorstrafe zu informieren.
50Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 193 SGG.
Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Dortmund Beschluss, 18. Mai 2015 - S 35 AL 256/15 ER
Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Dortmund Beschluss, 18. Mai 2015 - S 35 AL 256/15 ER
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Sozialgericht Dortmund Beschluss, 18. Mai 2015 - S 35 AL 256/15 ER zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Für die Feststellung und Berechnung der Frist gelten die §§ 35, 36 entsprechend.
(2) Die Tilgungsfrist läuft nicht ab, solange sich aus dem Register ergibt, daß die Vollstreckung einer Strafe oder eine der in § 61 des Strafgesetzbuchs aufgeführten Maßregeln der Besserung und Sicherung noch nicht erledigt oder die Strafe noch nicht erlassen ist. § 37 Abs. 1 gilt entsprechend.
(3) Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Die Eintragung einer Verurteilung, durch die eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis für immer angeordnet worden ist, hindert die Tilgung anderer Verurteilungen nur, wenn zugleich auf eine Strafe erkannt worden ist, für die allein die Tilgungsfrist nach § 46 noch nicht abgelaufen wäre.
Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.
(1) Für Menschen mit Behinderungen können Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern.
(2) Bei der Auswahl der Leistungen sind Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen. Soweit erforderlich, ist auch die berufliche Eignung abzuklären oder eine Arbeitserprobung durchzuführen.
Eltern, Vormünder, Pfleger und Betreuer, die bei den ihnen anvertrauten Personen Beeinträchtigungen (§ 2 Absatz 1) wahrnehmen oder durch die in § 34 genannten Personen hierauf hingewiesen werden, sollen im Rahmen ihres Erziehungs- oder Betreuungsauftrags diese Personen einer Beratungsstelle nach § 32 oder einer sonstigen Beratungsstelle für Rehabilitation zur Beratung über die geeigneten Leistungen zur Teilhabe vorstellen.
(1) Leistungen werden für die Zeit erbracht, die vorgeschrieben oder allgemein üblich ist, um das angestrebte Teilhabeziel zu erreichen. Eine Förderung kann darüber hinaus erfolgen, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen.
(2) Leistungen zur beruflichen Weiterbildung sollen in der Regel bei ganztägigem Unterricht nicht länger als zwei Jahre dauern, es sei denn, dass das Teilhabeziel nur über eine länger andauernde Leistung erreicht werden kann oder die Eingliederungsaussichten nur durch eine länger andauernde Leistung wesentlich verbessert werden. Abweichend von Satz 1 erster Teilsatz sollen Leistungen zur beruflichen Weiterbildung, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führen und für die eine allgemeine Ausbildungsdauer von mehr als zwei Jahren vorgeschrieben ist, nicht länger als zwei Drittel der üblichen Ausbildungszeit dauern.
(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag
- 1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, - 2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, - 3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.
(1) Für Menschen mit Behinderungen können Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern.
(2) Bei der Auswahl der Leistungen sind Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen. Soweit erforderlich, ist auch die berufliche Eignung abzuklären oder eine Arbeitserprobung durchzuführen.
Tenor
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Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Oktober 2012 - 5 Sa 389/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Anfechtung und einer ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsvertrags.
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Der im Mai 1982 geborene, verheiratete Kläger bewarb sich Mitte Januar 2010 um eine Stelle im allgemeinen Vollzugsdienst des beklagten Landes. Zu den angeforderten Bewerbungsunterlagen gehörte die formularmäßige „Erklärung über Straftaten“. Der Kläger gab an, er sei nicht vorbestraft; gegen ihn sei auch kein gerichtliches Strafverfahren und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen.
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Im Rahmen eines Verfahrens zur Eignungsfeststellung wurde er erneut um Auskunft über gerichtliche Bestrafungen und gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren gebeten. Der Kläger äußerte sich wie zuvor. Unter dem 28. April 2010 wurde auf seinen Namen ein Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde ausgestellt. Es enthielt keinen Eintrag.
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Am 1. Juni 2010 wurde dem Kläger eine „Erklärung über Vorstrafen und anhängige Strafverfahren bei Einstellungen durch eine Justizvollzugsbehörde“ vorgelegt. Er versicherte mit seiner Unterschrift, dass er „nicht gerichtlich bestraft“ und gegen ihn „ein gerichtliches Strafverfahren oder ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft nicht anhängig“ sei. Er bestätigte außerdem, darüber belehrt worden zu sein, dass er alle noch nicht getilgten oder nicht tilgungsreifen strafgerichtlichen Verurteilungen anzugeben und nach § 53 Abs. 2 iVm. § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG auch über diejenigen Verurteilungen Auskunft zu geben habe, die nicht in ein Führungszeugnis oder nur in ein solches für Behörden aufzunehmen seien. Laut des Protokolls über ein Gespräch vom gleichen Tage erklärte bzw. bestätigte der Kläger außerdem: „Gegen mich ist weder ein Strafverfahren noch ein Ermittlungsverfahren anhängig oder in den letzten drei Jahren anhängig gewesen. Auf die möglichen Folgen, die sich aus dem Verschweigen solcher Verfahren ergeben könnten, bin ich hingewiesen worden“.
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Noch am 1. Juni 2010 unterzeichneten die Parteien einen Arbeitsvertrag. Seitdem ist der Kläger beim beklagten Land als Justizvollzugsbediensteter tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft vertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für das beklagte Land geltenden Fassung Anwendung.
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Im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung nach § 9 SÜG NRW erfuhr das beklagte Land, dass der Kläger im Juli 2003 zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten wegen Körperverletzung und Betrugs verurteilt worden war. Die Vollstreckung der Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Zudem wurde bekannt, dass gegen ihn in den Jahren 2007 bis 2009 - teils aufgrund einer Selbstanzeige - acht Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung, Diebstahl, Hausfriedensbruch, Betrug, Beleidigung und gefährliche Körperverletzung geführt worden waren. Sechs Verfahren waren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. In zwei Verfahren war eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO erfolgt; die Geschädigten waren auf den Privatklageweg verwiesen worden. Die letzte Einstellungsverfügung datiert vom 24. August 2009.
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Mit Schreiben vom 17. Dezember 2010 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien - nach Beteiligung des Personalrats - ordentlich zum 31. Januar 2011. Mit Schreiben vom 19. Januar 2011 focht es den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Im Termin der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 20. Januar 2011 erklärte es - mündlich - die Anfechtung des Vertrags ein weiteres Mal.
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Der Kläger hat sich gegen die Anfechtung und - fristgerecht - gegen die Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein Anfechtungsgrund liege nicht vor. Er sei nicht verpflichtet gewesen, das beklagte Land über seine Vorstrafe und die Ermittlungsverfahren zu unterrichten. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und auch deshalb unwirksam, weil es an einer ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrats fehle.
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-
Der Kläger hat zuletzt beantragt
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1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 17. Dezember 2010 nicht aufgelöst worden ist;
2.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die am 20. Januar 2011 erklärte Anfechtung, noch durch die schriftliche Anfechtungserklärung vom 19. Januar 2011 aufgelöst worden ist;
3.
für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. und 2. das beklagte Land zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als JVA-Bediensteter zu im Übrigen unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;
4.
für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1. oder 2. das beklagte Land zu verurteilen, ihm ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
- 10
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Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat geltend gemacht, es habe den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten. Der Kläger habe bewusst falsche Angaben zu Vorstrafen und gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren gemacht. Bei wahrheitsgemäßer Erklärung wäre er nicht eingestellt worden. Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes einschließlich dort bestimmter Tilgungsfristen für strafgerichtliche Verurteilungen hätten ihrem Auskunftsverlangen nicht entgegengestanden. Die Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe Fragen zu seiner Person in einem für seine Beschäftigung elementaren Bereich falsch beantwortet. Das habe dem Arbeitsverhältnis die Vertrauensgrundlage entzogen. Zugleich habe er sich damit für eine Tätigkeit im allgemeinen Justizvollzugsdienst als ungeeignet erwiesen. In diesem Bereich sei es unerlässlich, dass Arbeitnehmer in Offenheit und Ehrlichkeit Beispiele gäben und bereit seien, eigene Fehler und Schwächen einzugestehen. Abgesehen davon seien die gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren in Anbetracht ihrer Anzahl und der ihnen zugrundeliegenden Tatvorwürfe Beleg für seine charakterliche Ungeeignetheit. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden und habe der Kündigung zugestimmt.
- 11
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Die Vorinstanzen haben den Klageanträgen zu 1. bis 3. stattgegeben. Mit seiner Revision begehrt das beklagte Land weiterhin, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klageanträge zu 1. und 2. - in der gebotenen Auslegung - zu Recht als zulässig und begründet angesehen. Die Hilfsanträge sind dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen.
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I. Die Feststellungsbegehren des Klägers sind zulässig. Sie sind als einheitlicher Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG anzusehen.
- 14
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1. Der Antrag zu 2. ist dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG nachgebildet und hat zwei punktuelle Streitgegenstände. Ein solcher Antrag ist grundsätzlich nur bei einer Kündigungsschutzklage im Anwendungsbereich des § 4 bzw. § 13 Abs. 1 KSchG zulässig(BAG 10. November 2011 - 6 AZR 357/10 - Rn. 13 mwN, BAGE 139, 376; vgl. ferner 21. November 2013 - 2 AZR 474/12 - Rn. 29).
- 15
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2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Antrag enthalte bei sachgerechtem Verständnis eine allgemeine Feststellungsklage iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Er sei auf die - unbedingte - Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz gerichtet.
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3. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts lässt außer Acht, dass die Frage, ob die Anfechtung berechtigt war und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat, vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage mit umfasst ist. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, der Kläger habe neben dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG zusätzlich eine eigenständige allgemeine Feststellungsklage iSv. § 256 Abs. 1 ZPO erheben wollen. Dafür bestand kein Bedürfnis (ähnlich BAG 27. September 2012 - 2 AZR 838/11 - Rn. 11).
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a) Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG ist das Begehren festzustellen, dass „das Arbeitsverhältnis“ durch die konkrete, mit der Klage angegriffene Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist. Die betreffende Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb regelmäßig zugleich fest, dass jedenfalls bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat, das nicht schon zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst worden ist (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 18; 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 13 mwN). Von dem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist auch die Frage umfasst, ob das Arbeitsverhältnis am vorgesehenen Auflösungstermin noch bestanden hat und nicht durch einen während der Kündigungsfrist eingetretenen Umstand aufgelöst worden ist(BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 18; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111).
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b) Demgegenüber ist Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO die Frage, ob das Arbeitsverhältnis über den durch die Kündigung bestimmten Auflösungstermin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz fortbestanden hat(im Einzelnen BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 31; 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 85, 262). Die Klage soll, soweit sie neben der Klage gemäß § 4 Satz 1 KSchG erhoben wird, klären, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund von Beendigungstatbeständen aufgelöst worden ist, die vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nicht erfasst sind(vgl. BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - aaO; 12. Mai 2005 - 2 AZR 426/04 - zu B I 2 der Gründe).
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c) Hat der Arbeitgeber neben einer ordentlichen Kündigung die Anfechtung des Arbeitsvertrags erklärt, hängt der Erfolg der Kündigungsschutzklage auch von der Wirksamkeit der Anfechtung ab, wenn diese - ihre Berechtigung unterstellt - auf einen Zeitpunkt wirkt, der vor dem Auflösungstermin der Kündigung liegt. Ob die Anfechtung durchgreift ist deshalb in aller Regel schon im Rahmen des Kündigungsschutzantrags zu überprüfen (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 19).
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d) So liegt der vorliegende Fall. Das Kündigungsschutzbegehren des Klägers kann nur Erfolg haben, wenn die Anfechtung des Arbeitsvertrags nicht durchgreift. Andernfalls hätte diese das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist aufgelöst.
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aa) Das Landesarbeitsgericht hat zwar nicht ausdrücklich festgestellt, wann dem Kläger die Anfechtungserklärung vom 19. Januar 2011 zugegangen ist. Darauf kommt es angesichts der am 20. Januar 2011 erneut verlautbarten Erklärung aber nicht an. Spätestens an diesem Tag ist die Anfechtung iSv. § 143 BGB „erfolgt“. Wäre sie berechtigt, wäre die Kündigungsschutzklage schon deshalb abzuweisen, weil am 31. Januar 2011 - dem maßgebenden Kündigungstermin - zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden hätte. Das gilt unabhängig davon, ob der Anfechtung Wirkung „ex nunc“ beizulegen wäre oder ob diese auf den Zeitpunkt einer Anfang Dezember 2010 erfolgten Freistellung des Klägers und einer damit einhergehenden „Außerfunktionsetzung“ des Arbeitsverhältnisses zurückwirken würde (vgl. dazu BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 19; 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349).
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bb) Der Erklärung im Schreiben vom 19. Januar 2011, der Arbeitsvertrag werde „zusätzlich und höchst vorsorglich“ angefochten, kann nicht entnommen werden, das beklagte Land habe von seinem Gestaltungsrecht nur für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung Gebrauch machen und/oder seiner Erklärung Wirkung lediglich für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist beilegen wollen. Einer solchen Bewertung steht die am 20. Januar 2011 erneut und - soweit ersichtlich - vorbehaltslos verlautbarte Anfechtungserklärung entgegen. Dies konnte der Kläger nur so verstehen, dass es dem beklagten Land darum ging, sobald als möglich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen.
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e) Danach ist das Feststellungsbegehren als einheitlicher Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG zu verstehen. Selbst wenn der Kläger hinsichtlich der Anfechtung eine allgemeine Feststellungsklage hätte erheben wollen, wäre diese unter die - zulässige - Rechtsbedingung gestellt, dass über die Berechtigung der Anfechtung nicht bereits im Rahmen des Kündigungsschutzantrags zu entscheiden ist.
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II. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Das beklagte Land hat den Arbeitsvertrag nicht wirksam angefochten (1.). Die ordentliche Kündigung vom 17. Dezember 2010 ist unwirksam (2.). Soweit das Arbeitsgericht und - ihm folgend - das Landesarbeitsgericht festgestellt haben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Anfechtungserklärungen nicht aufgelöst worden ist, kommt ihren Entscheidungen keine eigenständige Wirkung zu.
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1. Die Kündigungsschutzklage war nicht deshalb abzuweisen, weil zwischen den Parteien am 31. Januar 2011 kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden hätte. Das beklagte Land war nicht zur Anfechtung des Arbeitsvertrags berechtigt.
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a) Die Anfechtung war trotz der Kündigungserklärung nicht ausgeschlossen (BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 40; 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 a der Gründe). Beide Gestaltungsrechte bestehen grundsätzlich nebeneinander (vgl. BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 46 mwN).
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b) Eine arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.
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aa) Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber nach § 123 Abs. 1 BGB dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war(BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 24; 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 16).
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bb) Der Arbeitgeber darf beim Arbeitnehmer bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses Informationen zu Vorstrafen einholen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies „erfordert“, dh. bei objektiver Betrachtung berechtigt erscheinen lässt. Auch die Frage nach noch laufenden Straf- oder Ermittlungsverfahren kann - je nach den Umständen - zulässig sein (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 24; 27. Juli 2005 - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (1) der Gründe, BAGE 115, 296; 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 1 b cc der Gründe, BAGE 91, 349). Eine Einschränkung des Fragerechts kann sich insbesondere aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerbers, speziellen datenschutzrechtlichen Bestimmungen und den dabei zu berücksichtigenden Wertentscheidungen des BZRG ergeben (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - aaO; 21. Februar 1991 - 2 AZR 449/90 - zu II 1 b der Gründe; zur Frage nach eingestellten Ermittlungsverfahren vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 14 ff., BAGE 143, 343). Entsprechendes gilt, soweit dem Arbeitnehmer bei der Einstellung vom künftigen Arbeitgeber vorformulierte Erklärungen abverlangt werden, die sich auf Vorstrafen und/oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren beziehen (für Erklärungen zur „Verfassungstreue“ eines Bewerbers vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 45).
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cc) Das Verschweigen von Tatsachen, nach denen nicht gefragt wurde, stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht besteht. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände entweder dem Bewerber die Erfüllung seiner vorgesehenen arbeitsvertraglichen Leistungspflicht von vornherein unmöglich machen oder doch seine Eignung für den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz entscheidend berühren (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 25; 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 41; jeweils mwN).
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dd) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen und deshalb oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Arbeitgeber entstehen oder aufrechterhalten werden. Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber. Dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 26; 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 43; jeweils mwN).
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ee) Danach hat der Kläger das beklagte Land nicht arglistig getäuscht, weil er angegeben hat, er sei nicht vorbestraft und nicht „gerichtlich bestraft“. Die Verurteilung aus dem Jahr 2003 war im Bundeszentralregister getilgt, als er sich beim beklagten Land bewarb. Der Kläger musste die an ihn gerichteten Fragen und erbetenen Erklärungen nicht so verstehen, dass er Auskunft auch über tilgungsreife oder getilgte Vorstrafen geben sollte. Unabhängig davon hatte das beklagte Land kein berechtigtes Interesse an der Offenbarung entsprechender Verurteilungen.
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(1) Nach § 53 Abs. 1 BZRG darf sich der Verurteilte gegenüber Behörden und Privatpersonen als unbestraft bezeichnen und braucht den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren, wenn die Verurteilung nicht in das Führungszeugnis oder nur in ein Führungszeugnis für Behörden nach § 32 Abs. 3, Abs. 4 BZRG aufzunehmen(§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG)oder wenn sie zu tilgen ist (§ 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG).
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(2) Gemäß § 53 Abs. 2 BZRG kann sich der Verurteilte zwar - falls er hierüber belehrt wurde - gegenüber Gerichten oder Behörden nicht auf seine Rechte aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG berufen, soweit diese einen Anspruch auf unbeschränkte Auskunft haben. Die Ausnahme vom sog. Verschweigerecht bezieht sich nach der klaren gesetzlichen Vorgabe aber nur auf die von Abs. 1 Nr. 1 der Vorschrift erfassten Sachverhalte, nicht auf Verurteilungen iSv. § 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG, dh. auf tilgungsreife oder bereits getilgte Vorstrafen. Um eine solche Verurteilung handelt es sich hier. Das Amtsgericht Köln hatte gegen den Kläger am 29. Juli 2003 eine Jugendstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. Die Verurteilung unterlag gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BZRG einer Tilgungsfrist von fünf Jahren. Diese Frist war zu Beginn des Bewerbungsverfahrens verstrichen. Die Vorstrafe war überdies bereits aus dem Register entfernt (§ 45 Abs. 2 BZRG). Sie unterlag damit auch nicht mehr einer unbeschränkten Auskunft iSv. § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG, die Justizvollzugsbehörden für Zwecke des Strafvollzugs einschließlich der Überprüfung aller im Strafvollzug tätigen Personen beanspruchen können(vgl. Hase BZRG § 41 Rn. 1).
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(3) Demnach hat der Kläger hinsichtlich der fraglichen Verurteilung selbst dann keine falsche Auskunft erteilt, wenn man die in einigen Fragen des beklagten Landes vorgenommene zeitliche Einschränkung auf die „letzten drei Jahre“ unberücksichtigt lässt. Ein Bewerber, der allgemein nach „Vorstrafen“ oder „gerichtlichen Bestrafungen“ befragt wird, darf regelmäßig davon ausgehen, dass der zukünftige Arbeitgeber das Verschweigerecht achten will und sich die Frage/erbetene Erklärung auf den Umfang der Auskunftspflicht beschränkt. Bezüglich der Bewerbung des Klägers ist davon umso mehr auszugehen, als das beklagte Land ihn im Rahmen der erbetenen Erklärung vom 1. Juni 2010 ausdrücklich auf die Regelungen des BZRG, einschließlich des reklamierten „erweiterten Auskunftsrechts“, hingewiesen hat.
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(4) Im Übrigen ist ein schutzwürdiges berechtigtes Interesse des beklagten Landes, Auskunft über getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen zu erhalten, nicht zu erkennen.
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(a) Das sich aus der Vertrags- und Abschlussfreiheit ableitende Fragerecht des Arbeitgebers ist zivilrechtlich durch den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers begrenzt. Der Ausgleich der widerstreitenden Interessen erfolgt im Rahmen der sich aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 und § 242 BGB ergebenden vorvertraglichen Pflichten(vgl. Riesenhuber NZA 2012, 771, 772 f.).
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(b) Datenschutzrechtliche Bestimmungen, wie sie in §§ 179 ff. StVollzG, im BDSG und im DSG NRW normiert sind, konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie regeln, in welchem Umfang im jeweiligen Anwendungsbereich der Gesetze Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16, BAGE 143, 343). Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nur zulässig, wenn eine ihrerseits verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Das gilt für Datenerhebungen nach dem BDSG und DSG NRW ebenso wie für Erhebungen im Bereich des Strafvollzugs (zu Letzterem vgl. Calliess/Müller-Dietz StVollzG 11. Aufl. § 179 Rn. 2). Für Beschäftigte, zu denen nach § 3 Abs. 11 Nr. 1, Nr. 7 BDSG und § 29 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW neben Arbeitnehmern auch Bewerber zählen, enthalten § 32 Abs. 1 BDSG und § 29 Abs. 1 DSG NRW einen solchen Erlaubnistatbestand. Danach dürfen personenbezogene Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Die Regelungen schließen nicht automatisierte Datenerhebungen ein (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 24; 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - aaO). Nach § 179 Abs. 1 StVollzG darf die Vollzugsbehörde personenbezogene Daten erheben, soweit deren Kenntnis für den ihr nach dem Gesetz aufgegebenen Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich ist. Gemäß § 179 Abs. 2 Satz 1 StVollzG sind personenbezogene Daten bei dem Betroffenen zu erheben. Daten über Personen, die nicht Gefangene sind, dürfen ohne ihre Mitwirkung bei Personen oder Stellen außerhalb der Vollzugsbehörde nur erhoben werden, wenn sie ua. für die Sicherheit der Anstalt unerlässlich sind und die Art der Erhebung schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht beeinträchtigt.
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(c) Es kann dahinstehen, ob die bereichsspezifischen Regelungen in §§ 179 ff. StVollzG auch den Beschäftigtendatenschutz umfassen und in ihrem Anwendungsbereich die allgemeinen Regelungen im BDSG und DSG NRW verdrängen. „Erforderlich“ iSv. § 179 Abs. 1 StVollzG und § 32 Abs. 1 BDSG bzw. § 29 Abs. 1 DSG NRW ist die Informationsgewinnung nur, wenn ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Beantwortung seiner Fragen bzw. der sonstigen Informationsbeschaffung besteht und das Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung der Daten das Interesse des Arbeitgebers an ihrer Erhebung nicht überwiegt (BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 22, BAGE 143, 343). Davon ist auf der Grundlage sämtlicher hier in Betracht zu ziehenden Ermächtigungsgrundlagen nur dann auszugehen, wenn die nachgefragten Umstände für die Bewertung der Eignung des Beschäftigten von maßgebender Bedeutung sind (vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 28, aaO). Deshalb darf der Arbeitgeber bei der Einstellung in der Regel nur nach „einschlägigen“, dh. hinsichtlich der Eignung für einen ins Auge gefassten künftigen Aufgabenbereich relevanten Vorstrafen fragen (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 28).
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(d) Handelt es sich um Bewerbungen für Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, sind bei der vorzunehmenden Abwägung die Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG zu berücksichtigen. Geeignet im Sinne der Bestimmung ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören die Fähigkeit und innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten (BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 22, BAGE 143, 343; 27. Juli 2005 - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (1) der Gründe, BAGE 115, 296).
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(e) In Anbetracht dessen erscheint es erwägenswert, den öffentlichen Arbeitgeber als berechtigt anzusehen, Bewerber für eine Tätigkeit im Justizvollzugsdienst ohne gegenständliche Einschränkung nach Vorstrafen zu fragen. Strafrechtliche Verurteilungen sind unabhängig von dem ihnen zugrunde liegenden Delikt geeignet, Zweifel an der Rechtstreue und damit der Eignung des Bewerbers zu begründen. Das gilt allerdings nur für Verurteilungen, die nicht bereits der Tilgung unterliegen. Ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse des beklagten Landes, vom Kläger auch Auskunft über getilgte und zu tilgende Vorstrafen zu erlangen, ist nicht zu erkennen.
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(aa) Hinsichtlich getilgter oder tilgungsreifer Verurteilungen steht dem Betroffenen nicht nur das „Verschweigerecht“ aus § 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG zu. Er kann sich außerdem auf § 51 Abs. 1 BZRG berufen. Danach darf dem Betroffenen die Tat und die Verurteilung im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Strafregister getilgt worden oder zu tilgen ist. Auf diese Weise soll der Verurteilte vom Strafmakel befreit und seine Resozialisierung gefördert oder manifestiert werden (Kuhn JA 2011, 855, 856). Das Verbot erfasst alle Bereiche des Rechtslebens (Hase BZRG § 51 Rn. 2). Es ist auch im privatrechtlichen Bereich zu achten.
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(bb) Zwar sieht das Gesetz in § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG eine Ausnahme vom Vorhalte- und Verwertungsverbot vor, wenn die Einstellung des Betroffenen in den öffentlichen Dienst sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde. Das erweitert aber nicht dessen Auskunftspflicht. Dem öffentlichen Arbeitgeber wird vielmehr nur die Möglichkeit eingeräumt, die Verurteilung in Fällen zu berücksichtigen, in denen ihm getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen auf andere Weise als durch eine Registerauskunft bekannt geworden sind, und auch dies nur wenn schwerwiegende Gründe vorliegen. Die Begrenzung der Offenbarungspflichten des Betroffenen durch das „Verschweigerecht“ gemäß § 53 BZRG wird hierdurch nicht berührt(BeckOK StPO/Bücherl BZRG § 52 Rn. 7; Hase BZRG § 52 Rn. 2).
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(cc) Eine Verpflichtung, Angaben zu getilgten Strafen zu machen, ergibt sich nicht aus dem Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Landes Nordrhein-Westfalen (SÜG NRW). Im Rahmen einer einfachen Sicherheitsüberprüfung gemäß § 9 SÜG NRW, wie sie beim Kläger offenbar durchgeführt wurde, hat der Beschäftigte lediglich anhängige Straf- und Disziplinarverfahren anzugeben(§ 14 Abs. 1 Nr. 16 SÜG NRW). Das sieht das beklagte Land offenbar selbst nicht anders. Es beruft sich für das reklamierte - weitergehende - Auskunftsrecht nicht auf die fragliche Vorschrift.
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(dd) Es spricht einiges dafür, angesichts der in §§ 51 bis 53 BZRG getroffenen Wertentscheidungen des Gesetzgebers ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse auch des öffentlichen Arbeitgebers, beim Stellenbewerber Informationen über getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen einzuholen, generell zu verneinen(zur Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, ein Strafurteil aus den Personalakten zu entfernen, soweit die Verurteilung im BZRG gelöscht ist vgl. BAG 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 -). Selbst unterstellt, in den Fällen des § 51 Abs. 1 Nr. 4 BZRG käme ein Fragerecht in Betracht, ist zu berücksichtigen, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit nicht allein auf das Vorliegen einer Verurteilung als solche gestützt werden kann(BeckOK StPO/Bücherl BZRG § 52 Rn. 7; Hase BZRG § 52 Rn. 5). Daraus folgt zumindest das Erfordernis, eine Frage oder erbetene Erklärung sachlich auf Taten oder Deliktsbereiche zu begrenzen, die potentiell geeignet erscheinen, eine Ausnahme vom Verbot des § 51 Abs. 1 BZRG zu rechtfertigen. Dem genügt das Ersuchen des beklagten Landes nicht. Es hat seine Frage gegenständlich nicht eingeschränkt. Im Übrigen erscheint es ausgeschlossen, aus einer gegen den Kläger verhängten Jugendstrafe auf eine Gefährdung der Allgemeinheit iSv. § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG zu schließen.
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ff) Eine Verpflichtung des Klägers, die Verurteilung von sich aus zu offenbaren, bestand nicht. Das folgt aus seinem Verschweigerecht und dem zu seinen Gunsten bestehenden Verbot des § 51 Abs. 1 BZRG.
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gg) Der Kläger hat das beklagte Land nicht dadurch iSv. § 123 Abs. 1 BGB arglistig getäuscht, dass er die gegen ihn geführten, im Zeitpunkt der Bewerbung bereits eingestellten Ermittlungsverfahren verschwieg.
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(1) Soweit dem Arbeitgeber - je nach den Umständen - das Recht zugebilligt wird, Stellenbewerber nach laufenden Ermittlungsverfahren zu fragen, beruht dies auf der Erwägung, dass die Verfahren Zweifel an der Eignung und Zuverlässigkeit des Bewerbers für den konkreten Arbeitsplatz und die Besorgnis begründen können, er werde die in Aussicht genommene Stelle womöglich nicht antreten können, zumindest in seiner Verfügbarkeit eingeschränkt sein (vgl. BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 28; 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 1 b cc der Gründe, BAGE 91, 349; ErfK/Preis 14. Aufl. § 611 Rn. 281; Joussen NZA 2012, 776, 777; Linnenkohl AuR 1983, 129).
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(2) Dagegen hat auch der öffentliche Arbeitgeber grundsätzlich kein berechtigtes Interesse, den Bewerber unspezifiziert nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu fragen (BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 17 ff., BAGE 143, 343). Dies folgt aus der in § 53 BZRG iVm. § 41 Abs. 1 BZRG getroffenen Wertentscheidung des Gesetzgebers. Dass die Bestimmungen auf Ermittlungsverfahren nicht unmittelbar anwendbar sind, steht dieser Bewertung nicht entgegen.
- 50
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(a) Eingestellte Ermittlungsverfahren sind nicht in das Zentralregister einzutragen. Sie zählen demnach nicht zu den Verfahren, über die Gerichte und Behörden nach § 41 Abs. 1 BZRG uneingeschränkt Auskunft verlangen können. Ohne Schuldnachweis ist es nicht vertretbar, den Betroffenen mit den möglichen nachteiligen Folgen einer Eintragung zu belasten (BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 25 mwN, BAGE 143, 343). Besteht ein Verschweigerecht bereits in den von § 53 BZRG ausdrücklich geregelten Fällen, gilt dies umso mehr, wenn nach Vorgängen gefragt wird, die von vornherein nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen sind und über die auch den in § 53 Abs. 2, § 41 Abs. 1 BZRG genannten Stellen keine Auskunft erteilt wird(BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - aaO; Schaub/Linck 15. Aufl. § 26 Rn. 35).
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(b) Dabei ist unerheblich, welcher Sachverhalt den Ermittlungen zugrunde lag. Endet ein Strafverfahren durch Einstellung nach §§ 153 ff. StPO, steht der Betroffene weiter unter dem Schutz der Unschuldsvermutung (für eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO vgl. BVerfG 19. Dezember 1983 - 2 BvR 1731/82 - zu II 3 b (2) der Gründe; Moldenhauer in Karlsruher Kommentar zur StPO 7. Aufl. § 170 Rn. 18). Diese gilt zwar auch während noch laufender Ermittlungsverfahren. Doch steht für deren Dauer nicht fest, ob dem Arbeitnehmer das Verschweigerecht aus § 53 BZRG auch künftig noch zukommt(BAG 15. Dezember 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 26, BAGE 143, 343; 27. Juli 2005 - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (2) der Gründe, BAGE 115, 296).
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(c) Dem Recht, über eingestellte Ermittlungsverfahren zu schweigen, steht nicht entgegen, dass bei Einstellungen nach §§ 153 ff. StPO der Straftatverdacht nicht zwingend ausgeräumt sein muss und deshalb Nachteile durch ein solches Verfahren nicht schlechthin zu unterbleiben haben. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO tritt ein Strafklageverbrauch sogar überhaupt nicht ein - das Verfahren kann jederzeit auch bei gleicher Sach- und Rechtslage wieder aufgenommen werden(BAG 29. September 2011 - 2 AZR 674/10 - Rn. 35; 5. April 2001 - 2 AZR 217/00 - zu II 2 c der Gründe; Moldenhauer in Karlsruher Kommentar zur StPO 7. Aufl. § 170 Rn. 23 mwN). Dennoch überwiegt auch in diesem Fall das Recht des Betroffenen, sich nicht offenbaren zu müssen, das Informationsinteresse des Arbeitgebers. Es kommt hinzu, dass Ermittlungsverfahren, die mangels hinreichenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage eingestellt wurden, typischerweise keine geeignete Grundlage für eine Beurteilung der Eignung des Bewerbers bieten. Entsprechendes gilt, wenn die Verfahren auf den Privatklageweg verwiesen wurden. Der Arbeitgeber hat kein schützenswertes Interesse, den Bewerber nach Ermittlungsverfahren zu befragen, in deren Verlauf die Ermittlungsbehörden einen hinreichenden Tatverdacht oder angesichts geringer Schuld ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung nicht erkannt haben. Für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten gilt, wie die Wertungen in § 9 SÜG NRW zeigen, nichts anderes.
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c) Das beklagte Land war zur Anfechtung des Arbeitsvertrags nicht wegen des Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Klägers nach § 119 Abs. 2 Alt. 1 BGB berechtigt. Zwar kann eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung die Anfechtung wegen Irrtums in sich schließen. Dem Anfechtenden ist es dann grundsätzlich nicht verwehrt, sich nachträglich auf diesen Grund zu berufen (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 270/11 - Rn. 38 mwN). Voraussetzung ist aber, dass auch die Frist des § 121 Abs. 1 BGB gewahrt ist. Die Anfechtung muss in den Fällen des § 119 BGB ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, sobald der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Das ist hier nicht geschehen. Das beklagte Land hat das Arbeitsverhältnis der Parteien am 17. Dezember 2010 wegen des Verschweigens einer Vorstrafe und mehrerer Ermittlungsverfahren ordentlich gekündigt. Die auf die nämlichen Gründe gestützte Anfechtung des Arbeitsvertrags hat es erst einen Monat später erklärt. Dies war - auch mit Blick auf eine ihm einzuräumende Überlegungsfrist - nicht mehr unverzüglich, ohne dass geklärt werden müsste, zu welchem genauen, allemal aber vor der Kündigung liegenden Zeitpunkt ihm die maßgebenden Tatsachen bekannt geworden waren. Darauf, ob die behauptete Unzuverlässigkeit des Klägers und eine ihm zugeschriebene „Gewalttätigkeit“ verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person sein können, kommt es nicht an.
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2. Die Kündigung vom 17. Dezember 2010 ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und deshalb unwirksam.
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a) Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Dieses bestand bei Zugang der Kündigung schon länger als sechs Monate iSv. § 1 Abs. 1 KSchG; der betriebliche Geltungsbereich des Gesetzes nach § 23 Abs. 1 KSchG ist eröffnet.
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b) Die Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Dieser hat seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten nicht verletzt.
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c) Die Kündigung ist ebenso wenig durch Gründe in der Person des Klägers bedingt.
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aa) Hat sich der Arbeitnehmer außerdienstlich strafbar gemacht, kann dies Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit begründen. Das außerdienstliche Verhalten kann - abhängig von seiner Funktion - dazu führen, dass dem Arbeitnehmer künftig die Eignung für die Erledigung seiner Aufgaben fehlt. Ob daraus ein in der Person liegender Kündigungsgrund folgt, hängt von der Art des Delikts und der konkreten Aufgabenstellung des Arbeitnehmers ab. So können außerdienstlich begangene Straftaten eines mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Arbeitnehmers auch dann zu einem Eignungsmangel führen, wenn es an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis fehlt (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 14; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 24, BAGE 132, 72). Das gilt grundsätzlich auch für ein Verhalten vor Begründung des Arbeitsverhältnisses, wenn es die Eignung des Arbeitnehmers tatsächlich (noch) berührt.
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bb) Das beklagte Land hat sich für einen Eignungsmangel des Klägers nicht auf die gegen ihn verhängte Jugendstrafe berufen. Sie wäre in der Tat ungeeignet, einen solchen Mangel zu begründen.
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cc) Das beklagte Land stützt die Kündigung auf den Gegenstand der gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren. Sein Vorbringen rechtfertigt die Kündigung nicht. Das gilt auch angesichts seiner Behauptung, der Kläger habe sich in einem Fall selbst angezeigt und dabei angegeben, er habe seine Ehefrau wiederholt körperlich verletzt und sie in der gemeinsamen Wohnung eingesperrt.
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(1) Das beklagte Land durfte diese Erkenntnisse zwar verwerten. Sein Vortrag ist aber nicht hinreichend substantiiert. Um darzulegen, der Kläger sei wegen dieses Verhaltens für eine Tätigkeit im Strafvollzugsdienst ungeeignet, reicht es nicht aus, auf einzelne nicht weiter aufgeklärte Umstände zu verweisen und das Verhalten pauschal, ohne konkrete Angaben zur Tatzeit und zum Tathergang zu umschreiben.
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(2) Das beklagte Land hat zudem den fraglichen Sachverhalt dem Personalrat nicht unterbreitet. Es hat diesem im Rahmen der schriftlichen Unterrichtung nach § 74 Abs. 1 PersVG NRW lediglich mitgeteilt, der Kläger habe im Verlauf des Bewerbungsverfahrens falsche Angaben gemacht; der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht stelle einen schweren Vertrauensbruch dar und sei als arglistige Täuschung zu werten. Zum Gegenstand der Ermittlungsverfahren hat es - so sein Vorbringen - „in Ergänzung“ des Unterrichtungsschreibens „dem Personalrat weitere Einzelheiten (…) mitgeteilt“. Um welche „Einzelheiten“ es sich dabei handelte, hat es nicht vorgetragen. Dies bedeutet zwar nicht notwendig, dass die Beteiligung des Personalrats fehlerhaft war. Die Mängel in der Unterrichtung verwehren es dem beklagten Land jedoch, sich auf das den Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Verhalten des Klägers eigenständig zu berufen (vgl. dazu BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 41 mwN).
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III. Der Antrag des Klägers auf Weiterbeschäftigung für die Dauer des Verfahrens ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig abgeschlossen.
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IV. Ebenso wenig war über den Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses zu entscheiden. Er ist zwar in die Revision gelangt (vgl. BAG 16. März 2010 - 3 AZR 594/09 - Rn. 75 mwN, BAGE 133, 289). Er wurde aber nur für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsbegehren gestellt.
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V. Als unterlegene Partei hat das beklagte Land gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
-
Kreft
Rachor
Berger
Perreng
Wolf
(1) Verurteilte dürfen sich als unbestraft bezeichnen und brauchen den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren, wenn die Verurteilung
- 1.
nicht in das Führungszeugnis oder nur in ein Führungszeugnis nach § 32 Abs. 3, 4 aufzunehmen oder - 2.
zu tilgen ist.
(2) Soweit Gerichte oder Behörden ein Recht auf unbeschränkte Auskunft haben, können Verurteilte ihnen gegenüber keine Rechte aus Absatz 1 Nr. 1 herleiten, falls sie hierüber belehrt werden.
(1) In das Führungszeugnis werden die in den §§ 4 bis 16 bezeichneten Eintragungen aufgenommen. Soweit in Absatz 2 Nr. 3 bis 9 hiervon Ausnahmen zugelassen werden, gelten diese nicht bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches.
(2) Nicht aufgenommen werden
- 1.
die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 des Strafgesetzbuchs, - 2.
der Schuldspruch nach § 27 des Jugendgerichtsgesetzes, - 3.
Verurteilungen, durch die auf Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt oder nach § 35 des Betäubungsmittelgesetzes zurückgestellt und diese Entscheidung nicht widerrufen worden ist, - 4.
Verurteilungen, durch die auf Jugendstrafe erkannt worden ist, wenn der Strafmakel gerichtlich oder im Gnadenweg als beseitigt erklärt und die Beseitigung nicht widerrufen worden ist, - 5.
Verurteilungen, durch die auf - a)
Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen, - b)
Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten
- 6.
Verurteilungen, durch die auf Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes - a)
nach § 35 oder § 36 des Betäubungsmittelgesetzes zurückgestellt oder zur Bewährung ausgesetzt oder - b)
nach § 56 oder § 57 des Strafgesetzbuchs zur Bewährung ausgesetzt worden ist und sich aus dem Register ergibt, daß der Verurteilte die Tat oder bei Gesamtstrafen alle oder den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat,
- 7.
Verurteilungen, durch die neben Jugendstrafe oder Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist, wenn die Vollstreckung der Strafe, des Strafrestes oder der Maßregel nach § 35 des Betäubungsmittelgesetzes zurückgestellt worden ist und im übrigen die Voraussetzungen der Nummer 3 oder 6 erfüllt sind, - 8.
Verurteilungen, durch die Maßregeln der Besserung und Sicherung, Nebenstrafen oder Nebenfolgen allein oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln angeordnet worden sind, - 9.
Verurteilungen, bei denen die Wiederaufnahme des gesamten Verfahrens vermerkt ist; ist die Wiederaufnahme nur eines Teils des Verfahrens angeordnet, so ist im Führungszeugnis darauf hinzuweisen, - 10.
abweichende Personendaten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 und die Angabe nach § 5 Absatz 1 Nummer 8, - 11.
Eintragungen nach den §§ 10 und 11, - 12.
die vorbehaltene Sicherungsverwahrung, falls von der Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtskräftig abgesehen worden ist.
(3) In ein Führungszeugnis für Behörden (§ 30 Abs. 5, § 31) sind entgegen Absatz 2 auch aufzunehmen
- 1.
Verurteilungen, durch die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist, - 2.
Eintragungen nach § 10, wenn die Entscheidung oder der Verzicht nicht länger als zehn Jahre zurückliegt, - 3.
Eintragungen nach § 11, wenn die Entscheidung oder Verfügung nicht länger als fünf Jahre zurückliegt, - 4.
abweichende Personendaten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1, sofern unter diesen Daten Eintragungen erfolgt sind, die in ein Führungszeugnis für Behörden aufzunehmen sind.
(4) In ein Führungszeugnis für Behörden (§ 30 Abs. 5, § 31) sind ferner die in Absatz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Verurteilungen wegen Straftaten aufzunehmen, die
- 1.
bei oder in Zusammenhang mit der Ausübung eines Gewerbes oder dem Betrieb einer sonstigen wirtschaftlichen Unternehmung oder - 2.
bei der Tätigkeit in einem Gewerbe oder einer sonstigen wirtschaftlichen Unternehmung - a)
von einem Vertreter oder Beauftragten im Sinne des § 14 des Strafgesetzbuchs oder - b)
von einer Person, die in einer Rechtsvorschrift ausdrücklich als verantwortlich bezeichnet ist,
(5) Soweit in Absatz 2 Nummer 3 bis 9 Ausnahmen für die Aufnahme von Eintragungen zugelassen werden, gelten diese nicht bei einer Verurteilung wegen einer Straftat nach den §§ 171, 180a, 181a, 183 bis 184g, 184i bis 184l, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder § 236 des Strafgesetzbuchs, wenn ein erweitertes Führungszeugnis nach § 30a oder § 31 Absatz 2 erteilt wird.
(1) Die Frist, nach deren Ablauf eine Verurteilung nicht mehr in das Führungszeugnis aufgenommen wird, beträgt
- 1.
drei Jahre bei - a)
Verurteilungen zu - aa)
Geldstrafe und - bb)
Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten,
- b)
Verurteilungen zu Freiheitsstrafe oder Strafarrest von mehr als drei Monaten, aber nicht mehr als einem Jahr, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt, diese Entscheidung nicht widerrufen worden und im Register nicht außerdem Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe eingetragen ist, - c)
Verurteilungen zu Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr, wenn die Voraussetzungen des § 32 Absatz 2 nicht vorliegen, - d)
Verurteilungen zu Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren, wenn ein Strafrest nach Ablauf der Bewährungszeit gerichtlich oder im Gnadenweg erlassen worden ist,
- 2.
zehn Jahre bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, - 3.
fünf Jahre in den übrigen Fällen.
(2) Die Frist, nach deren Ablauf eine Verurteilung wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i bis 184l, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder § 236 des Strafgesetzbuches nicht mehr in ein erweitertes Führungszeugnis aufgenommen wird, beträgt
- 1.
zehn Jahre - a)
bei Verurteilungen zu Geldstrafe oder Freiheitsstrafe oder Strafarrest oder Jugendstrafe, - b)
bei einer Verurteilung, durch die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung allein angeordnet worden ist,
- 2.
zwanzig Jahre bei einer Verurteilung wegen einer Straftat nach den §§ 176 bis 176d des Strafgesetzbuches zu Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 Buchstabe d, Nummer 2 und 3 verlängert sich die Frist um die Dauer der Freiheitsstrafe, des Strafarrests oder der Jugendstrafe. In den Fällen des Absatzes 2 verlängert sich die Frist bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr um die Dauer der Freiheitsstrafe oder der Jugendstrafe. Bei Erlaß des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe verlängert sich die Frist um den zwischen dem Tag des ersten Urteils und dem Ende der Bewährungszeit liegenden Zeitraum, mindestens jedoch um zwanzig Jahre.
(1) Für die Feststellung und Berechnung der Frist gelten die §§ 35, 36 entsprechend.
(2) Die Tilgungsfrist läuft nicht ab, solange sich aus dem Register ergibt, daß die Vollstreckung einer Strafe oder eine der in § 61 des Strafgesetzbuchs aufgeführten Maßregeln der Besserung und Sicherung noch nicht erledigt oder die Strafe noch nicht erlassen ist. § 37 Abs. 1 gilt entsprechend.
(3) Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Die Eintragung einer Verurteilung, durch die eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis für immer angeordnet worden ist, hindert die Tilgung anderer Verurteilungen nur, wenn zugleich auf eine Strafe erkannt worden ist, für die allein die Tilgungsfrist nach § 46 noch nicht abgelaufen wäre.
(1) Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so sind sie alle in das Führungszeugnis aufzunehmen, solange eine von ihnen in das Zeugnis aufzunehmen ist.
(2) Außer Betracht bleiben
- 1.
Verurteilungen, die nur in ein Führungszeugnis für Behörden aufzunehmen sind (§ 32 Abs. 3, 4, § 33 Abs. 2 Nr. 3), - 2.
Verurteilungen in den Fällen des § 32 Abs. 2 Nr. 1 bis 4, - 3.
Verurteilungen, durch die auf Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen oder auf Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten erkannt worden ist.
(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.
(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 15.01.2014, 2 Ca 1310/13 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von zwei Abmahnungen.
3Die Klägerin ist gelernte Kranken- und Altenpflegerin. Sie ist seit dem 01.06.2001 bei dem Beklagten als Mitarbeiterin im Sozial- und Erziehungsdienst beschäftigt. Ihre monatliche Bruttovergütung beläuft sich auf ca. 3.300,- ?.
4Zweck des Beklagten ist nach § 2 Abs. 2 der Vereinssatzung die Förderung der Hilfe für Menschen mit Behinderungen, der Altenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe, der Erziehung, der Volks- und Berufsbildung und des Wohlfahrtswesens sowie die selbstlose Unterstützung hilfsbedürftiger Personen, die infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Zur Erfüllung dieses Zwecks erbringt der Beklagte personenzentrierte Dienstleistungen, damit Menschen mit Behinderungen, Erkrankungen und sozialen Schwierigkeiten selbstbestimmt leben können und ihnen somit eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird. Der Beklagte begleitet und betreut Menschen mit Assistenzbedarf in Nordrhein-Westfalen und bietet ihnen Angebote in den Bereichen Wohnen und Leben, Arbeit und Beschäftigung, Alltag und Freizeit an. Er betreibt in verschiedenen Regionen Nordrhein-Westfalens Behindertenheime, Außenwohnungen, Einrichtungen der tagesstrukturierten Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit geistigen Behinderungen. Der Beklagte betreibt staatlich anerkannte Werkstätten für Behinderte, Menschen mit autistischer Behinderung sowie ambulante Dienste für betreutes Wohnen und allgemeine und psychiatrische Pflegedienste.
5Der Beklagte beschäftigt im Bereich Ruhrgebiet rund 900 Mitarbeiter. Bei dem Beklagten existierte bis zum 31.12.2013 eine Mitarbeitervertretung für den Bereich Ruhrgebiet. Die Klägerin war seit dem Jahre 2009 Mitglied dieser Mitarbeitervertretung. Seit dem Jahr 2013 war die Klägerin stellvertretende Vorsitzende der Mitarbeitervertretung und teilweise freigestellt. Eine gesonderte Jugend- und Auszubildendenvertretung existierte nicht. Minderjährige Mitarbeiter gab es in den Jahren 2012 und 2013 bei dem Beklagten im Bereich Ruhrgebiet nicht.
6Die Klägerin war ursprünglich im Wohnverbund Z tätig, wechselte dann in den Wohnverbund P und ist seit dem Jahr 2010 im Wohnverbund C D tätig. Der Wohnverbund C D bietet Wohnraum und Betreuung für erwachsene Menschen mit ausgeprägten psychischen Beeinträchtigungen. Er umfasst folgende Standorte: T-H-Haus, Borgswiese 2, xxxxx G, Haus der Betreuung und Behandlung, Magdeburger T, xxxxx G, Haus Ückendorf, Ückendorfer T-T-Straße, xxxxx G. Dazu gibt es dezentrale Häuser, in denen unter dem Oberbegriff ?Dezentrales Wohnen? Menschen betreut werden.
7Die Klägerin war während ihrer Tätigkeit im Wohnverbund C D zunächst für etwa ein halbes Jahr im T-H-Haus beschäftigt, bevor sie ihre aktuelle Tätigkeit als persönliche Assistentin in dem Objekt D H 16 in G aufnahm, welches zum Bereich ?Dezentrales Wohnen? gehört. Das Haus D H 16 liegt etwa 400 Meter vom T-H-Haus entfernt. In dem Haus D H 16 befinden sich drei Wohnungen sowie zentrale Dienstzimmer und Büros. In fußläufiger Entfernung zu diesem Haus befinden sich dezentrale Außenwohnungen. Insgesamt betreuen in diesem Komplex ca. 15 Mitarbeiter insgesamt ca. 33 volljährige Klienten.
8Bezogen auf die Tätigkeit der Klägerin als persönliche Assistentin existiert eine Stellenbeschreibung vom 16.03.2012 (Bl. 84 ff. d.A.).
9Im Komplex um das Objekt D H 16 werden psychisch erkrankte Menschen betreut, die teilweise eine strafrechtlich relevante Vorgeschichte haben. Gegenüber schwangeren Mitarbeiterinnen wurden in der Vergangenheit wegen des bestehenden Gefahrenpotentials im Haus D H 16 Beschäftigungsverbote ausgesprochen.
10Bei dem Beklagten besteht auch ein Fachbereich Autismus. Im Fachbereich Autismus gibt es ein Kinder- und Jugendwohnheim, in dem auf sechs stationären Plätzen Klienten im Alter zwischen 14 und 17 Jahren betreut werden. Örtlich angesiedelt ist der Fachbereich Autismus in der H T-Straße in G, ca. 5 Kilometer entfernt vom Haus D H 16.
11Bei dem Beklagten gibt es zudem einen sog. Tagesstättenverbund. Von diesem werden den Klienten des Beklagten Angebote außerhalb des Wohnverbundes gemacht, um den Klienten am Tage die Möglichkeit eines strukturierten Tagesablaufs zu geben.
12Sowohl im T-H-Haus als auch im Tagesstättenverbund wurden im Jahr 2013 minderjährige Praktikanten beschäftigt. Im Objekt D H 16 sowie den dazu gehörigen Außenwohngruppen wurden minderjährige Praktikanten bislang nicht eingesetzt.
13Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Jahre 2002 Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch an Minderjährigen erlassen und diese am 01.09.2010 weiter fortgeschrieben (Amtsblatt des Bistums Essen vom 08.10.2010, Stück 12, Seite 156 ff). Am 23.09.2010 hat die Deutsche Bischofskonferenz eine Rahmenordnung zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen beschlossen (Amtsblatt des Bistums Essen vom 19.11.2010, Stück 14, Seite 198 ff). Diese Rahmenordnung enthält unter II. 4 folgende Regelung:
144. Personalauswahl und -entwicklung
15Die Prävention von sexuellem Missbrauch ist Thema im Vorstellungsgespräch, während der Einarbeitungszeit sowie in weiterführenden Mitarbeitergesprächen. In der Aus- und Fortbildung ist sie Pflichtthema. Haupt- und nebenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen entsprechend den gesetzlichen Regelungen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Außerdem ist die Unterzeichnung einer Selbstverpflichtungserklärung verbindliche Voraussetzung einer Anstellung wie auch einer Beauftragung zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit im kinder- und jugendnahen Bereich.
16Im Anschluss an diese Rahmenordnung wurde mit Wirkung zum 01.04.2011 eine Ordnung zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen (Präventionsordnung) im Bistum Essen erlassen (Amtsblatt des Bistums Essen vom 29.04.2011, Stück 5, Seite 51 ff.).
17Im Frühjahr 2012 begann der Beklagte mit der Umsetzung der Präventionsordnung. Er forderte in diesem Zusammenhang seine Beschäftigten mit Schreiben vom 22.06.2012 auf, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis gemäß § 30a BZRG vorzulegen. Während die große Mehrzahl der Beschäftigten des Beklagten dieser Aufforderung nachkam, legte die Klägerin dem Beklagten kein Führungszeugnis vor. Sodann wurde die Klägerin mit weiterem Schreiben vom 06.12.2012 erneut zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses unter Fristsetzung bis zum 10.01.2013 aufgefordert. Hierzu nahm die Klägerin mit Schreiben vom 03.01.2013 Stellung.
18Mit Schreiben vom 03.05.2013 (Bl. 3 f. d.A.) erteilte der Beklagte der Klägerin die erste streitgegenständliche Abmahnung. Hierzu nahm die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.05.2013 (Bl. 5 f. d.A.) Stellung. Sodann erteilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 02.07.2013 (Bl. 31 f. d.A.) die zweite streitgegenständliche Abmahnung.
19Am 26.08.2013 erließ die Deutsche Bischofskonferenz neue Leitlinien und eine neue Rahmenordnung zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und erwachsenen Schutzbefohlenen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz (Amtsblatt des Bistums Essen vom 20.12.2013, Stück 14, Seite 129 ff).
20Mit ihrer am 13.06.2013 bei Gericht eingegangenen und später erweiterten Klage wendet sich die Klägerin gegen die erteilten Abmahnungen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Abmahnungen seien aus der Personalakte zu entfernen.
21Der Beklagte sei nicht berechtigt, von ihr die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses zu verlangen. Die Voraussetzungen des § 30a BRZG lägen nicht vor. Bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit handele es sich nicht um eine solche, die geeignet sei, Kontakt mit Minderjährigen aufzunehmen. Eine Verpflichtung zur Vorlage eines Führungszeugnisses ergebe sich auch nicht aus § 3 der Präventionsordnung des Bistums Essen. Diese sehe in gleicher Weise die Kontaktaufnahme mit Kindern und Jugendlichen vor und gehe nicht weiter als die gesetzliche Regelung.
22Sie trete im Rahmen ihrer Tätigkeit nicht mit Kindern und Jugendlichen beruflich in Kontakt. Im Objekt D H 16 sei es gar nicht zulässig, Kinder und Jugendliche einzusetzen. Es sei von einem Beschäftigungsverbot im Sinne des § 22 Abs. 1 JArbSchG auszugehen. Die Klägerin habe es in ihrem Arbeitsbereich mit psychisch erkrankten Menschen zu tun, die teilweise sogar wegen Sexualdelikten vorbestraft seien. Zudem seien in dem Wohnbereich Drogenabhängige untergebracht.
23Sie könne andererseits nicht in Bereichen eingesetzt werden, in denen es zu einem Kontakt mit Kindern und Jugendlichen bzw. Praktikanten kommen könne. Ein Einsatz im Fachbereich Autismus komme nicht in Betracht, da sie nicht über die Qualifikation verfüge, um dort eingesetzt zu werden. Sie sei nicht Erzieherin bzw. Sozialarbeiterin. Ein Einsatz im T-H-Haus scheide aus gesundheitlichen Gründen aus. Wegen eines Bandscheibenvorfalls und einer Arthrose solle sie nach Einschätzung der Betriebsärztin dort nicht eingesetzt werden. Auch ein Einsatz im Tagesstättenverbund scheide aus, da sie nicht über die in diesem Bereich erforderlichen Qualifikationen eines Therapeuten oder Heilerziehers verfüge.
24Auch im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung habe sie keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen. Sie sei ausschließlich zuständig für erwachsene Mitarbeiter. Praktikanten im Bereich der Mitarbeitervertretung gebe es nicht. Auch im Rahmen einer Reisetätigkeit sei sie nicht mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt gekommen. Ganz überwiegend sei die Tätigkeit ohnehin am Standort der Mitarbeitervertretung an der C-T-Straße in G wahrgenommen worden. Mitarbeitergespräche seien entweder dort oder unter der Anschrift der Geschäftsführung an der V-T-Straße in G geführt worden.
25Selbst wenn eine Verpflichtung der Klägerin zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses bestehen würde, sei es dem Beklagten verwehrt, die Klägerin abzumahnen. Denn diese habe nicht schuldhaft gehandelt. Schließlich sei ein etwaiges Abmahnungsrecht verwirkt. Der Beklagte habe die Abmahnung erst elf Monate nach dem ersten Aufforderungsschreiben vom 22.06.2012 erklärt.
26Die Anforderung eines erweiterten Führungszeugnisses sei auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung bedenklich, da von eingesetzten Leiharbeitnehmern nach dem Kenntnisstand der Klägerin kein erweitertes Führungszeugnis angefordert werde.
27Die Klägerin hat beantragt,
281. den Beklagten zu verurteilen, die Abmahnung vom 03.05.2013 ersatzlos aus der Personalakte zu entfernen und
292. den Beklagten zu verurteilen, die vom 02.07.2013 datierende Abmahnung ersatzlos aus der Personalakte zu entfernen.
30Der Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Er hat die Ansicht vertreten, gemäß § 3 der Präventionsordnung vom 21.03.2011 in Verbindung mit § 30a BZRG verpflichtet zu sein, ein erweitertes Führungszeugnis von der Klägerin abzufordern. § 30a Abs. 1 Ziffer 2 BZRG nenne mehrere Fallgruppen, bei denen die Erteilung eines erweiterten Führungszeugnisses in Betracht komme. Insbesondere aus der dritten Fallgruppe werde ersichtlich, dass dem Arbeitgeber ein gewisser Beurteilungsspielraum zugebilligt werden müsse. Denn nur er könne einschätzen, ob und inwieweit Mitarbeiter mit Minderjährigen Kontakte aufnehmen könnten.
33Als Mitglied der Mitarbeitervertretung sei die Klägerin im gesamten Geschäftsbereich Ruhrgebiet unterwegs und habe insofern auch Kontakt mit Kindern und Jugendlichen. Insofern verweist der Beklagte insbesondere auf die im Fachbereich Autismus betreuten Kinder und Jugendlichen.
34Zudem führe die Klägerin Schulungsmaßnahmen für Mitarbeiter im Bereich der Pflegestandards durch.
35Auch im Wohnverbund C D, namentlich im T-H-Haus würden Schülerpraktikanten eingesetzt. Da es sich bei dem Wohnverbund C D um eine relativ kleine Einheit handele, führe dies zu einem zwingenden und permanenten Kontakt zwischen der Klägerin und den in der Einrichtung befindlichen Kindern und Jugendlichen.
36Ein Beschäftigungsverbot für Jugendliche im Wohnverbund C D nach § 22 Abs. 1 JArbSchG bestehe nicht. Allerdings ergebe sich ein weiteres Bedürfnis für die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses aus § 25 JArbSchG. Nach dieser Vorschrift bestehe ein Verbot der Beschäftigung Jugendlicher für Personen, die aufgrund der dort genannten Straftaten vorbestraft seien.
37Im Tagesstättenverbund biete der Beklagte für Jugendliche regelmäßig Praktikanten- und Hospitationsstellen an. Es befänden sich dort jährlich bis zu zwei Schüler in zweimal sechswöchigen Praktika, sieben bis acht Schüler in dreiwöchigen Schülerpraktika und eine Konfirmandengruppe von 10-15 Kindern und Jugendlichen. Dabei erhalte jeder Praktikant auch zu seinem Schutz eine feste Praktikumsbegleitung. Im Rahmen einer Bildungsoffensive plane der Beklagte, zukünftig einen noch intensiveren Einsatz von Praktikanten vorzunehmen.
38Das erweiterte Führungszeugnis müsse bereits bei Praktikumsantritt vorliegen. Dies sei gerade bei kurzfristig vereinbarten Schülerpraktika praktisch unmöglich, wenn es erst nach der Kontaktanbahnung mit den Jugendlichen eingeholt werde.
39Selbst wenn es bisher nicht zu einem Kontakt zwischen der Klägerin und Minderjährigen gekommen sei, so sei es aufgrund des Versetzungsvorbehalts nach § 4 TVöD-B möglich, dass es zukünftig zu einer Kontaktaufnahme komme. Die Klägerin sei auch nicht nur im beschränkten Umfang einsetzbar.
40Zudem verweist der Beklagte darauf, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch und die Rahmenordnung am 26.08.2013 geändert und auch auf erwachsene Schutzbefohlene erweitert habe.
41Durch Urteil vom 15.01.2014 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen vom 03.05.2013 und 02.07.2013, da der Beklagte zumindest zum Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnungen gegenüber der Klägerin keinen Anspruch auf Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses gehabt habe. Ein solcher Anspruch habe sich weder aus den §§ 2, 3 der Präventionsordnung für das Bistum Essen noch aus § 30a BZRG ergeben. Ein erweitertes Führungszeugnis sei nach diesen Vorschriften nur von Beschäftigten vorzulegen, die im Rahmen ihrer dienstlichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit Kinder und Jugendliche betreuen oder mit diesen regelmäßig in sonstiger Weise Kontakt haben können. Der Beklagte habe aber nicht dargelegt, dass die Klägerin eine Tätigkeit ausübe, die geeignet sei, in diesem Sinne Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen. Die Klägerin betreue im Bereich dezentrales Wohnen ausschließlich volljährige Klienten. Auch in den anderen Standorten des Wohnbereichs C D würden nur volljährige Klienten betreut. Die Klägerin habe auch im Rahmen ihrer zwölfjährigen Tätigkeit keinen unmittelbaren Kontakt zu minderjährigen Praktikanten, Auszubildenden oder Bundesfreiwilligendienstleistenden gehabt. Selbst wenn im T-H-Haus im Jahre 2013 minderjährige Praktikanten eingesetzt worden seien, sei nicht dargelegt, aufgrund welcher konkreten Umstände es trotz der Entfernung der Einrichtungen zu einem Kontakt zu Minderjährigen gekommen sei. Auch wenn die Klägerin gemäß § 4 TVöD-B versetzbar sei, rechtfertige dies nicht die vorsorgliche Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses. Aus dem Vorbringen des Beklagten ergebe sich auch nicht, dass die Klägerin als Mitglied der Mitarbeitervertretung in besonderer Weise Kontakt mit Minderjährigen aufnehmen könne. Ein Bedürfnis zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses ergebe sich auch nicht nach § 25 JArbSchG. Der Beklagte habe nicht einmal dargelegt, dass die Klägerin in der Vergangenheit mit der Beaufsichtigung oder Ausbildung von Jugendlichen beauftragt gewesen sei.
42Das Urteil ist dem Beklagten am 05.02.2014 zugestellt worden. Er hat gegen das Urteil am 10.02.2014 Berufung eingelegt und diese am 04.04.2014 begründet.
43Der Beklagte wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und führt ergänzend aus:
44Schon aus den Bestimmungen der Präventionsordnung vom 21.03.2011 ergebe sich die Verpflichtung der Klägerin, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen. Die Bestimmungen der Präventionsordnung seien unmittelbar unter den Begriff der gesetzlichen Bestimmungen nach § 30a Abs. 1 Nr. 1 BZRG zu subsumieren. Inhaltlich stelle die Präventionsordnung gerade nicht auf eine konkrete Begegnung ab. Es genüge die Begegnungsmöglichkeit.
45Zudem habe die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung regelmäßig Kontakt mit Kindern und Jugendlichen. Sie sei im Rahmen dieser Tätigkeit im gesamten Geschäftsbereich des Ruhrgebiets unterwegs. Hieraus müsse sich nahezu zwangsläufig eine konkrete Begegnung mit der geschützten Personengruppe ergeben. Die Darlegung der diesbezüglichen Einzelheiten sei dem Beklagten nicht möglich, da der Begegnungsverkehr im Rahmen einer Mitarbeitervertretungstätigkeit nur einer sehr eingeschränkten Kontrolle des Arbeitgebers unterliege. Insofern habe die Klägerin darzulegen, weshalb ein Begegnungsverkehr mit Minderjährigen nicht stattfinde.
46Zudem sei zu beachten, dass die Deutsche Bischofskonferenz ihre Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch und die Rahmenordnung am 26.08.2013 geändert habe. Erwachsene Schutzbefohlene würden ausdrücklich in den Schutzbereich mit einbezogen.
47Der Beklagte beantragt,
48das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 15.01.2014, 2 Ca 1310/13 abzuändern und die Klage abzuweisen.
49Die Klägerin beantragt,
50die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
51Die Klägerin verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil, wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und führt ergänzend und zusammenfassend wie folgt aus: Sie sei nicht zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verpflichtet. Sie habe weder in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit noch im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung Kontakt zu Kindern und Jugendlichen. Auch der Hinweis auf § 4 TVöD-B helfe nicht weiter. Die abstrakt mögliche Versetzbarkeit reiche für eine Vorlagepflicht nicht aus. Vielmehr bedürfe es eines konkreten Kontakts zu Kindern und Jugendlichen. Die geänderte Rahmenordnung vom 26.08.2013 habe schon deshalb keine Auswirkung auf den vorliegenden Fall, da sie erst nach dem Ausspruch der Abmahnungen in Kraft getreten sei.
52Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Protokollerklärungen ergänzend Bezug genommen.
53Entscheidungsgründe
54A.
55Die Berufung ist zurückzuweisen. Sie ist zulässig aber nicht begründet.
56I.
57Die Berufung ist zulässig. Sie ist an sich statthaft nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b ArbGG. Der Beklagte hat seine Berufung gegen das am 05.02.2014 zugestellte Urteil auch form- und fristgerecht innerhalb der Monatsfrist nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG am 10.02.2014 eingelegt und am 04.04.2014 ordnungsgemäß nach den §§ 520 Abs. 3 i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG begründet.
58II.
59Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Klageanträgen in vollem Umfang entsprochen.
60Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die ihr erteilten Abmahnungen vom 03.05.2013 und 02.07.2013 aus der Personalakte entfernt werden.
611.
62Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen.
63Bei der Abmahnung, die nunmehr in § 314 Abs. 2 BGB gesetzlich verankert wurde, handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rügefunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion) (vgl. BAG 27.11.2008 ? 2 AZR 675/07 ? juris).
64Ein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 19.07.2012 ? 2 AZR 782/11 ? NZA 2013, 91 ff).
652.)
66Die Abmahnungen vom 03.05.2013 und 02.07.2013 sind aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Die Abmahnungen wurden zu Unrecht erteilt. Das Verhalten der Klägerin wurde von dem Beklagten in den Abmahnungen rechtlich unzutreffend bewertet. Die Klägerin hat sich nicht pflichtwidrig verhalten, indem sie sich vor Ausspruch der Abmahnungen weigerte, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen.
67a)
68Allerdings kann grundsätzlich eine Pflicht des Arbeitnehmers nach § 241 Abs. 2 BGB bestehen, ein Führungszeugnis vorzulegen. Jedem Arbeitsverhältnis wohnt die Nebenpflicht der einen Vertragspartei inne, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen der anderen Vertragspartei so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragspartner nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 14.01.2009 ? 3 AZR 71/07 ? juris). Aus § 241 Abs. 2 BGB kann sich insofern auch die Verpflichtung des Arbeitnehmers ergeben, dem Arbeitgeber Auskünfte zu Fragen zu erteilen, die im Zusammenhang mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis stehen und die sich der Arbeitgeber auf andere zumutbare Art nicht beschaffen kann (BAG 07.09.1995 ? 8 AZR 828/93 ? juris). Insofern kann auch eine Verpflichtung des Arbeitnehmers nach § 241 Abs. 2 BGB bestehen, dem Arbeitgeber durch Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses Auskunft zu erteilen.
69b)
70Bei der Frage, ob ein Anspruch auf Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses besteht, treffen das Informationsinteresse des Arbeitgebers als Ausfluss seiner nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit und das Schutzinteresse des Arbeitnehmers bezogen auf seine persönlichen Daten als Ausfluss seines nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufeinander. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsbedürfnis des Arbeitgebers und dem Schutzinteresse des Arbeitnehmers bezogen auf seine persönlichen Daten verlangt nach einem Ausgleich. Entscheidend für die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Vorlageverlangens ist, ob der Arbeitgeber ein überwiegendes Interesse daran hat, den Inhalt des erweiterten Führungszeugnisses zu erfahren (Joussen, Das erweiterte Führungszeugnis im Arbeitsverhältnis, NZA 2012, 776, 778). Durch das mit Wirkung vom 01.05.2010 in Kraft getretene fünfte Gesetz zur Änderung des BZRG ist in § 30a das erweiterte Führungszeugnis eingeführt worden. Soweit die Voraussetzungen des § 30a BZRG erfüllt sind, ist von einem überwiegenden Interesse des Arbeitgebers an einer Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses auszugehen (Joussen, Das erweiterte Führungszeugnis im Arbeitsverhältnis, NZA 2012, 776, 779). Dies ist einerseits nach § 30a Abs. 1 Ziffer 2 BZRG der Fall, wenn das Führungszeugnis für die Prüfung der persönlichen Eignung nach § 72a SGB VIII (Buchstabe a), für eine sonstige berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger (Buchstabe b) oder für eine Tätigkeit, die in einer Buchstabe b vergleichbaren Weise geeignet ist, Kontakt zu minderjährigen aufzunehmen (Buchstabe c) benötigt wird. Dies ist andererseits nach § 30a Ziffer 1 BZRG der Fall, wenn die Erteilung des Führungszeugnisses in anderen gesetzlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf § 30a BZRG verlangt wird. Soweit dagegen ein Fall des § 30a BZRG nicht vorliegt, wird der Arbeitgeber regelmäßig die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses aus Gründen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschäftigten sowie des Datenschutzes nicht verlangen können (Löwisch/Mysliwiek, Datenschutz bei Anforderung und Nutzung erweiterter Führungszeugnisse, NJW 2012, 2389 ff).
71c)
72Die Klägerin unterfällt nicht den Regelungen des § 30a Abs. 1 Nr. 2 BRZG. Sie ist nicht im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (§ 30a Abs. 1 Ziffer 2a BRZG) tätig. Sie verrichtet auch keine sonstige berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger (Buchstabe b). Sie übt schließlich auch keine Tätigkeit aus, die in einer dem Buchstaben b) vergleichbaren Weise geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen (Buchstabe c).
73aa)
74Hintergrund der Regelung des § 30a BZRG ist der Umstand, dass es in bestimmten beruflichen oder ehrenamtlichen jugend- und kindernahen Tätigkeiten ein Bedürfnis für ein erweitertes Führungszeugnis gibt, da die Erfahrung zeigt, dass sich Menschen mit pädophilen Neigungen bewusst Betätigungsfelder mit einer Nähe zu Kindern und Jugendlichen suchen. Damit es nicht zu Lücken beim Schutz von Kindern und Jugendlichen kommt, ist ein Führungszeugnis auch für Personen vorgesehen, die in einer der Beaufsichtigung, Betreuung , Erziehung oder Ausbildung vergleichbaren Weise die Möglichkeit haben, Kontakt zu Minderjährigen herzustellen. Hierunter können beispielsweise Hausmeister an Schulen oder Bademeister in einem öffentlichen Schwimmbad fallen (BT-Drs. 16/12427, S. 8). Andererseits darf die Auslegung und Anwendung des § 30a BRZG nicht zu einer uferlosen Verpflichtung zur Vorlage von Führungszeugnissen führen. Denn stets sind auch die grundgesetzlich geschützten Interessen des betroffenen Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Erforderlich ist stets die Bedingung, dass die jeweilige Berufsgruppe bestimmungs- oder arbeitsplatzgemäß Kontakt mit Kindern und Jugendlichen hat, der zu einer besonderen Gefahrensituation werden kann (Joussen, Das erweiterte Führungszeugnis im Arbeitsverhältnis, NZA 2012, 776, 779). Andererseits ist dem Arbeitgeber bei der Frage, ob eine besondere Gefahrensituation entstehen kann, ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen (Löwisch/Mysliwiek, Datenschutz bei Anforderung und Nutzung erweiterter Führungszeugnisse, NJW 2012, 2389 ff.).
75bb)
76Die Klägerin gehörte jedenfalls zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Abmahnungen nicht zu dem Personenkreis, der bestimmungs- und arbeitsplatzgemäß Kontakt mit Kindern und Jugendlichen hat, der zu einer besonderen Gefahrensituation werden kann. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die von ihr zu betreuenden Klienten (1) als auch unter dem Gesichtspunkt der Betreuung von minderjährigen Praktikanten (2) als auch schließlich unter Berücksichtigung ihrer Stellung als Mitglied der Mitarbeitervertretung (3).
77(1)
78Bezogen auf die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit zu betreuenden Klienten besteht für die Klägerin keine besondere Gefahrensituation, die die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses rechtfertigen könnte.
79Die Klägerin gerät während ihrer Tätigkeit im Wohnverbund C D und speziell im Bereich um das Haus D H 16 nicht mit minderjährigen Klienten in Kontakt. Seit Beginn ihrer Tätigkeit wurden dort keine minderjährigen Klienten betreut.
80Der Komplex um das Haus D H 16 ist räumlich deutlich abgegrenzt vom Fachbereich Autismus, in dem Minderjährige betreut werden. Zwischen den Bereichen liegt eine Entfernung von etwa fünf Kilometern. Daher besteht auch bezogen auf einen Kontakt mit den Jugendlichen aus dem Bereich des Fachbereichs Autismus gegenwärtig keine besondere Gefahrensituation.
81Es kann dahinstehen, ob die Klägerin nach den arbeitsvertraglichen Regelungen im Wege des Direktionsrechts in den Fachbereich Autismus versetzt werden könnte. Allein die Möglichkeit, dass die Klägerin in diesen Bereich versetzt werden könnte, rechtfertigt es nicht, von ihr schon jetzt die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses zu verlangen. Dabei steht außer Zweifel, dass bezogen auf die im Fachbereich Autismus eingesetzten Beschäftigten ein Anspruch des Beklagten auf Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses besteht. Dem Beklagten ist auch zuzugeben, dass sein Direktionsrecht jedenfalls in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt wird, wenn er vor einer Versetzung der Klägerin in den Fachbereich Autismus von dieser zunächst die Vorlage des Führungszeugnisses verlangen muss. Dieser Nachteil wiegt aber nicht so schwer, dass er die Persönlichkeitsinteressen der Klägerin schon jetzt überwiegen könnte. Es ist dem Beklagten zumutbar, vor einer Versetzung der Klägerin in den Fachbereich Autismus die für eine Einholung eines erweiterten Führungszeugnisses notwendige Zeit abzuwarten. Ein etwaig möglicher zukünftiger Einsatz der Klägerin im Fachbereich Autismus rechtfertigt nicht schon jetzt die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses durch die Klägerin.
82Soweit die Klägerin neben ihrer Tätigkeit im Bereich des Objekts D H 16 Schulungen für andere Mitarbeiter hinsichtlich von Pflegestandards durchführt, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses. Eine besondere Gefährdungslage wird durch diese Tätigkeit nicht geschaffen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei dem Beklagten in den Jahren 2012 und 2013 keine minderjährigen Mitarbeiter beschäftigt waren.
83(2)
84Die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses rechtfertigt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit minderjährigen Praktikanten in Kontakt kommen kann.
85Es kann für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits dahinstehen, ob der mögliche Einsatz von Praktikanten im Allgemeinen geeignet ist, eine besondere Gefährdungslage zu begründen, die es rechtfertigt, von einem Beschäftigten, der mit diesem Praktikanten in Kontakt kommen kann, die Vorlage eines Führungszeugnisses zu verlangen. Im Hinblick darauf, dass den Schülerinnen und Schülern weiterführender Schulen vielfach die Durchführung von Sozial- und Betriebspraktika angeboten wird, könnte dies zu einer erheblichen Ausweitung des Kreises der Arbeitnehmer führen, der ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen hat.
86Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen kann aber der mögliche Einsatz von Praktikanten auch im Rahmen der von dem Beklagten dargestellten Bildungsoffensive die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nicht rechtfertigen. Die Klägerin war in der Zeit ihrer beruflichen Tätigkeit im Wohnverbund C D nicht damit betraut, minderjährige Praktikanten zu betreuen.
87Dem Beklagten ist zuzugeben, dass ihm zukünftig der Einsatz eines minderjährigen Praktikanten im und um das Haus D H 16 ebenso erschwert wird wie eine Versetzung der Klägerin in einen Bereich, in dem minderjährige Praktikanten tätig sind, wenn er zunächst die Vorlage eines Führungszeugnisses durch die Klägerin verlangen muss. Dieses Erschwernis ist dem Beklagten aber unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen zumutbar. Es nimmt dem Beklagten lediglich die Möglichkeit, einen Minderjährigen sofort im Haus D H 16 einzusetzen bzw. die Klägerin sofort zu versetzen. Mit einem Vorlauf von wenigen Wochen wäre aber auch insofern ein Einsatz möglich. Dieser Vorlauf ist dem Beklagten auch unter Berücksichtigung des Interesses, Praktikanten einen möglichst optimalen Service zu bieten und eigene personelle Änderungen schnell vorzunehmen, bei Abwägung mit den Persönlichkeitsinteressen der Klägerin zumutbar.
88(3)
89Auch die Tätigkeit der Klägerin als Mitglied der Mitarbeitervertretung begründet keinen Anspruch des Beklagten auf Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses.
90Dies gilt schon deshalb, weil der Beklagte in dem Zeitraum zwischen dem Vorlageverlangen am 22.06.2012 und der zweiten Abmahnung am 03.07.2013 keine minderjährigen Mitarbeiter im Bereich Ruhrgebiet beschäftigte. Damit konnte die Klägerin mit minderjährigen Mitarbeitern im Rahmen ihrer MAV-Tätigkeit nicht in Kontakt kommen. Zudem rechtfertigt der Umstand, dass Mitglieder einer Mitarbeitervertretung oder eines Betriebsrats im Rahmen ihrer Tätigkeit mit minderjährigen Beschäftigten in Kontakt kommen können, keine besondere Gefährdungslage, die die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses rechtfertigen könnte. Dabei ist dem Beklagten zuzugeben, dass die Tätigkeit der Mitarbeitervertretung und insbesondere die Frage, wann welches Mitglied der Mitarbeitervertretung Kontakt zu welchem Beschäftigten hat, der Kontrolle des Arbeitgebers weitgehend entzogen ist. Gleichwohl begründet dies keine besondere Gefährdungslage. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsinteressen kann nicht von jedem Mitglied einer Mitarbeitervertretung oder eines Betriebsrats im Hinblick auf die mögliche Durchführung von Sprechstunden für die Beschäftigten die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verlangt werden. Dies gilt auch dann, wenn keine eigene Jugend- und Auszubildendenvertretung existiert.
91Die Möglichkeit, dass die Klägerin bei Gesprächen mit den Mitarbeitern des Fachbereichs Autismus auch in die Nähe der dort befindlichen jugendlichen Klienten gerät, rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme einer besonderen Gefährdungslage.
92Nach alledem ist eine Vorlagepflicht für die Klägerin aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 30a Abs. 1 Ziffer 2 BRZG nicht begründet.
93d)
94Eine Vorlagepflicht ergibt sich auch nicht aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 30a Abs. 1 Ziffer 1 BRZG und in Verbindung mit kirchengesetzlichen Regelungen.
95Es kann dahinstehen, ob Rahmenordnungen der Deutschen Bischofskonferenz oder Präventionsordnungen einzelner Bistümer gesetzliche Bestimmungen im Sinne von § 30a Abs. 1 Nr. 1 BRZG sein können. Die Regelungen der Rahmenordnung der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.09.2010 sowie der Präventionsordnung des Bistums Essen vom 21.03.2011 erweitern die Verpflichtungen zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nach § 30a Abs. 1 Ziffer 2 BRZG und insbesondere den Kreis der betroffenen Beschäftigten im Vergleich zur gesetzlichen Regelung nicht (aa). Die Regelungen der Rahmenordnung vom 26.08.2013 können zur Beurteilung der streitgegenständlichen Abmahnungen nicht herangezogen werden (bb).
96aa)
97Durch die Rahmenordnung der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.09.2010 werden die Verpflichtungen von kirchlich beschäftigten Personen zur Vorlage von erweiterten Führungszeugnissen nicht erweitert. Denn die Regelung in II. 4 der Rahmenordnung bestimmt, dass die Beschäftigten entsprechend den gesetzlichen Regelungen ein Führungszeugnis vorzulegen haben. Damit wird gerade auf die allgemeinen Regelungen Bezug genommen und keine weitergehende Vorlagepflicht begründet.
98Auch durch die Präventionsordnung des Bistums Essen vom 21.03.2011 findet eine Erweiterung des Pflichtenkreises nicht statt. Ausweislich der Präambel knüpft die Präventionsordnung des Bistums Essen an die Rahmenordnung vom 23.09.2010 an. Schon vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass die Präventionsordnung des Bistums in ihren Anforderungen an die Vorlagepflicht bezogen auf ein erweitertes Führungszeugnis über die Regelungen der Rahmenordnung sowie die gesetzlichen Regelungen nach § 30a Abs. 1 Ziffer 2 BRZG hinausgehen will.
99Auch durch die konkrete Regelung zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses in § 3 der Präventionsordnung werden keine über die Regelung des § 30a Abs. 1 Ziffer 2 BRZG hinausgehenden Vorlageverpflichtungen begründet. Zwar übernimmt § 3 der Präventionsordnung nicht vollinhaltlich den Wortlaut von § 30a Abs. 1 Ziffer 2 BZRG. Inhaltlich sind aber keine maßgeblichen Unterschiede festzustellen. Nach § 3 Abs. 3 der Präventionsordnung besteht die Vorlageverpflichtung für Beschäftigte, die Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben. § 3 Abs. 4 der Präventionsordnung erweitert die Vorlageverpflichtung auf Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen Kontakt haben können. Der Kreis der betroffenen Personen ist nicht weiter als der Kreis der nach § 30a Abs. 1 Ziffer 2c BRZG betroffenen Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die in einer vergleichbaren Weise geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen. Ebenso wie die Regelung in § 3 Abs. 4 der Präventionsordnung stellt auch § 30a Abs. 1 Ziffer 2c BRZG auf die Begegnungsmöglichkeit ab.
100Auch nach § 3 Abs. 4 der Präventionsordnung ist die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nur geboten, wenn nach der Art der Tätigkeit beim Kontakt mit Minderjährigen eine besondere Gefährdungslage besteht. Eine andere Auslegung des § 3 Abs. 4 der Präventionsordnung wäre mit dem grundrechtlich verbürgten Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vereinbar.
101Da somit die Beurteilung der Vorlagepflicht nach den Regelungen der Rahmenordnung vom 23.09.2010 und der Präventionsordnung vom 23.03.2011 den gleichen Grundsätzen folgt wie die Beurteilung der Vorlagepflicht nach § 30 Abs. 1 Ziffer 2 BRZG, wird auch durch diese Regelungen ein Anspruch auf Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB und § 30a Abs. 1 BRZG nicht begründet.
102bb)
103Die Regelungen der Rahmenordnung der Deutschen Bischofskonferenz vom 26.08.2013 sind nicht geeignet, die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Abmahnungen zu begründen. Diese Rahmenordnung war im Zeitpunkt der Erteilung der Abmahnungen noch nicht in Kraft gesetzt. Regelungen dieser Rahmenordnung konnten daher weder am 03.05.2013 noch am 02.07.2013 Rechtspflichten der Klägerin begründen. Es kann insofern dahinstehen, inwiefern auf der Grundlage der Rahmenordnung vom 26.08.2013 nunmehr nach § 30a Abs. 1 Ziffer 1 BRZG in Verbindung mit der Rahmenordnung eine Verpflichtung zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses auch für Beschäftigte bestehen kann, die ausschließlich erwachsene Schutzbefohlene betreuen.
104e)
105Eine Verpflichtung zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses ergibt sich auch nicht aus § 25 JArbSchG. § 25 JArbSchG ist schon keine Vorschrift im Sinne von § 30a Abs. 1 Ziffer 1 BZRG, die unter Bezugnahme auf § 30a BZRG die Erteilung eines Führungszeugnisses vorsieht. Denn in § 25 JArbSchG wird auf § 30a BRZG nicht Bezug genommen. Zudem ist die Klägerin in der Vergangenheit nicht mit der Ausbildung Jugendlicher betraut worden. Die bloße Möglichkeit, dass die Klägerin zukünftig in Kontakt zu Auszubildenden oder Praktikanten treten könnte, kann die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin nicht rechtfertigen.
106B.
107Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Beklagte zu tragen.
108C.
109Die Revision ist zuzulassen. Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist die Revision zuzulassen, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitgeber von seinen Beschäftigten die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verlangen kann, ist klärungsbedürftig, da sie bislang vom Bundesarbeitsgericht nicht entschieden worden ist. Die Rechtsfrage ist von allgemeiner und damit grundsätzlicher Bedeutung, da sie tatsächliche Auswirkungen für einen größeren Teil der Allgemeinheit hat.
(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag
- 1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, - 2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, - 3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird, - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird, - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird, - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird, - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird, - 6.
die erforderliche Hinzuziehung eines Beteiligten nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 können bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
(1) Sind mehrere Behörden örtlich zuständig, entscheidet die Behörde, die zuerst mit der Sache befasst worden ist, es sei denn, die gemeinsame Aufsichtsbehörde bestimmt, dass eine andere örtlich zuständige Behörde zu entscheiden hat. Diese Aufsichtsbehörde entscheidet ferner über die örtliche Zuständigkeit, wenn sich mehrere Behörden für zuständig oder für unzuständig halten oder wenn die Zuständigkeit aus anderen Gründen zweifelhaft ist. Fehlt eine gemeinsame Aufsichtsbehörde, treffen die Aufsichtsbehörden die Entscheidung gemeinsam.
(2) Ändern sich im Lauf des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände, kann die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt.
(3) Hat die örtliche Zuständigkeit gewechselt, muss die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch solange erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden. Diese hat der bisher zuständigen Behörde die nach dem Zuständigkeitswechsel noch erbrachten Leistungen auf Anforderung zu erstatten. § 102 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Bei Gefahr im Verzug ist für unaufschiebbare Maßnahmen jede Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Die nach den besonderen Teilen dieses Gesetzbuchs örtlich zuständige Behörde ist unverzüglich zu unterrichten.
(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
- 1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, - 2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - 3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
- 1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder - 2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.