Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Aug. 2016 - 6 K 79/16
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Ziffer 5 der Allgemeinverfügung vom 16. Dezember 2015 rechtswidrig gewesen ist.
Im Übrigen wird die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist der „Q. “ der „Hells Angels MC T. “ und wendet sich gegen das im Rahmen einer Allgemeinverfügung erlassene „Kuttentrageverbot“.
3Mit Allgemeinverfügung vom 16. Dezember 2015 untersagte die Beklagte das Tragen oder Mitführen von Bekleidungsstücken, die mit Abzeichen, Emblemen, Schriftzügen, Colours oder sonstigen Kennzeichnungen diverser, im Einzelnen benannter (Motorrad-)Gruppierungen - u.a. auch der „Hells Angels MC“ - versehen sind. Das Verbot galt auch für Kleidungsstücke, die in Text, Bild oder Zeichen den Namen, das Symbol oder sonstige Kennzeichnungen einer Zugehörigkeit oder Unterstützung der genannten Gruppen wiedergeben. Ferner war die Wiedergabe der Schriftzüge und Parolen „Respect Few, Fear None“ und „Expect no mercy“, des Signums „1%er“ oder „1%“ in einer Raute und der Bezeichnungen „Outlaw Motorcycle Gang“ oder „Outlaw Motorcycle Club“ verboten (Ziffer 1). Der räumliche Geltungsbereich wurde in Ziffer 2 der Allgemeinverfügung sowie in den in der Anlage zur Allgemeinverfügung beigefügten Karten ausgewiesen und umfasste insgesamt sechs Plätze bzw. Straßenabschnitte in der Aachener Innenstadt. Die Verbote galten zeitlich vom 19. Dezember 2015 an und waren bis zum 10. Februar 2016 (Aschermittwoch) befristet. Zudem galten sie nur während bestimmter, in Ziffer 3 der Allgemeinverfügung dargestellter Tages- und Nachtzeiten (montags bis freitags ab 17.00 Uhr, sonntags und samstags ab 14.00 Uhr und jeweils bis 3.00 Uhr des Folgetages), wobei diese für den Bereich des Aachener Weihnachtsmarktes während dessen Bestehen - also bis zum 23. Dezember 2015 - abwichen und an dessen Öffnungszeiten angepasst waren (täglich von 11.00 Uhr bis 22.00 Uhr). Ab dem 24. Dezember 2015 galten dann auch für den Bereich des Aachener Weihnachtsmarktes die gleichen Tages- und Nachtzeiten wie für die anderen Bereiche. Ferner ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung der Allgemeinverfügung an (Ziffer 4) und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs (Ziffer 5) an. Die Allgemeinverfügung wurde am 18. Dezember 2015 in der Aachener Zeitung und den Aachener Nachrichten veröffentlicht. Als Tag der Bekanntgabe wurde der auf die Veröffentlichung in den Aachener Tageszeitungen folgende Tag bestimmt (Ziffer 9).
4Den Erlass der Allgemeinverfügung begründete die Beklagte im Wesentlichen mit der Abwehr von den von derartigen Kleidungsstücken ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die nicht zuletzt durch die in den Monaten vor dem Erlass der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung stattgefundene Zunahme von Straftaten und Aggressionen zwischen rivalisierenden (Motorrad‑)Gruppierungen im Aachener Stadtgebiet und der näheren Umgebung von Aachen entstanden seien. Mitglieder, Anwärter und Unterstützer der genannten (Motorrad-)Gruppierungen träten in der Öffentlichkeit erfahrungsgemäß regelmäßig mit Bekleidungsstücken auf, die mit Abzeichen und Emblemen der jeweiligen Gruppierung versehen seien, um damit die gemeinsame Gesinnung zum Ausdruck zu bringen sowie ein Erkennungszeichen zu etablieren. Das Tragen derartiger, in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung benannter Bekleidungsstücke in der Öffentlichkeit - insbesondere auch anlässlich sog. „Schauläufe“ - habe bereits häufig zu Provokationen und schlussendlich auch zur Anwendung massiver Gewalt geführt. Insbesondere der Konflikt zwischen dem in Aachen ansässigen - erst im Juli 2015 gegründeten - Charter der „Hells Angels MC B. “ sowie des ebenfalls im Nahbereich angesiedelten Chapters der „Bandidos MC“ und den jeweiligen Unterstützungsgruppierungen verschärfe sich spürbar. Seien noch vor September 2015 selbstdefinierte Machtansprüche überwiegend durch „Schauläufe“ kundgetan worden, habe seitdem die Begehung von Straftaten zwischen den rivalisierenden (Motorrad-)Gruppierungen erheblich zugenommen. In zunehmendem Maße würden darüber hinaus Dritte Opfer von Sachbeschädigungen oder gar körperlichen Verletzungen. Unter den verfeindeten Rockergruppierungen in Aachen und Umgebung seien Macht- und Revierkämpfe entbrannt, bei denen nicht nur - nahezu täglich - Schauläufe in einer die Bevölkerung einschüchternden Wirkung stattfänden, sondern vielmehr Revieransprüche durch die Begehung massiver Straftaten im Rahmen organisierter Kriminalität im Vordergrund stünden. Nach der polizeilichen Erfahrung sei insbesondere zu besorgen, dass das zur Schau stellen des Namens, des Symbols oder sonstiger Kennzeichnungen einer Zugehörigkeit oder der Unterstützung einer solchen Gruppierung Angehörige anderer Gruppierungen dazu bewege, diese Person mit körperlicher Gewalt anzugreifen. Das Fehlen derartiger Kennzeichnungen erschwere eine Identifizierung als Rocker deutlich, so dass sich die Gefahr von Auseinandersetzungen verfeindeter Rockergruppierungen dadurch einschränken lasse. Die Allgemeinverfügung sei - insbesondere auch im Hinblick auf die zeitlichen und örtlichen Beschränkungen - verhältnismäßig.
5Hiergegen hat der Kläger am 16. Januar 2016 Klage erhoben.
6Zu deren Begründung trägt er folgende Einwände vor:
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Zunächst sei die Beklagte bereits unzuständig gewesen, da sie die Allgemeinverfügung nicht in eigener Verantwortung und Zuständigkeit erlassen, sondern nur als Instrument des Polizeipräsidiums gehandelt habe. Sie habe weder eigene Erkenntnisse noch eigene Bewertungen eingebracht, so dass hier voneinander getrennte sachliche Zuständigkeiten in unzulässiger Weise miteinander vermengt worden seien.
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Ferner genüge die Allgemeinverfügung nicht den Anforderungen des § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, da unklar sei, welche Bekleidungstücke, Abzeichen, Colours, Embleme oder sonstige Kennzeichen gemeint seien. Dies gelte insbesondere für Personen, die sich mit der Rockerszene nicht besonders gut auskennen würden. Hinsichtlich der Bewegung der „Hells Angels“ stelle sich die Frage, ob allein deren Vereinswappen oder auch andere auf den Jacken der Mitglieder der Bewegung anzutreffenden Schriftzüge und Symbole wie beispielsweise die Zahl „81“, die Buchstaben „HA“, die Schriftzüge „Big Red Machine“ und „Red & White“ sowie die Losungen „AFFA“ und „Angels Forever, Forever Angels“ von dem Verbot erfasst seien. Die sich aus der im Verwaltungsvorgang vorhandenen Übersicht der Colours im Aachener Bereich ergebenden Schriftzüge, wie beispielsweise „Westfront“, „Kelmis“ sowie die Bezeichnung „Nomads“, ließen sich keinem bestimmten Rockerverein zuordnen, was den Verdacht nahe lege, dass ein willkürliches Vorgehen gegen all diejenigen Personen habe ermöglicht werden sollen, die nach Auffassung der Beklagten nicht nach Aachen gehörten. Auch sei hinsichtlich des Zusatzes, wonach von dem Verbot auch Kleidungsgegenstände erfasst sein sollten, die in Text, Bild oder Zeichen den Namen, das Symbol oder sonstige Kennzeichnungen einer Zugehörigkeit oder Unterstützung der genannten Gruppen wiedergeben würden, eine Bestimmbarkeit nicht gegeben. Ferner erscheine die Untersagung der der Bewegung der „Mongols MC“ zuzurechnenden Losung „Respect Few, Fear None“ sowie der sog. 1%-er-Abzeichen willkürlich. Ebenso sei die Untersagung der Verwendung der Bezeichnungen „Outlaw Motor-cycle Gang“ und „Outlaw Motorcycle Club“ nicht nachvollziehbar, da diese Bezeichnungen in der Rockerszene nicht genutzt würden. Schließlich handele es sich bei dem Verbot von „Kennzeichen einer Zugehörigkeit oder Unterstützung der genannten Gruppen“ um eine so weitreichende und für die Adressaten der Allgemeinverfügung unklare Bestimmung, dass es der behördlichen Willkür „Tür und Tor öffne“.
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Des Weiteren könne das Vorliegen einer konkreten Gefahr ausgeschlossen werden. Dies gelte schon deswegen, weil die Beklagte das Vorliegen einer solchen nicht auf eigene Erkenntnisse gestützt, sondern die von der Polizei übermittelten Vorlagen ohne inhaltliche Prüfung übernommen habe. Zudem seien die von der Polizei angeführten Ermittlungsverfahren zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung nicht abgeschlossen gewesen. Daher habe eine Gefahrenprognose überhaupt nicht stattgefunden und man könne vorliegend allenfalls einen Gefahrenverdacht annehmen, der aber nicht zum Erlass einer Allgemeinverfügung berechtige.
Eine konkrete Gefahr könne auch nicht aus den von der Beklagten vorgelegten Berichten des Landeskriminalamts NRW zur Rockerkriminalität in NRW (Berichtszeitraum 06.2015 bis 06.2016) sowie des Polizeipräsidiums Aachen vom 2. Juni 2016 zur Bekämpfung der Rockerkriminalität hergeleitet werden. Zunächst würden sämtliche, in diesen Berichten enthaltene Behauptungen und Tatsachen mangels Nachprüfbarkeit bestritten. Zudem seien in dem Bericht des Polizeipräsidiums Aachen vom 2. Juni 2016 Taten unbekannter oder vermuteter Täter (02.7, 02.17, 02.18, 02.26, 20.19) sowie von vermummten Personen (02.10) aufgenommen worden. Der Bericht des Landeskriminalamts NRW enthalte darüber hinaus unrichtige Definitionen. Soweit dort die Rockergruppe als Zusammenschluss mehrerer Personen mit strengem hierarchischem Aufbau verstanden werde, so entspreche dies nicht der Realität, da Rockergruppen in der Regel demokratisch strukturiert seien. Die Vorsitzenden der lokalen, rechtlich selbständigen Vereine hätten kein Direktions- oder Weisungsrecht und würden das lokale Charter nur nach außen vertreten. Hierarchie sei überdies nicht per se etwas Negatives. Überdies seien die Rockerbewegungen so vielfältig, dass sich eine pauschale Zuschreibung und undifferenzierte Kategorisierung und Typisierung verbiete. Soweit der Begriff „Outlaw Motorcycle Gang“ verwendet werde und damit die kriminelle Ausrichtung der zu der Bewegung der „Hells Angels“ gehörenden selbständigen und nicht verbotenen Vereine suggeriert werden solle, sei dem entgegen zu halten, dass die Bezeichnung als „Outlaws“ auf einen Bruch der Rockervereine mit der „American Motorcyclist Association“ zurückzuführen sei und keinen Nachweis für eine kriminelle Ausrichtung darstelle.
14Auch soweit die Beklagte die auf den Seiten 2 bis 6 ihrer Klageerwiderung vom 4. Juli 2016 aufgelisteten Vorfälle zur Begründung einer konkreten Gefahr heranziehe, könne dem nicht gefolgt werden, da eine Zurechnung zum Rockermilieu bestritten werde. Bislang handele es sich insoweit um bloße Meinungskundgaben und keine Tatsachen. Es sei fraglich, aufgrund welcher Tatsachen und Schlussfolgerungen eine derartige Zuordnung vorgenommen worden sei. Außerdem müssten, wenn die „Aktivitäten“ einer konkreten Person zugeordnet werden könnten, die Ursachen erforscht werden. Eine Tat, die von einem Mitglied eines Rockervereins begangen werde, müsse nicht zwangsläufig ihren Ursprung in dessen Mitgliedschaft bzw. in Rivalitäten zwischen den Rockervereinen finden, sondern könne auch auf persönlichen Beziehungen beruhen. Überdies würden diese Vorfälle allenfalls eine Involvierung des „Hells Angels MC B. “ und des „Hells Angels MC N. “ belegen. Der Kläger könne aber nicht als Mitglied der „Hells Angels MC T. “ im Zuge einer unzulässigen verallgemeinernden Betrachtung unter Generalverdacht gestellt und als potentieller Gefährder kriminalisiert werden. Der Beklagten würden nicht die für die Annahme einer Gefahr erforderlichen abgesicherten Erkenntnisse über die Einzelheiten und die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen konkreten Gefahrenprognose vorliegen.
15Doch selbst, wenn man die von der Beklagten und der Polizei benannten Vorfälle im Rahmen der Gefahrenprognose heranziehe, könne daraus keine konkrete Gefahr hinsichtlich aller drei Regelungsgegenstände (Bekleidungsstücke, Örtlichkeiten und Zeiten) folgen. Dem Kläger sei es weder verboten, Bekleidungsstücke zu tragen, die auf die Zugehörigkeit zur Bewegung der „Hells Angels“ sowie des Vereins „Hells Angels MC T. “ hinweisen würden noch lägen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Mitglieder der „Hells Angels MC“ in entsprechender Bekleidung in den streitgegenständlichen Bereichen der Aachener Innenstadt gemeinsam positionieren würden, um Macht zu demonstrieren und verfeindete Motorradclubs zu provozieren. Des Weiteren würden die von der Beklagten aufgelisteten Aktivitäten auch deshalb keine besondere Gefährdung des räumlichen Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung belegen, da es sich bei den angeführten Vorkommnissen ganz überwiegend um rechtlich zulässigen Freiheitsgebrauch handele. So sei auch ein „Schaulaufen“ vom kommunikativen Gemeingebrauch öffentlicher Straßen und Plätze erfasst, weshalb ein rechtswidriges oder gefährliches Tun insoweit nicht festzustellen sei. Insbesondere für den Aachener Weihnachtsmarkt sei das Bestehen einer besonderen Gefährdungslage unverständlich. Es habe bundesweit noch keinen einzigen Vorfall gegeben, bei dem Mitglieder von Rockervereinen auf einem Weihnachtsmarkt aneinander geraten wären.
16Die von der Beklagten vorgelegten Presseberichte seien im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer konkreten Gefahr unbeachtlich, da es sich insoweit nicht um Tatsachen handele, die für eine Gefahrenprognose herangezogen werden könnten. So betreffe kein Presseartikel den Verein der „Hells Angels MC T. “ oder den Kläger, vielmehr würden sich zahlreiche Berichte mit legalen Tätigkeiten, wie beispielsweise Versammlungen und Partys, befassen. Unzutreffend seien darüber hinaus diverse in der Allgemeinverfügung aufgestellte Behauptungen.
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Die Allgemeinverfügung verstoße ferner gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil sie Bestandteil einer umfassenden und auf allen Ebenen der grundrechtlichen Betätigung einschneidenden Diskriminierungs- und Stigmatisierungs-strategie sei, was das Strategiepapier der Innenministerkonferenz zur Bekämpfung der Rockerkriminalität sowie der Projektarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen zur Bekämpfung der Rockerkriminalität aufzeigen würden. Hieraus ergebe sich insbesondere, dass gegen Rocker im Rahmen der Bewegung in öffentlichen Verkehrsräumen, der Berufsausübung, der Besteuerung, des Ordnungs- und Gefahrenabwehrrechts sowie zahlreicher weiterer die freie Grundrechtsausübung betreffenden Bereiche vorgegangen werden solle. Hinsichtlich solcher additiver Grundrechtseingriffe seien nach der Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts die polizeilichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit und nicht als Einzelmaßnahmen zu betrachten und zu bewerten. Mithin stünde nicht die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Vordergrund, sondern ein politisches Bekenntnis, welches sich gegen die Mitglieder von Rockervereinen richte. Außerdem sei die Beklagte mangels Sachkenntnis zu einer differenzierenden Betrachtung nicht imstande, was nicht zuletzt dadurch belegt werde, dass sie mit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung auch den Wahlspruch des „Mongols MC“ „Respect few, Fear None“ verboten habe, jedoch keine Vorfälle benannt habe, die auf eine Aktivität dieser Gruppierung hindeuteten.
Nachdem der Kläger ursprünglich beantragt hat, die angefochtene Allgemeinverfügung aufzuheben, hat er nach Ablauf des zeitlichen Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung mit Schriftsatz vom 30. Mai 2015 seinen ursprünglichen Antrag auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt.
20Die Klagebefugnis ergebe sich vorliegend aus einer möglichen Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Der Kläger habe einen Besuch des Aachener Weihnachtsmarkts unter öffentlicher Verwendung der Symbole seines Vereins geplant. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich vorliegend aus der Wiederholungsgefahr sowie aus dem Gedanken des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG
21Der Kläger beantragt nunmehr,
22festzustellen, dass die Allgemeinverfügung vom 16. Dezember 2015 über ein Trage- und Mitführverbot von Bekleidungsstücken mit Abzeichen, Emblemen und Schriftzügen, Colours oder sonstigen Kennzeichen von nicht verbotenen Motorradgruppierungen rechtswidrig gewesen ist.
23Die Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags führt sie aus:
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Die Tatsache, dass sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehandelt habe, ergebe sich zunächst daraus, dass sie die Allgemeinverfügung erlassen habe. Ein kollusives Zusammenwirken der Behörden bei der die Beklagte nur als Instrument aufgetreten sei, liege schon deshalb nicht vor, weil weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft in der Lage seien, die Beklagte zu „steuern“. Vielmehr stelle sie eine rechtlich selbständige Behörde dar, die die streitgegenständliche Allgemeinverfügung autonom erlassen habe. Sie habe den Sachverhalt sowie die daraus resultierende Gefährdungslage intern intensiv erörtert und sich anschließend der in dem Entwurf der Polizei enthaltenen Lage- und Gefährdungsbewertung inhaltlich vollumfänglich angeschlossen. Änderungen seien im Bereich der Zwangsmittelandrohung vorgenommen worden. Zudem sei der Entwurf gekürzt worden.
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Vorlage für diese Allgemeinverfügung sei das „Kuttentrageverbot Cranger Kirmes“ gewesen, dessen Bestimmtheit in den hierzu erst- und zweitinstanzlich geführten Gerichtsverfahren detailliert geprüft und bejaht worden sei. In diesem Fall sei insbesondere auch die Formulierung „sonstige Kennzeichen der im Einzelnen aufgeführten Rocker-Motorradgruppierungen“ als hinreichend bestimmt angesehen worden. In der Allgemeinverfügung werde deutlich zum Ausdruck gebracht, welche Kleidungsstücke im räumlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung nicht getragen bzw. nicht mitgeführt werden dürften. Es sei ausreichend, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt der Allgemeinverfügung, insbesondere ihrer Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lasse. Auch das OVG Bremen habe sich in seiner Entscheidung vom 21. Oktober 2011 (Az. 1 B 162/11) detailliert mit der Bestimmtheit der dem Verfahren zugrunde liegenden Allgemeinverfügung auseinander gesetzt. Danach würden Rockergruppen über unverwechsel-bare, auffällige Abzeichen, Embleme, Schriftzüge, Colours und sonstige Kennzeichen verfügen, durch die jeweils eine eindeutige Zuordnung zu den Gruppen bezweckt werde. Des Weiteren komme es auf die Frage, ob es sich bei den genannten (Motorrad‑)Gruppierungen um verbotene oder nicht verbotene Vereine handele, im Rahmen der Bestimmtheit nicht an.
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Die in Abgrenzung zu einem bloßen Gefahrenverdacht erforderliche, genügend abgesicherte Prognose eines drohenden Schadenseintrittes sei vorliegend gegeben. Die der Beklagten zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung vorliegenden Erkenntnisse rechtfertigten die Einschätzung, dass es in den streitgegenständlichen Bereichen jederzeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen habe kommen können, falls Angehörige der rivalisierenden (Motorrad‑)Gruppierungen aufeinander gestoßen wären. Da im Schadensfall hochrangige Schutzgüter - Leib und Leben von Menschen - betroffen gewesen wären und das Ausmaß eines möglichen Schadens besonders groß habe ausfallen können, habe schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt.
Der „Rockerkrieg“ und die damit verbundene Gefahrenlage habe vor Erlass der Allgemeinverfügung nicht nur die Beklagte, sondern auch die Polizei und Staatsanwaltschaft beschäftigt, da dieser ein bedeutendes Thema in der Aachener Öffentlichkeit gewesen sei. Zwischen der Beklagten, der Polizei und der Staatsanwaltschaft habe daher ein intensiver Informationsaustausch stattgefunden, im Rahmen dessen die Beklagte die zur Beurteilung der Gefahrenlage notwendigen Informationen eingeholt habe. Die Beklagte sei auch vor dem Hintergrund, dass die Polizei nicht wie die Beklagte ausschließlich zur Gefahrenabwehr, sondern darüber hinaus insbesondere auch für die Strafverfolgung und damit für die Rockerkriminalität zuständig sei, auf deren Informationen und Expertise angewiesen. Der erste Entwurf der Allgemeinverfügung sei sodann von der Aachener Polizei gefertigt und der Beklagten am 3. Dezember 2015 übersandt worden. In diesem Entwurf habe die Polizei ihre zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse sowie ihre Gefährdungsbewertung, die sie noch einmal explizit in dem Bericht zur Bekämpfung der Rockerkriminalität vom 2. Juni 2016 dargelegt habe (BA II) aufgezeigt. Hinsichtlich der konkreten Vorfälle, die der Polizei zur Kenntnis gelangt und von ihr dem Rockermilieu zugerechnet worden seien, sowie derer, die unmittelbar vor Erlass der Allgemeinverfügung in der Stadt B. und Umgebung aufgetreten und an denen Rocker beteiligt gewesen seien, wird auf die Klageerwiderung der Beklagten vom 4. Juli 2015 (Bl. 95 bis 99 d. GA) Bezug genommen. In diesem Zusammenhang sei auch unerheblich, ob die der Allgemeinverfügung zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren abgeschlossen seien oder nicht, da ansonsten eine wirksame Gefahrenabwehr nicht möglich sei. Überdies ergebe sich aus dem Vermerk der Polizei vom 11. März 2016, dass aufgrund der genannten Vorfälle eine Vielzahl von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden seien, was dokumentiere, dass seitens der Staatsanwaltschaft in diesen Fällen jedenfalls ein Anfangsverdacht für strafrechtlich relevantes Verhalten der Mitglieder der Rockergruppierungen bejaht worden sei.
33Bei der Prüfung des Vorliegens einer konkreten Gefahr sei auch die Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamtes NRW (BA III) als Entscheidungsgrundlage herangezogen worden. Danach sei die Rockerszene in Nordrhein-Westfalen nach wie vor von Expansionsbestrebungen geprägt, in deren Zusammenhang Gewaltdelikte bis hin zu schwersten Körperverletzungs- und Tötungsdelikte stünden. Nach polizeilichen Erkenntnissen sei dies auf Konfliktlagen um selbst erhobene Gebietsansprüche und Einflussbereiche zurückzuführen.
34Eine besondere Gefährdungslage habe auch hinsichtlich der in der Allgemeinverfügung benannten räumlichen Bereiche bestanden. Dies ergebe sich aus dem intensiven Austausch mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft sowie unter Berücksichtigung der Orte, wo die Rockergruppierungen ausweislich der der Allgemeinverfügung zugrunde liegenden Vorfälle besonders aktiv gewesen seien. In Bezug auf den Bereich des Aachener Weihnachtsmarkts sei einerseits der große Besucherandrang berücksichtigt worden, der die Gefahr, dass im Zuge gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Rockergruppierungen unbeteiligte Dritte zu Schaden kommen könnten, erhöhen würde. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass es in der Vergangenheit bei solchen Auseinandersetzungen zu einem Einsatz von Waffen gekommen sei. Andererseits hätten vor Erlass der Allgemeinverfügung sowohl Rockergruppierungen vermehrt im Umfeld des vorweihnachtlichen Budendorfs beobachtet werden können als auch Aktivitäten der Rockergruppierungen u.a. auch auf bzw. in unmittelbarer Nähe zu den Flächen des Aachener Weihnachtsmarkts stattgefunden.
35Hinsichtlich der Gründe, warum von den in der Allgemeinverfügung genannten Bekleidungsstücken eine Gefahr ausgehe, wiederholt die Beklagte ihr Vorbringen aus der Begründung der Allgemeinverfügung. Überdies sei es für die Beurteilung der vorliegenden Maßnahme der Gefahrenabwehr irrelevant, ob das Tragen der streitgegenständlichen Bekleidungsstücke oder das Bestehen der streitgegenständlichen Vereine verboten sei oder nicht, da auch strafloses Verhalten eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 OBG darstellen könne.
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Die Verhältnismäßigkeit der Allgemeinverfügung ergebe sich zunächst daraus, dass diese aufgrund der zeitlichen und räumlichen Beschränkungen nur geringfügig in die Freiheitsrechte des Klägers eingreife. Zudem könne der Kläger die in der Allgemeinverfügung genannten Bereiche jederzeit ohne die dort genannten Bekleidungsstücke betreten. Eine behördenübergreifende Zusammenarbeit könne nicht dazu führen, dass die aus Gründen der Gefahrenabwehr dringend erforderliche Allgemeinverfügung aufgrund eines „additiven Grundrechtseingriffs“ rechtswidrig werde. Zunächst sei bereits unklar, durch welche staatlichen Maßnahmen der Kläger konkret „additiv“ in seinen Grundrechten verletzt worden sei. Darüber hinaus betreffe das vom Kläger zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, juris Rn. 130) einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. In diesem Verfahren sei es um die Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Bundeskriminalamtsgesetzes gegangen, welche tief in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und den Kernbereich privater Lebensführung betreffen würden. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung greife aber weder tief in die Grundrechte der Betroffenen ein noch betreffe sie den Kernbereich der privaten Lebensführung. Der klägerische Vortrag, wonach es sich bei der in der Allgemeinverfügung genannten Parole „Respect Few, Fear None“ um einen Wahlspruch des „Mongols MC“ handeln solle, sei rechtlich unerheblich, da der Kläger mangels Zugehörigkeit zu dieser Gruppierung eine Rechtsverletzung nicht geltend machen könne. Ferner sei auch eine Einschränkung der Allgemeinverfügung auf bestimmte Charter des „Hells Angels Motorcycle Clubs“ kein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr gewesen, da zum einen der „Hells Angels Motorcycle Club“ bei den Auseinandersetzungen überregionale Unterstützung erhalten habe und zum anderen es auch für den Kläger als Nichtmitglied des B. betreffenden Charters - wie er selbst ausgeführt habe - von besonderer Bedeutung gewesen sei, sich im Aachener Stadtgebiet in seiner Kutte und mit den Symbolen des „Hells Angels Motorrad Clubs“ zu präsentieren.
Hinsichtlich der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge wird auf die Anlage des Sitzungsprotokolls Bezug genommen.
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgang (BA I) und die von den Beteiligten eingereichten Anlagen (BA II bis V) Bezug genommen.
40E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
41Die Kammer war trotz des in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gestellten und von ihr zurückgewiesenen Vertagungsantrages des Klägers nicht gehindert, die mündliche Verhandlung abzuschließen und über die Klage zu entscheiden. Nach § 227 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO), der gemäß § 173 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt, kann eine mündliche Verhandlung nur aus erheblichen Gründen verlegt oder vertagt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst auf Grund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs Rechnung zu tragen. Wird einem Beteiligten infolge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit abgeschnitten, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern, so wird hierdurch das gebotene rechtliche Gehör unzulässig verkürzt. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter im Termin mit Tatsachen- oder Rechtsfragen konfrontiert wird, mit denen er sich ohne weitere Vorbereitung nicht kompetent auseinandersetzen kann.
42Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Mai 2008 – 4 B 42/07 -, juris Rn. 19, vom 28. April 2008 4 B 47.07 -, juris Rn. 22 m.w.N. und vom 6. März 1992 - 4 CB 2.91 -, juris Rn. 10 ff..
43Gemessen daran durfte die Kammer den Vertagungsantrag zurückweisen, weil eine weitere Vorbereitung des Klägers zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs nicht geboten war. Der Vertagungsantrag war mit der Begründung gestellt worden, der Prozessbevollmächtigte des Klägers benötige aufgrund der Ablehnung der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge weitere Zeit, um sich auf die geänderte Sachlage einzustellen und weitere Beweisanträge vorzubereiten. Vorliegend wäre es dem Prozessbevollmächtigten aber zumutbar gewesen, sich bereits vor Beginn der mündlichen Verhandlung auf eine eventuelle Ablehnung der angekündigten und im Vorfeld der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorbereiteten Beweisanträge einzustellen. Da das Gericht auf die im Vorfeld vom Kläger angekündigten Beweisanträge nicht reagiert hat und eine Beiziehung von Akten bzw. eine Ladung von Zeugen von Amts wegen nicht erfolgt ist, war die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge für den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht völlig überraschend.
44Vgl. in einem ähnlich gelagerten Fall: BVerwG, Beschluss vom 25. September 2013 - 1 B 8/13 -, juris Rn. 13 f.
45Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine ihm angebotene etwa zweistündige Unterbrechung der mündlichen Verhandlung als unzureichend abgelehnt. Aus diesen Gründen war hier dem Beschleunigungs- und Konzentrationsgebot entsprechend der Vertagungsantrag abzulehnen.
46Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
47Für das Feststellungsbegehren des Klägers ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Fortsetzungsfeststellungsklage die statthafte Klageart. Der Kläger wehrt sich mit seinem Klagebegehren gegen eine Allgemeinverfügung und damit gegen einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW). Diesen hat er zunächst mit einer Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO angegriffen. Infolge der Befristung der Allgemeinverfügung auf den 10. Februar 2016 ist eine Erledigung noch vor einer Entscheidung über die Klage eingetreten.
48Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung einer Rechtswidrigkeit des im Rahmen der Allgemeinverfügung vom 16. Dezember 2015 angeordneten „Kuttentrageverbots“. Ein solches ergibt sich vorliegend aus der Wiederholungsgefahr.
49Eine Wiederholungsgefahr setzt die konkrete Gefahr voraus, dass in absehbarer Zeit unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für die Eintritt einer vergleichbaren Belastung bei einem abzusehenden vergleichbaren Sachverhalt vorgetragen werden.
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 21 und vom 12. Oktober 2006 - 4 C 12.04 -, juris Rn. 8.
51Wegen der Vielzahl von verschiedenen Motorradclubs sowie der damit nicht vorherzusagenden Gefahren, etwa im Rahmen von Großveranstaltungen, liegt es nahe, dass die Beklagte auch zukünftig zu einer ähnlichen Gefahreneinschätzung gelangt und eine erneute Allgemeinverfügung erlässt, die mit der streitgegenständlichen vergleichbar ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie im Rahmen der Aachener Kirmes „Frühjahrsbend“ eine vergleichbare, für die Zeit vom 26. März 2016 bis zum 11. April 2016 befristete Allgemeinverfügung hinsichtlich eines „Kuttentrageverbots“ erlassen hat.
52Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
53Die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 16. Dezember 2016 betreffend das „Kuttentrageverbot“ ist hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 rechtmäßig (vgl. hierzu unter 1.) und hinsichtlich der Ziffer 5 - Androhung des Zwangsmittels - rechtswidrig gewesen (vgl. hierzu unter 2.). Soweit sie rechtswidrig gewesen ist, hat sie den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Sätze 1 und 4 VwGO).
541. Die Ziffern 1 bis 3 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung sind sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.
55a) Zunächst begegnet die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung keinen Bedenken.
56aa) Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte hier im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehandelt.
57Gemäß §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 5 Abs. 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz - OBG) sind die örtlichen Ordnungsbehörden für die Aufgaben der Gefahrenabwehr zuständig - vorliegend also die Beklagte. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die streitgegenständliche Allgemeinverfügung nicht in eigener Verantwortung erlassen und nur als Instrument des Polizeipräsidiums gehandelt hat, sind angesichts der Ausführungen der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich. Auch kann allein aus dem Umstand, dass der erste Entwurf der Allgemeinverfügung von der Polizei gefertigt worden ist, nicht abgeleitet werden, dass die Beklagte diese nicht in eigener Verantwortung erlassen hat. Ausweislich der E-Mail vom 3. Dezember 2015 hat es nämlich Vorabsprachen unter Beteiligung des Oberbürgermeisters der Stadt B. - wie die Beklagtenvertreterin noch einmal in der mündlichen Verhandlung ausführlicher dargestellt hat - gegeben. Ferner ist ein Rückgriff auf die Erkenntnisse und Gefährdungseinschätzung der Polizei, die hinsichtlich des Themas „Rockerkriminalität“ aufgrund ihres gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereichs über speziellere und bessere Kenntnisse verfügt, unter Effektivitäts-, Wirtschaftlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zweckmäßig.
58bb) Die Allgemeinverfügung ist durch die Veröffentlichung in den Aachener Nachrichten und der Aachener Zeitung am 18. Dezember 2015 auch ordnungsgemäß i.S.d. § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW i.V.m. § 27 Abs. 1 und 2 der Hauptsatzung der Stadt B. vom 15. Dezember 1995 in der Fassung des 13. Nachtrags zur Hauptsatzung der Stadt B. vom 19. November 2014 öffentlich bekannt gegeben worden. Vorliegend erfolgte die öffentliche Bekanntgabe am 19. Dezember 2015. Zwar gilt der Verwaltungsakt bei einer öffentlichen Bekanntgabe gem. § 41 Abs. 4 Satz 3 VwVfG NRW grundsätzlich erst zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekanntgegeben, jedoch kann nach § 41 Abs. 4 Satz 4 VwVfG NRW in einer Allgemeinverfügung ein hiervon abweichender Tag - so wie hier in Ziffer 9 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung - bestimmt werden, frühestens jedoch der auf die Bekanntmachung folgende Tag.
59b) Auch in materieller Hinsicht begegnen die Ziffern 1 bis 3 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung keinen Bedenken.
60aa) Unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit hat die Kammer keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 16. Dezember 2015. Nach dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) und einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verankerten Bestimmtheitsgebot muss ein Verwaltungsakt inhaltlich so bestimmt sein, dass für die am Verwaltungsverfahren Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsakts, der Gegenstand der getroffenen Regelung so vollständig und eindeutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach einrichten können. Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt.
61Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2003 - 6 C 20.02 -, juris Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 30. September 1998 - 18 B 1958/97 -, juris Rn. 4; OVG Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - 1 B 162/11 -, juris Rn. 16 ff.; VG Köln, Urteil vom 9. Februar 2012 - 5 A 2375/10 -, juris Rn. 34 ff.
62Die vorliegende Allgemeinverfügung regelt ganz genau, wann und wo, welche Bekleidungsstücke nicht getragen werden dürfen und welche Motorradgruppierungen davon betroffen sind. Dass die betreffenden Rockergruppen über unverwechselbare, auffällige Abzeichen und Embleme verfügen, durch die jeweils eine eindeutige Zuordnung zu den Gruppen bezweckt wird, ist allgemein bekannt. In der Behördenakte finden sich Ablichtungen von Lederjacken und Westen, die mit entsprechenden Zeichen versehen sind. Soweit der Kläger einwendet, es sei unklar, welche Bekleidungsstücke, Abzeichen, Colours, Embleme oder sonstige Kennzeichnungen gemeint seien sowie dass sich hinsichtlich der Bewegung des „Hells Angels MC“ die Frage stelle, ob allein deren Vereinswappen oder auch andere auf den Jacken der Mitglieder der Bewegung anzutreffenden Schriftzüge und Symbole von dem Verbot erfasst seien, dringt er hiermit nicht durch. Aus der Formulierung „Bekleidungsstücke[n], die mit Abzeichen, Emblemen, Schriftzügen, Colours oder sonstigen Kennzeichnungen der […] Hells Angels MC […] versehen sind“ ergibt sich eindeutig, dass sämtliche Abzeichen, Embleme, Schriftzüge, Colours oder sonstige Kennzeichnungen, die die Zugehörigkeit zu der Gruppierung „Hells Angels MC“ ausdrücken, von dem Verbot erfasst sind. Ob diese umfassende Aufnahme willkürlich ist, ist dagegen nicht eine Frage der Bestimmtheit, sondern der Verhältnismäßigkeit. Dem klägerischen Einwand, dass Personen, die sich mit der Rockerszene nicht besonders gut auskennen würden, keine Kenntnis darüber hätten, welche Kennzeichnungen eine Zugehörigkeit zu den in der Allgemeinverfügung genannten Gruppierungen ausdrücken, ist entgegenzuhalten, dass diese Personen wohl auch derartige Kleidungsstücke nicht tragen.
63Der Tenor der Allgemeinverfügung ist zwar weit formuliert, aber dennoch jedenfalls mit Hilfe ihres Inhalts, insbesondere aufgrund ihrer Begründung sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten bzw. ohne Weiteres erkennbaren Umständen bestimmbar. Eine vergleichbare Formulierung betreffend die Allgemeinverfügung zu einem „Kuttentrageverbot auf der Cranger Kirmes“, die laut Aussage der Beklagten Grundlage für die Abfassung der vorliegenden, streitgegenständlichen Allgemeinverfügung gewesen ist, hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen als hinreichend bestimmt angesehen.
64Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. Juli 2015 - 16 L 1495/15 -, juris Rn. 10 ff.
65Das hiergegen diese Entscheidung beim Oberverwaltungsgericht NRW geführte Beschwerdeverfahren blieb erfolglos.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2015 - 5 B 908/15 -, juris.
67Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber zu erheben, dass die mit der streitgegenständlichen Verbotsverfügung untersagten Schriftzüge und Parolen „Respect Few, Fear None“, „Outlaw Motorcycle Gang“, „Outlaw Motorcycle Club“ sowie das Signum „1%-er“ oder „1%“ keinem Verein zugeordnet werden können, der der Bewegung der Hells Angels, der Bandidos, der Inmortales Germany, der Army 81, der Outlaws MC I. oder dem Gremium MC I. angehört, war mangels Entscheidungserheblichkeit abzulehnen. Soweit ein derartiges Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis käme, dass diese Schriftzüge und Parolen nicht der Bewegung der „Hells Angels“ zugeordnet werden können, würde dem Kläger insoweit die Klagebefugnis fehlen, weil keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass er diese dann verwenden würde. Soweit es dagegen zu dem Ergebnis käme, dass eine entsprechende Zuordnung ebenfalls betreffend die anderen in der Allgemeinverfügung genannten Gruppierungen nicht vorgenommen werden könne, könnte sich der Kläger hierauf mangels entsprechender Zugehörigkeit zu diesen Gruppierung und damit ebenfalls wegen insoweit fehlender Klagebefugnis nicht berufen.
68bb) Rechtsgrundlage der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 OBG. Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden. Das hier in Rede stehende Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates.
69(1) Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf in überschaubarer Zukunft mit einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. In tatsächlicher Hinsicht bedarf es in Abgrenzung zu einem bloßen Gefahrenverdacht einer genügend abgesicherten Prognose auf den drohenden Eintritt von Schäden.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 -, juris Rn. 25; OVG NRW, Urteil vom 9. Februar 2012 - 5 A 2375710 -, juris Rn. 31.
71Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Dabei ist hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit danach zu differenzieren, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Je gewichtiger das bedrohte Schutzgut und je größer das Ausmaß des möglichen Schadens ist, umso geringere Anforderungen werden an die Schadensnähe gestellt. Für polizeiliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit genügt bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts, nicht jedoch die nur rein theoretische, praktisch aber auszuschließende Möglichkeit.
72Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. August 2015 - 5 B 908/15 -, juris Rn. 7 und vom 30. Januar 2009 - 5 A 2239/08 -, juris Rn. 19 f. m.w.N.
73Ist dagegen die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu einer hinreichend abgesicherten Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitsbeschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben. Das setzt eine Risikobewertung voraus, die - im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr - über einen Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht. Ein derart weit reichende Bewertungs- und Entscheidungskompetenz steht den Polizei- und Ordnungsbehörden aber nicht zu.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 -, juris Rn. 25; OVG Schleswig, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris Rn. 36; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. Juli 2015 - 16 L 1495/15 -, juris Rn. 17; VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, juris Rn. 13 m.w.N.
75Auf Grundlage des vorstehend dargelegten Gefahrenbegriffs ist die Kammer davon überzeugt, dass die Beklagte zu Recht das Vorliegen einer konkreten Gefahr dahingehend angenommen hat, dass es beim Auftreten der einzelnen Rockergruppierungen, „Outlaw-Motorcycle-Gangs“ und Street-Gangs - und somit auch der „Hells Angels MC“, denen der Kläger angehört - mit den für sie jeweils charakteristischen Kleidungs- und Ausrüstungsgegenständen an den streitgegenständlichen Örtlichkeiten in der Aachener Innenstadt und im streitgegenständlichen Zeitraum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden am Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gekommen wäre. Insbesondere dürfte die Einschätzung gerechtfertigt gewesen sein, dass es jederzeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen hätte kommen können, wenn Angehörige rivalisierender Gruppierungen aufeinandergestoßen wären, die angesichts ihrer „Uniformiertheit“ als solche erkennbar in Erscheinung treten und die sich durch das entsprechende uniformierte Auftreten der jeweils rivalisierenden Gruppe provoziert gefühlt hätten. Die Schwelle von einem bloßen Gefahrenverdacht zu dem Vorliegen einer konkreten Gefahr war vorliegend überschritten.
76Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr ergaben sich zunächst aus dem Bericht des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen zur Rockerkriminalität in NRW - Lagedarstellung und -entwicklung sowie Gefährdungsbewert-ung betreffend den Zeitraum Juni 2015 bis Juni 2016, auf den die Beklagte den Erlass ihrer Allgemeinverfügung u.a. stützt. Dort wird u.a. ausgeführt, dass die „Rockerlage“ in Nordrhein-Westfalen nach wie vor von Expansionsbestrebungen der Gruppierungen geprägt sei. In diesem Zusammenhang komme es zur Verwirklichung von Gewaltdelikten bis hin zu schwersten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten. Die Aufhebung des „Kuttenverbots“ durch den Bundesgerichtshof mit Urteil vom 9. Juli 2015 (Az. 3 StR 33/15) habe zu öffentlichkeitswirksamen Auftritten der „Outlaw-Motorcycle-Gangs“ im Zusammenhang mit den jeweiligen Clubveranstaltungen, aber auch zur Machtdemonstration in Form von „Schauläufen“ geführt. Es sei zu beobachten, dass unter den Mitgliedern der „Outlaw-Motorcycle-Gangs“ eine latent hohe Gewaltbereitschaft bestehe und sie ihre selbstdefinierten Macht- und Gebietsansprüche mit aller Konsequenz durchzusetzen versuchten. Konfliktlagen und konkrete, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den „Outlaw-Motorcycle-Gangs“ würden insbesondere dann drohen, wenn selbsterhobene Gebietsansprüche „verletzt“ würden, weil sich beispielsweise Angehörige einer verfeindeten „Outlaw-Motorcycle-Gang“ „in Kutte“ in einem Bereich aufhalten, für den eine andere „Outlaw-Motorcycle-Gang“ einen Alleinvertretungsanspruch erhebe. Die Funde und Sicherstellungen von Schuss- und Kriegswaffen sowie der mehrfache Einsatz von Schusswaffen würden das Gefährdungspotential, das von den „Outlaw-Motorcycle-Gangs“ ausgehe, aufzeigen. Sie hätten Zugang zu Waffen unterschiedlichster Art und könnten scheinbar jederzeit schnell und unmittelbar darauf zugreifen. Sowohl bei vorbereitet erfolgenden Auseinandersetzungen als auch bei spontanen Gewalttätigkeiten sei mit dem Einsatz von Waffen und sonstigen gefährlichen Gegenständen - insbesondere auch von Schusswaffen - zu rechnen. Bezogen auf das angespannte Verhältnis zwischen den „Bandidos MC“ und den „Hells Angels MC“ sei für den Aachener Raum und das angrenzende Ausland zu prognostizieren, dass es bei einer Provokation zwischen den Angehörigen und Unterstützern dieser beiden Gruppierungen auch weiterhin zu Auseinandersetzungen - ggf. unter Einsatz von Waffen - kommen werde. Zusammenfassend sei zu konstatieren, dass jederzeit mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den „Outlaw-Motorcycle-Gangs“ zu rechnen sei, was insbesondere bei sog. Gebietsverletzungen sowie zufälligem Aufeinandertreffen verfeindeter Gruppierungen gelte. Dabei entstünden auch Gefahren für Dritte.
77Anhaltspunkte, die die Plausibilität dieser polizeilichen Einschätzung in Frage stellen, sind nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen. Soweit er diese Einschätzung pauschal bestreitet und einwendet, dass aufgrund dessen, dass für das gerichtliche Verfahren gesondert Aktenteile gefertigt worden seien, eine Manipulation nicht ausgeschlossen werden könne, ist dem entgegen zu halten, dass dies nach Angaben der Beklagten darauf zurückzuführen sei, dass Teile dieses Berichts nicht frei gegeben seien und der Geheimhaltung unterliegen würden. Aus diesem Grund sei der Bericht zusammengestellt worden, welcher die freigegebenen Teile des ursprünglichen Berichts sowie eine Fortschreibung der nach Erlass der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erfolgten Vorfälle enthalte. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht, ist weder ersichtlich noch ist der Kläger dem - auch unter Berücksichtigung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge - substantiiert entgegen getreten.
78Vielmehr wird die sich aus dem Bericht des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen ergebende Prognose durch eine Vielzahl an Vorfällen im Zusammenhang mit „Rockern“ in den Monaten vor Erlass der Allgemeinverfügung, welche das Polizeipräsidium B. ausweislich seines mit E-Mail vom 3. Dezember 2015 übersandten Entwurfs der Allgemeinverfügung, seines Vermerks vom 11. März 2016 sowie seines Berichts vom 2. Juni 2016 für seinen Zuständigkeitsbereich festgehalten hat und auf die pauschal in der Allgemeinverfügung Bezug genommen wird, untermauert. Insbesondere der Bericht vom 2. Juni 2016, der eine Auflistung von 24 Vorfällen enthält, mit denen die „Hells Angels MC“ (teilweise mutmaßlich) in Zusammenhang stehen, festigt die vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen vorgenommene Gefährdungsbewertung gerade in Bezug auf die Gruppierung, der der Kläger angehört. Hervorzuheben sind hier die Vorfälle am 6. September 2015 auf dem Tankstellengelände U. T. . in B. (vgl. Nr. 02.4 der BA II) sowie am 9. Dezember 2015 im Bereich des „L. H. “ in der F.----- in B. (vgl. Nr. 02.23 der BA II), die deutlich machen, dass die Mitglieder der hier in Rede stehenden Gruppierungen auch nicht vor der Begehung von Straftaten und Austragung ihrer Auseinandersetzungen zurückschrecken, wenn unbeteiligte Dritte zugegen sind. Nach den vorliegenden Informationen kam es bei dem Vorfall am 6. September 2015 zu einer körperlichen Auseinandersetzung unter Einsatz von Messern zwischen Mitgliedern der „Hells Angels MC“ und der „Bandidos MC“. Bei dem Vorfall am 9. Dezember 2015 versammelten sich mehrere „Bandidos MC“- und „Inmortales MC“-Mitglieder im Bereich des Imbisses „L. H. “, der bereits mehrfach Örtlichkeit von Rockersachverhalten war. Sodann attackierten diese die zufällig zum Tatzeitpunkt ankommende Inhaberin des Imbisses in ihrem Fahrzeug. Anschließend kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den dort versammelten „Bandidos MC“- und „Inmortales MC“-Mitgliedern sowie mehreren Mitgliedern der „Hells Angels MC“, in deren Verlauf offensichtlich von einem Täter auf flüchtende „Bandidos MC“-Mitglieder geschossen wurde. Es konnten am Tatort aufgefundene Patronenhülsen gesichert werden. Anschließend wurden in dem in unmittelbarer Nähe zum Tatort befindlichen „Hells Angel“-Treffpunkt 32 Mitglieder der „Hells Angels MC“ kontrolliert. Das Auffinden einer Schusswaffe führte zur Festnahme eines „Hells Angels MC“-Sympathisanten. Dass darüber hinausgehend sogar Straftaten gegen unbeteiligte Dritte ausgeübt werden, zeigt der Vorfall am 3. November 2015, bei dem ein Inhaber eines Cafés in der Aachener Innenstadt von Mitgliedern der „Hells Angels MC B. “ bedroht wurde. Der Inhaber des Cafés, der keine Bezüge zur „Rockerszene“ hatte, wurde zum Verkauf von Drogen in seinem Café oder zur „Abgabe“ des Cafés genötigt.
79Ausgehend hiervon sowie angesichts der weiteren zahlreichen sich in den oben genannten Schriftstücken dokumentierten Vorfälle lagen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass in den in der Allgemeinverfügung genannten Bereichen mit der Begehung von Gewaltdelikten konkret zu rechnen war, wenn dort rivalisierende, sich durch das Tragen ihrer „Kutten“ etc. gegenseitig provozierende „Rockergruppierungen“ aufeinanderstoßen. Dabei wird zugrunde gelegt, dass vorliegend schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt, da im Schadensfall hochrangige Schutzgüter - Leib und Leben von Menschen - betroffen sind und das Ausmaß eines möglichen Schadens - im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden „Rockergruppierungen“ werden schwerste Körperverletzungs- bis hin zu Tötungsdelikte begangen - besonders groß sein kann. Für den Bereich des Aachener Weihnachtsmarkts ist hier auch insbesondere der Umstand, dass dort mit einer jährlichen Besucherzahl von 1,5 Millionen Besuchern zu rechnen ist (vgl. Wikipedia-Eintrag zum „Aachener Weihnachtsmarkt“ vom 25. Januar 2016), zu berücksichtigen. Aufgrund dessen können im Zuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden „Rockergruppierungen“ immer auch unbeteiligte Dritte zu Schaden kommen, zumal nach polizeilichen Erkenntnissen hierbei mit dem Einsatz von Waffen - bis hin zu Schusswaffen - zu rechnen ist.
80Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2015 - 5 B 908/15 -, juris Rn. 10 f.
81Entgegen der Ansicht des Klägers besteht eine konkrete Gefahr auch hinsichtlich der Bekleidungsstücke, der Örtlichkeiten sowie der Tages- und Nachtzeiten.
82Die Provokationen, die das Tragen einer „Kutte“ auslösen können, zeigt insbesondere der am 11. Oktober 2015 stattgefundene Vorfall (vgl. Nr. 02.13 d. BA II). Hierbei schoss der Q1. des „Hells Angels MC B. “ in I. -H. mehrfach auf das flüchtende Fahrzeug eines „Bandidos MC“-Mitglieds, welches zuvor in seiner „Kutte“ die Gaststätte der Eltern des Schießenden besucht hat. Der Q1. des „Hells Angels MC B. “, der in unmittelbarer Nähe der Gaststätte wohnt, soll vom dort anwesenden Personal über den Besuch des „Bandidos MC“-Mitglieds informiert worden sein und anschließend die Gaststätte aufgesucht haben. Nachdem das „Bandidos MC“-Mitglied die Gaststätte verlassen hatte, folgte der Q1. des „Hells Angels MC B. “ diesem mit einer Schusswaffe und schoss auf den in unmittelbarer Nähe der Gaststätte geparkten Wagen des „Bandidos MC“-Mitglieds. Der Q1. des „Hells Angels MC B. “ wurde als Schütze von mehreren Zeugen zweifelsfrei identifiziert.
83Zudem haben am 21. Juli 2015, 26. Juli 2015, 21. Oktober 2015 und im Zeitraum vom 7. bis zum 9. September 2015 sog „Schauläufe“ von Mitgliedern der „Hells Angels MC“ stattgefunden (vgl. Nr. 02.1, 02.2, 02.5, 02.16 der BA II), die die Bereiche Heinrichsallee, Elsassplatz, Elisenbrunnen, Großkölnstraße und Kleinkölnstraße betrafen. Weiterhin fanden u.a. sog. „Schauläufe“ der „Bandidos MC“ am 14. September 2015 im Bereich Holzgraben, am 30. September 2015 auf dem Aachener Markt und am 25. Oktober 2015 im Bereich der Pontstraße statt.
84Darauf, ob die sog. „Schauläufe“ - wie der Kläger vorträgt - vom kommunikativen Gemeingebrauch öffentlicher Straßen und Plätze erfasst und daher nicht rechtswidrig seien sowie ob das Tragen von „Kutten“ strafrechtlich verboten sei oder nicht, kommt es vorliegend im Rahmen der Gefahrenabwehr nicht an. Denn auch ein strafloses Verhalten kann eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG darstellen und zu Zwecken der Gefahrenabwehr untersagt werden.
85Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2015 - 5 B 908/15 -, juris Rn. 17; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. Juli 2015 - 16 L 1495/15 -, juris Rn. 24.
86Auch der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass gleichwohl das Tragen einer „Kutte“ mit den entsprechenden Kennzeichen unter bestimmten Voraussetzungen polizeirechtlich verboten sein kann.
87Vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/13 -, juris Rn. 30 ff., Pressemitteilung Nr. 113 /2015 des BGH.
88Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge, die im Wesentlichen die Thematik des Ausschlusses einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit betreffen, waren abzulehnen. Soweit der Kläger im Einzelnen beantragt hat:
89 durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber den Beweis zu erheben, dass das mit der streitgegenständlichen Verbotsverfügung untersagte Wiedergeben der Schriftzüge und Parolen „Respect Few, Fear None“, „Outlaw Motorcycle Gang“, „Outlaw Motorcycle Club“ sowie des Signums „1%-er“ oder „1%“ in einer Raute für den Einzelnen selbst dann völlig ungefährlich ist, wenn man der Unterstellung der Beklagten folgt, wonach ein Rockerkrieg ausgebrochen sein soll;
90stellt das Sachverständigengutachten schon ein untaugliches Beweismittel dar. Die Feststellung, ob aufgrund des der Allgemeinverfügung zugrunde liegenden Sachverhalts und damit auch von den in der Allgemeinverfügung benannten Schriftzügen, Parolen und Signa eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, ist eine Frage der rechtlichen Würdigung des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung vorzunehmen haben. Es ist nicht Aufgabe des Sachverständigen, sich zu Rechtsfragen zu äußern, sondern dem Gericht die Kenntnis von abstrakten Erfahrungssätzen zu vermitteln, über die dieses keine eigene Sachkunde aufweist.
91Vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 2016 - 2 B 40/16 -, juris Rn. 9 und vom 24. März 2000 - 9 B 530/99 -, juris Rn. 13; Greger, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 403 Rn. 1.
92 durch die Vernehmung des Zeugen S. K. (Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen) den Beweis zu erheben, dass polizeilichen Lagebildern, wie sie mit der Beiakte II und der Beiakte III seitens der Beklagten in das Verfahren eingebracht wurden, aus polizeilicher Sicht kein Erkenntnisgewinn beizumessen ist sowie dass solche Lagebilder ausschließlich stigmatisierende und diskriminierende Wirkung entfalten;
93liegt bereits kein beachtlicher Beweisantrag i.S.d. § 86 Abs. 2 VwGO vor, da es vorliegend an der Behauptung einer bestimmten Beweistatsache mangelt. Der Beweisantrag ist auf das Bekunden von Meinungen, subjektiven Einschätzungen und Bewertungen gerichtet und gerade nicht auf das Vorliegen von konkreten, dem Beweis zugänglichen Tatsachen. Soweit der Beweisantrag zudem darauf gerichtet ist, dass den polizeilichen Lagebildern aus polizeilicher Sicht kein Erkenntnisgewinn beizumessen ist, könnte es sich allenfalls um sog. Negativtatsachen handeln, die aber lediglich auf einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag zielen.
94Vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 - 5 StR 279/93 -, juris Rn. 10 ff.; Vierhaus, Beweisrecht im Verwaltungsprozess, 1. Aufl. 2011, Rn. 59.
95 durch Vernehmung der Zeugen N. Q2. (Oberbürgermeister der Stadt B. ), B1. H1. (Stadtdirektorin der Stadt B. ), E. X. (Polizeipräsident des Polizeipräsidiums B. ) sowie I1. I2. (Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft B. ) den Beweis zu erheben, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung nicht der Gefahrenabwehr dient, sondern vielmehr den Bürgern von B. ein Sicherheitsgefühl vortäuschen soll, das so in der Realität nicht besteht;
96liegt ebenfalls kein beachtlicher Beweisantrag i.S.d. § 86 Abs. 2 VwGO vor, da es vorliegend wiederum an der Behauptung einer bestimmten Beweistatsache mangelt. Die genannten Umstände betreffen die Frage der inneren Motivation für den Erlass der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung und zudem bloße Vermutungen, so dass hier ein unzulässiger Beweisermittlungsantrag „ins Blaue hinein“ vorliegt.
97Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts braucht die Tatsacheninstanz unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachzugehen. Unsubstantiiert sind nicht nur Beweisanträge, die das Beweisthema nicht hinreichend konkretisieren, sondern auch Beweisanträge, die dazu dienen sollen, unsubstantiierte Behauptungen zu stützen, etwa solche, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden sind. Einem Prozessbeteiligten ist es nicht erlaubt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, deren Wahrheitsgehalt nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben könnte. Zwar darf eine Behauptung nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Prozessbeteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Einer erkennbar "aus der Luft gegriffenen" und ohne Auseinandersetzung mit Gegenargumenten "ins Blaue hinein" aufrechterhaltenen Behauptung braucht das Gericht jedoch nicht nachzugehen. Beweisermittlungs- oder - ausforschungsanträgen, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken könnte, brauchen dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahezulegen
98Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2007 - 9 C 1/07, 9 C 1/07 (10 C 11/05) -, juris Rn. 22 und Beschluss vom 29. März 1995 - 11 B 21/95 -, juris Rn. 4 m.w.N.
99 durch die Vernehmung des Zeugen Q3. Q4. aus I3. (Mitglied der Hells Angels MC I1. ) den Beweis darüber zu erheben, dass die Bewegung der Hells Angels nicht hierarchisch gegliedert ist sowie dass es sich bei sämtlichen regionalen Ablegen der Bewegung um in rechtlicher und auch in sonstiger Hinsicht selbständige Vereine handelt;
100war dieser Beweisantrag mangels Entscheidungserheblichkeit abzulehnen. Diese Umstände stehen nicht mit der Bewertung der konkreten Gefahrenlage im Zusammenhang.
101 durch die Vorlage von diversen, in der Anlage zum Protokoll im Einzelnen aufgelisteten Urkunden bzw. Unterlagen den Beweis darüber zu erheben, dass
102- 103
1. sich die Beklagte hinsichtlich ihrer der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung zugrundeliegenden Gefahrenprognose auf Meinungen und Mutmaßungen und nicht auf Tatsachen stützt;
- 104
2. in B. und Umgebung keine Macht- und Revierkämpfe zwischen verfeindeten Rockergruppierungen entbrannt sind, an denen sich der Kläger oder der Verein Hells Angels MC T. beteiligen würde;
- 105
3. die Aussage falsch ist, wonach nahezu täglich Schauläufe als „Stärkedemonstration“ von Angehörigen verfeindeter Rockergruppierungen in den durch die Allgemeinverfügung adressierten Bereichen stattgefunden haben;
- 106
4. unter den Mitgliedern nicht verbotener Rockervereine Straftaten begangen werden, die ausschließlich auf persönliche bzw. private Motive zurückzuführen sind;
- 107
5. es keinen nachweislichen Konflikt zwischen dem in B. ansässigen nicht verbotenen Verein Hells Angels MC B. und einem nicht verbotenen Verein der Bandidos bzw. Unterstützungsgruppierungen gibt;
waren diese Beweisanträge ebenfalls abzulehnen. Auch hierbei handelt es sich nicht um Beweisanträge im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO, sondern um unzulässige Beweisermittlungsanträge. Hier werden keine konkreten Tatsachen unter Beweis gestellt, sondern hier soll vielmehr mittels Vorlage der entsprechenden Urkunden erst festgestellt werden, ob überhaupt eine entscheidungserhebliche Tatsache vorliegt oder geeignete Beweismittel vorhanden sind. Die Beweisanträge werden auf unsubstantiierte Behauptungen gestützt. Einer erkennbar „aus der Luft gegriffenen“ und ohne Auseinandersetzung mit Gegenargumenten „ins Blaue hinein“ aufrechterhaltenen Behauptung braucht das Gericht jedoch - wie zuvor dargestellt - nicht nachzugehen. Hinsichtlich der Nummer 1 ist der Beweisantrag zudem auf das Vorliegen einer sog. Negativtatsache gerichtet, die - wie zuvor dargestellt - ebenfalls zur Ablehnung des Beweisantrags führt.
109(2) Die Beklagte hat ferner das ihr nach §§ 14 Abs. 1, 16 OBG zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Sie ist dabei zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung i.S.d. § 15 OBG verhältnismäßig ist. Die Allgemeinverfügung ist ein geeignetes Mittel, um der Gefahr, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen kann, wenn Angehörige rivalisierender Gruppierungen aufeinanderstoßen, entgegen zu wirken. Zwar war mit dem Verbot des Tragens der streitgegenständlichen Bekleidungsstücke eine weitere Eskalation des „Rockerkrieges“ nicht ausgeschlossen. Den Mitgliedern der Rockergruppen wurde damit im räumlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung aber immerhin die Möglichkeit genommen, durch die auffälligen Zeichen ihrer jeweiligen Gruppe Gruppenzugehörigkeit zu demonstrieren. Damit entfiel ein Anknüpfungspunkt für gegenseitige Provokationen und Übergriffe. Die erlassene Allgemeinverfügung war auch erforderlich, weil andere, den Adressaten der Allgemeinverfügung weniger beeinträchtigende, gleichermaßen effektive und vor allem auch mildere Mittel zur Gefahrenabwehr nicht zur Verfügung stehen. Schließlich war das „Kuttentrageverbot“ auch hinsichtlich der Einbeziehung sämtlicher Zugehörigkeits-Kennzeichnungen angemessen. Es hat keine Nachteile zur Folge, die zu dem angestrebten Erfolg außer Verhältnis stehen. Dies gilt insbesondere angesichts dessen, dass das „Kuttentrageverbot“ sowohl zeitlich als auch räumlich stark eingegrenzt war. Dem Kläger und auch allen anderen, von der Allgemeinverfügung betroffenen Mitgliedern der dort genannten Gruppierungen blieb unbenommen, die mit der Allgemeinverfügung verbotenen Bekleidungsstücke außerhalb ihres zeitlichen und räumlichen Geltungsbereichs zu tragen oder die betroffenen Bereiche ohne die verbotenen Bekleidungsstücke zu betreten. Dem erheblichen öffentlichen Interesse daran, Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen abzuwenden, steht lediglich das nachrangige Interesse des Klägers an dem Tragen von Bekleidungsstücken, die eine Zugehörigkeit zu seiner Gruppierung demonstrieren, gegenüber. Abgesehen davon, dass den Besuchern des Aachener Weihnachtsmarkts sowie der Aachener Innenstadt ein angstfreies Besuchen möglich sein soll, dürfte es auf der Hand liegen, dass es dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammentreffen, zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer - hier eben nicht auszuschließenden - Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motoradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht oder unbeteiligte Dritte verletzt werden.
110Soweit der Kläger sich hier auf seine Freiheitsrechte, insbesondere auf seine Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG sowie seine allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG beruft, sind auch unter diesem Gesichtspunkt Ermessensfehler nicht erkennbar. In Freiheitsrechte darf keinesfalls mit diskriminierender Absicht eingegriffen werden, etwa weil die (legale) Organisation, der der Betreffende angehört, aus bestimmten Gründen missliebig erscheint. Andererseits sind Einschränkungen der Freiheitsrechte aus Gründen der Gefahrenabwehr vom Grundsatz her zulässig. Die Einschränkungen, denen der Kläger durch die Allgemeinverfügung unterliegt, sind im vorliegenden Fall als geringfügig einzustufen. Dem Kläger ist es nicht verwehrt, den Aachener Weihnachtsmarkt oder seine Kontakte in B. aufzusuchen, nur - jedenfalls betreffend den räumlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung - eben nicht in seiner „Kutte“. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Besuch des Aachener Weihnachtsmarkts oder der anderen von der Allgemeinverfügung erfassten Bereiche der Aachener Innenstadt zum Kernbereich der Vereinsaktivität der „Hells Angels MC“ gehört. Vielmehr dürfte dieser das Motorradfahren sein.
111Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. Juli 2015 - 16 L 1495/15 -, juris Rn. 38.
112Auch die von der Beklagten in Ziffer 1 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung aufgenommene weite Formulierung hinsichtlich der vom Trage- und Mitführverbot erfassten Abzeichen, Embleme, Schriftzüge, Colours oder sonstigen Kennzeichnungen entspricht angesichts des hohen Gefahrenpotentials sowie der geringfügigen Eingriffe in die Freiheitsrechte der Betroffenen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Übrigen unterliegt das Ergreifen von konkreten Zwangsmaßnahmen auch einer Einzelfall- und damit einer weiteren Verhältnismäßigkeitsprüfung, sofern im Rahmen der Durchsetzung der Allgemeinverfügung beispielsweise das Tragen von Bekleidungsstücken moniert wird, von denen eine konkrete Gefahr, wie sie sich aus der Allgemeinverfügung ergibt, nicht ausgeht. Die Rechtmäßigkeit (Verhältnismäßigkeit) einer eventuellen Umsetzung der Allgemeinverfügung ist daher strikt von der Rechtmäßigkeit (Verhältnismäßigkeit) des in dem vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Erlasses der Allgemeinverfügung zu trennen.
113Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird auch nicht deswegen verletzt, weil von der Allgemeinverfügung auch Mitglieder des Vereins „Hells Angels MC T. “ betroffen waren. Zunächst war die Wahrscheinlichkeit, dass sich Mitglieder des Vereins der „Hells Angels MC T. “ in dem zeitlichen sowie räumlichen Geltungsbereich der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung aufhalten, angesichts der großen Entfernung zwischen B. und T. recht gering. Des Weiteren waren aber - sofern tatsächlich ein Mitglied der „Hells Angels MC T. “ von den in der Allgemeinverfügung getroffenen Regelungen betroffen war - die damit verbundenen Nachteile hinzunehmen, da sie zu dem angestrebten Erfolg nicht außer Verhältnis standen. Dies gilt umso mehr, als dass sich aus dem Bericht der Polizei zur Bekämpfung der Rockerkriminalität - Lagedarstellung Hells Angels MC B. seit 2015 vom 2. Juni 2016 ergibt, dass beispielsweise bei dem Schaulauf am 21. Oktober 2015 die Mitglieder der „Hells Angels MC B. “, durch Hells Angels-Mitglieder auswärtiger Charter unterstützt wurden.
114Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragt hat,
115durch die Vernehmung der Zeugen X1. Q5. (Erster Kriminalhauptkommissar im Ruhestand, ehemals Polizeipräsidium T. ) und L. -Q3. B2. , (Erster Kriminalhauptkommissar, Polizeipräsidium T. ) darüber Beweis zu erheben, dass
116 der Kläger Mitglied des „Hells Angels MC T. “ ist;
117 der „Hells Angels MC T. “ weisungsfrei aufgrund eigenständiger Entscheidungen handelt und nicht von der Entscheidung anderer Organisationen oder sog. Dachorganisationen abhängig ist;
118 der „Hells Angels MC T. “ in der Vergangenheit zahlreiche Konflikte gewaltfrei gelöst hat;
119 sich der Kläger und sein Verein „Hells Angels MC T. “ nicht in typischen Geschäftsfeldern der sog. Organisierten Kriminalität betätigen;
120waren diese Beweisanträge mangels Entscheidungserheblichkeit abzulehnen. Selbst wenn man diese Umstände als wahr unterstellt, ändern sie nichts an dem in diesem Urteil getroffenen Ergebnis.
121Der Einwand des Klägers, die Allgemeinverfügung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil sie Bestandteil einer umfassenden und auf allen Ebenen der grundrechtlichen Betätigung einschneidenden Diskriminierungs- und Stigmatisierungsstrategie sei, so dass hinsichtlich solcher additiver Grundrechtseingriffe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die polizeilichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit und nicht als Einzelmaßnahmen zu betrachten und bewerten seien, geht ins Leere. Zunächst unterscheiden sich die Fallgestaltungen, in denen das Bundesverfassungsgericht einen „additiven Grundrechtseingriff“ geprüft hat, wesentlich von der vorliegenden. So hatte das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit von gesetzlichen - und damit abstrakten-generellen - Regelungen zu entscheiden.
122Vgl. BVerfG Urteile vom 20.04.2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 - zum „Bundeskriminalamtsgesetz“, vom 27. März 2012 - 2 BvR 2258/09 - zu den „Maßregelvollzugszeiten“, vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 - zur „Vorratsdatenspeicherung“, vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 706/08, 1 BvR 814/08, 1 BvR 819/08, 1 BvR 832/08, 1 BvR 837/08 - zum „PKV-Basistarif“ und zur „Gesundheitsreform 2007“, vom 13. September 2005 - 2 BvR 2/03 - zum „Beitragssatzsicherungsgesetz“ und vom 12. April 2005 - 2 BvR 581/01 - zur „GPS-Observation“, alle veröffentlicht in juris.
123In dem vorliegenden Rechtsstreit geht es dagegen um die Rechtmäßigkeit einer Allgemeinverfügung, also einer konkret-generellen Regelung, für deren Erlass - wie zuvor im Rahmen des Vorliegens einer konkreten Gefahr dargelegt - konkrete Tatsachen und Anknüpfungspunkte sowohl erforderlich, als auch ursächlich waren. Darüber hinaus ist weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen, von welchen „additiven“ Maßnahmen er vorliegend persönlich betroffen war. Bislang hat er konkrete Grundrechtseingriffe lediglich aufgrund des Erlasses der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung und nicht aufgrund von weiteren staatlichen Maßnahmen angeführt.
124Vor diesem Hintergrund waren auch die dieses Thema betreffenden Beweisanträge abzulehnen. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen beantragt hat,
125 durch die Vernehmung der Zeugen N. Q2. (Oberbürgermeister, Stadt B. ), B1. H1. (Stadtdirektorin, Stadt B. ), E. X. (Polizeipräsident, Polizeipräsidium B. ) sowie I1. I2. (Leitender Oberstaatsanwalt, Staatsanwaltschaft B. ) den Beweis zu erheben, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung Bestandteil der sich gegen Mitglieder von nicht verbotenen Rockervereinen richtenden staatlichen Bekämpfungsstrategien ist, die Mitglieder von nicht verbotenen Rockervereinen in sämtlichen Lebensbereichen treffen und aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängen sollen;
126 durch die Vernehmung des Zeugen S. K. (Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen) den Beweis zu erheben, dass die als Anlage 2 zum Schriftsatz des Klägers vom 7. August 2016 vorgelegte Projektarbeit bzw. „Bekämpfungsstrategie“ seitens sämtlicher öffentlicher Stellen in Nordrhein-Westfalen gegenüber Mitgliedern nicht verbotener Rockervereine zur Anwendung gebracht wird, sei es durch unmittelbare Kenntnis des Strategiepapiers, sei es mittels Steuerung durch die das Papier anwendenden Polizeibehörden;
127waren diese Beweisanträge mangels Entscheidungserheblichkeit abzulehnen. Darauf, ob die Allgemeinverfügung im Rahmen einer staatlichen Bekämpfungsstrategie erfolgt ist bzw. ob die vom Kläger mit Schriftsatz vom 7. August 2016 vorgelegte „Bekämpfungsstrategie“ staatlicher Stellen in NRW vorliegend zur Anwendung gebracht worden ist, kommt es nicht an. Anknüpfungspunkt für die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung war hier das Vorliegen einer konkreten, an Tatsachen betreffend den sachlichen, räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung anknüpfenden Gefahr.
1282. Dagegen ist Ziffer 5 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung rechtswidrig gewesen.
129Die Rechtswidrigkeit der Zwangsmittelandrohung folgt daraus, dass sie entgegen § 63 Abs. 6 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes NRW (VwVG NRW) dem Kläger nicht zugestellt worden ist. Nach dieser Vorschrift ist die Androhung eines Zwangsmittels, wozu auch der unmittelbare Zwang zählt (vgl. §§ 57 Abs. 1 Nr. 3, 62 VwVG NRW), zuzustellen oder im Wege des sog. Sofortvollzugs nach § 50 Abs. 2 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) bzw. § 55 Abs. 2 VwVG NRW vorzugehen. Dies gilt auch dann, wenn sie - wie hier - mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt verbunden ist und für ihn keine Zustellung vorgesehen ist (§ 63 Abs. 6 Satz 2 VwVG NRW). § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW enthält eine zwingende Regelung über die Form der Bekanntgabe (§ 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW), deren Nichtbeachtung - vorbehaltlich von Heilungsmöglichkeiten - grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Androhung führt.
130Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Januar 1993 - 20 B 3082/92 -, juris Rn. 11 ff. m.w.N.
131Eine demnach erforderliche Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LZG NRW) - auch eine solche nach § 10 LZG NRW - ist hier aber nicht erfolgt. Eine Zustellung kann insbesondere nicht durch eine öffentliche Bekanntmachung i.S.d. § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW ersetzt werden.
132Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Februar 2010 - 5 B 119/10 -, juris Rn. 11 und vom 24. Juli 2007 - 13 B 950/07 -, juris Rn. 3 ff; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. Juli 2015 - 16 L 1495/15 -, juris Rn. 39.
133Die Zustellung war auch nicht ausnahmsweise - in entsprechender Anwendung des § 63 Abs. 1 Satz 5 VwVG NRW - entbehrlich. Es lag weder ein Eilfall im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 5, 2. Alt. VwVG NRW i.V.m. § 55 Abs. 2 VwVG NRW vor - der Verwaltungszwang war aufgrund der gleichzeitig ergangenen Untersagungsverfügung angewandt worden - noch war ein Eilfall im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 5 Alt. 1 VwVG NRW gegeben. Eine danach erforderliche besondere Eilbedürftigkeit bestand nicht. Lediglich die Umstände, die eine Zustellung erschwerten, waren die gleichen, die auch zu einer öffentlichen Bekanntgabe der Allgemeinverfügung führten (vgl. §§ 41 Abs. 3 Satz 2, 41 Abs. 4 VwVfG NRW). Eine öffentliche Zustellung aufgrund solcher Umstände sieht das Landeszustellungsgesetz NRW aber nicht vor. Vielmehr wäre es unter diesen Umständen, gerade auch mit Blick auf die Handlungsform der Allgemeinverfügung angezeigt gewesen, die Grundverfügung ohne die Androhung als Allgemeinverfügung zu erlassen und dann - nach Feststellung einzelner Verstößen - die Androhung den Betroffenen zuzustellen. Einer solchen Vorgehensweise stand insbesondere auch nicht die "Sollverpflichtung" des § 63 Abs. 2 Satz 2 VwVG NRW entgegen - soweit diese überhaupt technisch im Sinne einer "Sollvorschrift" und nicht nur als bloße Empfehlung zu verstehen ist. Denn hier lagen besondere Umstände vor, die die Annahme einer Ausnahme von der in der Regel vorgesehenen Verbindung von Grundverwaltungsakt und Androhung in dem Fall, dass ein Rechtbehelf keine aufschiebende Wirkung hat, geboten haben.
134Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2007 - 13 B 950/07 -, juris Rn. 55 ff.
135Auch eine Heilung der fehlenden Zustellung nach Maßgabe von § 8 LZG NRW scheidet aus. Die Vorschrift ist nämlich nur anwendbar, wenn überhaupt eine Zustellung vorliegt ist. Eine Zustellung ist hier aber nicht erfolgt, da es insoweit schon an dem nach § 1 Abs. 2 LZG NRW erforderlichen Zustellungswillen fehlte. Die Beklagte hat sich nämlich ersichtlich auf eine öffentliche Bekanntgabe der Allgemeinverfügung im Sinne des § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW beschränkt und von einer Zustellung nach dem Landeszustellungsgesetz NRW bewusst abgesehen.
136Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1963 - V C 198.62 -, juris Rn. 14 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2007 - 13 B 950/07 -, juris Rn. 22; Sadler, VwVG/VwZG, 6. Aufl. 2006, § 8 VwZG Rdnr. 19 f.
137Auch ist die Berücksichtigung der - von Amts wegen zu beachtenden - fehlenden Zustellung nicht ausgeschlossen. Zwar ist anerkannt, dass eine mangelhafte Zustellung durch Einlegung der vorgesehenen Rechtsbehelfe, ohne den Mangel zu rügen, geheilt werden kann bzw. dass sich derjenige nicht mehr auf Zustellungsmängel berufen kann, der die gegen den Verwaltungsakt vorgesehenen Rechtsbehelfe eingelegt hat, ohne die Mängel zu rügen.
138Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Mai 1988 - 8 C 11.85 -, juris Rn. 28; OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2007 - 13 B 950/07 -, juris Rn. 16 f. m.w.N.
139Insoweit geht es aber allein um Fälle, in denen die Behörde auf die Wirksamkeit der Zustellung vertraut hat bzw. in denen für den Empfänger die Funktion der Zustellung darin bestand, ihm eine Ausfertigung des zuzustellenden Schriftstücks zu überlassen, um zu klären, ob gegen die Verfügung ein Rechtsbehelf eingelegt werden soll. Hat der Adressat des Bescheides einen Rechtsbehelf eingelegt, haben sich Mängel nicht zu seinen Lasten ausgewirkt. Hier konnte und durfte die Beklagte aber nicht auf die Wirksamkeit einer Zustellung vertrauen, da sie von einer solchen bewusst abgesehen hat. Auch dient die Zustellung nach § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW der Androhung eines Zwangsmittels, der eine Warn- und Erzwingungsfunktion zukommt. Die Einlegung der Rechtsbehelfe durch den Kläger zeigt aber gerade nicht, dass sich Mängel im Rahmen der Warn- bzw. Erzwingungsfunktion nicht zu seinen Lasten ausgewirkt haben. Insbesondere kann daraus nicht gefolgert werden, dass er positiv weiß, dass ihm - ungeachtet der Einlegung der Rechtsbehelfe - bei Zuwiderhandlung gegen die Verfügung eine Zwangsgeldfestsetzung droht.
140Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2007 - 13 B 950/07 -, juris Rn. 18 ff.
141Die fehlende Zustellung der Zwangsgeldandrohung, die nach alledem zur Unwirksamkeit der Androhung führt, hat allerdings nicht zur Folge, dass die Allgemeinverfügung insgesamt und damit auch das „Kuttentrageverbot“ in Ziffer 1 bis 3 unwirksam wäre.
142Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Rechtswidrigkeit der Zwangsmittelandrohung - die der Kläger im Übrigen nicht explizit angegriffen hat - führt nur zu einem geringfügigen Unterliegen der Beklagten. Die Entscheidung bzgl. der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Aug. 2016 - 6 K 79/16
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Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Aug. 2016 - 6 K 79/16 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.
(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 3a Abs. 2 findet insoweit keine Anwendung.
(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.
(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 3a Abs. 2 erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.
(5) Bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.
(6) Einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt, der der Anfechtung unterliegt, ist eine Erklärung beizufügen, durch die der Beteiligte über den Rechtsbehelf, der gegen den Verwaltungsakt gegeben ist, über die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf einzulegen ist, den Sitz und über die einzuhaltende Frist belehrt wird (Rechtsbehelfsbelehrung). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch der schriftlichen oder elektronischen Bestätigung eines Verwaltungsaktes und der Bescheinigung nach § 42a Absatz 3 beizufügen.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht
- 1.
das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist; - 2.
die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies genügend entschuldigt; - 3.
das Einvernehmen der Parteien allein.
(2) Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
(3) Ein für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August bestimmter Termin, mit Ausnahme eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung, ist auf Antrag innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestimmung zu verlegen. Dies gilt nicht für
- 1.
Arrestsachen oder die eine einstweilige Verfügung oder einstweilige Anordnung betreffenden Sachen, - 2.
Streitigkeiten wegen Überlassung, Benutzung, Räumung oder Herausgabe von Räumen oder wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 3.
(weggefallen) - 4.
Wechsel- oder Scheckprozesse, - 5.
Bausachen, wenn über die Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten wird, - 6.
Streitigkeiten wegen Überlassung oder Herausgabe einer Sache an eine Person, bei der die Sache nicht der Pfändung unterworfen ist, - 7.
Zwangsvollstreckungsverfahren oder - 8.
Verfahren der Vollstreckbarerklärung oder zur Vornahme richterlicher Handlungen im Schiedsverfahren;
(4) Über die Aufhebung sowie Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung; über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht. Die Entscheidung ist kurz zu begründen. Sie ist unanfechtbar.
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.
Gründe
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I.
- 1
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Der 1999 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Kläger ist ägyptischer Staatsangehöriger und als Imam an einer Moschee tätig. Auf Grund von Predigten, die er im Zeitraum von Juli 2004 bis Januar 2005 gehalten haben soll, wies die Beklagte ihn durch Bescheid vom 14. Februar 2005 aus, verkürzte nachträglich die Befristung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis und drohte ihm die Abschiebung an. Zur Begründung stützte sie sich auf § 54 Nr. 5a AufenthG und führte aus, der Kläger habe als "Hassprediger" die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und öffentlich zur Gewaltanwendung aufgerufen. Ein Ermessen sei der Behörde bei der Entscheidung über die Ausweisung nicht eingeräumt. Bei der Entscheidung über die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels seien Ermessensgesichtspunkte, die gegen eine solche Verkürzung sprächen, nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid aufgehoben; das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
-
II.
- 2
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Die auf den Verfahrensmangel der fehlerhaften Sachaufklärung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 86 Abs. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
- 3
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1. Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zur Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG den Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen H. nicht hätte ablehnen dürfen. Vielmehr hätte es der Beweisbehauptung nachgehen müssen, der Kläger habe Predigten gehalten, die geeignet gewesen seien, die Adressaten zu "islamistisch-jihadistisch motiviertem terroristischem Verhalten" auch "innerhalb der Bundesrepublik Deutschland" zu bewegen.
- 4
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Nach § 54 Nr. 5a AufenthG wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder wenn er sich bei der Verfolgung politischer Ziele entweder an Gewalttätigkeiten beteiligt, öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht. Unter dem Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" versteht das Berufungsgericht sowohl die äußere als auch die innere Sicherheit. Diese Tatbestandsalternative schütze die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen, d.h. die Fähigkeit, sich gegen Angriffe von innen und außen zur Wehr zu setzen. Den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter diese Vorschrift (UA S. 10 unten und S. 11) lässt sich der weitere Obersatz entnehmen, der sich aus dieser Begriffsbestimmung ergebende Inlandsbezug fehle jedenfalls dann, wenn in einer "Hasspredigt" lediglich zum Kampf gegen die USA, England und Israel aufgerufen werde, ohne dass die Bundesrepublik Deutschland und ihre Organe erwähnt würden.
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Auf dem Boden dieser Auffassung durfte der erste Beweisantrag der Beklagten nicht wegen Unerheblichkeit abgelehnt werden. Als Beweisthema war u.a. der Inhalt der Freitagspredigt vom 29. Oktober 2004 benannt worden. In dieser Predigt soll der Kläger gesagt haben, dass sich die Muslime nicht nur im Irak, in Palästina oder Afghanistan, sondern "weltweit" in einem "religiösen Verteidigungskampf gegen die Bösen des Imperialismus" befänden; die Predigt soll nach ihrem Inhalt geeignet gewesen sein, anwesende Zuhörer konkret dazu zu bewegen, auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland "terroristisches Verhalten" zu zeigen. Dieses Beweisthema zielte damit auf Tatsachenbehauptungen, die für die Subsumtion des Sachverhalts unter § 54 Nr. 5a AufenthG in der Auslegung des Berufungsgerichts erheblich war. Denn aus dem Zusatz "weltweit" ergibt sich, dass nicht nur die genannten Länder Irak, Palästina oder Afghanistan Schauplatz des muslimischen Kampfes sein sollen, sondern alle Länder, mithin auch die Bundesrepublik Deutschland; konkreter ergibt sich dasselbe aus der Begründung des Beweisantrages, die "islamistisch-jihadistische" und terroristische Aktivitäten auch auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich als Ziel der beanstandeten Predigt einschließt. Das Oberverwaltungsgericht hätte deshalb der Beweisfrage nachgehen müssen und auch die Frage, ob der Kläger die ihm von der Beklagten zugeschriebenen Predigten wirklich selbst gehalten hat, nicht offenlassen dürfen.
- 6
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Soweit der vierte Beweisantrag der Beklagten auf Vernehmung des Leiters des Landesamtes für Verfassungsschutz sich ebenfalls auf die Freitagspredigt vom 29. Oktober 2004 bezog (als C 4 bezeichnete Aufklärungsrüge), hätte er aus denselben Gründen ebenfalls nicht wegen Unerheblichkeit abgelehnt werden dürfen. Ob diesem Beweisantrag andere Gründe entgegenstanden, bedarf hier keiner Entscheidung.
- 7
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2. Die weiteren Verfahrensrügen der Beklagten sind allerdings unbegründet.
- 8
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2.1 Die als C 2, C 3 und C 5 bis C 7 bezeichneten weiteren Aufklärungsrügen greifen nicht durch. Die Beweisanträge 2 (Zeuge C.) und 3 (Zeuge B.) zielten auf Tatsachen, die keinen Inlandsbezug in der - maßgeblichen - Auslegung durch das Berufungsgericht hatten. Sie durften daher wegen Unerheblichkeit abgelehnt werden. Soweit die Beschwerde unterstellt, dass auch diese Beweisanträge das Verhalten der Zuhörerschaft auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland beeinflussen sollten, ergibt sich dies aus der Formulierung und Begründung der Beweisanträge nicht.
- 9
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Die auf den achten Beweisantrag der Beklagten (Rechtshilfeersuchen an die ägyptischen Behörden) bezogene Aufklärungsrüge ist ebenfalls unbegründet. Das Berufungsgericht durfte diesen Beweisantrag wegen mangelnder Substantiierung ablehnen, da die Beklagte keine greifbaren Anhaltspunkte dafür dargelegt hat, dass der Kläger schon in Ägypten dem islamistischen Terrorismus zuzurechnen war. Im Übrigen ist die zusätzliche Begründung der Ablehnung dieses Beweisantrages wegen Ungeeignetheit des angebotenen Beweismittels im Hinblick darauf, dass die Beklagte selbst mitgeteilt hatte, dass die ägyptischen Behörden derzeit keinerlei Auskünfte erteilen, nicht zu beanstanden.
- 10
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Auch die Aufklärungsrügen im Zusammenhang mit dem zehnten und elften Beweisantrag sind unbegründet. Diese Beweisanträge zielten trotz ihrer Formulierung nicht auf einen Zeugenbeweis, sondern auf die Einholung von Sachverständigengutachten. Die - allerdings wenig klar formulierte - Ablehnung dieser Beweisanträge ist als Ablehnung wegen Unerheblichkeit zu verstehen und in dieser Auslegung nicht zu beanstanden. Denn das Berufungsgericht lehnt das zum Beweis gestellte Modell der Radikalisierung von Individuen als Element der von der Beklagten für richtig gehaltenen Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG ausdrücklich ab (UA S. 11. ff.), so dass es auf dieser Grundlage keinen Anlass zu weiterer Aufklärung hatte.
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2.2 Auch die Gehörsrügen bleiben erfolglos. Soweit sie auf die Beweisanträge 10 und 11 (Sachverständigengutachten zum Modell der Radikalisierung, als A 2 und A 3 bezeichnete Gehörsrügen) bezogen sind, setzt sich das Berufungsgericht mit dem Vortrag der Beklagten auseinander und lehnt das Modell als für die Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG nicht relevant ab. Hinsichtlich des Beweisantrages 4 (Zeuge von W., Gehörsrüge A 1) führt es aus, dass die zu Beweis gestellten Behauptungen bereits in das Verfahren eingeführt seien und dass es sich mit ihnen bereits befasst habe. Dies trifft zu; die Frage, ob die Auseinandersetzung mit dem Sachvortrag der Beklagten auf dem Boden einer ohne Verstoß gegen revisibles Recht entwickelten Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften geschehen ist, kann hier offenbleiben. Damit scheidet ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs auch insoweit aus.
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Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die als A 4 bezeichnete Rüge, das Gericht habe es zu Unrecht abgelehnt, die mündliche Verhandlung zu unterbrechen und einen Termin zur Fortsetzung an einem anderen Tag anzuberaumen. Denn die Beklagte hat erhebliche Gründe für eine Vertagung (vgl. § 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO) zur Sicherung ihres rechtlichen Gehörs nicht geltend gemacht.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, einem aus im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO erheblichen Gründen gestellten Vertagungsantrag zu entsprechen (Beschlüsse vom 28. April 2008 - BVerwG 4 B 47.07 - juris Rn. 22; vom 29. April 2004 - BVerwG 3 B 118.03 - und vom 2. November 1998 - BVerwG 8 B 162.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 285). Zu berücksichtigen sind bei der Entscheidung über einen Vertagungsantrag einerseits das im Verwaltungsprozess geltende Gebot der Beschleunigung des Verfahrens und die Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits das verfassungsrechtliche Erfordernis des rechtlichen Gehörs. Wird einem Beteiligten infolge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit abgeschnitten, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern, so wird hierdurch das gebotene rechtliche Gehör unzulässig verkürzt (Beschluss vom 28. April 2008 a.a.O. m.w.N.). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter im Termin mit Tatsachen- oder Rechtsfragen konfrontiert wird, mit denen er sich ohne weitere Vorbereitung nicht kompetent auseinandersetzen kann.
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Gemessen an diesem Maßstab hat die Beklagte erhebliche Gründe für eine Vertagung nicht vorgebracht. Die Ablehnung der von ihr gestellten Beweisanträge konnte vor dem Hintergrund der gerichtlichen Hinweisverfügung vom 27. Februar 2012 nicht überraschend sein. Die Formulierung der Beweisanträge macht zudem deutlich, dass die Beklagte den für das Berufungsgericht entscheidenden Gesichtspunkt des Inlandsbezugs bei § 54 Nr. 5a AufenthG erkannt und selbst schon berücksichtigt hatte. Auch der zur Begründung ihrer Gehörsrüge vorgebrachte Hinweis darauf, man hätte bei erneuter mündlicher Verhandlung die Beiziehung von Akten verlangt, die die Gefährlichkeit des Klägers belegt hätten, ändert am Fehlen eines erheblichen Grundes nichts. Denn bei den damit in Bezug genommenen Akten handelt es sich um ein bereits im Jahre 2011 abgeschlossenes Verfahren, so dass es ohne Weiteres möglich gewesen wäre, diesen Antrag schon in der mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2013 zu stellen.
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Schließlich hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass das Berufungsgericht sich mit dem Kern ihres Vorbringens nicht auseinandergesetzt hätte (Gehörsrüge A 5). Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht den Vortrag der Beklagten auf dem Boden seiner Rechtsauffassung lediglich für unzureichend gehalten. Darin liegt kein Gehörsverstoß.
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2.3 Die Rüge, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO, als B bezeichnete Rüge), ist unbegründet. Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblich waren. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (vgl. Urteil vom 22. Juni 2011 - BVerwG 1 C 11.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 53 Rn. 22).
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Dies ist im vorliegenden Fall nicht anzunehmen. Die von der Beklagten zur Begründung ihrer Rüge allein geltend gemachte Unvollständigkeit des Tatbestands der Entscheidung liegt, wie das Berufungsgericht in seinem Beschluss vom 21. März 2013 zum Antrag der Beklagten auf Tatbestandsberichtigung bereits zu Recht ausgeführt hat, nicht vor. Das Fehlen verständlicher und nachvollziehbarer Begründungserwägungen im Urteil, die den Tenor der Entscheidung stützen können, rügt die Beklagte nicht.
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3. Auch die Grundsatzrügen der Beklagten führen nicht zur Zulassung der Revision. Selbst wenn sie grundsätzlich bedeutsame Problemstellungen aufwerfen sollten, würde dies nicht zur Revisionszulassung führen, da das Berufungsgericht nicht einmal festgestellt hat, dass der Kläger die ihm zugeschriebenen Predigten mit ihrem behaupteten Inhalt wirklich gehalten hat. Ohne eine - dem Tatsachengericht vorbehaltene - Klärung dieser Frage, mithin ohne vorherige Zurückverweisung des Rechtsstreits könnten deshalb etwaige grundsätzlich bedeutsame Fragestellungen im Zusammenhang mit den Predigten vom Revisionsgericht nicht beantwortet werden. Da im Hinblick auf die erfolgreiche Aufklärungsrüge ohnehin eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht erforderlich ist, spricht angesichts der außergewöhnlich langen bisherigen Verfahrensdauer auch der Grundsatz der Prozessökonomie für eine Zurückverweisung im Beschwerdeverfahren, um dem Berufungsgericht die Möglichkeit einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung zu geben.
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Hiervon abgesehen fehlt den aufgeworfenen Fragen die grundsätzliche Bedeutung:
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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind u.a. dann nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht stellen würde oder wenn sie keine abstrakte, sondern nur eine aus den konkreten Umständen des jeweiligen Falles abzuleitende und auf diesen Einzelfall beschränkte Antwort ermöglicht.
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Die Frage,
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ob "die konkrete Eignung wiederholter und über einen mehrmonatigen Zeitraum ausgeführter islamistisch-jihadistischer Predigten durch einen als islamischen Vorbeter (Imam) anerkannten Mann, die auf die aktive Beteiligung an bewaffneten Gewalthandlungen gegen so genannte Ungläubige abzielen und die in einem Umfeld getätigt werden, in welchem eine erhebliche Anzahl von Menschen erreicht wird, welche sich selbst als radikal-islamisch ansehen, einzelne Personen innerhalb der Gemeinde hin zu einem islamistisch-jihadistisch motivierten terroristischen Verhalten mit dem Ziel der Tötung von Personen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu radikalisieren, eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 54 Nr. 5a AufenthG" darstellt,
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hat keine in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich nur einzelfallbezogen beantworten lässt. Denn nach ihrer Formulierung setzt sie so viele konkrete Umstände zur Zusammensetzung der Zuhörerschaft ("erhebliche Anzahl", Selbsteinschätzung der Zuhörer als radikal-islamisch), zur konkreten Zielsetzung der Predigten (aktive Beteiligung an bewaffneten Gewalthandlungen, Ungläubige als Ziel der Gewalthandlungen), zur Häufigkeit der Predigten ("wiederholte" Predigten, längerer Zeitraum) und zu ihrer Eignung, ein bestimmtes Verhalten zu verursachen (Tötungshandlungen, Taten auf deutschem Boden, "islamistisch-jihadistische" Motivation des beabsichtigten Terrorismus) voraus, dass sie einer abstrakten Beantwortung unabhängig von der vorausgesetzten Kombination spezifischer Faktoren nicht mehr zugänglich ist.
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Dasselbe gilt auch für die weitere Frage,
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ob "der Aufruf eines als islamischer Vorbeter (Imam) anerkannten Mannes in einer Freitagspredigt, der in einem Umfeld getätigt wird, in welchem eine erhebliche Anzahl von Menschen erreicht wird, welche sich selbst als radikal-islamisch ansehen, sich am so bezeichneten Verteidigungskampf gegen die Ungläubigen zu beteiligen, einen öffentlichen Aufruf zur Gewalt im Sinne des § 54 Nr. 5a AufenthG" darstellt, "wenn er in einem Gesprächskontext von terroristischen Gewaltakten Dritter geäußert wird".
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Im Übrigen würden sich beide Fragen in einem Revisionsverfahren voraussichtlich nicht stellen, da einige der in den Fragestellungen vorausgesetzten Tatsachen vom Berufungsgericht nicht festgestellt sind, ohne dass hiergegen durchgreifende Verfahrensrügen vorgebracht wären. Dies gilt etwa für die Zusammensetzung der Zuhörerschaft bei den Freitagsgebeten als nach eigener Einschätzung "radikal-islamisch", für den "Gesprächskontext" von terroristischen Gewaltakten Dritter und für die Eignung der Predigten, Tötungsdelikte zu verursachen.
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4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Das Berufungsgericht wird unabhängig von der erforderlichen Beweisaufnahme zur Urheberschaft des Klägers für die beanstandeten Predigten und zu deren möglicher, auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bezogener Zielsetzung zu prüfen haben, ob es an seiner Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG festhalten will. Denn Bedrohungen der durch diese Vorschrift geschützten Rechtsgüter können möglicherweise auch dadurch entstehen, dass terroristische Gewalttäter zwar nicht Straftaten auf deutschem Hoheitsgebiet begehen, aber auf ein Tätigwerden im Ausland in Deutschland vorbereitet und motiviert werden. Sollte dies zutreffen, käme es nicht nur darauf an, ob der Kläger mit seinen Predigten zu Aktivitäten in Deutschland aufgerufen hat, sondern auch darauf, ob er geeignete Personen in Deutschland für Terrorakte an anderer Stelle angeworben haben könnte. Dass - wovon das Berufungsgericht ausgeht - eine Gefährdung im Sinne von § 54 Nr. 5a AufenthG nur auf der Grundlage konkreter Tatsachen angenommen werden kann, stünde einer solchen Auslegung nicht im Wege.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden.
(2) Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder in das Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
(2a) Mit Einwilligung des Beteiligten kann ein elektronischer Verwaltungsakt dadurch bekannt gegeben werden, dass er vom Beteiligten oder von seinem Bevollmächtigten über öffentlich zugängliche Netze abgerufen wird. Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authentifizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Der Verwaltungsakt gilt am Tag nach dem Abruf als bekannt gegeben. Wird der Verwaltungsakt nicht innerhalb von zehn Tagen nach Absendung einer Benachrichtigung über die Bereitstellung abgerufen, wird diese beendet. In diesem Fall ist die Bekanntgabe nicht bewirkt; die Möglichkeit einer erneuten Bereitstellung zum Abruf oder der Bekanntgabe auf andere Weise bleibt unberührt.
(3) Ein Verwaltungsakt darf öffentlich bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine Allgemeinverfügung darf auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist.
(4) Die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes wird dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. In der ortsüblichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können. Der Verwaltungsakt gilt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden.
(5) Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt.
(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.
(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 3a Abs. 2 findet insoweit keine Anwendung.
(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.
(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 3a Abs. 2 erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.
(5) Bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.
(6) Einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt, der der Anfechtung unterliegt, ist eine Erklärung beizufügen, durch die der Beteiligte über den Rechtsbehelf, der gegen den Verwaltungsakt gegeben ist, über die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf einzulegen ist, den Sitz und über die einzuhaltende Frist belehrt wird (Rechtsbehelfsbelehrung). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch der schriftlichen oder elektronischen Bestätigung eines Verwaltungsaktes und der Bescheinigung nach § 42a Absatz 3 beizufügen.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 16 K 3088/15 wird bezüglich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 angeordnet.Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragssteller.
2. Der Streitwert wird auf 5000,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 16 K 3088/15 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 betreffend das Trage- und Mitführungsverbot von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. von Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlicher Gruppierungen wiederherzustellen bzw. anzuordnen,
4ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn, wie hier hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der o.a. Allgemeinverfügung, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist, bzw. anordnen, wenn eine behördliche Maßnahme - wie hier die Androhung von Zwangsmitteln § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 des Justizgesetzes NRW (JustG NRW) in Ziffer 5 der o.a. Allgemeinverfügung - kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
6Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten nur abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ist jedoch regelmäßig nur insoweit zu berücksichtigen, als sie schon bei summarischer Überprüfung überschaubar ist. Eine abschließende Überprüfung der angefochtenen Allgemeinverfügung ist nicht gefordert.
7Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, juris.
8Vorliegend überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 das öffentliche Vollziehungsinteresse, hinsichtlich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
9Nach § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW (VwVfG NRW) ist ein Verwaltungsakt jede hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung gerichtet ist (Satz 1). Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich u.a. an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet (Satz 2). Die hier in Rede stehende Allgemeinverfügung regelt einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Tragen und Mitführen von bestimmter Bekleidung durch Personen, die sich in einem bestimmten Bereich – D. Kirmes – zu bestimmten Zeiten – unter Ziffer 2 aufgeführte Zeiten zwischen dem 7. und 17. August 2015 – aufhalten) und ist dabei auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Die Adressaten sind – als bestimmbarer Personenkreis – die Besucher der D. Kirmes.
10Die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung begegnet keinen Bedenken. Insbesondere ist sie durch die Veröffentlichung in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 11. Juli 2015 ordnungsgemäß bekannt gegeben worden; § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW i.V.m. § 23 der Hauptsatzung der Stadt I. .
11Entgegen dem Vortrag des Antragsstellers vermag die Kammer auch unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 zu erkennen. Nach dem im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG –) und einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG NW verankerten Bestimmtheitsgebot muss ein Verwaltungsakt inhaltlich so bestimmt sein, dass für die am Verwaltungsverfahren Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsaktes, der Gegenstand der getroffenen Regelung so vollständig und eindeutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach einrichten können.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 1998- 18 B 1958/97 -, juris.
13Die vorliegende Allgemeinverfügung regelt ganz genau, wann und wo welche Bekleidungsstücke nicht getragen werden dürfen. Die vom Antragsteller hinsichtlich der Bestimmtheit erhobenen Bedenken sind demgegenüber unsubstantiiert.
14Ansonsten ist die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 hinsichtlich ihrer Ziffern 1 bis 3 materiell nicht offensichtlich rechtmäßig; sie ist aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig.
15Rechtsgrundlage der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes NRW (OBG NRW). Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Gefahr ist eine Lage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen wird. Hat sich die Gefahr bereits zu einem Schaden entwickelt, so ist es Aufgabe der Gefahrenabwehr, die Fortdauer der eingetretenen Störung zu unterbinden und weitere Störungen abzuwehren.
16Der klassische Gefahrenbegriff ist dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden". Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial". Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen.
17Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 - Juris, vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 358 sowie Urteile vom 19. Dezember 1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - juris.
18Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das trifft sowohl für die „konkrete“ Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, als auch für die ordnungsbehördlichen Verordnungen zugrunde liegende „abstrakte Gefahr“. Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. durch die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz, zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall – anders als bei der konkreten Gefahr – verzichtet werden kann. Hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit muss differenziert werden je nachdem, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu einer hinreichend abgesicherten Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern – allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben.
19Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, a.a.O., m.w.N.
20Ob hier nach diesen Maßstäben schon von einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW gesprochen werden kann oder nur von einem Gefahrenverdacht,
21so angenommen von VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. und OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris, in den dort entschiedenen Fällen,
22kann bei der vorliegend allein gebotenen summarischen Prüfung weder offensichtlich bejaht noch offensichtlich verneint werden.
23Der Antragsteller hat vorgetragen, dass das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. des Freeway Riders MC, dem er angehöre, nicht strafbar sei. Das ist zutreffend. Denn der Verein Freeway Riders MC ist nicht nach § 3 des Vereinsgesetzes verboten. Ob und in welchem Umfang das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. der anderen in der Allgemeinverfügung aufgeführten Gruppierungen strafbar ist,
24vgl. zur Strafbarkeit des Tragens von „Rocker-Kutten“ aktuell auch BGH, Pressemitteilung über ein Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, das noch nicht veröffentlicht ist,
25kann dahinstehen. Für die hier in Rede stehenden Fragen der Gefahrenabwehr kommt es darauf im Ausgangspunkt ohnehin nicht entscheidend an. Auch ein strafloses Verhalten kann eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW darstellen.
26Die Antragsgegnerin beruft sich laut der ihrer Allgemeinverfügung beigegebenen Begründung zunächst darauf, dass das Tragen der so genannten „Kutten“ auf die Kirmesbesucher massiv einschüchternd wirke. Dies mag so sein. Ob allein ein eventuelles Hervorrufen von Unwohlsein infolge Einschüchterung eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW begründet, erscheint jedoch fraglich. Nun kommt nach Auffassung der Antragsgegnerin aber hinzu, dass das Tragen der „Kutten“ eine Provokation darstelle bzw. als eine solche wahrgenommen werden könne und es in der Folge zu schwerwiegenden Reaktionen gegnerischer Gruppierungen bis hin zu Gewaltanwendungen kommen könne. Die Antragsgegnerin beruft sich insoweit auf eine Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamts Düsseldorf von Januar 2014 und eine polizeiliche Lageeinschätzung von Januar 2015. Sie hat diese Dokumente dem Gericht aber trotz Aufforderung nicht zukommen lassen. Die stattdessen mit Schriftsatz vom 30. Juli 2015 übersandten Dokumente sind diesbezüglich gänzlich unergiebig, wie der Antragsteller zu Recht moniert. Gleiches gilt für die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung, die sich auf zwei Sätze beschränken. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung aber mehrere konkrete Vorfälle aufgeführt, bei denen in I. um Umgebung Motorradgruppierungen einschüchternd bzw. gewalttätig aufgetreten bzw. Gegenstand polizeilicher Ermittlungen gewesen seien. Diese Vorfälle betreffen auch den Freeway Riders MC, dem der Antragsteller angehört. Zuletzt wurden danach am 27. November 2014 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder dieser Gruppierung mehrere Schusswaffen aufgefunden. Die in der Allgemeinverfügung aufgeführten Vorfälle werden vom Antragsteller – abgesehen von Einzelheiten zu dem Vorfall vom 8. Juni 2014 – nicht bestritten. Abgesehen davon ist auch aus der allgemeinen Medienberichterstattung bekannt, dass Sicherheitsexperten nach wie vor mit schweren Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen von Motorradrockern in deutschen Städten rechnen.
27Vgl. etwa Focus Nr. 31/2015 vom 24. Juli 2015, abrufbar unter www.focus.de.
28Ob es ausgerechnet auf der D. Kirmes 2015 zu solchen Ausschreitungen kommen könnte, ist naturgemäß fraglich. Nun ist aber hinsichtlich des für die Annahme einer konkreten Gefahr nötigen Grades der Wahrscheinlichkeit – wie ausgeführt – danach zu differenzieren, welches Schutzgut auf dem Spiel steht; ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass es bei einem Volksfest wie der D. Kirmes, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht (vgl. hierzu auch die vom Antragsteller vorgelegten Berichte über Schlägereien), zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht. Auch in derartigen Fällen, in denen bei negativem Verlauf mit großen Schäden an wichtigen Rechtsgütern gerechnet werden muss, ist die Schwelle zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts aber nicht so niedrig, dass bereits jede Mutmaßung einer Auseinandersetzung die Annahme einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW rechtfertigen könnte. In diesem Zusammenhang ist für die Kammer bedeutsam, dass hier, anders als etwa in dem Fall, den das OVG Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte,
29vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, a.a.O.,
30in der Vergangenheit schon zweimal Motorradgruppierungen auf der konkret in Rede stehenden Veranstaltung aufgetreten sind. Am 9. August 2013 sind, so die Begründung der Allgemeinverfügung, insgesamt 100 Personen, die hälftig zum Bandidos MC, hälftig zum Freeway Riders MC gehörten, in Kutten auf der D. Kirmes aufgelaufen (sog. „Schaulaufen“), um dort – nach eigener Einlassung – „Stärke gegen die Hells Angels zu zeigen“. Am nächsten Tag sind erneut 70 Mitglieder des MC Bandidos aufmarschiert.
31Vgl. Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 20. Juli 2014, abrufbar unter www.derwesten.de.
32Es ist alles andere als fernliegend, dass sich bei einer Aussetzung der Vollziehung der vorliegenden Allgemeinverfügung ein solches Szenario wiederholen könnte. Es ist zwar bei den „Schaulaufen“ im Jahre 2013 zu keinen Gewaltausbrüchen gekommen. Dies mag aber auch daran gelegen haben, dass gerade keine rivalisierenden Gruppierungen in der Nähe waren. Denn wer nach eigenem Bekunden gegen andere Gruppierungen „Stärke zeigen“ wollte, wäre bei deren Auftauchen möglicherweise auch gewalttätig geworden. Bei der diesjährigen D. Kirmes könnte es, anders als in 2013, durchaus zu Begegnungen rivalisierender Gruppen kommen.
33Ob im vorliegenden Fall eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW vorliegt, ist nach alledem weder offensichtlich zu bejahen noch offensichtlich zu verneinen.
34Die Interessenabwägung des § 80 Abs. 5 VwGO hat hier daher letztlich im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung zu erfolgen.
35Dabei überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung im Ergebnis – noch – das öffentliche Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
36Der Antragsteller beruft sich auf seine Freiheitsrechte. Er tut dies auch mit Recht. Wie bereits ausgeführt, ist das Tragen und Mitführen von Abzeichen des MC Freeway nicht strafbar. Sein Handeln ist auch durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG geschützt.
37Vgl. zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dessen Schranken u.a. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 1 BvR 472/14 -, juris.
38In dieses Freiheitsrecht darf keinesfalls mit diskriminierender Absicht eingegriffen werden, etwa weil die (legale) Organisation, der der Betreffende angehört, aus bestimmten Gründen missliebig erscheint. Andererseits sind Einschränkungen der Freiheitsrechte aus Gründen der Gefahrenabwehr vom Grundsatz her zulässig. Die Einschränkungen, denen der Antragsteller durch die Allgemeinverfügung unterliegt, sind im vorliegenden Fall letztlich nicht sehr weit reichend. Sie betreffen nur die sogenannte Sozialsphäre des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht aber dessen Kernbereich, schon gar nicht die Intimsphäre des Antragstellers. Dem Antragssteller ist es nicht verwehrt, die D. Kirmes zu besuchen, nur eben nicht in seiner Kutte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Besuch ausgerechnet der D. Kirmes zum Kernbereich der Vereinsaktivität des Freeway Riders MC gehört. Vielmehr dürfte Kernbereich der Vereinsaktivität das Motorradfahren sein. Im Übrigen ist ein etwaiges „Schaulaufen“ andernorts von der Allgemeinverfügung nicht betroffen. Es geht hier nur um den Besuch der D. Kirmes.
39Dem gegenüber besteht ein erhebliches, das Interesse des Antragsstellers letztlich überwiegendes öffentliches Interesse daran, Störungen von der D. Kirmes fernzuhalten. Abgesehen davon, dass den Besuchern ein angstfreies Besuchen der Kirmes möglich sein soll, dürfte es – wie bereits ausgeführt - auf der Hand liegen, dass es bei einem derartigen Volksfest, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht, zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer – hier eben nicht auszuschließenden – Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht.
40Hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung unter Ziffer 5 der angefochtenen Allgemeinverfügung fällt die Interessenabwägung dagegen zu Gunsten des Antragstellers aus. Insoweit bestehen Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Zwangsmittelandrohung, da es an der gemäß § 63 Abs. 6 Satz 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW (VwVG NRW) erforderlichen Zustellung fehlen dürfte. Insbesondere ist zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 10 des Landeszustellungsgesetzes NRW (LZG NRW) für eine öffentliche Zustellung vorliegen. Es bleibt der Antragsgegnerin jedoch unbenommen, etwaige Zwangsmittelandrohungen den jeweils Betroffenen vor Ort unmittelbar zuzustellen.
41So jedenfalls OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2010 - 5 B 119/10 -; vgl. im Übrigen bereits VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, jeweils juris.
42Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass sich die Zwangsmittelandrohung, wegen der die Antragsgegnerin unterliegt, nicht streitwerterhöhend auswirkt.
43Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen wird.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 31. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage (VG Gelsenkirchen, 16 K 3088/15) überwiegt.
4Ungeachtet der Frage, ob bzw. inwieweit die Beschwerdebegründung überhaupt den sich aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ergebenden Darlegungsanforderungen genügt, fällt jedenfalls auch die vom Senat nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgenommene Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus.
5Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht schon Einiges für die Rechtmäßigkeit des im Wege der Allgemeinverfügung angeordneten zeitlich und örtlich beschränkten Verbots des Tragens und Mitführens von Bekleidungsstücken mit Abzeichen, Emblemen, Schriftzügen, Colours oder sonstigen Kennzeichnungen der im Einzelnen aufgeführten Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlichen Gruppierungen während der Cranger Kirmes 2015 (sog. „Kuttenverbot“).
6Rechtsgrundlage für den Erlass der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 OBG NRW. Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf in überschaubarer Zukunft mit einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. In tatsächlicher Hinsicht bedarf es in Abgrenzung zu einem bloßen Gefahrenverdacht einer genügend abgesicherten Prognose auf den drohenden Eintritt von Schäden.
7Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 -, juris, Rn. 25; OVG NRW, Urteil vom 9. Februar 2012 - 5 A 2375/10 -, juris, Rn. 31.
8Das hier in Rede stehende Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. Je gewichtiger das bedrohte Schutzgut und je größer das Ausmaß des möglichen Schadens ist, umso geringere Anforderungen werden an die Schadensnähe gestellt. Für polizeiliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit genügt bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts, nicht jedoch die nur rein theoretische, praktisch aber auszuschließende Möglichkeit.
9Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2009 - 5 A 2239/08 -, juris, Rn. 19 f. m. w. N.
10Dies zugrunde gelegt, erweist sich die Annahme der Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung als nachvollziehbar, dass es beim Auftreten der einzelnen Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlichen Gruppierungen – auch der „Freeway Riders“, denen der Antragsteller angehört – mit den für sie jeweils charakteristischen Kleidungs- und Ausrüstungsgegenständen auf der Cranger Kirmes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden am Schutzgut der öffentlichen Sicherheit kommen wird. Insbesondere dürfte die Einschätzung gerechtfertigt sein, dass es jederzeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen kann, wenn Angehörige rivalisierender Gruppierungen aufeinanderstoßen, die angesichts ihrer „Uniformiertheit“ als solche erkennbar in Erscheinung treten und die sich durch das entsprechende uniformierte Auftreten der jeweils rivalisierenden Gruppe provoziert fühlen. Konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben sich v. a. aus der nunmehr vorliegenden „Lageentwicklung und Gefährdungsbewertung“ des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen von Januar 2014 und Januar 2015 zur Rockerkriminalität in Nordrhein-Westfalen, auf die die Antragsgegnerin in ihrer Allgemeinverfügung Bezug nimmt. Dort wird unter anderem ausgeführt, dass die „Rockerlage“ in Nordrhein-Westfalen geprägt sei von Expansionsbestrebungen der Gruppierungen. In diesem Zusammenhang komme es zur Verwirklichung von Gewaltdelikten bis hin zu schwersten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten. Dahinter stehen nach polizeilichen Erkenntnissen Konflikte um selbst erhobene Gebietsansprüche und Einflussbereiche, die mit aller Konsequenz durchgesetzt würden. Die Gruppierungen verfügten über Zugang zu Waffen unterschiedlichster Art. Sowohl bei vorbereitet erfolgenden Auseinandersetzungen als auch bei spontanen Gewalttätigkeiten sei mit dem Einsatz von Waffen und sonstigen gefährlichen Gegenständen zu rechnen; dies gelte insbesondere für den Einsatz von Schusswaffen. Angesichts der latent hohen Gewaltbereitschaft sei auch zukünftig jederzeit mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern verfeindeter Gruppierungen zu rechnen. Dabei entstünden auch Gefahren für Dritte.
11Anhaltspunkte, die die Plausibilität dieser polizeilichen Einschätzung in Frage stellen, sind nicht ersichtlich. Sie wird vielmehr untermauert durch eine Vielzahl an Vorfällen im Zusammenhang mit „Rockern“ in den letzten Jahren, welche das Polizeipräsidium C. für seinen Zuständigkeitsbereich festgehalten hat und die in der Allgemeinverfügung im Einzelnen aufgeführt sind. Insbesondere der Vorfall am 18. Mai 2014 in einer Gaststätte in C. macht dabei deutlich, dass die Mitglieder der hier in Rede stehenden Gruppierungen auch dann nicht vor der Begehung von Straftaten zurückschrecken, wenn unbeteiligte Dritte zugegen sind. Nach den vorliegenden Informationen drangen seinerzeit ca. zehn bis fünfzehn Mitglieder der „Freeway Riders“ in eine Gaststätte ein und zertrümmerten vor den Augen der Gaststättenbesucher die Einrichtung; Hintergrund waren Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Clubs. Dass die „Rocker“ selbst auf großen öffentlichen Veranstaltungen – und damit im Beisein einer Vielzahl unbeteiligter Personen – ihre Auseinandersetzungen austragen, zeigt der aktuelle Vorfall am 13. März 2015 vor Beginn eines Fußballspiels im S.-Stadion in C. Dort begingen Mitglieder der „Bandidos“ und „Supportergruppierungen“ – offenbar spontan – eine schwere Körperverletzung zum Nachteil eines Mitglieds der Gruppierung „United Tribunes“. Schon nach eigenen Angaben traten zudem die „Bandidos“ und die „Freeway Riders“ während der Cranger Kirmes 2013 gemeinsam auf, um „Stärke gegen die ,Hells Angels‘ zu zeigen“. Dies belegt nicht nur, dass gerade das uniformierte Auftreten in der Öffentlichkeit darauf abzielt, rivalisierende Gruppierungen zu provozieren. Es zeigt sich außerdem, dass nicht zuletzt auch die „Freeway Riders“ bereit sind, sich an Auseinandersetzungen der „Bandidos“ mit deren rivalisierenden Clubs zu beteiligen.
12Ausgehend hiervon ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auch auf der Cranger Kirmes 2015 mit der Begehung von Gewaltdelikten konkret zu rechnen sein dürfte, wenn dort rivalisierende, sich durch das Tragen ihrer Kutten etc. gegenseitig provozierende „Rockergruppierungen“ aufeinanderstoßen. Dabei wird zugrunde gelegt, dass vorliegend schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt, da im Schadensfall hochrangige Schutzgüter – Leib und Leben von Menschen – betroffen sind und das Ausmaß eines möglichen Schadens – im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden „Rockergruppierungen“ werden schwerste Körperverletzungs- bis hin zu Tötungsdelikten begangen – besonders groß sei kann. Angesichts des Umstands, dass es sich bei der Cranger Kirmes mit einer durchschnittlichen Besucherzahl von etwa vier Millionen Menschen innerhalb von zehn Tagen um eines der größten Volksfeste in Deutschland handelt mit einer im Vergleich zu anderen Volksfesten enorm hohen Dichte und Enge,
13vgl. Wikipedia-Eintrag zur „Cranger Kirmes“ vom 5. August 2015,
14können im Zuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden „Rockergruppierungen“ immer auch unbeteiligte Dritte zu Schaden kommen, zumal nach den polizeilichen Erkenntnissen hierbei mit dem Einsatz von Waffen – bis hin zu Schusswaffen – zu rechnen ist. Es spricht nach alldem Einiges dafür, dass die Schwelle zu einem bloßen Gefahrenverdacht vorliegend überschritten ist.
15Siehe dazu Schl.-H. OVG, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris, Rn. 35.
16Ungeachtet verbleibender Zweifel im Hinblick auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr, denen gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein wird, führt vorliegend jedenfalls eine allgemeine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinter dem öffentlichen Vollzugsinteresse zurücktritt.
17Das mit der Allgemeinverfügung verfolgte öffentliche Interesse, den Eintritt von Schäden an Leben und Gesundheit von Menschen zu verhindern, überwiegt das Interesse des Antragstellers, seine „Kutte“ auf der Cranger Kirmes zu tragen. Die Belastung des Antragstellers durch das „Kuttenverbot“ und die damit verbundene Beschränkung der von ihm geltend gemachten Freiheitsrechte ist demgegenüber gering. Dem Antragsteller ist es lediglich an zehn Tagen für jeweils einige Stunden und nur in dem in der Anlage zur Allgemeinverfügung näher festgelegten räumlichen Bereich, der dem Bereich gemäß der Festsetzungsverordnung zur Cranger Kirmes vom 2. Oktober 2013 entspricht, untersagt, Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände zu tragen, die in Text, Bild oder Zeichen den Namen, das Symbol oder sonstige Kennzeichnungen seiner Zugehörigkeit zu den „Freeway Riders“ wiedergeben; im Übrigen steht es ihm frei, die Cranger Kirmes ohne die genannten Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände uneingeschränkt zu besuchen und seine „Kutte“ während der Kirmeszeit außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung zu tragen.
18Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur (mangelnden) Strafbarkeit des Tragens von „Rocker-Kutten“. Der Bundesgerichtshof hat – soweit dies der bislang lediglich vorliegenden Pressemitteilung zu entnehmen ist – entschieden, dass das Tragen von „Rocker-Kutten“, auf denen gleichzeitig Kennzeichen des Motorrad-Clubs und die Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen „Chapters“ angebracht sind, mangels Vorliegens eines entsprechenden Straftatbestands nicht strafbar ist. Dass das Tragen einer „Rocker-Kutte“ nicht strafbar ist, bedeutet jedoch nicht grundsätzlich, dass dieses nicht zu Zwecken der Gefahrenabwehr untersagt werden kann. Auch der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass gleichwohl das Tragen einer „Kutte“ mit den entsprechenden Kennzeichen unter bestimmten Voraussetzungen polizeirechtlich verboten sein kann.
19Vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/13 -, Pressemitteilung Nr. 113/2015 des BGH (die Entscheidung liegt noch nicht gedruckt vor).
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.
22Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Tenor
Es wird festgestellt, dass § 1 Abs. 1 Nr. 9 der Stadtverordnung über das befristete und örtlich begrenzte Verbot bestimmter Bekleidungsgegenstände und Embleme vom 15. Juni 2011 unwirksam war.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die vorläufige Vollstreckbarkeit durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Antragsteller zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Verordnung der Antragsgegnerin über das befristete und örtlich begrenzte Verbot bestimmter Bekleidungsgegenstände und Embleme vom 15.06.2011 (sog. Kuttenverordnung).
- 2
Der Antragsteller ist Mitglied des MC Dirty Pack 78 in B-Stadt und übt dort seit Jahren eine leitende Funktion aus. Ebenso wie bei anderen Motorradclubs ist die Mitgliedschaft zu dem MC Dirty Pack 78 durch ein Symbol für andere erkennbar. Der MC Dirty Pack ist in Freundschaft mit dem Hells Angels MC und dem Red Devils MC verbunden. Der Antragsteller drückt seine Verbundenheit zu dem Club auch in seiner Freizeit aus, indem er überwiegend Kleidung trägt, die ihn deutlich als Mitglied des MC Dirty Pack ausweisen. Darüber hinaus trägt er am Unterarm ein sog. Club-Tattoo, das seine Zugehörigkeit zu diesem Club erkennen lässt.
- 3
Die Verordnung vom 15.06.2011 hat auszugsweise den folgenden Wortlaut:
"§ 1
- 4
Für den Zeitraum vom 17. bis 26. Juni 2011 (Kieler Woche) ist es verboten, in dem in der Anlage festgelegten Gebiet Bekleidungsgegenstände zu tragen oder Embleme sichtbar mitzuführen, die sich in textlichen, bildlichen oder symbolhaften Darstellungen auf folgende so genannte Outlaw Motocycle Gangs beziehen:
- 5
1. …
- 6
2. …
- 7
3. …
- 8
4. …
- 9
5. …
- 10
6. …
- 11
7. …
- 12
8. …
- 13
9. MC Dirty Packs
- 14
10. …
- 15
11. …
- 16
12. …
- 17
13. …
- 18
14. …"
- 19
In der Anlage zur Verordnung wurde der räumliche Geltungsbereich ausgewiesen. Diesbezüglich wird auf Bl. 78 d. Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Verordnung lag dem Innen- und Umweltausschuss am 07.06.2011 sowie dem Rat am 08.06.2011 vor. Nach Unterzeichnung der Verordnung durch den Oberbürgermeister am 15.06.2011 wurde die Verordnung öffentlich bekannt gemacht.
- 20
Der Antragsteller ist der Meinung, dass die Verordnung materiell rechtswidrig sei, weil er durch die Verordnung in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs.1 GG i.V.m. Art. 1 GG verletzt worden sei. Er habe die Kieler Woche 2011 nicht in der Kleidung besuchen können, die er üblicherweise trage. Überdies sei er durch die Verordnung gezwungen gewesen, lange Oberbekleidung zu tragen, um sein Club-Tattoo zu überdecken. Er sei darüber hinaus auch als Person diffamiert worden, da der MC Dirty Pack in der Verordnung als "Outlaw-Motocycle-Gang" bezeichnet worden sei. Dadurch sei der Eindruck erweckt worden, dass er bzw. die anderen Mitglieder des MC Dirty Pack kriminell seien, obwohl er in strafrechtlicher Hinsicht unbelastet sei. Der Antragsteller führt des Weiteren an, dass Mitglieder des Dirty Pack 78 zu keinem Zeitpunkt in irgendwelche Auseinandersetzungen verwickelt gewesen seien, die dem sog. "Rockerkrieg" zuzurechnen wären. Insbesondere gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Mitglieder des MC Dirty Pack 78 und insbesondere er selbst Derartiges plane. Bisher sei es ausschließlich zu Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern des Hells Angels MC, des Bandidos MC und deren direkten Unterstützergruppen gekommen, zu denen der MC Dirty Pack 78 aber nicht gehöre. In Kiel oder in der Nähe gebe es keinen Chapter des MC Dirty Pack 78, so dass Revieransprüche von vornherein nicht in Betracht kämen. Die Antragsgegnerin habe daher von ihrem pflichtgemäßen Ermessen entweder keinen oder fehlerhaften Gebrauch gemacht, da sie eine Abwägung der öffentlichen Belange und der Interessen der einzelnen Personen entweder nicht oder fehlerhaft durchgeführt habe.
- 21
Der Antragsteller beantragt,
- 22
festzustellen, dass die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 9 der Stadtverordnung der Stadt Kiel vom 15.06.2011 rechtswidrig ist.
- 23
Die Antragsgegnerin beantragt,
- 24
den Antrag abzulehnen.
- 25
Die Antragsgegnerin ist der Meinung, dass der Antrag bereits unzulässig sei, weil er sich gegen eine nicht (mehr) in Geltung befindliche Norm richte. Die angegriffene Norm sei nur bis zum 26.06.2011 wirksam gewesen und sei mittlerweile außer Kraft getreten. Eine Wiederholungsgefahr scheide aus, weil nach Einschätzung der Polizeidirektion Kiel die spezifische Gefährdungslage aufgrund der Auflösung der Gruppierung "Tigers" künftig nicht mehr vorliegen werde. Die Antragsgegnerin ist ferner der Meinung, dass eine einschlägige Gefahrenprognose für die Kieler Woche 2011 bestanden habe. Durch das Zurschaustellen der Mitgliedschaft werde in der Szene ein Vormachtsanspruch öffentlich kundgetan, welcher gegenüber den anderen Gruppierungen eine erhebliche Provokation bedeute. Die Lage sei zur Zeit der Kieler Woche 2011 angespannt gewesen, weil nach dem Verbot des Bandidos MC Neumünster und Hells Angels MC Flensburg zu erwarten gewesen sei, dass die Mitglieder anderer Chapter des Bandidos MC versuchen würden, diesen Rückschlag durch konfrontatives Verhalten auf der Kieler Woche 2011 auszugleichen. Die Gefahr sei extrem dadurch verstärkt worden, dass die neu gegründete Gruppe "Tiger‘s MC" wenige Tage vor der Kieler Woche angekündigt habe, diese als "Laufsteg" zu nutzen. Ein massives Einschreiten gegen die "Tigers" sei für die Polizei im Vorfeld nicht mehr möglich gewesen. Ohne eine Ausweitung auf die weiteren Motorclubs hätte eine Stellvertretung der Motorclubs, deren Kutten verboten wurden, durch die Motorclubs, gegenüber deren Zeichen kein Verbot ausgesprochen wurde, gedroht. Die in der Verordnung genannten Motorclubs seien jeweils für ihre Unterstützung für die Hells Angels bzw. die Bandidos bekannt. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre und den Entwicklungen im Bereich der Rockerkriminalität seien tätliche Auseinandersetzungen auch zu erwarten gewesen. Erfahrungsgemäß seien in einer solchen Situation erhebliche Mengen an Einsatzkräften vor Ort erforderlich, die dann an anderer Stelle gefehlt hätten. Überdies wäre das Areal für die restlichen Besucher und die Veranstalter nicht nutzbar gewesen und das Image dieses Festes würde durch solch einen Zwischenfall erheblichen Schaden nehmen. Die Bezeichnung als "Outlaw Motocycle Gangs" sei auch keine Beleidigung, weil dieser Terminus von einem durchschnittlichen Leser nicht unmittelbar mit Kriminalität gleichgesetzt werde. Im Übrigen seien Tattoos von der Verordnung bereits nach dem Wortlaut nicht umfasst, so dass der Antragsteller das Club-Tattoo nicht hätte verdecken müssen.
- 26
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Behördenakte und auf die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
- 27
Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
- 28
Der Antrag ist zulässig.
- 29
Der Normenkontrollantrag ist statthaft. Bei § 1 Abs. 1 Nr. 9 der Stadtverordnung vom 15.06.2011 handelt es sich um eine Vorschrift einer Verordnung, deren Überprüfung im Wege der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle durch das Landesrecht vorgesehen ist (§ 47 Abs.1 Nr.2 VwGO, § 5 AGVwGO SH).
- 30
Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO von einem Jahr nach Bekanntmachung der Verordnung ist gewahrt.
- 31
Der Antragsteller ist auch hinsichtlich § 1 Abs. 1 Nr. 9 der Verordnung antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Antrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Antragssteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Die Antragsbefugnis fehlt erst, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Antragsstellers verletzt sein können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.08.2005 - 6 BN 1.05 -, NVwZ-RR 2006, 36 m. w. N.). Der Umstand, dass eine Rechtsverletzung in der Vergangenheit eingetreten ist, ändert an der Antragsbefugnis für eine Normenkontrolle nichts (Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 90). Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass dem Antragsteller im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG, welche auch das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen und Emblemen von Motorclubs sowie solcher Schriftzüge auf Veranstaltungen in der Öffentlichkeit umfasst, ein subjektives Recht darauf zusteht, dass bei hoheitlichen Eingriffen und Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit die einschlägigen Vorschriften des formellen und materiellen Rechts beachtet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne. Geschützt ist jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.05.1980 - 2 BvR 854/79 -, BVerfGE 54, 143 und Beschl. v. 06.06.1989 - 1 BvR 921/85 -, BVerfGE 80, 137). Der Antragsteller trägt in seiner Freizeit überwiegend Bekleidung, die seine Verbundenheit zum MC Dirty Pack 78 zum Ausdruck bringt. Im Juni 2011 wollte er die Kieler Woche besuchen und dabei seine gewohnte Kleidung tragen. Bei dieser Gelegenheit wollte er auch sein Club-Tattoo nicht verdecken müssen. Damit gehörte der Antragsteller zum Kreis der von § 1 Abs. 1 Nr. 9 der Verordnung Betroffenen. Ferner ist durch die Bezeichnung "Outlaw Motocycle Gangs" in der Verordnung auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG verletzt wurde, da es möglich ist, dass er durch diese Bezeichnung zu Unrecht von anderen mit kriminellen Kreisen in Verbindung gebracht wird.
- 32
Der Antragsteller hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis. In Fällen, in denen eine Rechtsvorschrift bereits außer Kraft getreten ist, ist das Rechtsschutzbedürfnis u.a. dann gegeben, wenn der Antragsteller ein Interesse an der Feststellung hat, dass die Rechtsvorschrift rechtswidrig und unwirksam war. Das ist bei einer nach § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 VwGO initiierten Normenkontrolle entsprechend den i.V.m. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO anerkannten Grundsätzen anzunehmen (Kopp/ Schenke, VwGO, § 47 Rn. 90). Eine Widerholungsgefahr ist im vorliegenden Fall gegeben. Der Antragsteller hat einen konkreten Anlass, mit der Wiederholung zu rechnen. Die Szene der "Rocker" ist geprägt durch stetige Veränderungen, sei es durch ein Verbot eines Motorclubs, einer Neugründung, eine angeordnete Vereinsheimschließung o.ä., auf die die einzelnen Mitglieder der Motorclubs reagieren. Wegen der Vielzahl von verschiedenen Motorclubs sowie der damit nicht vorherzusagenden Gefahren auf Großveranstaltungen liegt es nahe, dass die Antragsgegnerin vor anderen Veranstaltungen zu einer ähnlichen Gefahreneinschätzung gelangt und eine erneute Verordnung erlässt, die mit der streitgegenständlichen vergleichbar ist. Überdies hat der Antragsteller ein Feststellungsinteresse aus dem Gedanken des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Dies wird bei Normen angenommen, deren Geltung typischerweise zeitlich kurz befristet ist (Kopp/ Schenke, VwGO, § 47 Rn. 90). Die Verordnung war auf den Zeitraum der Kieler Woche 2011 begrenzt und trat daher bereits nach 10 Tagen außer Kraft. Aufgrund dieser kurzen Befristung muss dem Antragsteller die nachträgliche Überprüfung möglich sein.
- 33
Der Antrag ist auch begründet.
- 34
In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken bzgl. der Wirksamkeit der Verordnung. Das Verfahren der §§ 53 – 63 LVwG wurde eingehalten.
- 35
§ 1 Abs. 1 Nr. 9 der Verordnung vom 15.06.2011 war materiell rechtswidrig. Rechtsgrundlage für die Verordnung war § 175 LVwG. Danach kann die Ordnungsbehörde als Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit Verordnungen erlassen. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. Im vorliegenden Fall lag nach den vorliegenden Feststellungen jedoch keine Gefahr durch die Mitglieder des MC Dirty Pack für die öffentliche Sicherheit vor. Es bestand lediglich ein solcher Verdacht. Ein bloßer Gefahrenverdacht rechtfertigt aber kein Einschreiten der Sicherheitsbehörden in Form einer Rechtsverordnung auf der Grundlage der polizeilichen Generalermächtigung. Vielmehr müssen Eingriffe der staatlichen Verwaltung in die Freiheitssphäre des Einzelnen zum Zwecke der Gefahrenvorsorge nach rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen in einem besonderen Gesetz vorgesehen sein (BVerwG, Urteil vom 03.07.2002, 6 CN 8.01, BVerwGE 116, 347).
- 36
Eine Gefahr ist eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissenstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotential" (Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1985, 7 C 65.82, BVerwGE 72, 300). Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen (BVerwG, Urteil vom 03.07.2002, a.a.O). Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (BVerwG, Urteil vom 26.02.1974, 1 C 31.72, BVerwGE 45, 51). Eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt (OVG Bremen, Beschluss vom 21.10.2011, 1 B 162/11 -, NordÖR 2012, 38). Danach verlangt mithin auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose, das heißt es müssen bei abstrakt-genereller Betrachtung hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und /oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor (BVerwG, Urteil vom 03.07.2002, a.a.O.). Die Verordnungsermächtigung in § 175 LVwG gilt aber nicht für die mögliche Gefahr oder den Gefahrenverdacht, denn es wäre mit dem Grundsatz der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen der Exekutive und des Vorbehaltes des Gesetzes nicht vereinbar, wenn die Exekutive ohne strikte Bindung an den überlieferten Gefahrenbegriff kraft eigener Bewertung über die Notwendigkeit oder Vertretbarkeit eines Verordnungserlasses entscheiden könnte. Vielmehr ist es Sache des zuständigen Gesetzgebers, sachgebietsbezogen darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise Schadensmöglichkeiten vorsorgend entgegen gewirkt werden soll, die nicht durch ausreichende Kenntnisse belegt, aber auch nicht auszuschließen sind (BVerwG, Urteil vom 03.07.2002, a.a.O.).
- 37
Nach dem Maßstab der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze lagen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das Tragen von Bekleidungsgegenständen oder Emblemen von Mitgliedern des MC Dirty Pack, die auf die Zugehörigkeit zu ihrem Motorradclub hinweisen, während der Kieler Woche 2011 in dem aus der Anlage zur Verordnung bezeichneten räumlichen Bereich regelmäßig und typischerweise tätliche Auseinandersetzungen bzw. sonstige erhebliche Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit zur Folge hat.
- 38
Es ist zunächst voranzustellen, dass das Tragen von Bekleidungsstücken oder Emblemen des MC Dirty Pack, die auf die Zugehörigkeit zu diesem Motorclub hinweisen, nicht generell verboten ist. Das von der Antragsgegnerin als gefahrbegründend empfundene Verhalten (Machtdemonstration; Geltendmachung eines Vormachtsanspruches/ Revierverteidigung; Provozierung der verfeindeten Motorclubs; Einschüchterung) kann grundsätzlich zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Mitgliedern der Motorclubs, aber auch gegenüber Unbeteiligten führen. Wenn sich dieses Anschlussverhalten realisiert, liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, da mit tätlichen Auseinandersetzungen gegen die objektive Rechtsordnung verstoßen wird (z.B. §§ 185, 223 ff., 240, 303 StGB).
- 39
Die Antragsgegnerin bezieht sich in ihrer Begründung überwiegend auf den Gefahrprognosebericht der Polizeidirektion Kiel. Aus dem gesamten Bericht ergaben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass Mitglieder des MC Dirty Pack sich in entsprechender Bekleidung /Emblemen auf der Kieler Woche gemeinsam positionieren würden, um Macht zu demonstrieren und verfeindete Motorclubs zu provozieren. Der MC Dirty Pack wurde in dem Bericht gar nicht erwähnt. Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dass zu befürchten gewesen sei, dass die MC Hells Angels sowie Bandidos aufgrund der vorherigen Verbote der Chapter in Flensburg und Neumünster Vormachtsansprüche auf der Kieler Woche 2011 geltend machen würden und es dadurch zu tätlichen Auseinandersetzungen mit den verfeindeten Motorclubs gekommen wäre, ist dies nicht ausreichend, um eine Gefahr ausgehend von Mitgliedern des MC Dirty Pack zu begründen. Es wurden keine tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen, aus denen sich ergibt, wie die Mitglieder des MC Dirty Pack sich beteiligen würden. Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus der Neugründung des Motorclubs "Tiger's" in Kiel. Aus dem Gefahrprognosebericht selbst ergibt sich, dass "das Verhalten abzuwarten bleibt". In diesem Zusammenhang wurde wiederum nicht berücksichtigt, inwieweit Mitglieder des MC Dirty Pack sich verhalten würden, wenn Mitglieder der Tiger's die Kieler Woche als "ihren Laufsteg nutzen" würden. Es fehlen im Ergebnis gefahrbegründende Umstände in Bezug auf die Mitglieder des MC Dirty Pack.
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Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich eine Gefahr in Bezug auf den MC Dirty Pack auch nicht aus einer möglichen drohenden Stellvertretung. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass ohne ihre Einbeziehung eine Verlagerung auf die weiteren Motorclubs in der Form stattgefunden hätte, dass die Mitglieder von den nicht von der Verordnung betroffenen Motorclubs die Machtansprüche der Mitglieder geltend gemacht hätten, die von der Verordnung betroffen sind. Dafür müssen aber ebenfalls tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sein, die vorliegend fehlten. Es handelte sich dabei lediglich um eine Vermutung, die nicht auf eine vorherige Ankündigung bzw. auf Erfahrungen in der Vergangenheit gestützt werden konnte. Die Antragsgegnerin hat den Mitgliedern des MC Dirty Pack ein solches Verhalten unterstellt, ohne auf die genauen Beziehungen zueinander und bisheriges kooperatives Verhalten einzugehen. Eine freundschaftliche Verbindung zwischen dem MC Hells Angels und dem MC Dirty Pack ist nicht ausreichend, um davon auszugehen, dass eine Unterstützungshandlung in diesem Sinn vorgenommen werde. Anhaltspunkte dafür aus der Vergangenheit wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
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Die Entscheidungsformel ist nach § 47 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 VwGO im Amtsblatt der Antragsgegnerin zu veröffentlichen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
- 43
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.
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Rechtsmittelbelehrung
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Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim
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Schleswig-Holsteinischen
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Oberverwaltungsgericht,
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Brockdorff-Rantzau-Straße 13,
- 50
24837 Schleswig,
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durch Beschwerde schriftlich angefochten werden. Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht einzureichen. In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Im Beschwerdeverfahren muss sich der Beschwerdeführer durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit der Befähigung zum Richteramt oder Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 16 K 3088/15 wird bezüglich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 angeordnet.Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragssteller.
2. Der Streitwert wird auf 5000,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 16 K 3088/15 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 betreffend das Trage- und Mitführungsverbot von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. von Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlicher Gruppierungen wiederherzustellen bzw. anzuordnen,
4ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn, wie hier hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der o.a. Allgemeinverfügung, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist, bzw. anordnen, wenn eine behördliche Maßnahme - wie hier die Androhung von Zwangsmitteln § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 des Justizgesetzes NRW (JustG NRW) in Ziffer 5 der o.a. Allgemeinverfügung - kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
6Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten nur abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ist jedoch regelmäßig nur insoweit zu berücksichtigen, als sie schon bei summarischer Überprüfung überschaubar ist. Eine abschließende Überprüfung der angefochtenen Allgemeinverfügung ist nicht gefordert.
7Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, juris.
8Vorliegend überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 das öffentliche Vollziehungsinteresse, hinsichtlich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
9Nach § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW (VwVfG NRW) ist ein Verwaltungsakt jede hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung gerichtet ist (Satz 1). Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich u.a. an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet (Satz 2). Die hier in Rede stehende Allgemeinverfügung regelt einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Tragen und Mitführen von bestimmter Bekleidung durch Personen, die sich in einem bestimmten Bereich – D. Kirmes – zu bestimmten Zeiten – unter Ziffer 2 aufgeführte Zeiten zwischen dem 7. und 17. August 2015 – aufhalten) und ist dabei auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Die Adressaten sind – als bestimmbarer Personenkreis – die Besucher der D. Kirmes.
10Die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung begegnet keinen Bedenken. Insbesondere ist sie durch die Veröffentlichung in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 11. Juli 2015 ordnungsgemäß bekannt gegeben worden; § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW i.V.m. § 23 der Hauptsatzung der Stadt I. .
11Entgegen dem Vortrag des Antragsstellers vermag die Kammer auch unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 zu erkennen. Nach dem im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG –) und einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG NW verankerten Bestimmtheitsgebot muss ein Verwaltungsakt inhaltlich so bestimmt sein, dass für die am Verwaltungsverfahren Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsaktes, der Gegenstand der getroffenen Regelung so vollständig und eindeutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach einrichten können.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 1998- 18 B 1958/97 -, juris.
13Die vorliegende Allgemeinverfügung regelt ganz genau, wann und wo welche Bekleidungsstücke nicht getragen werden dürfen. Die vom Antragsteller hinsichtlich der Bestimmtheit erhobenen Bedenken sind demgegenüber unsubstantiiert.
14Ansonsten ist die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 hinsichtlich ihrer Ziffern 1 bis 3 materiell nicht offensichtlich rechtmäßig; sie ist aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig.
15Rechtsgrundlage der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes NRW (OBG NRW). Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Gefahr ist eine Lage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen wird. Hat sich die Gefahr bereits zu einem Schaden entwickelt, so ist es Aufgabe der Gefahrenabwehr, die Fortdauer der eingetretenen Störung zu unterbinden und weitere Störungen abzuwehren.
16Der klassische Gefahrenbegriff ist dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden". Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial". Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen.
17Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 - Juris, vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 358 sowie Urteile vom 19. Dezember 1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - juris.
18Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das trifft sowohl für die „konkrete“ Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, als auch für die ordnungsbehördlichen Verordnungen zugrunde liegende „abstrakte Gefahr“. Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. durch die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz, zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall – anders als bei der konkreten Gefahr – verzichtet werden kann. Hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit muss differenziert werden je nachdem, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu einer hinreichend abgesicherten Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern – allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben.
19Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, a.a.O., m.w.N.
20Ob hier nach diesen Maßstäben schon von einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW gesprochen werden kann oder nur von einem Gefahrenverdacht,
21so angenommen von VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. und OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris, in den dort entschiedenen Fällen,
22kann bei der vorliegend allein gebotenen summarischen Prüfung weder offensichtlich bejaht noch offensichtlich verneint werden.
23Der Antragsteller hat vorgetragen, dass das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. des Freeway Riders MC, dem er angehöre, nicht strafbar sei. Das ist zutreffend. Denn der Verein Freeway Riders MC ist nicht nach § 3 des Vereinsgesetzes verboten. Ob und in welchem Umfang das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. der anderen in der Allgemeinverfügung aufgeführten Gruppierungen strafbar ist,
24vgl. zur Strafbarkeit des Tragens von „Rocker-Kutten“ aktuell auch BGH, Pressemitteilung über ein Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, das noch nicht veröffentlicht ist,
25kann dahinstehen. Für die hier in Rede stehenden Fragen der Gefahrenabwehr kommt es darauf im Ausgangspunkt ohnehin nicht entscheidend an. Auch ein strafloses Verhalten kann eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW darstellen.
26Die Antragsgegnerin beruft sich laut der ihrer Allgemeinverfügung beigegebenen Begründung zunächst darauf, dass das Tragen der so genannten „Kutten“ auf die Kirmesbesucher massiv einschüchternd wirke. Dies mag so sein. Ob allein ein eventuelles Hervorrufen von Unwohlsein infolge Einschüchterung eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW begründet, erscheint jedoch fraglich. Nun kommt nach Auffassung der Antragsgegnerin aber hinzu, dass das Tragen der „Kutten“ eine Provokation darstelle bzw. als eine solche wahrgenommen werden könne und es in der Folge zu schwerwiegenden Reaktionen gegnerischer Gruppierungen bis hin zu Gewaltanwendungen kommen könne. Die Antragsgegnerin beruft sich insoweit auf eine Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamts Düsseldorf von Januar 2014 und eine polizeiliche Lageeinschätzung von Januar 2015. Sie hat diese Dokumente dem Gericht aber trotz Aufforderung nicht zukommen lassen. Die stattdessen mit Schriftsatz vom 30. Juli 2015 übersandten Dokumente sind diesbezüglich gänzlich unergiebig, wie der Antragsteller zu Recht moniert. Gleiches gilt für die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung, die sich auf zwei Sätze beschränken. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung aber mehrere konkrete Vorfälle aufgeführt, bei denen in I. um Umgebung Motorradgruppierungen einschüchternd bzw. gewalttätig aufgetreten bzw. Gegenstand polizeilicher Ermittlungen gewesen seien. Diese Vorfälle betreffen auch den Freeway Riders MC, dem der Antragsteller angehört. Zuletzt wurden danach am 27. November 2014 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder dieser Gruppierung mehrere Schusswaffen aufgefunden. Die in der Allgemeinverfügung aufgeführten Vorfälle werden vom Antragsteller – abgesehen von Einzelheiten zu dem Vorfall vom 8. Juni 2014 – nicht bestritten. Abgesehen davon ist auch aus der allgemeinen Medienberichterstattung bekannt, dass Sicherheitsexperten nach wie vor mit schweren Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen von Motorradrockern in deutschen Städten rechnen.
27Vgl. etwa Focus Nr. 31/2015 vom 24. Juli 2015, abrufbar unter www.focus.de.
28Ob es ausgerechnet auf der D. Kirmes 2015 zu solchen Ausschreitungen kommen könnte, ist naturgemäß fraglich. Nun ist aber hinsichtlich des für die Annahme einer konkreten Gefahr nötigen Grades der Wahrscheinlichkeit – wie ausgeführt – danach zu differenzieren, welches Schutzgut auf dem Spiel steht; ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass es bei einem Volksfest wie der D. Kirmes, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht (vgl. hierzu auch die vom Antragsteller vorgelegten Berichte über Schlägereien), zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht. Auch in derartigen Fällen, in denen bei negativem Verlauf mit großen Schäden an wichtigen Rechtsgütern gerechnet werden muss, ist die Schwelle zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts aber nicht so niedrig, dass bereits jede Mutmaßung einer Auseinandersetzung die Annahme einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW rechtfertigen könnte. In diesem Zusammenhang ist für die Kammer bedeutsam, dass hier, anders als etwa in dem Fall, den das OVG Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte,
29vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, a.a.O.,
30in der Vergangenheit schon zweimal Motorradgruppierungen auf der konkret in Rede stehenden Veranstaltung aufgetreten sind. Am 9. August 2013 sind, so die Begründung der Allgemeinverfügung, insgesamt 100 Personen, die hälftig zum Bandidos MC, hälftig zum Freeway Riders MC gehörten, in Kutten auf der D. Kirmes aufgelaufen (sog. „Schaulaufen“), um dort – nach eigener Einlassung – „Stärke gegen die Hells Angels zu zeigen“. Am nächsten Tag sind erneut 70 Mitglieder des MC Bandidos aufmarschiert.
31Vgl. Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 20. Juli 2014, abrufbar unter www.derwesten.de.
32Es ist alles andere als fernliegend, dass sich bei einer Aussetzung der Vollziehung der vorliegenden Allgemeinverfügung ein solches Szenario wiederholen könnte. Es ist zwar bei den „Schaulaufen“ im Jahre 2013 zu keinen Gewaltausbrüchen gekommen. Dies mag aber auch daran gelegen haben, dass gerade keine rivalisierenden Gruppierungen in der Nähe waren. Denn wer nach eigenem Bekunden gegen andere Gruppierungen „Stärke zeigen“ wollte, wäre bei deren Auftauchen möglicherweise auch gewalttätig geworden. Bei der diesjährigen D. Kirmes könnte es, anders als in 2013, durchaus zu Begegnungen rivalisierender Gruppen kommen.
33Ob im vorliegenden Fall eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW vorliegt, ist nach alledem weder offensichtlich zu bejahen noch offensichtlich zu verneinen.
34Die Interessenabwägung des § 80 Abs. 5 VwGO hat hier daher letztlich im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung zu erfolgen.
35Dabei überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung im Ergebnis – noch – das öffentliche Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
36Der Antragsteller beruft sich auf seine Freiheitsrechte. Er tut dies auch mit Recht. Wie bereits ausgeführt, ist das Tragen und Mitführen von Abzeichen des MC Freeway nicht strafbar. Sein Handeln ist auch durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG geschützt.
37Vgl. zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dessen Schranken u.a. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 1 BvR 472/14 -, juris.
38In dieses Freiheitsrecht darf keinesfalls mit diskriminierender Absicht eingegriffen werden, etwa weil die (legale) Organisation, der der Betreffende angehört, aus bestimmten Gründen missliebig erscheint. Andererseits sind Einschränkungen der Freiheitsrechte aus Gründen der Gefahrenabwehr vom Grundsatz her zulässig. Die Einschränkungen, denen der Antragsteller durch die Allgemeinverfügung unterliegt, sind im vorliegenden Fall letztlich nicht sehr weit reichend. Sie betreffen nur die sogenannte Sozialsphäre des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht aber dessen Kernbereich, schon gar nicht die Intimsphäre des Antragstellers. Dem Antragssteller ist es nicht verwehrt, die D. Kirmes zu besuchen, nur eben nicht in seiner Kutte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Besuch ausgerechnet der D. Kirmes zum Kernbereich der Vereinsaktivität des Freeway Riders MC gehört. Vielmehr dürfte Kernbereich der Vereinsaktivität das Motorradfahren sein. Im Übrigen ist ein etwaiges „Schaulaufen“ andernorts von der Allgemeinverfügung nicht betroffen. Es geht hier nur um den Besuch der D. Kirmes.
39Dem gegenüber besteht ein erhebliches, das Interesse des Antragsstellers letztlich überwiegendes öffentliches Interesse daran, Störungen von der D. Kirmes fernzuhalten. Abgesehen davon, dass den Besuchern ein angstfreies Besuchen der Kirmes möglich sein soll, dürfte es – wie bereits ausgeführt - auf der Hand liegen, dass es bei einem derartigen Volksfest, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht, zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer – hier eben nicht auszuschließenden – Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht.
40Hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung unter Ziffer 5 der angefochtenen Allgemeinverfügung fällt die Interessenabwägung dagegen zu Gunsten des Antragstellers aus. Insoweit bestehen Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Zwangsmittelandrohung, da es an der gemäß § 63 Abs. 6 Satz 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW (VwVG NRW) erforderlichen Zustellung fehlen dürfte. Insbesondere ist zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 10 des Landeszustellungsgesetzes NRW (LZG NRW) für eine öffentliche Zustellung vorliegen. Es bleibt der Antragsgegnerin jedoch unbenommen, etwaige Zwangsmittelandrohungen den jeweils Betroffenen vor Ort unmittelbar zuzustellen.
41So jedenfalls OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2010 - 5 B 119/10 -; vgl. im Übrigen bereits VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, jeweils juris.
42Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass sich die Zwangsmittelandrohung, wegen der die Antragsgegnerin unterliegt, nicht streitwerterhöhend auswirkt.
43Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen wird.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf der öffentlichen Verwendung von Kennzeichen eines verbotenen Vereins und dem des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen aus Rechtsgründen freigesprochen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
- 2
- I. Nach den Feststellungen des Landgerichts sind die Angeklagten Mitglieder örtlicher Vereine der weltweit agierenden Rockergruppierung "Bandidos" , der Angeklagte R. des "MC Bandidos U. ", der Angeklagte Ra. des "MC Bandidos B. ".
- 3
- Die Gruppierung der "Bandidos" besteht nicht aus einem einzelnen Verein , vielmehr setzt sie sich auf europäischer Ebene aus der jeweiligen "Nationalen Hauptgruppe" und darunter - auf regionaler Ebene - aus zahlreichen Orts- gruppen (sogenannte Chapter) zusammen. Diese Ortsgruppen sind organisatorisch weitgehend selbständig. In Deutschland gründeten sich die ersten 17 Chapter der "Bandidos" im November 1999, als mehrere regionale Abteilungen anderer Rockergruppierungen zu den "Bandidos" übertraten; als erstes Chapter - deshalb von den "Bandidos" als das deutsche "Mother Chapter" bezeichnet - bestand dasjenige in G. .
- 4
- Die Mitglieder der "Bandidos" - auch diejenigen der deutschen Chapter - tragen Lederwesten, sogenannte Kutten, die innerhalb der weltweiten Organisation - von den Mitgliedern auch "Bandido-Nation" genannt - im Wesentlichen einheitlich gestaltet sind:
- 5
- Auf der Rückseite der Weste befindet sich als Mittelabzeichen der "Fat Mexican", die Figur einer dicklichen, mit einem Revolver und einer Machete bewaffneten sowie mit einem Poncho und einem Sombrero bekleideten männlichen Gestalt. Darüber ist als obere Abgrenzung ein halbkreisförmig nach unten gebogener Aufnäher mit dem in roten Großbuchstaben auf gelbem Grund dargestellten Schriftzug "Bandidos" angebracht. Unterhalb des Mittelabzeichens befindet sich als untere Abgrenzung ein weiterer Aufnäher, der halbkreisförmig nach oben gebogen in gleicher Farbgebung einen weiteren Schriftzug darstellt: Nach Gründung der ersten Chapter der "Bandidos" benutzten alle Gruppen in Deutschland insoweit zunächst die nationale Bezeichnung "Germany" , nunmehr verwenden die Chapter uneinheitlich entweder den Namen ihrer jeweiligen Ortsgruppe, wie zum Beispiel "Probationary N. ", "U. " oder "B. ", oder - weiterhin - den Schriftzug "Germany". Die obere und die untere Abgrenzung bilden zusammen einen nicht geschlossenen Kreis um den "Fat Mexican". Rechts und links von diesem befinden sich - wiederum in roter Schrift auf gelbem Grund - ein rechteckiger Aufnäher mit der Aufschrift "MC" und ein rautenförmiger mit der Bezeichnung "1%".
- 6
- Diese Abzeichen in ihrer Gesamtheit dürfen nur von Vollmitgliedern der "Bandidos" getragen werden, für Anwärter auf diese Vollmitgliedschaft gelten - je nach der Phase ihrer Anwartschaft - differenzierte Regelungen. Die auf den Westen angebrachten Abzeichen stehen nicht im Eigentum der sie tragenden Mitglieder, sondern werden ihnen nur ausgeliehen. Die Westen gelten als Symbol der Ehre, dem von einigen "Bandidos" ein höherer Wert beigemessen wird als dem eigenen Motorrad.
- 7
- Zwei der örtlichen Chapter der "Bandidos", der Verein "Bandidos MC Chapter A. " und der Verein "Bandidos MC Probationary Chapter N. - " sind, weil ihre Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen, durch Verfügungen der Innenministerien Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein verboten. Die Verbotsverfügung betreffend den Verein "Bandidos MC Probationary Chapter N. " ist seit Februar 2013 bestandskräftig, das Verbot ist damit unanfechtbar. Gegen das Verbot des "Bandidos MC Chapter A. " vom 23. April 2012 ist hingegen vor dem Verwaltungsgericht A. eine Klage anhängig. Das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat indes die sofortige Vollziehung der Verfügung angeordnet.
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- Am 1. August 2014 begaben sich die Angeklagten in Begleitung ihrer Verteidiger zum Polizeipräsidium B. . Sie trugen jeder eine Weste, auf der sich als Mittelabzeichen der "Fat Mexican" und darüber der beschriebene Aufnäher mit dem Schriftzug "Bandidos" befanden. Jeweils als untere Abgrenzung waren Aufnäher mit den Ortsbezeichnungen ihrer Chapter U. und B. angebracht. Außerdem waren auf der Rückseite noch die Embleme "MC" und "1%" befestigt, sowie weitere Aufnäher auf den Vorderseiten der Westen. Die Angeklagten hielten es für möglich, sich durch das Tragen der Westen mit den angebrachten Aufnähern strafbar zu machen; sie wollten die Einleitung eines Strafverfahrens und eine Anklageerhebung erreichen, um dadurch eine höchstrichterliche Klärung der Frage der Strafbarkeit ihres Handelns herbeizuführen.
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- II. Der Freispruch der Angeklagten hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
- 10
- 1. Zu Recht ist das Landgericht zunächst davon ausgegangen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt sind, weil die beiden verbotenen Vereine keine Vereinigungen im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen; sie sind zwar verboten, aber nicht, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten. Soweit die gegen den Verein "Bandidos MC Probationary Chapter N. " gerichtete Verbotsverfügung vom 21. April 2010 zunächst diese Feststellung enthielt, ist sie insoweit durch Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig aufgehoben worden.
- 11
- 2. Im Ergebnis zutreffend hat die Strafkammer auch eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen öffentlicher Verwendung von Kennzeichen eines verbotenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG verneint.
- 12
- a) Im Ausgangspunkt ist das Landgericht zunächst rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass sich das auf den Rückseiten der Westen angebrachte Mittelabzeichen ("Fat Mexican") sowie der Aufnäher mit dem Schriftzug "Bandidos" vereinsrechtlich je für sich als Kennzeichen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG darstellen.
- 13
- aa) Der Begriff des Kennzeichens ist nicht legal definiert. Die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 VereinsG nimmt zwar auf § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG Bezug. Dort findet sich indes keine allgemein gültige gesetzliche Umschreibung dieses Tatbestandsmerkmals. Vielmehr werden lediglich beispielhaft insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen als Kennzeichen genannt. In Literatur und Rechtsprechung werden als Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG - wie für § 86a Abs. 1 StGB - optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen begriffen, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist; intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken (OLG Hamburg, Urteil vom 7. April 2014 - 1-31/13 Rev, NJOZ 2014, 1487, 1488; MüKoStGB/Heinrich, 2. Aufl., § 20 VereinsG Rn. 102; Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 146. Erg. Lfg. 2002, § 9 VereinsG Rn. 3; Groh, VereinsG, § 9 Rn. 6; Bock, HRRS 2012, 83, 84; s. zu § 86a StGB auch BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 371). Soweit darüber hinaus vertreten wird, von dem Kennzeichen müsse eine Unterscheidungswirkung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals ausgehen (Albrecht, HRRS 2015, 167, 169 f.; Groh aaO; s. auch BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 49), kann dem nicht gefolgt werden. Es reicht vielmehr aus, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol - etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung - derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1998 - 3 StR 370/98), ohne dass es auf eine Unverwechselbarkeit des Kennzeichens ankommt (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 372; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1998 - 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1). Ob dieses auch von anderen , nicht verbotenen Vereinen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt wird, ist für die Frage der Kennzeicheneigenschaft ohne Bedeutung. Denn andern- falls würden in die Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, letztlich die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung einbezogen; eine solche Gesamtbetrachtung ist indes wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands abzulehnen: Ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf den verbotenen Verein hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1998 - 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1; MüKoStGB/Heinrich, aaO; so im Ergebnis auch Groh, aaO; vgl. zu § 86a StGB auch BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 372).
- 14
- Nach diesen Maßgaben handelt es sich zunächst bei dem Mittelabzeichen , dem "Fat Mexican", das als Wappen der "Bandidos" dient (vgl. Bock, aaO), um ein Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2, § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG: Nach dem Willen der Personen, die es tragen, bringt es die Identifikation - auch - mit den jeweiligen Ortsvereinen zum Ausdruck, die als regionale Chapter der "Bandidos-Bewegung" agieren und sowohl für sich genommen, als auch als Teil der "Bandidos" als Einheit wahrgenommen werden wollen. Aber auch der Schriftzug "Bandidos" erfüllt die Voraussetzungen eines Kennzeichens: Zwar ist der Name einer Vereinigung oder eines Vereins als solcher - sofern nicht besondere Umstände hinzutreten - nach der Rechtsprechung des Senats kein Kennzeichen (BGH, Urteil vom 13. August 2009 - 3 StR 228/09, BGHSt 54, 61, 66 f. mwN). Etwas anderes gilt indes, wenn er eine bestimmte Formgebung erfahren hat, etwa in signifikanten Schriftzügen dargestellt wird, und sich deshalb als Erkennungszeichen darstellt, das einen den beispielhaft aufgeführten Kennzeichen entsprechenden Symbolcharakter aufweist (BGH aaO, S. 67 f. mwN; MüKoStGB/Heinrich, aaO). So verhält es sich hier: Der Aufnäher mit dem "Bandidos"-Schriftzug ist sowohl was die Farb- gebung, die ausgewählte Schriftart mit den Großbuchstaben und die Formgebung betrifft, darauf ausgelegt, als einheitliches Erkennungszeichen mit Wiedererkennungswert zu wirken; insoweit verfolgen die Träger dieses Aufnähers damit die gleichen Zwecke wie mit dem Tragen des Mittelabzeichens (vgl. Bock, aaO). Zu Recht ist das Landgericht deshalb davon ausgegangen, dass der Namensschriftzug in dieser Form aufgrund der beschriebenen Gestaltung und des damit verbundenen signifikanten Erscheinungsbildes ein Abzeichen im Sinne des Kennzeichenbegriffs darstellt (aA Albrecht/Braun, NJOZ 2014, 1481, 1482, die einen entsprechenden Symbolgehalt der Schriftzüge von Motorradclubs ohne nähere Begründung verneinen). Ob er sich auch als Uniformstück im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG erweist (so OLG Hamburg, Urteil vom 7. April 2014 - 1-31/13 Rev, NJOZ 2014, 1487, 1488 f. für den Schriftzug "HELLS ANGELS"), kann deshalb ebenso offen bleiben, wie die von der Strafkammer verneinte Frage, ob auch die Aufnäher "MC" und "1%" Kennzeichen im Sinne des Vereinsrechts darstellen (vgl. insoweit auch Bock, aaO).
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- bb) Zutreffend ist auch die Auffassung des Landgerichts, die Kennzeicheneigenschaft bestehe hinsichtlich beider Abzeichen jeweils für sich genommen ; insbesondere ist nicht auf das Zusammenspiel von Vorder- und Rückseite der Weste als Ganzes (so aber LG München, Beschluss vom 13. Januar 2003 - 23 Qs 91/02, www.zvr-online.com, Dok. 7/2015; LG Verden, Beschluss vom 11. August 2003 - 1 Qs 161/03, www.zvr-online.com, Dok. 8/2015; wohl auch LG Cottbus, Beschluss vom 28. Februar 2002 - 26 Qs 464/01, StraFo 2002, 407) oder auch nur auf das Ensemble sämtlicher Abzeichen auf der Rückseite der Weste (sogenanntes Rückenpatch, so aber Albrecht/Braun aaO; Albrecht, HRRS 2015, 167, 169; vgl. insoweit aber auch BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 49) abzustellen: Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG nennt als Kennzeichen insbesondere Abzeichen, so dass zur Beantwortung der Frage, ob Kennzeichen eines verbotenen Vereins verwendet wurden, die einzelnen Abzeichen des verbotenen Vereins mit den verwendeten zu vergleichen sind (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. März 2005 - 12 a 12101/04, juris Rn. 19; OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2007 - 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 160; OLG Hamburg, Urteil vom 7. April 2014 - 1-31/13 Rev, NJOZ 2014, 1487, 1488; Groh, aaO, § 9 Rn. 6 f.; Rau/Zschieschack, NStZ 2008, 131, 133). Die Gegenauffassung verkennt in diesem Zusammenhang wiederum, dass mit der Berücksichtigung vorrangig des Zusammenspiels der einzelnen Abzeichen oder Symbole auf außerhalb des Kennzeichens liegende Umstände seiner Verwendung abgestellt würde, die - wie dargelegt - bei der Prüfung der Kennzeicheneigenschaft unberücksichtigt zu bleiben haben. Soweit die Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 3 VereinsG ebenfalls auf die "Zusammenstellung charakteristischer Elemente" abstellt, geschieht dies unter der Prämisse, dass von einem Kennzeichen eine die Vereinigung charakterisierende Unterscheidungswirkung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals ausgehen müsste (BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 49). Dieser rechtlich unzutreffende Maßstab ist indes - wie dargelegt - nicht anzuwenden.
- 16
- Da für die Prüfung der Kennzeicheneigenschaft auf die einzelnen Abzeichen abzustellen ist, stellt sich die Frage nicht, ob durch die Hinzufügung einer abweichenden Ortsbezeichnung ein zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG entstanden sein kann (so aber BayObLG, Urteile vom 23. September 2003 - 4St RR 104/03, juris Rn. 14 f.; vom 8. März 2005 - 4St RR 207/04, BayObLGSt 2004, 180, 181; kritisch insoweit Stegbauer, NStZ 2014, 621, 622). Aus diesem Grund ist hier auch keine weitere Prüfung geboten, ob ein solches zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen gegebenenfalls mit dem einer legalen Organisation identisch ist und deshalb eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG ausscheiden könnte (vgl. zu einem solchen Fall BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1998 - 3 StR 370/98, BGHR VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 5 Kennzeichen 1).
- 17
- b) Nach den genannten Maßstäben erweist sich sodann allerdings die Auffassung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft, die Angeklagten hätten, obwohl auf ihren Westen jeweils der "Fat Mexican" und der Bandidos-Schriftzug angebracht war, keine Kennzeichen (auch) der beiden verbotenen Chapter getragen , weil nicht zusätzlich als untere Abgrenzung des Ensembles auf der Rückseite ihrer Westen - wie bei den Mitgliedern dieser Chapter - der Schriftzug mit der Ortsbezeichnung "Probationary N. " oder der Landesbezeichnung "Germany" aufgenäht war.
- 18
- aa) Hiermit setzt sich die Strafkammer zunächst in Widerspruch zu dem von ihr zutreffend erkannten rechtlichen Ausgangspunkt, dass die Kennzeicheneigenschaft sich nach dem Symbolgehalt des einzelnen Emblems oder Schriftzuges richtet, nicht aber nach demjenigen des Zusammenspiels der einzelnen Bestandteile des "Rückenpatches".
- 19
- bb) Das Abstellen auf die Ortszusätze als mitprägende Elemente gerade der Kennzeichen der verbotenen Vereine (in diesem Sinne auch BayObLG, Urteil vom 23. September 2003 - 4St RR 104/03, juris Rn. 15 f; s. auch OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2007 - 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 161) trägt zudem den Besonderheiten des Falles nicht Rechnung: Ungeachtet ihrer organisatorischen und vereinsrechtlichen Selbständigkeit sind die Chapter nach den Feststellungen des Landgerichts Teilorganisationen einer weltweiten "Bewegung" , der "Bandido-Nation". Sie tragen den auf den Rückseiten der Westen angebrachten "Bandidos"-Schriftzug und das Mittelabzeichen des "Fat Mexican" , um damit ihre Zugehörigkeit zu dieser Organisation zum Ausdruck zu bringen. Diese beiden Embleme, von denen insbesondere das gleichsam als Wappen dienende Mittelabzeichen weltweit einzigartig ist, sind nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen, nicht genau prüfenden Betrachters (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28. Juli 2005 - 3 StR 60/05, BGHR StGB § 86a Abs. 2 Satz 2 Kennzeichen 2) die Kennzeichen, die das Erscheinungsbild auch der verbotenen Vereine maßgeblich prägten; eines zusätzlichen Hinweises gerade auf die verbotenen Chapter bedarf es zur Beantwortung der Frage, ob es sich um deren Kennzeichen handelte, nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364 zu § 86a StGB).
- 20
- cc) Letztlich kommt es für die Frage der Kennzeicheneigenschaft entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht darauf an, welches Chapter in Deutschland zuerst gegründet wurde. Wie oben dargelegt ist es für den Kennzeichenbegriff nicht von Bedeutung, ob das Kennzeichen auch von einer nicht verbotenen Gruppierung verwendet wird (etwa dem zuerst gegründeten Chapter G. ) und von dem verbotenen Verein (etwa dem Chapter N. ) lediglich übernommen worden ist, weil damit wiederum auf außerhalb des Kennzeichens liegende Umstände seiner Verwendung abgestellt würde, die indes nicht zu berücksichtigen sind.
- 21
- c) Dennoch erweist sich der Freispruch der Angeklagten im Ergebnis als richtig.
- 22
- aa) Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 86a StGB scheidet ein tatbestandliches "Verwenden" des Kennzeichens einer verbotenen Organisation aus, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwider läuft. Die aufgrund der weiten Fassung erforderliche restriktive Auslegung des Tatbestands setzt mithin nicht beim Kennzeichenbegriff an, weil eine solche Tatbestandseinschränkung mit dem Schutzzweck der Norm nicht in Einklang stünde, sondern bei dem Tatbestandsmerkmal des "Verwendens" (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 373 ff.; so schon BGH, Urteil vom 18. Oktober 1972 - 3 StR 1/71, BGHSt 25, 30, 32 f.). Bei der Prüfung, ob die Verwendung eines Kennzeichens auch einer verbotenen Organisation dem Schutzzweck des § 86a StGB eindeutig nicht zuwiderläuft, kann in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isoliertem Gebrauch meist gerade nicht erkennen , ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Vielmehr ist den Anforderungen , die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm in seinen oben dargestellten Ausprägungen eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, da dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 375 f.).
- 23
- Diese Grundsätze sind auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zu übertragen. Wie in § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist auch hier der objektive Tatbestand erfüllt, wenn Kennzeichen des verbotenen Vereins verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet werden. Es besteht - wie dargelegt - keine Veranlassung, den identischen Begriff des Kennzeichens im VereinsG anders auszulegen, als in der verfassungswidrige Organisationen betreffenden Strafvorschrift. Der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Ver- einsG stellt sich dann aber auch in gleicher Weise als weit gefasst dar, so dass auch hier - nicht zuletzt mit Blick auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG - eine Auslegung geboten ist, nach der dem Schutzzweck des Vereinsverbots eindeutig nicht zuwiderlaufende Kennzeichenverwendungen vom Tatbestand auszunehmen sind. Insoweit ist für Fälle wie den vorliegenden zudem in den Blick zu nehmen, dass das Vereinsverbot gerade nicht die - national oder gar weltweit - agierende Dachorganisation - hier der "Bandidos" - betrifft, sondern allein regionale Unterabteilungen, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderliefen; für die "nationale Hauptgruppe" Deutschland oder gar für die "Bandidos" insgesamt ist eine solche Rechtsfeindlichkeit nicht festgestellt.
- 24
- Dementsprechend sind die übrigen Chapter der "Bandidos" nicht verboten ; sie tragen aber gleichermaßen mit dem Schriftzug "Bandidos" und dem "Fat Mexican" Kennzeichen ihrer Vereine, die auch Kennzeichen der beiden verbotenen Chapter waren. Durch die Hinzufügung einer eindeutig auf ein nicht verbotenes Chapter hinweisenden Ortsbezeichnung - wie hier "D. " und "U. " - ergibt sich aus dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang der Kennzeichenverwendung aber eindeutig, dass die Angeklagten den Schriftzug "Bandidos" und das Mittelabzeichen des "Fat Mexican" gerade nicht als Kennzeichen der verbotenen Chapter verwendeten, sondern als Kennzeichen ihrer eigenen, nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsvereine. Eine Strafbarkeit gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG scheidet mithin aufgrund der fehlenden Verwendung der Kennzeichen der verbotenen Vereine durch die Angeklagten aus.
- 25
- bb) Kein anderes Ergebnis ergibt sich mit Blick auf die Vorschrift des § 9 Abs. 3 VereinsG (unbeschadet dessen, dass das Verbot des Chapters A. noch nicht bestandskräftig ist und daher § 9 Abs. 3 VereinsG im Hinblick auf Kennzeichen dieses Chapters von vornherein nicht zur Anwendung gelangen soll, vgl. BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 49). Insoweit gilt:
- 26
- (1) Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Regelung in der Praxis aufgetretene Unklarheiten über die Reichweite des - polizeirechtlichen - Kennzeichenverbots in Fällen beseitigen, in denen mehrere Vereine das gleiche Erscheinungsbild und die Zielsetzung teilen, aber nur einer von ihnen verboten wird; Anlass für die beabsichtigte Klarstellung war die Frage, ob der im Wesentlichen gleiche Kennzeichen verwendende äußere Auftritt nicht verbotener Schwestervereine unter Beifügung unterscheidender Orts- oder Untergliederungsbezeichnungen unter das Kennzeichenverbot des § 9 VereinsG fällt (BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 49). Durch die Fassung des § 9 Abs. 3 VereinsG kommt - unbeschadet einiger Missverständlichkeiten der Gesetzesbegründung (siehe oben) - hinreichend zum Ausdruck, dass Kennzeichen, denen Orts- oder Untergliederungsbezeichnungen beigefügt werden, aus der Sicht des Gesetzgebers als solche anzusehen sind, die "in im Wesentlichen gleicher Form" verwendet werden.
- 27
- Durch die Regelung in § 9 Abs. 3 VereinsG sollte zudem vermeintlich "klargestellt" werden, dass - bei Vorliegen der weiteren, einschränkenden Voraussetzungen - die Verbotsnorm des § 9 Abs. 1 VereinsG auch für Kennzeichen eines verbotenen Vereins gelte, die von nicht verbotenen Teilorganisationen oder Vereinen verwendet werden; eine Erweiterung des Kennzeichenverbots sei damit nicht verbunden (vgl. BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 48 f.). Zu einer etwaigen Strafbarkeit der Verwendung von Kennzeichen verbotener Verei- ne "in im Wesentlichen gleicher Form" verhält sich die Gesetzesbegründung nicht.
- 28
- (2) Gleichwohl wird vertreten, die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG sei auch im Rahmen der Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zur Anwendung zu bringen, obwohl letztere - anders als etwa § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG - nicht auf den Verbotstatbestand verweist. Da - ebenfalls ohne ausdrücklichen Verweis - die Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereinigungen nach § 9 Abs. 1 VereinsG unter die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG falle und mit der Regelung in § 9 Abs. 3 VereinsG eine Erweiterung des Kennzeichenverbots nicht verbunden sei, gelte die Strafvorschrift auch in den Fällen der "in im Wesentlichen gleicher Form" verwendeten Kennzeichen (BayObLG, Urteil vom 23. September 2003 - 4St RR 104/03, juris Rn. 16 f.; OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2007 - 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 160; Stegbauer, NStZ 2014, 621, 622 f.; Rau/Zschieschack, NStZ 2008, 131, 134; aA LG Berlin, Beschluss vom 2. Oktober 2002 - 537 Qs 104/02, StraFo 2003, 30; Groh, aaO, § 9 Rn. 12; MüKoStGB/Heinrich, aaO, § 20 VereinsG Rn. 104; Albrecht/Braun, NJOZ 2014, 1481, 1483; Mayer, Kriminalistik 2014, 236, 240). Der von der Gegenauffassung befürworteten einschränkenden Auslegung stehe zudem der Wille des Gesetzgebers des Terrorismusbekämpfungsgesetzes entgegen, nach dem das Verbot des Verwendens von Kennzeichen verbotener Vereine gerade nicht eingeschränkt, sondern effektiver ausgestaltet werden sollte (OLG Celle aaO; Bock, HRRS 2012, 83, 84 f.; vgl. BT-Drucks. 14/7386 [neu], S. 49).
- 29
- (3) Dieser Auffassung kann indes nicht gefolgt werden.
- 30
- Der Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz", der wortgleich in § 1 StGB und in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegt ist, soll einerseits sicherstellen, dass jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist; andererseits wird dadurch gewährleistet, dass der Gesetzgeber, nicht aber die vollziehende oder die Recht sprechende Gewalt darüber entscheidet, welches Verhalten strafbar ist (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 15. September 2011 - 1 BvR 519/10, NVwZ 2012, 504, 505 mwN). Für die Rechtsprechung folgt daraus ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie, wobei Analogie nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen ist; vielmehr wird jede Rechtsanwendung ausgeschlossen, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11, NVwZ 2015, 361, 362 mwN).
- 31
- Nach diesen Maßstäben könnte die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG nur dann bei der Prüfung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zur Anwendung gelangen, wenn damit eine Erweiterung der Strafbarkeit nach dieser Vorschrift nicht verbunden wäre. Gerade dies ist indes der Fall:
- 32
- Nach der - wie dargelegt - gebotenen restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Verwendens" sind die Fälle, in denen Mitglieder eines nicht verbotenen Schwestervereins unter Beifügung unterscheidender Ortsoder Untergliederungsbezeichnungen die Kennzeichen eines verbotenen Vereins tragen und die der Gesetzgeber bei der Einführung von § 9 Abs. 3 VereinsG im Blick hatte, von der Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG gerade nicht erfasst. Die Anwendung der polizeirechtlichen Regelung im Rahmen der Strafvorschrift würde dieses Ergebnis - wenn auch nur unter der einschränkenden Voraussetzung, dass die selbständigen Schwestervereine die "Zielrichtung des verbotenen Vereins" teilen - indes umkehren; sie hätte damit strafbarkeitserweiternden Charakter. Da der Gesetzgeber § 9 Abs. 3 VereinsG in der Strafnorm - insbesondere auch in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG - nicht in Bezug genommen und damit nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass er auch das Verwenden von Kennzeichen verbotener Vereine "in im Wesentlichen gleicher Form" der Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG unterworfen wissen wollte, kommt eine unmittelbare Anwendung der polizeirechtlichen Regelung nicht in Betracht; aufgrund des Analogieverbots verbietet sich für die Strafgerichte auch eine das Merkmal des "Verwendens" nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG erweiternde Auslegung der Strafvorschrift, die die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG berücksichtigt.
- 33
- Diesem Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 VereinsG sei verwaltungsakzessorisch (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Januar 1996 - 3 StR 530/95, BGHSt 42, 30, 36 zu § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG), so dass die verwaltungsrechtlichen Vorgaben bei der Auslegung der Strafvorschrift zwingend berücksichtigt werden müssten (in diesem Sinne aber wohl Stegbauer, NStZ 2014, 621, 623). Denn jedenfalls der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG enthält in sich alle Merkmale der Strafbarkeit und regelt etwa das Verbreiten der Kennzeichen (ohne Einschränkung strafbar) abweichend von dem polizeirechtlichen Kennzeichenverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG (Verbreiten von Kennzeichen nur verboten, wenn sie in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen geschieht). Der Regelungsgehalt von § 9 VereinsG unterscheidet sich von demjenigen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG etwa auch insoweit, als die Verwendung von Kennzeichen eines mit einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 VereinsG belegten ausländischen Vereins nicht nach § 9 VereinsG polizeirechtlich verboten ist, gleichwohl von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG aber unter Strafe gestellt wird. Der Gesetz- geber hat zudem durch die ausdrücklichen Verweise in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG auf die Sozialadäquanzklausel in § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG sowie auf § 9 Abs. 2 VereinsG deutlich gemacht, dass er die Strafbarkeit in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG eigenständig geregelt und nicht als rein akzessorische Pönalisierung des Verstoßes gegen ein polizeirechtliches Kennzeichenverbot ausgestaltet hat.
- 34
- (4) Nach alledem kommt es deshalb nicht mehr darauf an, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Merkmal des "Teilens der Zielrichtung" im Sinne von § 9 Abs. 3 VereinsG erfüllt ist (vgl. dazu OVG Rheinland -Pfalz, Urteil vom 22. März 2005 - 12 a 12101/04, juris Rn. 17; Groh, aaO, § 9 Rn. 11; Rau/Zschieschack, NStZ 2008, 131, 134; Mayer, Kriminalistik 2014, 236, 238; Albrecht/Braun, NJOZ 2014, 1481, 1483; Albrecht, HRRS 2015, 167, 173, die davon ausgehen, das Merkmal des Teilens der "Zielrichtung des verbotenen Vereins" müsse sich auf diejenigen Ziele beziehen, die zum Vereinsverbot geführt hatten und letztlich auch zum Verbot des Schwestervereins führen könnten; kritisch insoweit aber zugleich Rau/Zschieschack aaO; Mayer aaO, weil diese Auslegung des Merkmals dem vom Gesetzgeber intendierten Zweck der Regelung, die Kennzeichen verbotener Vereine effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen, nicht gerecht werde). Denn dies kann nach geltender Gesetzeslage nur für die Frage von Bedeutung sein, ob den Angeklagten bzw. anderen Mitgliedern nicht verbotener Chapter das Tragen der Westen mit den Kennzeichen (auch) der verbotenen Vereine polizeirechtlich verboten und dieses Verbot gegebenenfalls im Wege eines Verwaltungsvollstreckungsverfahrens durchgesetzt werden kann.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 31. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage (VG Gelsenkirchen, 16 K 3088/15) überwiegt.
4Ungeachtet der Frage, ob bzw. inwieweit die Beschwerdebegründung überhaupt den sich aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ergebenden Darlegungsanforderungen genügt, fällt jedenfalls auch die vom Senat nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgenommene Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus.
5Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht schon Einiges für die Rechtmäßigkeit des im Wege der Allgemeinverfügung angeordneten zeitlich und örtlich beschränkten Verbots des Tragens und Mitführens von Bekleidungsstücken mit Abzeichen, Emblemen, Schriftzügen, Colours oder sonstigen Kennzeichnungen der im Einzelnen aufgeführten Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlichen Gruppierungen während der Cranger Kirmes 2015 (sog. „Kuttenverbot“).
6Rechtsgrundlage für den Erlass der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 OBG NRW. Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf in überschaubarer Zukunft mit einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. In tatsächlicher Hinsicht bedarf es in Abgrenzung zu einem bloßen Gefahrenverdacht einer genügend abgesicherten Prognose auf den drohenden Eintritt von Schäden.
7Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 -, juris, Rn. 25; OVG NRW, Urteil vom 9. Februar 2012 - 5 A 2375/10 -, juris, Rn. 31.
8Das hier in Rede stehende Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. Je gewichtiger das bedrohte Schutzgut und je größer das Ausmaß des möglichen Schadens ist, umso geringere Anforderungen werden an die Schadensnähe gestellt. Für polizeiliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit genügt bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts, nicht jedoch die nur rein theoretische, praktisch aber auszuschließende Möglichkeit.
9Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2009 - 5 A 2239/08 -, juris, Rn. 19 f. m. w. N.
10Dies zugrunde gelegt, erweist sich die Annahme der Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung als nachvollziehbar, dass es beim Auftreten der einzelnen Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlichen Gruppierungen – auch der „Freeway Riders“, denen der Antragsteller angehört – mit den für sie jeweils charakteristischen Kleidungs- und Ausrüstungsgegenständen auf der Cranger Kirmes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden am Schutzgut der öffentlichen Sicherheit kommen wird. Insbesondere dürfte die Einschätzung gerechtfertigt sein, dass es jederzeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen kann, wenn Angehörige rivalisierender Gruppierungen aufeinanderstoßen, die angesichts ihrer „Uniformiertheit“ als solche erkennbar in Erscheinung treten und die sich durch das entsprechende uniformierte Auftreten der jeweils rivalisierenden Gruppe provoziert fühlen. Konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben sich v. a. aus der nunmehr vorliegenden „Lageentwicklung und Gefährdungsbewertung“ des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen von Januar 2014 und Januar 2015 zur Rockerkriminalität in Nordrhein-Westfalen, auf die die Antragsgegnerin in ihrer Allgemeinverfügung Bezug nimmt. Dort wird unter anderem ausgeführt, dass die „Rockerlage“ in Nordrhein-Westfalen geprägt sei von Expansionsbestrebungen der Gruppierungen. In diesem Zusammenhang komme es zur Verwirklichung von Gewaltdelikten bis hin zu schwersten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten. Dahinter stehen nach polizeilichen Erkenntnissen Konflikte um selbst erhobene Gebietsansprüche und Einflussbereiche, die mit aller Konsequenz durchgesetzt würden. Die Gruppierungen verfügten über Zugang zu Waffen unterschiedlichster Art. Sowohl bei vorbereitet erfolgenden Auseinandersetzungen als auch bei spontanen Gewalttätigkeiten sei mit dem Einsatz von Waffen und sonstigen gefährlichen Gegenständen zu rechnen; dies gelte insbesondere für den Einsatz von Schusswaffen. Angesichts der latent hohen Gewaltbereitschaft sei auch zukünftig jederzeit mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern verfeindeter Gruppierungen zu rechnen. Dabei entstünden auch Gefahren für Dritte.
11Anhaltspunkte, die die Plausibilität dieser polizeilichen Einschätzung in Frage stellen, sind nicht ersichtlich. Sie wird vielmehr untermauert durch eine Vielzahl an Vorfällen im Zusammenhang mit „Rockern“ in den letzten Jahren, welche das Polizeipräsidium C. für seinen Zuständigkeitsbereich festgehalten hat und die in der Allgemeinverfügung im Einzelnen aufgeführt sind. Insbesondere der Vorfall am 18. Mai 2014 in einer Gaststätte in C. macht dabei deutlich, dass die Mitglieder der hier in Rede stehenden Gruppierungen auch dann nicht vor der Begehung von Straftaten zurückschrecken, wenn unbeteiligte Dritte zugegen sind. Nach den vorliegenden Informationen drangen seinerzeit ca. zehn bis fünfzehn Mitglieder der „Freeway Riders“ in eine Gaststätte ein und zertrümmerten vor den Augen der Gaststättenbesucher die Einrichtung; Hintergrund waren Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Clubs. Dass die „Rocker“ selbst auf großen öffentlichen Veranstaltungen – und damit im Beisein einer Vielzahl unbeteiligter Personen – ihre Auseinandersetzungen austragen, zeigt der aktuelle Vorfall am 13. März 2015 vor Beginn eines Fußballspiels im S.-Stadion in C. Dort begingen Mitglieder der „Bandidos“ und „Supportergruppierungen“ – offenbar spontan – eine schwere Körperverletzung zum Nachteil eines Mitglieds der Gruppierung „United Tribunes“. Schon nach eigenen Angaben traten zudem die „Bandidos“ und die „Freeway Riders“ während der Cranger Kirmes 2013 gemeinsam auf, um „Stärke gegen die ,Hells Angels‘ zu zeigen“. Dies belegt nicht nur, dass gerade das uniformierte Auftreten in der Öffentlichkeit darauf abzielt, rivalisierende Gruppierungen zu provozieren. Es zeigt sich außerdem, dass nicht zuletzt auch die „Freeway Riders“ bereit sind, sich an Auseinandersetzungen der „Bandidos“ mit deren rivalisierenden Clubs zu beteiligen.
12Ausgehend hiervon ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auch auf der Cranger Kirmes 2015 mit der Begehung von Gewaltdelikten konkret zu rechnen sein dürfte, wenn dort rivalisierende, sich durch das Tragen ihrer Kutten etc. gegenseitig provozierende „Rockergruppierungen“ aufeinanderstoßen. Dabei wird zugrunde gelegt, dass vorliegend schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt, da im Schadensfall hochrangige Schutzgüter – Leib und Leben von Menschen – betroffen sind und das Ausmaß eines möglichen Schadens – im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden „Rockergruppierungen“ werden schwerste Körperverletzungs- bis hin zu Tötungsdelikten begangen – besonders groß sei kann. Angesichts des Umstands, dass es sich bei der Cranger Kirmes mit einer durchschnittlichen Besucherzahl von etwa vier Millionen Menschen innerhalb von zehn Tagen um eines der größten Volksfeste in Deutschland handelt mit einer im Vergleich zu anderen Volksfesten enorm hohen Dichte und Enge,
13vgl. Wikipedia-Eintrag zur „Cranger Kirmes“ vom 5. August 2015,
14können im Zuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden „Rockergruppierungen“ immer auch unbeteiligte Dritte zu Schaden kommen, zumal nach den polizeilichen Erkenntnissen hierbei mit dem Einsatz von Waffen – bis hin zu Schusswaffen – zu rechnen ist. Es spricht nach alldem Einiges dafür, dass die Schwelle zu einem bloßen Gefahrenverdacht vorliegend überschritten ist.
15Siehe dazu Schl.-H. OVG, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris, Rn. 35.
16Ungeachtet verbleibender Zweifel im Hinblick auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr, denen gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein wird, führt vorliegend jedenfalls eine allgemeine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinter dem öffentlichen Vollzugsinteresse zurücktritt.
17Das mit der Allgemeinverfügung verfolgte öffentliche Interesse, den Eintritt von Schäden an Leben und Gesundheit von Menschen zu verhindern, überwiegt das Interesse des Antragstellers, seine „Kutte“ auf der Cranger Kirmes zu tragen. Die Belastung des Antragstellers durch das „Kuttenverbot“ und die damit verbundene Beschränkung der von ihm geltend gemachten Freiheitsrechte ist demgegenüber gering. Dem Antragsteller ist es lediglich an zehn Tagen für jeweils einige Stunden und nur in dem in der Anlage zur Allgemeinverfügung näher festgelegten räumlichen Bereich, der dem Bereich gemäß der Festsetzungsverordnung zur Cranger Kirmes vom 2. Oktober 2013 entspricht, untersagt, Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände zu tragen, die in Text, Bild oder Zeichen den Namen, das Symbol oder sonstige Kennzeichnungen seiner Zugehörigkeit zu den „Freeway Riders“ wiedergeben; im Übrigen steht es ihm frei, die Cranger Kirmes ohne die genannten Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände uneingeschränkt zu besuchen und seine „Kutte“ während der Kirmeszeit außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung zu tragen.
18Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur (mangelnden) Strafbarkeit des Tragens von „Rocker-Kutten“. Der Bundesgerichtshof hat – soweit dies der bislang lediglich vorliegenden Pressemitteilung zu entnehmen ist – entschieden, dass das Tragen von „Rocker-Kutten“, auf denen gleichzeitig Kennzeichen des Motorrad-Clubs und die Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen „Chapters“ angebracht sind, mangels Vorliegens eines entsprechenden Straftatbestands nicht strafbar ist. Dass das Tragen einer „Rocker-Kutte“ nicht strafbar ist, bedeutet jedoch nicht grundsätzlich, dass dieses nicht zu Zwecken der Gefahrenabwehr untersagt werden kann. Auch der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass gleichwohl das Tragen einer „Kutte“ mit den entsprechenden Kennzeichen unter bestimmten Voraussetzungen polizeirechtlich verboten sein kann.
19Vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/13 -, Pressemitteilung Nr. 113/2015 des BGH (die Entscheidung liegt noch nicht gedruckt vor).
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.
22Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 16 K 3088/15 wird bezüglich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 angeordnet.Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragssteller.
2. Der Streitwert wird auf 5000,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 16 K 3088/15 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 betreffend das Trage- und Mitführungsverbot von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. von Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlicher Gruppierungen wiederherzustellen bzw. anzuordnen,
4ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn, wie hier hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der o.a. Allgemeinverfügung, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist, bzw. anordnen, wenn eine behördliche Maßnahme - wie hier die Androhung von Zwangsmitteln § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 des Justizgesetzes NRW (JustG NRW) in Ziffer 5 der o.a. Allgemeinverfügung - kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
6Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten nur abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ist jedoch regelmäßig nur insoweit zu berücksichtigen, als sie schon bei summarischer Überprüfung überschaubar ist. Eine abschließende Überprüfung der angefochtenen Allgemeinverfügung ist nicht gefordert.
7Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, juris.
8Vorliegend überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 das öffentliche Vollziehungsinteresse, hinsichtlich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
9Nach § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW (VwVfG NRW) ist ein Verwaltungsakt jede hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung gerichtet ist (Satz 1). Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich u.a. an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet (Satz 2). Die hier in Rede stehende Allgemeinverfügung regelt einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Tragen und Mitführen von bestimmter Bekleidung durch Personen, die sich in einem bestimmten Bereich – D. Kirmes – zu bestimmten Zeiten – unter Ziffer 2 aufgeführte Zeiten zwischen dem 7. und 17. August 2015 – aufhalten) und ist dabei auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Die Adressaten sind – als bestimmbarer Personenkreis – die Besucher der D. Kirmes.
10Die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung begegnet keinen Bedenken. Insbesondere ist sie durch die Veröffentlichung in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 11. Juli 2015 ordnungsgemäß bekannt gegeben worden; § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW i.V.m. § 23 der Hauptsatzung der Stadt I. .
11Entgegen dem Vortrag des Antragsstellers vermag die Kammer auch unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 zu erkennen. Nach dem im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG –) und einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG NW verankerten Bestimmtheitsgebot muss ein Verwaltungsakt inhaltlich so bestimmt sein, dass für die am Verwaltungsverfahren Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsaktes, der Gegenstand der getroffenen Regelung so vollständig und eindeutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach einrichten können.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 1998- 18 B 1958/97 -, juris.
13Die vorliegende Allgemeinverfügung regelt ganz genau, wann und wo welche Bekleidungsstücke nicht getragen werden dürfen. Die vom Antragsteller hinsichtlich der Bestimmtheit erhobenen Bedenken sind demgegenüber unsubstantiiert.
14Ansonsten ist die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 hinsichtlich ihrer Ziffern 1 bis 3 materiell nicht offensichtlich rechtmäßig; sie ist aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig.
15Rechtsgrundlage der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes NRW (OBG NRW). Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Gefahr ist eine Lage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen wird. Hat sich die Gefahr bereits zu einem Schaden entwickelt, so ist es Aufgabe der Gefahrenabwehr, die Fortdauer der eingetretenen Störung zu unterbinden und weitere Störungen abzuwehren.
16Der klassische Gefahrenbegriff ist dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden". Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial". Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen.
17Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 - Juris, vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 358 sowie Urteile vom 19. Dezember 1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - juris.
18Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das trifft sowohl für die „konkrete“ Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, als auch für die ordnungsbehördlichen Verordnungen zugrunde liegende „abstrakte Gefahr“. Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. durch die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz, zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall – anders als bei der konkreten Gefahr – verzichtet werden kann. Hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit muss differenziert werden je nachdem, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu einer hinreichend abgesicherten Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern – allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben.
19Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, a.a.O., m.w.N.
20Ob hier nach diesen Maßstäben schon von einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW gesprochen werden kann oder nur von einem Gefahrenverdacht,
21so angenommen von VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. und OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris, in den dort entschiedenen Fällen,
22kann bei der vorliegend allein gebotenen summarischen Prüfung weder offensichtlich bejaht noch offensichtlich verneint werden.
23Der Antragsteller hat vorgetragen, dass das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. des Freeway Riders MC, dem er angehöre, nicht strafbar sei. Das ist zutreffend. Denn der Verein Freeway Riders MC ist nicht nach § 3 des Vereinsgesetzes verboten. Ob und in welchem Umfang das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. der anderen in der Allgemeinverfügung aufgeführten Gruppierungen strafbar ist,
24vgl. zur Strafbarkeit des Tragens von „Rocker-Kutten“ aktuell auch BGH, Pressemitteilung über ein Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, das noch nicht veröffentlicht ist,
25kann dahinstehen. Für die hier in Rede stehenden Fragen der Gefahrenabwehr kommt es darauf im Ausgangspunkt ohnehin nicht entscheidend an. Auch ein strafloses Verhalten kann eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW darstellen.
26Die Antragsgegnerin beruft sich laut der ihrer Allgemeinverfügung beigegebenen Begründung zunächst darauf, dass das Tragen der so genannten „Kutten“ auf die Kirmesbesucher massiv einschüchternd wirke. Dies mag so sein. Ob allein ein eventuelles Hervorrufen von Unwohlsein infolge Einschüchterung eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW begründet, erscheint jedoch fraglich. Nun kommt nach Auffassung der Antragsgegnerin aber hinzu, dass das Tragen der „Kutten“ eine Provokation darstelle bzw. als eine solche wahrgenommen werden könne und es in der Folge zu schwerwiegenden Reaktionen gegnerischer Gruppierungen bis hin zu Gewaltanwendungen kommen könne. Die Antragsgegnerin beruft sich insoweit auf eine Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamts Düsseldorf von Januar 2014 und eine polizeiliche Lageeinschätzung von Januar 2015. Sie hat diese Dokumente dem Gericht aber trotz Aufforderung nicht zukommen lassen. Die stattdessen mit Schriftsatz vom 30. Juli 2015 übersandten Dokumente sind diesbezüglich gänzlich unergiebig, wie der Antragsteller zu Recht moniert. Gleiches gilt für die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung, die sich auf zwei Sätze beschränken. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung aber mehrere konkrete Vorfälle aufgeführt, bei denen in I. um Umgebung Motorradgruppierungen einschüchternd bzw. gewalttätig aufgetreten bzw. Gegenstand polizeilicher Ermittlungen gewesen seien. Diese Vorfälle betreffen auch den Freeway Riders MC, dem der Antragsteller angehört. Zuletzt wurden danach am 27. November 2014 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder dieser Gruppierung mehrere Schusswaffen aufgefunden. Die in der Allgemeinverfügung aufgeführten Vorfälle werden vom Antragsteller – abgesehen von Einzelheiten zu dem Vorfall vom 8. Juni 2014 – nicht bestritten. Abgesehen davon ist auch aus der allgemeinen Medienberichterstattung bekannt, dass Sicherheitsexperten nach wie vor mit schweren Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen von Motorradrockern in deutschen Städten rechnen.
27Vgl. etwa Focus Nr. 31/2015 vom 24. Juli 2015, abrufbar unter www.focus.de.
28Ob es ausgerechnet auf der D. Kirmes 2015 zu solchen Ausschreitungen kommen könnte, ist naturgemäß fraglich. Nun ist aber hinsichtlich des für die Annahme einer konkreten Gefahr nötigen Grades der Wahrscheinlichkeit – wie ausgeführt – danach zu differenzieren, welches Schutzgut auf dem Spiel steht; ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass es bei einem Volksfest wie der D. Kirmes, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht (vgl. hierzu auch die vom Antragsteller vorgelegten Berichte über Schlägereien), zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht. Auch in derartigen Fällen, in denen bei negativem Verlauf mit großen Schäden an wichtigen Rechtsgütern gerechnet werden muss, ist die Schwelle zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts aber nicht so niedrig, dass bereits jede Mutmaßung einer Auseinandersetzung die Annahme einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW rechtfertigen könnte. In diesem Zusammenhang ist für die Kammer bedeutsam, dass hier, anders als etwa in dem Fall, den das OVG Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte,
29vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, a.a.O.,
30in der Vergangenheit schon zweimal Motorradgruppierungen auf der konkret in Rede stehenden Veranstaltung aufgetreten sind. Am 9. August 2013 sind, so die Begründung der Allgemeinverfügung, insgesamt 100 Personen, die hälftig zum Bandidos MC, hälftig zum Freeway Riders MC gehörten, in Kutten auf der D. Kirmes aufgelaufen (sog. „Schaulaufen“), um dort – nach eigener Einlassung – „Stärke gegen die Hells Angels zu zeigen“. Am nächsten Tag sind erneut 70 Mitglieder des MC Bandidos aufmarschiert.
31Vgl. Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 20. Juli 2014, abrufbar unter www.derwesten.de.
32Es ist alles andere als fernliegend, dass sich bei einer Aussetzung der Vollziehung der vorliegenden Allgemeinverfügung ein solches Szenario wiederholen könnte. Es ist zwar bei den „Schaulaufen“ im Jahre 2013 zu keinen Gewaltausbrüchen gekommen. Dies mag aber auch daran gelegen haben, dass gerade keine rivalisierenden Gruppierungen in der Nähe waren. Denn wer nach eigenem Bekunden gegen andere Gruppierungen „Stärke zeigen“ wollte, wäre bei deren Auftauchen möglicherweise auch gewalttätig geworden. Bei der diesjährigen D. Kirmes könnte es, anders als in 2013, durchaus zu Begegnungen rivalisierender Gruppen kommen.
33Ob im vorliegenden Fall eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW vorliegt, ist nach alledem weder offensichtlich zu bejahen noch offensichtlich zu verneinen.
34Die Interessenabwägung des § 80 Abs. 5 VwGO hat hier daher letztlich im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung zu erfolgen.
35Dabei überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung im Ergebnis – noch – das öffentliche Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
36Der Antragsteller beruft sich auf seine Freiheitsrechte. Er tut dies auch mit Recht. Wie bereits ausgeführt, ist das Tragen und Mitführen von Abzeichen des MC Freeway nicht strafbar. Sein Handeln ist auch durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG geschützt.
37Vgl. zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dessen Schranken u.a. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 1 BvR 472/14 -, juris.
38In dieses Freiheitsrecht darf keinesfalls mit diskriminierender Absicht eingegriffen werden, etwa weil die (legale) Organisation, der der Betreffende angehört, aus bestimmten Gründen missliebig erscheint. Andererseits sind Einschränkungen der Freiheitsrechte aus Gründen der Gefahrenabwehr vom Grundsatz her zulässig. Die Einschränkungen, denen der Antragsteller durch die Allgemeinverfügung unterliegt, sind im vorliegenden Fall letztlich nicht sehr weit reichend. Sie betreffen nur die sogenannte Sozialsphäre des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht aber dessen Kernbereich, schon gar nicht die Intimsphäre des Antragstellers. Dem Antragssteller ist es nicht verwehrt, die D. Kirmes zu besuchen, nur eben nicht in seiner Kutte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Besuch ausgerechnet der D. Kirmes zum Kernbereich der Vereinsaktivität des Freeway Riders MC gehört. Vielmehr dürfte Kernbereich der Vereinsaktivität das Motorradfahren sein. Im Übrigen ist ein etwaiges „Schaulaufen“ andernorts von der Allgemeinverfügung nicht betroffen. Es geht hier nur um den Besuch der D. Kirmes.
39Dem gegenüber besteht ein erhebliches, das Interesse des Antragsstellers letztlich überwiegendes öffentliches Interesse daran, Störungen von der D. Kirmes fernzuhalten. Abgesehen davon, dass den Besuchern ein angstfreies Besuchen der Kirmes möglich sein soll, dürfte es – wie bereits ausgeführt - auf der Hand liegen, dass es bei einem derartigen Volksfest, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht, zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer – hier eben nicht auszuschließenden – Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht.
40Hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung unter Ziffer 5 der angefochtenen Allgemeinverfügung fällt die Interessenabwägung dagegen zu Gunsten des Antragstellers aus. Insoweit bestehen Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Zwangsmittelandrohung, da es an der gemäß § 63 Abs. 6 Satz 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW (VwVG NRW) erforderlichen Zustellung fehlen dürfte. Insbesondere ist zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 10 des Landeszustellungsgesetzes NRW (LZG NRW) für eine öffentliche Zustellung vorliegen. Es bleibt der Antragsgegnerin jedoch unbenommen, etwaige Zwangsmittelandrohungen den jeweils Betroffenen vor Ort unmittelbar zuzustellen.
41So jedenfalls OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2010 - 5 B 119/10 -; vgl. im Übrigen bereits VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, jeweils juris.
42Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass sich die Zwangsmittelandrohung, wegen der die Antragsgegnerin unterliegt, nicht streitwerterhöhend auswirkt.
43Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen wird.
Gründe
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Die auf einen Verfahrensfehler (§ 67 Satz 1 LDG NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.
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1. Der 1970 geborene Beklagte stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 31. Oktober 2008 als Stadtoberinspektor im Dienst der Klägerin. Als Krankheiten sind in dem der Zurruhesetzung zugrunde liegenden Gutachten u.a. genannt: schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, narzisstische Persönlichkeitsstörung. Der Beklagte ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Ende Oktober 2007 beliefen sich die Schulden des Beklagten auf über 1,1 Mio. €. Das damals eingeleitete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten ist nach der Restschuldbefreiung inzwischen beendet. Im Mai 2010 erließ das Amtsgericht gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in zehn Fällen einen Strafbefehl, in dem es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten festsetzte. Im Zeitraum von April bis November 2005 hatte der Beklagte als Mitgesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft in bewusstem und gewollten Zusammenwirken mit einem Dritten Rechnungen gefälscht, die dem Finanzamt vorgelegt wurden. Aufgrund dieser Rechnungen wurden unberechtigt Vorsteuern in Ansatz gebracht, wodurch insgesamt Steuern in Höhe von 157 654,12 € verkürzt wurden.
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Im sachgleichen Disziplinarverfahren beteiligte die Klägerin den Schwerbehindertenvertreter und holte im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten, seine Schuldfähigkeit sei im Tatzeitraum aufgrund der bei ihm bestehenden narzisstischen Persönlichkeitsstörung vermindert gewesen, ein forensisch-psychiatrisches Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Beklagten ein. Auf die Disziplinarklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
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Durch die Straftaten, die der Beklagte eingeräumt habe, habe er gegen die Pflicht verstoßen, durch sein Verhalten außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordere. Das außerdienstliche Fehlverhalten sei auch disziplinarwürdig, weil es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sei, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt des Beklagten oder das Ansehen des öffentlichen Dienstes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Bei Würdigung sämtlicher zu berücksichtigenden Umstände sei dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen. Das vom Beklagten begangene Dienstvergehen wiege so schwer, dass seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert sei. Angesichts des Strafrahmens von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe sei die disziplinarrechtliche Ahndung bis hin zur Höchstmaßnahme eröffnet. Die Schwere des Dienstvergehens des Beklagten zeige sich auch daran, dass das Strafgericht mit einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten das Strafmaß, das nach § 24 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG bereits kraft Gesetzes zur Beendigung des Beamtenverhältnisses führe, nur geringfügig unterschritten habe. Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten sowie zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung fielen nicht derart ins Gewicht, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Disziplinarmaßnahme geboten sei. Eine im Sinne des § 21 StGB erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten zur Tatzeit, die regelmäßig die Verhängung der Höchstmaßnahme ausschließe, sei nicht gegeben gewesen. Auf der Grundlage des von der Klägerin im Disziplinarverfahren eingeholten Gutachtens sei davon auszugehen, dass die Steuerungsfähigkeit des Beklagten während der Begehung der disziplinarrechtlich bedeutsamen Handlungen nicht vermindert, geschweige denn erheblich vermindert gewesen sei.
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2. Der vom Beklagten in der Beschwerdebegründung geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 67 Satz 1 LDG NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
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Die Beschwerde bringt vor, das Oberverwaltungsgericht habe dadurch gegen die ihm obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen, dass es zur Frage, ob der Beklagte bei Begehung der Tat i.S.v. § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig gewesen sei, weder den behandelnden Arzt als Zeugen vernommen noch ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt habe. Dieser Vorwurf trifft nicht zu.
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Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies nach ihrem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1; Beschluss vom 28. Januar 2015 - 2 B 15.14 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 11 Rn. 16 ff.).
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Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldfähigkeit des Beamten bei Begehung der Tat gemindert war, so darf das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Bemessungsentscheidung diesen Aspekt nicht offen lassen oder zu Gunsten des Betroffenen unterstellen und sogleich auf die Einsehbarkeit der betreffenden Pflicht abstellen. Vielmehr muss es die Frage einer Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten aufklären (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 2 B 61.10 - USK 2011, 165 Rn. 9 und vom 28. Januar 2015 - 2 B 15.14 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 11 Rn. 18 f.). Hat der Beamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung i.S.v. § 20 StGB gelitten oder sollte eine solche Störung nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mit dem ihm zukommenden Gewicht heranzuziehen. Bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit wird die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden können (BVerwG, Urteil vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 LS 1 und Rn. 29 ff.).
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Daran gemessen muss geklärt werden, ob der Beamte im Tatzeitraum an einer seelischen Störung i.S.v. § 20 StGB gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Hierfür bedarf es in der Regel besonderer medizinischer Sachkunde. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit vorliegen. Denn von den Auswirkungen der krankhaften seelischen Störung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in Bezug auf das Verhalten des Beamten hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB ab. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - Rn. 30
§ 70 bdg nr. 3>).
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Das Oberverwaltungsgericht hat hinsichtlich der entscheidungserheblichen Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten zum Tatzeitpunkt für sich keine medizinische Sachkunde in Anspruch genommen, sondern hat sich auf das im Disziplinarverfahren von der Klägerin eingeholte forensisch-psychiatrische Gutachten gestützt. Auch im Disziplinarverfahren darf das Gericht im Grundsatz auf ein im vorangegangenen Verwaltungsverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten zurückgreifen (BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1984 - 1 D 58.83 - BVerwGE 76, 135 <137>). Dies erscheint schon deshalb gerechtfertigt, weil das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten zeitlich näher am Tatzeitraum liegt als ein erst im gerichtlichen Verfahren eingeholtes Gutachten.
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Hinsichtlich der Art und Anzahl eines (ggf. zusätzlich) einzuholenden Sachverständigengutachtens ist den Tatsachengerichten nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 und 412 ZPO Ermessen eröffnet. Die unterlassene Einholung eines zusätzlichen Gutachtens ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits eine sachverständige Äußerung zu einem Beweisthema vor, muss es ein weiteres Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45>; Beschlüsse vom 29. Mai 2009 - 2 B 3.09 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5 Rn. 7 und vom 26. September 2014 - 2 B 14.14 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 18 f. m.w.N.). Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (BVerwG, Urteile vom 15. Oktober 1985 - 9 C 3.85 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38 S. 122, vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2 und vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - NVwZ 2016, 308 Rn. 47; Beschluss vom 27. März 2013 - 10 B 34.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 109 Rn. 4).
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Gemessen an diesen Grundsätzen zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass das Berufungsgericht bei der Klärung der Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt hat.
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Die Sachverständige, eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die den Beklagten in einem mehrstündigen Gespräch untersucht hat, hat ausdrücklich festgestellt, dass trotz des Vorliegens einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Begehung der Taten aus psychiatrischer Sicht nicht begründet werden könne; zudem habe die Einsichtsfähigkeit bestanden. Für eine depressive Erkrankung des Beklagten mit oder ohne psychotische Symptome im Zeitraum der Tatbegehung im Jahr 2005 bestünden keinerlei Anhaltspunkte.
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Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der Beklagte vor Erlass des Berufungsurteils solche Bedenken gegen das Sachverständigengutachten vorgebracht hat, die das Oberverwaltungsgericht nach den dargestellten Maßstäben zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hätten veranlassen müssen.
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Bereits nach der Begründung der Beschwerde hat der Beklagte in der Berufungsverhandlung selbst nichts Entsprechendes vorgetragen. Denn in der Beschwerdebegründung verweist der Beklagte insoweit lediglich auf die Klageerwiderung sowie die Berufungsbegründung. Das knappe Vorbringen in der Berufungsbegründung vom 29. Oktober 2013 hat dem Oberverwaltungsgericht aber ebenfalls keinen Anlass zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines weiteren Gutachtens gegeben. Weder wird eine schriftliche Stellungnahme des behandelnden Arztes vorgelegt, aus der sich ein Widerspruch zum ausführlichen Gutachten der Sachverständigen substanziiert entnehmen ließe, noch wird dargelegt, welcher Fachrichtung der behandelnde Arzt zuzuordnen ist, noch wird ausgeführt, seit wann der benannte Arzt den Beklagten behandelt. Insbesondere wird nicht aufgezeigt, weshalb ausgehend von der festgestellten ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung entgegen dem vorliegenden schriftlichen Gutachten von einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt auszugehen ist. Die pauschale Behauptung, der behandelnde Arzt schätze die Schuldfähigkeit anders ein als die Sachverständige, reicht hierfür nicht aus.
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Das Entsprechende gilt für die Anregung, den behandelnden Arzt als "Zeugen" zu vernehmen. Insoweit kam wegen der Natur der vergangenen Tatsachen oder Zustände, zu denen der Arzt gehört werden sollte, nur eine Vernehmung als sachverständiger Zeuge (§ 85 StPO) in Betracht. Im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten im Vorfeld der Berufungsverhandlung, das die Erkenntnisse des Gutachtens nicht substanziiert in Frage gestellt hatte, hatte das Oberverwaltungsgericht aber keine Veranlassung, den Arzt zu vernehmen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NW erhoben werden.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.
(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.
(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 16 K 3088/15 wird bezüglich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 angeordnet.Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragssteller.
2. Der Streitwert wird auf 5000,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 16 K 3088/15 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 betreffend das Trage- und Mitführungsverbot von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. von Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlicher Gruppierungen wiederherzustellen bzw. anzuordnen,
4ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn, wie hier hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der o.a. Allgemeinverfügung, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist, bzw. anordnen, wenn eine behördliche Maßnahme - wie hier die Androhung von Zwangsmitteln § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 des Justizgesetzes NRW (JustG NRW) in Ziffer 5 der o.a. Allgemeinverfügung - kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
6Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten nur abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ist jedoch regelmäßig nur insoweit zu berücksichtigen, als sie schon bei summarischer Überprüfung überschaubar ist. Eine abschließende Überprüfung der angefochtenen Allgemeinverfügung ist nicht gefordert.
7Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, juris.
8Vorliegend überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 das öffentliche Vollziehungsinteresse, hinsichtlich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
9Nach § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW (VwVfG NRW) ist ein Verwaltungsakt jede hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung gerichtet ist (Satz 1). Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich u.a. an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet (Satz 2). Die hier in Rede stehende Allgemeinverfügung regelt einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Tragen und Mitführen von bestimmter Bekleidung durch Personen, die sich in einem bestimmten Bereich – D. Kirmes – zu bestimmten Zeiten – unter Ziffer 2 aufgeführte Zeiten zwischen dem 7. und 17. August 2015 – aufhalten) und ist dabei auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Die Adressaten sind – als bestimmbarer Personenkreis – die Besucher der D. Kirmes.
10Die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung begegnet keinen Bedenken. Insbesondere ist sie durch die Veröffentlichung in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 11. Juli 2015 ordnungsgemäß bekannt gegeben worden; § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW i.V.m. § 23 der Hauptsatzung der Stadt I. .
11Entgegen dem Vortrag des Antragsstellers vermag die Kammer auch unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 zu erkennen. Nach dem im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG –) und einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG NW verankerten Bestimmtheitsgebot muss ein Verwaltungsakt inhaltlich so bestimmt sein, dass für die am Verwaltungsverfahren Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsaktes, der Gegenstand der getroffenen Regelung so vollständig und eindeutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach einrichten können.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 1998- 18 B 1958/97 -, juris.
13Die vorliegende Allgemeinverfügung regelt ganz genau, wann und wo welche Bekleidungsstücke nicht getragen werden dürfen. Die vom Antragsteller hinsichtlich der Bestimmtheit erhobenen Bedenken sind demgegenüber unsubstantiiert.
14Ansonsten ist die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 hinsichtlich ihrer Ziffern 1 bis 3 materiell nicht offensichtlich rechtmäßig; sie ist aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig.
15Rechtsgrundlage der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes NRW (OBG NRW). Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Gefahr ist eine Lage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen wird. Hat sich die Gefahr bereits zu einem Schaden entwickelt, so ist es Aufgabe der Gefahrenabwehr, die Fortdauer der eingetretenen Störung zu unterbinden und weitere Störungen abzuwehren.
16Der klassische Gefahrenbegriff ist dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden". Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial". Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen.
17Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 - Juris, vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 358 sowie Urteile vom 19. Dezember 1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - juris.
18Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das trifft sowohl für die „konkrete“ Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, als auch für die ordnungsbehördlichen Verordnungen zugrunde liegende „abstrakte Gefahr“. Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. durch die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz, zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall – anders als bei der konkreten Gefahr – verzichtet werden kann. Hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit muss differenziert werden je nachdem, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu einer hinreichend abgesicherten Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern – allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben.
19Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, a.a.O., m.w.N.
20Ob hier nach diesen Maßstäben schon von einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW gesprochen werden kann oder nur von einem Gefahrenverdacht,
21so angenommen von VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. und OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris, in den dort entschiedenen Fällen,
22kann bei der vorliegend allein gebotenen summarischen Prüfung weder offensichtlich bejaht noch offensichtlich verneint werden.
23Der Antragsteller hat vorgetragen, dass das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. des Freeway Riders MC, dem er angehöre, nicht strafbar sei. Das ist zutreffend. Denn der Verein Freeway Riders MC ist nicht nach § 3 des Vereinsgesetzes verboten. Ob und in welchem Umfang das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. der anderen in der Allgemeinverfügung aufgeführten Gruppierungen strafbar ist,
24vgl. zur Strafbarkeit des Tragens von „Rocker-Kutten“ aktuell auch BGH, Pressemitteilung über ein Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, das noch nicht veröffentlicht ist,
25kann dahinstehen. Für die hier in Rede stehenden Fragen der Gefahrenabwehr kommt es darauf im Ausgangspunkt ohnehin nicht entscheidend an. Auch ein strafloses Verhalten kann eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW darstellen.
26Die Antragsgegnerin beruft sich laut der ihrer Allgemeinverfügung beigegebenen Begründung zunächst darauf, dass das Tragen der so genannten „Kutten“ auf die Kirmesbesucher massiv einschüchternd wirke. Dies mag so sein. Ob allein ein eventuelles Hervorrufen von Unwohlsein infolge Einschüchterung eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW begründet, erscheint jedoch fraglich. Nun kommt nach Auffassung der Antragsgegnerin aber hinzu, dass das Tragen der „Kutten“ eine Provokation darstelle bzw. als eine solche wahrgenommen werden könne und es in der Folge zu schwerwiegenden Reaktionen gegnerischer Gruppierungen bis hin zu Gewaltanwendungen kommen könne. Die Antragsgegnerin beruft sich insoweit auf eine Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamts Düsseldorf von Januar 2014 und eine polizeiliche Lageeinschätzung von Januar 2015. Sie hat diese Dokumente dem Gericht aber trotz Aufforderung nicht zukommen lassen. Die stattdessen mit Schriftsatz vom 30. Juli 2015 übersandten Dokumente sind diesbezüglich gänzlich unergiebig, wie der Antragsteller zu Recht moniert. Gleiches gilt für die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung, die sich auf zwei Sätze beschränken. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung aber mehrere konkrete Vorfälle aufgeführt, bei denen in I. um Umgebung Motorradgruppierungen einschüchternd bzw. gewalttätig aufgetreten bzw. Gegenstand polizeilicher Ermittlungen gewesen seien. Diese Vorfälle betreffen auch den Freeway Riders MC, dem der Antragsteller angehört. Zuletzt wurden danach am 27. November 2014 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder dieser Gruppierung mehrere Schusswaffen aufgefunden. Die in der Allgemeinverfügung aufgeführten Vorfälle werden vom Antragsteller – abgesehen von Einzelheiten zu dem Vorfall vom 8. Juni 2014 – nicht bestritten. Abgesehen davon ist auch aus der allgemeinen Medienberichterstattung bekannt, dass Sicherheitsexperten nach wie vor mit schweren Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen von Motorradrockern in deutschen Städten rechnen.
27Vgl. etwa Focus Nr. 31/2015 vom 24. Juli 2015, abrufbar unter www.focus.de.
28Ob es ausgerechnet auf der D. Kirmes 2015 zu solchen Ausschreitungen kommen könnte, ist naturgemäß fraglich. Nun ist aber hinsichtlich des für die Annahme einer konkreten Gefahr nötigen Grades der Wahrscheinlichkeit – wie ausgeführt – danach zu differenzieren, welches Schutzgut auf dem Spiel steht; ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass es bei einem Volksfest wie der D. Kirmes, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht (vgl. hierzu auch die vom Antragsteller vorgelegten Berichte über Schlägereien), zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht. Auch in derartigen Fällen, in denen bei negativem Verlauf mit großen Schäden an wichtigen Rechtsgütern gerechnet werden muss, ist die Schwelle zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts aber nicht so niedrig, dass bereits jede Mutmaßung einer Auseinandersetzung die Annahme einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW rechtfertigen könnte. In diesem Zusammenhang ist für die Kammer bedeutsam, dass hier, anders als etwa in dem Fall, den das OVG Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte,
29vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, a.a.O.,
30in der Vergangenheit schon zweimal Motorradgruppierungen auf der konkret in Rede stehenden Veranstaltung aufgetreten sind. Am 9. August 2013 sind, so die Begründung der Allgemeinverfügung, insgesamt 100 Personen, die hälftig zum Bandidos MC, hälftig zum Freeway Riders MC gehörten, in Kutten auf der D. Kirmes aufgelaufen (sog. „Schaulaufen“), um dort – nach eigener Einlassung – „Stärke gegen die Hells Angels zu zeigen“. Am nächsten Tag sind erneut 70 Mitglieder des MC Bandidos aufmarschiert.
31Vgl. Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 20. Juli 2014, abrufbar unter www.derwesten.de.
32Es ist alles andere als fernliegend, dass sich bei einer Aussetzung der Vollziehung der vorliegenden Allgemeinverfügung ein solches Szenario wiederholen könnte. Es ist zwar bei den „Schaulaufen“ im Jahre 2013 zu keinen Gewaltausbrüchen gekommen. Dies mag aber auch daran gelegen haben, dass gerade keine rivalisierenden Gruppierungen in der Nähe waren. Denn wer nach eigenem Bekunden gegen andere Gruppierungen „Stärke zeigen“ wollte, wäre bei deren Auftauchen möglicherweise auch gewalttätig geworden. Bei der diesjährigen D. Kirmes könnte es, anders als in 2013, durchaus zu Begegnungen rivalisierender Gruppen kommen.
33Ob im vorliegenden Fall eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW vorliegt, ist nach alledem weder offensichtlich zu bejahen noch offensichtlich zu verneinen.
34Die Interessenabwägung des § 80 Abs. 5 VwGO hat hier daher letztlich im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung zu erfolgen.
35Dabei überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung im Ergebnis – noch – das öffentliche Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
36Der Antragsteller beruft sich auf seine Freiheitsrechte. Er tut dies auch mit Recht. Wie bereits ausgeführt, ist das Tragen und Mitführen von Abzeichen des MC Freeway nicht strafbar. Sein Handeln ist auch durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG geschützt.
37Vgl. zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dessen Schranken u.a. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 1 BvR 472/14 -, juris.
38In dieses Freiheitsrecht darf keinesfalls mit diskriminierender Absicht eingegriffen werden, etwa weil die (legale) Organisation, der der Betreffende angehört, aus bestimmten Gründen missliebig erscheint. Andererseits sind Einschränkungen der Freiheitsrechte aus Gründen der Gefahrenabwehr vom Grundsatz her zulässig. Die Einschränkungen, denen der Antragsteller durch die Allgemeinverfügung unterliegt, sind im vorliegenden Fall letztlich nicht sehr weit reichend. Sie betreffen nur die sogenannte Sozialsphäre des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht aber dessen Kernbereich, schon gar nicht die Intimsphäre des Antragstellers. Dem Antragssteller ist es nicht verwehrt, die D. Kirmes zu besuchen, nur eben nicht in seiner Kutte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Besuch ausgerechnet der D. Kirmes zum Kernbereich der Vereinsaktivität des Freeway Riders MC gehört. Vielmehr dürfte Kernbereich der Vereinsaktivität das Motorradfahren sein. Im Übrigen ist ein etwaiges „Schaulaufen“ andernorts von der Allgemeinverfügung nicht betroffen. Es geht hier nur um den Besuch der D. Kirmes.
39Dem gegenüber besteht ein erhebliches, das Interesse des Antragsstellers letztlich überwiegendes öffentliches Interesse daran, Störungen von der D. Kirmes fernzuhalten. Abgesehen davon, dass den Besuchern ein angstfreies Besuchen der Kirmes möglich sein soll, dürfte es – wie bereits ausgeführt - auf der Hand liegen, dass es bei einem derartigen Volksfest, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht, zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer – hier eben nicht auszuschließenden – Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht.
40Hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung unter Ziffer 5 der angefochtenen Allgemeinverfügung fällt die Interessenabwägung dagegen zu Gunsten des Antragstellers aus. Insoweit bestehen Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Zwangsmittelandrohung, da es an der gemäß § 63 Abs. 6 Satz 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW (VwVG NRW) erforderlichen Zustellung fehlen dürfte. Insbesondere ist zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 10 des Landeszustellungsgesetzes NRW (LZG NRW) für eine öffentliche Zustellung vorliegen. Es bleibt der Antragsgegnerin jedoch unbenommen, etwaige Zwangsmittelandrohungen den jeweils Betroffenen vor Ort unmittelbar zuzustellen.
41So jedenfalls OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2010 - 5 B 119/10 -; vgl. im Übrigen bereits VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, jeweils juris.
42Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass sich die Zwangsmittelandrohung, wegen der die Antragsgegnerin unterliegt, nicht streitwerterhöhend auswirkt.
43Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen wird.
(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden.
(2) Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder in das Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
(2a) Mit Einwilligung des Beteiligten kann ein elektronischer Verwaltungsakt dadurch bekannt gegeben werden, dass er vom Beteiligten oder von seinem Bevollmächtigten über öffentlich zugängliche Netze abgerufen wird. Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authentifizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Der Verwaltungsakt gilt am Tag nach dem Abruf als bekannt gegeben. Wird der Verwaltungsakt nicht innerhalb von zehn Tagen nach Absendung einer Benachrichtigung über die Bereitstellung abgerufen, wird diese beendet. In diesem Fall ist die Bekanntgabe nicht bewirkt; die Möglichkeit einer erneuten Bereitstellung zum Abruf oder der Bekanntgabe auf andere Weise bleibt unberührt.
(3) Ein Verwaltungsakt darf öffentlich bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine Allgemeinverfügung darf auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist.
(4) Die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes wird dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. In der ortsüblichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können. Der Verwaltungsakt gilt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden.
(5) Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 16 K 3088/15 wird bezüglich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 angeordnet.Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragssteller.
2. Der Streitwert wird auf 5000,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 16 K 3088/15 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 betreffend das Trage- und Mitführungsverbot von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. von Rocker-Motorradgruppierungen, „Outlaw Motorcycle Gangs“, Streetgangs oder rockerähnlicher Gruppierungen wiederherzustellen bzw. anzuordnen,
4ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn, wie hier hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der o.a. Allgemeinverfügung, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist, bzw. anordnen, wenn eine behördliche Maßnahme - wie hier die Androhung von Zwangsmitteln § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 des Justizgesetzes NRW (JustG NRW) in Ziffer 5 der o.a. Allgemeinverfügung - kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
6Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten nur abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ist jedoch regelmäßig nur insoweit zu berücksichtigen, als sie schon bei summarischer Überprüfung überschaubar ist. Eine abschließende Überprüfung der angefochtenen Allgemeinverfügung ist nicht gefordert.
7Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, juris.
8Vorliegend überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 das öffentliche Vollziehungsinteresse, hinsichtlich Ziffer 5 der Allgemeinverfügung überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
9Nach § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW (VwVfG NRW) ist ein Verwaltungsakt jede hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung gerichtet ist (Satz 1). Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich u.a. an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet (Satz 2). Die hier in Rede stehende Allgemeinverfügung regelt einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Tragen und Mitführen von bestimmter Bekleidung durch Personen, die sich in einem bestimmten Bereich – D. Kirmes – zu bestimmten Zeiten – unter Ziffer 2 aufgeführte Zeiten zwischen dem 7. und 17. August 2015 – aufhalten) und ist dabei auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Die Adressaten sind – als bestimmbarer Personenkreis – die Besucher der D. Kirmes.
10Die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung begegnet keinen Bedenken. Insbesondere ist sie durch die Veröffentlichung in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 11. Juli 2015 ordnungsgemäß bekannt gegeben worden; § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW i.V.m. § 23 der Hauptsatzung der Stadt I. .
11Entgegen dem Vortrag des Antragsstellers vermag die Kammer auch unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 7. Juli 2015 zu erkennen. Nach dem im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG –) und einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG NW verankerten Bestimmtheitsgebot muss ein Verwaltungsakt inhaltlich so bestimmt sein, dass für die am Verwaltungsverfahren Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsaktes, der Gegenstand der getroffenen Regelung so vollständig und eindeutig erkennbar ist, dass sie ihr Verhalten danach einrichten können.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 1998- 18 B 1958/97 -, juris.
13Die vorliegende Allgemeinverfügung regelt ganz genau, wann und wo welche Bekleidungsstücke nicht getragen werden dürfen. Die vom Antragsteller hinsichtlich der Bestimmtheit erhobenen Bedenken sind demgegenüber unsubstantiiert.
14Ansonsten ist die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2015 hinsichtlich ihrer Ziffern 1 bis 3 materiell nicht offensichtlich rechtmäßig; sie ist aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig.
15Rechtsgrundlage der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung ist § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes NRW (OBG NRW). Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Gefahr ist eine Lage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen wird. Hat sich die Gefahr bereits zu einem Schaden entwickelt, so ist es Aufgabe der Gefahrenabwehr, die Fortdauer der eingetretenen Störung zu unterbinden und weitere Störungen abzuwehren.
16Der klassische Gefahrenbegriff ist dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden". Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial". Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen.
17Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 - Juris, vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 358 sowie Urteile vom 19. Dezember 1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - juris.
18Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das trifft sowohl für die „konkrete“ Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, als auch für die ordnungsbehördlichen Verordnungen zugrunde liegende „abstrakte Gefahr“. Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. durch die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz, zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall – anders als bei der konkreten Gefahr – verzichtet werden kann. Hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit muss differenziert werden je nachdem, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu einer hinreichend abgesicherten Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern – allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben.
19Vgl. VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010- 20 L 88/10 -, a.a.O., m.w.N.
20Ob hier nach diesen Maßstäben schon von einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW gesprochen werden kann oder nur von einem Gefahrenverdacht,
21so angenommen von VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, a.a.O. und OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, juris, in den dort entschiedenen Fällen,
22kann bei der vorliegend allein gebotenen summarischen Prüfung weder offensichtlich bejaht noch offensichtlich verneint werden.
23Der Antragsteller hat vorgetragen, dass das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. des Freeway Riders MC, dem er angehöre, nicht strafbar sei. Das ist zutreffend. Denn der Verein Freeway Riders MC ist nicht nach § 3 des Vereinsgesetzes verboten. Ob und in welchem Umfang das Tragen von Bekleidungsstücken mit Abzeichen usw. der anderen in der Allgemeinverfügung aufgeführten Gruppierungen strafbar ist,
24vgl. zur Strafbarkeit des Tragens von „Rocker-Kutten“ aktuell auch BGH, Pressemitteilung über ein Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, das noch nicht veröffentlicht ist,
25kann dahinstehen. Für die hier in Rede stehenden Fragen der Gefahrenabwehr kommt es darauf im Ausgangspunkt ohnehin nicht entscheidend an. Auch ein strafloses Verhalten kann eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW darstellen.
26Die Antragsgegnerin beruft sich laut der ihrer Allgemeinverfügung beigegebenen Begründung zunächst darauf, dass das Tragen der so genannten „Kutten“ auf die Kirmesbesucher massiv einschüchternd wirke. Dies mag so sein. Ob allein ein eventuelles Hervorrufen von Unwohlsein infolge Einschüchterung eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW begründet, erscheint jedoch fraglich. Nun kommt nach Auffassung der Antragsgegnerin aber hinzu, dass das Tragen der „Kutten“ eine Provokation darstelle bzw. als eine solche wahrgenommen werden könne und es in der Folge zu schwerwiegenden Reaktionen gegnerischer Gruppierungen bis hin zu Gewaltanwendungen kommen könne. Die Antragsgegnerin beruft sich insoweit auf eine Lage- und Gefährdungsbewertung des Landeskriminalamts Düsseldorf von Januar 2014 und eine polizeiliche Lageeinschätzung von Januar 2015. Sie hat diese Dokumente dem Gericht aber trotz Aufforderung nicht zukommen lassen. Die stattdessen mit Schriftsatz vom 30. Juli 2015 übersandten Dokumente sind diesbezüglich gänzlich unergiebig, wie der Antragsteller zu Recht moniert. Gleiches gilt für die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung, die sich auf zwei Sätze beschränken. Immerhin hat die Antragsgegnerin in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung aber mehrere konkrete Vorfälle aufgeführt, bei denen in I. um Umgebung Motorradgruppierungen einschüchternd bzw. gewalttätig aufgetreten bzw. Gegenstand polizeilicher Ermittlungen gewesen seien. Diese Vorfälle betreffen auch den Freeway Riders MC, dem der Antragsteller angehört. Zuletzt wurden danach am 27. November 2014 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder dieser Gruppierung mehrere Schusswaffen aufgefunden. Die in der Allgemeinverfügung aufgeführten Vorfälle werden vom Antragsteller – abgesehen von Einzelheiten zu dem Vorfall vom 8. Juni 2014 – nicht bestritten. Abgesehen davon ist auch aus der allgemeinen Medienberichterstattung bekannt, dass Sicherheitsexperten nach wie vor mit schweren Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen von Motorradrockern in deutschen Städten rechnen.
27Vgl. etwa Focus Nr. 31/2015 vom 24. Juli 2015, abrufbar unter www.focus.de.
28Ob es ausgerechnet auf der D. Kirmes 2015 zu solchen Ausschreitungen kommen könnte, ist naturgemäß fraglich. Nun ist aber hinsichtlich des für die Annahme einer konkreten Gefahr nötigen Grades der Wahrscheinlichkeit – wie ausgeführt – danach zu differenzieren, welches Schutzgut auf dem Spiel steht; ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass es bei einem Volksfest wie der D. Kirmes, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht (vgl. hierzu auch die vom Antragsteller vorgelegten Berichte über Schlägereien), zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht. Auch in derartigen Fällen, in denen bei negativem Verlauf mit großen Schäden an wichtigen Rechtsgütern gerechnet werden muss, ist die Schwelle zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts aber nicht so niedrig, dass bereits jede Mutmaßung einer Auseinandersetzung die Annahme einer konkreten Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW rechtfertigen könnte. In diesem Zusammenhang ist für die Kammer bedeutsam, dass hier, anders als etwa in dem Fall, den das OVG Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte,
29vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 18. Januar 2012 - 4 KN 1/11 -, a.a.O.,
30in der Vergangenheit schon zweimal Motorradgruppierungen auf der konkret in Rede stehenden Veranstaltung aufgetreten sind. Am 9. August 2013 sind, so die Begründung der Allgemeinverfügung, insgesamt 100 Personen, die hälftig zum Bandidos MC, hälftig zum Freeway Riders MC gehörten, in Kutten auf der D. Kirmes aufgelaufen (sog. „Schaulaufen“), um dort – nach eigener Einlassung – „Stärke gegen die Hells Angels zu zeigen“. Am nächsten Tag sind erneut 70 Mitglieder des MC Bandidos aufmarschiert.
31Vgl. Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 20. Juli 2014, abrufbar unter www.derwesten.de.
32Es ist alles andere als fernliegend, dass sich bei einer Aussetzung der Vollziehung der vorliegenden Allgemeinverfügung ein solches Szenario wiederholen könnte. Es ist zwar bei den „Schaulaufen“ im Jahre 2013 zu keinen Gewaltausbrüchen gekommen. Dies mag aber auch daran gelegen haben, dass gerade keine rivalisierenden Gruppierungen in der Nähe waren. Denn wer nach eigenem Bekunden gegen andere Gruppierungen „Stärke zeigen“ wollte, wäre bei deren Auftauchen möglicherweise auch gewalttätig geworden. Bei der diesjährigen D. Kirmes könnte es, anders als in 2013, durchaus zu Begegnungen rivalisierender Gruppen kommen.
33Ob im vorliegenden Fall eine konkrete Gefahr i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW vorliegt, ist nach alledem weder offensichtlich zu bejahen noch offensichtlich zu verneinen.
34Die Interessenabwägung des § 80 Abs. 5 VwGO hat hier daher letztlich im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung zu erfolgen.
35Dabei überwiegt hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 der Allgemeinverfügung im Ergebnis – noch – das öffentliche Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
36Der Antragsteller beruft sich auf seine Freiheitsrechte. Er tut dies auch mit Recht. Wie bereits ausgeführt, ist das Tragen und Mitführen von Abzeichen des MC Freeway nicht strafbar. Sein Handeln ist auch durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG geschützt.
37Vgl. zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dessen Schranken u.a. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 1 BvR 472/14 -, juris.
38In dieses Freiheitsrecht darf keinesfalls mit diskriminierender Absicht eingegriffen werden, etwa weil die (legale) Organisation, der der Betreffende angehört, aus bestimmten Gründen missliebig erscheint. Andererseits sind Einschränkungen der Freiheitsrechte aus Gründen der Gefahrenabwehr vom Grundsatz her zulässig. Die Einschränkungen, denen der Antragsteller durch die Allgemeinverfügung unterliegt, sind im vorliegenden Fall letztlich nicht sehr weit reichend. Sie betreffen nur die sogenannte Sozialsphäre des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht aber dessen Kernbereich, schon gar nicht die Intimsphäre des Antragstellers. Dem Antragssteller ist es nicht verwehrt, die D. Kirmes zu besuchen, nur eben nicht in seiner Kutte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Besuch ausgerechnet der D. Kirmes zum Kernbereich der Vereinsaktivität des Freeway Riders MC gehört. Vielmehr dürfte Kernbereich der Vereinsaktivität das Motorradfahren sein. Im Übrigen ist ein etwaiges „Schaulaufen“ andernorts von der Allgemeinverfügung nicht betroffen. Es geht hier nur um den Besuch der D. Kirmes.
39Dem gegenüber besteht ein erhebliches, das Interesse des Antragsstellers letztlich überwiegendes öffentliches Interesse daran, Störungen von der D. Kirmes fernzuhalten. Abgesehen davon, dass den Besuchern ein angstfreies Besuchen der Kirmes möglich sein soll, dürfte es – wie bereits ausgeführt - auf der Hand liegen, dass es bei einem derartigen Volksfest, wo es voll ist, wo es eng ist und wo es ohnehin nicht immer völlig aggressionsfrei zugeht, zu erheblichen Schäden an Leib und Leben der Besucher kommen kann, wenn infolge einer – hier eben nicht auszuschließenden – Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Motorradgruppierungen etwa eine Massenpanik ausbricht.
40Hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung unter Ziffer 5 der angefochtenen Allgemeinverfügung fällt die Interessenabwägung dagegen zu Gunsten des Antragstellers aus. Insoweit bestehen Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Zwangsmittelandrohung, da es an der gemäß § 63 Abs. 6 Satz 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW (VwVG NRW) erforderlichen Zustellung fehlen dürfte. Insbesondere ist zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 10 des Landeszustellungsgesetzes NRW (LZG NRW) für eine öffentliche Zustellung vorliegen. Es bleibt der Antragsgegnerin jedoch unbenommen, etwaige Zwangsmittelandrohungen den jeweils Betroffenen vor Ort unmittelbar zuzustellen.
41So jedenfalls OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2010 - 5 B 119/10 -; vgl. im Übrigen bereits VG Köln, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 20 L 88/10 -, jeweils juris.
42Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass sich die Zwangsmittelandrohung, wegen der die Antragsgegnerin unterliegt, nicht streitwerterhöhend auswirkt.
43Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen wird.
(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden.
(2) Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder in das Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
(2a) Mit Einwilligung des Beteiligten kann ein elektronischer Verwaltungsakt dadurch bekannt gegeben werden, dass er vom Beteiligten oder von seinem Bevollmächtigten über öffentlich zugängliche Netze abgerufen wird. Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authentifizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Der Verwaltungsakt gilt am Tag nach dem Abruf als bekannt gegeben. Wird der Verwaltungsakt nicht innerhalb von zehn Tagen nach Absendung einer Benachrichtigung über die Bereitstellung abgerufen, wird diese beendet. In diesem Fall ist die Bekanntgabe nicht bewirkt; die Möglichkeit einer erneuten Bereitstellung zum Abruf oder der Bekanntgabe auf andere Weise bleibt unberührt.
(3) Ein Verwaltungsakt darf öffentlich bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine Allgemeinverfügung darf auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist.
(4) Die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes wird dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. In der ortsüblichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können. Der Verwaltungsakt gilt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden.
(5) Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.