Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 24. Juni 2016 - 2 K 2209/13
Tenor
Im Umfang von Ziffer 2 des Bescheidtenors wird der Bescheid vom 25. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der Promotion und die Rückforderung der Promotionsurkunde.
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Nach dem Studium der Rechtswissenschaft an der beklagten Hochschule bestand der Kläger am 18. Dezember 1995 die Erste Juristische Staatsprüfung.
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Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 1. Juni 1997 die Zulassung zur Promotion beim damaligen Fachbereich Rechtswissenschaft I der Beklagten. Er gab dabei die Versicherung gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 PromO 1972 ab, dass er die Dissertation selbst angefertigt und nur die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die vorgelegte Dissertation mit dem Titel: „…“ bewerteten der Betreuer der Dissertation und Erstgutachter Prof. Dr. A. in seinem Votum vom 16. Oktober 1997 und der Zweitgutachter Prof. Dr. B. in seinem Votum vom 23. Dezember 1997 jeweils mit der Note „magna cum laude“. Am 28. Januar 1998 bestand der Kläger das Kolloquium vor den Prüfern Prof. Dr. C., Prof. Dr. A. sowie Prof. Dr. D.. Der Sprecher des Fachbereichs Rechtswissenschaft I fertigte eine auf diesen Tag datierte Promotionsurkunde aus, mit der dem Kläger der Grad eines Doktors der Rechte verliehen wurde.
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Nach Bestehen der Großen Juristischen Staatsprüfung am 19. Mai 2000 nahm der Kläger die freiberufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt auf.
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Auf Antrag des Klägers vom 19. Dezember 2007 gewährte der damalige Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaft der Beklagten und Vorsitzende des Habilitationsausschusses Prof. Dr. E. ihm am 15. Januar 2008 die Zulassung zur Habilitation. Der Kläger legte eine Habilitationsschrift vor unter dem Titel: „…“. Der Erstgutachter Prof. Dr. F. schlug in seinem Votum vom 26. April 2008 die Annahme der Habilitationsschrift vor. Hingegen schlug der Zweitgutachter Prof. Dr. G. in seinem Votum vom 19. Juni 2008 die Ablehnung vor und führte aus:
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„Für eine wissenschaftliche Abhandlung ernstlich bedenklich ist indes, dass Verf. seine Thesen kaum argumentativ herausarbeitet, sondern im Wesentlichen behauptet […]. Gänzlich verstörend wirkt freilich, dass sich in den Schrifttumsnachweisen des geschilderten Abschnitts […] kein einziger Nachweis findet, der jünger als 13 Jahre wäre […] Des Rätsels Lösung besteht darin, dass Verf. an dieser Stelle der Arbeit in großen Teilen sowohl Text wie auch Fußnoten aus den S. 36 ff. seiner Dissertation aus dem Jahre 1998 […] wörtlich übernommen hat. Nun ist ein 'selbstreferenzielles' Vorgehen bekanntlich zwar nicht urheberrechtlich unzulässig, aber jedenfalls dann wissenschaftlich unredlich, wenn der Autor sich noch nicht einmal die Mühe macht, Text und Fußnoten zu aktualisieren.“
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Der im ursprünglichen Promotionsverfahren als Betreuer der Dissertation tätig gewordene Prof. Dr. A. wandte sich mit Schreiben vom 5. Dezember 2008 gegen dieses die Habilitationsschrift betreffende Zweitvotum. Gleichwohl beschloss der Habilitationsausschuss in seiner Sitzung vom 14. Januar 2009, dass die Habilitationsschrift unzureichend sei. Der Kläger wandte sich mit diversen Schreiben seiner Bevollmächtigten gegen diese Einschätzung.
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Unmittelbar vor einer auf den 27. Mai 2009 angesetzten Sitzung des Habilitationsausschusses unter dem Vorsitz von Prodekan Prof. Dr. D. als Vertreter des krankheitsbedingt fehlenden Dekans fand eine Unterredung des Vorsitzenden mit dem Bevollmächtigten des Klägers Rechtsanwalt H. statt. In dem Protokoll der anschließenden Sitzung des Habilitationsausschusses heißt es:
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„In diesem Gespräch haben sich der Vorsitzende und Herr Rechtsanwalt H. darauf verständigt, dass auf die Erörterung der schriftlichen Habilitationsleistung (§ 9 Abs. 2 Satz 3 der Habilitationsordnung) im gegenseitigen Einvernehmen verzichtet wird. Der Habilitationsausschuss billigt diese Einigung.
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Der Vorsitzende berichtet weiter, dass er Herrn Rechtsanwalt H. eine Schriftsatzfrist von zwei Monaten anbietet. Innerhalb dieser Frist soll ein Gespräch zwischen [dem Kläger], gegebenenfalls unter Beteiligung seiner Rechtsbeistände, und Herrn Prof. Dr. I. zu der Frage stattfinden, inwieweit es möglich ist, durch Ausgliederung eines Teils der bisher vorgelegten Arbeit und dessen vertiefte, dem Stand der Diskussion und der Rechtslage entsprechende Behandlung das Verfahren voranzutreiben. Herr Prof. Dr. I. erklärt sich zu einem solchen Gespräch bereit und wird im Voraus mit Herrn Prof. Dr. G. diese Frage erörtern. Prof. Dr. G. erklärt sich ebenfalls dazu bereit. Der Ausschuss billigt auch dieses Vorgehen.
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[…] Mit diesem Angebot der Fakultät ist noch keine Garantie einer günstigen Entscheidung verbunden. Vielmehr behält sich der Ausschuss eine Neubewertung des überarbeiteten Teils der Arbeit vor.“
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In der Folgezeit arbeitete der Kläger seine Habilitationsschrift um, jetzt unter dem Titel: „…“. Der nunmehr als Erstgutachter tätig gewordene Prof. Dr. I. in seinem Votum vom 25. März 2010 sowie daran anschließend der Zweitgutachter Prof. Dr. G. in seinem Votum vom 21. April 2010 schlugen eine Annahme der Habilitationsschrift mit einer Einschränkung der Lehrbefugnis (venia legendi) auf das „Gesellschaftsrecht unter besonderer Berücksichtigung des Aktienrechts“ vor.
- 13
Der Habilitationsausschuss erörterte in seiner Sitzung vom 7. Juli 2010 den Umstand, dass der vormalige Erstgutachter der Habilitationsschrift Prof. Dr. F. auf der Website der vom Kläger gegründeten Rechtsanwaltssozietät J. seit dem 1. Juni 2009 als „of counsel“ genannt worden war. Im Sitzungsprotokoll ist ausgeführt:
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„Sodann wird unter dem Vorbehalt, dass die Aufklärung keinen Verfahrensmangel ergibt, auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten von Prof. Dr. I. und Prof. Dr. G. einstimmig beschlossen, die Habilitationsschrift als schriftliche Habilitationsleistung anzunehmen.“
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Am 1. Oktober 2010 trat Prof. Dr. K. die Nachfolge von Prof. Dr. E. als Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaft und Vorsitzender des Habilitationsausschusses an.
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Am 17. Mai 2011 teilte Prof. Dr. I. den Mitgliedern des Habilitationsausschusses unter Hinweis auf die Tätigkeit des Prof. Dr. F. für die Rechtsanwaltssozietät des Klägers mit, er ziehe sein Gutachten zurück. Der Habilitationsausschuss möge den Promotionsausschuss bitten, „im Hinblick auf die vom Zweitgutachter G. in seinem ursprünglichen Gutachten aufgedeckten Plagiate in der Dissertation des [Klägers] das Verfahren zur Entziehung des Doktorgrads einzuleiten.“ Prof. Dr. I. teilte ferner mit, er halte sich für befangen.
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Der Zweitgutachter der Habilitationsschrift Prof. Dr. G. teilte dem Dekan und Vorsitzenden des Habilitationsausschusses Prof. Dr. K. unter dem 20. Mai 2011 mit, er fechte seine Erklärung an, mittels derer er seine Bestellung als Zweitgutachter in dem Habilitationsverfahren angenommen habe und ziehe sein Zweitvotum zurück. Zugleich bat er den Habilitationsausschuss darüber zu entscheiden, ob seiner Mitwirkung im weiteren Verfahren die Besorgnis der Befangenheit entgegenstehe.
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Der Habilitationsausschuss fasste in seiner Sitzung vom 8. Juni 2011 einen Beschluss, in dem er insbesondere folgende Entscheidungen traf: Prof. Dr. I. und Prof. Dr. G. wurden wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Habilitationsausschuss ausgeschlossen. Der Promotionsausschuss wurde gebeten, den von Mitgliedern des Habilitationsausschusses geäußerten Verdacht eines Plagiats in der Dissertation des Klägers zu prüfen. Bis zu einer Stellungnahme des Promotionsausschusses wurde das Habilitationsverfahren ausgesetzt und der Termin für den Habilitationsvortrag des Klägers am 29. Juni 2011 aufgehoben. Der Habilitationsausschuss entschied, dass er keine schwerwiegenden Verfahrensmängel i.S.d. Vorbehalts der Entscheidung vom 7. Juli 2010 sehe. Im Protokoll der Sitzung vom 8. Juni 2011 heißt es über den vom Habilitationsausschuss am 27. Mai 2009 gefassten Beschluss:
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„In Anwesenheit der beiden Gutachter und nach vorherigen außergerichtlichen Erörterungen mit den Anwälten [des Klägers] wurde am 27.5.2009 vom Ausschuss eine 'Rettungslösung' beschlossen. [Dem Kläger] sollte die Gelegenheit zur Überarbeitung und Verbesserung seiner Habilitationsschrift bekommen. Über die dazu erforderlichen Schritte sollte ihn Herr I. beraten. Herr I. sollte sodann zur überarbeiteten Fassung ein neues Erstgutachten erstellen, Herr G. erneut ein Zweitgutachten schreiben.“
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Der Vorsitzende des Habilitationsausschusses Dekan Prof. Dr. K. ersuchte den Vorsitzenden des Promotionsausschusses Prof. Dr. L. unter dem 15. Juni 2011 förmlich um eine durch den Promotionsausschuss zu erbringende Aufklärung „des Verdachts des Plagiats in der Dissertation“ des Klägers.
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Am gleichen Tag erstattete der Dekan dem Präsidenten der Beklagten über den Gang des Habilitationsverfahrens des Klägers folgenden Bericht:
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„Der Ausschuss hat am 8. Juni ausführlich über die Konsequenzen für das Verfahren und die gestellten Anträge beraten. Zu den Plagiatsvorwürfen wurde ergänzend erklärt, dass diese in der Tat auch im Ausschuss zu Beginn des Jahres 2009 diskutiert worden seien. Damals war der Ausschuss der Auffassung, dem Hinweise in diesem Verfahren nicht weiter nachgehen zu müssen, da die Habilitationsschrift ohnehin nicht angenommen werde. Nach der Verabredung der 'Rettungslösung' waren die Vorwürfe nicht mehr Gegenstand des Verfahrens und wurden erst jetzt, im Sommersemester 2011 wieder von mehreren Mitgliedern des Ausschusses erhoben.“
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Der Promotionsausschuss unter dem Vorsitz von Prof. Dr. L. beschloss in seiner 150. Sitzung am 29. Juni 2011, die beiden Gutachter der Habilitationsschrift Prof. Dr. G. und Prof. Dr. I. wegen der geäußerten Plagiatsvorwürfe anzuschreiben. Der Promotionsausschuss beschloss am 6. Juli 2011, in Aussicht zu nehmen, „ggfs. Herrn Prof. D. um eine gutachterliche Stellungnahme zu bitten, sofern sich Anhaltspunkte für einen Verdacht ergeben sollten“. Der Vorsitzende des Promotionsausschusses Prof. Dr. L. bat unter dem 15. August 2011 den am M. tätigen Prof. Dr. N., ein Gutachten zu der Frage zu erstatten, inwieweit sich der Kläger durch „solche Übernahmen von Texten anderer Urheber einer erheblichen Täuschung im Promotionsverfahren schuldigt gemacht hat, so dass ihm gem. § 19 der in diesem Fall gültigen Promotionsordnung der Doktorgrad abzuerkennen wäre.“ Prof. Dr. N. beantwortete die gestellten Fragen in einem auf November 2011 datierten Gutachten wie folgt:
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„1. Die Dissertation [des Klägers] ist in einem erheblichen, jede Bagatellgrenze deutlich übersteigenden Maße von wissenschaftlicher Unredlichkeit gekennzeichnet – indem Fremdtexte teils wörtlich, teils unter leichter Satzumstellung oder Umformulierung verwandt werden.
- 25
2. Die Promotion ist rechtswidrig und kann nach § 48 Abs. 3 VwVfG zurückgenommen werden, weil die Dissertation wissenschaftlichen Maßstäben nicht genügt und damit nicht als Promotionsleistung taugt.
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3. Vertrauensschutz genießt [der Kläger] auch nach fast 14 Jahren nicht – schon weil er arglistig gehandelt hat. Dementsprechend kann auch ein etwaiger 'Erwerbsschaden' durch Promotionsentzug in der Abwägung nicht zu seinen Gunsten ins Gewicht fallen. [Der Kläger] verliert nur das, was er sich unredlich erschlichen hat.“
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Zuvor waren bereits im August 2011 Plagiatsvorwürfe hinsichtlich der Dissertation des Klägers auf der Homepage der Internetplattform „O.“ veröffentlich worden. Der Wissenschaftsjournalist Priv.-Doz. Dr. P. hatte sich mit E-Mails vom 8. August 2011 an den Dekan Prof. Dr. K. mit einer Anfrage gewandt, die Plagiatsvorwürfe wegen der Dissertation des Klägers betraf. Am 29. August 2011 erschien ein Artikel von Priv.-Doz. Dr. P. im Internetangebot „Q.“ unter dem Titel: „…“ Zu einem späteren Zeitpunkt erstattete der Präsident der Beklagten, Prof. Dr. R., „Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Weitergabe vertraulicher Informationen an Dritte“ und nahm dabei auf die Online-Publikationen über Plagiatsvorwürfe Bezug. Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte das Ermittlungsverfahren ein, da kein Täter ermittelt werden konnte (Einstellungsnachrichten v. 8.1.2013, ...).
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Mit Schreiben vom 8. November 2011 informierte der Vorsitzende des Promotionsausschusses Prof. Dr. L. die beiden Gutachter der Dissertation, Prof. Dr. A. und Prof. Dr. B., unter Beifügung des Gutachtens des Prof. Dr. N. über die Vorwürfe und bat um Stellungnahme. Mit Schreiben unter dem gleichen Datum räumte er dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme ein.
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Unter Bezugnahme auf das an ihn gerichtete Schreiben des Vorsitzenden des Promotionsausschusses wandte sich der Erstgutachter der Dissertation des Klägers, Prof. Dr. A., unter dem 24. November 2011 an den Präsidenten der Beklagten, Prof. Dr. R., monierte den Gang des Habilitationsverfahrens und erhob Bedenken gegen die Qualifikation des Prof. Dr. N. und dessen Gutachten. In dem Gutachten seien keine Plagiate von relevanter Bedeutung nachgewiesen worden und er fühle sich nicht getäuscht.
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Der Kläger drohte mit E-Mail an den Vorsitzenden des Promotionsausschusses, Prof. Dr. L., vom 16. November 2011 mit rechtlichen Schritten in den Vereinigten Staaten.
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Der Zweitgutachter der Dissertation Prof. Dr. B. nahm unter dem 1. Dezember 2011 gegenüber dem Vorsitzenden des Promotionsausschusses, Prof. Dr. L., insbesondere wie folgt Stellung:
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„Ich hatte bereits in meinem Zweitgutachten zur Dissertation [des Klägers] zum Ausdruck gebracht, dass die Dissertation im Wesentlichen nur bereits bekannte Erkenntnisse enthält. Nunmehr zeigt sich, dass [der Kläger] die Arbeit in einem erschreckend großen Umfang von anderen Autoren abgeschrieben hat und dabei ebenfalls in sehr großem Umfang Texte fremder Autoren wörtlich oder fast wörtlich einfach übernommen hat, ohne dies kenntlich zu machen. […] Ich sehe mich in meiner damaligen, für die Beurteilung maßgebenden Annahme getäuscht, dass – mögen auch die Erkenntnisse im Wesentlichen nicht neu gewesen sein – doch die gesamte Darstellung inhaltlich und textlich allein vom Verfasser stammt. Hierin hatte ich die eigene Leistung des Verfassers gesehen. Die Grundlage für diese Beurteilung ist vollständig entfallen.“
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Mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 bat das Mitglied des Promotionsausschusses Prof. Dr. T. gegenüber dem Vorsitzenden des Promotionsausschusses, Prof. Dr. L., wegen einer an ihn gerichteten E-Mail des Klägers vom 15. Dezember 2011 ihn, Prof. Dr. T., „im Promotionsausschuss für befangen zu erklären“.
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In seiner Stellungnahme vom 13. Januar 2012 brachte der Kläger vor, der Begriff des Plagiats erfordere die Angabe fremden Gedankenguts unter Nichtnennung der Quelle. Er habe seine Dissertation von einem Germanisten lektorieren lassen. Es hätten Gespräche sowohl im Vorfeld als auch nach Fertigstellung der Arbeit stattgefunden. Dabei sei auch die korrekte Zitierweise erörtert bzw. besprochen worden. Danach sollten Anführungszeichen, wenn überhaupt, nur zu setzen sein, wenn ein ganzer Satz wortwörtlich wiedergegeben werde, ansonsten reiche der Quellennachweis aus, da sonst dem geneigten Leser ein flüssiges Lesen unmöglich wäre. Es sei nicht erforderlich und auch nicht geboten, innerhalb eines Absatzes jeden einzelnen Satz zu zitieren. Innerhalb eines Absatzes sei ein Quellennachweis ausreichend, wenn die einzelnen Sätze in einem engen sachlichen Zusammenhang stünden und für den fachkundigen Leser erkennbar sei, dass die einzelnen Sätze von einem Autor stammten. Der Quellennachweis sei dann je nach Schwerpunktsetzung an das Ende des ersten Satzes oder des letzten Satzes des betreffenden Absatzes zu setzen. Er, der Kläger, habe – ausgehend von einem Festschriftbeitrag des Betreuers der Dissertation Prof. Dr. A. – als Eigenleistung eine herausragende Stellung des Finanzvorstands anerkannt. Der Vorwurf der vorsätzlichen, arglistigen Täuschung sei befremdlich und werde entschieden zurückgewiesen.
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Der Promotionsausschuss erörterte am 25. April 2012 eine Aberkennung des akademischen Grads des Klägers unter Einbezug der Stellungnahmen des Klägers und der Gutachter. Der Promotionsausschuss fasste den Beschluss:
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„[Dem Kläger] wird der Doktortitel wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gem. § 19 S. 2 PromO 1972 und § 48 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 2 HmbVwVfG entzogen, da sich nachträglich herausgestellt hat, dass die zur Verleihung des Doktortitels erforderlichen Voraussetzungen aufgrund Täuschung und wissenschaftlichen Fehlverhaltens des [Klägers] zum Zeitpunkt der Verleihung des Doktortitels nicht vorgelegen haben.“
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Der Promotionsausschuss hielt ausweislich des Sitzungsprotokolls dafür, dass der transparente und exakte Nachweis der Verwendung fremder Formulierungen und fremden Gedankenguts nicht erst seit 1999 zum Wesensmerkmal guter wissenschaftlicher Praxis gehöre und ein wesentliches Element der Eigenständigkeit bzw. der Erkennbarkeit der eigenständigen wissenschaftlichen Leistung eines Promovenden sei. Der Promotionsausschuss gehe angesichts Art und Umfang der Nutzung fremder Texte und fremden Gedankenguts, die nicht adäquat nachgewiesen bzw. verschleiert sei, von einer arglistigen Täuschung aus. Der Promotionsausschuss erörterte die Frage, ob angesichts des damit zugleich verbundenen schweren Eingriffs in die Grundrechte des Klägers der Entzug des Doktorgrads noch als verhältnismäßig angesehen werden könne, was aber angesichts des Umfangs und der Art der nicht adäquat erfolgten Kennzeichnung der Übernahme fremden Gedankenguts der Fall sei.
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Der Vorsitzende des Promotionsausschusses Prof. Dr. L. wurde beauftragt, diesen Beschluss und dessen Begründung dem Dekan zwecks Vollzugs im Außenverhältnis mitzuteilen. Der Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaft Prof. Dr. K. fertigte unter dem 25. Juni 2012 den Bescheid, dem Kläger zugestellt am 28. Juni 2012, in dessen Tenor es heißt:
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„1. Die Verleihung des akademischen Grads eines Doktors der Rechtswissenschaft mit Urkunde vom 28.1.1998 durch den Fachbereich Rechtswissenschaft I wird zurückgenommen. Der Titel wird Ihnen damit nachträglich aberkannt und entzogen.
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2. Es wird Ihnen aufgegeben, die Promotionsurkunde vom 28.01.1998 an die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 33, 20148 Hamburg bis zum 17.08.2012 zurückzugeben.“
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Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Entscheidung finde ihre Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 und 3 HmbVwVfG i.V.m. § 19 Satz 2 PromO 1972. Die Regelung des § 19 PromO 1972 reiche als Grundlage für einen derart weitgehenden Eingriff nicht aus. Dazu bedürfe es einer gesetzlichen Grundlage. Die Verleihung des akademischen Grads eines Doktors der Rechtswissenschaft sei ein begünstigender Verwaltungsakt i.S.d. § 48 Abs. 3 HmbVwVfG und vorliegend rechtswidrig, weil die Voraussetzungen zu seinem Erlass seinerzeit nicht vorgelegen hätten. Die Aberkennung und Entziehung des Doktorgrads sei rechtlich als Rücknahme eines Verwaltungsaktes anzusehen.
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Die Voraussetzungen für die Promotion hätten nicht vorgelegen, da die Dissertation keine eigenständige Leistung darstelle, in der nur die angegebenen Hilfsmittel verwendet worden seien. Vielmehr stelle die mangelnde Kenntlichmachung der verwendeten Fremdtexte eine erhebliche Täuschung i.S.d. § 19 PromO 1972 dar. Die an eine Dissertation zu stellenden Anforderungen seien erst dann erfüllt, wenn an den konkreten Textstellen, innerhalb derer fremde Erkenntnisse verwendet würden, eine eindeutige Quellenangabe erfolge. Die Beklagte nahm Bezug auf das Gutachten des Prof. Dr. N., in dem fünf Kategorien von Zitierfehlern unterschieden wurden:
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„1. Wörtliche Übernahme fremder Textstellen ohne jegliche Nennung des Urhebers und Autors an der betreffenden Stelle in der Dissertation;
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2. nahezu wörtliche Übernahme fremder Textstellen ohne jegliche Nennung des Urhebers und Autors an der betreffenden Stelle der Dissertation;
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3. wörtliche Übernahme fremder Textstellen, bei denen zwar eine Nennung des Urhebers und Autors in einer Fußnote erfolgt, aber ohne dass erkennbar wird, dass es sich um eine wörtliche Übernahme handelt und ohne dass erkennbar wird, wo das Zitat beginnt und wo es endet,
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4. wörtliche Übernahme des Textes mit der Nennung einer Vielzahl von Autoren[,] ohne dass Beginn und Ende des Zitats und der eigentliche Autor erkennbar werden;
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5. nahezu wörtliche Übernahme mit der Nennung des Autors, aber ohne dass erkennbar wird, wo die Übernahme beginnt und wo diese endet.“
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An 55 in Anlage 1 zum Bescheid benannten und der ersten Kategorie zuzuordnenden Textstellen der Dissertation seien Texte fremder Autoren wortwörtlich bzw. nahezu wortgleich übernommen worden, ohne jeden Hinweis auf den Urheber und ohne dass sich dort eine entsprechende Quellenangabe fände. Wie sich aus Anlage 2 zum Bescheid ergebe, seien an zwei weiteren Stellen, die der zweiten Kategorie zuzuordnen seien, Texte fremder Autoren ohne entsprechende Quellenangabe nahezu wortwörtlich bzw. wortgleich übernommen worden. Allein schon die in Anlage 1 und 2 aufgeführten insgesamt 57 Textstellen belegten ein wissenschaftliches Fehlverhalten in einem quantitativ wie auch hinsichtlich des Schweregrads und der inhaltlichen Bedeutung hinreichendem Maße, um von einer erheblichen Täuschung i.S.d. § 19 PromO 1972 zu sprechen.
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Aus den in Anlage 3 aufgeführten Textstellen, die der dritten Kategorie zuzuordnen seien, ergebe sich, dass an weiteren 71 Stellen der Dissertation die Texte fremder Autoren zwar unter Nennung der Quelle übernommen worden seien; dort sei aber nicht kenntlich gemacht, welche Teile des Textes auf seinen eigenen Erkenntnissen und Gedanken beruhten und welche Teile des Textes eine bloße Wiedergabe fremder Erkenntnisse und Gedanken darstellten. Ebenso seien an den in Anlage 4 aufgeführten und der vierten Kategorie zuzuordnenden elf Stellen Texte fremder Autoren in den Text der Dissertation übernommen worden, ohne diese Übernahme im Text zureichend kenntlich zu machen; im Unterschied zu den in Anlage 3 aufgeführten Textstellen finde sich in den jeweiligen Fußnoten zwar die Angabe der Originalquelle, daneben aber noch weitere Quellenangaben, so dass nicht klar erkenntlich sei, was die eigentliche Quelle sei. An den in Anlage 5 genannten und der fünften Kategorie zuzuordnenden 16 Stellen seien Texte unter Nennung der Quelle nahezu wörtlich übernommen worden, die nahezu wörtliche Übernahmen aber nicht kenntlich gemacht worden.
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Durch die Abgabe der Versicherung gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 PromO 1972 habe der Kläger den Eindruck erweckt, er habe die in der Dissertation verwendeten Hilfsmittel vollständig angegeben. Tatsächlich habe er aber in erheblichem Umfang Texte bzw. Textteile fremder Autoren verwendet und diese Verwendung gar nicht oder nicht ausreichend kenntlich gemacht. Mithin habe er entgegen seiner Erklärung die von ihm verwendeten Hilfsmittel nicht vollständig und nicht in der wissenschaftlich erforderlichen Weise angegeben. Es gehöre zu den wissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten, die Übernahme fremden Gedankenguts transparent und hinsichtlich Art und Umfang eindeutig kenntlich zu machen. Nur darüber lasse sich kenntlich machen, welche Leistungen von einem selbst, welche von anderen Autoren stammten. Darauf beruhe in der Wissenschaft die Zuschreibung wissenschaftlicher Reputation. Ein vereinzelt auftretendes und versehentliches unsauberes Arbeiten bzw. Zitieren im Sinne von bagatellhaften, handwerklichen Flüchtigkeitsfehlern oder ein Fehlverhalten in inhaltlich irrelevanten, hinsichtlich der Thematik der Arbeit allenfalls randständigen Teilen der Dissertation sei nicht gegeben. Die fraglichen Textstellen fänden sich nämlich nicht nur und auch nicht weit überwiegend in thematischen Randbereichen der Dissertation, vielmehr finde sich eine relevante Anzahl der in Rede stehenden Textstellen auch innerhalb solcher thematischer Zusammenhänge, die in der Dissertation als „Kernbereich der Arbeit“ bezeichnet worden seien.
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Neben einer genauen Quellenangabe sei es zusätzlich notwendig, dass die wörtlich übernommenen Textstellen innerhalb des eigenen Textes des Promovierenden eindeutig als Zitate gekennzeichnet würden. Dies folge aus den grundlegenden Maßstäben wissenschaftlichen Arbeitens und entspreche auch dem Wesen der Dissertation als Nachweis der Befähigung zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten.
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Die Entziehung des Doktorgrads setze neben der festgestellten erheblichen objektiven Täuschungshandlung einen subjektiven Täuschungswillen voraus, wobei ein bedingter Vorsatz ausreiche. Die objektive Täuschungshandlung sei vorsätzlich begangen worden. Art und Umfang der Übernahme fremder Texte und Gedanken sprächen eindeutig gegen fahrlässiges, versehentliches Fehlverhalten. Der Täuschungsvorsatz folge weiter aus der unzutreffenden Erklärung über die vollständige Angabe der verwendeten Hilfsmittel, die als bewusste Irreführung zu werten sei. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger die Täuschung der Gutachter und der übrigen Prüfungskommission über die nicht hinreichende Kennzeichnung als möglich erkannt und mindestens billigend in Kauf genommen habe. Die begangenen Täuschungen seien auch kausal gewesen für die erfolgte Verleihung des Doktorgrads. Der Umstand, dass der Erstgutachter sich möglicherweise nicht getäuscht gefühlt habe, ändere daran nichts, dass die Fakultät und das Prüfungsgremium als Ganzes durch die Täuschungshandlung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen seien.
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Es könne offenbleiben, ob das Rücknahmeermessen durch die Regelung des § 18 Abs. 2 Satz 2 PromO 2010 eingeschränkt werde. Einschlägig sei die Regelung aus § 48 Abs. 1 HmbVwVfG, die ein Ermessen vorsehe, das durch den Promotionsausschuss auch ausgeübt worden sei. Eine an den Zwecken der Ermessensermächtigung in § 48 Abs. 3 HmbVwVfG orientierte Ermessensentscheidung führe zu dem Ergebnis, dass die Verleihung des Doktorgrads zurückgenommen werden solle. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne der Kläger sich nicht berufen, weil er den „Titel“ eines Doktors der Rechtswissenschaft durch Täuschung erlangt habe.
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Die Entziehung des Doktorgrads sei verhältnismäßig. Sie schütze den wissenschaftlichen Ruf des Fachbereichs, der Universität und das Ansehen der Rechtswissenschaft insgesamt und sichere die Übereinstimmung von akademischer Leistung und akademischem „Titel“, das Allgemeininteresse an „Titelwahrheit“ und die Integrität des Promotionsverfahrens sowie die Chancengleichheit mit anderen Doktoranden. Die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads sei erforderlich, um diese Zwecke zu fördern. Notenherabsetzung und Nachbesserung kämen als mildere Maßnahmen nicht in Betracht, da sie auch bei einer früheren Entdeckung in der Promotionsordnung nicht vorgesehen seien. Da von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit auszugehen sei, sei nicht von Bedeutung, ob für eine andere Arbeit als die tatsächlich vorgelegte der Doktorgrad ggf. mit einer schlechteren Note verliehen worden wäre. Unabhängig davon sei ausgehend von dem erheblichen Ausmaß des wissenschaftlichen Fehlverhaltens im konkreten Fall eine Notenherabsetzung oder Nachbesserung oder bloße Rüge auch nicht geeignet, das Ansehen von Fachbereich, Universität und Rechtswissenschaft sowie die Chancengleichheit mit anderen – redlichen – Doktoranden zu sichern.
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Die Entziehung sei auch angemessen. Sie lasse die mehrjährige Arbeit an der Dissertationsschrift hinfällig werden und könne zu beruflichen Erschwernissen führen, die Beeinträchtigungen in der Berufsfreiheit mit sich bringen könnten. Wegen des Umfangs der Täuschungen und der Reichweite der wissenschaftlichen Unredlichkeiten, welche das Ansehen des Fachbereichs, der Universität und der Rechtswissenschaft insgesamt in der wissenschaftlichen sowie in der allgemeinen und medialen Öffentlichkeit erheblich gefährdeten und auch im Sinne der Wahrung des Grundsatzes der Chancengleichheit aller Doktoranden und der Allgemeininteressen an Titelwahrheit und Integrität des Promotionsverfahrens seien die öffentlichen Interessen höher zu gewichten als die persönlichen beruflichen, sozialen und privaten Belange des Klägers. Zu beachten sei, dass durch die Aberkennung des Doktorgrads eine zwingende Zulassungsvoraussetzung zu der angestrebten Habilitation entfalle, es sei aber nicht zu vertreten, dass die persönlichen Interessen des Klägers an einer Habilitation dazu veranlassen sollten, das in die Wissenschaft und Forschung gesetzte öffentliche Vertrauen zu gefährden oder einen geringeren Anspruch an seine wissenschaftliche Redlichkeit zu stellen.
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Die Jahresfrist für die Rücknahme gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 HmbVwVfG sei wegen § 48 Abs. 4 Satz 2 HmbVwVfG nicht anwendbar und im Übrigen eingehalten. Der Fakultät seien alle relevanten Tatsachen, insbesondere Art und Umfang der Täuschungshandlungen sowie die für die Ermessensausübung relevanten Tatsachen, erst im Oktober 2011 bekannt geworden.
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Der Kläger legte gegen den Bescheid am 23. Juli 2012 Widerspruch ein.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten an die Präsidialverwaltung der Beklagten vom 30. August 2012 machte der Kläger geltend, dass der Dekan Prof. Dr. K. wegen Befangenheit aus sämtlichen den Kläger betreffenden Verfahren auszuschließen sei. Es sei zu bezweifeln, ob die vom Dekanat geführte Akte tatsächlich vollständig sei. Die Präsidialverwaltung wies mit Schreiben vom 6. September 2012 die Unterstellung pflichtwidrigen Handelns zurück.
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Zur Begründung des Widerspruchs führte der Kläger in formeller Hinsicht insbesondere aus: Wegen der Schwere des Eingriffs habe der Promotionsausschuss nur beratend tätig werden dürfen. Die gesamte Fakultät für Rechtswissenschaft sei wegen der Weitergabe interner, brisanter Informationen nach § 21 HmbVwVfG befangen. Der Promotionsausschuss sei gemessen an § 4 Abs. 2 Satz 2 PromO 1972 fehlerhaft zusammengesetzt und mangels Qualifikation nicht in der Lage gewesen, über die Dissertationsschrift zu entscheiden. Es fehle ein Vertreter des Zivilrechts. Die Ergänzung des Promotionsausschusses um Prof. Dr. U. als Ersatzmitglied sei unzulässig gewesen. Die Mitglieder des Promotionsausschusses Prof. Dr. L. und Prof. Dr. V. seien wegen ihrer gleichzeitigen Mitgliedschaft im Habilitationsausschuss befangen, Prof. Dr. L. auch deshalb, weil er bereits vor der Beschlussfassung über die Aberkennung des Doktorgrads am 25. April 2012 in der Sitzung des Promotionsausschusses vom 15. März 2012 mit der Formulierung eines Aberkennungsbescheids beauftragt worden sei. Die fehlende Neutralität des Prof. Dr. L. und seine Befangenheit ergäben sich ferner aus seiner E-Mail vom 19. Juli 2012 an Prof. Dr. K., in welcher er ausgeführt habe, es bestünde nicht allzu viel Anlass zu besonderer Freundlichkeit und er neige zur Nichtreaktion auf die noch vor Einlegung des Widerspruchs angebrachte Anfrage des Klägers zu einer einzuräumenden Widerspruchsbegründungsfrist. Prof. Dr. N. sei zur Erstattung eines Gutachtens fachlich und persönlich ungeeignet und im Verwaltungs- und Hochschulrecht unerfahren gewesen. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs sei verletzt worden, da es an einer persönlichen Anhörung fehle und er, der Kläger, nur zu dem Vorwurf der arglistigen Täuschung angehört worden sei, nicht zu dem Vorwurf eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens.
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In materieller Hinsicht machte der Kläger geltend: Es fehle an der Feststellung eines „Wissenschaftsplagiats“. Fremde Gedanken seien ausnahmslos durch Fußnoten gekennzeichnet worden. Quellenangaben bei evidenten Aussagen seien entbehrlich bzw. unzulässig. Dass die Fußnoten sich teilweise auf aufeinander folgende Sätze bezögen, sei ebenfalls unschädlich. Er, der Kläger, habe sich häufig der Möglichkeit eines Zitates „passim“ bedient, die in einem summarischen Verweis auf eine Quelle bestehe, um den Lesefluss nicht zu hemmen. Aus diesem Grund sei auch auf Anführungszeichen verzichtet worden, was einem Gutachten des Philologen Dr. W. entspreche. Im Folgenden führte der Kläger zu jeder einzelnen der in den Anlagen 1 bis 5 zum Bescheid benannten Textstellen aus, weshalb nach seiner Meinung kein Zitierfehler vorliege.
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Weiter brachte der Kläger vor: Die Beklagte habe gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen, denn er, der Kläger, habe bei Anfertigung der zweiten Habilitationsschrift darauf vertraut, dass die Beklagte den Plagiatsvorwürfen bezüglich seiner Dissertationsschrift nicht weiter nachgehe. Die Beklagte treffe wegen mangelnder Sorgfalt eine Mitverantwortung und es stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn nach 14 Jahren die Zitierweise in der Dissertation beanstandet werde. Die Beklagte habe unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG willkürlich gehandelt, da sie offensichtlich den Entschluss zur Durchführung des Verfahrens zur Aberkennung des Doktorgrads nur gefasst habe, um eine erfolgreiche Durchführung des Habilitationsverfahrens zu verhindern. Das subjektive Recht auf ein faires Verfahren sei durch die Vorabinformation der Öffentlichkeit verletzt worden. Das Habilitationsverfahren und das Promotionsentziehungsverfahren seien von der Fakultät für Rechtswissenschaft nicht ausreichend getrennt worden. Dies ergebe sich daraus, dass der Plagiatsvorwurf hinsichtlich der Dissertation schon im ersten Verfahrensteil des Habilitationsverfahrens Ende 2008/Anfang 2009 erörtert, dem Vorwurf aber nicht weiter nachgegangen worden sei.
- 62
Der Habilitationsausschuss beschloss am 9. Januar 2013, das Habilitationsverfahren im Hinblick auf das Promotionsentziehungsverfahren „bis zur Erreichung endgültiger Bestandskraft oder aber endgültiger Aufhebung des Verwaltungsakts ruhen zu lassen“.
- 63
Der Promotionsausschuss setzte sich in seiner 158. Sitzung vom 9./16. Januar 2013 mit den Einwänden des Klägers auseinander und beschloss in seiner 159. Sitzung vom 30. Januar 2013, dem Widerspruch nicht abzuhelfen. Der Widerspruchsvorgang wurde dem Widerspruchsausschuss für Prüfungsangelegenheiten am 20. Februar 2013 vorgelegt.
- 64
Der Widerspruchsausschuss, besetzt mit der Vorsitzenden X., der Hochschullehrerin aus der Fakultät für Rechtswissenschaft Prof. Dr. Y. und dem Promotionsstudenten aus der Fakultät für Rechtswissenschaft Z., hörte den Kläger in Person und seine Bevollmächtigten am 10. April 2013 an. Die Vertreter des Klägers brachten dabei ausweislich des Protokolls insbesondere vor, dass im Habilitationsverfahren eine „Rettungslösung“ vereinbart worden sei, die ein verbindlicher Vergleichsvertrag mit „Generalquittungscharakter“ sei und zum Inhalt habe, Plagiatsvorwürfe wegen der Dissertation nicht weiter zu verfolgen. Der den Widerspruch zurückweisende Tenor wurde von allen drei Mitgliedern des Promotionsausschusses am 10. April 2013 unterzeichnet. Der den Widerspruch zurückweisende Widerspruchsbescheid erging unter dem 30. April 2013, zugestellt am 6. Mai 2013. Darin führte die Beklagte aus:
- 65
Zuständig für die Entziehung der Promotion sei der Promotionsausschuss, dessen Zusammensetzung sich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 PromO 2010, nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 2 PromO 1972 richte, weshalb die Mitwirkung eines Vertreters aus dem Zivilrecht entbehrlich sei. Es gehe nicht um die Prüfung eines Doktorkandidaten, sondern um die Überprüfung einer erbrachten Arbeit auf korrekte Zitierweise. Es bestehe kein Zweifel an der Fachkompetenz des Gutachters Prof. Dr. N.. Der Kläger habe umfangreich Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt, im Übrigen habe er im Widerspruchsverfahren Gelegenheit zu mündlichem Vortrag erhalten. Es bestehe keine Besorgnis der Befangenheit gegen alle Mitglieder des Promotionsausschusses wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses, weil kein Hinweis darauf vorliege, das ein Mitglied des Promotionsausschusses das Dienstgeheimnis verletzt habe. Es bestehe auch keine Besorgnis der Befangenheit gegen diejenigen Mitglieder des Promotionsausschusses, die zugleich dem Habilitationsausschuss angehörten. Es bestehe keine Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden des Promotionsausschusses allein aufgrund des Umstands, dass er mit dem Entwurf eines Bescheids beauftragt gewesen sei.
- 66
Im Widerspruchsbescheid ist weiter ausgeführt:
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„Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des insoweit maßgeblichen § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 1. Variante i.V.m. § 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 19 PromO 1972 sind erfüllt. Ermessensfehler, die zur Aufhebung des Verwaltungsaktes führen müssen, sind nicht erkennbar.“
- 68
Es könne dahinstehen, ob jede wörtliche Übernahme ohne Kennzeichnung durch Anführungszeichen bereits ein Plagiat sei. Ferner werde zugunsten des Klägers zugrunde gelegt, dass eine wissenschaftliche Leistung auch darin liegen könne, dass der Kläger vereinzelte wörtliche Übernahmen längerer Passagen durch weitere Nachweise angereichert habe. Gleichwohl könne selbst dann, wenn der Urheber an untergeordneter Stelle mit einer Fußnote kenntlich gemacht werde, die wörtliche Übernahme fremder Textpassagen zur Annahme eines Plagiats und damit einer arglistigen Täuschung führen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn es nicht auf die präzise Darstellung eines Wortlauts ankomme (wie z.B. bei der Zitierung von Gesetzen oder Leitsätzen aus der Rechtsprechung) und eine Häufung derartiger Verletzungen der Zitierregeln auftrete; würden weder Anführungszeichen gesetzt, noch sonst qualifizierte Nachweise der Urheberschaft in irgendeiner Weise erbracht, liege unter den genannten Voraussetzungen unzweifelhaft eine arglistige Täuschung vor. Die Kenntnis juristischer Zitierregeln sei von jedem Doktoranden selbst zu erwarten. Die Rücknahmefrist sei nicht vor Kenntnis von dem externen Gutachten angelaufen. Ermessensfehler seien nicht zu erkennen. Im Einzelnen wurde ausgeführt (Widerspruchsbescheid, S. 9-11): Aufgrund § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG sei ein sehr eingeschränkter Ermessensspielraum zu Grunde zu legen, da derjenige, der mittels arglistiger Täuschung den zu seinen Gunsten erlassenen rechtswidrigen Verwaltungsakt erwirke, in verstärktem Maße mit einer späteren Aufhebung rechnen müsse und deshalb des Vertrauensschutzes teilweise verlustig gehe. Die berufliche Situation des Klägers sei hinreichend gewürdigt. Mit der Aberkennung des Doktorgrads gehe zwar ein erheblicher Reputationsverlust einher, der jedoch durch das öffentliche Interesse an der Wahrung wissenschaftlicher Integrität überwogen werde. Die allgemein bekannten wissenschaftlichen Standards seien ein hohes Gut, welches nicht ohne Weiteres zu Lasten der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zurückgesetzt werden dürfe. Der als „Rettungslösung“ bezeichnete Beschluss des Habilitationsausschusses enthalte keinen Vergleichsschluss mit „Generalquittungscharakter“. Es sei den Akten nicht zu entnehmen, dass die Plagiatsvorwürfe nicht weiter hätten verfolgt werden sollen. Das öffentliche Bekanntwerden des Plagiatsverdachts habe nicht zum Unterlassen des Aberkennungsbescheids führen müssen. Selbst wenn die Weitergabe dienstlich erlangter Informationen eine strafrechtlich relevante Handlung darstelle, folge daraus kein erhöhtes Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes.
- 69
Der Kläger hat am 31. Mai 2013 Klage erhoben. Zur Begründung verweist der Kläger auf die Widerspruchsbegründung und führt ergänzend insbesondere aus:
- 70
Das Mitglied des Widerspruchsausschusses Prof. Dr. Y. habe Zweifel an der Rücknahme geäußert sowie formelle Fehler in dem Verfahren eingeräumt. Der Widerspruchsausschuss sei fehlerhaft besetzt gewesen, da der Promotionsstudent Z. in einem Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Universität stehe und nicht unbefangen gewesen sein könne. An einer „wissenschaftsbasierten Entscheidung“ wie der Entziehung des Doktorgrads dürfe kein Promotionsstudent mitwirken. Es habe eine Verschleierung formeller Mängel stattgefunden. Prof. Dr. T. habe sich für den Habilitationsausschuss und den Promotionsausschuss für befangen erklärt, und sei zunächst nicht eingeladen worden, deshalb seien Beschlüsse fehlerhaft. Zu den Sitzungen des Promotionsausschusses sei er erst nach Einlegung des Widerspruchs bzw. der Widerspruchsbegründung wieder eingeladen gewesen.
- 71
Die Dissertation enthalte bereits keine Plagiate. Sollte sie tatsächlich Plagiate enthalten, ließe sich dies auch über eine Nachbesserung, eine Neueinreichung oder über eine Dissertation im Rahmen der Sammeldissertation heilen. Der Entzug des Doktorgrads sei unverhältnismäßig wegen des Verlusts seiner Stellung in der Rechtsanwaltssozietät, seines fortgeschrittenen Alters, seiner Geschäftsführerposition bei der Vereinigung „…“ und da die Grundlage für die bereits angenommene Habilitation entzogen werde. Alle diese Umstände hätten im bisherigen Verfahren überhaupt keine Würdigung erfahren. Ferner müsste eine zwischenzeitlich aufgetretene Erkrankung des Klägers berücksichtigt und angemessen gewürdigt werden.
- 72
Die Ausführung des Betreuers der Dissertation, Prof. Dr. A., sich keineswegs getäuscht zu fühlen, sei bei Entscheidung über die Rücknahme nicht berücksichtigt worden. Da er, der Kläger, als dessen Assistent gearbeitet habe, sei nicht auszuschließen, dass ein „Abschreiben auch umgekehrt herum erfolgt“ sein könne.
- 73
Die Rücknahme der Promotion sei im Hinblick auf die im Habilitationsverfahren gefundene „Rettungslösung“ unzulässig. Der Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs vom 27. Mai 2009 mit dem Vorsitzenden des Habilitationsausschusses, Prodekan Prof. Dr. D., könne dezidiert wiedergegeben werden aus den detaillierten Aufzeichnungen und diktierten Protokollen des Rechtsanwalts H.. Danach habe Prof. Dr. D. geäußert, dass bei „der Durchsicht der Arbeit [des Klägers] aufgefallen sei, dass Passagen aus Aufsätzen übernommen worden seien, ohne dass dies hinreichend gekennzeichnet worden sei“. Darauf entgegnend habe Rechtsanwalt H. darauf hingewiesen, dass zu der Habilitationsschrift ein Drittgutachten vorliege und die Zitierweise insbesondere insoweit nicht moniert worden sei. Prof. Dr. D. habe vorgeschlagen, „dass [der Kläger] die Arbeit umarbeiten“ solle. Rechtsanwalt H. habe ihm, dem Kläger, im Anschluss berichtet, dass Prof. Dr. D. „eine Lösung anstrebe, mit der beide Seiten leben“ könnten und „vom Kläger erwartet werde, dass er nicht weiter vermeintliche formelle Mängel der Universität geltend mache und sich der neuen Situation widme. Umgekehrt würde auch die Universität dem Kläger keine weiteren Steine in den Weg legen.“ Der Kläger vertritt die Auffassung, die im Habilitationsverfahren gefundene „Rettungslösung“ stelle einen „Vergleich mit Generalquittungscharakter“ dar. Es sei ein Vergleich geschlossen worden, der „begriffsnotwendig“ beinhalte, dass die Voraussetzungen zur Fertigung einer Habilitation als gegeben akzeptiert würden. Die Beklagte habe gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen; dem Habilitationsausschuss sei bei Annahme des „Vergleichs“ bekannt gewesen, dass Bedenken gegen die Dissertation erhoben worden seien.
- 74
Der Kläger beantragt,
- 75
den Bescheid vom 25. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 aufzuheben.
- 76
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 78
Zur Begründung verweist die Beklagte auf die Ausführungen in den Bescheiden und trägt ergänzend vor: Die Entscheidung in Prüfungsangelegenheiten obliege dem Widerspruchsausschuss in Prüfungsangelegenheiten. Dessen Zusammensetzung ergebe sich aus § 66 Abs. 1 Satz 2 HmbHG. Es gehe nicht um die (Neu-)Bewertung der Dissertation, sondern darum, ob Fremdtexte ausreichend zitiert worden seien. Es bestehe kein prüfungsspezifischer Bewertungsspielraum. Der Widerspruchsausschuss sei keine Prüfungskommission. Die Beklagte habe keine formellen Mängel verschleiert, denn es habe keine formellen Mängel gegeben. Frau Prof. Dr. Y. habe keine Fehler in dem Verfahren eingeräumt, der Kläger habe auch nicht mitgeteilt, um welche Fehler es sich gehandelt habe. Die „Rettungslösung“ beinhalte keinen Vergleich mit „Generalquittungscharakter“. An eine etwaige Zusicherung sei sie, die Beklagte, auch nicht mehr gebunden. Die Stellungnahme des Prof. Dr. A. sei hinreichend gewürdigt worden. Es sei bereits in zeitlicher Hinsicht nicht plausibel, dass Prof. Dr. A. vom Kläger abgeschrieben habe und nicht umgekehrt. Die Entziehung des Doktorgrads sei auch nicht wegen Art. 12 Abs. 1 GG unverhältnismäßig; gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürften einer wirkungsvollen Reaktion. Der Promotionsausschuss habe auch erkannt, dass dem Kläger mit dem Entzug des Doktorgrads die Grundlage seiner Habilitation entzogen werde. Mildere Maßnahmen kämen nicht in Betracht. Die Neueinreichung einer Dissertation oder eine Sammeldissertation erforderten ein neues Promotionsverfahren. Eine erst jetzt bekannt gewordene Erkrankung des Klägers habe bei der Ermessensausübung ohnehin nicht berücksichtigt werden dürfen.
- 79
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung wurden gemacht: die veröffentliche Fassung der vom Kläger vorgelegten Dissertation, die Promotionsakte in zwei Bänden, der Widerspruchsvorgang, ein Ordner mit Quellentexten, die Habilitationsakte in zwei Bänden, sowie die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg, …. Auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die zulässige Anfechtungsklage, mit welcher der Kläger gemäß §§ 42 Abs. 1 Alt. 1, 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO den Bescheid vom 25. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 anficht, ist nur im Umfang von Ziffer 2 des Bescheidtenors auch begründet (hierzu unter 2.), im Umfang von Ziffer 1 des Bescheidtenors ist sie unbegründet (hierzu unter 1.).
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1. Soweit der Kläger den Regelungsgehalt unter Ziffer 1 des Bescheidtenors anficht, ist die Klage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unbegründet. Denn in diesem Umfang ist der Bescheid vom 25. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 objektiv rechtmäßig oder verletzt den Kläger zumindest nicht in seinen subjektiven Rechten. Der angefochtene Bescheid ist unter Ziffer 1 seines Tenors darauf gerichtet, die mit Urkunde vom 28. Januar 1998 vollzogene Verleihung des Doktorgrads an den Kläger als „actus contrarius“ rückgängig zu machen (hierzu unter a.). Dafür besteht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt (hierzu unter b.) eine Befugnisnorm (hierzu unter c.). Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig oder leidet zumindest nicht an einem formellen Fehler, der i.S.d. § 46 HmbVwVfG erheblich wäre und einen Aufhebungsanspruch des Klägers tragen könnte (hierzu unter d.). Der angefochtene Bescheid ist zudem materiell rechtmäßig sowohl im Hinblick auf die tatbestandlichen Anforderungen der Befugnisnorm (hierzu unter e.) als auch im Hinblick auf die Rechtsfolge der Befugnisnorm (hierzu unter f.).
- 82
a. Der angefochtene Bescheid ist unter Ziffer 1 seines Tenors darauf gerichtet, die Verleihung des Doktorgrads an den Kläger rückgängig zu machen. Im Bescheidtenor kommt zum Ausdruck, dass ein „actus contrarius“ zur Promotion des Klägers gesetzt werden soll.
- 83
Die mehrfache Formulierung im Bescheidtenor „zurückgenommen“, „aberkannt“ und „entzogen“ nimmt die Normen in Bezug, die zur Rechtfertigung eines „actus contrarius“ in Betracht zu ziehen sind. Nach § 48 Abs. 1 HmbVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt „zurückgenommen“ werden. Nach § 18 Abs. 2 Satz 1 der Promotionsordnung der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg (v. 7.7.2010, Amtl. Anz. S. 2620 – PromO 2010) kann ein Doktorgrad „nachträglich aberkannt und entzogen“ werden. Im Bescheid vom 25. Juni 2012 wird zu Recht angenommen, dass die Aberkennung und Entziehung des Doktorgrads als Rücknahme eines Verwaltungsaktes anzusehen seien.
- 84
Ebenso wenig ist zwischen nachträglicher Aberkennung einerseits und Entziehung des Doktorgrads andererseits zu unterscheiden. Eine solche Unterscheidung kennen weder die amtliche Normüberschrift „Verfahren bei Täuschung und Aberkennung des Grades einer Doktorin oder eines Doktors“ noch die Vorschrift des § 18 Abs. 2 Satz 2 PromO 2010, nach der „eine solche Aberkennung“ insbesondere in dem dort bezeichneten Fall erfolgt, noch die Vorschrift des § 18 Abs. 3 PromO 2010, die für die Aberkennung des Grades einer Doktorin oder eines Doktors im Übrigen auf die gesetzlichen Bestimmungen verweist. Die Satzungsrechtslage ist insoweit nicht vergleichbar mit der in dem vom Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 42) entschiedenen Fall, in dem § 20 der dort einschlägigen Promotionsordnung für eine „Ungültigerklärung“ der Promotionsleistung eine eigenständige Befugnisnorm darstellte, während § 21 der dort einschlägigen Promotionsordnung für die „Rücknahme“ oder „Entziehung“ des Doktorgrads auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes verwies.
- 85
b. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Rücknahme ist hier der Zeitpunkt der Entscheidung des Widerspruchsausschusses in Prüfungsangelegenheiten über den Widerspruch am 30. April 2013. Wenn kein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist, ist der maßgebliche Zeitpunkt im Hinblick auf die Rücknahme der Verleihung eines Doktorgrads derjenige des Erlasses des Bescheides (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.5.2016, OVG 5 B 11.15, juris Rn. 38; VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 39; VG Karlsruhe, Urt. v. 4.3.2013, 7 K 3335/11, juris Rn. 28), sonst der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (VGH Mannheim, Urt. v. 19.4.2000, 9 S 2435/99, juris Rn. 22). Anwendung findet der Grundsatz, dass der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung für die Begründetheit einer Anfechtungsklage maßgeblich ist. Die für Dauerverwaltungsakte anerkannte Ausnahme von diesem Grundsatz greift für den Verwaltungsakt, der auf die Rücknahme eines anderen Verwaltungsakts gerichtet ist, nicht ein. Denn die Rücknahme zielt nicht als Dauerverwaltungsakt auf eine andauernde, der ständigen Aktualisierung unterworfene Regelung ab, sondern ihrem zeitlichen Regelungsgehalt nach punktuell auf eine einmalige Rechtsfolge, hier die rückwirkende Aufhebung der Verleihung des akademischen Grads.
- 86
c. Die „nachträgliche Aberkennung und Entziehung“ bzw. inhaltsgleich die „Rücknahme“ der Verleihung des Doktorgrads (dazu s.o. a.) gründen im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung (dazu s.o. b.) auf eine Befugnisnorm. Entgegen der von der Beklagten noch im Widerspruchsbescheid geäußerten Rechtsauffassung kann die Maßnahme nicht auf „§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 1. Variante i.V.m. § 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 19 PromO 1972“ gestützt werden. Dahinstehen kann, ob sich die Befugnis zur Rücknahme aus der besonderen Satzungsbestimmung des § 18 Abs. 2 PromO 2010 (hierzu unter aa.) oder aus der nachrangig anwendbaren Gesetzesbestimmung des § 48 Abs. 1 HmbVwVfG ergibt (hierzu unter bb.).Der damit gegenüber der Begründung des Widerspruchsbescheids vorgenommene Austausch der Ermächtigungsgrundlage ist unbedenklich (hierzu unter cc.).
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aa. Die Frage kann offen bleiben, ob die Satzungsbestimmung des § 18 Abs. 2 PromO 2010 allein eine hinreichende Ermächtigung zur Rücknahme der Promotion bietet.
- 88
Der rechtstaatliche Vorbehalt des Gesetzes verlangt nicht, die Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung eines Doktorgrads in einem förmlichen Parlamentsgesetz zu regeln (OVG Münster, Urt. v. 10.12.2015, 19 A 254/13, juris Rn. 75 ff.). Das Hamburgische Hochschulgesetz (v. 18.7.2001, HmbGVBl. S. 171 m. spät. Änd. – HmbHG) ermächtigt in § 91 Abs. 2 Nr. 1 HmbHG zum Erlass einer Hochschulprüfungsordnung, die gemäß § 60 Abs. 1 HmbHG Prüfungsanforderungen und Prüfungsverfahren regelt. Gemäß § 59 Abs. 1 HmbHG zählt die Promotion, mit der die Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen wird, zu den Hochschulprüfungen. Der Aufnahme von Regelungen über die Entziehung der Promotion als „actus contrarius“ in die Promotionsordnung steht die nicht abschließende Aufzählung der Mindestinhalte der Prüfungsordnung in § 60 Abs. 2 HmbHG nicht entgegen. Auch bei der Rücknahme eines verliehenen Doktorgrades handelt es sich um eine Hochschulprüfungen betreffende Angelegenheit (VGH Mannheim, Beschl. v. 3.2.2014, 9 S 885/13,ESVGH 64, 166, juris Rn. 7).
- 89
Nach § 18 Abs. 1 PromO 2010 kann der Promotionsausschuss nach Anhörung des oder der Betroffenen die Promotion für nicht bestanden erklären, wenn die Doktorandin oder der Doktorand im Promotionsverfahren eine vorsätzliche Täuschung begangen hat. Ist der Grad einer Doktorin oder eines Doktors zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens einer solchen Täuschung bereits verliehen, so kann er nach § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010 vom Promotionsausschuss nach vorheriger Anhörung des Betroffenen oder der Betroffenen nachträglich aberkannt und entzogen werden. Eine solche Aberkennung erfolgt nach § 18 Abs. 2 Satz 2 PromO 2010 insbesondere dann, wenn die Täuschung Leistungen in solchen Teilen der Promotion betrifft, die für die Bewertung der Dissertation oder Disputation oder die Gesamtnote einen wichtigen Stellenwert hatten. Nach § 18 Abs. 3 PromO 2010 gelten für die Aberkennung des Grades einer Doktorin oder eines Doktors im Übrigen die gesetzlichen Bestimmungen.
- 90
In zeitlicher Hinsicht kann die Befugnisnorm nur der im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung über die Rücknahme (dazu s.o. b.) geltenden Promotionsordnung und nicht der bei Verleihung des Doktorgrads am 28. Januar 1998 geltenden Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg (v. 9.2.1972, Amtl. Anz. 1974, S. 377, berichtigt S. 457, m. spät. Änd. – PromO 1972) entnommen werden. Ebenso ist eine Anwendung der zwischenzeitlich in Geltung befindlichen Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Hamburg (v. 20.5.1998, Amtl. Anz. S. 1978; m. Änd. v. 31.5.2000, Amtl. Anz. 2001, S. 4610, v. 5.2.2003, Amtl. Anz. S. 1411 – PromO 1998) ausgeschlossen. Ausgangspunkt sind die im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung geltenden Inkrafttretens- und Übergangsregelungen in § 20 PromO 2010. Nach dem Grundsatz des § 20 Abs. 1 PromO 2010 trat diese Promotionsordnung am 22. Dezember 2010 als dem Tag nach der Bekanntmachung in Kraft. Eine Ausnahmeregelung davon enthält § 20 Abs. 2 PromO 2010, wonach sie für Promotionsverfahren gilt, für welche die Zulassung nach dem Tag der Bekanntmachung beantragt wird. Im Umkehrschluss gilt diese Promotionsordnung nicht für Promotionsverfahren, für welche die Zulassung vor dem 22. Dezember 2010 beantragt worden ist. Diese Ausnahme findet jedoch nur auf Promotionsverfahren Anwendung. Dies sind ausweislich der Regelung über die Zulassung zum Promotionsverfahren in § 3 PromO 2010 nur solche Verfahren, in denen über die Verleihung des Doktorgrads entschieden wird, nicht jedoch Promotionsentziehungsverfahren, in denen über die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads entschieden wird. Für Promotionsentziehungsverfahren verbleibt es nach dem Grundsatz des § 20 Abs. 1 PromO 2010 bei der Anwendung des neuen Rechts.
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bb. Böte die Satzungsbestimmung des § 18 Abs. 2 PromO 2010 keine hinreichende Ermächtigung zur Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads, so ergäbe sich die Befugnis aus der allgemeinen Gesetzesbestimmung des § 48 Abs. 1 HmbVwVfG.
- 92
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 HmbVwVfG darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) jedoch nur unter den Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 HmbVwVfG zurückgenommen werden.
- 93
Unter der Annahme einer Unanwendbarkeit des § 18 Abs. 2 PromO 2010 ist der Anwendungsbereich des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 HmbVwVfG grundsätzlich eröffnet, da die Tätigkeit der Beklagten als einer der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristische Person des öffentlichen Rechts in Rede steht. Unter der vorstehenden Annahme enthalten die Rechtsvorschriften der Freien und Hansestadt Hamburg keine inhaltsgleichen oder entgegenstehenden Bestimmungen. Die vormalige spezialgesetzliche Grundlage für den Entzug akademischer Grade in § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Führung akademischer Grade (v. 7.6.1939, RGBl. I S. 985 m. spät. Änd.), die zunächst gemäß Art. 123 ff. GG als Landesrecht fort galt (BVerwG, Urt. v. 26.2.1960, VII C 198.59, BVerwGE 10, 195, juris
, vgl. Beschl. v. 7.9.1990, 7 B 127/90, Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 2; Schroeder, NWVBl. 2010, 176 <177> m.w.N.) ist durch Art. 6 Nr. 3 des Hochschulrechtsänderungsgesetzes (v. 18.4.1991, HmbGVBl. S. 139, 217) für Hamburg aufgehoben worden.
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Ein Anwendungsausschluss durch § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG greift jedenfalls nicht ein: Die Anwendung des Gesetzes ist nach dieser Vorschrift für die Tätigkeit der Behörden „bei“ Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen von Personen zwar beschränkt, umfasst aber ausdrücklich § 48 HmbVwVfG. Unabhängig davon ist das Promotionsentziehungsverfahren keine Tätigkeit „bei“ einer Prüfung i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG, da der Anwendungsausschluss nicht allgemeine Verfahrensfragen außerhalb der spezifischen Prüfungssituation betrifft (VG Hamburg, Urt. v. 5.1.2016, 2 K 3911/14, juris Rn. 43).
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Bei der allgemeinen Bestimmung über die Rücknahme in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder handelt es sich um eine im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie hinreichende Ermächtigung für die Rücknahme der Verleihung eines akademischen Grades. Die Kammer schließt sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung an (BVerwG, Beschl. v. 20.10.2006, 6 B 67/06, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris Rn.4). Nach dieser ist die Grundentscheidung über die Rücknahme von Verwaltungsakten in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder hinreichend getroffen und gelten selbst bei statusbegründenden, auf lange Dauer angelegten Verwaltungsakten unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeit keine gesteigerten Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung einer Rücknahme.
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cc. Der Bescheid vom 25. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 lässt sich wahlweise auf § 18 Abs. 2 PromO 2010 oder § 48 Abs. 1 HmbVwVfG stützen, obwohl der Widerspruchsausschuss für Prüfungsangelegenheiten im Widerspruchsbescheid zu Unrecht ausgeführt hat, die „Tatbestandsvoraussetzungen des insoweit maßgeblichen § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 1. Variante i.V.m. § 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 19 PromO 1972“ seien erfüllt.
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Da sich die Ermessensausübung immer vom Zweck der Rechtsgrundlage leiten lassen muss, ist der Austausch der Rechtsgrundlage bei einem Ermessensverwaltungsakt dann möglich, wenn die von der Behörde irrtümlich benannte und die richtige Rechtsgrundlage zweckgleich sind (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 11.4.2013, 4 Bf 141/11, NordÖR 2014, 36, juris Rn. 50; VGH München, Urt. v. 16.1.1975, 40 VIII 74, BayVBl. 1978, 180). Diese Voraussetzung ist in jeder Hinsicht erfüllt:
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Die (nach § 1 Abs. 1 und 4 VwVfG nicht anwendbare) bundesrechtliche Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG ist zweckgleich mit der (nach § 1 Abs. 1 HmbVwVfG nachrangig anwendbaren) wortlaut- und inhaltgleichen Parallelvorschrift des Landesrechts in § 48 Abs. 1 HmbVwVfG über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte.
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Für die Satzungsbestimmung über die Aberkennung und Entziehung des Doktorgrads wegen vorsätzlicher Täuschung im Promotionsverfahren nach § 18 Abs. 2 PromO 2010 gilt nichts anderes. Ebenso wie die Rücknahmevorschriften in den parallelen Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder dem Ausgleich zwischen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Rechtssicherheit dienen (vgl. Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 28 ff.) ist bei der Ausübung des Ermessens nach der Satzungsbestimmung des § 18 Abs. 2 PromO 2010 zwischen der dem öffentlichen Interesse dienenden Herstellung rechtmäßiger Zustände durch Aufhebung der rechtswidrigen Verleihung des Doktorgrads und dem privaten Interesse des Promovenden an dem Erhalt des Doktorgrads abzuwägen. In Bezug auf die Rücknahme der Verleihung eines akademischen Grads des Doktors dient § 48 Abs. 1 HmbVwVfG dem Ansehen der betroffenen Hochschule und dem Ansehen der Rechtswissenschaft (so zur Parallelvorschrift Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG: BVerwG, Beschl. v. 20.10.2006, 6 B 67.06, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris Rn. 6).
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Die Nennung der als solche kein Ermessen einräumenden Norm des § 19 PromO 1972 neben § 48 Abs. 1 (Hmb)VwVfG im Widerspruchsbescheid ist deshalb unschädlich, weil der Widerspruchsausschuss lediglich gemeint hat, die Tatbestandsvoraussetzungen auch nach § 19 PromO 1972 seien erfüllt. Seine Ermessenserwägungen hat der Widerspruchsbescheid hingegen auf § 48 Abs. 1 Satz 1 (Hmb)VwVfG gestützt.
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d. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig oder leidet zumindest nicht an einem solchen formellen Fehler, der i.S.d. § 46 HmbVwVfG erheblich wäre und einen Aufhebungsanspruch des Klägers tragen könnte. Formelle Fehler des Promotionsentziehungsverfahrens können sich aus dem Habilitationsverfahren des Klägers bereits im Ansatz nicht ergeben (hierzu unter aa.). Das Vorliegen eines bestimmten formellen Fehlers ist nicht aufgezeigt, soweit der Kläger vorgetragen hat, das Mitglied des Widerspruchsausschusses Prof. Dr. Y. habe in der Erörterung vor dem Widerspruchsausschuss Zweifel an der Rücknahme geäußert und formelle Fehler im Verfahren eingeräumt. Etwaige formelle Fehler bei Erlass des Bescheids vom 25. Juni 2012 sind nach Bescheidung des Widerspruchs, wenn nicht geheilt, so doch zumindest nicht länger beachtlich (hierzu unter bb.). Bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 wurde den formellen Anforderungen Genüge getan (hierzu unter cc.).
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aa. Die Vorgänge in dem vom Habilitationsausschuss unter dem Vorsitz des Dekans durchzuführenden und noch nicht abgeschlossenen Habilitationsverfahren des Klägers sind insoweit nicht zu prüfen, da sie auf die formelle Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads durch den Bescheid vom 25. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 keinen Einfluss haben. Das Habilitationsverfahren, zu dem der Kläger unter dem 15. Januar 2008 zugelassen worden ist und das seinen Abschluss noch nicht gefunden hat, ist ein Hochschulprüfungsverfahren nach § 59 Abs. 1 HmbHG, das zum Gegenstand hat, ob der Kläger habilitiert und mit einer Lehrbefugnis (venia legendi) ausgestattet wird. Es handelt sich um ein nach § 9 i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG mangels Erlass eines Verwaltungsaktes noch nicht abgeschlossenes Verwaltungsverfahren in der Gremienzuständigkeit des Habilitationsausschusses (gemäß § 20 Satz 3 der Habilitationsordnung der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg v. 14.4.2010, Amtl. Anz. S. 2676, i.V.m. § 6 der Habilitationsordnung der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg v. 7.5.1999/14.5.2001, Amtl. Anz. 2001, S. 2458). Davon zu unterscheiden ist das in der Gremienzuständigkeit des Promotionsausschusses durchgeführte Promotionsentziehungsverfahren, das als Verwaltungsverfahren mit dem Erlass des Verwaltungsaktes über die Rücknahme der Verleihung des akademischen Grads des Doktors seinen Abschluss gefunden hat. Alle Maßnahmen, die der Befassung des Promotionsausschusses vorausliegen, können nicht zur Rechtswidrigkeit des Rücknahmeverfahrens führen, da sie nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens sind (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 45 f.).
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bb. Jedenfalls wäre ein etwaiger formeller Fehler bei Erlass des Bescheids vom 25. Juni 2012 mit Erlass des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 nach § 46 HmbVwVfG unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 HmbVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Unter der Annahme eines formellen Fehlers bei Erlass des Bescheids vom 25. Juni 2012 sind diese Voraussetzungen einer Unbeachtlichkeit gegeben. Ein Nichtigkeitsgrund nach § 44 HmbVwVfG ist nicht ersichtlich. Ein Mangel in der sachlichen Zuständigkeit, der nicht nach § 46 HmbVwVfG als unbeachtlich angesehen werden könnte, liegt nicht vor (hierzu unter (1)). Eine etwaige Verletzung von Vorschriften über das Verfahren bei Erlass des Bescheids vom 25. Juni 2012 wäre nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens unbeachtlich (hierzu unter (2)).
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(1) Die Zuständigkeiten bei Erlass des Bescheids vom 25. Juni 2012 sind gewahrt. Nach allgemeinen Regeln lag die Verbandszuständigkeit für die Rücknahme bei der beklagten Hochschule als Rechtsträgerin des vormaligen Fachbereichs Rechtswissenschaft I, dessen Sprecher den zurückgenommenen Verwaltungsakt der Verleihung des Doktorgrads am 28. Januar 1998 ausgefertigt hatte. In dem Verwaltungsverfahren, das nach § 9 HmbVwVfG mit der Rücknahme als Verwaltungsakt am 25. Juni 2012 abschloss, hat mit dem Dekanat der Fakultät für Rechtswissenschaft das zuständige Organ als Ausgangsbehörde den angefochtenen Bescheid ausgefertigt und zwar in Vollziehung der vom Promotionsausschuss als zuständigem Gremium getroffenen Rücknahmeentscheidung. Im Einzelnen:
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Die Zuständigkeit als Ausgangsbehörde lag bei einem Organ der Fakultät für Rechtswissenschaft, da der jeweiligen Fakultät der Universität Hamburg gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 HmbHG auf ihrem Gebiet die Wahrnehmung der Aufgaben in Lehre, Forschung und Entwicklung und dafür notwendige Verwaltungsaufgaben obliegen und die Fakultät gemäß § 89 Abs. 1 Satz 4 HmbHG eine eigene Verwaltung unterhält. Die Fakultät für Rechtswissenschaft ist als Untergliederung der Beklagten nach § 89 Abs. 1 Satz 1 HmbHG an die Stelle des vormaligen Fachbereichs Rechtswissenschaft I getreten, dessen Sprecher die Promotionsurkunde zugunsten des Klägers ausgefertigt hatte. Organe der Fakultät sind gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 HmbHG das Dekanat und der Fakultätsrat. Die Aufzählung ist abschließend, die Hochschulen dürfen keine weiteren Organe der Fakultäten schaffen (Drexler, in Neukirchen/Reußow/Schomburg, Hamburgisches Hochschulgesetz, 1. Aufl. 2011, § 89 Rn. 6). Das Dekanat nahm nach § 90 Abs. 6 Nr. 8 HmbHG (in der bis 30.6.2014 gültigen Fassung, nunmehr § 90 Abs. 6 Nr. 7 HmbHG) alle Aufgaben der Fakultät wahr, die nicht vom Fakultätsrat wahrzunehmen sind. Eine Zuständigkeit des Fakultätsrats nach dem Katalog des § 91 Abs. 2 HmbHG war nicht begründet. Keine Bedenken erheben sich gegen ein Tätigwerden des Dekans als Behördenleiter. Dies geht im Umkehrschluss daraus hervor, dass nach § 90 Abs. 2 Satz 2 HmbHG die Dekanin oder der Dekan den Prodekaninnen und Prodekanen einen eigenen Aufgabenbereich überträgt, mithin selbst über ihren oder seinen Aufgabenbereich entscheidet.
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Die vor Erlass des Verwaltungsaktes im Außenverhältnis durch das Dekanat als Ausgangsbehörde fakultätsintern erforderliche Gremienentscheidung des Promotionsausschusses liegt vor. Die interne Zuständigkeit des Promotionsausschusses der Fakultät für Rechtswissenschaft zur Entscheidung über die Rücknahme folgt aus § 63 Abs. 1 Satz 2 HmbHG i.V.m. § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010. Der Promotionsausschuss ist durch § 2 Abs. 1 Satz 1 PromO 2010 für die Promotion, die nach § 59 Abs. 1 HmbHG zu den Hochschulprüfungen zählt, als Prüfungsausschuss i.S.d. § 63 Abs. 1 HmbHG bestimmt. Dem Prüfungsausschuss obliegen gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 HmbHG die Organisation der Prüfung und gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 HmbHG weitere durch die Prüfungsordnung übertragene Aufgaben. Die Aufgabe zur Entscheidung über die nachträgliche Aberkennung und Entziehung ist dem Promotionsausschuss durch die Satzungsbestimmung des § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010 übertragen, die auf das Promotionsentziehungsverfahren des Klägers zeitlich anwendbar ist (s.o. c. aa.).
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Gegen die Zuständigkeit des Promotionsausschusses für die Entscheidung über die Rücknahme bestehen aus dem höherrangigen Recht auch nicht deshalb Bedenken, weil in ihm nach § 63 Abs. 1 Satz 4 HmbHG die stimmberechtigte Mitwirkung von Studierenden vorzusehen ist. Der Prüfungsausschuss ist nicht zu verwechseln mit der Prüfungskommission (Delfs, in Neukirchen/Reußow/Schomburg, HmbHG, 1. Aufl. 2011, § 63 Rn. 2). Denn für die Bewertung von Prüfungsleistungen ist der Prüfungsausschuss nach § 63 Abs. 1 Satz 3 HmbHG ausdrücklich nicht zuständig. Deshalb war es nicht geboten, dass die Mitglieder des Promotionsausschusses mindestens die durch die Prüfung festzustellende oder eine gleichwertige Qualifikation besitzen, wie § 64 Abs. 1 HmbHG für die Prüferinnen und Prüfer in einer Hochschulprüfung verlangt. Entgegen der vom Kläger vorgebrachten Auffassung geht es nicht um eine „wissenschaftsbasierte Entscheidung“. Bei der Entziehung der Promotion steht nicht eine inhaltliche Bewertung der Dissertation in Rede, sondern die Klärung der Frage, ob die Dissertation wissenschaftlichen Mindeststandards genügt (BVerwG, Beschl. v. 20.10.2006, 6 B 67/06, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris Rn. 5), ohne dass ein prüfungsspezifischer Beurteilungsspielraum bestünde (OVG Münster, Urt. v. 10.12.2015, 19 A 254/13, juris Rn. 28; VG Karlsruhe, Urt. v. 4.3.2013, 7 K 3335/11, juris Rn. 28).
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Es ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus der Schwere des Eingriffs in seine Rechte zu begründen, dass der Promotionsausschuss nur beratend habe tätig werden dürfen. Ein Vorrang des Dekanats oder des Fakultätsrats bei einer für den Betroffenen bedeutsamen Einzelfallentscheidung ergibt sich aus höherrangigem Recht nicht. Die zunächst vom Promotionsausschusses aufgrund seiner Gremienzuständigkeit getroffene Entscheidung über die Rücknahme unterliegt letztlich ohnehin der vollen Überprüfung an den Maßstäben nicht nur der Rechtmäßigkeit, sondern auch der Zweckmäßigkeit durch den zuständigen Widerspruchsausschuss in Prüfungsangelegenheiten (dazu s.u. dd. (1)).
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(2) Eine etwaige Verletzung von Vorschriften über das Verfahren bei Erlass des Bescheids vom 25. Juni 2012 wäre nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens unbeachtlich. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann insbesondere die Frage einer Befangenheit im ursprünglichen Verfahren in den Fällen offenbleiben, in denen die Widerspruchsbehörde einen Rücknahmebescheid vollständig überprüft und durch eine selbstständige Sachentscheidung bestätigt hat (BVerwG, Urt. v. 28.5.2015, 1 C 24/14, BVerwGE 152, 164, juris Rn. 15 m.w.N.). Ausgehend von dieser Rechtsprechung fehlt es im vorliegenden Fall an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen einem etwaigen formellen Fehler und der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zur gerichtlichen Prüfung gestellten Rücknahmeentscheidung. Der Widerspruchsausschuss hat den Rücknahmebescheid anhand der Maßstäbe der Rechtmäßigkeit sowie der Zweckmäßigkeit vollständig überprüft und durch eine selbständige Sachentscheidung bestätigt. Dem Promotionsausschuss kam kein von der Widerspruchsbehörde zu achtender prüfungsspezifischer Beurteilungsspielraum zu (dazu s.o. (1)). Der Widerspruchsausschuss hat den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum auch ausgeschöpft. Im Einzelnen hat er ausweislich des Widerspruchsbescheids (S. 9-11) sein Ermessen ausgeübt und in die vorgenommene Abwägung insbesondere folgende Gesichtspunkte eingestellt: die Einschränkung des Vertrauensschutzes bei arglistiger Täuschung, die berufliche Situation des Klägers und der drohende Reputationsverlust, die Wahrung wissenschaftlicher Standards, das Fehlen eines Vergleichsschlusses mit „Generalquittungscharakter“ und die entstandenen Indiskretionen.
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cc. Den formellen Anforderungen wurde jedenfalls bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 Genüge getan. Die Zuständigkeiten sind gewahrt (hierzu unter (1)). Der Mitwirkung der Mitglieder des Widerspruchsausschusses stand keine Besorgnis der Befangenheit entgegen (hierzu unter (2)). Die gebotene Anhörung des Klägers hat stattgefunden (hierzu unter (3)).
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(1) Die Verbandszuständigkeit für die Bescheidung des Widerspruchs in Selbstverwaltungsangelegenheiten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO lag in Ermangelung einer abweichenden gesetzlichen Regelung bei der Beklagten. Die behördliche Zuständigkeit lag, nachdem der Promotionsausschuss beschlossen hatte, dem Widerspruch nicht nach § 72 VwGO abzuhelfen, beim Widerspruchsausschuss in Prüfungsangelegenheiten. Dies folgt aus § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 a.E. VwGO i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 HmbHG in der zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung maßgebenden Fassung. Danach entscheidet über Widersprüche in Prüfungsangelegenheiten der Widerspruchsausschuss. Diesem gehören gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 HmbHG als Vorsitzender ein Mitglied des Technischen, Bibliotheks- und Verwaltungspersonals (TVP) mit der Befähigung zum Richteramt und als Beisitzer eine Professorin oder ein Professor sowie eine Studierende oder ein Studierender der Fachrichtung, in der die Prüfung durchgeführt worden ist, an. Die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads betrifft eine Prüfungsangelegenheit i.S.d. § 66 Abs. 1 Satz 1 HmbHG. Denn die Promotion, um deren Rückgängigmachung es geht, zählt nach § 59 Abs. 1 HmbHG zu den Hochschulprüfungen (s.o. c. aa.). Der Zuständigkeit des Widerspruchsausschusses für die Entscheidung über einen Widerspruch gegen die Entziehung des Doktorgrads steht dabei nicht entgegen, dass weder der Vorsitzende des Widerspruchsausschusses noch der studentische Beisitzer selbst promoviert sein müssen. Die Qualifikation, um deren Rücknahme es geht, ist bei den Mitgliedern des Widerspruchsausschusses deshalb nicht zu fordern, weil die Rücknahme eines akademischen Grads nicht als Prüfungsentscheidung unter Ausübung eines prüfungsspezifischen Spielraums ergeht (dazu s.o. bb. (1)).
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(2) Hinsichtlich der Mitglieder des Widerspruchsausschusses bestand keine Besorgnis der Befangenheit. Eine der Mitwirkung am Verwaltungsverfahren entgegenstehende Besorgnis der Befangenheit setzt § 21 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen. Ein solcher Grund bestand weder allgemein wegen der Zugehörigkeit zweier Mitglieder des Widerspruchsausschusses zur Fakultät für Rechtswissenschaft (hierzu unter (a)) noch im Besonderen wegen der Stellung eines Mitglieds des Widerspruchsausschusses als Promotionsstudent (hierzu unter (b)).
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(a) Entgegen der Annahme des Klägers, dass wegen aufgetretener Indiskretionen die „gesamte Fakultät“ befangen sei mit der Folge, dass niemand über die Rücknahme habe entscheiden dürfen, bestand nicht gegen alle Mitglieder der Fakultät die Besorgnis der Befangenheit und ist insofern das Recht auf ein faires Verfahren nicht verletzt.
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Das Gesetz kennt keine institutionelle Befangenheit, sondern nur eine individuelle Befangenheit einzelner Personen (Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 21 Rn. 2 i.V.m. § 20 Rn. 8). Eine Besorgnis der Befangenheit verlangt einen gegenständlichen, vernünftigen Grund, der die Beteiligten von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen kann, dass der Amtsträger nicht unparteiisch sachlich, insbesondere nicht mit der gebotenen Distanz, Unbefangenheit und Objektivität entscheiden, sondern sich von persönlichen Vorurteilen oder sonstigen sachfremden Erwägungen leiten lassen könnte; nicht ausreichend ist die „Ahnung“ oder das „Gefühl“ eines Beteiligten oder rein querulatorisches Vorbringen; erforderlich ist vielmehr ein in der Person oder in der Art der Sachbehandlung liegender, benennbarer, rationaler Grund, der an Tatsachen anknüpft, die nach objektiven und vernünftigen Erwägungen geeignet sind, Zweifel an der unparteiischen Tätigkeit des Bediensteten zu wecken (Schmitz, a.a.O., § 21 Rn. 10 m.w.N.).
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Nach diesem Maßstab war nicht jedes einzelne Mitglied der Fakultät für Rechtswissenschaft deshalb von einer Mitwirkung auszuschließen, weil es im Umfeld des Habilitationsverfahrens oder auch des Promotionsentziehungsverfahrens des Klägers zu Indiskretionen gekommen war. Indiskretionen aus einer Fakultät führen in aller Regel nicht dazu, dass gegen alle Mitglieder der Fakultät die Besorgnis der Befangenheit erhoben werden könnte. In Übereinstimmung damit hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf, selbst nachdem ein Bericht, der im Entziehungsverfahren dem Promotionsausschuss vorgelegt worden war, auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt ist, keinen objektiven Anhaltspunkt für eine Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder des für die Rücknahme zuständigen Fakultätsorgans gesehen (VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 60).
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Der alle Mitglieder der Fakultät für Rechtswissenschaft umfassende Personenkreis ist so weit gezogen, dass auch dann, wenn feststünde, dass sich ein namentlich unbekanntes Mitglied der Fakultät einer Verletzung des Dienstgeheimnis nach § 353b StGB schuldig gemacht hätte, kein vernünftiger Grund bestünde, der die Beteiligten von ihrem Standpunkt aus befürchten ließe, jedes Mitglied der Fakultät werde nicht unparteiisch sachlich, insbesondere nicht mit der gebotenen Distanz, Unbefangenheit und Objektivität entscheiden, sondern sich von persönlichen Vorurteilen oder sonstigen sachfremden Erwägungen leiten lassen. Aus objektiver Sicht ist der Verdachtsgrad hinsichtlich der Verletzung des Dienstgeheimnisses, der sich gegen jedes einzelne Mitglied der Fakultät allein aufgrund seiner Mitgliedschaft richtet, äußerst gering. Denn Mitglieder der Fakultät sind alle der Fakultät zugeordneten und nach § 91 Abs. 1 i.V.m § 10 Abs. 1 HmbHG im Fakultätsrat vertretenen Mitglieder der Hochschule, d.h. nach § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbHG alle hauptberuflich Beschäftigten sowie immatrikulierten Studierenden einschließlich Doktorandinnen und Doktoranden. Aus dem durchgeführten Ermittlungsverfahren, …, das die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Unbekannt geführt und am 8. Januar 2013 eingestellt hat, weil kein Täter ermittelt werden konnte, ergibt sich keine Eingrenzung des in Betracht kommenden Personenkreises. Es ist nicht ersichtlich, welches bestimmte Mitglied der Fakultät für Indiskretionen verantwortlich war, schon gar nicht, dass es sich um einen der Beisitzer im Widerspruchsausschuss für Prüfungsangelegenheiten handelte.
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(b) Eine Besorgnis der Befangenheit besteht entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht deshalb, weil das Mitglied des Widerspruchsausschusses Z. zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch Promotionsstudent an der Fakultät für Rechtswissenschaft war. Das Gesetz hat in § 66 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HmbHG die Mitgliedschaft eines Studierenden der die Prüfungsangelegenheit betreffenden Fachrichtung im Widerspruchsausschuss zwingend vorgeschrieben. Nach der Wertung des Gesetzgebers begründet die damit einhergehende Beziehung zur Fakultät – immatrikulierte Studierende sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbHG Mitglieder der Hochschule als Körperschaft – noch keine Besorgnis der Befangenheit, sondern gewährleistet für den verfahrensbeteiligten Prüfling die Mitwirkung eines „peers“, sie dient nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich der „Sicherung der Rechte der Studierenden“ (Bü-Drs. 16/5759, S. 48). Der Gesetzgeber hat in § 66 Abs. 1 Satz 4 HmbHG die Entscheidung getroffen, dass die Mitglieder des Widerspruchsausschusses nicht gleichzeitig dem zuständigen Prüfungsausschuss angehören dürfen. Daraus geht im Umkehrschluss hervor, dass sich der Gesetzgeber gegen andere besondere Ausschlussgründe entschieden hat.
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(3) Dem sich aus § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010 und nachrangig aus § 28 Abs. 1 HmbVwVfG ergebenden Erfordernis, den Kläger zur Rücknahme der Promotion anzuhören, wurde Genüge getan. Soweit der Kläger gerügt hat, er sei vor dem Erlass des Ausgangsbescheids nur zu dem Vorwurf der arglistigen Täuschung angehört worden, nicht zu dem Vorwurf eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens, auch fehle es an einer persönlichen Anhörung, muss der Frage nicht nachgegangen werden, ob die vom Promotionsausschuss durchgeführte Anhörung hinreichte. Denn ein Verfahrensfehler, der in einem etwaigen Anhörungsmangel gelegen hätte, wäre durch die Nachholung im Widerspruchsverfahren nach § 45 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 HmbVwVfG geheilt. Im Widerspruchsverfahren ist der Kläger durch den Widerspruchsausschuss in Prüfungsangelegenheiten auch in Person angehört worden und hatte zuvor auch schriftlich Gelegenheit, zu den im ursprünglichen Bescheid erhobenen und im Widerspruchsbescheid bestätigten Vorwürfen Stellung zu nehmen. Eine Anhörung vor der Widerspruchsbehörde genügt. Die Widerspruchsbehörde ist bei Ermessensakten nur dann nicht imstande, die von der Ausgangsbehörde versäumte Anhörung wirksam nachzuholen, wenn sie entgegen der Regel des § 68 Abs. 1 VwGO durch ein Gesetz auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit beschränkt ist, also im Gegensatz zur Ausgangsbehörde die Frage der Zweckmäßigkeit nicht beurteilen darf (BVerwG, Urt. v. 17.8.1982, 1 C 22/81, BVerwGE 66, 111, juris Rn. 18). Dieser Ausnahmefall liegt jedoch nicht vor, da insbesondere kein vom Widerspruchsausschuss zu achtender prüfungsspezifischer Beurteilungsspielraum gegeben ist (dazu s.o. bb. (1)).
- 119
e. In materieller Hinsicht sind die tatbestandlichen Anforderungen erfüllt, unter denen der Doktorgrad nach § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010 aberkannt und entzogen oder nach § 48 Abs. 1 HmbVwVfG zurückgenommen werden kann.
- 120
Eine Rücknahme der Promotion setzt nach § 48 Abs. 1 HmbVwVfG tatbestandlich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus, mit dem der Doktorgrad verliehen worden ist. Rechtswidrig ist dieser Verwaltungsakt insbesondere dann, wenn er auf einer vorsätzlichen Täuschung im Promotionsverfahren beruht. Ebenso setzen Aberkennung und Entziehung des Doktorgrads nach § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010 voraus, dass die Doktorandin oder der Doktorand im Promotionsverfahren vorsätzlich getäuscht hat. Der in dieser Prüfungsordnung verwendete Begriff der vorsätzlichen Täuschung knüpft an den Begriff der arglistigen Täuschung im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht, hier in § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 HmbVwVfG, an (entsprechend die Auslegung des OVG Münster, Urt. v. 10.2.2016, 19 A 991/12, juris Rn. 59, für das Tatbestandsmerkmal „Täuschung“ in der dort einschlägigen Prüfungsordnung). Bei der Erstellung einer Dissertation begeht der Doktorand die vorausgesetzte Täuschung namentlich dann, wenn er bei den Gutachtern einen Irrtum über das Vorliegen der wesentlichen Verleihungsvoraussetzungen, d.h. insbesondere über die Eigenständigkeit seiner erbrachten wissenschaftlichen Leistung hervorruft, indem er in erheblichem Umfang fremde Textpassagen ohne Quellenangabe aus dem Werk eines anderen Autors wörtlich oder sinngemäß übernimmt, obwohl ihm deren Herkunft vom Fremdautor bewusst ist (OVG Münster, Urt. v. 10.2.2016, a.a.O.). Im Einzelnen setzt eine vorsätzliche Täuschung im Promotionsverfahren eine Täuschungshandlung, deren Erheblichkeit, einen zur Verleihung des Doktorgrads führenden Irrtum und den Vorsatz des Prüflings voraus.
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Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat in dem ursprünglichen Promotionsverfahren, das mit der Verleihung des Doktorgrads mit der vom Sprecher des Fachbereichs Rechtswissenschaft I ausgefertigten Urkunde vom 28. Januar 1998 abschloss, vorsätzlich getäuscht. Die Täuschungshandlung liegt in der Einreichung einer mit Zitierfehlern behafteten Dissertation und der Abgabe einer von § 7 Abs. 3 Nr. 3 PromO 1972 geforderten Versicherung vom 1. Juni 1997, die Dissertation selbst angefertigt und nur die angegebenen Hilfsmittel benutzt zu haben. Darin liegt deshalb eine Täuschungshandlung, weil die vorgelegte Dissertation den bereits im Zeitpunkt der Abgabe der Dissertation geltenden Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit (hierzu unter aa.) ausweislich der im Einzelnen festzustellenden Zitierfehler nicht genügt (hierzu unter bb.). Die Täuschung ist erheblich (hierzu unter cc.). Sie hat einen Irrtum hervorgerufen, auf dem die Verleihung des Doktorgrads beruht (hierzu unter dd.). Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt (hierzu unter ee.).
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aa. Die Vorlage einer Dissertation, welche gegen die zum Zeitpunkt der Vorlage geltenden Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit verstößt, begründet eine Täuschung im Promotionsverfahren (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 69 ff.). Die Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit gebieten es insbesondere, die Übernahme von Fremdleistungen durch geeignete Quellennachweise als solche kenntlich zu machen. Im Einzelnen:
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Die Promotion des Klägers erfolgte gemäß § 2 Abs. 1 PromO 1972 auf Grund einer als „rechtswissenschaftliche Abhandlung“ legaldefinierten Dissertation sowie des Kolloquiums. Die Dissertation musste gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 PromO 1972 die Rechtswissenschaft fördern. Die zum Zeitpunkt der Promotion geltende Promotionsordnung beruhte als Hochschulprüfungsordnung auf dem Gesetz über die Universität Hamburg (v. 25.4.1969, HmbGVBl. S. 61 m. spät. Änd. – HmbUG) und galt bei Verleihung des Doktorgrads an den Kläger unter den Nachfolgevorschriften (des vormaligen Hamburgischen Hochschulgesetzes v. 2.7.1991, HmbGVBl. S. 249) fort. In dem Promotionsverfahren war ausgehend von der Verantwortung des damaligen Fachbereichs für die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses nach § 41 Abs. 1 HmbUG (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HmbHG) der Charakter der Promotion als akademische Prüfung gemäß § 41 Abs. 3 Satz 1 HmbUG (vgl. § 59 Abs. 1 HmbHG) und der Charakter des Doktorgrads als akademischer Grad gemäß § 41 Abs. 4 HmbUG (vgl. § 70 Abs. 4 Satz 1 HmbHG) zu gewährleisten.
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Nur eine unter Offenlegung aller verwendeten Quellen und Hilfsmittel erbrachte wissenschaftliche Leistung genügt den an eine Dissertation gestellten Anforderungen (VGH Mannheim, Beschl. v. 9.2.2015, 9 S 327/14, NJW 2015, 2518, juris Rn. 7; Urt. v. 19.4.2000, 9 S 2435/99, KMK-HSchR/NF 21A Nr. 19, juris Rn. 24; Urt. v. 18.11.1980, IX 1302/78, ESVGH 31, 54 <58>; Schroeder, NWVBl. 2010, 176 <179>). In der obergerichtlichen Rechtsprechung war bereits bei Abgabe der Dissertation des Klägers als ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit anerkannt, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten; unterbleibt in diesem Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen (OVG Münster, Urt. v. 20.12.1991, 15 A 77/89, NWVBl 1992, 212, juris Rn. 11, daran anschließend VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 70 ff.; vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.1980, ESVGH 31, 54, daran anschließend Beschl. v. 13.10.2008, 9 S 494/08, NVwZ-RR 2009, 285, juris Rn. 8). Insbesondere der Umstand, dass nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 PromO 1972 die Abgabe einer Versicherung über die eigenständige Anfertigung der Dissertation und die abschließende Verwendung der genannten Quellen vom Kläger gefordert wurde, verdeutlicht, dass das Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit bereits im Jahr 1998 zu beachten war. Von Bagatellfällen abgesehen verstößt die wörtliche oder sinngemäße Übernahme von Textpassagen aus fremden Werken ohne (ausreichendes) Zitat gegen grundlegende Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens und schließt damit die Annahme einer Arbeit als Dissertation im Regelfall aus (VGH München, Urt. v. 4.4.2006, 7 BV 05.388, BayVBl. 2007, 281, juris Rn. 13). Das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit erfordert es, die Übernahme einer Fremdleistung nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden (so der Sache nach auch VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, a.a.O., Rn. 69, jedoch unter der urheberrechtlich falschen Einordnung der Fremdleistung als „geistiges Eigentum“, dazu Apel, ZUM 2014, 621 <623> m.w.N.). Geboten ist, dass „der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht“ (VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, a.a.O., Rn. 108, zust. Apel, a.a.O.). Dagegen wird auch dann verstoßen, wenn der Doktorand Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur in der Dissertation nicht hinreichend kenntlich macht (VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, a.a.O., Rn. 122). Fehlt es an einer solchen Kenntlichmachung der Übernahme der Rezeptionsleistung und bezieht sich der Doktorand auf eine Primärquelle, deren Inhalt und/oder Deutung er letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, so täuscht er (VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, a.a.O., Rn. 124).
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Die Übernahme eines gedanklichen Inhalts erfordert eine Nennung des Autors. Zwar sind – in Übereinstimmung mit dem Vortrag des Klägers – Quellenangaben bei der Wiedergabe evidenter Aussagen entbehrlich, wenn der Leser sie auch ohne Herkunftsangabe nicht für eine Eigenleistung des Doktoranden halten kann. Doch kann und muss der Leser eine Nennung des fremden Autors bei einer Übernahme originärer Inhalte erwarten, insbesondere bei einer über eine bloße Beschreibung hinausgehenden Analyse oder Schlussfolgerung. Die berechtigte Erwartung des Lesers, der Urheber werde genannt, wird erfüllt, wenn die Autorennennung im Text an einem Ort vorhanden ist, die dem Leser nach dem Sinnzusammenhang eine Zuordnung zu der Textstelle ermöglicht und nicht zu weit vorne oder zu weit hinten im Text erscheint. Der Rechtsauffassung des Klägers, es bestehe die Möglichkeit eines Zitates „passim“, die in einem summarischen Verweis auf eine Quelle bestehe, um den Lesefluss nicht zu hemmen, folgt das erkennende Gericht in dieser Allgemeinheit nicht. Zum einen muss in dem wissenschaftlichen Werk offengelegt werden, dass die Quellennachweise summarisch zu verstehen seien. Zum anderen kann eine Autorennennung nicht schlicht unter Berufung auf den Lesefluss unterbleiben, da Passagen ohne Autorennennung als eigene Leistung wahrgenommen werden. Möchte der Verfasser eines wissenschaftlichen Werks auf die störende Autorennennung verzichten, ist ihm dies nur durch den Verzicht auf Übernahmen fremden Gedankenguts möglich.
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Über die Autorennennung hinaus darf der Leser die besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme erwarten, wenn ganze Sätze oder charakteristische Einzelformulierungen wörtlich übernommen werden. Der besonderen Kennzeichnung bedarf es, wenn ein Text wortgleich oder im Wesentlichen wortgleich übernommen wird, ohne dass diese Form der Wiedergabe und damit letztlich die Herkunft des in der Arbeit verwendeten und ausformulierten Textes deutlich gemacht worden sind, sei es im Text selbst oder durch eine entsprechende Abfassung der verwendeten Zitate (OVG Münster, Beschl. v. 12.8.2010, 14 A 847/09, juris Rn. 17). Den Erfordernissen einer rechtswissenschaftlichen Dissertation entspricht es, dass der Doktorand eigene Formulierungsleistungen erbringt oder dort, wo er von fremden Formulierungen Gebrauch macht, dies kenntlich macht.
- 127
Hinsichtlich der einzelnen Textstellen ist daher zunächst zu untersuchen, ob wegen der Übernahme von Fremdleistungen eine Autorennennung für die Textstelle überhaupt und ob zusätzlich eine besondere Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme von Formulierungen erforderlich ist. Sodann ist zu untersuchen, ob eine Autorennennung für die Textstelle und zusätzlich eine besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme vorliegen. Aus der Gegenüberstellung der geforderten Zitierweise und der erfolgten Zitierweise ergeben sich folgende Fallgruppen:
- 128
Autorennennung
und besondere
Kennzeichnung
erfolgenAutorennennung erfolgt,
besondere erfolgt
Kennzeichnung nichtbereits Autorennennung
erfolgt nichtkeine Autorennennung
erforderlich–
–
Fallgruppe A:
kein Zitierfehler,
da bereits keine
Autorennennung erforderlichnur Autorennennung
erforderlich,
besondere Kennzeichnung
einer wörtlichen Übernahme
entbehrlich–
Fallgruppe B:
kein Zitierfehler,
da die allein erforderliche
Autorennennung erfolgtFallgruppe D:
Zitierfehler,
da die allein erforderliche
Autorennennung fehltAutorennennung und besondere
Kennzeichnung erforderlichFallgruppe C:
kein Zitierfehler,
da die erforderliche
Autorennennung und die
erforderliche besondere
Kennzeichnung erfolgenFallgruppe E:
Zitierfehler,
da die erforderliche
Autorennennung ohne die
erforderliche besondere
Kennzeichnung erfolgtFallgruppe F:
Zitierfehler, da die
erforderliche Autorennennung
und die erforderliche
besondere Kennzeichnung fehlen
- 129
bb. Nach dem soeben aufgezeigten Maßstab hat der Kläger im Promotionsverfahren durch die Vorlage der Dissertation getäuscht, da diese gegen die Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit verstößt. Entgegen seinem Vortrag hat der Kläger vielfach fremde Gedanken nicht durch Fußnoten gekennzeichnet. An den sogleich darzustellenden Textstellen hat er fremde Inhalte und/oder fremde Formulierungen nicht in hinreichender Weise als solche ausgewiesen und damit für den Leser zu Unrecht den Eindruck einer eigenen Leistung erweckt. An diesen Textstellen weiß der Leser nicht, „wer zu ihm spricht“.
- 130
Dabei kann sich die Überprüfung der Dissertation innerhalb der 155 von der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 25. Juni 2012 benannten Textstellen auf die 57 Textstellen beschränken, welche in der Anlage 1 (dortige Textstellen Nr. 1 bis 55) und der Anlage 2 (dortige Textstellen Nr. 1 bis 2) zum Bescheid benannt sind und die nach Auffassung der Beklagten eine wörtliche oder nahezu wörtliche Übernahme fremder Textstellen ohne jegliche Nennung des Urhebers und Autors an der betreffenden Stelle in der Dissertation aufweisen. Es zeigt sich, dass in der vom Kläger vorgelegten Dissertation nicht an jeder dieser 57 Textstellen, aber immerhin in 44 Fällen (und in einem weiteren Fall teilweise) eine Übernahme fremder gedanklicher Inhalte und/oder Formulierungen nicht hinreichend gekennzeichnet ist.
- 131
Im Einzelnen sind die untersuchten 57 Textstellen den vorgestellten sechs Fallgruppen (dazu s.o. aa.) wie folgt zuzuordnen: An den fünf der Fallgruppe A zugeordneten Textstellen ist kein Zitierfehler festzustellen, da bereits eine Autorennennung entbehrlich ist (hierzu unter (7), (11), (27), (34) und (51)). An den sieben Textstellen der Fallgruppe B liegt ein Zitierfehler nicht vor, da die allein erforderliche Autorennennung vorhanden ist (hierzu unter (3), (4), (19), (40), (41), (43) und (48)). Keine der untersuchten Textstellen ist der Fallgruppe C zuzuordnen, in der sowohl die erforderliche Autorennennung als auch die erforderliche besondere Kennzeichnung vorhanden sind. An den beiden Textstellen der Fallgruppe D begründet es einen Zitierfehler, dass es an der allein erforderlichen Autorennennung fehlt (hierzu unter (52) und (57)). An den sieben Textstellen der Fallgruppe E ist ein Zitierfehler deshalb festzustellen, weil zwar die erforderliche Autorennennung vorhanden ist, aber ohne die ebenfalls erforderliche besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme (hierzu unter (13), (21), (26), (30), (35), (36) und (49)). An den 35 Textstellen der Fallgruppe F besteht der Zitierfehler darin, dass sowohl die erforderliche Autorennennung als auch die erforderliche besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme fehlen (hierzu unter (1), (5), (6), (8) bis (10), (12), (14) bis (18), (20), (22), (23) bis (25), (28), (29), (31) bis (33), (37) bis (39), (42), (44) bis (47), (50), (53) bis (56)). Eine Textstelle ist teilweise der Fallgruppe A und teilweise der Fallgruppe F zuzuordnen (hierzu unter (2)).
- 132
(1) In der Fußnote 5 auf S. 2 der vom Kläger vorgelegten Dissertation fehlen sowohl die erforderliche Nennung des Autors A. als auch die besondere Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme (Fallgruppe F). Der Vortrag des Klägers, dass er als Assistent von Prof. Dr. A., des Betreuers seiner Dissertation, gearbeitet habe und nicht auszuschließen sei, dass ein „Abschreiben auch umgekehrt herum erfolgt“ sein könne, ist unsubstantiiert, da nicht dargelegt ist, aus welchem Werk A. Leistungen des Klägers übernommen haben könnte. Eine Autorennennung fehlt für den Inhalt der Fußnote 5. A. wird in der Fußnote 4 zu S. 1 Abs. 2 Satz 7 der Dissertation sowie in den Fußnoten 7 und 8 zu S. 2 Abs. 2 Satz 2 ff. der Dissertation als Autor nur für die diesbezüglichen Inhalte des Textkorpus genannt. Es wird nicht erkennbar, dass auch der Inhalt der Fußnote 5 von A. stammt und keine erst vom Doktoranden selbst angestellte, weitergehende Erwägung ist.
- 133
(2) Bezüglich S. 8 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 der Dissertation des Klägers ist zu differenzieren: Satz 1 erfordert, wenngleich der Inhalt trivial und nicht Ausdruck hoher Schöpfungskraft ist, eine Autorennennung und eine besondere Kennzeichnung wörtlicher Übernahme, da der Satz wörtlich von Schiessl übernommen worden ist; an beidem fehlt es (Fallgruppe F). Satz 3 zeigt hingegen keinen Zitierfehler, die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts (§ 77 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AktG) bedarf keiner Autorennennung (Fallgruppe A).
- 134
(3) Auf S. 9 Abs. 4 Satz 3 der Dissertation begegnet kein Zitierfehler (Fallgruppe B). Eine Autorennennung ist erforderlich, da die wiedergegebene Gesetzesauslegung eine Analyseleistung darstellt. Die Kennzeichnung der Wörtlichkeit ist mangels Originalität der Formulierungen nicht zu erwarten. Eine Autorennennung am rechten Ort ist vorhanden. Der Kläger nennt in der zur Textstelle gehörenden Fußnote 31 die Kommentatoren Hefermehl und Mertens als Urheber der Gesetzesauslegung.
- 135
(4) Ebenso kein Zitierfehler findet sich auf S. 10 Abs. 2 der Dissertation (Fallgruppe B). Einer Autorennennung bedarf es, da eine Transferleistung (Bedeutung der besonderen Stellung des Arbeitsdirektors im Hinblick auf eine herausgehobene Stellung des Finanzvorstands) wiedergegeben wird. Eine wörtliche Übernahme liegt insoweit nicht vor, als „Etwas anderes gilt“ von „eine Ausnahme besteht“ abweicht. Die Autorennennung ist vorhanden. Der Kläger hat in der zugehörigen Fußnote 32 den Bundesgerichtshof und den Kommentator Hüffer als Vertreter der Rechtsauffassung genannt. Der Kläger war nicht gezwungen, zusätzlich auch den Aufsatzautor Schiessl zu nennen, selbst dann, wenn er erst durch die Lektüre des Aufsatzes auf die Auffassung des Bundesgerichtshofs und Hüffers aufmerksam geworden wäre.
- 136
(5) Auf S. 13 Abs. 2 Satz 2 der Dissertation fehlt es hingegen an der Nennung des Autors Schönbrod und an der besonderen Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme (Fallgruppe F). Diese waren, anders als bei der vorvorgenannten Textstelle (s.o. (3)), aufgrund der Originalität der Formulierung von Schönbrod geboten. Dem Gebot ist nicht Genüge getan. In der zur Textstelle gehörenden Fußnote 49 werden Mayer/Gabele, Mielke und Scheffler als Autoren genannt. Es wird nicht deutlich, dass eine wörtliche Übernahme von Schönbrod vorliegt.
- 137
(6) Ebenso verhält es sich im Ergebnis auf S. 14 Abs. 1 Satz 3 der Dissertation (Fallgruppe F). In der Fußnote 57 wird lediglich „[z]um Einfluß der Unternehmensorganisation auf die Besteuerung“ auf Raupach verwiesen. Eine Nennung Schönbrods als Urheber des gedanklichen Inhalts und auch der Formulierung fehlt insoweit. Aufgrund des Satzbeginns „Darüber hinaus“ wird für den Leser nicht ersichtlich, dass auch der nunmehr vorgestellte, weiterführende gedankliche Inhalt von Schönbrod stammt und nicht vom Doktoranden.
- 138
(7) Demgegenüber ist kein Zitierfehler auf S. 16 Abs. 1 Satz 1 der Dissertation gegeben (Fallgruppe A). Bereits einer Autorennennung bedarf es nicht. Selbst wenn der Kläger den Inhalt von Schiessl hätte übernehmen wollen, ist ihm dies mit der gewählten, leicht modifizierten Formulierung nicht gelungen. Denn während nach Schiessl die „Gesamtverantwortung eine immanente Schranke jeder Geschäftsverteilung“ bildet, d.h. eine Geschäftsverteilung möglich ist, aber nur im Rahmen der zu wahrenden Gesamtverantwortung, bildet die Gesamtverantwortung ausweislich der Dissertation eine „immanente Schranke gegen jede Form von Geschäftsverteilung“, was so gelesen werden könnte, dass jede Form von Geschäftsverteilung ausgeschlossen wäre.
- 139
(8) Sowohl an der erforderlichen Nennung des Autors Schiessl als auch an der erforderlichen besonderen Kennzeichnung der wörtlichen Übernahmen fehlt es auf S. 17 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 der Dissertation (Fallgruppe F). Marginale Veränderungen bei der Übernahme (z.B. „Besonderes Interesse im divisionalisierten Unternehmen“ statt „Im divisionalisierten Unternehmen“) deuten auf planvolles Vorgehen des Klägers hin, machen eine besondere Kennzeichnung wörtlicher Übernahmen aber nicht entbehrlich. Eine hinreichende Autorennennung kann in der zu dem nachfolgenden Satz angebrachten Fußnote 71 nicht gesehen werden. Denn in der Fußnote 71 wird nicht deutlich gemacht, dass die gesamten vorstehenden Sätze über die Möglichkeit, dem Arbeitsdirektor unter Ausschluss des Spartenleiters Kompetenzen zuzuweisen, von Schiessl stammen, sondern es wird eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zitiert, dass umgekehrt der Arbeitsdirektor eine Verteilung der Geschäfte nach sachlichen, organisatorischen oder regionalen Gesichtspunkten hinnehmen müsse, und mitgeteilt, dass Mertens und Schiessl der Rechtsprechung zugestimmt hätten.
- 140
(9) Desgleichen leidet S. 18 Abs. 1 Satz 1 der Dissertation an einem Zitierfehler (Fallgruppe F). Eine Autorennennung und eine besondere Kennzeichnung sind erforderlich wegen der Übernahme des Inhalts und der wörtlichen Übernahme von Formulierungen von Schiessl. Eine Autorennennung fehlt am rechten Ort, der Quellennachweis erfolgt an einer im Text vorgelagerten Stelle, die für den Leser eine Zuordnung zu der in Rede stehenden Textstelle nicht ermöglicht. Der vorausgehende Satz (am Ende von S. 17 Abs. 2 der Dissertation), bei dem in der Fußnote 71 Schiessl genannt wird, schließt einen ganzen Absatz ab, so dass für den Leser weder ersichtlich noch wenigstens angedeutet wird, dass Inhalt und Formulierung auch auf S. 18 Abs. 1 Satz 1 der Dissertation von Schiessl stammen.
- 141
(10) Dies setzt sich fort auf S. 18 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation (Fallgruppe F). Einer Autorennennung unter besonderer Kennzeichnung bedarf es wegen der wörtlichen Übernahme eines Satzes. Die besondere Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme konnte nicht zugunsten der besseren Lesbarkeit unterbleiben. Hätte der Doktorand ohne eine besondere Kennzeichnung auskommen wollen, so hätte er eine eigenständige Formulierungsleistung erbringen müssen. Bereits an einer Nennung des Autors fehlt es am rechten Ort. Die Fußnoten 82, 83, 86 und 87 sind einer Textpassage S. 19 Abs. 4 der Dissertation zuzuordnen und nicht der hier in Rede stehenden Textstelle auf S. 18 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation.
- 142
(11) Anderes gilt für S. 18 Abs. 3 Satz 4 der Dissertation (Fallgruppe A). Eine Nennung des Autors Schiessl ist entbehrlich, zumindest ist ihr Fehlen unter Anlegung eines großzügigen Maßstabs nicht geeignet, einen Vorwurf wissenschaftlicher Unredlichkeit mitzutragen. Die im Vergleich zu Schiessl in der Dissertation wortgleiche Formulierung „nachgeordnet“ ist nicht hinreichend originell, auch der gedankliche Inhalt hinsichtlich einer „Spartenleitung“ ist so naheliegend, dass er keinen Quellennachweis gebietet.
- 143
(12) Ein Zitierfehler begegnet dem Leser hingegen wiederum auf S. 18 Abs. 3 Sätze 5 und 6 der Dissertation (Fallgruppe F). Aus den gleichen Gründen wie bei der vorvorgenannten Textstelle (s.o. (10)) bedurfte es einer Nennung des Autors Schiessl, an der es am rechten Ort fehlt, und einer besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme. Die Rezeptionsleistung Schiessls, der die Primärquellen zusammenfasst, wird als Eigenleistung ausgegeben. Die Umstellung von Satzteilen deutet auf eine Verschleierungsabsicht des Klägers hin.
- 144
(13) Ein Zitierfehler, allerdings nur im Hinblick auf die erforderliche besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme, findet sich auf S. 19 Abs. 4 Satz 3 der Dissertation (Fallgruppe E). In den dieser Textstelle zugeordneten Fußnoten 84 und 85 werden keine Quellen ausgewiesen. Es wird nicht deutlich, dass eine wörtliche Übernahme von Teilsätzen des Autors Schiessl unter marginaler Umstellung erfolgt.
- 145
(14) An der erforderlichen Nennung des Autors Schiessl unter besonderer Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme fehlt es auf S. 20 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Inhalt und Formulierung stammen von Schiessl. Die Nennung von Schiessl neben Semler in der Fußnote 92 zu S. 20 Abs. 2 Satz 3 der Dissertation gibt keinen Hinweis auf eine inhaltliche Übernahme sowie auf eine wörtliche Übernahme ganzer Sätze auf S. 20 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Dissertation.
- 146
(15) Gleiches gilt bezüglich S. 20 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Eine Autorennennung fehlt am rechten Ort. Die Fußnote 91 zu S. 20 Abs. 2 Satz 1 der Dissertation gibt keine Quelle an. Die Nennung von Schiessl neben Semler in der Fußnote 92 zu S. 20 Abs. 2 Satz 3 der Dissertation gibt keinen Hinweis auf eine inhaltliche Übernahme sowie auf eine wörtliche Übernahme ganzer Sätze in S. 20 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Dissertation.
- 147
(16) Ebenso fehlen die erforderliche Autorennennung und die erforderliche besondere Kennzeichnung auf S. 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Die Formulierungen sind an Schiessl angelehnt und teils satzweise wörtlich mit geringfügigen Änderungen (z.B. „selbst wenn“ statt „auch wenn“) übernommen. Nach der Art einer Kollage erscheint der Einschub des vom Doktoranden selbst stammenden ersten Teils von Satz 2. Ein Fundstellennachweis zum nachfolgenden Satz in der Fußnote 93 zu S. 21 Abs. 1 Satz 1 der Dissertation unter Angabe mehrerer Autoren ist bei einer wörtlichen Übernahme ganzer Sätze nicht hinreichend, da ein Leser einen solchen Fundstellennachweis nicht der vorhergehenden Textstelle zuordnen kann.
- 148
(17) Der Urheber Schönbrod hätte auf S. 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Dissertation genannt und die wörtliche Übernahme besonders gekennzeichnet werden müssen (Fallgruppe F). Es genügt nicht, dass zum vorausgehenden Satz Schönbrod genannt wurde. Die zu dem vorausgehenden Satz angebrachte Fußnote 103 gehört zu dem abgeschlossenen Absatz 5 auf S. 24 der Dissertation. In den Fußnoten 104 („Dazu… Gabele, … Poensgen“), 105 („Dazu … v. Winckler“) sowie 106 („dazu Eisenführ“) zu S. 23 Abs. 1 der Dissertation wird nicht angegeben, dass Inhalt und Formulierungsfragmente von Schönbrod stammen.
- 149
(18) Ebenso verhält es sich auf S. 23 Abs. 3 Sätze 1 bis 4 der Dissertation (Fallgruppe F). Die Nennung Schönbrods als Urheber war nicht deshalb entbehrlich, weil Schönbrod selbst Primärquellen benannt hatte. Denn die Argumentationsstruktur und die Formulierungen stammen vom Urheber der Sekundärquelle Schönbrod. In der Fußnote 109 („Zur Matrixorganisation im einzelnen Erbslöh…“) wird die wörtliche Quelle Schönbrod nicht genannt. Auch in der hinter dem letzten Satz (schon auf S. 24) angegebenen Fußnote 110 wird die Quelle nicht genannt. Die Fußnote 108 zum letzten Satz von S. 23 Abs. 2 der Dissertation nennt Schönbrod, dieses Zitat befindet sich aber vor der Überschrift des hier in Betracht genommenen Abschnitts „Matrixorganisation“.
- 150
(19) Keinen Zitierfehler lässt S. 24 Abs. 3 Satz 2 der Dissertation erkennen (Fallgruppe B). Es bedarf einer Nennung des Autors. Allerdings folgt dies nicht bereits aus der Verwendung der (auch von A. gebrauchten) Formulierung „Anschlussfrage“, da die Formulierung nicht hinreichend originell ist. Doch bedarf der Gedanke, dass die zwingenden Grenzen des § 76 AktG (der die Leitung der Aktiengesellschaft betrifft) betroffen sind, eines Quellennachweises. Unter Anlegung eines großzügigen Maßstabs ist eine Autorennennung am rechten Ort (noch hinreichend) vorhanden. Die Quelle A. wird zwar erst in der Fußnote 111 zu S. 24 Abs. 4 Satz 1 der Dissertation genannt als Vertreter der Auffassung, es handele sich bei der Vorschrift um „eine Kompetenzvorschrift mit zuständigkeitsausschließender Wirkung gegenüber Aufsichtsrat und Hauptversammlung“. Damit ist aber implizit die Fragestellung nach den zwingenden Grenzen des § 76 AktG aufgeworfen, so dass ein Quellennachweis für den gedanklichen Inhalt von S. 24 Abs. 3 Satz 2 der Dissertation vorliegt.
- 151
(20) Ein Zitierfehler zu bejahen ist wiederum hinsichtlich S. 26 Abs. 5 Sätze 1 und 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Die Rezeptionsleistung von A. als Urheber der Sekundärquelle wird im Kern wortgleich ohne Nennung des Urhebers übernommen. Nur die Urheber der Primärquellen Mertens und Hefermehl sind in der zugehörigen Fußnote 118 benannt. Der Fehler liegt mithin darin, dass eine Arbeit an Primärquellen suggeriert wird, obwohl lediglich eine Sekundärquelle wiedergegeben wird.
- 152
(21) Ein Zitierfehler begegnet dem Leser auch auf S. 28 Abs. 3 Satz 4 der Dissertation (Fallgruppe E). Unter Anlegung eines großzügigen Maßstabs wird zwar die Nennung des Autors A. in der Fußnote 130 zu dem weiterführenden nachfolgenden Satz für ausreichend erachtet. Es fehlt aber an der besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme.
- 153
(22) Sowohl an der erforderlichen Autorennennung als auch an der besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme fehlt es auf S. 29 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation (Fallgruppe F). Dies gilt aus den entsprechenden Gründen wie bei der vorvorgenannten Textstelle (s.o. (20)). Die Rezeptionsleistung stammt in Inhalt und Formulierung von A. als Urheber der Sekundärquelle. Die Fußnote 135 nennt lediglich die Autoren der Primärquellen Hefermehl, Theisen und Henn.
- 154
(23) Auf S. 30 Abs. 4 Satz 3 der Dissertation fehlt es an der Nennung des Urhebers Scheffler, von dem die Formulierung wörtlich übernommen worden ist (Fallgruppe F). Die geringe Originalität des Inhalts macht wegen der Wörtlichkeit der Übernahme eines ganzen Satzes eine Autorennennung nicht entbehrlich.
- 155
(24) Entsprechend hätte auf S. 32 Abs. 2 Sätze 2 und 3 der Dissertation der Urheber Scheffler, von dem Formulierung und Inhalt stammen, unter besonderer Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme genannt werden müssen (Fallgruppe F). Die einzelnen Teilsätze stammen wörtlich von Scheffler, die Satzübergänge sind marginal verändert. Es fehlt schon an einer Autorennennung am rechten Ort. Nicht ausreichend ist, dass die Fußnote 142 zum einleitenden Satz 1 Semler und Scheffler nennt. Denn die Sätze 2 und Satz 3 erläutern entgegen dem klägerischen Vortrag nicht lediglich Satz 1, sondern schränken ihn ein, wie das Wort „aber“ in Satz 2 anzeigt.
- 156
(25) Auch auf S. 32 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 der Dissertation liegt der Zitierfehler darin, dass bereits der Autor Scheffler, von dem eine wörtliche Übernahme erfolgt, ungenannt bleibt (Fallgruppe F). Es gilt das Gleiche wie bei der vorstehenden Textstelle (s.o. (24)).
- 157
(26) Ein Zitierfehler ist auf S. 32 Abs. 7 Satz 4 der Dissertation insoweit festzustellen, als zwar der Urheber genannt wird, aber eine besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme fehlt (Fallgruppe E). Der Urheber Götz wird – neben anderen Autoren – zwar nicht in der Fußnote 145 zu dem auf S. 33 endenden Satz, aber doch in der Fußnote 144 zu S. 32 Abs. 7 Satz 2 der Dissertation genannt. Unter Anlegung eines großzügigen Maßstabs ist dies noch eine Autorennennung am rechten Ort. Jedoch hätte die wörtliche Übernahme von Götz besonderer Kennzeichnung bedurft.
- 158
(27) Demgegenüber ist ein Zitierfehler auf S. 34 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 der Dissertation deshalb zu verneinen, weil es bereits keiner Autorennennung bedurfte (Fallgruppe A). Die übernommenen Formulierungen „problematische Ämterhäufung“ und „Höchstzahlreduktion“ sind nicht hinreichend originell, um eine Autorennennung unter besonderer Kennzeichnung allein wegen der Wortwahl zu verlangen. Der Inhalt der Textstelle der Dissertation ist vom Inhalt der Textstelle der Quelle Götz verschieden. Denn in der Dissertation wird die Frage lediglich aufgeworfen, ob eine Höchstzahlreduktion von Aufsichtsratsmandaten geeignet ist, dem Problem der Ämterhäufung zu begegnen. Bei Götz wird diese Frage hingegen beantwortet.
- 159
(28) Einen Zitierfehler begründet auf S. 35 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation, dass es sowohl an der erforderlichen Autorennennung, als auch an der besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme fehlt (Fallgruppe F). Die Formulierung „Konzentrierung der Führungskontrolle auf den Aufsichtsrat“ stammt einschließlich der semantisch falschen Präposition („auf den“ statt „bei dem“) von A.. Eine Autorennennung fehlt am rechten Ort. A. wird erst in der Fußnote 160 zu S. 35 Abs. 3 Satz 3 der Dissertation genannt, aber nur als Urheber für eine weitergehende Überlegung, dass neben dem Aufsichtsrat dem Vorstand selbst eine Kontrollfunktion obliege („Grundlegend für die Anerkennung einer Selbstkontrolle des Vorstands A.…“). Dass bereits der Inhalt der Prämisse auf S. 35 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation, die Konzentrierung der Führungskontrolle beim Aufsichtsrat sei falsch, von A. stammt, wird nicht deutlich gemacht. Der Zitierfehler wiegt hier besonders schwer, weil eine Schlussfolgerung zu Unrecht als Eigenleistung präsentiert wird.
- 160
(29) Gleichfalls ist ein Zitierfehler auf S. 36 Abs. 1 der Dissertation gegeben (Fallgruppe F). Die wörtliche Formulierung und der Inhalt stammen von A., was kenntlich zu machen war. An einer Autorennennung und einer besonderen Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme fehlt es am rechten Ort. Da auf S. 36 Abs. 1 der Dissertation ein neuer Textabschnitt mit eigener Überschrift beginnt, genügt es insbesondere nicht, dass A. zuvor, beispielsweise in der Fußnote 160 zu S. 35 Abs. 3 Satz 3 der Dissertation genannt wird.
- 161
(30) Ein Zitierfehler mangels Kennzeichnung wörtlicher Übernahmen tritt auf S. 37 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 der Dissertation auf (Fallgruppe E). Die Formulierungen in S. 37 Abs. 2 Satz 5 der Dissertation „einzelnes Aufsichtsratsmitglied“, „zeitliche und berufliche Begrenzung der Mandatsausübung“, „gleichsam an der Kontrollzentrale des Unternehmens mitzuwirken“ stammen wörtlich von A. ebenso wie – nach Satzumstellung – diejenigen in S. 37 Abs. 2 Satz 6 der Dissertation. Wenngleich es an einer besonderen Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme fehlt, ist zumindest eine Autorennennung vorhanden. Die Quelle A. wird in der Fußnote 166 zu S. 37 Abs. 2 Satz 7 der Dissertation für den gedanklichen Inhalt, nämlich die Auffassung genannt, dass die „primäre Kontrollzuständigkeit“ beim Vorstand selbst läge. Diese Auffassung geht noch über die auf S. 37 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 der Dissertation wiedergegebene Auffassung hinaus. Ein Quellennachweis für S. 37 Abs. 2 Satz 7 der Dissertation genügt deshalb auch im Hinblick auf die Inhalte der S. 37 Sätze 4 bis 6 der Dissertation.
- 162
(31) Auf S. 38 Abs. 1 Satz 3 der Dissertation liegt der Zitierfehler darin begründet, dass es sowohl an der erforderlichen Nennung des Autors Scheffler als auch an der erforderlichen besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme fehlt (Fallgruppe F). Die Übernahme von Fremdleistungen wird dem Leser nicht dadurch deutlich gemacht, dass in der Fußnote 168 zum vorausgegangenen Satz 2 Scheffler (neben A. und Mertens) genannt wird. Diese Autorennennung ist auch nicht deshalb für Satz 3 hinreichend, weil dieser mit dem Wort „Dazu“ eingeleitet wird und damit einen neuen Aspekt behandelt. Während S. 38 Abs. 1 Satz 2 der Dissertation lediglich die Aussage enthält, dass der Vorstand sich so zu organisieren habe, dass er seiner Kontrollverantwortung optimal gerecht werde, gibt S. 38 Abs. 1 Satz 3 der Dissertation die Aussage wieder, was der Vorstand „Dazu“ sicherstellen müsse.
- 163
(32) Ebenso verhält es sich auf S. 38 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation (Fallgruppe F). An der Textstelle heißt es: „Eine wirksame Überwachung durch den Vorstand setzt voraus, daß unter den Vorstandsmitgliedern und zwischen dem Vorstand und dem übrigen Management offen und effizient kommuniziert wird, so daß der Vorstand rechtzeitig und ausreichend alle notwendigen Informationen erhält.“. Die Textstelle entspricht unter marginalen Änderungen wörtlich der Quelle: „Eine wirksame Überwachung durch die Geschäftsführung setzt voraus, daß zwischen Geschäftsführung und dem übrigen Management offen und effizient kommuniziert wird, so daß die Geschäftsführung rechtzeitig und ausreichend alle notwendigen Informationen erhält.“ Inhaltlich unerheblich ist, ob der Vorstand der Aktiengesellschaft unter dieser Bezeichnung oder gemäß seiner Funktion als Geschäftsführung angesprochen wird. Der Autor Scheffler bleibt ungenannt, die wörtliche Übernahme bleibt ungekennzeichnet.
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(33) Die Autorennennung am rechten Ort und die besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme vom Autor A. fehlen auf S. 40 Abs. 2 Sätze 2 und 3 der Dissertation (Fallgruppe F). In der Fußnote 181 zu Satz 3 wird keine Quelle genannt. In der vorausgehenden Fußnote 180 zu S. 40 Abs. 1 Satz 2 der Dissertation wird nur ein Autor Mertens genannt. Der Versuch des Klägers, einen Bezug zu den Quellennachweisen von A. in der Fußnote 176-179 herzustellen, geht fehl. Es genügt nicht der pauschale Hinweis, dass es in diesem Abschnitt durchgängig um das Interventionsrecht gehe. Das Erfordernis von Einzelnachweisen für einzelne Fragmente fremden Gedankenguts wird etwa dadurch bestätigt, dass in der Dissertation in den Fußnoten 176-179 A. mehrfach genannt wird.
- 165
(34) Ohne Zitierfehler ist S. 41 Abs. 2 Satz 1 der Dissertation (Fallgruppe A). Eine Autorennennung ist entbehrlich. Die sich auch bei Schiessl findende Formulierung ist ebenso wie der Inhalt nicht so originell, dass Schiessl notwendig zu zitieren wäre. So wird beispielsweise auch von Spindler (in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2014, § 77 Rn. 56) ohne Zitat von Schiessl ausgeführt: „Zur Wahrnehmung der Überwachungspflicht steht allen Vorstandsmitgliedern ein Informationsanspruch über Angelegenheiten aus anderen Ressorts zu.“
- 166
(35) Auf S. 47 Abs. 2 Sätze 1 f. der Dissertation zeigt sich ein Zitierfehler (Fallgruppe E). Neben anderen wird zwar der Autor Götz in der Fußnote 224 zu Satz 2 genannt, doch wird die wörtliche Übernahme von Formulierungen (z.B. „sachgerechte Überwachung ohne zuverlässige Informationsversorgung nicht möglich“, „Planungs-, Kontroll- und Informationssystemen sowie deren Implementierung“) nicht als solche ausgewiesen.
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(36) Einen gleichartigen Zitierfehler zeigt S. 48 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 der Dissertation (Fallgruppe E). Die erforderliche Autorennennung kann unter Anlegung eines großzügigen Maßstabs in der Fußnote 229 zu S. 48 Abs. 3 Satz 4 der Dissertation gesehen werden. Besonders zu kennzeichnen war jedoch, dass die Formulierungen (z.B. „[m]it der bloßen Analyse der eingetretenen und festgestellten Abweichungen […] noch nichts bewirkt“) von Semler stammen. Marginale Änderungen („verfolgt werden müssen“ statt „müssen verfolgt werden“) deuten auf einen Täuschungsvorsatz hin.
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(37) Sowohl die erforderliche Autorennennung als auch die erforderliche besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme fehlen auf S. 52 Abs. 3 Satz 3 der Dissertation (Fallgruppe F). Der Inhalt und wörtlich die Formulierung „die Revisionsabteilungen dynamisch auszurichten, um eine zeitnahe prüferische Orientierung an den Schwerpunkten der unternehmerischen Problemstellungen im Ordnungsbereich sicherzustellen“ stammen von Freiling. Es genügt nicht, dass in anderen Absätzen des Abschnitts oder benachbarter Abschnitte auf den Urheber Freiling verwiesen wird. Freiling ist in der Fußnote 245 zu S. 52 Abs. 2 der Dissertation für ein uneingeschränktes Informations- und Einsichtsrecht der „Revision“ genannt, nicht für die zweckmäßige „dynamische Ausrichtung“ der „Revisionsabteilungen“. Der Leser vermag auch die Autorennennung Freilings neben anderen Autoren in Quellennachweisen, die zu späteren Textabschnitten gehören (Fußnoten 246 zu S. 52 Abs. 4 der Dissertation und 247 zu S. 52 Abs. 5 der Dissertation), nicht der Textstelle S. 52 Abs. 3 Satz 3 der Dissertation zuzuordnen.
- 169
(38) Ebenso verhält es sich auf S. 52 Abs. 5 Satz 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Eine Autorennennung unter besonderer Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme ist erforderlich. Der Inhalt und die Formulierungen stammen von Götz. Eine Autorennennung fehlt am rechten Ort. Der Urheber Götz wird in der Fußnote 247 (neben Scheffler, Mertens und Freiling) zu S. 52 Abs. 5 Satz 1 der Dissertation dafür genannt, was zur „Gesamtverantwortung“ gehöre. Die Satzumstellung mit dem einleitenden Wort „Ferner“ auf S. 52 Abs. 5 Satz 2 der Dissertation suggeriert aber, dass hier ein neuer Inhalt dargestellt wird, der nicht mehr von der voranstehenden Fußnote gedeckt ist.
- 170
(39) Auch auf S. 56 Abs. 9 Satz 1 der Dissertation fehlen die Autorennennung und die besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme (Fallgruppe F). Die Formulierung und der Inhalt stammen von Scheffler. Die Nennung Schefflers neben Meyer-Landrut und Semler in der Fußnote 266 zu S. 56 Abs. 8 Satz 2 der Dissertation zu den Rechtsquellen, anhand derer der Aufsichtsrat eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung des Vorstands vornimmt, lässt nicht erkennen, dass Scheffler auch der Autor der auf S. 56 Abs. 9 Satz 1 der Dissertation wiedergegebenen Überlegungen zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung ist. Die Fußnote 267 zu S. 56 Abs. 9 Satz 5 der Dissertation nennt nur Semler und macht nicht deutlich, dass der Inhalt des S. 56 Abs. 9 Satz 1 der Dissertation nicht vom Kläger stammt, denn die dazwischenliegenden Sätze werden mit „Allerdings“ und „Vielmehr“ eingeleitet, legen mithin die Annahme neuer gedanklicher Inhalte nahe.
- 171
(40) Kein Zitierfehler ist in der mangelnden Nennung des Autors der Sekundärquelle Götz auf S. 63 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation zu sehen (Fallgruppe B). Die Nennung eines Autors ist für eine Auswahl an Vertretern der Literaturauffassung erforderlich, nicht aber für die Formulierungsarbeit durch Götz, die anders als etwa im Falle einer früheren Textstelle (s.o. (22)) gering erscheint. Eine Autorennennung am rechten Ort ist vorhanden. In der zum Satzbeginn „Eine Ansicht in der Literatur“ angebrachten Fußnote 295 werden Hueck, Hölters, Rowedder und Wiedemann als Vertreter der Literaturauffassung genannt. Der Kläger war nicht gezwungen, zusätzlich auch den Aufsatzautor Götz zu nennen, selbst dann, wenn er erst durch die Lektüre des Aufsatzes von Götz auf die anderen Autoren aufmerksam geworden wäre.
- 172
(41) Im Ergebnis ebenso wenig begegnet dem Leser ein Zitierfehler der hier in Rede stehenden Art auf S. 64 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation (Fallgruppe B). Die Übernahme einer Fremdleistung ist kenntlich gemacht, wenn auch der falsche Urheber genannt sein mag. Denn statt Wiedermann mag richtigerweise Götz in der Fußnote 303 zu S. 64 Abs. 3 Satz 1 der Dissertation als Autor zu benennen gewesen sein. Der verwendete Modus Konjunktiv I deutet auf die Wiedergabe einer fremden These hin und lässt es als nicht zwingend erscheinen, die Wörtlichkeit des Zitats eindeutiger zu kennzeichnen.
- 173
(42) Hingegen fehlt es sowohl an der erforderlichen Autorennennung als auch der erforderlichen besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme auf S. 65 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Der erste Satz ist vollständig wörtlich von Götz übernommen. Der zweite Satz entspricht unter Umstellung der in ihm enthaltenen Klimax der Quelle Götz. Während es bei Götz heißt: „Das Spektrum reicht von umfassenden Zustimmungsvorbehalten, die entweder durch Satzung oder Aufsichtsratsbeschuß oder auf beiden Wegen eingeführt worden sind, bis hin zu einem vollständigen Verzicht auf eine Mitwirkung des Aufsichtsrats an den Geschäften des Vorstands“, heißt es in der Dissertation: „Das Spektrum reicht vom vollständigen Verzicht auf jede Inanspruchnahme dieser Befugnis über wenige Details bis hin zu recht umfangreichen Zustimmungskatalogen, die entweder durch Satzung oder Aufsichtsratsbeschluß oder auf beiden Wegen eingeführt worden sind.“ Eine Autorennennung fehlt am rechten Ort. In der Fußnote 307 zum ersten Satz werden Gerum/Steinmann/Fees sowie Vogel als Urheber benannt. In der Fußnote 308 zum zweiten Satz werden nur Quellen zur „Problematik, ob Aufsichtsräte, die ihre Überwachungsaufgaben ohne Zustimmungsvorbehalte ausüben, ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigen“, genannt.
- 174
(43) Auf S. 67 Abs. 2 Satz 2 der Dissertation ist die allein erforderliche Autorennennung vorhanden (Fallgruppe B). Wiedergegeben ist zunächst der damalige Gesetzesstand (§§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 Satz 2, 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AktG). Die Nennung eines Autors war zwar erforderlich für den Umkehrschluss aus dem Gesetzeswortlaut, welche Zustimmungsvorbehalte mit dem Gesetz unvereinbar sind. Doch ist dieser Umkehrschluss bereits auf S. 67 Abs. 2 Satz 1 der Dissertation angedacht, wo es heißt, die Grenzen zulässiger Zustimmungsvorbehalte ergäben sich „aus § 76 Abs. 1 AktG i.V.m. dem Zusammenwirken der §§ 111 Abs. 4 S. 2, 90 Abs. 1 Nr. 4, 90 Abs. 2 Nr. 4 AktG“ und wo für diese Rechtsauffassung, neben anderen Autoren, auch Götz genannt wird. Die sich sowohl in der Dissertation als auch bei Götz findende Formulierung, dass „solche Zustimmungsvorbehalte unvereinbar sind“, ist nicht so originell, dass sie allein einen hervorgehobenen Beleg des Autors Götz erfordert hätte.
- 175
(44) Sowohl die erforderliche Autorennennung als auch die erforderliche besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme fehlen auf S. 75 Abs. 7 Satz 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Von Peltzer stammt der Satz: „Es erscheint jedoch fraglich, ob nicht in der Rechtswirklichkeit – und vielleicht schon gewohnheitsrechtlich verfestigt – in vielen Fällen eine Verlagerung auf andere Entscheidungsträger stattgefunden hat“. Dieser Satz wird – bis auf den Einschub – wörtlich übernommen. Der wiedergegebene gedankliche Inhalt an sich mag keine hohe Originalität haben, jedoch ist bei einer wörtlichen Übernahme die Nennung des Autors unter besonderer Kennzeichnung erforderlich. An beidem fehlt es hier.
- 176
(45) Ebenso verhält es sich auf S. 75 Abs. 4 Satz 2 der Dissertation (Fallgruppe F). Der Hauptteil dieses Satzes lautet: „ob nicht in der Rechtswirklichkeit in vielen Fällen eine Verlagerung auf andere Entscheidungsträger stattgefunden hat“. Er übernimmt wörtlich zwei Fragmente des Satzes von Peltzer. Die marginale Veränderung in der Einleitung „Es erscheint jedoch fraglich“ gegenüber „Es fragt sich indessen“ macht eine Nennung des Autors und eine besondere Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme nicht entbehrlich, woran es jeweils fehlt.
- 177
(46) Auf S. 76 Abs. 3 der Dissertation tritt eine wörtliche Übernahme eines Satzes von A. auf, ohne dass an dieser Stelle auch nur der Autor genannt ist (Fallgruppe F). Es genügt entgegen der Annahme des Klägers nicht, dass der „fragliche Aufsatz […] in diesem Zusammenhang an mehreren Stellen angegeben“ werde. Die Nennung von A. in den Fußnoten 348-350 zu verschiedenen Textstellen auf S. 76 Abs. 1 und 2 der Dissertation ist nicht hinreichend. Denn mit der Textstelle S. 76 Abs. 3 der Dissertation beginnt ein neuer Abschnitt unter neuer Überschrift „Die rechtliche Verantwortung für das Bestellungsverfahren“. Nach dem auf S. 76 Abs. 3 der Dissertation wörtlich wiedergegebenen Gedanken A. ist es „[h]insichtlich der Frage nach der rechtlichen Verantwortung für das Bestellungsverfahren von entscheidender Bedeutung, ob diese faktische Entscheidungsbeteiligung des Vorstands […] Ausdruck seiner rechtlichen Verantwortung […] oder lediglich eine rechtlich irrelevante Hilfeleistung ist.“ Diese Alternativen werden nicht aufgezeigt an den Textstellen S. 77 Abs. 1 Satz 4 der Dissertation und S. 77 Abs. 1 Satz 6 der Dissertation, welchen die Fußnoten 351-352 zugeordnet sind, in denen (u.a.) A. als Urheber genannt wird.
- 178
(47) Ebenso bedurfte es einer Autorennennung und einer besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme auf S. 77 Abs. 3 Satz 3 der Dissertation (Fallgruppe F). Formulierung und Inhalt stammen von Götz. Bei Götz heißt es: „Die Personalkompetenz des Aufsichtsrats fordert sein Tätigwerden bereits weit im Vorfeld einer eintretenden Vorstandsvakanz. In der Dissertation wird übernommen: „Somit erfordert die Personalkompetenz des Aufsichtsrats sein Tätigwerden bereits weit im Vorfeld einer eintretenden Vorstandsvakanz.“ Es fehlt bereits an einer Autorennennung am rechten Ort. Der Urheber Götz wird in der Fußnote 355 zu S. 77 Abs. 3 Satz 2 der Dissertation benannt, aber nur für den Gedanken, dass es mittelfristiger Nachfolgeplanungen bedürfe. Die Verwendung des Wortes „Somit“ deutet auf eine Schlussfolgerung hin, die erst recht hätte als Fremdleistung ausgewiesen werden müssen.
- 179
(48) Die allein erforderliche Autorennennung noch hinreichend vorhanden ist demgegenüber auf S. 79 Abs. 3 Satz 1 bis S. 80 Abs. 1 Satz 1 der Dissertation (Fallgruppe B). Einen Quellennachweis erfordern nicht schon die Formulierungen, die fragmentsweise von A. stammen, aber anders als bei der vorgenannten Textstelle (s.o. (47)) wenig originell sind. Einen Quellennachweis erfordert, dass die gedanklichen Inhalte von A. stammen. Für den gedanklichen Inhalt wird in der Fußnote 369 zu S. 80 Abs. 1 Satz 2 der Dissertation A. als Quelle genannt. Eine Zuordnung zu den Inhalten der in Rede stehenden Textstelle ist dem Leser möglich, da S. 80 Abs. 1 Satz 2 der Dissertation eine Konkretisierung („im erstgenannten Fall“, „im letztgenannten Fall“) des an der in Rede stehenden Textstelle eingeführten Gegensatzpaars („Auf der einen Seite“, „auf der anderen Seite“) enthält.
- 180
(49) Ein Zitierfehler, da zwar die erforderliche Autorennennung erfolgt, aber ohne die erforderliche besondere Kennzeichnung, begegnet dem Leser demgegenüber auf S. 80 Abs. 1 Satz 3 der Dissertation (Fallgruppe E). Die Satzfragmente „gilt auch […] für die vorzeitige Beendigung der Vorstandstätigkeit […], dürfen die anderen Vorstandsmitglieder nicht abwarten, bis der Aufsichtsrat die notwendigen Konsequenzen zieht, sondern müssen von sich aus initiativ werden, damit […] sein Amt zur Verfügung stellt bzw. abberufen wird.“ stammen wörtlich von A.. Dass der Inhalt von A. herrührt, geht zwar aus der Fußnote 370 zu S. 80 Abs. 1 Satz 6 der Dissertation („Deshalb wären rechtliche Vorgaben über das normative Gewicht des jeweiligen Entscheidungsträgers verfehlt.“) hervor, denn das Wort „Deshalb“ bewirkt eine Klammerung zu der vorstehenden Textstelle. Nicht offen gelegt ist aber die Wörtlichkeit der Übernahme. Geringfügige Änderungen („Gleiches gilt“ statt „Das gilt auch“) deuten auf Täuschungsvorsatz hin.
- 181
(50) Sowohl die erforderliche Autorennennung als auch die erforderliche besondere Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme der Zwischenergebnisse von A. fehlen wiederum auf S. 80 Abs. 1 Satz 1 der Dissertation (Fallgruppe F). Es handelt sich um eine Schlussfolgerung aus den vorstehenden Abschnitten, weshalb gerade eine erneute Benennung der Quelle nicht entbehrlich war, um nicht den falschen Eindruck einer Eigenleistung zu erwecken.
- 182
(51) Ohne Zitierfehler ist S. 81 Abs. 1 Satz 7 der Dissertation (Fallgruppe A). Formulierung und Inhalt, dass die für die Zukunft als Nachfolger im Vorstand ausgewählten Personen „stets adäquat und anspruchsgerecht beschäftigt werden“ müssen, sind von so geringer Originalität, dass das Fehlen einer Autorennennung unter Anlegung eines großzügigen Maßstabs als vertretbar erscheint.
- 183
(52) Einen Zitierfehler begründet in der Fußnote 396 zu S. 87 der Dissertation, dass A. als Urheber der Sekundärquelle nicht genannt wird (Fallgruppe D). Eine Autorennennung ist erforderlich wegen des Inhalts (Rezeptionsleistung von A.). Die Formulierung („Beispielhaft sei […] verwiesen“) erfordert hingegen keinen besonderen Quellennachweis. Eine Autorennennung fehlt am rechten Ort. Die Fußnoten 394 und 397 geben eine Quelle nur für den jeweiligen Inhalt des Textkorpus an, nicht für den Inhalt der Fußnote 396.
- 184
(53) Auf S. 132 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Dissertation fehlen die Nennung des Autors Mertens und die besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme beider Sätze (Fallgruppe F). Entgegen dem klägerischen Vortrag war eine Autorennennung nicht entbehrlich. Die beiden Sätze beschreiben konzentriert und prägnant die Leitungsverantwortung des Vorstands einer andere Unternehmen beherrschenden Aktiengesellschaft und enthalten die Schlussfolgerung einer „(Ober-)Leitung der Konzernunternehmen“.
- 185
(54) Entsprechend fehlen in der Fußnote 612 zu S. 132 der Dissertation Nachweise des Urhebers Scheffler und der wörtlichen Übernahme des vollständigen Satzes (Fallgruppe F). An einer Autorennennung fehlt es entgegen dem klägerischen Vortrag. Die Fußnoten 611 und 613 geben eine Quelle nur für den jeweiligen Inhalt des Textkorpus an, nicht für den Inhalt der Fußnote 612.
- 186
(55) Auf S. 179 Abs. 5 Satz 2 der Dissertation fehlen ebenso die Autorennennung und die besondere Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme (Fallgruppe F). Gerade weil es sich gemäß der Überschrift auf S. 179 um die Zusammenfassung der Dissertation handelt, war eine – vom Leser gerade an dieser Stelle nicht zu erwartende – Fremdleistung als solche auszuweisen. Auf eine Nennung des Autors Götz konnte nicht verzichtet werden. Die wörtliche Übernahme der charakteristischen Formulierung „daß ein leistungsfähiges internes Überwachungssystem besteht, welches alle relevanten Vorgänge erfasst“ erfordert eine besondere Kennzeichnung.
- 187
(56) Die S. 115 Abs. 7 Satz 1 der Dissertation zeigt einen Zitierfehler gleicher Art (Fallgruppe F). Inhalte und Formulierungen stammen von Scheffler. Eine Autorennennung fehlt am rechten Ort. Der Leser vermag den Quellennachweis in der Fußnote 539 zu S. 115 Abs. 2 Satz 2 der Dissertation nicht der in Rede stehenden Textstelle zuzuordnen. Denn aus der Satzeinleitung „Aus diesen Überlegungen ist abzuleiten“ folgt, dass der in S. 115 Abs. 3 Satz 1 zum Ausdruck gebrachte Gedanke über den Inhalt des S. 115 Abs. 2 Satz 2 hinausgeht und eine weiterführende Schlussfolgerung enthält.
- 188
(57) Schließlich ist auf S. 180 Abs. 6 Satz 3 der Dissertation ein Zitierfehler gegeben (Fallgruppe D). Der Leser durfte erwarten, dass unter der Überschrift „Zusammenfassung“ keine fremden Untersuchungsergebnisse präsentiert werden, ohne die hier von Bezzenberger übernommene inhaltliche Fremdleistung als solche auszuweisen. Die übernommene Formulierung ist nicht originell genug, um über die Autorennennung hinaus eine besondere Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme zu gebieten.
- 189
cc. Die Täuschung ist nicht unerheblich. Die Bagatellgrenze ist, unabhängig davon, wo genau sie verläuft, jedenfalls überschritten. Dahinstehen kann, ob die Bagatellgrenze allein absolut zu bestimmen ist und bereits bei wenigen, nicht geringfügigen Zitierfehlern überschritten ist, oder ob dies erst dann der Fall ist, wenn auch relativ ein in Bezug auf die Prüfungsleistung als Ganzes nicht unverhältnismäßiges Ausmaß an Zitierfehlern erreicht ist, bei denen die betroffene Textstelle für den Leser zu Unrecht den Anschein einer Eigenleistung erweckt. Denn auch in relativer Betrachtung stehen die nicht zu beanstandenden Textstellen nicht außer Verhältnis zu den in absoluten Zahlen nicht wenigen Textstellen der vom Kläger vorgelegten Dissertation, die eine Eigenleistung vortäuschen.
- 190
Wie im Bescheid vom 25. Juni 2012, S. 17, dargelegt, ist jedenfalls kein vereinzelt auftretendes und versehentliches unsauberes Arbeiten bzw. Zitieren im Sinne von bagatellhaften, handwerklichen Flüchtigkeitsfehlern oder ein Fehlverhalten in inhaltlich irrelevanten, hinsichtlich der Thematik der Arbeit allenfalls randständigen Teilen der Dissertation gegeben. Denn den in der Dissertation redlich erbrachten Eigenleistungen steht nach den obigen Feststellungen (s.o. bb.) eine große und auch im Verhältnis dazu nicht zu vernachlässigende Anzahl von Fällen entgegen, in denen eine Fremdleistung nicht hinreichend als solche ausgewiesen und damit für den Leser zu Unrecht der Eindruck einer Eigenleistung erweckt worden ist. Die in einer Vielzahl auftretenden Zitierfehler, die einen Verstoß gegen die wissenschaftliche Redlichkeit begründen, überschreiten jedwede Bagatellgrenze bei Weitem. Während von den untersuchten 57 Textstellen zwölf (und eine weitere teilweise) keinen Zitierfehler aufweisen, weil entweder bereits eine Autorennennung entbehrlich ist (Fallgruppe A) oder die allein erforderliche Autorennennung vorhanden ist (Fallgruppe B), zeigen sich an allen übrigen der untersuchten Textstellen Zitierfehler. An zwei Textstellen fehlt es an der erforderlichen Autorennennung (Fallgruppe D) und an sieben weiteren Textstellen an der erforderlichen besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme (Fallgruppe E). An allen übrigen 35 Textstellen (und einer weiteren Textstelle teilweise) fehlt es sogar an beidem, sowohl an der erforderlichen Autorennennung als auch an der erforderlichen besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme (Fallgruppe F).
- 191
Die Bagatellgrenze ist sowohl in absoluter als auch in relativer Hinsicht selbst dann überschritten, wenn zugunsten des Klägers angenommen würde, dass keine weiteren, als die vorstehenden (s.o. bb. (1) bis (57)) untersuchten Textstellen Zitierfehler aufweisen. Nicht untersucht worden sind insbesondere die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid in Anlage 3 angeführten 71 Textstellen, in denen nach ihrer Auffassung nicht kenntlich gemacht ist, welche Teile des Textes auf seinen eigenen Erkenntnissen und Gedanken beruhen und welche Teile des Textes eine bloße Wiedergabe fremder Erkenntnisse und Gedanken darstellen.
- 192
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger in der vorgelegten Dissertation in einem nicht kleinen Umfang Quellennachweise angebracht hat. Die 180 Seiten des Textkorpus enthalten 818 Fußnoten, die – zugeordnet zu einzelnen Textstellen – oftmals ein oder mehrere Autoren von übernommenen Fremdleistungen nennen. Die Vielzahl der festgestellten Zitierfehler, bei denen Fremdleistungen mangelhaft als solche ausgewiesen sind, überschreitet gleichwohl die Schwelle der Erheblichkeit deutlich.
- 193
Dahinstehen kann, ob der Kläger, wie er vorprozessual in seiner Stellungnahme vom 13. Januar 2012 vorgebracht hat, in seiner Dissertation als Eigenleistung eine herausragende Stellung des Finanzvorstands anerkannt hat. Denn die Dissertationsleistung ist im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu würdigen; es ist auch unerheblich, ob die Leistung – die Zitierfehler hinweggedacht – noch für eine selbständige wissenschaftliche Arbeit ausgereicht hätte (VGH Mannheim, Beschl. v. 13.10.2008, 9 S 494/08, juris Rn. 8).
- 194
dd. Die Täuschung hat bei den maßgeblichen Adressaten einen Irrtum hervorgerufen, auf dem wiederum die Verleihung des Doktorgrads beruht.
- 195
Ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind (VG Regensburg, Urt. v. 31.7.2014, RO 9 K 13.1442, juris Rn. 47). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die Verleihung des Doktorgrads durch Aushändigung oder Zustellung einer vom Sprecher des damaligen Fachbereichs Rechtswissenschaft I gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 PromO 1972 unter dem 28. Januar 1998 unterzeichneten Urkunde setzte ein Bestehen des Kolloquiums gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 PromO 1972 vor dem aus drei Prüfern bestehenden Ausschuss gemäß § 13 Abs. 2 PromO 1972 voraus. Die Durchführung des Kolloquiums erforderte nach § 13 Abs. 1 PromO 1972, dass die Dissertation endgültig mindestens als „genügend“ bewertet wurde. Die Bewertung der vom Kläger vorgelegten Dissertation durch den nach § 11 PromO 1972 gebildeten Dissertationsausschuss entsprach gemäß § 10 Abs. 3 PromO 1972 der übereinstimmenden Bewertung der beiden zur Beurteilung der Dissertation bestellten Gutachter in ihren gemäß § 10 Abs. 1 i.V.m § 9 PromO 1972 erstellten Voten mit der Note „magna cum laude“. Dabei kann dahinstehen, ob der Betreuer der Dissertation und Erstgutachter Prof. Dr. A. bei Erstattung eines Votums vom 16. Oktober 1997 einem Irrtum unterlag. Denn zumindest das Votum des Zweitgutachters Prof. Dr. B. vom 23. Dezember 1997 beruhte, wie der Zweitgutachter in seiner Stellungnahme vom 1. Dezember 2011 bestätigt hat, auf dem durch die Täuschung hervorgerufenen Irrtum, dass „die gesamte Darstellung inhaltlich und textlich allein vom Verfasser“ stamme, sodass mit Aufdeckung der Täuschung nunmehr die „Grundlage für die Beurteilung“ entfallen ist. Ohne die Bewertung des Zweitgutachters wäre das Kolloquium nicht durchgeführt und dem Kläger folglich der Doktorgrad nicht verliehen worden.
- 196
Die Ursächlichkeit der vom Kläger begangenen Täuschung für die Verleihung des Doktorgrads schlösse es nicht aus, wenn für eine andere als die vom Kläger vorgelegte Arbeit der Doktorgrad verliehen worden wäre. Denn ausgehend von der Dissertation als Form- und Sinnganzes, kommt es auf die konkrete Identität der vorgelegten Arbeit an (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 19.4.2000, 9 S 2435/99, juris Rn. 25; Urt. v. 18.11.1980, IX 1302/78, ESVGH 31, 54 <57>).
- 197
ee. Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt.
- 198
Vorsatz ist das Wissen und Wollen des Prüflings hinsichtlich der objektiven Umstände, d.h. der Täuschungshandlung im Promotionsverfahren durch Vorlage einer Fremdleistungen mangelhaft als solche ausweisenden Dissertation (dazu s.o. bb.), der Erheblichkeit der Täuschung (dazu s.o. cc.) und der Ursächlichkeit der Täuschung für die Verleihung des Doktorgrads (dazu s.o. dd.). Ausreichend für eine vorsätzliche Täuschung ist ein bedingter Vorsatz, bei dem die Verwirklichung der objektiven Umstände für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen wird (vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 28.6.1994, 2 S 130/94, SächsVBl 1994, 269, juris
). Die vorsätzliche Täuschung eines Prüflings liegt dann vor, wenn keine andere Erklärung zu finden ist, als die, dass der Prüfling insgeheim den ursprünglichen Text als Schreibvorlage benutzt hat (VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.1980, IX 1302/78, ESVGH 31, 54 <55>).
- 199
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger im Promotionsverfahren vorsätzlich getäuscht. Der Kläger hat es für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass der Grad eines Doktors der Rechtswissenschaft an ihn aufgrund einer erheblichen Täuschung im Promotionsverfahren verliehen werden würde. Art und Umfang der Übernahme fremder Texte und Gedanken ohne hinreichende Ausweisung lassen keine andere Erklärung zu. Im Einzelnen:
- 200
In quantitativer Hinsicht kann ein bedingter Täuschungsvorsatz bereits aus der schieren Menge der Verstöße gegen die wissenschaftliche Redlichkeit hergeleitet werden (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 159). Zitierfehler, die in einer mangelhaften Ausweisung von Fremdleistungen begründet sind, treten an 44 der 57 untersuchten Textstellen (und einer weiteren Textstelle teilweise) auf. Rechnerisch ist auf jeder vierten der insgesamt 180 Druckseiten der Dissertation festzustellen, dass Fremdleistungen mangelhaft ausgewiesen sind.
- 201
In qualitativer Hinsicht wiegt der vielfache Verstoß gegen die wissenschaftliche Redlichkeit besonders schwer. Die Art der Zitierfehler lässt – ebenso wie vorstehend beschrieben der Umfang der Zitierfehler – auf einen zumindest bedingten Täuschungsvorsatz schließen.
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Dies folgt zunächst daraus, dass sich die mangelhafte Ausweisung von Fremdleistungen auf alle wesentlichen Teile der vom Kläger vorgelegten Dissertation erstreckt. Die betroffenen Textstellen (s.o. bb.) finden sich, wie im Bescheid vom 25. Juni 2012, S. 18 f., zu Recht hervorgehoben ist, nicht nur und auch nicht weit überwiegend in thematischen Randbereichen der Dissertation, vielmehr erstreckt sich die mangelhafte Ausweisung von Fremdleistungen auf alle wesentlichen Teile der vom Kläger vorgelegten Dissertation: Unter der Abschnittsüberschrift „§ 1 Generalia“ (S. 1-5) findet sich ein Zitierfehler der Fallgruppe F. Der Abschnitt „§ 2 Geschäftsleitung in der Aktiengesellschaft“ (S. 6-89) enthält 30 Textstellen (und eine Textstelle teilweise), die der Fallgruppe F zuzuordnen sind, davon 14 Textstellen in dem Unterabschnitt „D. Grenzen der Geschäftsverteilung“ (S. 24-74), die der Kläger in der Dissertation selbst (S. 3) als „Kernbereich der Arbeit“ ausgewiesen hat. Im Abschnitt „§ 3 …“ (S. 90-156) begegnen dem Leser zwei Zitierfehler der Fallgruppe F. Während in den beiden kürzeren Abschnitten „§ 4 …“ (S. 157-163) und „§ 5 …“ (S. 164-178) keine Zitierfehler festgestellt worden sind, treten in dem die Arbeit abschließenden Abschnitt „§ 6 … (S. 179-180)“, in dem die vom Promovenden gefundenen Ergebnisse der Arbeit zu sammeln waren, wiederum zwei Zitierfehler auf. An beiden Textstellen fehlt es bereits an der Autorennennung, an einer der Textstelle zusätzlich an der besonderen Kennzeichnung einer wörtlichen Übernahme.
- 203
In qualitativer Hinsicht wiegt der Verstoß ferner deshalb besonders schwer, weil von den 44 festgestellten Zitierfehlern (und einem weiteren teilweisen Zitierfehler), 35 (und ein weiterer teilweise) der Fallgruppe F zuzuordnen sind. Obwohl an den betroffenen Textstellen über den gedanklichen Inhalt hinaus auch die Formulierung wörtlich der Quelle entnommen ist, fehlt es hier nicht nur an der gebotenen besonderen Kennzeichnung der wörtlichen Übernahme, sondern bereits überhaupt an der Nennung des Autors. Der dem Kläger gemacht Vorwurf erschöpft sich mithin nicht darin und besteht auch nicht im Schwerpunkt darin, dass er nicht in hinreichendem Umfang Anführungszeichen gesetzt habe. Vielmehr liegt der Vorwurf darin begründet, dass es bereits an einer Nennung des Urhebers eines zu Unrecht als Eigenleistung dargestellten fremden gedanklichen Inhalts fehlt und zusätzlich dazu die Formulierungen wörtlich übernommen worden sind.
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Für einen Täuschungsvorsatz spricht weiter, dass sich die Zitierfehler nicht auf den darstellenden Teil der Dissertation beschränken. Auch soweit die Dissertation Schlussfolgerungen enthält oder die Ergebnisse der Arbeit selbst präsentiert werden, sind Fremdleistungen mangelhaft ausgewiesen (s.o. bb. (28), (47), (55) und (57)). Dies wiegt besonders schwer, weil aus Sicht des Lesers der Wert der Dissertation als wissenschaftlicher Arbeit vor allem in den über das Repetitive hinausgehenden Transferleistungen besteht.
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Hinzu kommt, dass der Verstoß gegen die Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit durch fehlerhafte Zitate jeweils mit bestimmten Indizien einer vorsätzlichen Täuschung einhergeht. Ein Täuschungsvorsatz lässt sich in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Münster anhand von vier alternativ zu erfüllenden Kriterien feststellen. Ist eines dieser Kriterien erfüllt, so kann darauf geschlossen werden, dass der Prüfling sich mit dem von ihm abgeschriebenen Text in einer Weise befasst hat, dass von einem bloß leichtfertigen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot keine Rede sein kann (VG Münster, Urt. v. 20.2.2009, 10 K 1212/07, juris Rn. 27; vgl. OVG Münster, Beschl. v. 12.8.2010, 14 A 847/09, juris Rn. 23). Das erste Kriterium ist erfüllt, wenn der Prüfling eine Kollage aus Arbeiten fremder Autoren präsentiert. Das zweite Kriterium stellt auf marginale Manipulationen ausgehend vom ursprünglichen Text ab, denn (so VGH Mannheim, Beschl. v. 13.10.2008, 9 S 494/08, juris Rn. 9; vgl. auch VG Frankfurt, Urt. v. 23.5.2007, 12 E 2262/05, juris Rn. 15) die Vorgehensweise der Umstellungen und der Syntaxvariationen belegt eine gezielte Verschleierungsabsicht. Das dritte Kriterium zeigt ein Durchzitieren von Primärquellen ohne Nennung der Sekundärquelle, deren Rezeptionsleistung übernommen wurde, an. Das vierte Kriterium, das einen Täuschungsvorsatz indiziert, ist erfüllt, wenn der Prüfling die Quelle nicht an der in Rede stehenden Textstelle, sondern an anderer Stelle nennt, da dadurch für den Leser im Umkehrschluss der Eindruck bestärkt wird, der Prüfling habe an der erstgenannten Textstelle eine eigene Leistung erbracht.
- 206
An allen Textstellen, an denen Fremdleistungen mangelhaft ausgewiesen sind, ist zumindest das vierte Kriterium erfüllt, dass die Quelle an anderer Stelle benannt ist (s.o. bb. (1), (2), (5), (6), (8) bis (10), (12) bis (18), (20) bis (26), (28), (29) bis (33), (35) bis (39), (42), (44) bis (47), (49), (50), (52) bis (57)). In mindestens einem Fall ist daneben das erste Kriterium erfüllt, das eine kollageartige Zusammensetzung aus eigenen und fremden Gedanken anzeigt (s.o. bb. (16)). In neun Fällen ist auch das zweite Kriterium erfüllt, da gegenüber der Quelle eine marginale Veränderung, etwa in einzelnen Wörtern oder in den Satzübergängen vorgenommen worden ist (s.o. bb. (8), (12), (13), (16), (24), (30), (36), (38) und (45)). Das dritte Kriterium des Durchzitierens der Primärquelle unter Verschleierung der Rezeptionsleistung der Sekundärquelle ist in mindestens vier Fällen erfüllt (s.o. bb. (12), (20), (22) und (52)).
- 207
f. Die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads durch den Bescheid vom 25. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 genügt auch den auf Rechtsfolgenseite der Befugnisnorm gestellten Anforderungen.
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Dabei kann dahinstehen, ob § 48 Abs. 1 HmbVwVfG oder § 18 Abs. 2 PromO 2010 als Rechtsgrundlage herangezogen wird (s.o. c.). Ebenso kann dahinstehen, ob § 18 Abs. 2 Satz 2 PromO 2010 zulasten des Prüflings eine gebundene Entscheidung für den Fall vorsieht, dass die Täuschung Leistungen in solchen Teilen der Promotion betrifft, die für die Bewertung der Dissertation oder Disputation oder die Gesamtnote einen wichtigen Stellenwert hatten und ob ein solcher Fall gegeben ist. Denn wenn keine gebundene Entscheidung vorläge, wäre die Ausübung des der Beklagten nach § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010 bzw. nach § 48 Abs. 1 HmbVwVfG eingeräumten behördlichen Ermessens nach § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nicht zu beanstanden. Im Einzelnen:
- 209
Ein der Ausübung von Ermessen etwaig vorgelagerter Fehler bei der Subsumtion unter den Tatbestand der Befugnisnorm kann keinen Ermessensfehler begründen (hierzu unter aa.). Die Beklagte hat in Übereinstimmung mit § 40 HmbVwVfG Ermessen ausgeübt (hierzu unter bb.) und zwar entsprechend dem Zweck der Ermächtigung (hierzu unter cc.) und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens (hierzu unter dd.).
- 210
aa. Kein Ermessensfehler folgt daraus, dass die Beklagte die vorsätzliche Täuschung im Promotionsverfahren aus von ihr angenommen Zitierfehlern an allen 57 in Anlage 1 und 2 zum Bescheid vom 25. Juni 2012 genannten Textstellen hergeleitet hat, aber nur an 44 Textstellen (und einer weiteren Textstelle teilweise) das Gericht Zitierfehler festgestellt hat (dazu s.o. e. bb.). Zum einen hat die Beklagte im Ergebnis zutreffend den Tatbestand der eine Rücknahme nach Ermessen eröffnenden Normen für erfüllt angesehen: Die festgestellte Täuschung im Promotionsverfahren erfüllt den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Satz 1 PromO 2010 und die aus der Täuschung im Promotionsverfahren folgende Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, mit dem der Doktorgrad verliehen worden ist, erfüllt den Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG (s.o. e.). Zum anderen geht die Subsumtion unter den Tatbestand der ein Rücknahmeermessen eröffnenden Vorschrift der Ausübung von Ermessen voraus, so dass sich aus einer fehlerhaften Subsumtion kein Ermessensfehler herleiten kann. Die Abweichung der festgestellten Fehlerzahl ist nicht derart gravierend, dass die Ausübung von Ermessen zugunsten der Rücknahme dadurch in Frage gestellt würde. Denn es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Widerspruchsausschuss eine andere Ermessensentscheidung getroffen hätte, wenn er statt von 57 Zitierfehlern von 44 Verstößen gegen die Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit ausgegangen wäre.
- 211
bb. Die Entscheidung über die Rücknahme leidet nicht an einem Ermessensausfall. Die Beklagte ist davon ausgegangen, dass ihr bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen Ermessen darüber zusteht, ob sie den Verwaltungsakt über die Verleihung des Doktorgrads zurücknimmt. Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid das eröffnete Ermessen geprüft und ausgeführt, dass Ermessensfehler nicht erkennbar seien. Unschädlich ist dabei, dass die Beklagte statt der unanwendbaren bundesrechtlichen Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG nicht die in Betracht zu ziehende landesrechtliche Parallelvorschrift des § 48 Abs. 1 HmbVwVfG sowie die Satzungsbestimmung des § 18 Abs. 2 PromO 2010 genannt hat. Denn, wie bereits dargestellt, ist der Zweck des Ermessens, welches hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen Verleihungsakts eingeräumt ist, nach beiden in Betracht zu ziehenden Befugnisnormen derselbe wie nach § 48 Abs. 1 VwVfG (s.o. c. cc.).
- 212
Ferner steht die im Widerspruchsbescheid enthaltene Annahme, wegen der vorliegenden arglistigen Täuschung sei ein sehr eingeschränkter Ermessensspielraum zu Grunde zu legen, weil der Vertrauensschutz eingeschränkt sei, in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach ist die in § 48 Abs. 2 der parallelen Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder getroffene Wertung über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, die sich ihrem Wortlaut nach nur auf die dort genannten Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte bezieht, im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 20.10.2006, 6 B 67.06, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris Rn. 6; OVG Münster, Urt. v. 10.2.2016, 19 A 991/12, juris Rn. 88 ff.). Auf den Bestand eines Verwaltungsaktes darf der Begünstigte gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Var. 1 HmbVwVfG insbesondere dann nicht vertrauen, wenn er den Verwaltungsakt durch eine arglistige Täuschung erwirkt hat. Dies ist hier der Fall. Arglist setzt eine bewusste Täuschung voraus (BVerwG, Urt. v. 9.9.2003, 1 C 6/03, BVerwGE 119, 17, juris Rn. 15), wobei bedingter Vorsatz genügt (OVG Bautzen, Beschl. v. 28.6.1994, 2 S 130/94, SächsVBl 1994, 269, juris
). Die Verleihung des Grads des Doktors der Rechtswissenschaft an den Kläger beruht auf der vorsätzlichen Täuschung im Promotionsverfahren (s.o. e.).
- 213
cc. Die Entscheidung über die Rücknahme leidet ferner nicht an einem Ermessensfehlgebrauch. Die Beklagte hat das Ermessen dem Zweck der Ermächtigung gemäß ausgeübt. Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 30. April 2013 ihre eigene Ermessensbetätigung aufgrund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Recht darauf gestützt, dass die Entziehung des Doktorgrads den wissenschaftlichen Ruf des Fachbereichs, der Universität und das Ansehen der Rechtswissenschaft insgesamt schütze und die Übereinstimmung von akademischer Leistung und akademischem Titel ebenso sichere wie das Allgemeininteresse an Titelwahrheit, die Integrität des Promotionsverfahrens und die Chancengleichheit mit anderen Doktoranden. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Widerspruchsausschuss bei der Entscheidung über die Rücknahme aus sachfremden Gründen, d.h. willkürlich vorgegangen wäre. Unerheblich für die Ermessensausübung durch den Widerspruchsausschuss ist, aus welchem Anlass der für die Ausgangsentscheidung zuständige Promotionsausschuss das Verfahren über die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads eingeleitet hatte.
- 214
dd. Die Entscheidung über die Rücknahme leidet schließlich nicht an einer Ermessensüberschreitung. Die Beklagte hat die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten. Die besonderen Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 HmbVwVfG, unter denen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 HmbVwVfG ein begünstigender Verwaltungsakt nur zurückgenommen werden darf, stehen der Rücknahme des die Verleihung des Doktorgrads vornehmenden Verwaltungsakts nicht entgegen. Dies gilt sowohl für den einfachgesetzlichen Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 oder 3 HmbVwVfG (hierzu unter (1)) als auch für die Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 HmbVwVG (hierzu unter ((2)). Die Rücknahme der Promotion ist nach Treu und Glauben auch nicht im Hinblick auf die Vorgänge im Habilitationsverfahren ausgeschlossen (hierzu unter (3)). Die Rücknahme steht ferner mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang (hierzu unter (4)).
- 215
(1) Der Rücknahme steht auf besonderer einfachgesetzlicher Grundlage kein Vertrauensschutz entgegen.
- 216
Auch ausgehend von einer Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 HmbVwVfG ist ein Bestandsschutz nach § 48 Abs. 2 HmbVwVfG bereits deshalb nicht zu prüfen, weil der Verwaltungsakt, mit dem der akademische Grad eines Doktors der Rechte verliehen worden ist, nicht – wie diese Vorschrift voraussetzt – eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist. Bei anderen Verwaltungsakten steht schutzwürdiges Vertrauen nicht nach § 48 Abs. 2 HmbVwVfG im Wege des Bestandschutzes einer Rücknahme entgegen, sondern löst lediglich nach § 48 Abs. 3 Satz 1 HmbVwVfG im Wege des Vermögensschutzes eine Entschädigungspflicht aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.5.2012, 5 C 17/11, BVerwGE 143, 161, juris Rn. 21).
- 217
Unabhängig davon war das Vertrauen des Klägers in den Bestand des Verwaltungsakts über die Verleihung des Doktorgrads nach dem Maßstab des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Var. 1 HmbVwVfG nicht schutzwürdig. Denn der Kläger hat diesen Verwaltungsakt durch die im Promotionsverfahren begangene arglistige Täuschung erwirkt (s.o. bb.).
- 218
(2) Der Rücknahme der am 28. Januar 1998 vollzogenen Verleihung des Doktorgrads durch den Bescheid vom 25. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 steht die Rücknahmefristbestimmung des § 48 Abs. 4 HmbVwVfG nicht entgegen.
- 219
Die Bestimmung über die Rücknahmefrist findet nach § 18 Abs. 3 PromO 2010 auf eine Aberkennung und Entziehung der Verleihung des Doktorgrads aufgrund § 18 Abs. 2 PromO 2010 bzw. nach § 1 Abs. 1 HmbVwVfG auf eine Rücknahme aufgrund § 48 Abs. 1 HmbVwVfG Anwendung.
- 220
Jedoch galt die Rücknahmefrist in Anwendung des § 48 Abs. 4 Satz 2 HmbVwVfG vorliegend nicht. Nach dieser Vorschrift gilt die Fristbestimmung des § 48 Abs. 4 Satz 1 HmbVwVfG insbesondere nicht im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Var. 1 HmbVwVfG, d.h. für die Rücknahme eines durch arglistige Täuschung erwirkten Verwaltungsakts. Dieser Anwendungsausschluss gilt nicht nur für Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 2 HmbVwVfG, sondern auch für solche nach § 48 Abs. 3 HmbVwVfG (zu den Parallelvorschriften des Bundes und der Länder: BVerwG, Urt. v. 12.4.2005, 1 C 9/04, BVerwGE 123, 190, juris Rn. 32; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 209 m.w.N.). Dies betrifft insbesondere die Entziehung des Doktorgrads wegen arglistiger Täuschung (zur hessischen Parallelvorschrift: VG Frankfurt, Urt. v. 23.5.2007, 12 E 2262/05, juris Rn. 20). Wie bereits dargestellt, ist eine arglistige Täuschung gegeben, da die Verleihung des Doktorgrads auf der vorsätzlichen Täuschung im Promotionsverfahren beruht (s.o. bb.).
- 221
Unabhängig davon wäre die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 HmbVwVfG, ihre Geltung unterstellt, beachtet. Nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen. Der Fristlauf beginnt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, erst dann, wenn die Behörde positive Kenntnis von den Tatsachen, die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen, erhalten hat. Danach erlangt die Behörde positive Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststellt; die Feststellung ist getroffen, sobald diese Tatsachen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sind (BVerwG, Beschl. v. 19.1.1984, GrSen 1/84, GrSen 2GrSen 2/84, BVerwGE 70, 356, juris Rn. 22). Zur Herstellung der Entscheidungsreife gehört auch die Anhörung des Betroffenen, vor deren Durchführung die Jahresfrist nicht beginnt (BVerwG, Beschl. v. 4.12.2008, 2 B 60/08, juris Rn. 7). Ausgehend von einer Anhörung des Klägers im Januar 2012 erfolgte die am 28. Juni 2012 zugestellte und nach §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 41 Abs. 5 HmbVwVfG gegenüber dem Kläger wirksam gewordene Rücknahme jedenfalls rechtzeitig.
- 222
(3) Auch unter Berücksichtigung der Vorgänge im Habilitationsverfahren ist die Rücknahme der Promotion nicht nach dem im öffentlichen Recht geltenden allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen. Die Rücknahme ist weder durch einen Vergleichsvertrag (hierzu unter (a)) noch durch eine Zusicherung (hierzu unter (b)) ausgeschlossen noch steht der Rücknahme das Verbot widersprüchlichen Verhaltens entgegen (hierzu unter (c)).
- 223
(a) Die im Zusammenhang mit der Sitzung des Habilitationsausschusses am 27. Mai 2009 gefundene „Rettungslösung“ ist kein verbindlicher Vergleichsvertrag des Inhalts, Plagiatsvorwürfe hinsichtlich der Dissertation nicht weiter zu verfolgen. Dabei kann in tatsächlicher Hinsicht der Vortrag des Klägers zu den Inhalten der vor der Sitzung des Habilitationsausschusses am 27. Mai 2009 zwischen dessen Vorsitzenden Prodekan Prof. Dr. D. und dem klägerischen Bevollmächtigten Rechtsanwalt H. durchgeführten Unterredung zugrunde gelegt werden (vgl. klägerischer Schriftsatz v. 20.4.2016, Bl. 141 ff. d.A.). Der Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs ergibt sich danach aus den detaillierten Aufzeichnungen und diktierten Protokollen des Rechtsanwalts H.. In rechtlicher Hinsicht trägt die vom Kläger vorgenommene Bewertung der im Habilitationsverfahren gefundenen „Rettungslösung“ jedoch nicht. Im Einzelnen:
- 224
Fraglich ist bereits, ob im Zusammenhang mit der „Rettungslösung“ ein (öffentlich-rechtlicher Vergleichs-)Vertrag als ein mehrseitiges, durch übereinstimmende Willenserklärungen gemäß § 62 Satz 2 HmbVwVfG i.V.m. §§ 145 ff. BGB konstituiertes Rechtsgeschäft geschlossen worden ist. Als „Rettungslösung“ bezeichnet hat der Habilitationsausschuss in seiner Sitzung vom 8. Juni 2011 den von ihm in seiner Sitzung am 27. Mai 2009 gefassten Beschluss. Ein Beschluss des Habilitationsausschusses ist als einseitiger Innenrechtsakt keine gegenüber einem anderen Rechtsträger abgegebene Willenserklärung mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses. Allenfalls könnte im Umfeld der Beschlussfassung vom 27. Mai 2009 zwischen dem durch seinen Bevollmächtigten vertretenen Kläger und dem für die Beklagte handelnden Vorsitzenden des Habilitationsausschusses ein Vertrag geschlossen worden sein, etwa auch in dem durchgeführten Vier-Augen-Gespräch.
- 225
Einen Vertragsschluss unterstellt, hätte dieser jedenfalls nicht den Verzicht auf eine Rücknahme der Promotion zum Inhalt gehabt. Die Annahme einer Regelung mit „Generalquittungscharakter“ trägt dabei bereits deshalb nicht, weil eine Generalquittung auf den Erlass, den Verzicht oder ein negatives Schuldanerkenntnis in Bezug auf wechselseitige Ansprüche abzielt (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.1999, XII ZR 208/96, juris Rn. 17). Dies kam in der Situation vom 27. Mai 2009 insbesondere aus Sicht des Klägers nicht in Betracht. Denn der Kläger wollte ersichtlich nicht auf seinen Prüfungsanspruch auf Durchführung des noch nicht abgeschlossenen Habilitationsverfahrens verzichten. Die etwaig zum Inhalt eines Vertrags gemachte „Rettungslösung“ zielte allein auf die Behebung des sich am 27. Mai 2009 dem Habilitationsausschuss und dem Kläger als Habilitanden stellenden Problems ab. Dieses Problem bestand darin, dass der Zweitgutachter der Habilitationsschrift Prof. Dr. G. in seinem Votum vom 19. Juni 2008 Zitiermängel insoweit festgestellt hatte, dass in der Habilitationsschrift Übernahmen aus der Dissertation nicht hinreichend ausgewiesen waren. Der Habilitationsausschuss selbst hatte die Habilitationsschrift am 14. Januar 2009 für unzureichend erachtet, womit aber noch kein Abschluss des Habilitationsverfahrens zum Nachteil des Klägers verbunden war. Die am 27. Mai 2009 für das Problem der bislang unzureichenden Habilitationsschrift gefundene Lösung zielte – in Übereinstimmung mit dem klägerischen Vortrag – darauf ab, „dass [der Kläger] die Arbeit umarbeiten“ solle, da bei „der Durchsicht der Arbeit [des Klägers] aufgefallen sei, dass Passagen aus Aufsätzen übernommen worden seien, ohne dass dies hinreichend gekennzeichnet worden sei“. Der Habilitationsausschuss behielt sich „eine Neubewertung des überarbeiteten Teils der Arbeit vor“. Mit der „Arbeit“ stand allein die Habilitationsschrift in Rede, auf deren Erörterung vor dem Habilitationsausschuss am 27. Mai 2009 einvernehmlich vorerst verzichtet wurde. In Ausführung dieser Lösung begleiteten Prof. Dr. I. und Prof. Dr. G. die Umarbeitung der Habilitationsschrift durch den Kläger, die schließlich zu positiven Voten der Gutachter im Habilitationsverfahren vom 25. März 2010 sowie 21. April 2010 führte. Zum Zeitpunkt der Sitzung des Habilitationsausschusses am 27. Mai 2009 standen lediglich Zitiermängel der Habilitationsschrift in Bezug auf eine richtige Zitation der Dissertation fest. Demgegenüber bestand aus Sicht des Habilitationsausschusses kein Anlass dazu, über einen Verzicht auf ein Promotionsentziehungsverfahren zu verhandeln.
- 226
Aus dem substantiierten Vortrag des Klägers zum Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs zwischen Prof. Dr. D. und Rechtsanwalt H. ergibt sich bereits nicht, dass auch über gegen die Dissertation erhobene Plagiatsvorwürfe gesprochen worden wäre. Selbst dann, wenn bereits am 27. Mai 2009 im Habilitationsausschuss Bedenken nicht nur gegen die Habilitationsschrift sondern auch gegen die Dissertation erhoben worden sein sollten, standen zu diesem Zeitpunkt noch keine Zitiermängel der Dissertation fest. Insbesondere besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Habilitationsausschuss sich am 27. Mai 2009 des Problems bewusst war, dass der Kläger im Promotionsverfahren dadurch vorsätzlich getäuscht hatte, dass in der vorgelegten Dissertation an mindestens 44 Textstellen (und einer weiteren Textstelle teilweise) fremde Leistungen zu Unrecht als eigene Leistungen präsentiert wurden (dazu s.o. e.). Soweit Rechtsanwalt H. die Ergebnisse des Vier-Augen-Gesprächs so verstanden hat, „dass vom Kläger erwartet werde, dass er nicht weiter vermeintliche formelle Mängel der Universität geltend mache und sich der neuen Situation widme“ und „[u]mgekehrt […] auch die Universität dem Kläger keine weiteren Steine in den Weg legen“ würde, bestand für diese Einschätzung nur Anlass angesichts des am 27. Mai 2009 ausdrücklich erörterten Problems der bislang unzureichenden Habilitationsschrift. Denn insbesondere der Fortbestand der Promotion war ausweislich der Aufzeichnung von Rechtsanwalt H. und dem Sitzungsprotokoll des Habilitationsausschusses kein Regelungsgegenstand der im Habilitationsverfahren gefundenen „Rettungslösung“.
- 227
Entgegen der Annahme des Klägers schloss die Einräumung einer Gelegenheit zur Überarbeitung und Verbesserung der Habilitationsschrift auch nicht „begriffsnotwendig“ ein, die Voraussetzungen zur Fertigung einer Habilitation als gegeben zu akzeptieren. Der Fortbestand der Promotion als Zulassungsvoraussetzung zur Habilitation bildete als Vorfrage die Geschäftsgrundlage eines Fortschreitens im Habilitationsverfahren. Doch gehört die Geschäftsgrundlage nicht zum Inhalt eines öffentlich-rechtlichen Vertrags, sondern geht ihm voraus. Die Geschäftsgrundlage wird aus den für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebenden Verhältnissen i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG gebildet.
- 228
Unabhängig davon wäre eine ohne die Mitwirkung des Promotionsausschusses als fakultätsintern zur Entscheidung zuständigem Gremium geschlossene Vereinbarung, die Rücknahme der Promotion zu unterlassen, nach § 59 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG wegen eines schweren und offensichtlichen Mangels nichtig. Der Habilitationsausschuss oder sein Vorsitzender konnten nicht wirksam auf eine Rücknahme der Promotion verzichten, da die Entscheidung über die Rücknahme dem Promotionsausschuss oblag (dazu s.o. d. bb. (1)).
- 229
Schließlich wäre ein über den Verzicht auf die Rücknahme der Promotion geschlossener Vertrag mangels Wahrung der durch § 57 HmbVwVfG vorgeschriebenen Schriftform nach § 125 BGB i.V.m. § 59 Abs. 1 HmbVwVfG nichtig.
- 230
(b) Desgleichen fehlt es an einer nach § 38 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG wirksamen Zusicherung, einen Verwaltungsakt über die Rücknahme der Promotion nicht zu erlassen.
- 231
Ein Unterlassen der Rücknahme der Promotion war ebenso wenig Regelungsgegenstand einer einseitig gegebenen Zusicherung wie es zum Regelungsgegenstand eines Vertrags zwischen den Beteiligten gemacht worden ist. Der Habilitationsausschuss hat im Zuge der „Rettungslösung“ keine Regelung über den Fortbestand der Promotion getroffen, sondern den Fortbestand der Promotion als von ihm nicht zu regelnde Geschäftsgrundlage vorausgesetzt (s.o. (a)).
- 232
Unabhängig davon wäre eine ohne die Mitwirkung des Promotionsausschusses als fakultätsintern zur Entscheidung zuständigem Gremium ausgesprochene Zusicherung, die Promotion nicht zurückzunehmen, nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG wegen eines schweren und offensichtlichen Mangels nichtig.
- 233
Zudem wäre eine Zusicherung mangels Wahrung der vorgeschriebenen Schriftform nach § 38 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG unwirksam.
- 234
(c) Die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads steht – unter Berücksichtigung der Vorgänge im Habilitationsverfahren sowie aller anderen Umstände des Einzelfalls – auch mit dem aus Treu und Glauben herzuleitenden Verbot widersprüchlichen Verhaltens im Einklang. Die Befugnis zur Rücknahme ist nicht verwirkt.
- 235
Die behördliche Befugnis zur Rücknahme eines Verwaltungsaktes ist dann verwirkt, wenn Umstände eintreten, aus denen der die Rechtswidrigkeit kennende Begünstigte berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat, der Begünstigte ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde und dieses Vertrauen in einer Weise betätigt hat, dass ihm mit der sodann gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde (BVerwG, Urt. v. 20.12.1999, 7 C 42/98, BVerwGE 110, 226, juris Rn. 27).
- 236
Der für eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis vorausgesetzte Vertrauenstatbestand ist mit der im Habilitationsverfahren am 27. Mai 2009 gefundenen „Rettungslösung“ bereits deshalb nicht gesetzt worden, weil die diesbezüglichen Verhandlungen des Klägers mit dem Habilitationsausschuss lediglich ein Voranschreiten im Habilitationsverfahren zum Regelungsgegenstand hatten, nicht aber eine vom Promotionsausschuss zu treffende Entscheidung, ob die Promotion zurückzunehmen war (s.o. (a)). Mangels Vertrauenstatbestands kann in der in Absprache mit dem Habilitationsausschuss durchgeführten Überarbeitung der Habilitationsschrift keine Betätigung des Vertrauens in den Fortbestand der Promotion gesehen werden.
- 237
Unabhängig davon haben der Habilitationsausschuss oder sein Vorsitzender einen Vertrauenstatbestand zugunsten des Fortbestands der Promotion auch deshalb nicht gesetzt, weil sie für eine Entscheidung über die Rücknahme der Promotion nicht zuständig waren. Die rechtlichen Hindernisse, die einem wirksamen Vergleichsvertrag und einer wirksamen Zusicherung entgegenstehen, dürfen nicht unter Rückgriff auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens umgangen werden. Die Bindung an geschlossene Verträge und gegebene Zusicherungen nach §§ 54 ff., 38 HmbVwVfG ist ein bereichsspezifisch vom Gesetzgeber konkretisierter Ausdruck des Gebots widerspruchsfreien Verhaltens. Hält sich die Behörde nicht an einen nach der Bewertung des Gesetzgebers unwirksamen Vertrag oder nicht an eine nach der Bewertung des Gesetzgebers unwirksame Zusicherung, so verstößt sie grundsätzlich nicht gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Eine sachlich nicht zuständige Stelle kann nur dann den für eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis vorausgesetzten Vertrauensstand schaffen, wenn der Betroffene berechtigterweise den Schluss ziehen kann, der handelnden Stelle stehe die Rücknahmebefugnis zu und sie wolle diese nicht ausüben (BVerwG, Urt. v. 20.12.1999, 7 C 42/98, BVerwGE 100, 226, juris Rn. 28; vgl. Urt. v. 12.3.2015, 3 C 6/14, juris Rn. 18).
- 238
Dem Habilitationsausschuss stand es nicht zu, über die Frage der Rücknahme der Promotion durch Rechtsakt (Vergleichsvertrag oder Zusicherung) zu verfügen (dazu s.o. (a) und (b)). Deshalb kann das Verhalten des Habilitationsausschusses grundsätzlich auch nicht einer späteren Rücknahmeentscheidung des Promotionsausschusses entgegengehalten werden. Der vorbezeichnete Ausnahmefall, in dem eine unzuständige Stelle einen Vertrauenstatbestand setzen kann, ist nach den vorliegenden Umständen nicht gegeben. Die „Rettungslösung“ ist im Habilitationsverfahren am 27. Mai 2009 unter Beteiligung des durch seinen Vorsitzenden geleiteten Habilitationsausschuss einerseits und des durch seinen Bevollmächtigten vertretenen Klägers als Habilitanden andererseits gefunden worden. Objektiv bestand kein Zweifel daran, dass Prof. Dr. D. in seiner ihm in Vertretung des Dekans zukommenden Funktion als Vorsitzender des Habilitationsausschusses handelte und dass der Habilitationsausschuss nicht für Promotionsangelegenheiten zuständig ist und nicht zuständig war. Subjektiv standen für den Kläger keine Hindernisse entgegen, um die unterschiedlichen Gremienzuständigkeiten zu erkennen. Der Kläger ist selbst Jurist. Er hatte 1998 das Promotionsverfahren durchlaufen, 2000 die Befähigung zum Richteramt erworben, war seitdem als Rechtsanwalt tätig und erstrebte seit 2007 die rechtswissenschaftliche Habilitation.
- 239
Zudem spricht viel dafür, dass ein Vertrauenstatbestand mit der „Rettungslösung“ deshalb nicht verbunden ist, weil nicht verschriftlicht ist, die Promotion nicht zurückzunehmen. Das für die Wirksamkeit eines Rechtsakts (Vergleichsvertrag oder Zusicherung) geltende gesetzliche Schriftformerfordernis (dazu s.o. (a) und (b)) darf grundsätzlich nicht durch einen Rückgriff auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens umgangen werden.
- 240
Ferner ergibt sich der für eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis vorausgesetzte Vertrauenstatbestand auch nicht aus einem Mitverschulden der Beklagten. Der vom Kläger gegen die Rücknahme erhobene Einwand, die Beklagte treffe wegen mangelnder Sorgfalt eine Mitverantwortung und es stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn nach 14 Jahren die Zitierweise in der Dissertation beanstandet werde, dringt nicht durch. Unerheblich ist, dass die Gutachter eine Täuschung nicht bemerkt haben, auch wenn sie möglicherweise nachlässig gehandelt haben (VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 196, vgl. VGH München, Urt. v. 4.4.2006, 7 BV 05.388, BayVBl. 2007, 281, juris Rn. 13; VG Karlsruhe, Urt. v. 4.3.2013, 7 K 3335/11, juris Rn. 28). Die Prüfer sind nicht gehalten, die Dissertation bei Abgabe anlasslos auf Verstöße gegen die wissenschaftliche Redlichkeit zu kontrollieren (VG Düsseldorf, Urt. v. 4.3.2013, a.a.O., Rn. 198). Die Verantwortung des Klägers für sein vorsätzliches Handeln wäre durch eine etwaige Fahrlässigkeit auf Seiten der von der Beklagten bestellten Prüfer nicht in Frage gestellt.
- 241
Schließlich folgt der für eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis vorausgesetzte Vertrauenstatbestand nicht aus dem Zeitablauf seit der Verleihung des Doktorgrads. Ein bloßer längerer Zeitablauf seit Verleihung des akademischen Grads, etwa auch von 30 Jahren (VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 177), schließt deren Rücknahme nicht aus. Über die Jahresfrist hinaus – die hier einer Rücknahme nicht entgegensteht (s.o. (2)) – gilt nach der Entscheidung des Normgebers für die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads keine absolute Grenze (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, a.a.O., Rn. 213 f. m.w.N.). Mangels gesetzlicher Anordnung besteht insbesondere keine Höchstfrist wie nach § 45 Abs. 3 SGB X. Eine zwingend zu beachtende Entziehungsfrist ist nicht verfassungsrechtlich geboten (OVG Münster, Beschl. v. 24.3.2015, 19 A 1111/12, juris Rn. 29 ff.; Urt. v. 10.12.2015, 19 A 254/13, juris Rn. 95 ff.).
- 242
(4) Die Rücknahme genügt hinsichtlich des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und in seine Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads ist zu einem legitimen Zweck geeignet und erforderlich (hierzu unter (a)) sowie im Verhältnis zu dem Eingriff auch angemessen (hierzu unter (b)).
- 243
(a) Die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrads dient den legitimen Zwecken, das Ansehen der betroffenen Hochschule und das Ansehen der Rechtswissenschaft zu bewahren (s.o. cc.). Sie ist zu diesen Zwecken geeignet und auch erforderlich. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel stand nicht zu Gebote. Eine Notenherabsetzung oder eine Nachbesserung kamen als mildere Maßnahmen nicht in Betracht, da sie auch bei einer früheren Entdeckung in der Promotionsordnung nicht vorgesehen gewesen wären. Da von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit auszugehen ist (s.o. e. dd.), bleibt ohne Bedeutung, ob für eine andere Arbeit, als die tatsächlich vorgelegte Dissertation der Doktorgrad ggf. mit einer schlechteren Note verliehen hätte werden können. Entgegen der Annahme des Klägers können die Mängel der vorgelegten Dissertation nicht im Rahmen einer Neueinreichung oder einer Sammeldissertation geheilt werden, da diese nicht Gegenstand des abgeschlossenen Promotionsverfahrens gewesen sind.
- 244
(b) Die Rücknahme ist im Verhältnis zum Eingriff in Rechte und Interessen des Klägers auch angemessen. Im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens ist das öffentliche Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes mit dem Interesse des Betroffenen an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes abzuwägen; das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind dabei grundsätzlich gleichwertig, sofern dem anzuwendenden Fachrecht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist (BVerwG, Urt. v. 24.5.2012, 5 C 17/11, BVerwGE 143, juris Rn. 27). Danach durfte vorliegend die Beklagte dem öffentlichen Interesse den Vorrang vor dem Interesse des Klägers am Fortbestand der Promotion einräumen, die durch vorsätzliche Täuschung erwirkt hatte. Im Einzelnen:
- 245
In die Abwägung sind die bei der Entziehung eines Doktorgrades für den Betroffenen verbundenen beruflichen Erschwernisse einzustellen, die als vorhersehbare und in Kauf genommene Nebenfolgen den Schutzbereich der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit berühren. Die Entziehung des Doktorgrads lässt die mehrjährige Arbeit an der Dissertation hinfällig werden und kann zu beruflichen Erschwernissen führen. Diese Beeinträchtigungen mögen im Fall des Klägers ihre konkrete Ausprägung in den vom Kläger aufgezeigten Folgen für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt und Geschäftsführer einer Interessenvereinigung mit sich bringen. Im Fall des Klägers kommt hinzu, dass mit der Aberkennung des Doktorgrads eine zwingende Zulassungsvoraussetzung zu der angestrebten Habilitation entfällt. Diese Folge ist aber ohne weiteres hinzunehmen, da eine unter Verstoß gegen die Grundanforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit erschlichene Promotion keine schutzwürdige Grundlage einer weiteren wissenschaftlichen Laufbahn bildet.
- 246
Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich aus den entstandenen Indiskretionen und aus der von ihm geltend gemachten „öffentlichen Vorverurteilung“ nicht herleiten, dass die Entziehung des Doktorgrads unzulässig wäre. Der Kläger kann nicht beanspruchen, dass die Beklagte die Rücknahme der Promotion unterließe, denn eine Rechtsverletzung durch in der Vergangenheit aufgetretene Indiskretionen könnte dadurch nicht rückgängig gemacht werden, dass die durch vorsätzliche Täuschung erwirkte Promotion unangetastet bliebe.
- 247
Rechtlich nicht erheblich für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist eine zwischenzeitlich aufgetretene und der Beklagten erst nach der letzten Behördenentscheidung bekannt gewordene Erkrankung des Klägers.
- 248
Das öffentliche Interesse an der Rücknahme der durch arglistige Täuschung erwirkten Promotion muss gegenüber dem privaten Interesse des Klägers an deren Fortbestand nicht zurückstehen. Die Rücknahme dient dazu, das Ansehen der Hochschule und der Rechtswissenschaft zu sichern. Die wissenschaftliche Redlichkeit ist ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut (VG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2014, 15 K 2271/13, juris Rn. 167 f. im Anlehnung an BVerwG, Urt. v. 31.7.2013, 6 C 9/12, BVerwGE 147, 292, Rn. 31). Die Rücknahme eines § 48 Abs. 3 HmbVwVfG unterfallenden Verwaltungsaktes kann zwar ausnahmsweise unzulässig sein, wenn dem Betroffenen durch die Rücknahme ein immaterieller, nicht durch eine materielle Entschädigung auszugleichender Schaden entsteht (Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 181 ff.). Doch ist die § 48 Abs. 2 der parallelen Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder getroffene Wertung über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 20.10.2006, 6 B 67.06, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris Rn. 6; OVG Münster, Urt. v. 10.2.2016, 19 A 991/12, juris Rn. 88 ff.). Es ist nicht zu beanstanden, dass eine Universität vorsätzliche Täuschungen im Promotionsverfahren konsequent unterbindet und dem wissenschaftlichen Ruf sowie dem Ansehen der Rechtswissenschaft insgesamt den Vorrang vor negativen Folgen für den Promovenden einräumt (VGH München, Urt. v. 4.4.2006, 7 BV 05.388, BayVBl. 2007, 281, juris Rn. 13; vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 13.10.2008, 9 S 494/08, NVwZ-RR 2009, 285 Rn. 10).
- 249
2. Soweit der Kläger den Regelungsgehalt unter Ziffer 2 des Bescheidtenors anficht, ist die Klage demgegenüber nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet. Denn in diesem Umfang ist der Bescheid vom 25. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 objektiv rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen subjektiven Rechten.
- 250
Dabei kann dahinstehen, ob für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Rückforderung von Urkunden maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung oder auf den Schluss der mündlichen Verhandlung abzustellen ist. Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen der einschlägigen Befugnisnorm § 52 Satz 1 HmbVwVfG (i.V.m. § 18 Abs. 3 PromO 2010) waren zu keinem Zeitpunkt gegeben. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde die auf Grund eines Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, dann zurückfordern, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen oder seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben ist. Der Verwaltungsakt, mit dem unter dem 28. Januar 1998 dem Kläger der Doktorgrad verliehen worden ist, war und ist noch nicht unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen. Auch ist dieser Verwaltungsakt deshalb noch als wirksam zu behandeln, weil die gemäß § 43 Abs. 2 HmbVwVfG zur Beendigung der Wirksamkeit führende Rücknahme mit aufschiebender Wirkung angefochten ist. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Umfang von Ziffer 1 des Bescheidtenors endet gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO erst mit der Unanfechtbarkeit oder drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des Rechtsmittels gegen die insoweit klageabweisende gerichtliche Entscheidung.
II.
- 251
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gegenüber dem Teilobsiegen der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme der Promotion (dazu s.o. I. 1.) tritt ausgehend vom vorrangigen Interesse des Klägers an dem Erhalt des ihm verliehenen akademischen Grads das Teilobsiegen des Klägers hinsichtlich der Rückforderung der Promotionsurkunde (dazu s.o. I. 2.) als unbedeutend und nicht streitwerterhöhend zurück. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 24. Juni 2016 - 2 K 2209/13
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Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 24. Juni 2016 - 2 K 2209/13 zitiert oder wird zitiert von 15 Urteil(en).
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 4. März 2013 - 7 K 3335/11 - wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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Tenor
Der Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Klageverfahrens wird abgelehnt.
Das Klageverfahren ist durch den gerichtlichen Vergleich vom 13. Juni 2012 mit Ablauf der Widerrufsfrist am 20. Juni 2012 beendet.
Die weiteren Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
- 1
Der Kläger begehrt die Fortsetzung eines Klageverfahrens betreffend die im ersten Versuch abgelegte Bachelorprüfung. Die Beklagte macht geltend, das Klageverfahren sei durch den Abschluss eines Prozessvergleichs beendet.
- 2
Der Kläger unternahm als Student der beklagten Hochschule im Bachelorstudiengang Technische Informatik dreimal den Versuch, die Bachelorprüfung zu bestehen.
- 3
Im ersten Prüfungsversuch, auf den sich das hiesige Verfahren bezieht, gab die Beklagte dem Kläger am 26. Juni 2010 eine auf sechs Monate angesetzte Bachelorarbeit mit der Themenstellung „Portierung einer Softwarearchitektur für Autonome Fahrzeuge auf den Fraunhofer Volksbot“ aus. Betreuender Prüfer war der Zeuge Prof. Dr. A. Am 22. Dezember 2010 stellte der Kläger einen Antrag auf Verlängerung der Bearbeitungszeit auf acht Monate, da unbedingt eine Kamera für die Bildverarbeitung benötigt werde, die ihm nicht zur Verfügung stehe. Die Beklagte lehnte den Verlängerungsantrag am 5. Januar 2011 ab, da es nicht wesentlich auf die Kamera ankomme. Der Kläger erhob dagegen mit Schreiben vom 13. Februar 2011 Widerspruch. Seine Bearbeitung der Bachelorarbeit gab der Kläger am 26. Februar 2011 ab. Die Beklagte bewertete die Bachelorarbeit mit der Note „nicht ausreichend“. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 16. März 2011 Widerspruch, zu dessen Begründung er vorbrachte, es habe ihm während der gesamten Bearbeitungszeit an einer einsatzbereiten, kalibrierten Kamera gefehlt, die für die Bewältigung der Aufgabe unerlässlich gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2011, zugestellt am 12. Mai 2011, zurück und führte aus: Nach der Allgemeinen Prüfungs- und Studienordnung für die Bachelor- und Masterstudiengänge an der Fakultät Technik und Informatik (v. 16.11.2006 – APSO-TI-BM) lägen die Voraussetzungen für die Anordnung einer erneuten ersten Bachelorprüfung nicht vor. Eine kalibrierte Kamera sei für die Bearbeitung nicht unverzichtbar gewesen.
- 4
Der Kläger hat am 10. Juni 2011 (damals unter dem Aktenzeichen 2 K 1306/11) wegen des ersten Prüfungsversuchs Klage erhoben.
- 5
Zwischenzeitlich wurde im zweiten Prüfungsversuch am 7. April 2011 die Bachelorarbeit zum Thema „Vergleichen und Optimieren von Algorithmen für die Positionsbestimmung eines autonomen Fahrzeugs mithilfe eines Laserscanners“ ausgegeben und am 15. November 2011 für nicht bestanden erklärt. Ein diesbezüglicher Widerspruchsbescheid erging am 6. April 2012 unter Fehldatierung auf den 6. April 2011. Der Kläger reichte hinsichtlich des zweiten Prüfungsversuchs am 11. Mai 2012 bei Gericht eine nicht unterschriebene Klageschrift ein. Eine Unterschrift in dem diesbezüglichen Klageverfahren, 2 K 1227/12, leistete er erst am 25. Mai 2012. Zur Begründung der Klage brachte er vor, die Beklagte habe mit großer Sorgfalt darauf achten müssen, nicht wieder durch eigene Fehler ihn, den Kläger, durchfallen zu lassen. Die Beklagte habe aber eine nicht lösbare Aufgabenstellung ausgegeben und Arbeitsmaterial sei nicht zur Verfügung gestellt worden. Ferner beantragte der Kläger wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
- 6
Nachdem die Beteiligten im Klageverfahren wegen des ersten Prüfungsversuchs, 2 K 1306/11, darüber gestritten haben, ob die APSO-TI-BM oder die Prüfungs- und Studienordnung des Bachelorstudiengangs Technische Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (v. 22.11.2001, geändert am 7.12.2004 – PSOBScTI 2001) Anwendung finde und ob es zur Bearbeitung der Bachelorarbeit einer kalibrierten Kamera bedurft hätte, hat die Kammer den betreuenden Prüfer Prof. Dr. A. als Zeugen vernommen und den Kläger persönlich angehört. Die Beteiligten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2012 nach Diktat durch das Gericht folgenden Vergleich genehmigt:
- 7
„1. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit, dass die Beklagte dem Kläger eine weitere Möglichkeit zur Anfertigung der Bachelor-Arbeit im Studiengang Technische Informatik gewährt.
- 8
2. Einvernehmlich wird festgelegt, dass in diesem Fall die Prüfungs- und Studienordnung des Bachelorstudiengangs Technische Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg vom 22. November 2001 in der Fassung vom 7. Dezember 2004 auch über den 31. August 2012 hinaus gelten soll.
- 9
3. Das vom Kläger im Rahmen der nunmehr gewährten weiteren Möglichkeit zu bearbeitende Thema soll vom Prüfungsausschuss des Studiengangs Technische Informatik bestimmt werden. Die Person des betreuenden Prüfers wird vom Prüfungsausschuss des Studiengangs Technische Informatik bestimmt. Der Kläger verfügt hinsichtlich der Aufgabenstellung und hinsichtlich der Person des betreuenden Prüfers über ein Vorschlagsrecht. Dieses Vorschlagsrecht ist bis zum 31. Juli 2012 auszuüben.
- 10
4. Der Beginn der Bearbeitungszeit der Bachelor-Arbeit wird im Einvernehmen der Beteiligten festgelegt. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses, mit der die Aufgabenstellung und die Person des betreuenden Prüfers bestimmt werden, ist dem Kläger bis spätestens zwei Wochen vor Beginn der Bearbeitungszeit schriftlich mitzuteilen. Dies soll bis zum 1. Oktober 2012 erfolgen. Der Beginn der Bearbeitungszeit wird auf Mitte Oktober 2012 avisiert.
- 11
5. Vor Beginn der Bearbeitungszeit stellt die Beklagte sicher, dass gegebenenfalls erforderliche Hilfsmittel zur Bearbeitung der Aufgabenstellung dem Kläger zur Verfügung stehen; sie gibt gegebenenfalls erforderliche Hilfsmittel bereits bei der Mitteilung der Aufgabenstellung an den Kläger an. Der Kläger hat binnen einer Woche Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Hilfsmitteln.
- 12
6. Eine Verlängerung oder Unterbrechung der Bearbeitungszeit ist nur aus Krankheitsgründen möglich. Sie setzt die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung voraus, auf Anforderung der Beklagten einer amtsärztlichen Bescheinigung, in der die krankheitsbedingte Verhinderung des Klägers an der weiteren Bearbeitung festgestellt wird.
- 13
7. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit, dass dem Kläger über die Möglichkeit gemäß Ziff. 1 des Vergleichs hinaus keine weiteren Möglichkeiten zur Anfertigung einer Bachelor-Arbeit im Studiengang Technische Informatik gewährt werden.
- 14
8. Der Kläger übernimmt die Gerichtskosten dieses Verfahrens; die Beteiligten verzichten jeweils auf eine Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten.
- 15
9. Das Verfahren 2 K 1227/12 wird übereinstimmend für erledigt erklärt. Für das Verfahren 2 K 1227/12 übernimmt die Beklagte die Gerichtskosten. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst. Die Beklagte erhebt keine Widerspruchsgebühren für die Erstellung der Widerspruchsbescheide in diesem Verfahren und in dem Verfahren 2 K 1227/12.
- 16
10. Die Beklagte hat das Recht, binnen einer Woche ab heute von diesem Vergleich zurückzutreten.“
- 17
Die Beklagte hat innerhalb der benannten Frist keinen Rücktritt von dem Vergleich erklärt.
- 18
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 28. Juni 2012 vorgebracht, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sei nach Diktat richtig erstellt worden, doch sei das „Fristdatum für das Einreichen des studentischen Wunschthemas […] auf das vermutlich dem Sinn der Vereinbarung entsprechende Datum des 31.8.2012“ (Hervorhebung dort) zu „berichtigen“. Das Gericht hat dem Kläger mit Schreiben vom 3. Juli 2012 geantwortet, dass eine „Berichtigung“ nicht in Betracht komme, da das Protokoll unstreitig richtig erstellt sei.
- 19
Die in dem weiteren Prüfungsversuch am 18. Oktober 2012 ausgegebene Bachelorarbeit zum Thema „Entwicklung eines graphischen Videoschnittprogramms auf Basis der frei verfügbaren Bibliothek libavcodec“ sowie das sich am 27. Mai 2013 anschließende Kolloquium, wie auch insgesamt die Bachelorprüfung im dritten Versuch wurden mit „mangelhaft“ bewertet und die Bewertung mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2013 bestätigt.
- 20
Der Kläger hat dem Gericht mit Schriftsatz vom 27. Juni 2013 mitgeteilt, dass die Beklagte sich „nicht an die Absicht des Vergleichs (zu einem reibungslosen Bestehen in einem dritten Prüfungsversuch beizutragen)“ gehalten habe. Das Gericht hat dem Kläger am 3. Juli 2013 geantwortet, dass das Verfahren wegen des Abschlusses des Vergleichs beendet sei und deshalb keinen Einwendungen im Hinblick auf das Ergebnis des Vergleichs geltend gemacht werden könnten.
- 21
Der Kläger erhob hinsichtlich des dritten Prüfungsversuchs am 23. Dezember 2013 Klage, 2 K 5441/13, und brachte zur Begründung insbesondere vor, der Prüfer Prof. Dr. B. sei fachlich nicht geeignet gewesen und habe sich nicht um ihn, den Kläger, gekümmert. Es sei ein Netzwerkanschluss erforderlich gewesen und nicht gestellt worden. Nach Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe (VG Hamburg, Beschl. v. 15.4.2014, 2 K 5441/13) und Zurückweisung der diesbezüglichen Beschwerde (OVG Hamburg, Beschl. v. 13.6.2014, 3 So 51/14) wies das Verwaltungsgericht Hamburg die Klage ab (VG Hamburg, Urt. v. 26.9.2014, 2 K 5441/13). Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (Beschl. v. 2.4. 2015, 3 Bf 177/14) stellte das Berufungszulassungsverfahren ein, nachdem der Prozessbevollmächtigte den Berufungszulassungsantrag zurückgenommen hatte. Nach Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Zulassungsverfahrens stellte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG Hamburg, Beschl. v. 29.4.2015, 3 Bf 68/15.Z) fest, dass der Berufungszulassungsantrag zurückgenommen ist. Über die am 31. März 2015 beim Hamburgischen Oberverwaltungsgericht erhobene Wiederaufnahmeklage ist nach Verweisung (OVG Hamburg, Beschl. v. 30.4.2015, 3 E 9/15) an das Verwaltungsgericht Hamburg (2 K 2573/15) noch nicht entschieden worden.
- 22
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21. August 2014 gegenüber dem Gericht erklärt, er fechte den in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 2 K 1306/11 geschlossenen Vergleich an. Zur Begründung bringt er insbesondere vor:
- 23
„Für die Zustimmung zum Vergleich wurde vom Gericht sozusagen im Namen der Beklagten das 'reibungslose Bestehen' zugesichert, weil die Beklagte sich beim dritten Mal ganz bestimmt Mühe geben würde. Dieses reibungslose Bestehen wurde nur mündlich zugesichert, aber nicht schriftlich. Ohne Versprechen seitens der Beklagten, diesmal zum 100%igen Bestehen der Prüfung beitragen zu wollen, ist der Vergleich wertlos. Dies merkt man am Ende auch daran, daß die Beklagte sich keine Mühe gegeben hat, und der Kläger ein drittes Mal durchfallen mußte.
- 24
Es gilt normalerweise der Grundsatz der Rechtssicherheit: Urteile eines Gerichts sollen möglichst für immer gelten. Einen Nutzen aus der Rechtssicherheit hatte aber nur die Beklagte, die den Kläger lässig ein drittes Mal durchfallen lassen konnte. Der Kläger hatte keine Rechtssicherheit (ein dritter Versuch wäre auch ohne Vergleich möglich gewesen). Es gibt keine schützenswerten Interessen. Deshalb gilt hier der Grundsatz der Rechtssicherheit nicht, der Vergleich kann nachträglich aufgehoben werden.
- 25
Eine Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile ergibt folgendes Ergebnis:
- 26
Die Beklagte hatte den Kläger zweimal schulhaft durchfallen lassen, der Kläger konnte deshalb trotz größten Arbeitseinsatzes oft bis in den späten Abend hinein (in der ersten Prüfung, während der zweiten Prüfung wurde mangels Arbeitsmitteln bei laufender Prüfungszeit die Klage geschrieben) nicht bestehen. Die Beklagte gab sich im dritten Versuch keine Mühe, weil der dritte Versuch nicht einklagbar sein sollte. Der Kläger arbeitete wieder, soviel er konnte, um am Ende doch durchzufallen.
- 27
Das Gericht wollte die Angelegenheit nicht 'bis zum bitteren Ende' weiterverfolgen und hat sich die Sache mit einem Vergleich sehr einfach gemacht.
- 28
[…]
- 29
Die Beklagte hat den Kläger zuerst zweimal nachgewiesen verschuldet durchfallen lassen. Anschließend hat die Beklagte den Kläger auf gleiche Art noch ein drittes Mal durchfallen lassen. Es ist deshalb nötig, den Vergleich rückgängig zu machen, weil die Rechtsansprüche für die Verhandlung zum dritten Versuch benötigt werden. Die drei Prüfungsversuche müssen als eine Einheit verhandelt werden.
- 30
Es liegt eine Täuschung des Klägers seitens des Gerichts vor:
- 31
Es war nicht aus juristischen Gründen zwingend notwendig, einen Vergleich zu formulieren, wie das Gericht den Anschein erweckt hatte. Es wäre viel rechtmäßiger gewesen, wenn die Klage mit beidermalige[m] Erfolg für den Kläger geendet hätte. Der Kläger hat bereits während der Verhandlung Kritik am Vergleich geäußert ('Was habe ich denn davon? Beide Klagen zu gewinnen ist doch viel besser.').
- 32
Das Gericht verfolgte eigene Interessen: es wollte einen Präzedenzfall verhindern.
- 33
Während das Gericht den Eindruck erweckte, daß der Vergleich nur vorläufig geschlossen werden sollte (Kläger: 'Was passiert denn, wenn der dritte Versuch auch mit ‚durchgefallen‘ endet?' Gericht: 'Dann ist aber ‘was los!!'), war das Entsetzen des Klägers groß, als eine Rechtsauskunft meinte, daß die Rechtsansprüche nicht nur vorübergehend (für den Versuch einer milden Lösung) zurückgenommen werden sollten, sondern eigentlich für immer (womit der Kläger selbstverständlich nicht einverstanden ist).“
- 34
Der Kläger meint, es liege ein nach § 117 BGB nichtiges Scheingeschäft vor, da die Beklagte dem „reibungslosen Bestehen“ als „Gegenzug“ zur beendeten rechtlichen Weiterverfolgung der Sache zugestimmt habe, dies aber nicht eingehalten habe. Aus gleichem Grund liege ein Mangel an Ernstlichkeit nach § 118 BGB vor. Eine Anfechtbarkeit wegen (Inhalts-)Irrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB meint der Kläger daraus herleiten zu können, dass er bei Abschluss des Vergleichs den Eindruck gehabt habe, dass ihm keine Wahl geblieben sei. Eine Anfechtbarkeit wegen (Erklärungs-)Irrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB folge daraus, dass er den Vergleich nicht gewollt habe und dies auch während der Verhandlung geäußert habe. Während der Verhandlung habe er geäußert: „Was habe ich denn von dem Vergleich? So habe ich nur einen Versuch, sonst hätte ich zwei bzw. drei Versuche.“ Die Anfechtungsfrist nach § 121 BGB sei gewahrt, da er die „Anfechtung bzw. die Kritik am Sinn des Vergleichs“ unverzüglich geäußert habe. Eine Anfechtbarkeit wegen Täuschung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB sei daraus herzuleiten, dass er „kein Interesse an der Rücknahme“ der Klage habe haben können und „ihm weisgemacht“ worden sei, „daß der Vergleich besser für ihn“ sei. Die Anfechtungsfrist nach § 124 BGB sei eingehalten, da er „die Täuschung (bzw. die rechtlichen Möglichkeiten, die das Verhalten des Gerichts zur Täuschung werden lassen) erst vor ein paar Wochen entdeckt“ habe. Der Vergleich verstoße i.S.d. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot, da ein „Ausschließen von Rechtsansprüchen zum dritten Versuch […] nichtig“ sei, „weil der dritte Versuch laut Prüfungsordnung ein vollwertiger Versuch“ sei. Es gehöre zu den guten Sitten i.S.d. § 138 BGB, einen Studenten, der das Studium mit Ausnahme der Bachelorarbeit schon erfolgreich bestanden habe, nun auch noch die letzte Prüfung bestehen zu lassen. Der Vergleich sei (gemeint: nach § 140 BGB) „umgewandelt werden, in die direkte Anordnung des dritten Versuchs mit vollen Rechtsansprüchen des dritten Versuchs (der dritte Versuch ist damit einklagbar).“
- 35
Der Kläger trägt weiter vor, dass er sich in den Gerichtsverhandlungen zum dritten Prüfungsversuch unverstanden gefühlt habe. Aus dem E-Mail-Verkehr mit der Beklagten über die Durchführung des dritten Prüfungsversuchs ergebe sich, ob die Beklagte den Vergleich eingehalten habe.
- 36
Der Kläger beantragt,
- 37
das Klageverfahren fortzusetzen.
- 38
Die Beklagte beantragt,
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festzustellen, dass das Klageverfahren durch den gerichtlichen Vergleich vom 13. Juni 2012 mit Ablauf der Widerrufsfrist am 20. Juni 2012 beendet ist.
- 40
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind die Sachakten in zwei Bänden sowie die Gerichtsakten der Verfahren 2 K 1227/12, 2 K 5441/13 und 2 K 2573/15. Darauf, sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 41
I. Der vom Kläger gestellte Prozessantrag, das Klageverfahren fortzusetzen, hat keinen Erfolg. Stattdessen ist gemäß dem von der Beklagten gestellten Prozessantrag festzustellen, dass das Klageverfahren durch den in der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2012 abgeschlossenen Vergleich mit Ablauf der Widerrufsfrist am 20. Juni 2012 beendet ist. Eine Entscheidung in der Sache ist nicht veranlasst, da die Klage wegen der vergleichsweisen Erledigung nach § 106 VwGO nicht mehr anhängig ist. Der am 13. Juni 2012 abgeschlossene Vergleich ist mit fruchtlosem Ablauf der Widerrufsfrist am 20. Juni 2012 wirksam geworden.
- 42
Wegen der Doppelnatur des Prozessvergleiches würde einem vor Gericht geschlossenen Vergleich zwar auch seine verfahrensrechtliche Wirkung der Prozessbeendigung entzogen, wenn er aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig wäre (BVerwG, Urt. v. 10.3.2010, 6 C 15/09, NJW 2010, 3048, juris Rn. 12; Urt. v. 28.3.1962, V C 100/61, BVerwGE 14, 103, juris Rn. 21; BGH, Urt. v. 20.3.2013, XII ZR 72/11, NJW 2013, 1530, juris Rn. 14). Doch ist der Vergleich vom 13. Juni 2012 nach materiellem Recht ein wirksames Rechtsgeschäft. Die Wirksamkeit des Vergleichs, obwohl in einer Prüfungssache geschlossen, beurteilt sich nach §§ 54 bis 62 HmbVwVfG (1.). Ausgehend davon liegend die formellen (2.) und materiellen Voraussetzungen (3.) eines wirksamen Vertrags vor.
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1. Die Wirksamkeit des Vergleichs beurteilt sich auf Grundlage der §§ 54 bis 62 HmbVwVfG. Diese besonderen Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag sind anwendbar, obwohl der Vergleich vom 13. Juni 2012 eine Prüfungssache zum Gegenstand hat. Zwar sind gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG für die „Tätigkeit der Behörden bei Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen von Personen sowie für die Tätigkeit der Schulen“ nur die in der Norm benannten Vorschriften anwendbar, womit insbesondere die Anwendung der in der Norm nicht genannten besonderen Vorschriften über öffentlich-rechtliche Verträge in §§ 54 bis 62 HmbVwVfG ausgeschlossen ist. Doch greift der Anwendungsausschluss vorliegend nicht. Denn obwohl der abgeschlossene Vergleich eine von der Beklagten abzunehmende Hochschulprüfung zum Gegenstand hatte, war die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs nicht i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG bei einer Prüfung tätig. Im Einzelnen:
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Bereits seinem Wortlaut nach betrifft der erste Satzteil des § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG nur die „Tätigkeit […] bei […] Prüfungen“. Dies verweist darauf, dass in einer Prüfungssache der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags über allgemeine Verfahrensfragen außerhalb der spezifischen Prüfungssituation nicht ausgeschlossen ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 7.4.2014, OVG 10 N 90.11, NVwZ-RR 2014, 686, juris Rn. 15; vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 54 Rn. 3b), zumindest dann, wenn äußere Angelegenheiten, die der Leistungsbewertung vorausgehen, zum Gegenstand gemacht werden (Bonk/Neumann, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 54 Rn. 27), beispielsweise der äußere Verfahrensablauf, ein Rücktritt von einer Prüfung wegen Prüfungsunfähigkeit oder die Gestaltung einer Wiederholungsprüfung (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 13) oder die Anzahl der weiteren Prüfungsversuche (VG Berlin, Gerichtsbescheid v. 6.8.2013, 3 K 260/12, juris Rn. 4), wie es vorliegend der Fall ist.
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Systematisch spricht gegen einen undifferenzierten Ausschluss der Anwendung insbesondere der §§ 54 bis 62 HmbHG für die Tätigkeit der Prüfungsbehörden, dass der Gesetzgeber im zweiten Satzteil des § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG im Gegensatz zum ersten Satzteil für die „Tätigkeit der Schulen“ pauschal einen Anwendungsausschluss ausspricht. Die Systematik drängt auch insofern zu einer engen Auslegung des ersten Satzteils des § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG, als diese Norm nicht nur die Anwendung der besonderen Regelungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag ausschließt, sondern auch die Anwendung der besonderen Regelungen etwa über Bevollmächtigte und Beistände in §§ 14 bis 19 HmbVwVfG. Damit steht im Zusammenhang, dass nach Sinn und Zweck § 2 Abs. 3 Nr. 2 HmbVwVfG vorliegend nicht eingreift: Für die Durchführung der Prüfung ist unmittelbar einsichtig, dass der Prüfling sich nicht vertreten lassen und nicht über das Prüfungsergebnis Vertragsverhandlungen führen darf. Diesen begrenzten Gesetzeszweck des Anwendungsausschlusses für die Tätigkeit bei Prüfungen belegt die Gesetzgebungsgeschichte. Da anzunehmen ist, dass der Landesgesetzgeber der Kodifikation bei gleichem Wortlaut keinen anderen Inhalt beimessen wollte als der Bundesgesetzgeber den Parallelvorschriften, kann auf den dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes zugrundeliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes
, BT-Drs. 7/910, S. 36) verwiesen werden. Dort heißt es:
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„Die Verfahren bei Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen von Personen weisen Besonderheiten auf, die eine uneingeschränkte Anwendung des Verfahrensgesetzes nicht zulassen (Nummer 2). So können z. B. die Vorschriften über Bevollmächtigte und Beistände sowie über von Amts wegen bestellte Vertreter auf diese Bereiche nicht angewendet werden, da z. B. im Prüfungsverfahren sich der Prüfling der Prüfung persönlich zu unterziehen hat. Bei den nicht aufgeführten Bestimmungen liegt eine vergleichbare Situation vor.“
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Die nach dem die Auslegung steuernden Gesetzeszweck vorausgesetzte „vergleichbare Situation“ fehlt, soweit der Prüfling, nachdem er sich der Prüfung unterzogen und die Prüfungsbehörde ihn über das Ergebnis beschieden hat, sich in einem auf die Prüfung bezogenen Streit mit der Prüfungsbehörde über die Möglichkeiten der Wiederholung der Prüfungsleistung vergleichsweise einigt.
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2. Auf Grundlage der §§ 54 bis 62 HmbVwVfG liegen die Voraussetzungen eines wirksamen Vertrages vor. Der Vergleich vom 13. Juni 2012 beruht entsprechend §§ 145 ff. BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) auf übereinstimmenden Willenserklärungen der vertragsschließenden Parteien. Ein Vertragsschluss liegt vor, da die Beteiligten beiderseits den auf Band aufgenommenen und sodann vorgespielten Vergleichstext in der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2012 genehmigt haben. Aus der Vielzahl der vom Kläger angeführten Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die nach Maßgabe des § 62 Satz 2 HmbVwVfG entsprechende Anwendung finden, folgt nicht die Nichtigkeit der den Vergleichsschluss konstituierenden Willenserklärungen der Beteiligten. Dies gilt selbst dann, wenn zu Gunsten des Klägers angenommen wird, dass er sich bei der Genehmigung nicht nach § 164 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten hat vertreten lassen und es nicht entsprechend § 166 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) nur auf Willensmängel des Vertreters ankäme. Im Einzelnen:
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Die in der Genehmigung des Vergleichstexts am 13. Juni 2012 liegenden Willenserklärungen der Beteiligten bilden weder entsprechend § 117 Abs. 1 BGB ein nichtiges Scheingeschäft (a)) noch sind sie entsprechend § 118 BGB mangels Ernstlichkeit nichtig (b)). Die Nichtigkeit der den Kläger bindenden Willenserklärung folgt auch nicht entsprechend § 142 Abs. 1 BGB aus der vom Kläger erklärten Anfechtung wegen eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums entsprechend § 119 BGB (c)), wegen einer arglistigen Täuschung entsprechend § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB (d)) oder wegen einer widerrechtlichen Drohung entsprechend § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB (e)). Der geschlossene Vergleich ist weder wegen Fehlens der Vergleichsvoraussetzungen nach § 59 Abs. 2 Nr. 3 HmbVwVfG (f)) noch wegen eines beiderseitigen Irrtums über die Vergleichsgrundlagen nach der gemäß § 59 Abs. 1 HmbVwVfG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 779 Abs. 1 BGB unwirksam (g)). Das Rechtsgeschäft ist auch nicht nach den gemäß § 59 Abs. 1 HmbVwVfG entsprechend anwendbaren Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot entsprechend § 134 BGB (h)) oder wegen Verstoßes gegen die guten Sitten entsprechend § 138 Abs. 1 BGB (i)) nichtig. Der Vergleichsvertrag ist schließlich nicht im Hinblick auf eine Umdeutung nach der gemäß § 59 Abs. 1 HmbVwVfG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 140 BGB unwirksam (j)).
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a) Soweit der Kläger meint, es liege ein nach § 117 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) nichtiges Scheingeschäft vor, da die Beklagte dem „reibungslosen Bestehen“ als „Gegenzug“ zur beendeten rechtlichen Weiterverfolgung der Sache zugestimmt, dies aber nicht eingehalten habe, kann seiner rechtlichen Bewertung nicht gefolgt werden. Es liegt nicht der von § 117 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Tatbestand vor, dass eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben wurde. Ein solches Scheingeschäft setzt voraus, dass das Vereinbarte nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien keine Geltung haben soll (BGH, Urt. v. 20.5.2011, V ZR 221/10, NJW 2011, 2785, juris Rn. 6). Maßgeblich dafür, ob eine Willenserklärung an einem Willensmangel leidet, ist dabei der Zeitpunkt, in dem der Erklärende die Willenserklärung abgibt, hier mithin der Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts am 13. Juni 2012, nicht der nachfolgende Zeitraum der Durchführung des dritten Prüfungsversuchs. Es ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen, dass die Beteiligten bei Abschluss des Vergleichs am 13. Juni 2012 übereinstimmend den Willen hatten, dass das Vereinbarte nicht gelten sollte. Soweit das Klägervorbringen so zu verstehen ist, dass die Beklagte insgeheim das Vereinbarte nicht habe erfüllen wollen, so liegt dafür bereits kein Anhaltspunkt vor und wäre unabhängig davon kein Grund für eine Unwirksamkeit geltend gemacht. Denn entsprechend § 116 Satz 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) ist eine Erklärung nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen.
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b) Soweit der Kläger meint, aus „gleichem Grund“ liege ein Mangel an Ernstlichkeit nach § 118 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) vor, geht er fehl. Nach dieser Vorschrift ist eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, nichtig. Ein solcher Mangel an Ernstlichkeit i.S.d. § 118 BGB kann unterschiedlichste Gründe haben. In Betracht kommt, dass der Erklärende aus einer persönlichen Stimmungslage wie etwa Scherzhaftigkeit, Ironie, Angeberei, bloßer Höflichkeit, Provokation oder Theatralik handelte (Armbrüster, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 118 Rn. 5). Für all dies besteht aber kein Anhaltspunkt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger oder der Beklagten bei der Genehmigung des Vergleichstextes am 13. Juni 2012 die Ernstlichkeit gefehlt und sie etwa aus Scherz den Vertragstext genehmigt hätten. Gegen einen Mangel an Ernstlichkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts am 13. Juni 2012 spricht auch, dass die Beteiligten bei der sich anschließenden Durchführung des dritten Prüfungsversuchs zunächst übereinstimmend von einem wirksamen Vertragsschluss ausgingen. So hat auch der Kläger in einer an die Beklagte gerichteten E-Mail vom 21. Juni 2012 (dem Gericht vorgelegt mit Schriftsatz v. 24.12.2015) die Wirksamkeit des Vergleichs zugrunde gelegt und ausgeführt, er habe in einem Vergleich „einen dritten Prüfungsversuch bei Zurückziehen der beiden Klagen bekommen“. Zusätzlich hat der Kläger in einer E-Mail an die Beklagte vom 26. Juli 2012 ausgeführt, ihm sei „durch einen gerichtlichen Vergleich ein dritter Versuch für die Bachelorprüfung gewährt“ worden.
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c) Ohne Erfolg sucht der Kläger eine Anfechtung seiner Willenserklärung wegen eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums entsprechend § 119 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) zu begründen. Ein Anfechtungsgrund ergibt sich weder aus einem Erklärungsirrtum (aa)) noch aus einem Inhaltsirrtum (bb)) oder einem Eigenschaftsirrtum (cc)). Unabhängig davon fehlt es an einer rechtzeitigen Anfechtungserklärung (dd)).
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aa) Der Kläger war nicht wegen eines Erklärungsirrtums zur Anfechtung berechtigt. Eine Willenserklärung kann nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) anfechten, wer (erste Voraussetzung) bei der Abgabe der Willenserklärung eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollte, wenn (zweite Voraussetzung) anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Bereits die erste Voraussetzung ist nicht erfüllt. Denn der vorausgesetzte Erklärungsirrtum ist nur dann gegeben, wenn der Erklärende seine Willenserklärung in einer Gestalt abgibt, in der er sich nicht abgeben wollte, d. h. ihm die praktische Umsetzung seines Erklärungswillens in eine diesen Willen zutreffend kundgebende Äußerung missglückt, indem er sich etwa verspricht, verschreibt oder vergreift (Armbrüster, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 119 Rn. 46 m.w.N.). Daran fehlt es im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich lediglich die Behauptung, er habe zu einem der Genehmigung vorausliegenden Zeitpunkt während der Vergleichsverhandlungen den Vergleich zunächst nicht abschließen wollen. Es ist aber nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen, er selbst oder der für ihn handelnde Prozessbevollmächtigte habe bei der Genehmigung des Vergleichstexts diese Genehmigung nicht erklären wollen und sich versprochen.
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bb) Der Kläger war auch nicht wegen eines Inhaltsirrtums zur Anfechtung berechtigt. Eine Willenserklärung kann nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) anfechten, wer (erste Voraussetzung) bei der Abgabe der Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war, wenn (zweite Voraussetzung) anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Bereits die erste Voraussetzung ist nicht erfüllt. Denn der vorausgesetzte Inhaltsirrtum liegt nur dann vor, wenn zwar der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser sich jedoch über die Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung irrt (BVerwG, Urt. v. 10.3.2010, 6 C 15/09 u.a., NJW 2010, 3048, juris Rn. 18 m.w.N.). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts fehlt es an einem Irrtum des Klägers über die Bedeutung oder die Tragweite der Erklärung. Im Einzelnen:
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(1) Es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, dass der Kläger bei der Genehmigung des Vergleichstexts am 13. Juni 2012 nicht verstanden hat, dass er mit der Genehmigung einen Vergleichsvertrag mit der Beklagten schloss. Der Vortrag des Klägers, er habe bereits während der Verhandlung die Kritik am Vergleich geäußert: „Was habe ich denn von dem Vergleich? So habe ich nur einen Versuch, sonst hätte ich zwei bzw. drei Versuche.“ bestätigt, dass er wusste, mit einer Genehmigung des Vergleichstexts den Vergleichsvertrag abzuschließen. Dass der Kläger am 13. Juni 2012 wusste, dass er einen Vergleich genehmigte, bestätigt sein nachfolgendes Verhalten. So machte der Kläger mit E-Mails vom 21. Juni 2012 bzw. 26. Juli 2012 gegenüber der Beklagten geltend, er habe in einem Vergleich „einen dritten Prüfungsversuch bei Zurückziehen der beiden Klagen bekommen“ bzw. ihm sei „durch einen gerichtlichen Vergleich ein dritter Versuch für die Bachelorprüfung gewährt“ worden.
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(2) Soweit der Kläger vorgetragen hat, das Gericht habe „den Eindruck“ erweckt, „daß der Vergleich nur vorläufig geschlossen werden sollte“, ist bereits nicht substantiiert dargelegt, dass sich der Kläger bei der Genehmigung des Vergleichstexts über Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung irrte. Zutreffend war es, den Vergleich in dem Sinne als „vorläufig“ zu verstehen, dass mit ihm die Bachelorprüfung noch nicht insgesamt beendet war und ein Ergebnis noch ausstand. Bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts war hingegen für jeden offensichtlich, dass bei einem Misserfolg in dem durch den Vergleich eröffneten dritten Versuch eine Neudurchführung des ersten oder zweiten Versuchs ausgeschlossen war. Denn unter Ziffer 7 war ausdrücklich bestimmt, dass „dem Kläger über die Möglichkeit gemäß Ziff. 1 des Vergleichs hinaus keine weiteren Möglichkeiten zur Anfertigung einer Bachelor-Arbeit im Studiengang Technische Informatik gewährt“ werden sollten. Der Kläger wusste im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts, dass er mit dem Abschluss des Vergleichs davon Abstand nahm, die auf die ersten beiden Prüfungsversuche bezogenen Klagen weiterzuverfolgen. Dies bestätigt die dem Vergleichsschluss vom 13. Juni 2012 zeitnah nachfolgende E-Mail vom 21. Juni 2012, mit welcher der Kläger gegenüber der Beklagten geltend machte, er habe in einem Vergleich „einen dritten Prüfungsversuch bei Zurückziehen der beiden Klagen bekommen“.
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cc) Der Kläger war ferner nicht wegen eines Eigenschaftsirrtums zur Anfechtung berechtigt. Als zur Anfechtung berechtigender Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt entsprechend § 119 Abs. 2 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem Eigenschaftsirrtum um einen ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum handelt (Nachweise zu den verschiedenen Ansätzen der Lehre: Armbrüster, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 119 Rn. 105 ff.). Ein Motivirrtum besteht, wenn der Erklärende objektiv dasjenige erklärt, was er subjektiv erklären wollte, aber bei Abgabe seiner Erklärung einer Fehlvorstellung über den dafür maßgeblichen Beweggrund unterliegt (Armbrüster, a.a.O., Rn. 101). Denn es fehlt jedenfalls an dem gemäß § 119 Abs. 2 BGB vorausgesetzten Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Unter den Begriff der Eigenschaften der Sache fallen nach der höchstrichterlichen zivilgerichtlichen Rechtsprechung nicht nur die natürlichen (körperlichen) Eigenschaften, sondern auch solche tatsächliche und rechtliche Verhältnisse einer Sache, die zufolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Verkehrsanschauungen einen Einfluss auf die Wertschätzung der Sache auszuüben pflegen, allerdings nur dann, wenn sie für den Vertragspartner erkennbar dem Vertragsschluss zugrunde gelegt worden sind (Nachweise bei Armbrüster, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 119 Rn. 103 f.). Dafür besteht kein Anhaltspunkt. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass er sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts über ein tatsächliches oder rechtliches Verhältnis einer Sache, das nach der Verkehrsanschauung ihre Wertschätzung bestimmt, irrte und dies für die Beklagte erkennbar war.
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dd) Unabhängig davon hat der Kläger die Anfechtung seiner Willenserklärung nicht entsprechend § 121 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erklärt, nachdem er von den Umständen, aus denen er – zu Unrecht –einen Anfechtungsgrund herzuleiten sucht, Kenntnis erlangt hat. Von diesen Umständen hatte der Kläger bereits bei Abschluss des Vertrages Kenntnis. Dies ergibt sich aus seinem eigenen Vortrag, die Anfechtungsfrist sei gewahrt, da er die „Anfechtung bzw. die Kritik am Sinn des Vergleichs“ unverzüglich geäußert habe, womit er seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2012 meint. Der Kläger hat eine Anfechtung aber erst mit Schriftsatz vom 21. August 2014 erklärt. Sein Zögern ist als schuldhaft zu bewerten. Der Kläger hat zunächst unter Berufung auf den Prozessvergleich den weiteren Prüfungsversuch mit der am 18. Oktober 2012 ausgegebenen Bachelorarbeit und dem sich am 27. Mai 2013 anschließenden Kolloquium absolviert. Sodann hat er den das Nichtbestehen im weiteren Prüfungsversuch bestätigenden Widerspruchsbescheid vom 8. November 2013 abgewartet und nach Erhebung der diesbezüglichen Klage auch noch die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe (VG Hamburg, Beschl. v. 15.4.2014, 2 K 5441/13) und die Zurückweisung der diesbezüglichen Beschwerde (OVG Hamburg, Beschl. v. 13.6.2014, 3 So 51/14). Unabhängig davon wäre die Erklärung einer Anfechtung am 21. August 2014 auch dann nicht mehr unverzüglich und damit nicht rechtzeitig erfolgt, wenn der Kläger etwaige Umstände erst „vor ein paar Wochen entdeckt“ gehabt hätte. Ein mehrere Wochen andauerndes Zögern ohne benannten und nachvollziehbaren Grund ist als schuldhaft zu bewerten.
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Vor dem 21. August 2014 hat der Kläger keine Anfechtung erklärt. Eine Anfechtungserklärung nach § 143 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) muss auf Grund ihres objektiven Erklärungswerts erkennen lassen, dass der Anfechtungsberechtigte seine vorangehende Erklärung nicht gelten lassen will (Busche, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 143 Rn. 2). Dem Schriftsatz vom 28. Juni 2012, mit dem der Kläger geltend machte, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sei nach Diktat richtig erstellt worden, doch sei das „Fristdatum für das Einreichen des studentischen Wunschthemas […] auf das vermutlich dem Sinn der Vereinbarung entsprechende Datum des 31.8.2012“ (Hervorhebung dort) zu „berichtigen“, lässt nicht erkennen, dass der Kläger seine Genehmigungserklärung nicht mehr gelten lassen wollte. Aus der Mitteilung des Klägers im Schriftsatz vom 27. Juni 2013, dass die Beklagte sich „nicht an die Absicht des Vergleichs (zu einem reibungslosen Bestehen in einem dritten Prüfungsversuch beizutragen)“ gehalten habe, geht lediglich die Rechtsauffassung des Klägers hervor, die Beklagte habe den Vergleichsvertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt, nicht aber, dass er, der Kläger, sich nicht mehr an seiner Genehmigung des Vergleichstexts festhalten lassen wolle.
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d) Ohne Erfolg sucht der Kläger eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung entsprechend § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG) zu begründen. Aus keinem der vom Kläger benannten Gesichtspunkte lässt sich ein Anfechtungsgrund nach dieser Vorschrift herleiten (aa)). Unabhängig davon wäre hinsichtlich bestimmter vom Kläger benannter Gesichtspunkte die Anfechtungsfrist versäumt (bb)).
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aa) Ein Anfechtungsgrund entsprechend § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB liegt nicht vor. Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, kann nach dieser Vorschrift die Erklärung anfechten. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es kann dahinstehen, wer nach dem Vortrag des Klägers eine Täuschung verübt haben soll: die Beklagte als Vertragspartnerin oder das Gericht. Ebenfalls kann dahinstehen, ob das Gericht im Rechtssinne Dritter war, so dass die Einschränkung des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB Anwendung fände, wonach dann, wenn ein Dritter die Täuschung verübt, eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar ist, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Denn es fehlt im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts bereits an einer Täuschung des Klägers, sei es durch die Beklagte oder durch das Gericht. Eine Täuschung setzt voraus, dass ein anderer oder Dritter beim Erklärenden vorsätzlich einen Irrtum erwecken oder aufrechterhalten möchte (Armbrüster, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 119 Rn. 13). Eben dies wird mit dem Tatbestandsmerkmal der Arglist ausgedrückt, dem keine eigenständige Bedeutung beizumessen ist (Armbrüster, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 119 Rn. 17). Danach setzt eine arglistige Täuschung eine Täuschungshandlung, einen dadurch erweckten oder aufrechterhaltenen Irrtum und Vorsatz voraus. Diese Voraussetzungen sind unter keinem der vom Kläger angeführten Gesichtspunkte erfüllt:
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(1) Soweit der Kläger vorgetragen hat, er habe den Eindruck gehabt, dass ihm keine Wahl geblieben sei und es liege eine „Täuschung […] seitens des Gerichts vor“, da es „nicht aus juristischen Gründen zwingend notwendig“ gewesen sei, „einen Vergleich zu formulieren, wie das Gericht den Anschein erweckt“ habe, ist das Vorliegen eines Irrtums bereits nicht substantiiert dargelegt. Denn es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstextes der Rechtsauffassung gewesen ist, er wäre rechtlich zur Genehmigung verpflichtet gewesen und ihm hätte nicht offen gestanden, die Genehmigung zu verweigern. Dem Vergleich vom 13. Juni 2012 gingen Verhandlungen voraus, die zum Gegenstand hatten, ob der Vergleich geschlossen wird. In den vom Kläger gebrauchten Worten war der Abschluss des Vergleichs nur eine Möglichkeit, „die Angelegenheit nicht 'bis zum bitteren Ende' weiterverfolgen“ zu müssen. Ausgehend davon hat das Gericht offengelegt, dass der Abschluss des Vergleichs nicht ohne Alternative war, um das Verfahren zu erledigen. Die Einschätzung des Klägers, das Gericht – welches im Rechtsstreit über den ersten Prüfungsversuch am 24. Februar 2012 mit drei Richtern mehrstündig erörtert und am 13. Juni 2012 mit fünf Richtern mehrstündig verhandelt hatte – habe „sich die Sache mit einem Vergleich sehr einfach gemacht“, bestätigt, dass der Abschluss eines Vergleichs nur eine Möglichkeit zur Erledigung des Verfahrens war und der Kläger dies auch wusste. Es trat offen zu Tage, dass der Vergleichsschluss prozessrechtlich nicht ohne Alternative war, ansonsten hätte unter Ziffer 10 des Vergleichs kein Vorbehalt des Widerrufs ausbedungen werden können. Der Vortrag des Klägers, er habe „bereits während der Verhandlung Kritik am Vergleich geäußert ('Was habe ich denn davon? Beide Klagen zu gewinnen ist doch viel besser.')“ bestätigt, dass er im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts bewusst eine Wahl für den Abschluss des Vergleichsvertrages getroffen hat.
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Unabhängig davon hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt, durch welche Täuschungshandlung die Beklagte oder das Gericht einen Irrtum erzeugt haben könnten und noch dazu unter Vorsatz. Denn in den vom Kläger gebrauchten Worten war der Abschluss des Vergleichs auch nach Darstellung des Gerichts nur eine Möglichkeit, „die Angelegenheit nicht 'bis zum bitteren Ende' weiterverfolgen“ zu müssen.
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(2) Mit dem Vortrag des Klägers, „[f]ür die Zustimmung zum Vergleich […] sei vom Gericht sozusagen im Namen der Beklagten das 'reibungslose Bestehen' zugesichert [worden], weil die Beklagte sich beim dritten Mal ganz bestimmt Mühe geben würde“, ist zumindest nicht substantiiert dargelegt, dass die Beklagte oder das Gericht einen im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts bestehenden Irrtum des Klägers erzeugt hätten, noch dazu vorsätzlich. Denn es hätte dem Sinn und Zwecks des Vergleichs, der unter Ziffer 1 dem Kläger die Möglichkeit einräumte, sich zum dritten Mal dem Versuch einer Bachelorprüfung zu unterziehen, widersprochen, ein Ergebnis der noch zu unternehmenden Prüfung bereits festzulegen. Die Auffassung des Klägers, ohne ein Versprechen der Beklagten, „zum 100%igen Bestehen der Prüfung beitragen zu wollen“, sei „der Vergleich wertlos“, trägt nur teilweise: Der Kläger durfte erwarten, dass die Beklagte unter Wahrung des berufsbezogene Prüfungen beherrschenden Gebots der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG Prüfungsbedingungen zu schaffen bereit war, damit der Kläger die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Prüfungsleistung würde erbringen können. Der Kläger durfte aber der Einräumung einer weiteren Prüfungschance nicht die Aussage entnehmen, ob die von ihm noch zu erbringende Prüfungsleistung den Anforderungen entsprechen würde. Denn es war gerade Sinn der Prüfung zu ermitteln, ob die Kenntnisse und Fertigkeiten des Klägers den in einer Bachelorprüfung zu stellenden Anforderungen genügten. Die Auffassung des Klägers ist insofern abwegig, als er entgegen der Natur eines Prüfungsversuchs eine Garantie „zum 100%igen Bestehen der Prüfung“ erwartete. Es ist nicht substantiiert dargelegt, dass die Beklagte oder das Gericht eine solche abwegige Auffassung des Klägers in ihm erzeugt oder aufrechterhalten hätten, noch dazu vorsätzlich.
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(3) Der Vortrag des Klägers, „daß die Beklagte sich keine Mühe gegeben hat, und der Kläger ein drittes Mal durchfallen mußte“, ist lediglich Ausdruck seiner Rechtsauffassung, dass er in dem durch den Vergleich eröffneten dritten Versuch zu Unrecht nicht bestanden habe. Damit ist keine im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts am 13. Juni 2012 bestehende Fehlvorstellung aufgezeigt. Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er sich in den Gerichtsverhandlungen zum dritten Prüfungsversuch unverstanden gefühlt habe und sich aus dem E-Mail-Verkehr mit der Beklagten über die Durchführung des dritten Prüfungsversuchs ergebe, „ob die Beklagte den Vergleich eingehalten“ habe, berührt dies nicht die Wirksamkeit des am 13. Juni 2012 geschlossenen Prozessvergleichs. Die dem Abschluss des Vergleichs nachfolgende Durchführung des dritten Prüfungsversuchs einschließlich der am 18. Oktober 2012 ausgegebenen Hausarbeit ist ausschließlich Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens 2 K 5441/13, hinsichtlich dessen der Kläger unter dem Aktenzeichen 2 K 2373/15 eine Wiederaufnahmeklage verfolgt.
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(4) Ein Umstand, über den er sich bei der Genehmigung des Vergleichstextes geirrt hätte, ist nicht dargelegt, soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er „kein Interesse an der Rücknahme“ der Klage habe haben können. Zwar sind im Rahmen des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB ohne die Einschränkung des § 119 Abs. 2 BGB alle Motivirrtümer beachtlich, sofern sie nur auf einer Täuschung beruhen (Armbrüster, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 123 Rn. 2). Doch geht aus dem Vortrag des Klägers lediglich seine rückblickende Einschätzung hervor, dass der Vergleich für ihn ungünstig sei und er ausgehend von seinen Interessen die Klage besser bis zu einer streitigen Entscheidung weiterverfolgt hätte. Es ist kein rechtlicher oder tatsächlicher Umstand dargelegt, über den er im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts eine Fehlvorstellung unterhalten hätte. Entsprechendes gilt für den Vortrag des Klägers, dass „ihm weisgemacht“ worden sei, „daß der Vergleich besser für ihn“ sei. Damit ist lediglich behauptet, ein anderer habe die Einschätzung in ihm, dem Kläger, geweckt, der Abschluss des Vertrages sei für ihn günstig. Da aber die „Günstigkeit“ des Vergleichs kein objektiv zu ermittelnder rechtlicher oder tatsächlicher Umstand ist, kann der Kläger darüber auch keiner subjektiven Fehlvorstellung, d. h. keinem Irrtum, unterlegen sein.
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bb) Unabhängig davon, dass die vom Kläger benannten Gesichtspunkte keine Täuschung begründen, wäre die Anfechtungsfrist jedenfalls hinsichtlich der unter aa) (2) bis (4) benannten Umstände versäumt. Entsprechend § 124 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB ist die Anfechtung innerhalb eines Jahres ab der Entdeckung der etwaigen Täuschung zu erklären. Hinsichtlich der oben unter aa) (2) und (3) erörterten Gesichtspunkte ist die Jahresfrist durch die Anfechtungserklärung vom 21. August 2014 nicht gewahrt, da der Kläger spätestens mit der Eröffnung der Beurteilung im dritten Prüfungsversuch im Anschluss an das Kolloquium am 27. Mai 2013 wusste, dass ein „reibungsloses Bestehen“ nicht garantiert und ein Nichtbestehen möglich waren. Hinsichtlich der oben unter aa) (4) erörterten Gesichtspunkte hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt, wann er die vermeintliche Täuschung entdeckt habe, d. h. wann er zu der Auffassung gelangt sei, dass er „kein Interesse an der Rücknahme“ der Klage habe haben können und nicht „der Vergleich besser für ihn“ sei.
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e) Die vom Kläger vorgebrachten Umstände tragen auch keine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung entsprechend § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB (i.V.m. § 62 Satz 2 HmbVwVfG). Die Behauptung eines Beteiligten, er habe einen Vergleich tatsächlich so nicht schließen wollen, der Vergleich sei mehr auf Drängen des verhandlungsführenden Richters zustande gekommen, rechtfertigt nicht die Annahme eines Defizits im eigenen Willen und damit eine Anfechtung, weil das Gesetz Willenserklärungen unbeschränkt Geschäftsfähiger ungeachtet einer etwaigen Einflussnahme Dritter bis zur Grenze der arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung für bindend erachtet (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.6.2015, OVG 5 N 7.14, NVwZ-RR 2015, 797, juris Rn. 5). Eine Drohung setzt das vorsätzliche Inaussichtstellen eines künftigen Übels voraus, auf dessen Verwirklichung der Drohende Einfluss zu haben vorgibt, um damit auf die Willensentscheidung des Bedrohten einzuwirken (Ambrüster, Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 123 Rn. 97 m.w.N.). Für ein solches Inaussichtstellen eines künftigen Übels ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.
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f) Eine Unwirksamkeit des Vergleichs folgt auch nicht aus § 59 Abs. 2 Nr. 3 HmbVwVfG. Danach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.d. § 54 Satz 2 HmbVwVfG nichtig, wenn die Voraussetzungen zum Abschluss eines Vergleichsvertrags nicht vorlagen und ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers i.S.d. § 46 HmbVwVfG rechtswidrig wäre. Ein solcher Fall ist nicht gegeben. Die § 55 HmbVwVfG zu entnehmenden Voraussetzungen eines Vergleichsvertrags liegen vor. Danach ist ein Vergleich ein öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.d. § 54 Satz 2 HmbVwVfG, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird. Es handelt es sich um einen gemäß § 54 Satz 2 HmbVwVfG anstelle des Erlasses eines Verwaltungsaktes in der Hochschulprüfungssache von der beklagten Hochschule geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Der Vergleich beseitigte durch gegenseitiges Nachgeben eine bestehende Ungewissheit über die Anzahl der dem Kläger noch zustehenden Prüfungsversuche, indem er unter Ziffer 1 einen weiteren Prüfungsversuch gewährte, unter Ziffer 7 aber darüber hinausgehende Prüfungsversuche ausschloss. Vor Abschluss des Vergleichs bestand eine Unsicherheit darüber, ob der Kläger mit Erfolg die Annullierung wenigstens einer der bereits durchgeführten Prüfungsversuche oder die Durchführung eines dritten Prüfungsversuchs geltend machen konnte. Im Einzelnen:
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Hinsichtlich des ersten Prüfungsversuchs („Portierung einer Softwarearchitektur für Autonome Fahrzeuge auf den Fraunhofer Volksbot“) war es nach der Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. A. und der persönlichen Anhörung des Klägers durch die Kammer nicht ausgeschlossen, dass der Kläger mit seiner Klage in erster Instanz obsiegen würde. Das Verwaltungsgericht Hamburg hätte etwa die Auffassung einnehmen können, dass es zur Bearbeitung der Themenstellung durch den Kläger einer von der Beklagten gestellten kalibrierten Kamera bedurft hätte. Es war aber offen, ob etwa in einer zweiten Instanz das zuständige Berufungsgericht eine solche Auffassung geteilt hätte. Ein letztinstanzlicher Erfolg der Klage war nicht offensichtlich. Es wäre auch in Betracht gekommen, vor der Beantwortung der Frage, ob der Kläger mit seiner Klage obsiegt, zunächst dem Beweisantritt des Klägers durch Einholung eines Sachverständigengutachten nachzugehen, ob zu der Bearbeitung der Bachelorarbeit mit einem Software-Thema tatsächlich die vom Kläger geforderte Hardware zur Verfügung stehen musste.
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Bezüglich des zweiten Prüfungsversuchs („Vergleichen und Optimieren von Algorithmen für die Positionsbestimmung eines autonomen Fahrzeugs mithilfe eines Laserscanners“) war der Erfolg der Klage im diesbezüglichen Verfahren, 2 K 1227/12, ebenfalls offen. Bereits die Zulässigkeit der Klage war unter dem Gesichtspunkt der Klagefrist nach § 74 VwGO fraglich. Der anwaltlich vertretene Kläger selbst hatte eine Versäumung der Klagefrist angenommen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, worüber noch nicht entschieden war. Wäre die Klage unzulässig gewesen, hätte das Gericht in der Sache selbst nicht entscheiden dürfen, insbesondere nicht zugunsten des Klägers. Wäre die Klage zulässig gewesen, hätte das Gericht in der Sache prüfen müssen, ob – entsprechend dem sich zu dem zweiten Prüfungsversuch wiederholenden Klägervorbringen – die Aufgabenstellung nicht lösbar gewesen war und Arbeitsmaterial nicht zur Verfügung gestanden hatte. Darüber war im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vergleichstexts auch in erster gerichtlicher Instanz noch nicht verhandelt worden.
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Angesichts eines etwaigen zukünftigen dritten Prüfungsversuchs wäre zunächst die Frage zu beantworten gewesen, ob entgegen der damaligen Rechtsauffassung der Beklagten und mit der Rechtsauffassung des Klägers in zeitlicher Hinsicht die Prüfungs- und Studienordnung des Bachelorstudiengangs Technische Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (v. 22.11.2001, Amtl. Anz. 2002, S. 969 i.d.F. v. 7.12.2004, Amtl. Anz. 2005, S. 125 – PSOBScTI 2001) anwendbar war. Die Anwendbarkeit dieser Prüfungsordnung zugunsten des Klägers unterstellt hätte ferner eine Unsicherheit bestanden, ob nach § 13 Abs. 4 Satz 5 PSOBScTI 2001 die Tatbestandsvoraussetzung eines begründeten Falls vorlag, der die Ermessensentscheidung der Beklagten über einen dritten Versuch eröffnet hätte. Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des § 13 Abs. 4 Satz 5 PSOBScTI 2001 zugunsten des Klägers unterstellt hätte darüber hinaus eine Unsicherheit bestanden, ob die Beklagte ihr Ermessen dahingehend ausüben musste, dem Kläger einen dritten Prüfungsversuch zu gewähren.
- 73
g) Der Vergleich ist nicht in entsprechender Anwendung des § 779 Abs. 1 BGB unwirksam. Nach dieser gemäß § 59 Abs. 1 HmbVwVfG entsprechend anwendbaren Vorschrift ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die Verfahrensbeteiligten für eine vergleichsweise Regelung einen Rahmen nicht streitiger Umstände schaffen, die sie zur wesentlichen Grundlage der Streitbeilegung erheben (VGH München, Urt. v. 21.12.1999, 20 N 96.2625, 20 B 9620 B 96.2509, DVBl. 2000, 568, juris Rn. 33). Aus der Vorschrift des § 779 BGB folgt aber weiter, dass die Vergleichsparteien beim Abschluss eines Prozessvergleichs das Risiko dafür übernehmen, dass einseitige Bewertungen oder ungewisse Umstände, deren Bedeutung, Auswirkung und Einschätzung sie zur Streitbeilegung – vergleichsweise – geregelt haben, ggf. anders als erwartet zum Tragen kommen; d. h. verbindet ein Verfahrensbeteiligter mit vergleichsweise getroffenen Regelungen (einseitige) Erwartungen, die später nicht eintreten, so ist er an den Prozessvergleich gebunden (VGH München, a.a.O.; vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 18.2.2010, 1 A 10973/09, juris Rn. 68; VG Berlin, Gerichtsbescheid v. 6.8.2013, 3 K 260/12, juris Rn. 21). Es ist nicht ersichtlich, dass nach dem Inhalt des Vergleichs vom 13. Juni 2012 ein Sachverhalt von beiden Beteiligten als feststehend zugrunde gelegt worden ist, welcher der Wirklichkeit nicht entspräche. Vielmehr gingen beide Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Anzahl der offenen Prüfungsversuche in Streit stand und darüber eine vergleichsweise Regelung getroffen werden sollte.
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h) Zu Unrecht meint der Kläger ein „Ausschließen von Rechtsansprüchen zum dritten Versuch [sei] nichtig“ nach § 134 BGB, „weil der dritte Versuch laut Prüfungsordnung ein vollwertiger Versuch“ sei. Nach dieser, gemäß § 59 Abs.1 HmbVwVfG entsprechend anwendbaren Vorschrift ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot besteht dabei nicht bereits dann, wenn die getroffene Vereinbarung nicht mit allen formellen oder materiellen Rechtsvorschriften übereinstimmt, sondern erst dann, wenn und soweit der spezifische Sinn und Zweck der Vorschrift die Nichtigkeit auch einer von ihr abweichenden vertraglichen Regelung erfordert (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 59 Rn. 10; vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes
, BT-Drs. 7/910, S. 81). Der Nichtigkeitsgrund setzt voraus, dass sich das gesetzliche Verbot gegen die Vornahme gerade eines Vertrags der vorliegenden Art zwischen den konkret beteiligten Vertragsparteien richtet; Verstöße gegen die materielle Gesetzmäßigkeit oder gegen materielle Ermächtigungsnormen allein genügen nicht (Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 11). Gegen ein gesetzliches Verbot verstößt der Vergleich vom 13. Juni 2012 nicht dadurch, dass er unter Ziffer 1 einen weiteren Prüfungsversuch gewährt und unter Ziffer 7 darüber hinausgehende Prüfungsversuche ausschließt. Es fehlt bereits an einem Verbotsgesetz, das einer vergleichsweisen Einigung über die zur Verfügung stehenden Prüfungsversuche entgegensteht. Ein solches Verbotsgesetz liegt insbesondere nicht in den Regelungen des § 13 Abs. 4 Satz 2 und Satz 5 PSOBScTI 2001 vor, die dem Prüfling einen Anspruch auf eine Wiederholung und in begründeten Fällen auf eine zweite Wiederholung der Bachelorarbeit einräumen. Der Verzicht des Prüflings auf Prüfungsversuche, auf die ein Anspruch besteht, ist dadurch nicht ausgeschlossen, da die dem Prüfling eingeräumten Prüfungsversuche zu seiner Disposition stehen. Umso weniger ausgeschlossen ist, dass der Prüfling, wie vorliegend der Kläger, im Wege eines Vergleichs auf etwaige Wiederholungsmöglichkeiten, die ungewiss sind (dazu s.o. g)), verzichtet und im Gegenzug die Sicherheit einer zuvor ungewissen Wiederholungsmöglichkeit erlangt.
- 75
i) Zu Unrecht meint der Kläger eine Nichtigkeit mit dem Vortrag herzuleiten, dass es zu den guten Sitten gehöre, einen Studenten, der das Studium mit Ausnahme der Bachelorarbeit schon erfolgreich bestanden habe, nun auch noch die letzte Prüfung bestehen zu lassen. Nach der gemäß § 59 Abs. 1 HmbVwVfG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, das gegen die guten Sitten verstößt. Es überschreitet die Grenzen der guten Sitten nicht, sondern wird sogar im Gegenteil von ihnen gefordert, dass ein Student in einem Bachelorstudiengang auch die Bachelorprüfung bestehen muss, um den Studiengang erfolgreich abzuschließen. Es entspricht der Natur der Prüfung, dass der Prüfling bestehen oder aber nicht bestehen kann. Das gilt auch für den letzten Prüfungsversuch. Müsste jedem Studenten die letzte Prüfung erspart bleiben, würde die vorletzte Prüfung zur letzten Prüfung und müsste dem Studenten ebenfalls erspart bleiben, die vorvorletzte Prüfung dergleichen u.s.w. bis der Student überhaupt keine Prüfung mehr ablegen müsste. Auf diese Weise könnte die Qualität der zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führenden Ausbildung nicht gewährleistet werden.
- 76
j) Eine Erledigung des Rechtsstreits ist nicht wegen einer vom Kläger zu Unrecht für möglich erachteten Umdeutung des geschlossenen Vergleichs in einen Vergleich anderen Inhalts ausgeschlossen. Nach § 140 BGB (i.V.m. § 59 Abs. 1 HmbVwVfG) gilt dann, wenn ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ist mithin gerade nicht Rechtsfolge, sondern Tatbestandsvoraussetzung dieser Norm. Ein ohne die Umdeutung unwirksames Rechtsgeschäft wird nach Umdeutung zu einem wirksamen Rechtsgeschäft. Hier fehlt es jedoch bereits an einem ohne die Umdeutung unwirksamen Rechtsgeschäft, da der Vergleich, so wie er am 13. Juni 2012 von den Beteiligten geschlossen wurde, wirksam ist (s.o. a) – i)).
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II. Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 161 VwGO veranlasst, da im Streit über die Fortsetzung des Klageverfahrens durch Urteil entschieden wird. Allerdings ist nur über die weiteren Kosten nach der vergleichsweisen Beendigung des Klageverfahrens zu befinden. Denn für die bis zur vergleichsweisen Beendigung angefallenen Kosten ist bereits im wirksamen (s.o. I.) Prozessvergleich vom 13. Juni 2012 unter Ziffer 8 eine Bestimmung über die Kosten aufgenommen worden, so dass insoweit eine gerichtliche Kostenentscheidung nach § 160 VwGO nicht zu treffen ist. Die weiteren Kosten fallen nach § 154 Abs. 1 VwGO dem Kläger zur Last, da er mit seinem Fortsetzungsbegehren unterliegt. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit unter Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(1) Dieses Gesetz gilt für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden
- 1.
des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, - 2.
der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie Bundesrecht im Auftrag des Bundes ausführen,
(2) Dieses Gesetz gilt auch für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichneten Behörden, wenn die Länder Bundesrecht, das Gegenstände der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, als eigene Angelegenheit ausführen, soweit nicht Rechtsvorschriften des Bundes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Für die Ausführung von Bundesgesetzen, die nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen werden, gilt dies nur, soweit die Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates dieses Gesetz für anwendbar erklären.
(3) Für die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder gilt dieses Gesetz nicht, soweit die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden landesrechtlich durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt ist.
(4) Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist
- 1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, - 2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme und Rückforderung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG.
- 2
-
Der 1954 in der damaligen Sowjetunion geborene Kläger entstammt einer gemischtnationalen Ehe (Vater Russe; Mutter Deutsche). Sowohl in seinem sowjetischen Inlandspass aus dem Jahre 1979 als auch in der Geburtsurkunde seines Sohnes T. ist die Nationalität des Klägers mit "russisch" angegeben. Im Mai 1997 stellte der Kläger Aufnahmeanträge für sich, seine (russische) Ehefrau und seinen Sohn T. Im Oktober 1998 wurde er als Abkömmling einer Spätaussiedlerin in den Aufnahmebescheid seiner Mutter einbezogen. Im Dezember 1999 siedelte die Familie nach Deutschland um.
- 3
-
Im Februar 2000 beantragte der Kläger die Ausstellung einer Bescheinigung für Ehegatten und Abkömmlinge eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG, dem das Landratsamt Freiberg als Rechtsvorgänger des Beklagten mit Bescheid vom 5. Mai 2000 entsprach. Ebenfalls unter dem 5. Mai 2000 stellte das Landratsamt dem Kläger eine Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG aus. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, den das Landratsamt Freiberg als Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 BVFG umdeutete und mit Bescheid vom 14. Januar 2004 ablehnte, weil der Kläger kein deutscher Volkszugehöriger sei. Hiergegen legte der Kläger keinen Rechtsbehelf ein.
- 4
-
Am 12. Oktober 2004 griffen Mitarbeiter des Landratsamts den Vorgang ohne erkennbaren Anlass wieder auf und stellten für den Kläger unter demselben Datum eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG aus. Nach dieser ist der Kläger Spätaussiedler nach § 4 BVFG, seine Ehefrau Ehegatte eines Spätaussiedlers und sein Sohn T. Abkömmling eines Spätaussiedlers. Am 15. Oktober 2004 erging gegenüber dem Kläger ein durch die Leiterin des Sozialamtes, Frau H., unterzeichneter Bescheid des Landratsamtes, in dem unter dem Betreff "Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 BVFG" ausgeführt wurde, dass dem Antrag des Klägers vom Februar 2000 auf "Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG" entsprochen werde. Außerdem wurde im Bescheid auf eine am "14. Oktober 2004" ausgestellte Bescheinigung Bezug genommen, deren Identifikations- und Seriennummer der Bescheinigung vom 12. Oktober 2004 über den Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft nach § 15 Abs. 1 BVFG entsprach.
- 5
-
Nach Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten führte das Landratsamt Freiberg im Herbst 2005 eine Überprüfung durch und nahm nach Anhörung des Klägers mit einem wiederum durch die Leiterin des Sozialamts, Frau H., unterzeichneten Bescheid vom 24. März 2006 den Bescheid vom 15. Oktober 2004 sowie die am 12. Oktober 2004 ausgestellte Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zurück (Ziffer 1), forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Rückgabe des Bescheides und der Bescheinigung auf (Ziffer 2) und drohte ihm für den Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung die Wegnahme des Bescheides und der Bescheinigung an (Ziffer 4). Zur Begründung führte es aus, der Kläger sei kein Spätaussiedler. Es fehle an einem durchgängigen Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum. Zudem sei er zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht in der Lage gewesen, die deutsche Sprache ausreichend zu verstehen und zu sprechen. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Chemnitz mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2007 mit der Maßgabe zurück, dass nur die Bescheinigung spätestens zwei Wochen nach Bestandskraft der Rücknahmeentscheidung zurückzugeben ist. Der für die Erstellung des Bescheides vom Oktober 2004 zuständige Sachbearbeiter wurde nach Angaben des Beklagten im Jahr 2011 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
- 6
-
Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Rücknahmebescheid gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 15. Oktober 2004 und der Bescheinigung vom 12. Oktober 2004 lägen vor. Beide seien von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Kläger kein Spätaussiedler sei. Im Zeitpunkt der Ausreise sei nicht von einem durchgehenden Bekenntnis des Klägers zum deutschen Volkstum auszugehen. Ob in der freiwilligen Eintragung der russischen Nationalität in amtlichen Dokumenten bereits ein Gegenbekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit liege, könne dahinstehen. Jedenfalls fehle es an einer familiären Vermittlung der deutschen Sprache, weil der Kläger nur als Kind bis zum Alter von zwei Jahren mit seiner Mutter und seiner Großmutter Deutsch gesprochen habe. Das Rücknahmeermessen richte sich allein nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG, da die Bescheinigung als solche keine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewähre. Es reiche nicht aus, dass die Bescheinigung Grundlage für Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne von § 9 Abs. 3 BVFG gewesen sei. Schließlich werde dem Kläger mit der Rücknahme der Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nicht die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen, da er diese bereits im Mai 2000 mit der Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG erworben habe. Diese ältere Bescheinigung habe sich mit Erteilung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG im Oktober 2004 weder erledigt noch sei ihre Wirksamkeit anderweitig beseitigt worden.
- 7
-
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 48 VwVfG. Die angefochtene Rücknahmeentscheidung sei ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, weil ihm hierdurch die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werde. Das Berufungsgericht habe nicht in den Blick genommen, dass sich die Bescheinigungen nach § 15 Abs. 1 und 2 BVFG gegenseitig sowohl tatbestandlich als auch von den Rechtsfolgen her ausschlössen. So könne eine Person entweder nur Spätaussiedler oder nur Abkömmling eines Spätaussiedlers sein, denn § 7 Abs. 2 BVFG definiere Abkömmlinge ausdrücklich als Personen, welche nicht die Voraussetzungen der Spätaussiedlereigenschaft des § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG erfüllten.
- 8
-
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichts an, dass die Rücknahmeentscheidung die Stellung des Klägers als deutscher Staatsangehöriger nicht berühre. Die Ansprüche als Spätaussiedler und als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers könnten in echter Anspruchskonkurrenz nebeneinander bestehen. Daher berühre der Verlust der Rechtsstellung nach § 15 Abs. 1 BVFG nicht die zuvor bereits erworbenen Rechte aufgrund der Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Der Rücknahmebescheid vom 24. März 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2007, dessen Ziffer 1 dahingehend auszulegen ist, dass der der ausgestellten Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zugrunde liegende Bescheid vom 15. Oktober 2004 als Verwaltungsakt aufgehoben wird, ist formell (1.) und materiell (2. und 3.) rechtmäßig.
- 10
-
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Rücknahmeentscheidung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (hier: Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2007). Das folgt schon daraus, dass hier eine behördliche Ermessensentscheidung zu treffen war, die eine Anpassung an eine neue Rechtslage nur begrenzt ermöglicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1980 - 1 C 82.76 - BVerwGE 60, 133 <136>). Mithin finden das Verwaltungsverfahrensgesetz für den Freistaat Sachsen - SächsVwVfG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2003 (SächsGVBl. S. 614) und das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge - Bundesvertriebenengesetz (BVFG) - in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 - ZuwandG 2004 - (BGBl. I S. 1950) Anwendung. Die seit der letzten Behördenentscheidung ergangenen Änderungen des Bundesvertriebenengesetzes, insbesondere die durch das Achte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. Juli 2009 - BVFGÄndG 8 - (BGBl. I S. 1694) mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 BVFG n.F., die mit Blick auf die staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen nur Rücknahmen mit Wirkung für die Vergangenheit erfasst, sind ohne entsprechende Übergangsregelungen nicht auf eine - wie hier - vor ihrem Inkrafttreten ausgesprochene Rücknahme anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 12).
- 11
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Nach der allgemeinen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG, auf die mangels einer speziellen Rücknahmeregelung zurückzugreifen ist, kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 13).
- 12
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1. Mit dem Oberverwaltungsgericht ist von der formellen Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung auszugehen. Der Rechtsvorgänger des Beklagten war insbesondere für diese Entscheidung zuständig (a). Unerheblich ist, dass Rücknahmebescheid und zurückgenommener Bescheid von der gleichen Person unterzeichnet worden sind (b).
- 13
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a) Die Zuständigkeit des Landratsamts ergibt sich aus der speziellen Zuständigkeitsregelung des § 15 Abs. 3 BVFG. Danach entscheidet über die Rücknahme und den Widerruf sowie über die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung die Ausstellungsbehörde. Abweichend von den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen zur Bestimmung der Zuständigkeit für eine Rücknahmeentscheidung nach § 48 VwVfG war das Landratsamt damit schon deshalb für die Rücknahmeentscheidung zuständig, weil es die zurückzunehmende Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt hatte.
- 14
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Die gegenteilige Auffassung des Klägers, "Ausstellungsbehörde" im Sinne des § 15 Abs. 3 BVFG sei - analog zu den zu § 48 VwVfG entwickelten allgemeinen Zuständigkeitsregeln - die im Zeitpunkt der Rücknahme für die Ausstellung zuständige Behörde und damit hier das seit dem 1. Januar 2005 zuständige Bundesverwaltungsamt, widerspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass nach § 15 Abs. 3 BVFG für den Widerruf und die Rücknahme einer Bescheinigung - ungeachtet der zwischenzeitlichen Zuständigkeitsübertragung auf das Bundesverwaltungsamt - die Behörde zuständig sein soll, die die Bescheinigung ausgestellt hat (BT-Drs. 12/3212 S. 26 und 16/12593 S. 9).
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b) Das Oberverwaltungsgericht hat auch mit Recht einen behördlichen Verfahrensfehler verneint, den der Kläger aus der Tatsache abzuleiten versucht, dass die frühere Leiterin des Sozialamts des Landratsamts nicht nur den Rücknahmebescheid, sondern auch den zurückgenommenen Bescheid unterzeichnet hat. Dies begründet weder einen gesetzlichen Ausschlussgrund nach § 20 VwVfG noch eine Fehlerhaftigkeit wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 21 VwVfG. Das Berufungsgericht durfte die Frage, ob die frühere Leiterin des Sozialamts befangen war, offenlassen, denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen ihrer Mitwirkung und der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zur Prüfung gestellten Rücknahmeentscheidung (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - BVerwGE 69, 256 <269 f.> und vom 5. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214 <228> jeweils zu § 20 VwVfG), weil die Widerspruchsbehörde den Rücknahmebescheid vollständig überprüft und durch eine selbstständige Sachentscheidung bestätigt hat.
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2. Die Rücknahme der Entscheidung über die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Der zurückgenommene Bescheid war bei wertender Gesamtbetrachtung hinreichend bestimmt auf die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG gerichtet (a). Er war aber rechtswidrig. Der Kläger war bei Erlass des Bescheides kein Spätaussiedler. Es fehlte bei Verlassen der Aussiedlungsgebiete jedenfalls an einem (durchgängigen) Bekenntnis zum deutschen Volkstum (b). Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG ist gewahrt (c). Auch die Ermessensentscheidung begegnet keinen Bedenken (d).
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a) Der zurückgenommene Bescheid war hinreichend bestimmt. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass mit dem aufgehobenen Bescheid vom 15. Oktober 2004 die Rechtsstellung des Klägers durch Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG neben der ihm im Mai 2000 ausgestellten Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG hochgestuft werden sollte. Diese Annahme ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere war der aufgehobene Bescheid bei wertender Gesamtbetrachtung und unter Einbeziehung der auf seiner Grundlage dem Kläger ausgestellten Bescheinigung noch hinreichend bestimmt auf die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung gerichtet. Im Bescheid vom 15. Oktober 2004 ist im Betreff ausdrücklich von einem Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG die Rede. Soweit in den Gründen einem Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG entsprochen wird, handelt es sich offensichtlich um ein Schreibversehen bei der Absatzbezeichnung. Denn dem Kläger war bereits im Mai 2000 eine Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ausgestellt worden, während er auf der Grundlage des Bescheides vom 15. Oktober 2004 eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG erhielt.
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b) Der zurückgenommene Bescheid war aber rechtswidrig. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des statusrechtlichen Bescheides vom 15. Oktober 2004 richtet sich gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG grundsätzlich nach der zum Zeitpunkt seines Erlasses maßgeblichen Rechtslage (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012 - 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 43 mit Verweis auf den Beschluss vom 7. Juli 2004 - 6 C 24.03 - BVerwGE 121, 226 <229> m.w.N.).
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Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG in der im Oktober 2004 bei Erlass des aufgehobenen Bescheides geltenden Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266) - BVFG 2001 - erhielten Spätaussiedler zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft auf Antrag eine Bescheinigung (Spätaussiedlerbescheinigung). Eine solche Bescheinigung steht nach § 15 Abs. 1 BVFG nur demjenigen zu, der in dem für die Ausstellung der Bescheinigung maßgeblichen Zeitpunkt die Spätaussiedlereigenschaft besitzt, d.h. Spätaussiedler ist (BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 - BVerwGE 116, 119 Rn. 9).
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Wer Spätaussiedler ist, richtet sich grundsätzlich nach der Rechtslage bei Aufnahme in das Bundesgebiet (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 - BVerwGE 116, 119 <121>). Die Übersiedlung des Klägers nach Deutschland im Wege des Aufnahmeverfahrens erfolgte im Dezember 1999. Danach wäre für die Bestimmung der Spätaussiedlereigenschaft die Rechtslage nach dem Bundesvertriebenengesetz in der Fassung vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829) maßgeblich. Allerdings sind nach der durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266) mit Wirkung zum 7. September 2001 eingeführten Übergangsvorschrift des § 100a BVFG Anträge nach § 15 Abs. 1 BVFG nach dem Recht zu bescheiden, das "nach dem 7. September 2001 gilt". Der Bescheid nach § 15 Abs. 1 BVFG wurde dem Kläger im Oktober 2004 erteilt. Das Berufungsgericht hat den Bescheid daher zutreffend an der im Oktober 2004 geltenden Rechtslage gemessen. Eine Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung ist hier nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der bei Aufenthaltsnahme (hier: im Dezember 1999) bestehenden Rechtslage und auf das Fortbestehen eines seinerzeit entstandenen Spätaussiedlerstatus besteht jedenfalls nicht bei Personen, bei denen die Aufnahme nicht aufgrund der (vorläufig) bejahten deutschen Volkszugehörigkeit erfolgte, sondern die nur als Abkömmling eines Spätaussiedlers aufgenommen wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 14.03 - BVerwGE 119, 188 <190>).
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Die Übergangsvorschrift des § 100a BVFG ist hingegen nicht dynamisch in dem Sinn auszulegen, dass die Spätaussiedlereigenschaft bei Anträgen nach § 15 Abs. 1 BVFG, die vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle von 2001 gestellt worden sind, nach dem jeweils geltenden aktuellen Recht zu bestimmen sei, hier etwa nach den erleichterten Voraussetzungen in § 6 Abs. 2 BVFG des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3554). Denn bei dieser Übergangsregelung handelt es sich - wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (BT-Drs.14/6310 S. 6 ff.) - lediglich um einen (statischen) Verweis auf die zum 7. September 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG. Durch sie wollte der Gesetzgeber wieder zu der Rechtslage zurückkehren, die bis zu den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2000 (- 5 C 44.99 - BVerwGE 112, 112 u.a.) in der Verwaltungspraxis von Bund und Ländern und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anwendung kam. Hingegen ergeben sich für die Gesetzesnovelle von 2013 keine Anhaltspunkte, dass den durch sie bewirkten Erleichterungen für die Bestimmung der Spätaussiedlereigenschaft Rückwirkung in Altverfahren beigemessen werden sollte.
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Maßgeblich für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft ist folglich § 4 Abs. 1 BVFG in der zum Entscheidungszeitpunkt im Oktober 2004 geltenden Fassung vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266) - BVFG 2001 -. Danach ist Spätaussiedler in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor (1.) seit dem 8. Mai 1945 oder (2.) nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder (3.) seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben, seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.
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Deutscher Volkszugehöriger ist nach § 6 Abs. 1 BVFG 2001, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Wer - wie der Kläger - nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG 2001 deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt wer-den durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache (Satz 2). Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann (Satz 3). Ihre Feststellung entfällt, wenn die familiäre Vermittlung wegen der Verhältnisse in dem jeweiligen Aussiedlungsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar war (Satz 4). Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch aufgrund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören (Satz 5).
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Der Kläger stammt aus der ehemaligen Sowjetunion und wurde im Oktober 1998 als Abkömmling in den Aufnahmebescheid seiner Mutter einbezogen. Damit hat er die Aussiedlungsgebiete im Dezember 1999 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und im Bundesgebiet Aufenthalt genommen (§ 4 Abs. 1 BVFG 2001). Das Berufungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger jedoch die weitere Voraussetzung der Spätaussiedlereigenschaft - die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinne von § 6 BVFG 2001 - nicht erfüllt.
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Die Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit ergeben sich für den nach dem 31. Dezember 1923 geborenen Kläger aus § 6 Abs. 2 BVFG 2001. Der Kläger stammt zwar mütterlicherseits von einer deutschen Volkszugehörigen ab. Wegen der russischen Volkszugehörigkeit seines Vaters wurde er nach dem Recht seines Herkunftsstaates aber nicht ohne sein Zutun der deutschen Nationalität zugerechnet, wie dies z.B. nach der sowjetischen Passverordnung von 1974 bei Abkömmlingen der Fall war, bei denen beide Elternteile dem deutschen Volkstum zugehörten (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 - BVerwGE 99, 133 <140>). Folglich hätte er sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise (nur) zum deutschen Volkstum bekennen müssen. Hieran fehlt es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts (UA Rn. 32). Vielmehr ist seine Nationalität in seinem sowjetischen Inlandspass vom 23. Oktober 1979 mit "russisch" angegeben (UA Rn. 2). Diese Nationalität ist auch in der Geburtsurkunde seines Sohnes T. eingetragen. Wie das Oberverwaltungsgericht weiter festgestellt hat, erfolgten diese Eintragungen "freiwillig" (UA Rn. 33), beruhten also auf einer entsprechenden Erklärung des Klägers. Er selbst hat dies nach den gerichtlichen Feststellungen dahin erläutert, "bei Beantragung des Passes im Jahr 1979 sei die Nationalität für ihn kein Thema gewesen, weil die UdSSR eine große internationale Familie gewesen sei" (UA Rn. 6). Bei dieser Sachlage konnte das Gericht offenlassen, ob in dem Verhalten des Klägers bereits ein "Gegenbekenntnis" zu einem fremden Volkstum liegt, wie es der Rechtsvorgänger des Beklagten und das Verwaltungsgericht angenommen haben. Denn es fehlt schon an einem (positiven) Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum, wie es § 6 Abs. 2 BVFG 2001 verlangt. Damit kommt es nicht darauf an, ob es im Fall des Klägers - wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat (UA Rn. 33) - auch an einer familiären Vermittlung der deutschen Sprache fehlt.
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c) Der Rechtsvorgänger des Beklagten hat die einjährige Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG bei Erlass seines Bescheides vom 24. März 2006 beachtet, die erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens im Dezember 2005 zu laufen begann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - Gr.Sen. 1. und 2.84 - BVerwGE 70, 356 <362 f.>; s.a. Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 <165 f.>).
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d) Das Berufungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die Ausübung des Rücknahmeermessens nicht zu beanstanden ist. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und 3 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Für einen Verwaltungsakt, der - wie hier - ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 erfolgen.
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aa) Das Berufungsgericht hat die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides über die Spätaussiedlereigenschaft des Klägers mit Recht nur am Maßstab des § 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 VwVfG gemessen. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in früheren Entscheidungen einen teilweisen Rückgriff auf § 48 Abs. 2 VwVfG für geboten hielt, hält der inzwischen für das Vertriebenenrecht zuständige 1. Revisionssenat an dieser Rechtsprechung nicht fest.
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§ 48 Abs. 2 VwVfG stellt eine Sonderregelung für Verwaltungsakte dar, die eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilweise Sachleistung gewähren oder hierfür Voraussetzung sind. § 48 Abs. 3 VwVfG gestaltet den Vertrauensschutz bei der Rücknahme aller rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakte aus, deren Aufrechterhaltung weniger fiskalische Interessen berührt, sondern die stärker staatsbezogen sind und deren Aufrechterhaltung daher schwerer erträglich ist als in den Fällen des § 48 Abs. 2 VwVfG (BT-Drs. 7/910 S. 71). Hierzu zählen insbesondere Verwaltungsakte, die eine nichtmonetäre Rechtsstellung gestalten oder feststellen.
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Schon in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wurde der Bescheid über die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG - wie schon die Erteilung eines Vertriebenenausweises - als statusfeststellender Verwaltungsakt angesehen, dessen Rücknahme sich grundsätzlich nach der Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG richtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 12.89 - BVerwGE 85, 79 <84> zum früheren Vertriebenenausweis; ähnlich Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 22 zur Spätaussiedlerbescheinigung). Das wurde damit begründet, dass die - rechtswidrige - Feststellung, dass jemand die Spätaussiedlereigenschaft (früher: Vertriebeneneigenschaft) besitzt, für sich allein keine fiskalischen Interessen berührt, sondern - etwa im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit des Betroffenen - allein hoheitliche staatliche Belange. Soweit lediglich der - rechtswidrig festgestellte - Status in Rede stand, schied auch nach der bisherigen Rechtsprechung eine Vertrauensschutzprüfung nach § 48 Abs. 2 VwVfG im Ausweiseinziehungsverfahren aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. März 1990 - 9 C 12.89 - BVerwGE 85, 79 <84> und vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 <166 ff.>). Allerdings sah das Bundesverwaltungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung die Notwendigkeit, Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes in Bezug auf die einem Vertriebenen zu gewährenden finanziellen Vergünstigungen schon in die Entscheidung über die Rücknahme der Statusfeststellung einzubeziehen und den Rücknahmebescheid deshalb zusätzlich nach § 48 Abs. 2 VwVfG zu beurteilen, wenn und soweit im Einzelfall feststand, dass der Begünstige aufgrund seines Status als Spätaussiedler (früher: Vertriebener) konkrete Geld- oder Sachleistungen erhalten oder sein Vertrauen im Hinblick auf den Erhalt solcher Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betätigt hat (vgl. BVerwG Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 22 m.w.N.). Das wurde damit begründet, dass der Statusbescheid Grundlage für die Gewährung bestimmter Geld- oder Sachleistungen ist, wie z.B. finanzielle Hilfen nach § 9 BVFG, Leistungen bei Krankheit nach § 11 BVFG, Leistungen der Unfall- und Rentenversicherung nach § 13 BVFG und der Förderung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach § 14 BVFG (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 22) und die statusrechtliche Entscheidung für alle Behörden und Stellen verbindlich ist, die für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen nach dem Bundesvertriebenengesetz oder einem anderen Gesetz zuständig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 12.89 - BVerwGE 85, 79 <85>). Diese Rechtsprechung hatte zur Folge, dass ein Rücknahmebescheid jedenfalls an § 48 Abs. 3 VwVfG und ggf. hinsichtlich seiner Auswirkungen auf bereits erhaltene Geld- oder Sachleistungen oder im Vertrauen auf deren Erhalt getätigte Vermögenspositionen an § 48 Abs. 2 VwVfG gemessen wurde, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führen konnte mit der Folge, dass der der Spätaussiedlerbescheinigung zugrunde liegende Bescheid teilweise nicht zurückgenommen werden durfte (so etwa BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 12.89 - BVerwGE 85, 79; ähnlich schon Urteil vom 28. Oktober 1983 - 8 C 91.82 - BVerwGE 68, 159 <164 f.>).
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An dieser Rechtsprechung hält der 1. Revisionssenat nicht mehr fest. Vielmehr ist die Rücknahme einer Statusfeststellung nach § 15 Abs. 1 BVFG ausschließlich nach § 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 VwVfG zu beurteilen. Das dient der einheitlichen Beurteilung statusrechtlicher Bescheide, die auch in anderen Rechtsgebieten ergehen, beispielsweise im Flüchtlingsrecht nach §§ 2, 3 und 5 AsylVfG oder im Staatsangehörigkeitsrecht die Einbürgerung nach §§ 8 und 10 StAG. In diesen Rechtsgebieten wird über die Rücknahme des statusrechtlichen Bescheides ungeachtet des rechtlichen Schicksals etwaiger daran anknüpfender Leistungsbescheide entschieden, die auf der Grundlage der Statusbescheide ergehen und für die die Statusentscheidung verbindlich ist. Auch im Vertriebenenrecht sind derartige Leistungsbescheide - wie in den anderen genannten Rechtsgebieten - nicht Bestandteil der Statusentscheidung und deshalb sind sie nicht von Gesetzes wegen Gegenstand der die rechtswidrige Statusentscheidung aufhebenden Rücknahmeentscheidung. Ist ein Statusbescheid rechtswidrig, sind Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes bei der Entscheidung über die Rücknahme des Statusbescheides - im Anwendungsbereich des § 48 VwVfG - ausschließlich bei der Ermessensausübung nach § 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 VwVfG zu berücksichtigen.
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§ 48 Abs. 2 VwVfG kommt hingegen erst bei nachfolgenden Entscheidungen über die Rücknahme von auf der Grundlage der Statusentscheidung ergangenen Leistungsbescheiden zur Anwendung. Insoweit unterscheiden sich Statusbescheide hinsichtlich der Verknüpfung mit darauf aufbauenden Folgebescheiden etwa von steuerrechtlichen Messbescheiden, deren einziger Zweck der Erlass eines nachfolgenden Steuererhebungsbescheides ist. Es dient dem Ziel einer schnellen Entscheidung über die Wiederherstellung der Integrität der Rechtsordnung, wenn das Verfahren zur Aufhebung einer rechtswidrigen Statusentscheidung nicht schon mit Feststellungen zum rechtlichen Schicksal darauf beruhender Leistungsbescheide belastet wird. Das zeigt auch das vorliegende Verfahren, in dem bei Anwendung des § 48 Abs. 2 VwVfG in Bezug auf die vom Kläger nach seinem Vorbringen im Dezember 2004 erhaltenen Eingliederungshilfe nach § 9 Abs. 3 BVFG in Höhe von circa 2 000 € schon im Verfahren über die Rücknahme der Statusbescheinigung geprüft werden müsste, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit des Statusbescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG), obwohl derzeit völlig offen ist, ob die Verwaltung beabsichtigt, diesen Bescheid ebenfalls zurückzunehmen.
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Das der Behörde in § 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 VwVfG eröffnete Ermessen stellt insbesondere sicher, dass dem Vertrauensschutz im Hinblick auf die nichtvermögensrechtlichen Folgen einer Rücknahme - etwa wegen eines Verlusts der Staatsangehörigkeit - Rechnung getragen wird. Dieser Auslegung von § 48 VwVfG steht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 1981 (- 1 BvR 898/79 u.a. - BVerfGE 59, 128) nicht entgegen. Danach darf die Prüfung von Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes beim Entzug eines Vertriebenenausweises (heute: einer Spätaussiedlerbescheinigung) nicht gänzlich unberücksichtigt und ausschließlich der nachgelagerten Ebene der Rückforderung gewährter Leistungen vorbehalten bleiben (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1981 - 1 BvR 898/79 u.a. - BVerfGE 59, 128 <152 ff.>). Denn ungeachtet der Tatsache, dass die verfassungsgerichtliche Entscheidung zur mittlerweile aufgehobenen zwingenden Vorschrift des § 18 BVFG a.F. ergangen ist, wonach Vertriebenenausweise einzuziehen oder für ungültig zu erklären waren, wenn die Voraussetzungen für ihre Ausstellung nicht vorgelegen hatten, sind Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes auch nach der Rechtsprechung des Senats bei der Rücknahme des Statusbescheides nach § 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 VwVfG zu berücksichtigen. Dabei stehen allerdings die nichtvermögensrechtlichen Folgen der Rücknahme im Vordergrund, ohne dass der schwerpunktmäßig in Folgeverfahren zu prüfende vermögensrechtliche Vertrauensschutz jedoch gänzlich außer Betracht bleibt. Vermögensrechtlicher Vertrauensschutz ist bei der Rücknahmeentscheidung auf der Primärebene insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn das entsprechende Fachrecht auf der Sekundärebene keine Vertrauensschutzprüfung vorsieht. Freilich kann bei der Beurteilung, welches Gewicht dem vermögensrechtlichen Vertrauensschutz bei dieser Prüfung beizumessen ist, auch die gesetzgeberische Wertung im Bereich des Fachrechts Berücksichtigung finden. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ein Vermögensnachteil bei schützenswertem Vertrauen auch nach § 48 Abs. 3 VwVfG auszugleichen ist.
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bb) Die Rücknahmeentscheidung ist auch nicht - wie der Kläger meint - wegen Verstoßes gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ermessensfehlerhaft (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 18.11 - BVerwGE 143, 171 Rn. 26), da sie nicht zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers führt.
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Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 7 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618) - StAG a.F. - bereits mit der ihm auf der Grundlage des Bescheides vom 5. Mai 2000 ausgestellten Angehörigenbescheinigung gemäß § 15 Abs. 2 BVFG erworben. Die neue Fassung, welche die Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - EURLAsylUmsG - (BGBl. I S. 1970) mit Wirkung zum 28. August 2007 erhalten hat, ist hier nicht anwendbar. Nach § 7 Satz 1 StAG a.F. erwarb ein Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, mit der Ausstellung der Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 BVFG die deutsche Staatsangehörigkeit.
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Bei Ausstellung der Angehörigenbescheinigung im Mai 2000 erfüllte der Kläger auch die weiteren Voraussetzungen des § 7 Satz 1 StAG a.F., insbesondere war er mit seiner Aufnahme Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG geworden. Nach dieser Vorschrift ist Deutscher im Sinne des Grundgesetzes vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Unter welchen Voraussetzungen eine Person "als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling" diesen Status erwirbt, ist seit Inkrafttreten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 - KfbG - (BGBl. I S. 2094) geänderten Fassung des Bundesvertriebenengesetzes am 1. Januar 1993 grundsätzlich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu beurteilen. Personen, die - wie der Kläger - als Abkömmling einer Spätaussiedlerin in Deutschland Aufnahme gefunden haben, sind mit der Übersiedlung Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG geworden. Die einschlägigen Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes stellen insoweit die in Art. 116 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber vorbehaltene gesetzliche Regelung für den Erwerb des Deutschen-Status dar (BVerwG, Urteile vom 20. April 2004 - 1 C 3.03 - BVerwGE 120, 292 <295>, vom 19. Juni 2001 - 1 C 26.00 - BVerwGE 114, 332 <334> und vom 24. Mai 2012 - 5 C 18.11 - BVerwGE 143, 171 Rn. 29).
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Als Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG hat der Kläger nach § 7 Abs. 1 StAG a.F. die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes mit der Ausstellung der Angehörigenbescheinigung im Mai 2000 erworben. Hieran hat die spätere Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nichts geändert. Insbesondere war die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers nie eine gesetzliche Folge dieser Bescheinigung. Vielmehr beruht der Staatsangehörigkeitserwerb des Klägers auf dem Bescheid vom Mai 2000 und der auf seiner Grundlage ausgestellten Angehörigenbescheinigung. Diese Entscheidung wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit der späteren Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG - weder ausdrücklich noch konkludent - aufgehoben (UA Rn. 49). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem der Entscheidung des 5. Senats vom 24. Mai 2012 (- 5 C 18.11 - BVerwGE 143, 171) zugrunde liegenden Sachverhalt, da im dortigen Verfahren der Erwerb der Staatsangehörigkeit auf dem zurückgenommenen Bescheid beruhte und mit der auf den Ausstellungstag zurückreichenden Rücknahme eine wesentliche Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit (rückwirkend) beseitigt wurde, was ex post zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führte. Selbst wenn - entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten - unterstellt würde, dass sich die Entscheidung über die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG mit der Entscheidung über eine solche nach § 15 Abs. 1 BVFG "auf andere Weise" erledigte (§ 43 Abs. 2 VwVfG), wofür allerdings nichts spricht, würde dies nichts daran ändern, dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit weiterhin auf der Angehörigenbescheinigung vom Mai 2000 beruht, deren Unwirksamkeit ex nunc keinen Verlustgrund darstellen würde (vgl. § 17 StAG).
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cc) Die Ermessensentscheidung weist auch im Übrigen keine Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO zu Lasten des Klägers auf. Die Ausgangs- und die Widerspruchsbehörde haben bei der Abwägung der für und gegen eine Rücknahme sprechenden öffentlichen und privaten Belange alle nach Lage der Dinge maßgeblichen Umstände berücksichtigt und fehlerfrei abgewogen. Das Berufungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beklagte das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des statusrechtlichen Bescheides nach § 15 Abs. 1 BVFG in ausreichendem Maße berücksichtigt hat (UA Rn. 50).
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3. Die im Widerspruchsverfahren abgeänderte Aufforderung zur Rückgabe der Spätaussiedlerbescheinigung innerhalb von zwei Wochen nach Bestandskraft der Rücknahmeentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 52 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG. Danach kann die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt unanfechtbar zurückgenommen ist, die aufgrund dieses Verwaltungsakts erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern. Dies kann unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Unanfechtbarkeit auch schon zusammen mit der Rücknahme verfügt werden. Auch die Zwangsmittelandrohung bezieht sich nach der Abänderung der Rückgabeverpflichtung durch die Widerspruchbehörde nur noch auf die Rückgabe der Spätaussiedlerbescheinigung. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 i.V.m. § 27 SächsVerwVollstrG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
(1) Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid. Diesen erläßt
- 1.
die nächsthöhere Behörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere höhere Behörde bestimmt wird, - 2.
wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist, die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, - 3.
in Selbstverwaltungsangelegenheiten die Selbstverwaltungsbehörde, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird.
(2) Vorschriften, nach denen im Vorverfahren des Absatzes 1 Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle einer Behörde treten, bleiben unberührt. Die Ausschüsse oder Beiräte können abweichend von Absatz 1 Nr. 1 auch bei der Behörde gebildet werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat.
(3) Der Widerspruchsbescheid ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Der Widerspruchsbescheid bestimmt auch, wer die Kosten trägt.
Hält die Behörde den Widerspruch für begründet, so hilft sie ihm ab und entscheidet über die Kosten.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Wer ein Geheimnis, das ihm als
- 1.
Amtsträger, - 2.
für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, - 3.
Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt oder - 4.
Europäischer Amtsträger,
(2) Wer, abgesehen von den Fällen des Absatzes 1, unbefugt einen Gegenstand oder eine Nachricht, zu deren Geheimhaltung er
- 1.
auf Grund des Beschlusses eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes oder eines seiner Ausschüsse verpflichtet ist oder - 2.
von einer anderen amtlichen Stelle unter Hinweis auf die Strafbarkeit der Verletzung der Geheimhaltungspflicht förmlich verpflichtet worden ist,
(3) Der Versuch ist strafbar.
(3a) Beihilfehandlungen einer in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Person sind nicht rechtswidrig, wenn sie sich auf die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des Geheimnisses oder des Gegenstandes oder der Nachricht, zu deren Geheimhaltung eine besondere Verpflichtung besteht, beschränken.
(4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung verfolgt. Die Ermächtigung wird erteilt
- 1.
von dem Präsidenten des Gesetzgebungsorgans - a)
in den Fällen des Absatzes 1, wenn dem Täter das Geheimnis während seiner Tätigkeit bei einem oder für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes bekanntgeworden ist, - b)
in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1;
- 2.
von der obersten Bundesbehörde - a)
in den Fällen des Absatzes 1, wenn dem Täter das Geheimnis während seiner Tätigkeit sonst bei einer oder für eine Behörde oder bei einer anderen amtlichen Stelle des Bundes oder für eine solche Stelle bekanntgeworden ist, - b)
in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2, wenn der Täter von einer amtlichen Stelle des Bundes verpflichtet worden ist;
- 3.
von der Bundesregierung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 4, wenn dem Täter das Geheimnis während seiner Tätigkeit bei einer Dienststelle der Europäischen Union bekannt geworden ist; - 4.
von der obersten Landesbehörde in allen übrigen Fällen der Absätze 1 und 2 Nr. 2.
(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn
- 1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder - 2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Der am XX. Juni 1972 in E. geborene Kläger bestand im Frühjahr 1991 am B. -G. -Gymnasium in I. sein Abitur. Ab dem Wintersemester 1991/ 1992 studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten und legte am 8. November 1996 die Diplomprüfung mit der Gesamtnote "gut" ab. Die Fakultät verlieh ihm mit Urkunde vom 28. Januar 1997 den akademischen Grad "Diplom-Kaufmann". Am 10./19. September 1997 bestand er zudem die Diplomprüfung im integrierten Studiengang Wirtschaftswissenschaft an der Fernuniversität I1. mit der Note "ausreichend" (3,8). Aufgrund dieser Prüfung verlieh ihm der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Fernuniversität mit Urkunde vom 17. November 1997 den akademischen Grad "Diplom-Volkswirt (Dipl.-Volksw.)".
3Vom 1. August 1997 bis zum 31. Mai 1998 war der Kläger am Lehrstuhl Unternehmensrechnung und Controlling (Prof. Dr. S. ) der Beklagten als wissenschaftlicher Angestellter tätig. Ab 1. Juni 1998 arbeitete er als Controller im I2. -Konzern, F. , zunächst bei der I2. -Verkehrswegebau GmbH in der Niederlassung W. . Während dieser Zeit ‑ wohl im Mai 1998 ‑ ließ sich die Studentin D. E1. , geb. N. , für ihre im Frühjahr 1999 anstehende Diplomarbeit mit dem Thema "L3. " vormerken und gab an, sie bevorzuge den Kläger als betreuenden Assistenten. Diese Funktion übte der Kläger aus, obwohl er 1999 formell kein Hochschulangehöriger mehr war. Frau E1. legte ihre Diplomarbeit am 20. September 1999 am Lehrstuhl Prof. Dr. S. vor. Dieser bewertete sie in seinem Gutachten vom 20. Januar 2000 mit 1,7 ("gut plus"). Ein Zweitgutachten, wie es durch die Diplomprüfungsordnung vorgeschrieben ist, existiert nicht. Frau E1. erhielt in ihrer Diplomprüfung die Gesamtnote "gut" (1,7).
4Unter dem 12. Mai 2001 beantragte der Kläger bei der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten die Zulassung zum Promotionsverfahren mit dem Arbeitsthema für die Dissertation "L4. " und schlug Prof. Dr. K. , Inhaber des Lehrstuhls für Industriebetriebslehre, als Betreuer vor. Dieser erklärte sich zur Betreuung bereit. Mit Schreiben vom 24. September 2001 reichte der Kläger seine Dissertation ein und fügte ihr folgende schriftliche Erklärung vom 14. September 2001 bei:
5"Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt sowie die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken als solche kenntlich gemacht habe.
6Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht."
7Entsprechend dem Vorschlag des Klägers bestellte der Promotionsausschuss als Gutachter Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. sowie als weiteres Mitglied der Promotionskommission Prof. Dr. L. . Prof. Dr. K. bewertete die Arbeit in seinem Gutachten vom 18. September 2002 "als ein[en] innovative[n] Beitrag zur Weiterentwicklung branchenspezifischer Controlling-Systeme" und vergab die Note "sehr gut minus". Prof. Dr. S. bewertete die Dissertation in seinem Gutachten vom 27. Januar 2003 als eine "gute wissenschaftliche Forschungsleistung" und vergab die Note "gut plus". Beide Gutachter wiesen als "kleinere formale Mängel" auf Rechtschreibfehler, unkommentierte Abbildungen und ein unvollständiges Abkürzungsverzeichnis hin. Aufgrund seiner Dissertationsschrift und der Disputation vom 19. Mai 2003 erkannte die Promotionskommission dem Kläger die Gesamtnote "gut" zu und promovierte ihn zum Doktor rerum politicarum (Dr. rer. pol.). Nach Ablieferung der Pflichtexemplare seiner Dissertation übersandte der Dekan ihm unter dem 24. Juli 2003 die Promotionsurkunde.
8Nachdem sie zuvor telefonisch darauf hingewiesen hatte, wandte sich Frau E1. mit E-Mail vom 28. November 2005 an den Vorsitzenden der Kommission zur Sicherstellung guter wissenschaftlicher Praxis der Beklagten (im Weiteren: Kommission), "um einen Plagiatsfall anzuzeigen". Sie habe zufällig festgestellt, dass der Kläger in seiner Dissertation weite Teile ihrer Diplomarbeit wörtlich übernommen habe. Mit E-Mail vom 29. November 2005 übersandte sie eine pdf-Datei, die nach ihrer Angabe ihre Diplomarbeit beinhaltet. Der von der Beklagten erstellte Ausdruck umfasst einschließlich des Inhaltsverzeichnisses 291 Seiten. Das Original der Diplomarbeit hatte die Beklagte, die seinerzeit von einer Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren ausging, bereits vernichtet.
9Der Kommissionsvorsitzende informierte den Kläger unter dem 20. Dezember 2005 darüber, dass der "Anfangsverdacht eines Plagiats" in Bezug auf seine Dissertation bestehe, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 2. Januar 2006, es sei richtig, dass er die Diplomarbeit von Frau E1. betreut habe. Die Gliederung der Diplomarbeit sei in enger Abstimmung mit ihm und nach seiner konkreten Vorgabe entstanden. Große Teile seiner Arbeit, insbesondere der Herleitungsteil und Teile zur Kostenrechnung, seien im Jahr 1999 bereits erstellt gewesen. Diese Unterlagen sowie umfangreiche Literaturempfehlungen und Abbildungen habe er Frau E1. teils elektronisch als Vorbereitung und zur Einarbeitung und Weiterverwendung 1999 für ihre Diplomarbeit zur Verfügung gestellt. Bei der Korrektur ihrer Diplomarbeit habe er zur Kenntnis genommen, dass die Gliederung seinen Vorgaben entsprochen habe und vorgegebene Grafiken/Abbildungen und Texte inhaltlich verarbeitet worden seien. Nach seiner Erinnerung habe Frau E1. dabei auf seine unveröffentlichte Arbeit verwiesen. Auf Textgleichheiten mit seiner Arbeit habe er wegen des Umfangs der Diplomarbeit nicht weiter geachtet. Wegen der geringen wissenschaftlichen Bedeutung für den Gesamtkontext habe er insbesondere den zur Verfügung gestellten Teilen seiner Dissertation keine wesentliche Beachtung geschenkt. Bei Frau E1. handele es sich um eine sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit, die jedoch mit der Benotung ihrer Arbeit nicht einverstanden gewesen sei.
10In der Sitzung der Kommission vom 8. Februar 2006 gab der Kläger ausweislich der Niederschrift unter anderem an, Frau E1. habe gegen die Note von 1,7 Einspruch erhoben; dadurch sei es zum Streit mit Prof. Dr. S. gekommen, der ihn, den Kläger, als Auslöser des Widerspruchs angesehen habe. Prof. Dr. S. habe sich daraufhin geweigert, seine Dissertation weiter zu betreuen und ihm Prof. Dr. K. ab etwa März/April 2000 vermittelt. Das Fazit seiner Arbeit habe er relativ früh fertiggestellt, dann aber immer wieder daran gefeilt. Ende 1999 habe er eine Alpha-Version seiner Arbeit Prof. Dr. S. , nach dem Streit mit ihm dann etwa im April 2000 Prof. Dr. K. vorgelegt. Im Jahr 2000 habe er eine E-Mail von Frau E1. erhalten mit der Drohung, sie werde sich für die Bewertung ihrer Arbeit revanchieren.
11Frau E1. gab in der Sitzung der Kommission vom 10. Februar 2006 ausweislich der Niederschrift unter anderem an, sie habe auf Wunsch des Klägers diesem auch eine digitale Version ihrer Arbeit zur Verfügung stellen müssen. Über die Note von 1,7 sei sie zunächst ein wenig überrascht, dann aber zufrieden gewesen, weil sie die Diplomnote ohnehin nicht stark beeinflusst habe. Mit Schreiben vom 28. Februar 2006 übersandte Frau E1. ergänzend Unterlagen, die nach ihrer Angabe unterschiedliche Bearbeitungsversionen ihrer Arbeit nebst handschriftlicher Korrekturen und Anmerkungen beinhalten.
12Prof. Dr. S. erklärte in einem Telefonat am 12. Mai 2006, sich an einen Einspruch der Frau E1. gegen die Note nicht erinnern zu können. In einer E-Mail vom 27. Juni 2006 gab er ergänzend an, es sei sicher, dass er sich mit dem Kläger nicht wegen Frau E1. überworfen habe. Der Dekan Prof. Dr. T. teilte unter dem 30. Mai 2006 mit, ein Widerspruchsverfahren einer Frau N. (jetzt: E1. ) sei nicht anhängig gewesen.
13Am 1. November 2006 legte der Vorsitzende der Kommission dem Rektor der Beklagten einen Bericht vor mit der abschließenden Empfehlung, gegen den Kläger ein Verfahren zur Entziehung des Doktorgrades einzuleiten. In dem Bericht ist ausgeführt, die Universitätsmitarbeiterin T1. habe festgestellt, dass die Dissertation auch Übereinstimmungen mit einer Seminararbeit von M. Q. und M. I3. aufweise, die 1999/2000 an der Universität M. angefertigt worden sei.
14Mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Es komme die Aberkennung des Doktorgrades in Betracht. Der Kläger nahm zu den Vorwürfen mit anwaltlichen Schreiben vom 7. Februar 2007 und vom 12. Juni 2007 Stellung. Letzterem war eine eidesstattliche Versicherung seiner damaligen Lebensgefährtin, D1. M1. , beigefügt, wonach diese sich daran erinnern könne, dass der Kläger ihr Ende 1999 den Ausdruck einer E-Mail einer kürzlich betreuten Diplomandin mit drohendem Inhalt gezeigt habe.
15Der Fakultätsrat der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät behandelte in der Fakultätsratssitzung am 27. Juni 2007 den Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde". Zu dieser Sitzung war mit Schreiben vom 6. Juni 2007 unter Beifügung einer vorläufigen Tagesordnung mit dem Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde" eingeladen worden. Die Sitzung dauerte ausweislich des Protokolls von 16:15 bis 17:15 Uhr. Der Fakultätsrat beschloss mit 13:0:0 Stimmen, den Doktorgrad abzuerkennen.
16Diesen Beschluss setzte der Dekan der Fakultät mit Bescheid vom 17. September 2007 um. Er entzog dem Kläger den Doktorgrad und gab ihm auf, die Promotionsurkunde binnen zwei Wochen nach Erhalt des Bescheides zurückzugeben. Für die Entziehung stützte er sich auf § 20 der Promotionsordnung der Beklagten für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW. Zur Begründung führte er an, die Verleihung des Doktorgrades im Jahre 2003 sei rechtswidrig gewesen. Die Dissertation des Klägers erbringe den in § 67 Abs. 1 HG NRW vorausgesetzten Nachweis der Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nicht. Der Kläger habe darin 73 % des Textes der Diplomarbeit von Frau E1. und auf den Seiten 351 bis 369 umfangreich Textstellen einer Seminararbeit der Studenten M. Q. und M. I3. der Universität M. verwendet, ohne diese beiden Quellen im Literaturverzeichnis oder sonst in seiner Dissertation anzugeben. Damit habe er über die Eigenständigkeit seiner Leistung getäuscht und sei seine entsprechende Versicherung gemäß § 10 der Promotionsordnung falsch gewesen. Die Täuschung sei vorsätzlich erfolgt und für die Verleihung des Doktorgrades ursächlich gewesen. Das Vorbringen, Frau E1. habe bei der Anfertigung der Diplomarbeit im Jahre 1999 ihrerseits möglicherweise Textteile aus dem Entwurf der Dissertation des Klägers übernommen, sei nicht plausibel und überzeugend. Im Übrigen reiche bereits die weitgehende Verwendung von Textstellen aus der Seminararbeit der Herren Q. und I3. für die Annahme einer bewussten Täuschung bei der Erstellung der Dissertation und die Entziehung des Doktorgrades aus. Das zuständige Gremium habe sich bei der Entscheidung über die Entziehung des Doktorgrades mit den möglichen Auswirkungen auf die berufliche Karriere und die gesellschaftliche Stellung des Klägers befasst. Dem öffentlichen Interesse an der Entziehung des Doktorgrades sei jedoch der Vorrang einzuräumen. Sowohl der Umfang als auch die Qualität der Plagiate sprächen für einen gravierenden Fall der Täuschung. Die Verpflichtung zur Rückgabe der Promotionsurkunde ergebe sich aus § 52 VwVfG NRW. Der Zweck der Urkunde, ihrem Inhaber das Führen eines akademischen Grades nachzuweisen, sei entfallen. Da der Urkunde als Beweismittel im Rechtsverkehr große Bedeutung zukomme, liege ihre Herausgabe vor allem im Interesse der Rechtssicherheit, um jeglichen Missbrauch auszuschließen.
17Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen darauf, ein beweiskräftiger Text der Diplomarbeit habe nicht vorgelegen. Frau E1. sei nicht glaubwürdig. Aus der M. Seminararbeit habe er nichts übernommen. Die Entziehung des Doktorgrades sei überdies unverhältnismäßig.
18Der Fakultätsrat beschloss in seiner Sitzung vom 30. April 2008 unter deren Tagesordnungspunkt 8 "Aberkennung einer Doktorwürde" konsensual, den Widerspruch zurückzuweisen. Zu der Sitzung war unter Beifügung einer vorläufigen Tagesordnung eingeladen worden, die keinen entsprechenden Tagesordnungspunkt enthielt. An ihr nahmen ausweislich des Protokolls der Dekan, der Prodekan und der Studiendekan, acht Angehörige der Gruppe der Hochschullehrer, drei Angehörige der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter nebst einem Vertreter, ein nichtwissenschaftlicher Mitarbeiter nebst einem Vertreter sowie drei Angehörige der Gruppe der Studierenden nebst einem Vertreter teil. Den Beschluss setzte der Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät mit Bescheid vom 5. Mai 2008 um, mit dem er den Widerspruch des Klägers zurückwies. Zur Begründung führte er aus, die Einwände des Klägers hätten nicht zu einer geänderten Entscheidung geführt. Ein Motiv der Frau E1. , ihre Arbeit im Nachhinein elektronisch seiner Dissertation anzupassen, um dann den Kläger des Plagiats zu beschuldigen, trage dieser nicht nachvollziehbar vor. Die Benotung der Diplomarbeit der Frau E1. spiele keine tragende Rolle, da sich die Gesamtnote auch bei einer Veränderung der Benotung der Arbeit nicht verbessert hätte. Frau E1. habe auch keine Einwände gegen die Benotung erhoben. Für die Feststellung der Plagiate habe eine hinreichende Grundlage bestanden, obwohl die Papierfassung der Arbeit E1. vernichtet sei. Soweit der Kläger vorbringe, Frau E1. habe im Gegenteil aus seinem Konzept Textteile in ihre Diplomarbeit übernommen, frage sich, warum er dies bei der Korrektur der Diplomarbeit nicht erkannt habe. Zudem bleibe es bei dem Plagiat der Seminararbeit der Herren Q. und I3. . Soweit der Kläger darauf hinweise, diese Autoren seien möglicherweise in den Besitz von Unterlagen gekommen, die er im Rahmen seiner Arbeit bei I2. erstellt habe, lege er nicht dar, um welche Unterlagen es sich handeln solle. Überdies enthalte seine Dissertation aus dem Jahr 2003 dieselben Rechtschreibfehler wie die Seminararbeit der Herren Q. und I3. aus dem Jahr 1999. Der Einwand, die Arbeit sei auch ohne die beanstandeten Textteile als umfassend und als "Neuland" zu bewerten, sei unerheblich. In Anbetracht der Schwere des Plagiats und des Umstands, dass das Vertrauen in die Einhaltung der anerkannten wissenschaftlichen Regeln geschützt werden müsse, erscheine die Entziehung auch verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei.
19Der Kläger hat am 5. Juni 2008 Klage erhoben und ergänzend geltend gemacht, er habe keine Passagen aus der Diplomarbeit der Frau E1. und der Seminararbeit der Herren Q. und I3. übernommen, er sei vielmehr deren Urheber. Es sei nicht überprüfbar, wie Teile seiner Arbeit auf der Plattform "hausarbeiten.de" als Seminararbeit aus dem Jahre 1999/2000 hätten auftauchen können. Gegenstände der Dissertation seien auch Inhalte seiner täglichen Arbeit bei I2. gewesen. Dort hätten zahlreiche Personen Zugang zu Projektdaten und Texten gehabt, die er verfasst habe. Die unbefugte Weitergabe seiner Texte könne daher nicht ausgeschlossen werden. Es sei auch nicht nachgewiesen, ob die Arbeit im Zeitraum zwischen ihrer Veröffentlichung im Internet und dem Einreichen seiner Dissertation überhaupt heruntergeladen worden sei und gegebenenfalls vom wem. Überdies habe es damals nur wenige Unterlagen zum Thema "Balanced Scorecard" gegeben, weshalb textliche Überschneidungen nicht zu vermeiden gewesen seien. Es seien auch nur geringe Textmengen wortgleich.
20Zur Ermittlung der Übereinstimmungen mit der Arbeit der Frau E1. hätte die Beklagte die Software "Turnitin" nicht verwenden dürfen, weil sie unzuverlässig sei. Sie messe außerdem zu Unrecht den Angaben der Frau E1. mehr Glaubhaftigkeit bei als seinen. Diese stelle schon falsch dar, wie sie und er erstmals in Kontakt gekommen seien. Entgegen ihrer Darstellung seien ferner die Themenkreise "Marketing-Controlling" und "Strategisches Controlling" die geplanten Hauptkapitel der Diplomarbeit gewesen. Auch entspreche es nicht der Wahrheit, dass Frau E1. Auszüge ihrer Arbeit bereits in der Erstellungsphase zur Verfügung gestellt habe. Das Abbildungsmaterial mit der Kennung "I2. " in ihrer Diplomarbeit sowie die Verweise auf die Quelle "I2. Verkehrswegebau" zeigten, dass seine ‑ des Klägers ‑ Unterlagen in ihre Diplomarbeit Eingang gefunden hätten. Er habe ferner nicht verlangt, dass Frau E1. ihre Diplomarbeit in einer elektronischen Version einreiche und über eine solche niemals verfügt. Das Aussageverhalten von Frau E1. sei von einer Belastungstendenz geprägt. Dies beruhe darauf, dass sie mit der Benotung ihrer Diplomarbeit nicht zufrieden gewesen sei; eine bessere Note in der Diplomarbeit hätte rechnerisch eine deutlich bessere Gesamtnote auf dem Diplomzeugnis bedeutet. Prof. Dr. S. habe ‑ was im Bericht der Kommission zu seinen Lasten nicht erwähnt sei ‑ in seiner Anhörung am 10. Januar 2006 erklärt, Frau E1. habe sich bei ihm über ihre Note beschwert. In einer ihm, dem Kläger, nicht mehr vorliegenden Mail aus Ende 1999/Anfang 2000 habe sie angekündigt, sich bei ihm "revanchieren" zu wollen. Dazu sei sie auch unter dem Pseudonym "L1. E2. " im Hörfunk aufgetreten. In dem Interview werde deutlich, dass sie sich offenkundig über in interne Vorgänge eingeweihte Personen bei der Beklagten über das Verfahren gegen ihn informiert habe. Sie erhebe ihre Anschuldigungen auffälligerweise zu einem Zeitpunkt, zu dem die Originalarbeit bereits vernichtet sei. Zudem habe sie zunächst geäußert, alle Diplomarbeitsdateien seien durch einen Virus vernichtet worden. Die von ihr später vorgelegten Seiten mit handschriftlichen Anmerkungen eines Zwischenstandes könnten genauso gut im Nachhinein entstanden sein. Frau E1.‘s Ehemann sei im Übrigen ehemaliger Mitarbeiter von Professor M2. , dem Vorsitzenden des Promotionsausschusses und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik. Er habe damit die Gelegenheit und das Wissen gehabt, im Interesse seiner Ehefrau Unterlagen, die ihn, den Kläger, entlasten könnten, zu entsorgen bzw. eine Diplomarbeit nachzustellen.
21Er, der Kläger, habe bei der Erstellung des Gutachtenentwurfs zu der Diplomarbeit einen Abgleich mit seiner Doktorarbeit nicht vorgenommen, weil ihm eine unerlaubte Übernahme von Textteilen nicht in den Sinn gekommen sei. Das Gutachten belege den Plagiatsvorwurf nicht. Auch der Abgleich des Fazits der Dissertation tauge dafür nicht. Es sei nicht üblich, im Fazit nochmals auf alle Details der Arbeit einzugehen. Seine Dissertation sei im Übrigen 1999 bereits im Wesentlichen fertiggestellt und Anfang 2001 mit Ausnahme von redaktionellen Überarbeitungen abgeschlossen gewesen. Dies bestätige die Aussage von Prof. Dr. K. im Protokoll zur 10. Sitzung der Kommission vom 10. Januar 2006. Es sei auch unwahrscheinlich, dass Frau E1. eine so umfangreiche Diplomarbeit in nur etwa drei Monaten erstellt haben wolle.
22Der M. Seminararbeit komme schon deshalb kein Beweiswert hinsichtlich eines Plagiatsvorwurfs zu, weil sie erst im Mai 2000 veröffentlicht worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Kapitel über die "Balanced Scorecard" bereits Teil seiner Arbeit gewesen. Der Kläger hat dazu eine E-Mail des GRIN-Verlags und eidesstattliche Versicherungen vorgelegt.
23Er berufe sich auf Verjährung gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG NRW und Vertrauensschutz. Die Entziehung sei zudem ermessensfehlerhaft. Mit seiner umfangreichen Dissertation habe er Neuland betreten. Die Maßnahme hätte für ihn direkte und dauerhafte Arbeitslosigkeit zur Folge. Damit würde die wirtschaftliche Existenz einer Familie vernichtet. Überdies sei die Entziehung verfahrensfehlerhaft, so seien die Tagesordnung und die Unterrichtung der Mitglieder des Fakultätsrats defizitär.
24Der Kläger hat beantragt,
25den Bescheid des Dekans der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten vom 17. September 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2008 aufzuheben.
26Die Beklagte hat beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Sie hat geltend gemacht: Eine elektronische Auswertung habe ergeben, dass sich 73 % des Textes der Diplomarbeit der Frau E1. mehr oder weniger wörtlich in der Dissertation fänden. Die äußere Ähnlichkeit der Arbeiten hinsichtlich des Layouts, des Schrifttyps und sogar bei einigen Schreibfehlern sei auffällig, zumal es Vorgaben der Fakultät für die formale Gestaltung von Diplomarbeiten und Dissertationen seinerzeit nicht gegeben habe. Dass zum Vergleich der Arbeiten zunächst die Software "Turnitin" eingesetzt worden sei, sei unschädlich, da die Ergebnisse später bewertet worden seien.
29Ein nachvollziehbares Motiv der Frau E1. dafür, ihrerseits im Nachhinein ihre Arbeit der Dissertation des Klägers anzupassen, um ihn des Plagiats beschuldigen zu können, sei nicht ersichtlich. Die Behauptung, die Gesamtnote der Diplomprüfung hätte sich auch mit einer günstigeren Bewertung der Diplomarbeit nicht verbessert, hat die Beklagte dazu nicht aufrechterhalten: Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2011 hat sie auf gerichtliche Anfrage erklärt, wenn die Diplomarbeit mit 1,3 bewertet worden wäre, hätte Frau E1. die Gesamtnote 1,6 ("gut") erzielt, bei einer Bewertung mit 1,0 die Gesamtnote 1,5 ("sehr gut"). Frau E1. hätte mit den erzielten Prüfungsergebnissen ein Promotionsverfahren einleiten können, da zur Zeit des Abschlusses ihrer Diplomarbeit hierfür kein bestimmtes Ergebnis in der Diplomarbeit oder -prüfung erforderlich gewesen sei.
30Die Einladung zu der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 sei auf den 6. Juni 2007 datiert. Es sei üblich, die Einladung auch an diesem Tag zu versenden. Selbst wenn sie ausnahmsweise am nächsten Tag abgeschickt worden sein sollte, wäre die Ladungsfrist von einer Woche gewahrt. Für die Einladung zur Fakultätsratssitzung am 30. April 2008, die vom 17. April 2008 datiere, gelte das Gleiche. Der Tagesordnungspunkt "Aberkennung einer Doktorwürde" sei einstimmig unter Tagesordnungspunkt 2 "Endgültige Festlegung der Tagesordnung" aufgenommen worden. Jedes Mitglied des Fakultätsrats habe frühzeitig die Möglichkeit gehabt, in die entscheidungserheblichen Unterlagen Einsicht zu nehmen.
31Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung der Lebensgefährtin des Klägers D1. M1. , seines Freundes H. T2. und des Prof. Dr. S. . Mit dem angefochtenen Urteil hat es der Klage stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide seien materiell rechtswidrig. Ein Plagiat lasse sich nicht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststellen. Das Original der Diplomarbeit von Frau E1. sei nicht mehr vorhanden. Der Computerausdruck ihrer Arbeit entspreche nicht mit der erforderlichen Sicherheit dem Originaltext ihrer Arbeit. Es spreche allerdings Vieles dafür, dass in der Dissertation des Klägers die Seminararbeit Q. /I3. plagiiert sei. Dies könne jedoch dahinstehen, denn die Entscheidung sei jedenfalls ermessensfehlerhaft, weil sie in der Begründung vorwiegend auf das Plagiat der Diplomarbeit der Frau E1. abstelle, das nicht feststehe.
32Gegen das ihr am 21. März 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. April 2012 die Zulassung der Berufung beantragt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 8. April 2014 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.
33Die Beklagte macht zur Begründung der Berufung geltend:
34§ 67 HG NRW stelle eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für § 20 der Promotionsordnung dar. § 67 Abs. 3 Satz 3 HG NRW stelle klar, dass es sich bei der Promotionsordnung um eine Prüfungsordnung handele, die auch Regelungen über die Folgen von Verstößen gegen die Prüfungsvorschriften enthalten müsse. Diese Bestimmung habe als spezielle Norm Vorrang vor § 48 VwVfG NRW. Dem stehe § 1 Abs. 1 VwVfG NRW nicht entgegen, weil landesrechtliche Vorschriften im Sinne der Norm auch alle auf Grund von Landesgesetzen erlassenen Rechtsnormen seien. Dafür, dass der Kläger die Diplomarbeit der Frau E1. plagiiert habe, spreche, dass die älteste noch existierende Version der Dissertation die "Diskettenversion" vom 2. Oktober 1999 sei, während die Datei der Frau E1. vom 20. September 1999 stamme; unter diesem Datum sei die Arbeit auch abgegeben worden. Der Erklärungsversuch des Klägers für die Übereinstimmungen sei inkonsistent und stehe in Widerspruch zu Zeugenaussagen. Seine Darstellung zur Betreuung durch Prof. Dr. S. bereits im Jahre 1997 stehe mit dessen Angaben nicht in Einklang. Dass ein Doktorand ‑ wie es der Kläger vortrage ‑ einer Diplomandin namhafte Teile seiner Dissertation übergebe, widerspreche jeder Lebenserfahrung. Es sei auch nicht glaubhaft, dass dem Kläger die Übereinstimmungen bei der Korrektur nicht aufgefallen seien. Zudem habe die Kommission festgestellt, dass sich die prozentuale Übereinstimmung des Wortlauts der Arbeit E1. mit der Dissertation von der Zwischenversion vom 2. Oktober 1999 zur Endversion vom 20. November 2001 erhöhe; dies gelte besonders für das Fazit. Auffällig sei ferner, dass die Seminararbeit der Studenten aus M. nur in der Arbeit des Klägers auftauche, nicht der Diplomarbeit E1. . Das Verwaltungsgericht, das die Glaubwürdigkeit der Frau E1. in Zweifel ziehe, hätte diese als Zeugin hören müssen. Es sei nicht glaubhaft, dass sie einen Rachefeldzug gegen den Kläger führe, da eine bessere Endnote das Gesamtergebnis ihres Diplomzeugnisses kaum nennenswert beeinflusst hätte. Sie, die Beklagte habe in ihrer Entscheidung auch angenommen, bereits das Plagiat der M. Seminararbeit reiche für die Entziehung des Doktorgrades aus. Vertrauensschutz oder Verjährung stünden der Entziehung nicht entgegen.
35Die Beklagte beantragt,
36das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
37Der Kläger beantragt,
38die Berufung zurückzuweisen.
39Er macht ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen im Wesentlichen geltend: § 48 VwVfG NRW sei die in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage. Die hochschulrechtlichen Grundlagen genügten nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot und dem Vorbehalt des Gesetzes und verstießen gegen das Willkürverbot. Ein nach Abschluss des Prüfungsverfahrens begonnenes Verfahren sei ferner vom Regelungsbereich der Prüfungsordnung nicht erfasst.
40Die Entscheidung sei formell rechtswidrig. Die Aktenführung der Beklagten sei nicht ordnungsgemäß. Überdies sei § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Senats nicht beachtet. Entgegen der Vorschrift sei nicht dokumentiert, welche Unterlagen versandt worden seien. Angesichts der Kürze der Sitzung des Fakultätsrats vom 27. Juni 2006 (60 Minuten) sei unvorstellbar, dass über die Aberkennung der Doktorwürde ernsthaft Beschluss gefasst worden sei. Ebenfalls unvorstellbar sei, dass ein Gremium von Hochschulangehörigen es als rechtmäßig akzeptiert haben solle, dass das Original der Diplomarbeit bereits vernichtet gewesen sei und darauf trotzdem die Entscheidung gestützt werden solle. Daher sei von einer mutwilligen Fehlinformation des Fakultätsrats auszugehen. Überdies sei das Mitglied des Fakultätsrats Prof. Dr. U. befangen gewesen. Dieser sei gleichzeitig mit einer nichtssagenden Zeugenaussage (E-Mail vom 15. Mai 2006) aufgeführt. Er könne aber nicht gleichzeitig Zeuge und Entscheider sein.
41Ferner bestünden erhebliche Zweifel daran, dass nur er, der Kläger, von Frau E1. abgeschrieben haben könne. Es könne nicht zweifelhaft sein, dass Prof. Dr. S. ihn betreut habe. Dass dieser sich nicht mehr richtig an die Rahmenbedingungen seines, des Klägers, Tätigwerdens erinnere, sei befremdlich, könne aber an seinem Alter und daran liegen, dass die Vorgänge lange zurücklägen. Zahlreiche Zeugen könnten belegen, dass er ‑ der Kläger ‑ seit 1997 an dem Kennzahlen-Projekt gearbeitet habe. Die von der Beklagten behauptete zeitliche Reihenfolge der Diskettenversionen sei durch nichts belegt. Insbesondere sei unklar, woraus sich ergebe, dass die Datei von Frau E1. vom 20. September 1999 stamme.
42In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat die Beklagte erklärt, sie ändere die Rückforderung der Promotionsurkunde im angefochtenen Entziehungsbescheid vom 17. September 2007 dahin ab, dass die Urkunde binnen zwei Wochen nach Unanfechtbarkeit zurückzugeben sei. Sie hat ferner klargestellt, dass die Aussage über die Kostentragung im Tenor des angefochtenen Entziehungsbescheides vom 17. September 2007 nur als Hinweis auf die gesetzliche Kostentragungspflicht des Verursachers nach § 13 Abs. 1 GebG NRW gemeint sei.
43Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
44Entscheidungsgründe:
45Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des Dekans der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten vom 17. September 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2008 ist in seinen beiden Regelungsbestandteilen ‑ der Entziehung des Doktorgrades (A.) sowie der Aufforderung zur Rückgabe der Promotionsurkunde in der Fassung, die die Beklagte ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gegeben hat (B.) ‑ rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
46A. Die Entscheidung, dem Kläger den Doktorgrad zu entziehen, ist rechtsfehlerfrei. Sie findet eine wirksame Ermächtigungsgrundlage jedenfalls in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW (I.) und hält in materieller (II.) und formeller (III.) Hinsicht der Rechtskontrolle stand.
47I. Der Senat kann offenlassen, ob § 20 Satz 1 der Promotionsordnung der Universität E3. für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät vom 26. September 1983 (GABl. NRW. S. 540) in der Fassung der Änderungen vom 12. April 1991 (GABl. NRW. S. 73), vom 29. Januar 1997 (GABl. NRW. S. 223) und vom 9. Oktober 1999 (GABl. NRW. S. 946) ‑ im Folgenden: PromO 1983 ‑ als wirksame Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung herangezogen werden kann. Verneinendenfalls findet die Maßnahme ihre Ermächtigungsgrundlage jedenfalls in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW.
48Nach § 20 Satz 1 PromO 1983 wird der Doktorgrad aberkannt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrtümlich als gegeben angesehen worden sind. Soweit diese Norm wirksam ist, verdrängt sie zwar gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG NRW im Sinne eines Anwendungsvorrangs die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte in § 48 VwVfG NRW. Der Senat hat auch keinen Zweifel, dass § 20 Satz 1 PromO 1983 als Regelung einer Hochschulprüfungsordnung im Sinne der §§ 64 Abs. 2 Nr. 9, 67 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz- HG NRW) vom 31. Oktober 2006 (GV. NRW. S. 474) und der entsprechenden Vorschriften des bis 2006 in NRW geltenden Hochschulrechts dem Vorbehalt des Gesetzes genügt.
49Vgl. dazu näher OVG NRW, Urteile vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 62 ff., sowie ‑ 19 A 2820/11 ‑, juris, Rdn. 42 ff.
50Zweifelhaft erscheint allerdings, ob die als gebundene Entscheidung ausgestaltete Bestimmung ein Abwägungsprogramm zur Verfügung stellt, das ausreichenden Raum zur Berücksichtigung der grundrechtlich, insbesondere durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belange und der Besonderheiten des Einzelfalls wie etwa des Zeitablaufs, des Vertrauensschutzes und möglicher existenzbedrohender Folgen der Doktorgradentziehung bietet und insoweit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht.
51Vgl. dazu BVerwG, Beschlüsse vom 25. August 1992 ‑ 6 B 31.91 ‑, Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 3, juris, Rdn. 14, und vom 20. Oktober 2006 ‑ 6 B 67.06 -, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris, Rdn. 6; OVG NRW, Urteile vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 95 und ‑ 19 A 2820/11 ‑, juris, Rdn. 72.
52Der Senat braucht dieser Frage nicht nachzugehen. Denn aus den nachfolgend dargelegten Gründen sind die Voraussetzungen des § 20 Satz 1 PromO 1983 und des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW gleichermaßen erfüllt. Gegen die Heranziehung letzterer Norm als Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung bestehen ‑ die Unwirksamkeit des § 20 Satz 1 PromO 1983 unterstellt ‑ auch sonst keine durchgreifenden Bedenken. Die Beklagte hat sich in ihrer Entscheidung neben § 20 Satz 1 PromO 1983 auch auf § 48 Abs. 1 VwVfG NRW gestützt und dabei Ermessen ausgeübt. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Entziehung eines akademischen Grades einer Ermessensentscheidung der Verwaltung nach § 48 VwVfG überlassen werden darf.
53Vgl. näher BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2006, a. a. O., juris, Rdn. 4 f., und Bay. VGH, Urteil vom 4. April 2006 ‑ 7 BV 05.388 ‑, juris, Rdn. 11 zu § 48 bay. VwVfG sowie VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13. Oktober 2008 ‑ 9 S 494/08 ‑, juris, Rdn. 3 und Urteil vom 19. April 2000 ‑ 9 S 2435/99 ‑, juris, Rdn. 22 zu § 48 VwVfG BW.
54II. Die Entziehungsverfügung vom 17. September 2007 ist sowohl am Maßstab des § 20 Satz 1 PromO 1983 als auch am Maßstab des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW materiell rechtmäßig. Nach § 20 Satz 1 PromO 1983 wird der Doktorgrad aberkannt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrtümlich als gegeben angesehen worden sind. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Vorschriften liegen vor (1.). Die lediglich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW zusätzlich erforderliche Ermessensausübung der Beklagten ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (2.). Die Rücknahmemöglichkeit war auch weder verfristet (3.) noch verjährt oder durch Zeitablauf erloschen (4.).
551. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Satz 1 PromO 1983 sowie des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW sind erfüllt. Die Promotion des Klägers war rechtswidrig, da wesentliche Verleihungsvoraussetzungen irrtümlich als gegeben angesehen worden sind, über deren Vorliegen der Kläger getäuscht hat. Entgegen seiner Behauptung stellte seine Dissertation in Teilen keine selbstständige wissenschaftliche Leistung dar, wie § 10 Abs. 2 PromO 1983 erfordert (a), und war seine Dissertation bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens, was § 10 Abs. 4 PromO 1983 verbietet (b).
56a) Entgegen der Vorspiegelung des Klägers stellte seine am 24. September 2001 eingereichte Dissertation in weiten Teilen keine selbstständige wissenschaftliche Leistung dar.
57Wesensbestimmendes Merkmal einer Dissertation und damit zugleich wesentliche Verleihungsvoraussetzung für den Doktorgrad ist, dass sie auf der eigenen selbstständigen wissenschaftlichen Arbeit des Doktoranden beruht. Durch sie wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG NRW die Befähigung zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen. Satzungsrechtlich hat die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten die Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Arbeit des Doktoranden in § 10 Abs. 2 und 4 PromO 1983 zur zentralen Verleihungsvoraussetzung eines Doktor rerum politicarum (Dr. rer. pol.) gemacht. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 PromO 1983 muss die Dissertation eine selbstständige Leistung des Doktoranden darstellen. Dieser hat seiner Dissertation die Versicherung beizufügen, dass er die Arbeit selbstständig verfasst und sich anderer als der angegebenen Hilfsmittel nicht bedient hat (§ 10 Abs. 2 Satz 2 PromO 1983). Die Dissertation darf nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens gewesen sein (§ 10 Abs. 4 PromO 1983). Diese Anforderungen des § 10 Abs. 2 und 4 PromO 1983 sind "wesentliche" Verleihungsvoraussetzungen im Sinne des § 20 Satz 1 PromO 1983. Von ihnen hängt die Fortführung des Promotionsverfahrens ab. Das ergibt sich aus § 10 Abs. 6 PromO 1983. Nach dessen Satz 1 muss der Promotionsausschuss die Dissertation an den Doktoranden zurückverweisen, falls sie eine der Anforderungen der Abs. 2 und 4 nicht erfüllt. Wird der Mangel nicht innerhalb einer angemessenen, vom Promotionsausschuss festzulegenden Frist behoben, muss der Promotionsausschuss die Zulassung zur Promotion widerrufen (Abs. 6 Satz 2).
58Mit dem Tatbestandsmerkmal der Täuschung knüpft § 20 Satz 1 PromO 1983 an den Begriff der arglistigen Täuschung im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht an (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Adressat eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes begeht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine arglistige Täuschung in diesem Sinn, wenn er den maßgeblichen Bediensteten der Behörde in seiner Entscheidung beeinflusst, indem er bei diesem einen Irrtum über entscheidungserhebliche Tatsachen hervorruft, deren Unrichtigkeit der Adressat kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt. Bei der Erstellung einer Dissertation begeht der Doktorand eine Täuschung im Sinne des § 20 Satz 1 PromO 1983 über das Vorliegen der wesentlichen Verleihungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 2 PromO 1983 (und hier auch § 10 Abs. 4 PromO 1983) namentlich dann, wenn er bei den Gutachtern einen Irrtum über die Eigenständigkeit seiner erbrachten wissenschaftlichen Leistung hervorruft, indem er in erheblichem Umfang fremde Textpassagen ohne Quellenangabe aus dem Werk eines anderen Autors wörtlich oder sinngemäß übernimmt, obwohl ihm deren Herkunft vom Fremdautor bewusst ist.
59Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 99 ff. mit weiteren Nachweisen.
60Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger in seiner Dissertation zu einem erheblichen Anteil bewusst wörtliche oder nahezu wörtliche Passagen aus der am 20. September 1999 eingereichten Diplomarbeit "L3. " der Frau E1. übernommen hat, ohne dies offenzulegen. Angesichts des Umfangs und des Gewichts bereits dieser Übernahmen kann der Senat unterstellen, dass der Kläger nicht zusätzlich aus der im Jahr 1999/2000 an der Universität M. angefertigten Seminararbeit der Studenten M. Q. und M. I3. abgeschrieben hat.
61Den sich hierauf beziehenden, in der mündlichen Verhandlung in der Sitzung vom 14. Januar 2016 gestellten Beweisanträgen 1. bis 5. war insoweit schon deshalb nicht nachzugehen, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung des Senats ohne Belang sind. Letzteres gilt auch für den Beweisantrag zu 6., der darauf gerichtet ist, Beweis darüber zu erheben, "dass die Datumsangaben 20. September 1999 (Text E1. ) bzw. 2. Oktober 1999 (Text Kläger) in den Dateinamen der seitens der Beklagten elektronisch abgeglichenen Textdateien von dem jeweiligen Verwender zu einem naturwissenschaftlich-technisch nicht feststellbaren Zeitpunkt eingegeben wurden, und dass die Angabe des Änderungsdatums der jeweils abgeglichenen Dateien ausschließlich erkennen lässt, wann letztmalig Änderungen zu der jeweiligen Datei gespeichert wurden, im Gegensatz zu dem Zeitpunkt, an dem die Datei erstmalig gespeichert wurde". Der Senat geht mit dem Kläger davon aus, dass die genannten Daten lediglich die Speicherung der jeweils letzten Änderung der Dateien dokumentieren. Ebenfalls kann der Senat davon absehen, auf die zusätzlich festzustellenden Übereinstimmungen von Passagen der Dissertation mit der I2. -Unterlage "B2. " einzugehen, die der Kläger gleichfalls nicht offengelegt hat.
62Bereits das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich der Text und die Abbildungen der Kapitel 1 bis 4.2 (32 Seiten), ferner der Kapitel 4.4 bis 4.5.5.5 (44 Seiten), der Kapitel 4.6 bis 4.7 (5 Seiten) sowie Ausführungen unter den Gliederungspunkten 5., 5.2, 5.5, 5.5.1, 5.5.4, 5.11.5, 5.11.5.2, 7.5.2, 7.5.4 und schließlich Passagen des Fazits in dem vorliegenden Ausdruck der Diplomarbeit der Frau E1. sich nahezu vollständig, überwiegend wortgleich und im Übrigen nur geringfügig abgewandelt oder erweitert in der Dissertation des Klägers wiederfinden. Die Auflistung ist allerdings nicht einmal vollständig; hinzu treten etwa weitgehende Übereinstimmungen in den Kapiteln 4.3.6. bis 4.3.8. der Dissertation ("Die Kalkulation von Bauprojekten", "Target Costing bei Baubetrieben", "Der Soll-Ist-Vergleich auf Baustellenebene", Seiten 229 bis 278) mit den Kapiteln 5.4 bis 5.6 der Diplomarbeit ("Die Kalkulation im Baubetrieb", "Target Costing", "Der Soll-Ist-Vergleich auf Baustellenebene", Seiten 127 bis 160); auch finden sich Ausführungen aus Kapitel 7.5.5. der Diplomarbeit in der Dissertation wieder. Die Arbeiten entsprechen sich überdies in der formalen Gestaltung. Angesichts dieser vom Gericht nachvollzogenen Übereinstimmungen ist das Vorbringen des Klägers unerheblich, die Software "turnitin", die die Beklagte zu ihrer Ermittlung herangezogen hat, sei unzuverlässig. Die Übereinstimmungen zwischen beiden Arbeiten bis ins Detail sind so umfassend, dass ihr zufälliges Zustandekommen ausgeschlossen ist. Die Fallumstände vermitteln dem Gericht die Überzeugung, dass sie entstanden sind, indem der Kläger die entsprechenden Textpassagen und Abbildungen aus der Diplomarbeit der Frau E1. übernommen hat, die damals bereits in der Fassung der von dieser eingereichten pdf-Datei vorlag, wie es der Darstellung der Frau E1. entspricht.
63Gewichtige Indizien für die vom Senat angenommene Genese der Übereinstimmungen liefern bereits folgende Umstände:
64In Frau E1. Arbeit sind sämtliche Autoren mit ausgeschriebenem (erstem) Vornamen genannt und im Literaturverzeichnis mit einheitlicher Fundstellenangabe (Auflage, Erscheinungsort und -jahr) aufgeführt. In der Arbeit des Klägers ist nur ein Teil der Angaben in dieser Weise gefasst, und zwar auffälligerweise ‑ mit ganz vereinzelten Abweichungen ‑ genau jener Teil, der auch in der Arbeit der Frau E1. vorkommt. In den Angaben, die ausschließlich in seiner Arbeit vorkommen, nennt der Kläger ganz überwiegend den Erscheinungsort nicht und nur den ersten Buchstaben des Vornamens ‑ dies selbst dann, wenn der Autor zuvor bereits mehrfach mit vollem Vornamen von Frau E1. übernommen war (Beispiele: Autoren Coenenberg, Ewert und Horváth). Für letzteren Autor verwendet Frau E1. durchgängig die Schreibweise "Horváth, Péter", beim Kläger hingegen finden sich diese sowie die weiteren Schreibweisen "Horváth, P." und "Horvath, Peter". Augenfällig wird die unterschiedliche Handhabung des Klägers beispielsweise in den Fußnoten auf den Seiten 99 und 197 der Dissertation: Dort sind nur und gerade die Autoren mit abgekürzten Vornamen in den Fußnoten erwähnt, die sich zu der entsprechenden Textpassage allein beim Kläger finden (so Seite 99 der Dissertation, die im Wesentlichen Seite 36 der Diplomarbeit entspricht: "Behrendt, D.", aber "Spranz, Dieter"). Dies erklärt sich zwanglos, wenn man annimmt, dass der Kläger die Angaben von Frau E1. übernommen und es gleichzeitig nicht für notwendig gehalten hat, ebenso genaue Angaben zu machen wie diese. Nimmt man hingegen an, dass Frau E1. vom Kläger abgeschrieben hat, ergäbe sich der außerordentlich unwahrscheinliche Zufall, dass sie just exakt jene Passagen übernommen hätte, in denen die Literaturnachweise den vollen ersten Vornamen und die erweiterten Angaben im Literaturverzeichnis umfassen.
65Überdies ist das Fazit beider Arbeiten nahezu identisch, es ist in der Arbeit des Klägers lediglich leicht erweitert. Die in der Arbeit des Klägers zusätzlich behandelten und von den Gutachtern in der Anhörung vor der Kommission als innovative Teile bezeichneten Aspekte ‑ wie die "Balanced Scorecard" ‑ werden in ihm im Wesentlichen nicht aufgegriffen. Warum er bedeutsame Teile seiner Arbeit im Fazit nicht angesprochen hat, hat der Kläger nicht nachvollziehbar erläutert. Erklärbar wird die Kongruenz, wenn man annimmt, dass der Kläger (auch) das Fazit von Frau E1. übernommen und lediglich einer geringfügigen Überarbeitung unterzogen hat.
66Hinzu tritt, dass keiner der vom Kläger angebotenen Erklärungsversuche dafür, wie es ‑ wenn nicht der Kläger von Frau E1. abgeschrieben hat ‑ zu den weitreichenden Übereinstimmungen zwischen den beiden Arbeiten gekommen sein kann, auch nur ansatzweise glaubhaft ist. Der Kläger hat dafür zwei mögliche Erklärungen präsentiert, die einander allerdings ausschließen: Er macht einerseits geltend, nicht er habe bei Frau E1. abgeschrieben, sondern diese habe in ihre Diplomarbeit Passagen aus Unterlagen übernommen, die er ihr zur Verfügung gestellt habe. Andererseits stellt er die Möglichkeit in den Raum, Frau E1. habe die Dateien, die sie jetzt als ihre Diplomarbeit ausgebe, nach der Vernichtung des Originals ihrer Arbeit nachträglich unter Verwendung von Passagen seiner Dissertation erstellt und so die Übereinstimmungen, die das Original gar nicht aufgewiesen habe, erst im Nachhinein erzeugt. Diese beiden Varianten sind im Einzelnen aus folgenden Gründen durchgreifend unglaubhaft:
67aa. Dass Frau E1. umfängliche Passagen aus vom Kläger überlassenem Material in ihre Diplomarbeit übernommen haben soll, erscheint in so hohem Maß unwahrscheinlich, dass der Senat es ausschließt.
68Im akademischen Betrieb sehr fernliegend und deshalb unglaubhaft ist es bereits, dass der Kläger ‑ wie er vorträgt ‑ Frau E1. fertig gestellte Texte aus seiner im Entstehen befindlichen Dissertation vorab "zur Einarbeitung und Weiterverwendung" in ihrer Diplomarbeit zur Verfügung gestellt hat. Denn für das Dissertationsunternehmen des Klägers, das von großer Bedeutung für seine berufliche Zukunft sein würde und in das er erhebliche Anstrengungen investierte, war es essentiell, dass er seine Erkenntnisse und deren Ausarbeitung in seiner Arbeit als Novität würde präsentieren können; wie erwähnt, war es gemäß § 10 Abs. 4 PromO 1983 Verleihungsvoraussetzung, dass die Dissertation nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens war. Folglich hätte die Überlassung erheblicher Teile seiner noch nicht veröffentlichten Dissertation das Promotionsvorhaben ernstlich gefährdet oder jedenfalls eine Überarbeitung erfordert. Einen Grund dafür, warum er dies eingegangen bzw. auf sich genommen haben sollte, hat der Kläger nicht angegeben.
69Die vorgenannte Behauptung ungeachtet dessen zunächst als zutreffend unterstellt, erscheint es des Weiteren in hohem Maß unwahrscheinlich, dass Frau E1. vom Kläger zur Verfügung gestelltes Material in ihrer Diplomarbeit schlicht übernommen hätte. Denn sie hätte davon ausgehen müssen, dass dem Kläger bei der nachfolgenden Lektüre der Arbeit zum Zwecke der Bewertung die wörtliche Übernahme ausgedehnter Textpassagen sowie von Abbildungen aus seiner Dissertation auf den ersten Blick auffallen würde. Es ist nicht anzunehmen, dass ein vernünftiger Diplomand ‑ und damit auch Frau E1. , die der Kläger in seiner ersten Stellungnahme vom 2. Januar 2006 noch als sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit bezeichnet hat ‑ seine Diplomarbeit und damit den erfolgreichen Studienabschluss auf derart plumpe Weise einem solchen Risiko ausgesetzt hätte.
70Dem Kläger kann darüber hinaus nicht abgenommen werden, dass ihm die Übereinstimmungen bei der Begutachtung der Arbeit nicht aufgefallen sein sollen. Denn diese haben ‑ wie oben dargelegt ‑ einen ganz erheblichen Umfang. So sind ‑ neben Weiterem ‑ schon die ersten 32 Seiten beider Arbeiten in weiten Passagen wortgleich, enthalten identische Abbildungen und entsprechen sich überdies in der formalen Gestaltung; einzelne Seiten (etwa Seite 5 beider Arbeiten) sind sogar optisch wie inhaltlich vollkommen identisch. Letztlich finden sich ‑ mit der Ausnahme weniger Seiten ‑ ausgedehnte Passagen der Seiten 1 bis 160 der Diplomarbeit in der Dissertation des Klägers wieder. Einem Akademiker, der seine Dissertation und demgemäß mit besonderer Sorgfalt formuliert und gestaltet, wird auffallen, wenn sich eigene Formulierungen in einem solchen Ausmaß sowie die identischen Abbildungen in einem anderen Text wiederfinden, ohne dass er dazu einen "Textabgleich" in den Einzelheiten vorzunehmen hat; dass er die Diplomarbeit "einmal gelesen" hat, hat der Kläger eingeräumt. Die Übereinstimmungen fallen aber selbst bei pflichtwidrig oberflächlicher Durchsicht geradezu ins Auge.
71All diese bereits für sich genommen unglaubhaften Umstände nochmals als zutreffend unterstellt, wäre es ebensowenig glaubhaft, dass Frau E1. es mehrere Jahre später unternommen haben sollte, den Kläger ihrerseits der Textübernahmen zu bezichtigen, um sich für eine Note von "nur" 1,7 zu revanchieren. Denn Frau E1. wäre damit das Risiko eingegangen, dass ihr eigenes plagiatorisches Vorgehen aufgedeckt würde; es war nicht unwahrscheinlich, dass der Kläger etwa durch frühe Ausdrucke oder abgespeicherte Vorversionen würde beweisen können, dass in Wirklichkeit sie von ihm abgeschrieben hatte. Dies wäre abgesehen von möglichen weiteren Konsequenzen jedenfalls geeignet gewesen, Schadensersatzansprüche des Klägers zu begründen. Dass Frau E1. ein solches Risiko eingegangen wäre, erscheint vor allem deshalb in sehr hohem Maß lebensfern, weil das ihr vom Kläger hierfür unterstellte Motiv denkbar schwach ist: Der Kläger trägt vor, Frau E1. habe sich für die Vergabe der Note von 1,7 rächen wollen. Das überzeugt aus einer Reihe von Gründen nicht. Die Note von 1,7 hat erstens letztlich nicht der Kläger, sondern Prof. Dr. S. vergeben. Sie ist zweitens immer noch überdurchschnittlich hoch. Zu einer besseren Bewertung der Diplomprüfung ‑ "sehr gut" statt "gut" ‑ hätte es überdies nur geführt, wenn die Diplomarbeit mit 1,0 bewertet worden wäre. Eine Mindestnote für die Einleitung eines Promotionsverfahrens gab es nach Angaben der Beklagten seinerzeit nicht, so dass die vergebene Note für Frau E1. insoweit kein Hindernis darstellte. Überdies lag die ‑ nach Allem allenfalls geringfügig zu schlechte und praktisch weitgehend folgenlose ‑ Notenvergabe zu dem Zeitpunkt, zu dem sich Frau E1. mit dem Täuschungsvorwurf an die Beklagte gewandt hat, bereits rund sechs Jahre zurück; lebensnah ist anzunehmen, dass die Verärgerung um eine nach eigenem Empfinden geringfügig zu schlechte Bewertung nach einem derartigen Zeitablauf verblasst ist.
72Hinzu tritt, dass auch die Angaben des Klägers zum ‑ ohnehin schwachen ‑ Motiv der Frau E1. jedenfalls teilweise unglaubhaft sind. Dabei legt der Senat zugrunde, dass sich Frau E1. über ihre Benotung beim Lehrstuhl Prof. Dr. S. beschwert hat. Dies hat Prof. Dr. S. ausweislich des Entwurfs des Protokolls der 10. Sitzung der Kommission bereits dieser gegenüber angegeben und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bestätigt. Der auf die Feststellung einer Beschwerde der Frau E1. am Lehrstuhl Prof. Dr. S. gerichtete, in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2016 gestellte Beweisantrag zu 7. konnte deshalb als unerheblich abgelehnt werden. Die Behauptungen des Klägers zu den Weiterungen, die sich aus dieser Beschwerde ergeben haben sollen, haben sich jedoch nicht bestätigen lassen; dies nährt die Vermutung, dass der Kläger die Bedeutung der Beschwerde überhöht darstellt, um so ein Motiv der Frau E1. nachvollziehbar zu machen. So hat der Dekan Prof. Dr. T4. unter dem 30. Mai 2006 mitgeteilt, ein Widerspruchsverfahren einer Frau N. sei ausweislich der Verwaltungsvorgänge nicht anhängig gewesen. Zu anderen Folgen der Beschwerde ist schon die Darstellung des Klägers nicht konsistent und deckt sich ferner nicht mit den Darstellungen der anderen Beteiligten. Der Kläger hat nämlich weiter behauptet, anlässlich eines Einspruchs der Frau E1. gegen die Note von 1,7 sei es zum Streit zwischen ihm und Prof. Dr. S. gekommen, weil letzterer den Kläger als Auslöser des Einspruchs angesehen habe. Prof. Dr. S. habe ‑ so der Kläger ‑ sich daraufhin geweigert, seine Dissertation weiter zu betreuen und ihm Prof. Dr. K. ab etwa März/April 2000 vermittelt. Demgegenüber hat der Kläger abweichend hiervon mit Schriftsatz vom 19. August 2010 vorgetragen, Prof. Dr. K. sei "aus Zeitgründen von Prof. S. " Betreuer seiner Dissertation geworden. Wenn der Kläger auf die gerichtliche Bitte, die Ungereimtheit aufzuklären, mit Schriftsatz vom 24. März 2011 versucht hat, die unterschiedlichen Darstellungen dahin zu vereinbaren, Prof. Dr. S. habe wegen der Beschwerde der Frau E1. aus Zeitgründen nicht mehr zur Verfügung gestanden, ist das ersichtlich abwegig. Überdies hat Prof. Dr. S. in einer E-Mail vom 27. Juni 2006 angegeben, es sei sicher, dass er sich nicht mit dem Kläger wegen Frau E1. überworfen habe. In seiner Stellungnahme vom 29. März 2011 hat er des Weiteren ausgeführt, der Kläger habe bis zu seinem Ausscheiden aus seinem Lehrstuhl eine tragfähige wissenschaftliche Konzeption seiner Doktorarbeit nicht vorgestellt. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger es vorgezogen habe, bei dem Kollegen K. um eine Betreuung zu ersuchen, bei dem er auch seine Diplomarbeit erstellt habe. Der Betreuerwechsel müsse spätestens zum Mai 1998 erfolgt sein. Von einer Meinungsverschiedenheit anlässlich der Bewertung der Diplomarbeit der Frau E1. und einem darauf erfolgten Betreuerwechsel Ende 1999/Anfang 2000 ist wiederum keine Rede.
73Eine abweichende Beurteilung rechtfertigen nicht die Zeugenaussagen der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers, D1. M1. , und seines Freundes H. T2. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Beide haben bestätigt, dass es eine E-Mail der Frau E1. mit der Androhung einer Revanche gegeben hat. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussagen stellt es bereits in Frage, dass der Kläger in seiner ersten Stellungnahme vom 2. Januar 2006 lediglich ausgeführt hat, es handele sich bei Frau E1. um "eine sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit", die jedoch "mit der Bewertung ihrer Diplomarbeit nicht einverstanden" gewesen sei. Es ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass und warum der Kläger ‑ zumal angesichts des gegen ihn erhobenen bedeutsamen Vorwurfs ‑ für Frau E1. so freundliche Worte gefunden und die feindselige E‑Mail mit der Drohung, sie werde sich revanchieren, nicht umgehend erwähnt haben sollte, hätte es letztere tatsächlich gegeben. Letztlich kann jedoch auf sich beruhen, ob die Zeugen die Wahrheit gesagt oder aus Verbundenheit mit dem Kläger gelogen haben. Denn auch wenn es eine solche E-Mail gegeben haben sollte, bliebe es dabei, dass die Verärgerung über eine geringfügig zu schlechte Notengebung nach sechs Jahren ein unzureichendes Motiv für das hohe Risiko und den Aufwand bildete, das Frau E1. mit einer Falschbezichtigung eingegangen wäre bzw. betrieben hätte.
74bb. Auch die zweite vom Kläger als denkbar dargestellte Möglichkeit für die Entstehung der Übereinstimmungen, nämlich durch nachträgliche Manipulation ihrer Diplomarbeit durch Frau E1. , erscheint in so hohem Maß unwahrscheinlich, dass sie auszuschließen ist.
75Dafür, dass der vorgelegte Ausdruck der tatsächlich eingereichten Diplomarbeit der Frau E1. entspricht, streitet zunächst das Gutachten des Prof. Dr. S. vom 20. Januar 2000, das in weiten Teilen eine Inhaltsangabe der Diplomarbeit darstellt. Diese Inhaltsangabe passt genau zu dem vorliegenden Ausdruck der Arbeit.
76Aber auch weitere Überlegungen sprechen entscheidend gegen die Annahme einer nachträglichen Manipulation. Zunächst hätte ungeachtet der Vernichtung des Originals ihrer Diplomarbeit Frau E1. mit der nicht fernliegenden Möglichkeit rechnen müssen, dass der Kläger etwa durch Vorlage früher abgespeicherter Versionen oder Ausdrucke würde belegen können, dass seine Dissertation schon vor Abgabe ihrer Arbeit die Passagen aufwies, in Bezug auf die sie eine Übernahme behauptete. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sie nicht etwa nur eine Version ihrer Arbeit vorgelegt hat, sondern einen Ausdruck im Umfang von über 60 Seiten mit zahlreichen handschriftlichen, plausibel erscheinenden Korrekturanmerkungen einschließlich Streichungen sowie eine CD mit Arbeitsversionen einzelner Kapitel, angefertigt im Zeitraum vom 30. Mai 1999 bis zum 16. September 1999, aus denen ‑ so auch die Bewertung die Kommission ‑ eine plausible Genese der Diplomarbeit zu entnehmen ist. Frau E1. müsste es also unternommen haben, nicht nur eine manipulierte Version ihrer Arbeit, sondern zudem (Teil-)Versionen in unterschiedlichen Entstehungsstadien zu erstellen und mit Korrekturanmerkungen zu versehen. Zusätzlich müsste sie für die fiktive Vorversion Passagen verfasst und sodann gestrichen haben. Darüber hinaus entsprechen sich die Texte in der Dissertation des Klägers und der Diplomarbeit E1. zwar weitgehend, aber nicht vollständig: So finden sich etwa in der Dissertation teils kurze, teils längere eingeschobene Passagen, die die Diplomarbeit nicht aufweist ‑ und umgekehrt ‑, ferner ergänzte Fußnoten, modifizierte Überschriften und geänderte Formulierungen. Einzelne Kapitel sind verschoben; auch ist die Rechtschreibung in der Diplomarbeit orientiert an den vor der Rechtschreibreform von 1996 geltenden Regeln, die Dissertation an den seither geltenden Vorgaben. Frau E1. müsste also zur Herstellung einer fingierten Diplomarbeit den Text der Dissertation nicht einfach übernommen, sondern einer aufwändigen Überarbeitung unterzogen haben. Dabei müsste sie beispielsweise so komplizierte Fußnotenverweise eingefügt haben wie "Eine Begründung für diese Auswahl findet sich unter 3.3" (Seite 20 der Diplomarbeit), der in der Arbeit des Klägers fehlt, obwohl der entsprechende Text ansonsten identisch ist. Nachdrücklich gegen die Überlegung, die Überstimmungen zwischen den Texten beruhten auf einer nachträglichen Erstellung einer fingierten Diplomarbeit, spricht ferner der Umstand, dass die Arbeit der Frau E1. mehrfach Abbildungen mit Verweisen auf interne I2. -Unterlagen sowie zum Teil Stichtagen aus Sommer 1999 enthält, welche in der Arbeit des Klägers bei den entsprechenden Abbildungen ‑ bei denen gegebenenfalls spätere Stichtage angegeben sind ‑ fehlen; dies betrifft beispielsweise die im Wesentlichen identischen Abbildungen auf Seite 27 der Dissertation und Seite 29 der Diplomarbeit, auf Seite 158 der Dissertation und Seite 33 der Diplomarbeit sowie Seite 277 der Dissertation und Seite 159 der Diplomarbeit. Die Abbildung 3 auf Seite 29 der Dissertation beispielsweise ist versehen mit der Fußnote "… basierend auf Th. S. , …". Bei Frau E1. findet sich unter der nämlichen Abbildung hingegen die Fußnote "Interner Entwurf I2. Verkehrswegebau". Es ist unerklärlich, woher Frau E1. von der Herkunft dieser und anderer Abbildungen hätte wissen können, obwohl die Arbeit des Klägers hierauf keinen Hinweis enthält, und auf welchem Weg sie nachträglich ‑ Jahre später ‑ an Unterlagen aus dem Unternehmen I2. etwa mit dem Stichtag 30.6.1999 (Seite 68 der Diplomarbeit) gekommen sein soll. Insgesamt wäre der betriebene Aufwand ganz unnötig kompliziert und fehleranfällig gewesen, wäre es Frau E1. darum gegangen, wahrheitswidrig ein Plagiat vortäuschen. Dafür und das eingegangene Risiko rechtlicher Konsequenzen nicht geringen Gewichts stellt wiederum die Verärgerung über eine geringfügig zu schlechte Notengebung nach einem Ablauf von rund sechs Jahren aus den oben genannten Gründen nicht im Ansatz ein nachvollziehbares Motiv dar.
77Der Kläger wendet vergeblich ein, er habe die Arbeit der Frau E1. nur für kurze Zeit zur Verfügung gehabt, die nicht ausreiche, um ausgedehnte Passagen abzuschreiben. Der Senat geht davon aus, dass Frau E1. ihm ‑ wie sie behauptet ‑ eine elektronische Version der Arbeit überlassen hat, die ohne Schwierigkeit kopiert werden konnte. Die Darstellung der Frau E1. wird insoweit gestützt durch die Auskunft des Universitätsmitarbeiters T5. T6. vom 2. Mai 2006, der bestätigt hat, er habe in der Entstehungsphase der Diplomarbeit wiederholt mit dieser darüber spekuliert, warum sie ihre Arbeit auch auf Diskette und dazu in einem leseunfreundlichen Format und in einer Schriftart habe abgeben müssen, die für längere Schriftstücke als wenig geeignet gelte. Abgesehen davon liegt jedenfalls auf der Hand, dass auch ein kurzer Zeitraum ausgereicht hätte, um von der Arbeit zunächst Kopien zu fertigen und/oder sie mit Hilfe Dritter abschreiben zu lassen. Ebenfalls nicht tragfähig ist der Einwand des Klägers, Frau E1. habe erklärt, alle Dateien zu ihrer Arbeit seien infolge einer Virenverseuchung vernichtet worden, so dass unklar sei, woher die nun vorgelegte Datei stamme. Der Vortrag entbehrt in tatsächlicher Hinsicht der Grundlage. Frau E1. hat ausweislich des Protokolls vor der Kommission lediglich angegeben, "einige Files, die Zwischenversionen der Arbeit enthielten", seien im Sommer 2000 verloren gegangen.
78Ob sich die Unglaubhaftigkeit der vom Kläger gebotenen Versionen oder gar seine mangelnde Glaubwürdigkeit noch aus weiteren Widersprüchen, Ungereimtheiten oder Gegenäußerungen ergibt, lässt der Senat dahinstehen.
79b) Angesichts des Vorstehenden hat der Kläger auch über das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 4 PromO 1983 getäuscht, wonach die Dissertation nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen sonstigen Prüfungsverfahrens gewesen sein darf. Denn wesentliche Teile der Arbeit waren, wie er wusste, entgegen seiner der Arbeit beigefügten Erklärung bereits Gegenstand der Diplomarbeit der Frau E1. .
80Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kläger mit der bei Einreichung der Dissertation begangenen Täuschung bei den Gutachtern einen Irrtum über die für seine Promotion wesentliche Voraussetzung der eigenen selbstständigen wissenschaftlichen Leistung hervorgerufen hat. Es fehlt an jeglichem Anhalt dafür, dass sie die umfassende Textübernahme aus der Diplomarbeit E1. bei der Bewertung der Dissertation erkannt haben; vielmehr spricht alles dafür, dass sie sich auf die schriftliche Erklärung des Klägers vom 24. September 2001 verlassen haben. Nach den vorbenannten Bestimmungen der PromO 1983 liegt auf der Hand, dass die Beklagte den Kläger in Kenntnis der Täuschung nicht promoviert hätte.
812. Danach ist auch der Tatbestand des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW erfüllt. Die Verleihung des Doktorgrades an den Kläger war rechtswidrig, weil deren Voraussetzungen nicht vorlagen. Auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW war der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme der Verleihung Ermessen eingeräumt. Die Entscheidung, dem Kläger den Doktorgrad zu entziehen, weist keinen Ermessensfehler auf (§ 114 Satz 1 VwGO).
82Die Entziehungsentscheidung erweist sich zunächst nicht deshalb als fehlerhaft, weil ‑ wovon der Senat ausgeht ‑ allein die Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. feststehen. Denn die Beklagte hat ihre Ermessensentscheidung (auch) allein im Hinblick auf die Übernahmen aus der Diplomarbeit E1. als die Entziehung selbstständig tragenden Verstoß getroffen, in dem sie verdeutlicht hat, dass sie ihre Entscheidung jeweils alternativ auf nur eine der von ihr als feststehend erachteten Übernahmen gestützt hat. Sie hat im angegriffenen Ausgangsbescheid ausgeführt, bereits die weitgehende Verwendung von Textstellen aus der Seminararbeit der Herren Q. und I3. reiche für die Annahme einer bewussten Täuschung bei der Erstellung der Dissertation und die Entziehung des Doktorgrades aus. In die gleiche Richtung zielt der Hinweis im Widerspruchsbescheid, unabhängig von den Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. bleibe es "zudem" bei dem Plagiat der Seminararbeit der Herren Q. und I3. . Da die Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. einen um ein Vielfaches größeren Umfang haben als die von der Beklagten angenommenen Entlehnungen aus der Seminararbeit Q. /I3. , muss ‑ erst recht ‑ gelten, dass die Beklagte die Entziehung auch allein auf erstere Übernahme stützt. Vor diesem Hintergrund kann die Formulierung zur Begründung der Ermessensentscheidung, angesichts des Umfangs und der Qualität der Plagiate liege ein gravierender Fall der Täuschung vor, nur so aufgefasst werden, dass sich die Beklagte auch hier weiterhin alternativ auf beide Plagiate stützt, die jeweils von erheblichem Gewicht sind.
83Daher überprüft der Senat die Ermessensentscheidung allein im Hinblick auf die Textübernahmen aus der Diplomarbeit E1. als den im gerichtlichen Verfahren zu seiner Überzeugung erwiesenen Verstoß, ohne dass es auf die von der Beklagten auch als feststehend erachteten Textübernahme aus der Seminararbeit ankommt. Diese Fragen hat der Senat mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung als rechtserheblich eingehend erörtert, so dass die Beteiligten auch mit dem vorstehenden Ergebnis der Überzeugungsbildung rechnen konnten. Der hierzu im Termin am 14. Januar 2016 geäußerten Bitte des Prozessbevollmächtigten des Klägers um Schriftsatzfrist brauchte der Senat nicht zu entsprechen, da er durch die Unterbrechung der mündlichen Verhandlung und ihre Fortführung am 10. Februar 2016 faktisch die "Nachfrist" bekommen hat, die er zu weiterem Vortrag hätte nutzen können.
84Der Fakultätsrat hat berücksichtigt, dass diese Entscheidung für den Kläger erhebliche Nachteile in beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht nach sich ziehen dürfte. Dass er mit Rücksicht auf Umfang und Qualität der Übernahmen die öffentlichen Interessen an der Entziehung des Doktorgrades im Ergebnis höher bewertet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Entziehung des Doktorgrades erscheint auch angesichts des Gewichts der grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belange ermessensfehlerfrei. Sie dient dem Schutz der Redlichkeit des Wissenschaftsbetriebes und seines Prüfungswesens und dient damit einem gewichtigen legitimen Zweck. Sie steht ferner nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des Rechtsverstoßes, den sie beseitigt. Die Maßnahme greift nicht in die Berufswahlfreiheit des Klägers ein, weil der Doktorgrad an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten keinen Studienabschluss darstellt. Nach § 3 Abs. 1 PromO 1983 setzt vielmehr schon die Zulassung zur Promotion ein mit qualifiziertem Ergebnis abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium der Wirtschaft- und/oder Sozialwissenschaften voraus. Der Kläger behält seine beiden ihm mit Urkunden vom 28. Januar 1997 und vom 17. November 1997 verliehenen akademischen Grade "Diplom-Kaufmann" und "Diplom-Volkswirt" und kann weiter in diesen Berufen tätig sein. Zu den nachteiligen Folgen für sein berufliches Fortkommen hat er nichts Konkretes vorgetragen.
85Vertrauensschutz des Klägers steht der Entziehung des Doktorgrades nicht entgegen. Allerdings hat die Behörde bei der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG NRW, der nicht auf eine Geld- oder teilbare Sachleistung gerichtet ist, im Grundsatz im Rahmen ihrer gebotenen Ermessensausübung den Schutz des Vertrauens auf den Bestand des Verwaltungsaktes mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme abzuwägen. Die in § 48 Abs. 2 VwVfG NRW getroffene Wertung über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, die sich ihrem Wortlaut nach nur auf die dort genannten Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte bezieht, ist dabei im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen.
86BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2006, a. a. O., juris, Rdn. 6 mit weiteren Nachweisen.
87Der Kläger kann sich aber nach dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW auf Vertrauen nicht berufen, weil er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung und durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, und er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes daher kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn eine bewusste Irreführung vorlag, die darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen einer Behörde einzuwirken. Das ist der Fall, weil der Kläger in dem Bewusstsein und der Absicht gehandelt haben muss, den Promotionsausschuss durch die Täuschung zu einer günstigen Entschließung zu bestimmen, und die Verleihung seines Doktorgrades demnach durch vorsätzliche Täuschung über die Verleihungsvoraussetzungen erwirkt hat.
88Vgl. etwa OVG Berlin, Beschluss vom 2. März 2006 ‑ OVG 8 N 53.04 ‑, juris, Rdn. 27; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. April 2000 ‑ 9 S 2435/99 ‑, juris, Rdn. 27 f. zu vergleichbaren Fallgestaltungen.
89Ein Ermessensfehler liegt schließlich nicht in der Fehlannahme der Beklagten, die Gesamtnote der Diplomprüfung der Frau E1. hätte sich durch eine Anhebung der Bewertung ihrer Diplomarbeit nicht geändert. Diese Annahme war, wie die Beklagte (erst) im Klageverfahren eingeräumt hat, allerdings unzutreffend: Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2011 hat sie auf gerichtliche Anfrage erklärt, wenn die Diplomarbeit mit 1,3 bewertet worden wäre, hätte Frau E1. die Gesamtnote 1,6 (gut) erzielt, bei einer Bewertung mit 1,0 die Gesamtnote 1,5 (sehr gut). Die Erwägung ist aber lediglich von Relevanz für die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen, die die Beklagte nach dem oben Ausgeführten ungeachtet des Fehlers im Ergebnis zu Recht angenommen hat; denn sie stellt sich nur im Zusammenhang mit der Frage, ob Frau E1. ein Motiv dafür hatte, den Kläger zu Unrecht eines Plagiats zu bezichtigen. Für die im Rahmen des Ermessens vorzunehmende Erfassung und Gewichtung der öffentlichen Interessen sowie derjenigen des Klägers ist das ohne Belang.
903. Die Rücknahmemöglichkeit war auch nicht verfristet. Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit der Kenntniserlangung der Behörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen zulässig. Allerdings findet diese Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in Verbindung mit § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW keine Anwendung, wenn der Verwaltungsakt ‑ wie hier ‑ durch arglistige Täuschung erwirkt wurde.
91Abgesehen davon handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW um eine Entscheidungs-, nicht um eine Bearbeitungsfrist; sie beginnt daher erst zu laufen, wenn die Behörde über sämtliche entscheidungsrelevante Tatsachen informiert ist, hier also frühestens mit der Vorlage des Berichts der Kommission am 1. November 2006.
924. Die Befugnis der Fakultät zur Entziehung eines Doktorgrades ist ferner weder verjährt noch durch Zeitablauf erloschen. Sie unterliegt nur bei ausdrücklicher entsprechender Regelung der Verjährung.
93Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2015 ‑ 19 A 1111/12 ‑, juris, Rdn. 23, 29 ff.
94Eine solche Regelung besteht im Streitfall nicht. Insbesondere ist die genannte Befugnis kein verjährbarer Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB, also kein Recht, von einem anderen, hier dem Doktoranden, ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Sowohl die höchstrichterliche Rechtsprechung als auch die Literatur verneinen vorbehaltlich spezialgesetzliche Regelungen eine Verjährbarkeit der behördlichen Befugnis zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte aus § 48 VwVfG NRW insbesondere mit der Begründung, der Faktor Zeitablauf sei nach Maßgabe des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW und ergänzend im Rahmen des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen.
95Vgl. die Nachweise bei BVerwG, Teilurteil vom 21. Oktober 2010 - 3 C 4.10 -, NVwZ 2011, 949, juris, Rdn. 16.
96III. Die Entziehungsverfügung hält schließlich in formeller Hinsicht der Rechtskontrolle Stand.
971. Zunächst hat im Verwaltungsverfahren das zuständige Organ der Beklagten in einem rechtsfehlerfreien Verfahren entschieden.
98a) Mit dem Fakultätsrat hat das intern gemäß § 20 Satz 2 PromO 1983 zuständige Organ über die Doktorgradentziehung entschieden. Diese Entscheidung hat der Dekan als außenwirksam handelnde Behörde umgesetzt.
99Vgl. dazu Linke, WissR 1999, 146 (162).
100b) Dem Anhörungserfordernis gemäß der hier nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Vorschrift des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW (vgl. auch § 17 Abs. 2 PromO 1983 zur Ungültigkeitserklärung der Promotion) ist genügt. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegeben und darauf hingewiesen, es komme die Aberkennung des Doktorgrades in Betracht. Der Kläger hat diese Gelegenheit mit anwaltlichen Schreiben vom 7. Februar 2007 und vom 12. Juni 2007 im Übrigen auch wahrgenommen.
101c) Die Einladung der Fakultätsratsmitglieder zur Sitzung am 27. Juni 2007 entspricht den Vorgaben. Nach § 3 der Fakultätsordnung für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten vom 19. Dezember 2001 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 7/2002), geändert durch die Ordnung zur Änderung der Fakultätsordnung für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten vom 28. Januar 2004 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 3/2004) ‑ im Weiteren Fakultätsordnung ‑ in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Sätze 1, 2 der Geschäftsordnung des Senats der Universität E3. vom 14. Februar 2003 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 4/2003) ‑ im Weiteren Geschäftsordnung ‑ lädt der Vorsitzende zu einer Gremiumssitzung unter Beifügung der vorläufigen Tagesordnung mit einer Ladungsfrist von einer Woche ein. Hiernach ist die Einladung zu der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 fristgerecht erfolgt. Sie ist auf den 6. Juni 2007 datiert. Nachdem es nach Angabe der Beklagten üblich ist, die Einladung auch an diesem Tag zu versenden, und für Abweichendes keinerlei Anhalt besteht, ist die Ladungsfrist von einer Woche gewahrt. Der Einladung zu der Sitzung war ferner eine vorläufige Tagesordnung mit dem Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde" beigefügt. Der Einwand des Klägers, diese Angabe sei zu ungenau, verfängt nicht. In sachlicher Hinsicht war damit hinreichend verdeutlicht, welcher Gegenstand beraten werden sollte.
102d) Hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der im Protokoll dokumentierten Beschlussfassung in der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 mit dem Abstimmungsergebnis von 13:0:0 Stimmen bestehen keine Bedenken.
103e) Ein Verfahrensfehler wegen mangelnder Sachaufklärung liegt nicht vor. Gemäß der gleichfalls nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Vorschrift des § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie hat nach Absatz 2 alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Der Kläger moniert insoweit vergeblich, es sei angesichts des Umstands, dass die Fakultätsratssitzung bei 13 Tagesordnungspunkten dem Protokoll zufolge nur 60 Minuten gedauert hat, unvorstellbar, dass die Mitglieder des Fakultätsrats ausreichend über die Einzelheiten seines Falls unterrichtet worden seien und sie sich zureichend damit befasst hätten; vielmehr sei "von einer mutwilligen Fehlinformation des Fakultätsrates" auszugehen. Das greift nicht durch. Es spricht zunächst nichts gegen die Richtigkeit der Angabe der Beklagten, jedes Mitglied des Fakultätsrats habe frühzeitig die Möglichkeit gehabt, in die entscheidungserheblichen Unterlagen Einsicht zu nehmen; für den noch weitergehenden Vorwurf der mutwilligen Fehlinformation fehlt jeder Anhalt. Im Übrigen folgt aus § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW nicht, dass der Kläger eine bestimmte Tiefe der Befassung einzelner Gremiumsmitglieder mit den Einzelheiten seines Falls beanspruchen könnte. Der Weg der Überzeugungsbildung der einzelnen Mitglieder ist insoweit rechtlich ungebunden.
104Vgl. auch Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 24 Rdn. 7.
105Abgesehen davon wäre die Aufhebung der angefochtenen Entziehungsverfügung gestützt auf einen etwa vorliegenden Mangel der Sachverhaltsaufklärung jedenfalls nach § 46 VwVfG NRW ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hier hätte sich der Fehler offensichtlich nicht ausgewirkt, weil der Fakultätsrat ‑ wie der Senat festzustellen hatte und nach dem oben Ausgeführten festgestellt hat ‑ im Ergebnis in tatsächlicher Hinsicht zutreffend das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen angenommen und die einzustellenden Ermessensbelange ermittelt hat.
106Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1987 ‑ 1 C 29.85 ‑, BVerwGE 78, 285, juris, Rdn. 32 f.
107f) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt die Rechtsfehlerhaftigkeit der Entziehungsentscheidung auch nicht aus der Befangenheit des Mitglieds des Fakultätsrats Prof. Dr. U. . Es liegt kein Grund vor, der im Sinne des ebenfalls gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren § 21 Abs. 1 VwVfG NRW geeignet ist, Misstrauen gegen dessen unparteiische Amtsführung zu rechtfertigen. Der Kläger verweist dazu auf die E-Mail vom 15. Mai 2006, in der Prof. Dr. U. an den Vorsitzenden der Kommission geschrieben hat, er habe Frau E1. als "fleißige, intelligente Studentin kennen und schätzen gelernt". Eine Beteiligung an einem Täuschungsversuch könne er sich bei ihr beim besten Willen nicht vorstellen. Dies reicht nicht aus für die Annahme, Prof. Dr. U. habe in der Angelegenheit nicht mehr unvoreingenommen entscheiden können oder wollen.
108g) Soweit die Aktenführung der Beklagten sowie die Dokumentation der Übersendung der Unterlagen an die Mitglieder des Fakultätsrats nicht ordnungsgemäß sind, wie der Kläger bemängelt, führt dies für sich genommen nicht auf eine Rechtsverletzung des Klägers.
1092. Auch das Widerspruchsverfahren ist im Wesentlichen rechtsfehlerfrei. Auf den allein festzustellenden Verfahrensmangel kann sich der Kläger nicht berufen.
110a) Mit dem Fakultätsrat hat das zuständige Gremium über seinen Widerspruch entschieden. Das ergibt sich jedenfalls aus § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO, da es um eine Selbstverwaltungsangelegenheit geht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 HG NRW).
111b) Die Einladung zur Fakultätsratssitzung am 30. April 2008, die vom 17. April 2008 datiert, war entsprechend dem oben Ausgeführten ebenfalls fristgerecht.
112c) Auf den bei der Beschlussfassung des Fakultätsrats vorgekommenen Verfahrensmangel kann sich der Kläger nicht berufen.
113In der Fakultätsratssitzung vom 30. April 2008, in der der Fakultätsrat über den Widerspruch des Klägers entschieden hat, hat dieser gegen § 3 Satz 2 der Fakultätsordnung in Verbindung mit § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung verstoßen. Danach können in der Sitzung selbst keine Tagesordnungspunkte ergänzt werden, zu denen Beschlüsse gefasst werden sollen. Die vorläufige Tagesordnung, die der Einladung zur Fakultätsratssitzung vom 30. April 2008 beigefügt war, enthielt einen die Entziehung des Doktorgrades bzw. dessen Widerspruch betreffenden Tagesordnungspunkt jedoch nicht. In dieser Sitzung ist gleichwohl unter Tagesordnungspunkt 2 "Endgültige Festlegung der Tagesordnung" einstimmig beschlossen worden, als neuen Tagesordnungspunkt 8 aufzunehmen "Aberkennung einer Doktorwürde". Später hat der Fakultätsrat in der Sitzung beschlossen, den Widerspruch des Klägers zurückzuweisen.
114Die Beschlussfassung über den Widerspruch unter Verstoß gegen § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung stellt jedoch keinen Fehler des Entziehungsverfahrens dar, auf den sich der Kläger berufen kann. Es ist anerkannt, dass ‑ auch mit Blick auf die Aufgabenvielfalt des Verfahrensrechts ‑ der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Rechtsverletzung des Betroffenen nur dann besteht, wenn im Gefüge der Verfahrenshandlungen gerade die einschlägige Verfahrensbestimmung eine Schutzaufgabe für die materiell-rechtliche Position des Betroffenen hat.
115Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 3. Februar 2014 ‑ 9 S 885/13 ‑, juris, Rdn. 34 mit weiteren Nachweisen.
116Ein solcher Rechtswidrigkeitszusammenhang ist im Hinblick auf die Beschlussfassung in der Sitzung vom 30. April 2008 nicht gegeben. § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung dient ersichtlich dazu, den Mitgliedern des Gremiums eine ausreichende Vorbereitungsmöglichkeit hinsichtlich zu fassender Beschlüsse zu gewährleisten. In der fraglichen Sitzung waren sämtliche gemäß § 2 Abs. 1 der Fakultätsordnung stimmberechtigte Mitglieder anwesend: die Gruppe der Hochschullehrer war vertreten durch acht Mitglieder, die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter durch drei Mitglieder, die Gruppe der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter durch ein Mitglied und die Gruppe der Studierenden durch drei Mitglieder, teilweise nebst Vertretern. In dieser Besetzung haben die Mitglieder des Fakultätsrats einstimmig beschlossen, den Tagesordnungspunkt "Aberkennung einer Doktorwürde" auf die endgültige Tagesordnung zu setzen und darüber zu beschließen. Sie haben damit übereinstimmend zu erkennen gegeben, eine weitere Vorbereitung auf die Entscheidung nicht für erforderlich zu halten. Ein bestimmtes Maß der Befassung einzelner Gremiumsmitglieder kann der Kläger ‑ wie ausgeführt ‑ nicht beanspruchen.
117B. Die Aufforderung, die Promotionsurkunde binnen zwei Wochen nach Erhalt des Bescheides zurückzugeben, erweist sich in der Fassung, die die Beklagte ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gegeben hat, gleichfalls als rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 52 Satz 1 VwVfG NRW sind erfüllt. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde die auf Grund eines Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückzufordern, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen oder seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Rückforderung der Promotionsurkunde ‑ einer Urkunde im Sinne der Vorschrift ‑ vom Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entziehung des Doktorgrades abhängig gemacht. Sie hat auch erkennen lassen, das ihr insoweit eröffnete Ermessen ausgeübt zu haben. Sie hat im Entziehungsbescheid ausgeführt, der Zweck der Urkunde, ihrem Inhaber das Führen eines akademischen Grades nachzuweisen, sei entfallen. Da der Urkunde als Beweismittel im Rechtsverkehr große Bedeutung zukomme, liege ihre Herausgabe vor allem im Interesse der Rechtssicherheit, um jeglichen Missbrauch auszuschließen. Letztere gewichtende Erwägung belegt hinreichend, dass die Beklagte den ihr zustehenden Spielraum erkannt und ausgefüllt hat, zumal ein vernünftiger Grund dafür, dem Kläger die Urkunde zu belassen, nicht ersichtlich ist.
118Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
119Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind. Insbesondere ist die Revision nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Hinblick auf die Rechtsgrundlage für die Entziehung eines Doktorgrades zuzulassen, weil die Entscheidung nicht allein auf die Annahme einer satzungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gestützt ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 7. November 2013 - 8 K 2286/11 - wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 04. Oktober 2007 - 8 K 1384/05 - wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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(1) Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten.
(2) Der Vorstand kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro hat er aus mindestens zwei Personen zu bestehen, es sei denn, die Satzung bestimmt, daß er aus einer Person besteht. Die Vorschriften über die Bestellung eines Arbeitsdirektors bleiben unberührt.
(3) Mitglied des Vorstands kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. Mitglied des Vorstands kann nicht sein, wer
- 1.
als Betreuter bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1825 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) unterliegt, - 2.
aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder einer vollziehbaren Entscheidung einer Verwaltungsbehörde einen Beruf, einen Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig nicht ausüben darf, sofern der Unternehmensgegenstand ganz oder teilweise mit dem Gegenstand des Verbots übereinstimmt, - 3.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten - a)
des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Insolvenzverschleppung), - b)
nach den §§ 283 bis 283d des Strafgesetzbuchs (Insolvenzstraftaten), - c)
der falschen Angaben nach § 399 dieses Gesetzes oder § 82 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, - d)
der unrichtigen Darstellung nach § 400 dieses Gesetzes, § 331 des Handelsgesetzbuchs, § 346 des Umwandlungsgesetzes oder § 17 des Publizitätsgesetzes, - e)
nach den §§ 263 bis 264a oder den §§ 265b bis 266a des Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr
(3a) Besteht der Vorstand bei börsennotierten Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 801-2, veröffentlichten bereinigten Fassung – Montan-Mitbestimmungsgesetz – oder das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 801-3, veröffentlichten bereinigten Fassung – Mitbestimmungsergänzungsgesetz – gilt, aus mehr als drei Personen, so muss mindestens eine Frau und mindestens ein Mann Mitglied des Vorstands sein. Eine Bestellung eines Vorstandsmitglieds unter Verstoß gegen dieses Beteiligungsgebot ist nichtig.
(4) Der Vorstand von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, legt für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen den angestrebten Frauenanteil an der jeweiligen Führungsebene beschreiben und bei Angaben in Prozent vollen Personenzahlen entsprechen. Legt der Vorstand für den Frauenanteil auf einer der Führungsebenen die Zielgröße Null fest, so hat er diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 04. Oktober 2007 - 8 K 1384/05 - wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Der am XX. Juni 1972 in E. geborene Kläger bestand im Frühjahr 1991 am B. -G. -Gymnasium in I. sein Abitur. Ab dem Wintersemester 1991/ 1992 studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten und legte am 8. November 1996 die Diplomprüfung mit der Gesamtnote "gut" ab. Die Fakultät verlieh ihm mit Urkunde vom 28. Januar 1997 den akademischen Grad "Diplom-Kaufmann". Am 10./19. September 1997 bestand er zudem die Diplomprüfung im integrierten Studiengang Wirtschaftswissenschaft an der Fernuniversität I1. mit der Note "ausreichend" (3,8). Aufgrund dieser Prüfung verlieh ihm der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Fernuniversität mit Urkunde vom 17. November 1997 den akademischen Grad "Diplom-Volkswirt (Dipl.-Volksw.)".
3Vom 1. August 1997 bis zum 31. Mai 1998 war der Kläger am Lehrstuhl Unternehmensrechnung und Controlling (Prof. Dr. S. ) der Beklagten als wissenschaftlicher Angestellter tätig. Ab 1. Juni 1998 arbeitete er als Controller im I2. -Konzern, F. , zunächst bei der I2. -Verkehrswegebau GmbH in der Niederlassung W. . Während dieser Zeit ‑ wohl im Mai 1998 ‑ ließ sich die Studentin D. E1. , geb. N. , für ihre im Frühjahr 1999 anstehende Diplomarbeit mit dem Thema "L3. " vormerken und gab an, sie bevorzuge den Kläger als betreuenden Assistenten. Diese Funktion übte der Kläger aus, obwohl er 1999 formell kein Hochschulangehöriger mehr war. Frau E1. legte ihre Diplomarbeit am 20. September 1999 am Lehrstuhl Prof. Dr. S. vor. Dieser bewertete sie in seinem Gutachten vom 20. Januar 2000 mit 1,7 ("gut plus"). Ein Zweitgutachten, wie es durch die Diplomprüfungsordnung vorgeschrieben ist, existiert nicht. Frau E1. erhielt in ihrer Diplomprüfung die Gesamtnote "gut" (1,7).
4Unter dem 12. Mai 2001 beantragte der Kläger bei der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten die Zulassung zum Promotionsverfahren mit dem Arbeitsthema für die Dissertation "L4. " und schlug Prof. Dr. K. , Inhaber des Lehrstuhls für Industriebetriebslehre, als Betreuer vor. Dieser erklärte sich zur Betreuung bereit. Mit Schreiben vom 24. September 2001 reichte der Kläger seine Dissertation ein und fügte ihr folgende schriftliche Erklärung vom 14. September 2001 bei:
5"Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt sowie die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken als solche kenntlich gemacht habe.
6Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht."
7Entsprechend dem Vorschlag des Klägers bestellte der Promotionsausschuss als Gutachter Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. sowie als weiteres Mitglied der Promotionskommission Prof. Dr. L. . Prof. Dr. K. bewertete die Arbeit in seinem Gutachten vom 18. September 2002 "als ein[en] innovative[n] Beitrag zur Weiterentwicklung branchenspezifischer Controlling-Systeme" und vergab die Note "sehr gut minus". Prof. Dr. S. bewertete die Dissertation in seinem Gutachten vom 27. Januar 2003 als eine "gute wissenschaftliche Forschungsleistung" und vergab die Note "gut plus". Beide Gutachter wiesen als "kleinere formale Mängel" auf Rechtschreibfehler, unkommentierte Abbildungen und ein unvollständiges Abkürzungsverzeichnis hin. Aufgrund seiner Dissertationsschrift und der Disputation vom 19. Mai 2003 erkannte die Promotionskommission dem Kläger die Gesamtnote "gut" zu und promovierte ihn zum Doktor rerum politicarum (Dr. rer. pol.). Nach Ablieferung der Pflichtexemplare seiner Dissertation übersandte der Dekan ihm unter dem 24. Juli 2003 die Promotionsurkunde.
8Nachdem sie zuvor telefonisch darauf hingewiesen hatte, wandte sich Frau E1. mit E-Mail vom 28. November 2005 an den Vorsitzenden der Kommission zur Sicherstellung guter wissenschaftlicher Praxis der Beklagten (im Weiteren: Kommission), "um einen Plagiatsfall anzuzeigen". Sie habe zufällig festgestellt, dass der Kläger in seiner Dissertation weite Teile ihrer Diplomarbeit wörtlich übernommen habe. Mit E-Mail vom 29. November 2005 übersandte sie eine pdf-Datei, die nach ihrer Angabe ihre Diplomarbeit beinhaltet. Der von der Beklagten erstellte Ausdruck umfasst einschließlich des Inhaltsverzeichnisses 291 Seiten. Das Original der Diplomarbeit hatte die Beklagte, die seinerzeit von einer Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren ausging, bereits vernichtet.
9Der Kommissionsvorsitzende informierte den Kläger unter dem 20. Dezember 2005 darüber, dass der "Anfangsverdacht eines Plagiats" in Bezug auf seine Dissertation bestehe, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 2. Januar 2006, es sei richtig, dass er die Diplomarbeit von Frau E1. betreut habe. Die Gliederung der Diplomarbeit sei in enger Abstimmung mit ihm und nach seiner konkreten Vorgabe entstanden. Große Teile seiner Arbeit, insbesondere der Herleitungsteil und Teile zur Kostenrechnung, seien im Jahr 1999 bereits erstellt gewesen. Diese Unterlagen sowie umfangreiche Literaturempfehlungen und Abbildungen habe er Frau E1. teils elektronisch als Vorbereitung und zur Einarbeitung und Weiterverwendung 1999 für ihre Diplomarbeit zur Verfügung gestellt. Bei der Korrektur ihrer Diplomarbeit habe er zur Kenntnis genommen, dass die Gliederung seinen Vorgaben entsprochen habe und vorgegebene Grafiken/Abbildungen und Texte inhaltlich verarbeitet worden seien. Nach seiner Erinnerung habe Frau E1. dabei auf seine unveröffentlichte Arbeit verwiesen. Auf Textgleichheiten mit seiner Arbeit habe er wegen des Umfangs der Diplomarbeit nicht weiter geachtet. Wegen der geringen wissenschaftlichen Bedeutung für den Gesamtkontext habe er insbesondere den zur Verfügung gestellten Teilen seiner Dissertation keine wesentliche Beachtung geschenkt. Bei Frau E1. handele es sich um eine sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit, die jedoch mit der Benotung ihrer Arbeit nicht einverstanden gewesen sei.
10In der Sitzung der Kommission vom 8. Februar 2006 gab der Kläger ausweislich der Niederschrift unter anderem an, Frau E1. habe gegen die Note von 1,7 Einspruch erhoben; dadurch sei es zum Streit mit Prof. Dr. S. gekommen, der ihn, den Kläger, als Auslöser des Widerspruchs angesehen habe. Prof. Dr. S. habe sich daraufhin geweigert, seine Dissertation weiter zu betreuen und ihm Prof. Dr. K. ab etwa März/April 2000 vermittelt. Das Fazit seiner Arbeit habe er relativ früh fertiggestellt, dann aber immer wieder daran gefeilt. Ende 1999 habe er eine Alpha-Version seiner Arbeit Prof. Dr. S. , nach dem Streit mit ihm dann etwa im April 2000 Prof. Dr. K. vorgelegt. Im Jahr 2000 habe er eine E-Mail von Frau E1. erhalten mit der Drohung, sie werde sich für die Bewertung ihrer Arbeit revanchieren.
11Frau E1. gab in der Sitzung der Kommission vom 10. Februar 2006 ausweislich der Niederschrift unter anderem an, sie habe auf Wunsch des Klägers diesem auch eine digitale Version ihrer Arbeit zur Verfügung stellen müssen. Über die Note von 1,7 sei sie zunächst ein wenig überrascht, dann aber zufrieden gewesen, weil sie die Diplomnote ohnehin nicht stark beeinflusst habe. Mit Schreiben vom 28. Februar 2006 übersandte Frau E1. ergänzend Unterlagen, die nach ihrer Angabe unterschiedliche Bearbeitungsversionen ihrer Arbeit nebst handschriftlicher Korrekturen und Anmerkungen beinhalten.
12Prof. Dr. S. erklärte in einem Telefonat am 12. Mai 2006, sich an einen Einspruch der Frau E1. gegen die Note nicht erinnern zu können. In einer E-Mail vom 27. Juni 2006 gab er ergänzend an, es sei sicher, dass er sich mit dem Kläger nicht wegen Frau E1. überworfen habe. Der Dekan Prof. Dr. T. teilte unter dem 30. Mai 2006 mit, ein Widerspruchsverfahren einer Frau N. (jetzt: E1. ) sei nicht anhängig gewesen.
13Am 1. November 2006 legte der Vorsitzende der Kommission dem Rektor der Beklagten einen Bericht vor mit der abschließenden Empfehlung, gegen den Kläger ein Verfahren zur Entziehung des Doktorgrades einzuleiten. In dem Bericht ist ausgeführt, die Universitätsmitarbeiterin T1. habe festgestellt, dass die Dissertation auch Übereinstimmungen mit einer Seminararbeit von M. Q. und M. I3. aufweise, die 1999/2000 an der Universität M. angefertigt worden sei.
14Mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Es komme die Aberkennung des Doktorgrades in Betracht. Der Kläger nahm zu den Vorwürfen mit anwaltlichen Schreiben vom 7. Februar 2007 und vom 12. Juni 2007 Stellung. Letzterem war eine eidesstattliche Versicherung seiner damaligen Lebensgefährtin, D1. M1. , beigefügt, wonach diese sich daran erinnern könne, dass der Kläger ihr Ende 1999 den Ausdruck einer E-Mail einer kürzlich betreuten Diplomandin mit drohendem Inhalt gezeigt habe.
15Der Fakultätsrat der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät behandelte in der Fakultätsratssitzung am 27. Juni 2007 den Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde". Zu dieser Sitzung war mit Schreiben vom 6. Juni 2007 unter Beifügung einer vorläufigen Tagesordnung mit dem Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde" eingeladen worden. Die Sitzung dauerte ausweislich des Protokolls von 16:15 bis 17:15 Uhr. Der Fakultätsrat beschloss mit 13:0:0 Stimmen, den Doktorgrad abzuerkennen.
16Diesen Beschluss setzte der Dekan der Fakultät mit Bescheid vom 17. September 2007 um. Er entzog dem Kläger den Doktorgrad und gab ihm auf, die Promotionsurkunde binnen zwei Wochen nach Erhalt des Bescheides zurückzugeben. Für die Entziehung stützte er sich auf § 20 der Promotionsordnung der Beklagten für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW. Zur Begründung führte er an, die Verleihung des Doktorgrades im Jahre 2003 sei rechtswidrig gewesen. Die Dissertation des Klägers erbringe den in § 67 Abs. 1 HG NRW vorausgesetzten Nachweis der Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nicht. Der Kläger habe darin 73 % des Textes der Diplomarbeit von Frau E1. und auf den Seiten 351 bis 369 umfangreich Textstellen einer Seminararbeit der Studenten M. Q. und M. I3. der Universität M. verwendet, ohne diese beiden Quellen im Literaturverzeichnis oder sonst in seiner Dissertation anzugeben. Damit habe er über die Eigenständigkeit seiner Leistung getäuscht und sei seine entsprechende Versicherung gemäß § 10 der Promotionsordnung falsch gewesen. Die Täuschung sei vorsätzlich erfolgt und für die Verleihung des Doktorgrades ursächlich gewesen. Das Vorbringen, Frau E1. habe bei der Anfertigung der Diplomarbeit im Jahre 1999 ihrerseits möglicherweise Textteile aus dem Entwurf der Dissertation des Klägers übernommen, sei nicht plausibel und überzeugend. Im Übrigen reiche bereits die weitgehende Verwendung von Textstellen aus der Seminararbeit der Herren Q. und I3. für die Annahme einer bewussten Täuschung bei der Erstellung der Dissertation und die Entziehung des Doktorgrades aus. Das zuständige Gremium habe sich bei der Entscheidung über die Entziehung des Doktorgrades mit den möglichen Auswirkungen auf die berufliche Karriere und die gesellschaftliche Stellung des Klägers befasst. Dem öffentlichen Interesse an der Entziehung des Doktorgrades sei jedoch der Vorrang einzuräumen. Sowohl der Umfang als auch die Qualität der Plagiate sprächen für einen gravierenden Fall der Täuschung. Die Verpflichtung zur Rückgabe der Promotionsurkunde ergebe sich aus § 52 VwVfG NRW. Der Zweck der Urkunde, ihrem Inhaber das Führen eines akademischen Grades nachzuweisen, sei entfallen. Da der Urkunde als Beweismittel im Rechtsverkehr große Bedeutung zukomme, liege ihre Herausgabe vor allem im Interesse der Rechtssicherheit, um jeglichen Missbrauch auszuschließen.
17Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen darauf, ein beweiskräftiger Text der Diplomarbeit habe nicht vorgelegen. Frau E1. sei nicht glaubwürdig. Aus der M. Seminararbeit habe er nichts übernommen. Die Entziehung des Doktorgrades sei überdies unverhältnismäßig.
18Der Fakultätsrat beschloss in seiner Sitzung vom 30. April 2008 unter deren Tagesordnungspunkt 8 "Aberkennung einer Doktorwürde" konsensual, den Widerspruch zurückzuweisen. Zu der Sitzung war unter Beifügung einer vorläufigen Tagesordnung eingeladen worden, die keinen entsprechenden Tagesordnungspunkt enthielt. An ihr nahmen ausweislich des Protokolls der Dekan, der Prodekan und der Studiendekan, acht Angehörige der Gruppe der Hochschullehrer, drei Angehörige der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter nebst einem Vertreter, ein nichtwissenschaftlicher Mitarbeiter nebst einem Vertreter sowie drei Angehörige der Gruppe der Studierenden nebst einem Vertreter teil. Den Beschluss setzte der Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät mit Bescheid vom 5. Mai 2008 um, mit dem er den Widerspruch des Klägers zurückwies. Zur Begründung führte er aus, die Einwände des Klägers hätten nicht zu einer geänderten Entscheidung geführt. Ein Motiv der Frau E1. , ihre Arbeit im Nachhinein elektronisch seiner Dissertation anzupassen, um dann den Kläger des Plagiats zu beschuldigen, trage dieser nicht nachvollziehbar vor. Die Benotung der Diplomarbeit der Frau E1. spiele keine tragende Rolle, da sich die Gesamtnote auch bei einer Veränderung der Benotung der Arbeit nicht verbessert hätte. Frau E1. habe auch keine Einwände gegen die Benotung erhoben. Für die Feststellung der Plagiate habe eine hinreichende Grundlage bestanden, obwohl die Papierfassung der Arbeit E1. vernichtet sei. Soweit der Kläger vorbringe, Frau E1. habe im Gegenteil aus seinem Konzept Textteile in ihre Diplomarbeit übernommen, frage sich, warum er dies bei der Korrektur der Diplomarbeit nicht erkannt habe. Zudem bleibe es bei dem Plagiat der Seminararbeit der Herren Q. und I3. . Soweit der Kläger darauf hinweise, diese Autoren seien möglicherweise in den Besitz von Unterlagen gekommen, die er im Rahmen seiner Arbeit bei I2. erstellt habe, lege er nicht dar, um welche Unterlagen es sich handeln solle. Überdies enthalte seine Dissertation aus dem Jahr 2003 dieselben Rechtschreibfehler wie die Seminararbeit der Herren Q. und I3. aus dem Jahr 1999. Der Einwand, die Arbeit sei auch ohne die beanstandeten Textteile als umfassend und als "Neuland" zu bewerten, sei unerheblich. In Anbetracht der Schwere des Plagiats und des Umstands, dass das Vertrauen in die Einhaltung der anerkannten wissenschaftlichen Regeln geschützt werden müsse, erscheine die Entziehung auch verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei.
19Der Kläger hat am 5. Juni 2008 Klage erhoben und ergänzend geltend gemacht, er habe keine Passagen aus der Diplomarbeit der Frau E1. und der Seminararbeit der Herren Q. und I3. übernommen, er sei vielmehr deren Urheber. Es sei nicht überprüfbar, wie Teile seiner Arbeit auf der Plattform "hausarbeiten.de" als Seminararbeit aus dem Jahre 1999/2000 hätten auftauchen können. Gegenstände der Dissertation seien auch Inhalte seiner täglichen Arbeit bei I2. gewesen. Dort hätten zahlreiche Personen Zugang zu Projektdaten und Texten gehabt, die er verfasst habe. Die unbefugte Weitergabe seiner Texte könne daher nicht ausgeschlossen werden. Es sei auch nicht nachgewiesen, ob die Arbeit im Zeitraum zwischen ihrer Veröffentlichung im Internet und dem Einreichen seiner Dissertation überhaupt heruntergeladen worden sei und gegebenenfalls vom wem. Überdies habe es damals nur wenige Unterlagen zum Thema "Balanced Scorecard" gegeben, weshalb textliche Überschneidungen nicht zu vermeiden gewesen seien. Es seien auch nur geringe Textmengen wortgleich.
20Zur Ermittlung der Übereinstimmungen mit der Arbeit der Frau E1. hätte die Beklagte die Software "Turnitin" nicht verwenden dürfen, weil sie unzuverlässig sei. Sie messe außerdem zu Unrecht den Angaben der Frau E1. mehr Glaubhaftigkeit bei als seinen. Diese stelle schon falsch dar, wie sie und er erstmals in Kontakt gekommen seien. Entgegen ihrer Darstellung seien ferner die Themenkreise "Marketing-Controlling" und "Strategisches Controlling" die geplanten Hauptkapitel der Diplomarbeit gewesen. Auch entspreche es nicht der Wahrheit, dass Frau E1. Auszüge ihrer Arbeit bereits in der Erstellungsphase zur Verfügung gestellt habe. Das Abbildungsmaterial mit der Kennung "I2. " in ihrer Diplomarbeit sowie die Verweise auf die Quelle "I2. Verkehrswegebau" zeigten, dass seine ‑ des Klägers ‑ Unterlagen in ihre Diplomarbeit Eingang gefunden hätten. Er habe ferner nicht verlangt, dass Frau E1. ihre Diplomarbeit in einer elektronischen Version einreiche und über eine solche niemals verfügt. Das Aussageverhalten von Frau E1. sei von einer Belastungstendenz geprägt. Dies beruhe darauf, dass sie mit der Benotung ihrer Diplomarbeit nicht zufrieden gewesen sei; eine bessere Note in der Diplomarbeit hätte rechnerisch eine deutlich bessere Gesamtnote auf dem Diplomzeugnis bedeutet. Prof. Dr. S. habe ‑ was im Bericht der Kommission zu seinen Lasten nicht erwähnt sei ‑ in seiner Anhörung am 10. Januar 2006 erklärt, Frau E1. habe sich bei ihm über ihre Note beschwert. In einer ihm, dem Kläger, nicht mehr vorliegenden Mail aus Ende 1999/Anfang 2000 habe sie angekündigt, sich bei ihm "revanchieren" zu wollen. Dazu sei sie auch unter dem Pseudonym "L1. E2. " im Hörfunk aufgetreten. In dem Interview werde deutlich, dass sie sich offenkundig über in interne Vorgänge eingeweihte Personen bei der Beklagten über das Verfahren gegen ihn informiert habe. Sie erhebe ihre Anschuldigungen auffälligerweise zu einem Zeitpunkt, zu dem die Originalarbeit bereits vernichtet sei. Zudem habe sie zunächst geäußert, alle Diplomarbeitsdateien seien durch einen Virus vernichtet worden. Die von ihr später vorgelegten Seiten mit handschriftlichen Anmerkungen eines Zwischenstandes könnten genauso gut im Nachhinein entstanden sein. Frau E1.‘s Ehemann sei im Übrigen ehemaliger Mitarbeiter von Professor M2. , dem Vorsitzenden des Promotionsausschusses und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik. Er habe damit die Gelegenheit und das Wissen gehabt, im Interesse seiner Ehefrau Unterlagen, die ihn, den Kläger, entlasten könnten, zu entsorgen bzw. eine Diplomarbeit nachzustellen.
21Er, der Kläger, habe bei der Erstellung des Gutachtenentwurfs zu der Diplomarbeit einen Abgleich mit seiner Doktorarbeit nicht vorgenommen, weil ihm eine unerlaubte Übernahme von Textteilen nicht in den Sinn gekommen sei. Das Gutachten belege den Plagiatsvorwurf nicht. Auch der Abgleich des Fazits der Dissertation tauge dafür nicht. Es sei nicht üblich, im Fazit nochmals auf alle Details der Arbeit einzugehen. Seine Dissertation sei im Übrigen 1999 bereits im Wesentlichen fertiggestellt und Anfang 2001 mit Ausnahme von redaktionellen Überarbeitungen abgeschlossen gewesen. Dies bestätige die Aussage von Prof. Dr. K. im Protokoll zur 10. Sitzung der Kommission vom 10. Januar 2006. Es sei auch unwahrscheinlich, dass Frau E1. eine so umfangreiche Diplomarbeit in nur etwa drei Monaten erstellt haben wolle.
22Der M. Seminararbeit komme schon deshalb kein Beweiswert hinsichtlich eines Plagiatsvorwurfs zu, weil sie erst im Mai 2000 veröffentlicht worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Kapitel über die "Balanced Scorecard" bereits Teil seiner Arbeit gewesen. Der Kläger hat dazu eine E-Mail des GRIN-Verlags und eidesstattliche Versicherungen vorgelegt.
23Er berufe sich auf Verjährung gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG NRW und Vertrauensschutz. Die Entziehung sei zudem ermessensfehlerhaft. Mit seiner umfangreichen Dissertation habe er Neuland betreten. Die Maßnahme hätte für ihn direkte und dauerhafte Arbeitslosigkeit zur Folge. Damit würde die wirtschaftliche Existenz einer Familie vernichtet. Überdies sei die Entziehung verfahrensfehlerhaft, so seien die Tagesordnung und die Unterrichtung der Mitglieder des Fakultätsrats defizitär.
24Der Kläger hat beantragt,
25den Bescheid des Dekans der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten vom 17. September 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2008 aufzuheben.
26Die Beklagte hat beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Sie hat geltend gemacht: Eine elektronische Auswertung habe ergeben, dass sich 73 % des Textes der Diplomarbeit der Frau E1. mehr oder weniger wörtlich in der Dissertation fänden. Die äußere Ähnlichkeit der Arbeiten hinsichtlich des Layouts, des Schrifttyps und sogar bei einigen Schreibfehlern sei auffällig, zumal es Vorgaben der Fakultät für die formale Gestaltung von Diplomarbeiten und Dissertationen seinerzeit nicht gegeben habe. Dass zum Vergleich der Arbeiten zunächst die Software "Turnitin" eingesetzt worden sei, sei unschädlich, da die Ergebnisse später bewertet worden seien.
29Ein nachvollziehbares Motiv der Frau E1. dafür, ihrerseits im Nachhinein ihre Arbeit der Dissertation des Klägers anzupassen, um ihn des Plagiats beschuldigen zu können, sei nicht ersichtlich. Die Behauptung, die Gesamtnote der Diplomprüfung hätte sich auch mit einer günstigeren Bewertung der Diplomarbeit nicht verbessert, hat die Beklagte dazu nicht aufrechterhalten: Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2011 hat sie auf gerichtliche Anfrage erklärt, wenn die Diplomarbeit mit 1,3 bewertet worden wäre, hätte Frau E1. die Gesamtnote 1,6 ("gut") erzielt, bei einer Bewertung mit 1,0 die Gesamtnote 1,5 ("sehr gut"). Frau E1. hätte mit den erzielten Prüfungsergebnissen ein Promotionsverfahren einleiten können, da zur Zeit des Abschlusses ihrer Diplomarbeit hierfür kein bestimmtes Ergebnis in der Diplomarbeit oder -prüfung erforderlich gewesen sei.
30Die Einladung zu der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 sei auf den 6. Juni 2007 datiert. Es sei üblich, die Einladung auch an diesem Tag zu versenden. Selbst wenn sie ausnahmsweise am nächsten Tag abgeschickt worden sein sollte, wäre die Ladungsfrist von einer Woche gewahrt. Für die Einladung zur Fakultätsratssitzung am 30. April 2008, die vom 17. April 2008 datiere, gelte das Gleiche. Der Tagesordnungspunkt "Aberkennung einer Doktorwürde" sei einstimmig unter Tagesordnungspunkt 2 "Endgültige Festlegung der Tagesordnung" aufgenommen worden. Jedes Mitglied des Fakultätsrats habe frühzeitig die Möglichkeit gehabt, in die entscheidungserheblichen Unterlagen Einsicht zu nehmen.
31Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung der Lebensgefährtin des Klägers D1. M1. , seines Freundes H. T2. und des Prof. Dr. S. . Mit dem angefochtenen Urteil hat es der Klage stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide seien materiell rechtswidrig. Ein Plagiat lasse sich nicht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststellen. Das Original der Diplomarbeit von Frau E1. sei nicht mehr vorhanden. Der Computerausdruck ihrer Arbeit entspreche nicht mit der erforderlichen Sicherheit dem Originaltext ihrer Arbeit. Es spreche allerdings Vieles dafür, dass in der Dissertation des Klägers die Seminararbeit Q. /I3. plagiiert sei. Dies könne jedoch dahinstehen, denn die Entscheidung sei jedenfalls ermessensfehlerhaft, weil sie in der Begründung vorwiegend auf das Plagiat der Diplomarbeit der Frau E1. abstelle, das nicht feststehe.
32Gegen das ihr am 21. März 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. April 2012 die Zulassung der Berufung beantragt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 8. April 2014 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.
33Die Beklagte macht zur Begründung der Berufung geltend:
34§ 67 HG NRW stelle eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für § 20 der Promotionsordnung dar. § 67 Abs. 3 Satz 3 HG NRW stelle klar, dass es sich bei der Promotionsordnung um eine Prüfungsordnung handele, die auch Regelungen über die Folgen von Verstößen gegen die Prüfungsvorschriften enthalten müsse. Diese Bestimmung habe als spezielle Norm Vorrang vor § 48 VwVfG NRW. Dem stehe § 1 Abs. 1 VwVfG NRW nicht entgegen, weil landesrechtliche Vorschriften im Sinne der Norm auch alle auf Grund von Landesgesetzen erlassenen Rechtsnormen seien. Dafür, dass der Kläger die Diplomarbeit der Frau E1. plagiiert habe, spreche, dass die älteste noch existierende Version der Dissertation die "Diskettenversion" vom 2. Oktober 1999 sei, während die Datei der Frau E1. vom 20. September 1999 stamme; unter diesem Datum sei die Arbeit auch abgegeben worden. Der Erklärungsversuch des Klägers für die Übereinstimmungen sei inkonsistent und stehe in Widerspruch zu Zeugenaussagen. Seine Darstellung zur Betreuung durch Prof. Dr. S. bereits im Jahre 1997 stehe mit dessen Angaben nicht in Einklang. Dass ein Doktorand ‑ wie es der Kläger vortrage ‑ einer Diplomandin namhafte Teile seiner Dissertation übergebe, widerspreche jeder Lebenserfahrung. Es sei auch nicht glaubhaft, dass dem Kläger die Übereinstimmungen bei der Korrektur nicht aufgefallen seien. Zudem habe die Kommission festgestellt, dass sich die prozentuale Übereinstimmung des Wortlauts der Arbeit E1. mit der Dissertation von der Zwischenversion vom 2. Oktober 1999 zur Endversion vom 20. November 2001 erhöhe; dies gelte besonders für das Fazit. Auffällig sei ferner, dass die Seminararbeit der Studenten aus M. nur in der Arbeit des Klägers auftauche, nicht der Diplomarbeit E1. . Das Verwaltungsgericht, das die Glaubwürdigkeit der Frau E1. in Zweifel ziehe, hätte diese als Zeugin hören müssen. Es sei nicht glaubhaft, dass sie einen Rachefeldzug gegen den Kläger führe, da eine bessere Endnote das Gesamtergebnis ihres Diplomzeugnisses kaum nennenswert beeinflusst hätte. Sie, die Beklagte habe in ihrer Entscheidung auch angenommen, bereits das Plagiat der M. Seminararbeit reiche für die Entziehung des Doktorgrades aus. Vertrauensschutz oder Verjährung stünden der Entziehung nicht entgegen.
35Die Beklagte beantragt,
36das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
37Der Kläger beantragt,
38die Berufung zurückzuweisen.
39Er macht ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen im Wesentlichen geltend: § 48 VwVfG NRW sei die in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage. Die hochschulrechtlichen Grundlagen genügten nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot und dem Vorbehalt des Gesetzes und verstießen gegen das Willkürverbot. Ein nach Abschluss des Prüfungsverfahrens begonnenes Verfahren sei ferner vom Regelungsbereich der Prüfungsordnung nicht erfasst.
40Die Entscheidung sei formell rechtswidrig. Die Aktenführung der Beklagten sei nicht ordnungsgemäß. Überdies sei § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Senats nicht beachtet. Entgegen der Vorschrift sei nicht dokumentiert, welche Unterlagen versandt worden seien. Angesichts der Kürze der Sitzung des Fakultätsrats vom 27. Juni 2006 (60 Minuten) sei unvorstellbar, dass über die Aberkennung der Doktorwürde ernsthaft Beschluss gefasst worden sei. Ebenfalls unvorstellbar sei, dass ein Gremium von Hochschulangehörigen es als rechtmäßig akzeptiert haben solle, dass das Original der Diplomarbeit bereits vernichtet gewesen sei und darauf trotzdem die Entscheidung gestützt werden solle. Daher sei von einer mutwilligen Fehlinformation des Fakultätsrats auszugehen. Überdies sei das Mitglied des Fakultätsrats Prof. Dr. U. befangen gewesen. Dieser sei gleichzeitig mit einer nichtssagenden Zeugenaussage (E-Mail vom 15. Mai 2006) aufgeführt. Er könne aber nicht gleichzeitig Zeuge und Entscheider sein.
41Ferner bestünden erhebliche Zweifel daran, dass nur er, der Kläger, von Frau E1. abgeschrieben haben könne. Es könne nicht zweifelhaft sein, dass Prof. Dr. S. ihn betreut habe. Dass dieser sich nicht mehr richtig an die Rahmenbedingungen seines, des Klägers, Tätigwerdens erinnere, sei befremdlich, könne aber an seinem Alter und daran liegen, dass die Vorgänge lange zurücklägen. Zahlreiche Zeugen könnten belegen, dass er ‑ der Kläger ‑ seit 1997 an dem Kennzahlen-Projekt gearbeitet habe. Die von der Beklagten behauptete zeitliche Reihenfolge der Diskettenversionen sei durch nichts belegt. Insbesondere sei unklar, woraus sich ergebe, dass die Datei von Frau E1. vom 20. September 1999 stamme.
42In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat die Beklagte erklärt, sie ändere die Rückforderung der Promotionsurkunde im angefochtenen Entziehungsbescheid vom 17. September 2007 dahin ab, dass die Urkunde binnen zwei Wochen nach Unanfechtbarkeit zurückzugeben sei. Sie hat ferner klargestellt, dass die Aussage über die Kostentragung im Tenor des angefochtenen Entziehungsbescheides vom 17. September 2007 nur als Hinweis auf die gesetzliche Kostentragungspflicht des Verursachers nach § 13 Abs. 1 GebG NRW gemeint sei.
43Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
44Entscheidungsgründe:
45Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des Dekans der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten vom 17. September 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2008 ist in seinen beiden Regelungsbestandteilen ‑ der Entziehung des Doktorgrades (A.) sowie der Aufforderung zur Rückgabe der Promotionsurkunde in der Fassung, die die Beklagte ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gegeben hat (B.) ‑ rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
46A. Die Entscheidung, dem Kläger den Doktorgrad zu entziehen, ist rechtsfehlerfrei. Sie findet eine wirksame Ermächtigungsgrundlage jedenfalls in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW (I.) und hält in materieller (II.) und formeller (III.) Hinsicht der Rechtskontrolle stand.
47I. Der Senat kann offenlassen, ob § 20 Satz 1 der Promotionsordnung der Universität E3. für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät vom 26. September 1983 (GABl. NRW. S. 540) in der Fassung der Änderungen vom 12. April 1991 (GABl. NRW. S. 73), vom 29. Januar 1997 (GABl. NRW. S. 223) und vom 9. Oktober 1999 (GABl. NRW. S. 946) ‑ im Folgenden: PromO 1983 ‑ als wirksame Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung herangezogen werden kann. Verneinendenfalls findet die Maßnahme ihre Ermächtigungsgrundlage jedenfalls in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW.
48Nach § 20 Satz 1 PromO 1983 wird der Doktorgrad aberkannt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrtümlich als gegeben angesehen worden sind. Soweit diese Norm wirksam ist, verdrängt sie zwar gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG NRW im Sinne eines Anwendungsvorrangs die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte in § 48 VwVfG NRW. Der Senat hat auch keinen Zweifel, dass § 20 Satz 1 PromO 1983 als Regelung einer Hochschulprüfungsordnung im Sinne der §§ 64 Abs. 2 Nr. 9, 67 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz- HG NRW) vom 31. Oktober 2006 (GV. NRW. S. 474) und der entsprechenden Vorschriften des bis 2006 in NRW geltenden Hochschulrechts dem Vorbehalt des Gesetzes genügt.
49Vgl. dazu näher OVG NRW, Urteile vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 62 ff., sowie ‑ 19 A 2820/11 ‑, juris, Rdn. 42 ff.
50Zweifelhaft erscheint allerdings, ob die als gebundene Entscheidung ausgestaltete Bestimmung ein Abwägungsprogramm zur Verfügung stellt, das ausreichenden Raum zur Berücksichtigung der grundrechtlich, insbesondere durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belange und der Besonderheiten des Einzelfalls wie etwa des Zeitablaufs, des Vertrauensschutzes und möglicher existenzbedrohender Folgen der Doktorgradentziehung bietet und insoweit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht.
51Vgl. dazu BVerwG, Beschlüsse vom 25. August 1992 ‑ 6 B 31.91 ‑, Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 3, juris, Rdn. 14, und vom 20. Oktober 2006 ‑ 6 B 67.06 -, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris, Rdn. 6; OVG NRW, Urteile vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 95 und ‑ 19 A 2820/11 ‑, juris, Rdn. 72.
52Der Senat braucht dieser Frage nicht nachzugehen. Denn aus den nachfolgend dargelegten Gründen sind die Voraussetzungen des § 20 Satz 1 PromO 1983 und des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW gleichermaßen erfüllt. Gegen die Heranziehung letzterer Norm als Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung bestehen ‑ die Unwirksamkeit des § 20 Satz 1 PromO 1983 unterstellt ‑ auch sonst keine durchgreifenden Bedenken. Die Beklagte hat sich in ihrer Entscheidung neben § 20 Satz 1 PromO 1983 auch auf § 48 Abs. 1 VwVfG NRW gestützt und dabei Ermessen ausgeübt. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Entziehung eines akademischen Grades einer Ermessensentscheidung der Verwaltung nach § 48 VwVfG überlassen werden darf.
53Vgl. näher BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2006, a. a. O., juris, Rdn. 4 f., und Bay. VGH, Urteil vom 4. April 2006 ‑ 7 BV 05.388 ‑, juris, Rdn. 11 zu § 48 bay. VwVfG sowie VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13. Oktober 2008 ‑ 9 S 494/08 ‑, juris, Rdn. 3 und Urteil vom 19. April 2000 ‑ 9 S 2435/99 ‑, juris, Rdn. 22 zu § 48 VwVfG BW.
54II. Die Entziehungsverfügung vom 17. September 2007 ist sowohl am Maßstab des § 20 Satz 1 PromO 1983 als auch am Maßstab des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW materiell rechtmäßig. Nach § 20 Satz 1 PromO 1983 wird der Doktorgrad aberkannt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrtümlich als gegeben angesehen worden sind. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Vorschriften liegen vor (1.). Die lediglich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW zusätzlich erforderliche Ermessensausübung der Beklagten ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (2.). Die Rücknahmemöglichkeit war auch weder verfristet (3.) noch verjährt oder durch Zeitablauf erloschen (4.).
551. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Satz 1 PromO 1983 sowie des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW sind erfüllt. Die Promotion des Klägers war rechtswidrig, da wesentliche Verleihungsvoraussetzungen irrtümlich als gegeben angesehen worden sind, über deren Vorliegen der Kläger getäuscht hat. Entgegen seiner Behauptung stellte seine Dissertation in Teilen keine selbstständige wissenschaftliche Leistung dar, wie § 10 Abs. 2 PromO 1983 erfordert (a), und war seine Dissertation bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens, was § 10 Abs. 4 PromO 1983 verbietet (b).
56a) Entgegen der Vorspiegelung des Klägers stellte seine am 24. September 2001 eingereichte Dissertation in weiten Teilen keine selbstständige wissenschaftliche Leistung dar.
57Wesensbestimmendes Merkmal einer Dissertation und damit zugleich wesentliche Verleihungsvoraussetzung für den Doktorgrad ist, dass sie auf der eigenen selbstständigen wissenschaftlichen Arbeit des Doktoranden beruht. Durch sie wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG NRW die Befähigung zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen. Satzungsrechtlich hat die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten die Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Arbeit des Doktoranden in § 10 Abs. 2 und 4 PromO 1983 zur zentralen Verleihungsvoraussetzung eines Doktor rerum politicarum (Dr. rer. pol.) gemacht. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 PromO 1983 muss die Dissertation eine selbstständige Leistung des Doktoranden darstellen. Dieser hat seiner Dissertation die Versicherung beizufügen, dass er die Arbeit selbstständig verfasst und sich anderer als der angegebenen Hilfsmittel nicht bedient hat (§ 10 Abs. 2 Satz 2 PromO 1983). Die Dissertation darf nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens gewesen sein (§ 10 Abs. 4 PromO 1983). Diese Anforderungen des § 10 Abs. 2 und 4 PromO 1983 sind "wesentliche" Verleihungsvoraussetzungen im Sinne des § 20 Satz 1 PromO 1983. Von ihnen hängt die Fortführung des Promotionsverfahrens ab. Das ergibt sich aus § 10 Abs. 6 PromO 1983. Nach dessen Satz 1 muss der Promotionsausschuss die Dissertation an den Doktoranden zurückverweisen, falls sie eine der Anforderungen der Abs. 2 und 4 nicht erfüllt. Wird der Mangel nicht innerhalb einer angemessenen, vom Promotionsausschuss festzulegenden Frist behoben, muss der Promotionsausschuss die Zulassung zur Promotion widerrufen (Abs. 6 Satz 2).
58Mit dem Tatbestandsmerkmal der Täuschung knüpft § 20 Satz 1 PromO 1983 an den Begriff der arglistigen Täuschung im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht an (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Adressat eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes begeht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine arglistige Täuschung in diesem Sinn, wenn er den maßgeblichen Bediensteten der Behörde in seiner Entscheidung beeinflusst, indem er bei diesem einen Irrtum über entscheidungserhebliche Tatsachen hervorruft, deren Unrichtigkeit der Adressat kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt. Bei der Erstellung einer Dissertation begeht der Doktorand eine Täuschung im Sinne des § 20 Satz 1 PromO 1983 über das Vorliegen der wesentlichen Verleihungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 2 PromO 1983 (und hier auch § 10 Abs. 4 PromO 1983) namentlich dann, wenn er bei den Gutachtern einen Irrtum über die Eigenständigkeit seiner erbrachten wissenschaftlichen Leistung hervorruft, indem er in erheblichem Umfang fremde Textpassagen ohne Quellenangabe aus dem Werk eines anderen Autors wörtlich oder sinngemäß übernimmt, obwohl ihm deren Herkunft vom Fremdautor bewusst ist.
59Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 99 ff. mit weiteren Nachweisen.
60Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger in seiner Dissertation zu einem erheblichen Anteil bewusst wörtliche oder nahezu wörtliche Passagen aus der am 20. September 1999 eingereichten Diplomarbeit "L3. " der Frau E1. übernommen hat, ohne dies offenzulegen. Angesichts des Umfangs und des Gewichts bereits dieser Übernahmen kann der Senat unterstellen, dass der Kläger nicht zusätzlich aus der im Jahr 1999/2000 an der Universität M. angefertigten Seminararbeit der Studenten M. Q. und M. I3. abgeschrieben hat.
61Den sich hierauf beziehenden, in der mündlichen Verhandlung in der Sitzung vom 14. Januar 2016 gestellten Beweisanträgen 1. bis 5. war insoweit schon deshalb nicht nachzugehen, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung des Senats ohne Belang sind. Letzteres gilt auch für den Beweisantrag zu 6., der darauf gerichtet ist, Beweis darüber zu erheben, "dass die Datumsangaben 20. September 1999 (Text E1. ) bzw. 2. Oktober 1999 (Text Kläger) in den Dateinamen der seitens der Beklagten elektronisch abgeglichenen Textdateien von dem jeweiligen Verwender zu einem naturwissenschaftlich-technisch nicht feststellbaren Zeitpunkt eingegeben wurden, und dass die Angabe des Änderungsdatums der jeweils abgeglichenen Dateien ausschließlich erkennen lässt, wann letztmalig Änderungen zu der jeweiligen Datei gespeichert wurden, im Gegensatz zu dem Zeitpunkt, an dem die Datei erstmalig gespeichert wurde". Der Senat geht mit dem Kläger davon aus, dass die genannten Daten lediglich die Speicherung der jeweils letzten Änderung der Dateien dokumentieren. Ebenfalls kann der Senat davon absehen, auf die zusätzlich festzustellenden Übereinstimmungen von Passagen der Dissertation mit der I2. -Unterlage "B2. " einzugehen, die der Kläger gleichfalls nicht offengelegt hat.
62Bereits das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich der Text und die Abbildungen der Kapitel 1 bis 4.2 (32 Seiten), ferner der Kapitel 4.4 bis 4.5.5.5 (44 Seiten), der Kapitel 4.6 bis 4.7 (5 Seiten) sowie Ausführungen unter den Gliederungspunkten 5., 5.2, 5.5, 5.5.1, 5.5.4, 5.11.5, 5.11.5.2, 7.5.2, 7.5.4 und schließlich Passagen des Fazits in dem vorliegenden Ausdruck der Diplomarbeit der Frau E1. sich nahezu vollständig, überwiegend wortgleich und im Übrigen nur geringfügig abgewandelt oder erweitert in der Dissertation des Klägers wiederfinden. Die Auflistung ist allerdings nicht einmal vollständig; hinzu treten etwa weitgehende Übereinstimmungen in den Kapiteln 4.3.6. bis 4.3.8. der Dissertation ("Die Kalkulation von Bauprojekten", "Target Costing bei Baubetrieben", "Der Soll-Ist-Vergleich auf Baustellenebene", Seiten 229 bis 278) mit den Kapiteln 5.4 bis 5.6 der Diplomarbeit ("Die Kalkulation im Baubetrieb", "Target Costing", "Der Soll-Ist-Vergleich auf Baustellenebene", Seiten 127 bis 160); auch finden sich Ausführungen aus Kapitel 7.5.5. der Diplomarbeit in der Dissertation wieder. Die Arbeiten entsprechen sich überdies in der formalen Gestaltung. Angesichts dieser vom Gericht nachvollzogenen Übereinstimmungen ist das Vorbringen des Klägers unerheblich, die Software "turnitin", die die Beklagte zu ihrer Ermittlung herangezogen hat, sei unzuverlässig. Die Übereinstimmungen zwischen beiden Arbeiten bis ins Detail sind so umfassend, dass ihr zufälliges Zustandekommen ausgeschlossen ist. Die Fallumstände vermitteln dem Gericht die Überzeugung, dass sie entstanden sind, indem der Kläger die entsprechenden Textpassagen und Abbildungen aus der Diplomarbeit der Frau E1. übernommen hat, die damals bereits in der Fassung der von dieser eingereichten pdf-Datei vorlag, wie es der Darstellung der Frau E1. entspricht.
63Gewichtige Indizien für die vom Senat angenommene Genese der Übereinstimmungen liefern bereits folgende Umstände:
64In Frau E1. Arbeit sind sämtliche Autoren mit ausgeschriebenem (erstem) Vornamen genannt und im Literaturverzeichnis mit einheitlicher Fundstellenangabe (Auflage, Erscheinungsort und -jahr) aufgeführt. In der Arbeit des Klägers ist nur ein Teil der Angaben in dieser Weise gefasst, und zwar auffälligerweise ‑ mit ganz vereinzelten Abweichungen ‑ genau jener Teil, der auch in der Arbeit der Frau E1. vorkommt. In den Angaben, die ausschließlich in seiner Arbeit vorkommen, nennt der Kläger ganz überwiegend den Erscheinungsort nicht und nur den ersten Buchstaben des Vornamens ‑ dies selbst dann, wenn der Autor zuvor bereits mehrfach mit vollem Vornamen von Frau E1. übernommen war (Beispiele: Autoren Coenenberg, Ewert und Horváth). Für letzteren Autor verwendet Frau E1. durchgängig die Schreibweise "Horváth, Péter", beim Kläger hingegen finden sich diese sowie die weiteren Schreibweisen "Horváth, P." und "Horvath, Peter". Augenfällig wird die unterschiedliche Handhabung des Klägers beispielsweise in den Fußnoten auf den Seiten 99 und 197 der Dissertation: Dort sind nur und gerade die Autoren mit abgekürzten Vornamen in den Fußnoten erwähnt, die sich zu der entsprechenden Textpassage allein beim Kläger finden (so Seite 99 der Dissertation, die im Wesentlichen Seite 36 der Diplomarbeit entspricht: "Behrendt, D.", aber "Spranz, Dieter"). Dies erklärt sich zwanglos, wenn man annimmt, dass der Kläger die Angaben von Frau E1. übernommen und es gleichzeitig nicht für notwendig gehalten hat, ebenso genaue Angaben zu machen wie diese. Nimmt man hingegen an, dass Frau E1. vom Kläger abgeschrieben hat, ergäbe sich der außerordentlich unwahrscheinliche Zufall, dass sie just exakt jene Passagen übernommen hätte, in denen die Literaturnachweise den vollen ersten Vornamen und die erweiterten Angaben im Literaturverzeichnis umfassen.
65Überdies ist das Fazit beider Arbeiten nahezu identisch, es ist in der Arbeit des Klägers lediglich leicht erweitert. Die in der Arbeit des Klägers zusätzlich behandelten und von den Gutachtern in der Anhörung vor der Kommission als innovative Teile bezeichneten Aspekte ‑ wie die "Balanced Scorecard" ‑ werden in ihm im Wesentlichen nicht aufgegriffen. Warum er bedeutsame Teile seiner Arbeit im Fazit nicht angesprochen hat, hat der Kläger nicht nachvollziehbar erläutert. Erklärbar wird die Kongruenz, wenn man annimmt, dass der Kläger (auch) das Fazit von Frau E1. übernommen und lediglich einer geringfügigen Überarbeitung unterzogen hat.
66Hinzu tritt, dass keiner der vom Kläger angebotenen Erklärungsversuche dafür, wie es ‑ wenn nicht der Kläger von Frau E1. abgeschrieben hat ‑ zu den weitreichenden Übereinstimmungen zwischen den beiden Arbeiten gekommen sein kann, auch nur ansatzweise glaubhaft ist. Der Kläger hat dafür zwei mögliche Erklärungen präsentiert, die einander allerdings ausschließen: Er macht einerseits geltend, nicht er habe bei Frau E1. abgeschrieben, sondern diese habe in ihre Diplomarbeit Passagen aus Unterlagen übernommen, die er ihr zur Verfügung gestellt habe. Andererseits stellt er die Möglichkeit in den Raum, Frau E1. habe die Dateien, die sie jetzt als ihre Diplomarbeit ausgebe, nach der Vernichtung des Originals ihrer Arbeit nachträglich unter Verwendung von Passagen seiner Dissertation erstellt und so die Übereinstimmungen, die das Original gar nicht aufgewiesen habe, erst im Nachhinein erzeugt. Diese beiden Varianten sind im Einzelnen aus folgenden Gründen durchgreifend unglaubhaft:
67aa. Dass Frau E1. umfängliche Passagen aus vom Kläger überlassenem Material in ihre Diplomarbeit übernommen haben soll, erscheint in so hohem Maß unwahrscheinlich, dass der Senat es ausschließt.
68Im akademischen Betrieb sehr fernliegend und deshalb unglaubhaft ist es bereits, dass der Kläger ‑ wie er vorträgt ‑ Frau E1. fertig gestellte Texte aus seiner im Entstehen befindlichen Dissertation vorab "zur Einarbeitung und Weiterverwendung" in ihrer Diplomarbeit zur Verfügung gestellt hat. Denn für das Dissertationsunternehmen des Klägers, das von großer Bedeutung für seine berufliche Zukunft sein würde und in das er erhebliche Anstrengungen investierte, war es essentiell, dass er seine Erkenntnisse und deren Ausarbeitung in seiner Arbeit als Novität würde präsentieren können; wie erwähnt, war es gemäß § 10 Abs. 4 PromO 1983 Verleihungsvoraussetzung, dass die Dissertation nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens war. Folglich hätte die Überlassung erheblicher Teile seiner noch nicht veröffentlichten Dissertation das Promotionsvorhaben ernstlich gefährdet oder jedenfalls eine Überarbeitung erfordert. Einen Grund dafür, warum er dies eingegangen bzw. auf sich genommen haben sollte, hat der Kläger nicht angegeben.
69Die vorgenannte Behauptung ungeachtet dessen zunächst als zutreffend unterstellt, erscheint es des Weiteren in hohem Maß unwahrscheinlich, dass Frau E1. vom Kläger zur Verfügung gestelltes Material in ihrer Diplomarbeit schlicht übernommen hätte. Denn sie hätte davon ausgehen müssen, dass dem Kläger bei der nachfolgenden Lektüre der Arbeit zum Zwecke der Bewertung die wörtliche Übernahme ausgedehnter Textpassagen sowie von Abbildungen aus seiner Dissertation auf den ersten Blick auffallen würde. Es ist nicht anzunehmen, dass ein vernünftiger Diplomand ‑ und damit auch Frau E1. , die der Kläger in seiner ersten Stellungnahme vom 2. Januar 2006 noch als sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit bezeichnet hat ‑ seine Diplomarbeit und damit den erfolgreichen Studienabschluss auf derart plumpe Weise einem solchen Risiko ausgesetzt hätte.
70Dem Kläger kann darüber hinaus nicht abgenommen werden, dass ihm die Übereinstimmungen bei der Begutachtung der Arbeit nicht aufgefallen sein sollen. Denn diese haben ‑ wie oben dargelegt ‑ einen ganz erheblichen Umfang. So sind ‑ neben Weiterem ‑ schon die ersten 32 Seiten beider Arbeiten in weiten Passagen wortgleich, enthalten identische Abbildungen und entsprechen sich überdies in der formalen Gestaltung; einzelne Seiten (etwa Seite 5 beider Arbeiten) sind sogar optisch wie inhaltlich vollkommen identisch. Letztlich finden sich ‑ mit der Ausnahme weniger Seiten ‑ ausgedehnte Passagen der Seiten 1 bis 160 der Diplomarbeit in der Dissertation des Klägers wieder. Einem Akademiker, der seine Dissertation und demgemäß mit besonderer Sorgfalt formuliert und gestaltet, wird auffallen, wenn sich eigene Formulierungen in einem solchen Ausmaß sowie die identischen Abbildungen in einem anderen Text wiederfinden, ohne dass er dazu einen "Textabgleich" in den Einzelheiten vorzunehmen hat; dass er die Diplomarbeit "einmal gelesen" hat, hat der Kläger eingeräumt. Die Übereinstimmungen fallen aber selbst bei pflichtwidrig oberflächlicher Durchsicht geradezu ins Auge.
71All diese bereits für sich genommen unglaubhaften Umstände nochmals als zutreffend unterstellt, wäre es ebensowenig glaubhaft, dass Frau E1. es mehrere Jahre später unternommen haben sollte, den Kläger ihrerseits der Textübernahmen zu bezichtigen, um sich für eine Note von "nur" 1,7 zu revanchieren. Denn Frau E1. wäre damit das Risiko eingegangen, dass ihr eigenes plagiatorisches Vorgehen aufgedeckt würde; es war nicht unwahrscheinlich, dass der Kläger etwa durch frühe Ausdrucke oder abgespeicherte Vorversionen würde beweisen können, dass in Wirklichkeit sie von ihm abgeschrieben hatte. Dies wäre abgesehen von möglichen weiteren Konsequenzen jedenfalls geeignet gewesen, Schadensersatzansprüche des Klägers zu begründen. Dass Frau E1. ein solches Risiko eingegangen wäre, erscheint vor allem deshalb in sehr hohem Maß lebensfern, weil das ihr vom Kläger hierfür unterstellte Motiv denkbar schwach ist: Der Kläger trägt vor, Frau E1. habe sich für die Vergabe der Note von 1,7 rächen wollen. Das überzeugt aus einer Reihe von Gründen nicht. Die Note von 1,7 hat erstens letztlich nicht der Kläger, sondern Prof. Dr. S. vergeben. Sie ist zweitens immer noch überdurchschnittlich hoch. Zu einer besseren Bewertung der Diplomprüfung ‑ "sehr gut" statt "gut" ‑ hätte es überdies nur geführt, wenn die Diplomarbeit mit 1,0 bewertet worden wäre. Eine Mindestnote für die Einleitung eines Promotionsverfahrens gab es nach Angaben der Beklagten seinerzeit nicht, so dass die vergebene Note für Frau E1. insoweit kein Hindernis darstellte. Überdies lag die ‑ nach Allem allenfalls geringfügig zu schlechte und praktisch weitgehend folgenlose ‑ Notenvergabe zu dem Zeitpunkt, zu dem sich Frau E1. mit dem Täuschungsvorwurf an die Beklagte gewandt hat, bereits rund sechs Jahre zurück; lebensnah ist anzunehmen, dass die Verärgerung um eine nach eigenem Empfinden geringfügig zu schlechte Bewertung nach einem derartigen Zeitablauf verblasst ist.
72Hinzu tritt, dass auch die Angaben des Klägers zum ‑ ohnehin schwachen ‑ Motiv der Frau E1. jedenfalls teilweise unglaubhaft sind. Dabei legt der Senat zugrunde, dass sich Frau E1. über ihre Benotung beim Lehrstuhl Prof. Dr. S. beschwert hat. Dies hat Prof. Dr. S. ausweislich des Entwurfs des Protokolls der 10. Sitzung der Kommission bereits dieser gegenüber angegeben und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bestätigt. Der auf die Feststellung einer Beschwerde der Frau E1. am Lehrstuhl Prof. Dr. S. gerichtete, in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2016 gestellte Beweisantrag zu 7. konnte deshalb als unerheblich abgelehnt werden. Die Behauptungen des Klägers zu den Weiterungen, die sich aus dieser Beschwerde ergeben haben sollen, haben sich jedoch nicht bestätigen lassen; dies nährt die Vermutung, dass der Kläger die Bedeutung der Beschwerde überhöht darstellt, um so ein Motiv der Frau E1. nachvollziehbar zu machen. So hat der Dekan Prof. Dr. T4. unter dem 30. Mai 2006 mitgeteilt, ein Widerspruchsverfahren einer Frau N. sei ausweislich der Verwaltungsvorgänge nicht anhängig gewesen. Zu anderen Folgen der Beschwerde ist schon die Darstellung des Klägers nicht konsistent und deckt sich ferner nicht mit den Darstellungen der anderen Beteiligten. Der Kläger hat nämlich weiter behauptet, anlässlich eines Einspruchs der Frau E1. gegen die Note von 1,7 sei es zum Streit zwischen ihm und Prof. Dr. S. gekommen, weil letzterer den Kläger als Auslöser des Einspruchs angesehen habe. Prof. Dr. S. habe ‑ so der Kläger ‑ sich daraufhin geweigert, seine Dissertation weiter zu betreuen und ihm Prof. Dr. K. ab etwa März/April 2000 vermittelt. Demgegenüber hat der Kläger abweichend hiervon mit Schriftsatz vom 19. August 2010 vorgetragen, Prof. Dr. K. sei "aus Zeitgründen von Prof. S. " Betreuer seiner Dissertation geworden. Wenn der Kläger auf die gerichtliche Bitte, die Ungereimtheit aufzuklären, mit Schriftsatz vom 24. März 2011 versucht hat, die unterschiedlichen Darstellungen dahin zu vereinbaren, Prof. Dr. S. habe wegen der Beschwerde der Frau E1. aus Zeitgründen nicht mehr zur Verfügung gestanden, ist das ersichtlich abwegig. Überdies hat Prof. Dr. S. in einer E-Mail vom 27. Juni 2006 angegeben, es sei sicher, dass er sich nicht mit dem Kläger wegen Frau E1. überworfen habe. In seiner Stellungnahme vom 29. März 2011 hat er des Weiteren ausgeführt, der Kläger habe bis zu seinem Ausscheiden aus seinem Lehrstuhl eine tragfähige wissenschaftliche Konzeption seiner Doktorarbeit nicht vorgestellt. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger es vorgezogen habe, bei dem Kollegen K. um eine Betreuung zu ersuchen, bei dem er auch seine Diplomarbeit erstellt habe. Der Betreuerwechsel müsse spätestens zum Mai 1998 erfolgt sein. Von einer Meinungsverschiedenheit anlässlich der Bewertung der Diplomarbeit der Frau E1. und einem darauf erfolgten Betreuerwechsel Ende 1999/Anfang 2000 ist wiederum keine Rede.
73Eine abweichende Beurteilung rechtfertigen nicht die Zeugenaussagen der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers, D1. M1. , und seines Freundes H. T2. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Beide haben bestätigt, dass es eine E-Mail der Frau E1. mit der Androhung einer Revanche gegeben hat. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussagen stellt es bereits in Frage, dass der Kläger in seiner ersten Stellungnahme vom 2. Januar 2006 lediglich ausgeführt hat, es handele sich bei Frau E1. um "eine sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit", die jedoch "mit der Bewertung ihrer Diplomarbeit nicht einverstanden" gewesen sei. Es ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass und warum der Kläger ‑ zumal angesichts des gegen ihn erhobenen bedeutsamen Vorwurfs ‑ für Frau E1. so freundliche Worte gefunden und die feindselige E‑Mail mit der Drohung, sie werde sich revanchieren, nicht umgehend erwähnt haben sollte, hätte es letztere tatsächlich gegeben. Letztlich kann jedoch auf sich beruhen, ob die Zeugen die Wahrheit gesagt oder aus Verbundenheit mit dem Kläger gelogen haben. Denn auch wenn es eine solche E-Mail gegeben haben sollte, bliebe es dabei, dass die Verärgerung über eine geringfügig zu schlechte Notengebung nach sechs Jahren ein unzureichendes Motiv für das hohe Risiko und den Aufwand bildete, das Frau E1. mit einer Falschbezichtigung eingegangen wäre bzw. betrieben hätte.
74bb. Auch die zweite vom Kläger als denkbar dargestellte Möglichkeit für die Entstehung der Übereinstimmungen, nämlich durch nachträgliche Manipulation ihrer Diplomarbeit durch Frau E1. , erscheint in so hohem Maß unwahrscheinlich, dass sie auszuschließen ist.
75Dafür, dass der vorgelegte Ausdruck der tatsächlich eingereichten Diplomarbeit der Frau E1. entspricht, streitet zunächst das Gutachten des Prof. Dr. S. vom 20. Januar 2000, das in weiten Teilen eine Inhaltsangabe der Diplomarbeit darstellt. Diese Inhaltsangabe passt genau zu dem vorliegenden Ausdruck der Arbeit.
76Aber auch weitere Überlegungen sprechen entscheidend gegen die Annahme einer nachträglichen Manipulation. Zunächst hätte ungeachtet der Vernichtung des Originals ihrer Diplomarbeit Frau E1. mit der nicht fernliegenden Möglichkeit rechnen müssen, dass der Kläger etwa durch Vorlage früher abgespeicherter Versionen oder Ausdrucke würde belegen können, dass seine Dissertation schon vor Abgabe ihrer Arbeit die Passagen aufwies, in Bezug auf die sie eine Übernahme behauptete. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sie nicht etwa nur eine Version ihrer Arbeit vorgelegt hat, sondern einen Ausdruck im Umfang von über 60 Seiten mit zahlreichen handschriftlichen, plausibel erscheinenden Korrekturanmerkungen einschließlich Streichungen sowie eine CD mit Arbeitsversionen einzelner Kapitel, angefertigt im Zeitraum vom 30. Mai 1999 bis zum 16. September 1999, aus denen ‑ so auch die Bewertung die Kommission ‑ eine plausible Genese der Diplomarbeit zu entnehmen ist. Frau E1. müsste es also unternommen haben, nicht nur eine manipulierte Version ihrer Arbeit, sondern zudem (Teil-)Versionen in unterschiedlichen Entstehungsstadien zu erstellen und mit Korrekturanmerkungen zu versehen. Zusätzlich müsste sie für die fiktive Vorversion Passagen verfasst und sodann gestrichen haben. Darüber hinaus entsprechen sich die Texte in der Dissertation des Klägers und der Diplomarbeit E1. zwar weitgehend, aber nicht vollständig: So finden sich etwa in der Dissertation teils kurze, teils längere eingeschobene Passagen, die die Diplomarbeit nicht aufweist ‑ und umgekehrt ‑, ferner ergänzte Fußnoten, modifizierte Überschriften und geänderte Formulierungen. Einzelne Kapitel sind verschoben; auch ist die Rechtschreibung in der Diplomarbeit orientiert an den vor der Rechtschreibreform von 1996 geltenden Regeln, die Dissertation an den seither geltenden Vorgaben. Frau E1. müsste also zur Herstellung einer fingierten Diplomarbeit den Text der Dissertation nicht einfach übernommen, sondern einer aufwändigen Überarbeitung unterzogen haben. Dabei müsste sie beispielsweise so komplizierte Fußnotenverweise eingefügt haben wie "Eine Begründung für diese Auswahl findet sich unter 3.3" (Seite 20 der Diplomarbeit), der in der Arbeit des Klägers fehlt, obwohl der entsprechende Text ansonsten identisch ist. Nachdrücklich gegen die Überlegung, die Überstimmungen zwischen den Texten beruhten auf einer nachträglichen Erstellung einer fingierten Diplomarbeit, spricht ferner der Umstand, dass die Arbeit der Frau E1. mehrfach Abbildungen mit Verweisen auf interne I2. -Unterlagen sowie zum Teil Stichtagen aus Sommer 1999 enthält, welche in der Arbeit des Klägers bei den entsprechenden Abbildungen ‑ bei denen gegebenenfalls spätere Stichtage angegeben sind ‑ fehlen; dies betrifft beispielsweise die im Wesentlichen identischen Abbildungen auf Seite 27 der Dissertation und Seite 29 der Diplomarbeit, auf Seite 158 der Dissertation und Seite 33 der Diplomarbeit sowie Seite 277 der Dissertation und Seite 159 der Diplomarbeit. Die Abbildung 3 auf Seite 29 der Dissertation beispielsweise ist versehen mit der Fußnote "… basierend auf Th. S. , …". Bei Frau E1. findet sich unter der nämlichen Abbildung hingegen die Fußnote "Interner Entwurf I2. Verkehrswegebau". Es ist unerklärlich, woher Frau E1. von der Herkunft dieser und anderer Abbildungen hätte wissen können, obwohl die Arbeit des Klägers hierauf keinen Hinweis enthält, und auf welchem Weg sie nachträglich ‑ Jahre später ‑ an Unterlagen aus dem Unternehmen I2. etwa mit dem Stichtag 30.6.1999 (Seite 68 der Diplomarbeit) gekommen sein soll. Insgesamt wäre der betriebene Aufwand ganz unnötig kompliziert und fehleranfällig gewesen, wäre es Frau E1. darum gegangen, wahrheitswidrig ein Plagiat vortäuschen. Dafür und das eingegangene Risiko rechtlicher Konsequenzen nicht geringen Gewichts stellt wiederum die Verärgerung über eine geringfügig zu schlechte Notengebung nach einem Ablauf von rund sechs Jahren aus den oben genannten Gründen nicht im Ansatz ein nachvollziehbares Motiv dar.
77Der Kläger wendet vergeblich ein, er habe die Arbeit der Frau E1. nur für kurze Zeit zur Verfügung gehabt, die nicht ausreiche, um ausgedehnte Passagen abzuschreiben. Der Senat geht davon aus, dass Frau E1. ihm ‑ wie sie behauptet ‑ eine elektronische Version der Arbeit überlassen hat, die ohne Schwierigkeit kopiert werden konnte. Die Darstellung der Frau E1. wird insoweit gestützt durch die Auskunft des Universitätsmitarbeiters T5. T6. vom 2. Mai 2006, der bestätigt hat, er habe in der Entstehungsphase der Diplomarbeit wiederholt mit dieser darüber spekuliert, warum sie ihre Arbeit auch auf Diskette und dazu in einem leseunfreundlichen Format und in einer Schriftart habe abgeben müssen, die für längere Schriftstücke als wenig geeignet gelte. Abgesehen davon liegt jedenfalls auf der Hand, dass auch ein kurzer Zeitraum ausgereicht hätte, um von der Arbeit zunächst Kopien zu fertigen und/oder sie mit Hilfe Dritter abschreiben zu lassen. Ebenfalls nicht tragfähig ist der Einwand des Klägers, Frau E1. habe erklärt, alle Dateien zu ihrer Arbeit seien infolge einer Virenverseuchung vernichtet worden, so dass unklar sei, woher die nun vorgelegte Datei stamme. Der Vortrag entbehrt in tatsächlicher Hinsicht der Grundlage. Frau E1. hat ausweislich des Protokolls vor der Kommission lediglich angegeben, "einige Files, die Zwischenversionen der Arbeit enthielten", seien im Sommer 2000 verloren gegangen.
78Ob sich die Unglaubhaftigkeit der vom Kläger gebotenen Versionen oder gar seine mangelnde Glaubwürdigkeit noch aus weiteren Widersprüchen, Ungereimtheiten oder Gegenäußerungen ergibt, lässt der Senat dahinstehen.
79b) Angesichts des Vorstehenden hat der Kläger auch über das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 4 PromO 1983 getäuscht, wonach die Dissertation nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen sonstigen Prüfungsverfahrens gewesen sein darf. Denn wesentliche Teile der Arbeit waren, wie er wusste, entgegen seiner der Arbeit beigefügten Erklärung bereits Gegenstand der Diplomarbeit der Frau E1. .
80Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kläger mit der bei Einreichung der Dissertation begangenen Täuschung bei den Gutachtern einen Irrtum über die für seine Promotion wesentliche Voraussetzung der eigenen selbstständigen wissenschaftlichen Leistung hervorgerufen hat. Es fehlt an jeglichem Anhalt dafür, dass sie die umfassende Textübernahme aus der Diplomarbeit E1. bei der Bewertung der Dissertation erkannt haben; vielmehr spricht alles dafür, dass sie sich auf die schriftliche Erklärung des Klägers vom 24. September 2001 verlassen haben. Nach den vorbenannten Bestimmungen der PromO 1983 liegt auf der Hand, dass die Beklagte den Kläger in Kenntnis der Täuschung nicht promoviert hätte.
812. Danach ist auch der Tatbestand des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW erfüllt. Die Verleihung des Doktorgrades an den Kläger war rechtswidrig, weil deren Voraussetzungen nicht vorlagen. Auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW war der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme der Verleihung Ermessen eingeräumt. Die Entscheidung, dem Kläger den Doktorgrad zu entziehen, weist keinen Ermessensfehler auf (§ 114 Satz 1 VwGO).
82Die Entziehungsentscheidung erweist sich zunächst nicht deshalb als fehlerhaft, weil ‑ wovon der Senat ausgeht ‑ allein die Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. feststehen. Denn die Beklagte hat ihre Ermessensentscheidung (auch) allein im Hinblick auf die Übernahmen aus der Diplomarbeit E1. als die Entziehung selbstständig tragenden Verstoß getroffen, in dem sie verdeutlicht hat, dass sie ihre Entscheidung jeweils alternativ auf nur eine der von ihr als feststehend erachteten Übernahmen gestützt hat. Sie hat im angegriffenen Ausgangsbescheid ausgeführt, bereits die weitgehende Verwendung von Textstellen aus der Seminararbeit der Herren Q. und I3. reiche für die Annahme einer bewussten Täuschung bei der Erstellung der Dissertation und die Entziehung des Doktorgrades aus. In die gleiche Richtung zielt der Hinweis im Widerspruchsbescheid, unabhängig von den Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. bleibe es "zudem" bei dem Plagiat der Seminararbeit der Herren Q. und I3. . Da die Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. einen um ein Vielfaches größeren Umfang haben als die von der Beklagten angenommenen Entlehnungen aus der Seminararbeit Q. /I3. , muss ‑ erst recht ‑ gelten, dass die Beklagte die Entziehung auch allein auf erstere Übernahme stützt. Vor diesem Hintergrund kann die Formulierung zur Begründung der Ermessensentscheidung, angesichts des Umfangs und der Qualität der Plagiate liege ein gravierender Fall der Täuschung vor, nur so aufgefasst werden, dass sich die Beklagte auch hier weiterhin alternativ auf beide Plagiate stützt, die jeweils von erheblichem Gewicht sind.
83Daher überprüft der Senat die Ermessensentscheidung allein im Hinblick auf die Textübernahmen aus der Diplomarbeit E1. als den im gerichtlichen Verfahren zu seiner Überzeugung erwiesenen Verstoß, ohne dass es auf die von der Beklagten auch als feststehend erachteten Textübernahme aus der Seminararbeit ankommt. Diese Fragen hat der Senat mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung als rechtserheblich eingehend erörtert, so dass die Beteiligten auch mit dem vorstehenden Ergebnis der Überzeugungsbildung rechnen konnten. Der hierzu im Termin am 14. Januar 2016 geäußerten Bitte des Prozessbevollmächtigten des Klägers um Schriftsatzfrist brauchte der Senat nicht zu entsprechen, da er durch die Unterbrechung der mündlichen Verhandlung und ihre Fortführung am 10. Februar 2016 faktisch die "Nachfrist" bekommen hat, die er zu weiterem Vortrag hätte nutzen können.
84Der Fakultätsrat hat berücksichtigt, dass diese Entscheidung für den Kläger erhebliche Nachteile in beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht nach sich ziehen dürfte. Dass er mit Rücksicht auf Umfang und Qualität der Übernahmen die öffentlichen Interessen an der Entziehung des Doktorgrades im Ergebnis höher bewertet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Entziehung des Doktorgrades erscheint auch angesichts des Gewichts der grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belange ermessensfehlerfrei. Sie dient dem Schutz der Redlichkeit des Wissenschaftsbetriebes und seines Prüfungswesens und dient damit einem gewichtigen legitimen Zweck. Sie steht ferner nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des Rechtsverstoßes, den sie beseitigt. Die Maßnahme greift nicht in die Berufswahlfreiheit des Klägers ein, weil der Doktorgrad an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten keinen Studienabschluss darstellt. Nach § 3 Abs. 1 PromO 1983 setzt vielmehr schon die Zulassung zur Promotion ein mit qualifiziertem Ergebnis abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium der Wirtschaft- und/oder Sozialwissenschaften voraus. Der Kläger behält seine beiden ihm mit Urkunden vom 28. Januar 1997 und vom 17. November 1997 verliehenen akademischen Grade "Diplom-Kaufmann" und "Diplom-Volkswirt" und kann weiter in diesen Berufen tätig sein. Zu den nachteiligen Folgen für sein berufliches Fortkommen hat er nichts Konkretes vorgetragen.
85Vertrauensschutz des Klägers steht der Entziehung des Doktorgrades nicht entgegen. Allerdings hat die Behörde bei der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG NRW, der nicht auf eine Geld- oder teilbare Sachleistung gerichtet ist, im Grundsatz im Rahmen ihrer gebotenen Ermessensausübung den Schutz des Vertrauens auf den Bestand des Verwaltungsaktes mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme abzuwägen. Die in § 48 Abs. 2 VwVfG NRW getroffene Wertung über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, die sich ihrem Wortlaut nach nur auf die dort genannten Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte bezieht, ist dabei im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen.
86BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2006, a. a. O., juris, Rdn. 6 mit weiteren Nachweisen.
87Der Kläger kann sich aber nach dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW auf Vertrauen nicht berufen, weil er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung und durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, und er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes daher kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn eine bewusste Irreführung vorlag, die darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen einer Behörde einzuwirken. Das ist der Fall, weil der Kläger in dem Bewusstsein und der Absicht gehandelt haben muss, den Promotionsausschuss durch die Täuschung zu einer günstigen Entschließung zu bestimmen, und die Verleihung seines Doktorgrades demnach durch vorsätzliche Täuschung über die Verleihungsvoraussetzungen erwirkt hat.
88Vgl. etwa OVG Berlin, Beschluss vom 2. März 2006 ‑ OVG 8 N 53.04 ‑, juris, Rdn. 27; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. April 2000 ‑ 9 S 2435/99 ‑, juris, Rdn. 27 f. zu vergleichbaren Fallgestaltungen.
89Ein Ermessensfehler liegt schließlich nicht in der Fehlannahme der Beklagten, die Gesamtnote der Diplomprüfung der Frau E1. hätte sich durch eine Anhebung der Bewertung ihrer Diplomarbeit nicht geändert. Diese Annahme war, wie die Beklagte (erst) im Klageverfahren eingeräumt hat, allerdings unzutreffend: Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2011 hat sie auf gerichtliche Anfrage erklärt, wenn die Diplomarbeit mit 1,3 bewertet worden wäre, hätte Frau E1. die Gesamtnote 1,6 (gut) erzielt, bei einer Bewertung mit 1,0 die Gesamtnote 1,5 (sehr gut). Die Erwägung ist aber lediglich von Relevanz für die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen, die die Beklagte nach dem oben Ausgeführten ungeachtet des Fehlers im Ergebnis zu Recht angenommen hat; denn sie stellt sich nur im Zusammenhang mit der Frage, ob Frau E1. ein Motiv dafür hatte, den Kläger zu Unrecht eines Plagiats zu bezichtigen. Für die im Rahmen des Ermessens vorzunehmende Erfassung und Gewichtung der öffentlichen Interessen sowie derjenigen des Klägers ist das ohne Belang.
903. Die Rücknahmemöglichkeit war auch nicht verfristet. Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit der Kenntniserlangung der Behörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen zulässig. Allerdings findet diese Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in Verbindung mit § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW keine Anwendung, wenn der Verwaltungsakt ‑ wie hier ‑ durch arglistige Täuschung erwirkt wurde.
91Abgesehen davon handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW um eine Entscheidungs-, nicht um eine Bearbeitungsfrist; sie beginnt daher erst zu laufen, wenn die Behörde über sämtliche entscheidungsrelevante Tatsachen informiert ist, hier also frühestens mit der Vorlage des Berichts der Kommission am 1. November 2006.
924. Die Befugnis der Fakultät zur Entziehung eines Doktorgrades ist ferner weder verjährt noch durch Zeitablauf erloschen. Sie unterliegt nur bei ausdrücklicher entsprechender Regelung der Verjährung.
93Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2015 ‑ 19 A 1111/12 ‑, juris, Rdn. 23, 29 ff.
94Eine solche Regelung besteht im Streitfall nicht. Insbesondere ist die genannte Befugnis kein verjährbarer Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB, also kein Recht, von einem anderen, hier dem Doktoranden, ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Sowohl die höchstrichterliche Rechtsprechung als auch die Literatur verneinen vorbehaltlich spezialgesetzliche Regelungen eine Verjährbarkeit der behördlichen Befugnis zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte aus § 48 VwVfG NRW insbesondere mit der Begründung, der Faktor Zeitablauf sei nach Maßgabe des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW und ergänzend im Rahmen des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen.
95Vgl. die Nachweise bei BVerwG, Teilurteil vom 21. Oktober 2010 - 3 C 4.10 -, NVwZ 2011, 949, juris, Rdn. 16.
96III. Die Entziehungsverfügung hält schließlich in formeller Hinsicht der Rechtskontrolle Stand.
971. Zunächst hat im Verwaltungsverfahren das zuständige Organ der Beklagten in einem rechtsfehlerfreien Verfahren entschieden.
98a) Mit dem Fakultätsrat hat das intern gemäß § 20 Satz 2 PromO 1983 zuständige Organ über die Doktorgradentziehung entschieden. Diese Entscheidung hat der Dekan als außenwirksam handelnde Behörde umgesetzt.
99Vgl. dazu Linke, WissR 1999, 146 (162).
100b) Dem Anhörungserfordernis gemäß der hier nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Vorschrift des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW (vgl. auch § 17 Abs. 2 PromO 1983 zur Ungültigkeitserklärung der Promotion) ist genügt. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegeben und darauf hingewiesen, es komme die Aberkennung des Doktorgrades in Betracht. Der Kläger hat diese Gelegenheit mit anwaltlichen Schreiben vom 7. Februar 2007 und vom 12. Juni 2007 im Übrigen auch wahrgenommen.
101c) Die Einladung der Fakultätsratsmitglieder zur Sitzung am 27. Juni 2007 entspricht den Vorgaben. Nach § 3 der Fakultätsordnung für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten vom 19. Dezember 2001 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 7/2002), geändert durch die Ordnung zur Änderung der Fakultätsordnung für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten vom 28. Januar 2004 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 3/2004) ‑ im Weiteren Fakultätsordnung ‑ in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Sätze 1, 2 der Geschäftsordnung des Senats der Universität E3. vom 14. Februar 2003 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 4/2003) ‑ im Weiteren Geschäftsordnung ‑ lädt der Vorsitzende zu einer Gremiumssitzung unter Beifügung der vorläufigen Tagesordnung mit einer Ladungsfrist von einer Woche ein. Hiernach ist die Einladung zu der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 fristgerecht erfolgt. Sie ist auf den 6. Juni 2007 datiert. Nachdem es nach Angabe der Beklagten üblich ist, die Einladung auch an diesem Tag zu versenden, und für Abweichendes keinerlei Anhalt besteht, ist die Ladungsfrist von einer Woche gewahrt. Der Einladung zu der Sitzung war ferner eine vorläufige Tagesordnung mit dem Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde" beigefügt. Der Einwand des Klägers, diese Angabe sei zu ungenau, verfängt nicht. In sachlicher Hinsicht war damit hinreichend verdeutlicht, welcher Gegenstand beraten werden sollte.
102d) Hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der im Protokoll dokumentierten Beschlussfassung in der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 mit dem Abstimmungsergebnis von 13:0:0 Stimmen bestehen keine Bedenken.
103e) Ein Verfahrensfehler wegen mangelnder Sachaufklärung liegt nicht vor. Gemäß der gleichfalls nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Vorschrift des § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie hat nach Absatz 2 alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Der Kläger moniert insoweit vergeblich, es sei angesichts des Umstands, dass die Fakultätsratssitzung bei 13 Tagesordnungspunkten dem Protokoll zufolge nur 60 Minuten gedauert hat, unvorstellbar, dass die Mitglieder des Fakultätsrats ausreichend über die Einzelheiten seines Falls unterrichtet worden seien und sie sich zureichend damit befasst hätten; vielmehr sei "von einer mutwilligen Fehlinformation des Fakultätsrates" auszugehen. Das greift nicht durch. Es spricht zunächst nichts gegen die Richtigkeit der Angabe der Beklagten, jedes Mitglied des Fakultätsrats habe frühzeitig die Möglichkeit gehabt, in die entscheidungserheblichen Unterlagen Einsicht zu nehmen; für den noch weitergehenden Vorwurf der mutwilligen Fehlinformation fehlt jeder Anhalt. Im Übrigen folgt aus § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW nicht, dass der Kläger eine bestimmte Tiefe der Befassung einzelner Gremiumsmitglieder mit den Einzelheiten seines Falls beanspruchen könnte. Der Weg der Überzeugungsbildung der einzelnen Mitglieder ist insoweit rechtlich ungebunden.
104Vgl. auch Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 24 Rdn. 7.
105Abgesehen davon wäre die Aufhebung der angefochtenen Entziehungsverfügung gestützt auf einen etwa vorliegenden Mangel der Sachverhaltsaufklärung jedenfalls nach § 46 VwVfG NRW ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hier hätte sich der Fehler offensichtlich nicht ausgewirkt, weil der Fakultätsrat ‑ wie der Senat festzustellen hatte und nach dem oben Ausgeführten festgestellt hat ‑ im Ergebnis in tatsächlicher Hinsicht zutreffend das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen angenommen und die einzustellenden Ermessensbelange ermittelt hat.
106Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1987 ‑ 1 C 29.85 ‑, BVerwGE 78, 285, juris, Rdn. 32 f.
107f) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt die Rechtsfehlerhaftigkeit der Entziehungsentscheidung auch nicht aus der Befangenheit des Mitglieds des Fakultätsrats Prof. Dr. U. . Es liegt kein Grund vor, der im Sinne des ebenfalls gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren § 21 Abs. 1 VwVfG NRW geeignet ist, Misstrauen gegen dessen unparteiische Amtsführung zu rechtfertigen. Der Kläger verweist dazu auf die E-Mail vom 15. Mai 2006, in der Prof. Dr. U. an den Vorsitzenden der Kommission geschrieben hat, er habe Frau E1. als "fleißige, intelligente Studentin kennen und schätzen gelernt". Eine Beteiligung an einem Täuschungsversuch könne er sich bei ihr beim besten Willen nicht vorstellen. Dies reicht nicht aus für die Annahme, Prof. Dr. U. habe in der Angelegenheit nicht mehr unvoreingenommen entscheiden können oder wollen.
108g) Soweit die Aktenführung der Beklagten sowie die Dokumentation der Übersendung der Unterlagen an die Mitglieder des Fakultätsrats nicht ordnungsgemäß sind, wie der Kläger bemängelt, führt dies für sich genommen nicht auf eine Rechtsverletzung des Klägers.
1092. Auch das Widerspruchsverfahren ist im Wesentlichen rechtsfehlerfrei. Auf den allein festzustellenden Verfahrensmangel kann sich der Kläger nicht berufen.
110a) Mit dem Fakultätsrat hat das zuständige Gremium über seinen Widerspruch entschieden. Das ergibt sich jedenfalls aus § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO, da es um eine Selbstverwaltungsangelegenheit geht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 HG NRW).
111b) Die Einladung zur Fakultätsratssitzung am 30. April 2008, die vom 17. April 2008 datiert, war entsprechend dem oben Ausgeführten ebenfalls fristgerecht.
112c) Auf den bei der Beschlussfassung des Fakultätsrats vorgekommenen Verfahrensmangel kann sich der Kläger nicht berufen.
113In der Fakultätsratssitzung vom 30. April 2008, in der der Fakultätsrat über den Widerspruch des Klägers entschieden hat, hat dieser gegen § 3 Satz 2 der Fakultätsordnung in Verbindung mit § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung verstoßen. Danach können in der Sitzung selbst keine Tagesordnungspunkte ergänzt werden, zu denen Beschlüsse gefasst werden sollen. Die vorläufige Tagesordnung, die der Einladung zur Fakultätsratssitzung vom 30. April 2008 beigefügt war, enthielt einen die Entziehung des Doktorgrades bzw. dessen Widerspruch betreffenden Tagesordnungspunkt jedoch nicht. In dieser Sitzung ist gleichwohl unter Tagesordnungspunkt 2 "Endgültige Festlegung der Tagesordnung" einstimmig beschlossen worden, als neuen Tagesordnungspunkt 8 aufzunehmen "Aberkennung einer Doktorwürde". Später hat der Fakultätsrat in der Sitzung beschlossen, den Widerspruch des Klägers zurückzuweisen.
114Die Beschlussfassung über den Widerspruch unter Verstoß gegen § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung stellt jedoch keinen Fehler des Entziehungsverfahrens dar, auf den sich der Kläger berufen kann. Es ist anerkannt, dass ‑ auch mit Blick auf die Aufgabenvielfalt des Verfahrensrechts ‑ der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Rechtsverletzung des Betroffenen nur dann besteht, wenn im Gefüge der Verfahrenshandlungen gerade die einschlägige Verfahrensbestimmung eine Schutzaufgabe für die materiell-rechtliche Position des Betroffenen hat.
115Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 3. Februar 2014 ‑ 9 S 885/13 ‑, juris, Rdn. 34 mit weiteren Nachweisen.
116Ein solcher Rechtswidrigkeitszusammenhang ist im Hinblick auf die Beschlussfassung in der Sitzung vom 30. April 2008 nicht gegeben. § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung dient ersichtlich dazu, den Mitgliedern des Gremiums eine ausreichende Vorbereitungsmöglichkeit hinsichtlich zu fassender Beschlüsse zu gewährleisten. In der fraglichen Sitzung waren sämtliche gemäß § 2 Abs. 1 der Fakultätsordnung stimmberechtigte Mitglieder anwesend: die Gruppe der Hochschullehrer war vertreten durch acht Mitglieder, die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter durch drei Mitglieder, die Gruppe der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter durch ein Mitglied und die Gruppe der Studierenden durch drei Mitglieder, teilweise nebst Vertretern. In dieser Besetzung haben die Mitglieder des Fakultätsrats einstimmig beschlossen, den Tagesordnungspunkt "Aberkennung einer Doktorwürde" auf die endgültige Tagesordnung zu setzen und darüber zu beschließen. Sie haben damit übereinstimmend zu erkennen gegeben, eine weitere Vorbereitung auf die Entscheidung nicht für erforderlich zu halten. Ein bestimmtes Maß der Befassung einzelner Gremiumsmitglieder kann der Kläger ‑ wie ausgeführt ‑ nicht beanspruchen.
117B. Die Aufforderung, die Promotionsurkunde binnen zwei Wochen nach Erhalt des Bescheides zurückzugeben, erweist sich in der Fassung, die die Beklagte ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gegeben hat, gleichfalls als rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 52 Satz 1 VwVfG NRW sind erfüllt. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde die auf Grund eines Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückzufordern, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen oder seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Rückforderung der Promotionsurkunde ‑ einer Urkunde im Sinne der Vorschrift ‑ vom Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entziehung des Doktorgrades abhängig gemacht. Sie hat auch erkennen lassen, das ihr insoweit eröffnete Ermessen ausgeübt zu haben. Sie hat im Entziehungsbescheid ausgeführt, der Zweck der Urkunde, ihrem Inhaber das Führen eines akademischen Grades nachzuweisen, sei entfallen. Da der Urkunde als Beweismittel im Rechtsverkehr große Bedeutung zukomme, liege ihre Herausgabe vor allem im Interesse der Rechtssicherheit, um jeglichen Missbrauch auszuschließen. Letztere gewichtende Erwägung belegt hinreichend, dass die Beklagte den ihr zustehenden Spielraum erkannt und ausgefüllt hat, zumal ein vernünftiger Grund dafür, dem Kläger die Urkunde zu belassen, nicht ersichtlich ist.
118Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
119Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind. Insbesondere ist die Revision nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Hinblick auf die Rechtsgrundlage für die Entziehung eines Doktorgrades zuzulassen, weil die Entscheidung nicht allein auf die Annahme einer satzungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gestützt ist.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der ihm erteilten Bescheinigung, Ehegatte einer Spätaussiedlerin zu sein.
- 2
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Er wurde 1960 in Kasachstan geboren, ist seit 1988 verheiratet und hat mit seiner ebenfalls in Kasachstan geborenen Frau zwei Kinder. Sein Schwiegervater ist deutscher und seine Schwiegermutter russischer Nationalität.
- 3
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Im Dezember 2002 siedelte der Kläger gemeinsam mit seiner Familie aufgrund der Einbeziehung in den Aufnahmebescheid seines Schwiegervaters in die Bundesrepublik Deutschland um. Während seine Ehefrau und Kinder als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers aufgenommen wurden, reiste er als sonstiger Familienangehöriger ein.
- 4
-
Am 21. September 2004 stellte der Rechtsvorgänger des Beklagten eine Bescheinigung nach § 15 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) aus. In dieser Bescheinigung wurde die Ehefrau des Klägers nunmehr selbst als Spätaussiedlerin bezeichnet und der Kläger als Ehegatte einer Spätaussiedlerin. Die der Ehefrau des Klägers erteilte Bescheinigung wurde inzwischen rechtskräftig zurückgenommen, da sie - wie das Verwaltungsgericht feststellte - mangels deutscher Volkszugehörigkeit keine Spätaussiedlerin ist.
- 5
-
Mit Schreiben vom 4. Juli 2006 hörte der Rechtsvorgänger des Beklagten den Kläger zur beabsichtigten Rücknahme der ihm erteilten Bescheinigung an. Der Kläger machte daraufhin mit einem am 14. Juli 2006 bei der Behörde eingegangenen Schreiben geltend, die Bescheinigung begründe bei ihm die deutsche Staatsangehörigkeit. Deren Entzug komme allenfalls bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung oder bewusst falscher Angaben in Betracht. Beides sei in seinem Fall nicht gegeben.
- 6
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Mit Bescheid vom 12. September 2006 nahm der Rechtsvorgänger des Beklagten die dem Kläger erteilte Bescheinigung, Ehegatte einer Spätaussiedlerin zu sein, zurück. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage abgewiesen.
- 7
-
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Rücknahme der Bescheinigung aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Rücknahme sei zwar fristgerecht erfolgt. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) habe erst nach der Durchführung des Anhörungsverfahrens im Juli 2006 zu laufen begonnen und sei somit am 12. September 2006 noch nicht abgelaufen gewesen. Rechtsgrundlage der Rücknahme sei die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Rücknahmevorschrift. Die mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) sei mangels einer entsprechenden Übergangsregelung nicht anwendbar. Die Behörde habe allerdings das ihr hinsichtlich der Rücknahme zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Sie sei von einem falschen Ermessensrahmen ausgegangen, da sie zu Unrecht angenommen habe, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der zurückgenommenen Bescheinigung infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Abgesehen davon habe sie nicht beachtet, dass sie die Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung allein zu verantworten habe. In einem solchen Fall komme nur eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft in Betracht. Schließlich habe die Behörde auch nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass die Rücknahme Folgen haben könne, die der Entziehung der Staatsangehörigkeit ähnelten.
- 8
-
Mit seiner Revision macht der Beklagte eine Verletzung des § 48 VwVfG geltend. In Fällen, in denen - wie hier - die Rücknahme allein die Feststellung betreffe, dass der Inhaber der Bescheinigung Ehegatte einer Spätaussiedlerin sei, sei § 48 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG anzuwenden. Demzufolge komme es auf die Frage, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bescheinigung grob fahrlässig nicht erkannt habe, nicht an. Abgesehen davon habe das Oberverwaltungsgericht eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers auch zu Unrecht verneint.
- 9
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Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
- 10
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Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) (1.). Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2.).
- 11
-
1. Zwar ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Rücknahme der Bescheinigung nicht auf die mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl I S. 1902), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2011 (BGBl I S. 2426) - n.F. - gestützt werden kann, sondern ihre Rechtsgrundlage in der allgemeinen verfahrensrechtlichen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i.V.m. § 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für den Freistaat Sachsen (SächsVwVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2003 (GVBl S. 614) findet (a). Des Weiteren hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht nicht in Frage gestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erfüllt sind (b) und es sich bei der dem Kläger am 21. September 2004 gemäß § 15 Abs. 2 BVFG in der insoweit anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) - a.F. - ausgestellten Bescheinigung um einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG handelt (c). Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht auch angenommen, dass die Rücknahme fristgerecht erfolgt ist (d). Jedoch hat es bei der Prüfung der behördlichen Ermessensentscheidung einen fehlerhaften Maßstab angewandt, soweit es auf die Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 2 VwVfG abgestellt hat (e). Da der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 VwVfG nicht eröffnet ist, greifen die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision nicht durch (f).
- 12
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a) Die durch das Achte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. Juli 2009 (BGBl I S. 1694) eingeführte und mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 BVFG n.F. ist mangels einer entsprechenden Übergangsregelung nicht auf eine - wie hier - vor ihrem Inkrafttreten ausgesprochene Rücknahme anwendbar.
- 13
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b) Nach der allgemeinen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG, auf die mangels einer speziellen Rücknahmeregelung zurückzugreifen ist, kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. stellt einen wirksamen Verwaltungsakt dar (aa), der in seinem Sachausspruch von Anfang an rechtswidrig war (bb).
- 14
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aa) Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ist ein statusfeststellender Verwaltungsakt, der die Rechtsstellung als Ehegatte eines Spätaussiedlers feststellt. Dies ist bislang - unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Erteilung des Vertriebenausweises - ausdrücklich nur für die Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG entschieden worden (vgl. Urteil vom 24. Februar 2005 - BVerwG 5 C 10.04 - BVerwGE 123, 101<103> = Buchholz 412.3 § 15 BVFG Nr. 30 S. 11 m.w.N.). Für die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG gilt jedoch nichts anderes.
- 15
-
bb) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich, hier also der Zeitpunkt, in dem die Bescheinigung ausgestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nicht Ehegatte einer Spätaussiedlerin.
- 16
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Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) wurde die Klage der Ehefrau des Klägers gegen die Rücknahme der ihr am 21. September 2004 erteilten Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG a.F. durch das Verwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen. Dabei wurde - soweit hier von Interesse - in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass die Ehefrau des Klägers mangels deutscher Volkszugehörigkeit keine Spätaussiedlerin sei. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BVFG in der Fassung des Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus - Spätaussiedlerstatusgesetz (SpStatG) - vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266), da sie sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete nicht durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung zum deutschen Volkstum bekannt, sondern ausweislich der 1989 erfolgten Eintragung der russischen Nationalität in ihren Inlandspass ein Gegenbekenntnis zum russischen Volkstum abgegeben habe. Aus diesem Grund sei auch ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf vergleichbare Weise im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BVFG ausgeschlossen. Ebenso wenig gehöre die Ehefrau des Klägers gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 BVFG nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität. Auch könne ein Bekenntnis der Ehefrau des Klägers zum deutschen Volkstum nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG unterstellt werden, weil diese nicht substanziiert und in sich stimmig dargelegt habe, dass ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen sei.
- 17
-
Die Rechtskraft des gegenüber der Ehefrau des Klägers ergangenen Urteils erzeugt im vorliegenden Verfahren zwar keine Bindungswirkung (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2002 - BVerwG 5 C 40.01 - Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 57 S. 7). Das Oberverwaltungsgericht hat aber offensichtlich die vom Verwaltungsgericht in dem Verfahren der Ehefrau des Klägers vorgenommene Würdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für das vorliegende Verfahren übernommen. Hiergegen sind weder erhebliche Gesichtspunkte vorgetragen noch ist diese Würdigung sonst revisionsgerichtlich zu beanstanden.
- 18
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c) Ein Verwaltungsakt, der einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Statusfeststellung nach § 15 Abs. 2 BVFG begründet oder bestätigt im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. wird zum Nachweis erteilt, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BVFG vorliegen, d.h. dass der Inhaber der Bescheinigung Ehegatte (oder Abkömmling) des Spätaussiedlers ist, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht erfüllt, aber die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen hat (Satz 1). Der rechtliche Vorteil liegt darin, dass diese Feststellungen für alle Behörden und Stellen, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz oder einem anderen Gesetz zuständig sind, im Einzelfall verbindlich sind.
- 19
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d) Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist, wenn die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Diese Frist wird in Lauf gesetzt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr sämtliche für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Hierzu gehören auch alle für eine Ermessensbetätigung wesentlichen Umstände. Die Behörde erhält Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Prüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter positive Kenntnis erlangt. Ein einzelne Fachfragen begutachtender Mitarbeiter einer Behörde ist kein zur rechtlichen Prüfung berufener Amtswalter. Diente eine Anhörung des Betroffenen nach § 28 Abs. 1 VwVfG - wie hier - der Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen, beginnt die Jahresfrist erst danach zu laufen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 19. Dezember 1984 - BVerwG GrSen 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 <362 ff.> = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33 S. 19 ff. und vom 7. November 2000 - BVerwG 8 B 137.00 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 99 S. 18; Urteile vom 24. Januar 2001 - BVerwG 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360 <362 ff.> = Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 40 S. 4 ff. und vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 3.09 - Buchholz 436.36 § 27 BAföG Nr. 6 Rn. 25).
- 20
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Das Oberverwaltungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung von diesen Rechtsgrundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass die Frist erst nach Durchführung des Anhörungsverfahrens im Juli 2006 zu laufen begonnen hat und demzufolge im Zeitpunkt der Rücknahme am 12. September 2006 noch nicht verstrichen war, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn für die Ermessensentscheidung über die Rücknahme waren notwendig auch die Aspekte zu berücksichtigen, die der Kläger - insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Betätigung schutzwürdigen Vertrauens - auf seine Anhörung vorbringen würde. Dabei kommt es für die vollständige Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen auf die Kenntnis der Leiterin der die Bescheinigung ausstellenden Behörde an. Denn diese war innerbehördlich zur abschließenden Prüfung der Frage zuständig, ob die Erteilung der Bescheinigung rechtswidrig erfolgt und zurückzunehmen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers kann nicht auf den nach seiner Ansicht "bösgläubigen" Sachbearbeiter abgestellt werden, der bereits zum Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung die maßgeblichen Tatsachen für eine Rücknahmeentscheidung gekannt habe.
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e) Das angefochtene Urteil steht aber mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit das Oberverwaltungsgericht die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Bescheinigung an der Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 2 VwVfG gemessen hat.
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Diese Vertrauensschutzregelung ist nur anzuwenden, wenn es um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt geht, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist. Ein derartiger Verwaltungsakt darf nach Satz 1 nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Dementsprechend ist die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG mit Rücksicht darauf, dass die Bescheinigung als solche keine Leistungen der genannten Art gewährt, aber der durch die Bescheinigung nachgewiesene Status grundsätzlich Voraussetzung für die Gewährung bestimmter Geld- oder Sachleistungen wie z.B. den finanziellen Hilfen nach § 9 BVFG, den Leistungen bei Krankheit nach § 11 BVFG, den Leistungen nach der Unfall- und Rentenversicherung nach § 13 BVFG und der Förderung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach § 14 BVFG ist (vgl. Urteil vom 24. Februar 2005 a.a.O. <103 f.> = S. 11), nur dann an § 48 Abs. 2 VwVfG auszurichten, wenn und soweit im Einzelfall feststeht, dass der Inhaber der Bescheinigung konkrete Geld- oder Sachleistungen erhalten oder sein Vertrauen im Hinblick auf den Erhalt solcher Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betätigt hat. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Ermessensentscheidung über die Rücknahme allein an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG zu messen (vgl. Urteile vom 20. März 1990 - BVerwG 9 C 12.89 - BVerwGE 85, 79 <84 ff.> = Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr. 14 S. 22 ff. und vom 17. Februar 1992 - BVerwG 9 C 152.90 - Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr. 16 S. 43 ff. sowie Beschluss vom 23. März 1993 - BVerwG 9 B 375.92 - juris Rn. 2). So ist es hier.
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Die Rücknahme der Bescheinigung des Klägers wirkt sich - worüber der Senat abschließend befinden kann - nur auf die dort getroffene Feststellung aus, dass er Ehegatte einer Spätaussiedlerin ist. Denn das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass dem Kläger auf der Grundlage der ihm erteilten Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. tatsächlich Geld- oder Sachleistungen gewährt wurden oder er solche etwa beantragt hat. Der Kläger hat derartiges auch nicht geltend gemacht, obwohl ihm insoweit bereits im Verwaltungsverfahren nach Maßgabe des § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG eine Mitwirkungspflicht oblegen hat, auf die er mit Anhörungsschreiben vom 4. Juli 2006 ausdrücklich hingewiesen wurde.
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f) Die von der Revision erhobene Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) hat keinen Erfolg. Sie bezieht sich auf Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG; Verursachungsbeitrag der Behörde), auf die es mangels Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG für die Entscheidung nicht ankommt.
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2. Das angefochtene Urteil stellt sich im Ergebnis auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist die Entschließung des Rechtsvorgängers des Beklagten, die rechtswidrige Bescheinigung zurückzunehmen, gemessen an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (a). Entsprechendes gilt, soweit der Rechtsvorgänger des Beklagten die Rücknahme der Bescheinigung zum Ausstellungstag ausgesprochen hat (b).
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a) Die an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG auszurichtende Ermessensentscheidung über das "Ob" der Rücknahme erweist sich als fehlerfrei.
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Im Rahmen der Ermessensausübung ist das öffentliche Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes mit dem Interesse des Betroffenen an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes abzuwägen. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind dabei grundsätzlich gleichwertig, sofern dem anzuwendenden Fachrecht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist (vgl. Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG 1 C 33.07 - Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 5 Rn. 12). Das ist vorliegend nicht der Fall (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1972 - BVerwG 1 C 32.71 - BVerwGE 41, 277 <280> = Buchholz 130 § 3 RuStAG Nr. 1 S. 3). Erforderlich ist eine umfassende Güterabwägung unter Einbeziehung aller wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls, wozu auch etwaige Vertrauensschutzgesichtspunkte gehören (vgl. Beschlüsse vom 7. November 2000 a.a.O.
und vom 14. April 2010 - BVerwG 8 B 88.09 - FamRZ 2010, 1250 m.w.N.). Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Rücknahmeentscheidung gerecht.
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Der Beklagte hat das ihm durch § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG eingeräumte Ermessen erkannt und das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsakts mit dem Interesse des Klägers an der Beibehaltung der rechtswidrigen Bescheinigung fehlerfrei abgewogen. Er hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger aufgrund der Bescheinigung keine unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile erhalten habe und zu Unrecht ein deutsches Personaldokument (Reisepass oder Personalausweis) besitze, da er nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Er hat ferner festgestellt, dass auch keine Vertrauenstatbestände ersichtlich seien, die so stark seien, dass sie einer Rücknahme der Bescheinigung entgegenstünden.
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b) Der Beklagte durfte gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG die Bescheinigung auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen. Dies begegnet im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Kläger hat durch die Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. nicht nach § 7 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) - StAG a.F. - die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, da er - wie unter 1. b) bb) dargelegt - nicht Ehegatte einer Spätaussiedlerin und damit kein sogenannter Statusdeutscher ist.
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Nach § 7 Satz 1 StAG a.F. erwirbt ein Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, mit der Ausstellung der Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 BVFG die deutsche Staatsangehörigkeit. Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 7 StAG a.F. setzt damit voraus, dass der Inhaber der Bescheinigung bei deren Ausstellung die Eigenschaft als Statusdeutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG besitzt. Hierfür spricht bereits der klare Wortlaut des Gesetzes (aa). Sinn und Zweck der Vorschrift (bb) sowie die Gesetzesmaterialien (cc) bestätigen dieses Normverständnis.
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aa) Der Wortlaut des § 7 Satz 1 StAG a.F. bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass das ausdrücklich aufgeführte Tatbestandsmerkmal "Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes" im staatsangehörigkeitsrechtlichen Kontext nicht zu prüfen ist und der gesetzliche Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 7 Satz 1 StAG a.F. allein an das formelle Vorliegen einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG geknüpft sein soll.
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bb) Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 7 StAG a.F. soll die Eingliederung von Statusdeutschen, d.h. von Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ohne deutsche Staatsangehörigkeit, in den deutschen Staatsverband erleichtern. Diese sollen in der Regel die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, ohne ein Einbürgerungsverfahren durchlaufen und die weiteren Voraussetzungen für eine Einbürgerung, die in der Regel wesentlich höher sind, erfüllen zu müssen. Objektiver Rechtfertigungsgrund für den vereinfachten Staatsangehörigkeitserwerb nach § 7 StAG ist die Rechtsstellung als Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG. § 7 StAG will nur denjenigen begünstigen, der tatsächlich Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist (vgl. Marx, in: GK-StAR, Stand August 2009, IV-2 § 7 Rn. 4 und 20; Renner/Maaßen, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, StAR, 5. Aufl. 2010, § 7 Rn. 16; s.a. Urteil vom 19. Juni 2001 - BVerwG 1 C 26.00 - BVerwGE 114, 332 <336> = Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 30 S. 9 unter Bezugnahme auf BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 5. Juli 2000 - 2 BvR 865/00 - NVwZ-RR 2000, 836).
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Unter welchen Voraussetzungen eine Person "als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte (oder Abkömmling)" diesen Status erwirbt, bestimmt sich nach Art. 116 Abs. 1 GG i.V.m. mit § 4 BVFG. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG zählt danach nicht zu den Erwerbsvoraussetzungen. Ihr kommt insoweit auch im Übrigen keine konstitutive Wirkung zu.
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cc) Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass die Eigenschaft als Statusdeutscher im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG tatbestandliche Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 7 Satz 1 StAG a.F. ist. Nach der Gesetzesbegründung zur Einführung dieser Vorschrift betrifft der Erwerbstatbestand Personen, die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 BVFG erfüllen (vgl. BTDrucks 14/533 S. 14; s.a. BTDrucks 16/5065 S. 227). Des Weiteren wird ausgeführt, "dagegen genügt es - entsprechend der bisherigen Praxis - für den Statuserwerb durch den nichtdeutschen Ehegatten nicht, wenn er nach dem Spätaussiedler die Aussiedlungsgebiete verlässt und erst in diesem Zeitpunkt die geforderte Ehedauer vorliegt. In diesen Fällen kann die deutsche Staatsangehörigkeit nur durch Einbürgerung erworben werden" (vgl. BTDrucks 14/533 S. 14 f.). Das zeigt, dass nach der gesetzgeberischen Vorstellung allein die formelle Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG nicht zum gesetzlichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit führen soll. Vielmehr soll der privilegierte Staatsangehörigkeitserwerb nach § 7 StAG a.F. nur bei einer materiell rechtmäßigen Bescheinigung eintreten. Denn käme es allein auf das formelle Vorliegen der Bescheinigung an, könnte der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 7 StAG nicht daran scheitern, dass der nichtdeutsche Ehegatte die Aussiedlungsgebiete nach dem Spätaussiedler verlassen und demzufolge nicht die materiellrechtliche Voraussetzung des § 7 Abs. 2 BVFG erfüllt hat.
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Die durch die Einfügung des gesetzlichen Erwerbstatbestandes angestrebte Entlastung der Einbürgerungsbehörden (vgl. BTDrucks 14/533 S. 14) entfällt dadurch nicht. Sie ist rein verfahrensrechtlicher Natur und liegt in dem Wegfall des bis dahin erforderlichen Einbürgerungsverfahrens für Spätaussiedler und deren nichtdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge.
Ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, ist nichtig. Der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat im Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG).
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Zugunsten der Klägerin und zweier weiterer Geschädigter war mit Bescheid vom 29. April 1982 über die einheitliche Feststellung von Vermögensschäden nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz (BFG) ein Wegnahmeschaden an zwei Mietwohngrundstücken in Magdeburg festgestellt worden. Den Bescheid erteilte das Ausgleichsamt des Landkreises Hannover als einheitliches Feststellungsamt (§ 33 Abs. 2 BFG). Weitere Geschädigte waren die Schwester der Klägerin und eine Tante. Der Klägerin wurde durch das Ausgleichsamt der Stadt Hannover Hauptentschädigung zuerkannt, für die Zuerkennung von Hauptentschädigung an die beiden anderen Geschädigten blieb das Ausgleichsamt des Landkreises zuständig. Dementsprechend wurden die Schadensakten getrennt geführt. Nach der Auflösung des Landkreises im Jahre 2001 gingen die Akten zur Weiterbearbeitung auf das Ausgleichsamt der Stadt Hannover über.
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Mitte 1992 nahm das Ausgleichsamt des Landkreises Ermittlungen auf, ob die Geschädigten über die Mietwohngrundstücke wieder frei verfügen konnten. Es wandte sich zunächst an die Schwester der verstorbenen Tante, sodann an Frau Gunda F., eine nichteheliche Tochter des vorverstorbenen Ehemanns der Tante, die diese beerbt hatte, sowie mit Schreiben vom 24. Januar 1995 auch an die Klägerin. Diese äußerte sich nicht schriftlich, sondern sprach zu einem nicht aufklärbaren Zeitpunkt beim Ausgleichsamt des Landkreises vor. Erkenntnisse über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gewann das Amt von dem Verwalter der Grundstücke in Magdeburg und aus dem Erbschein, der dem Ausgleichsamt im Juni 1995 zuging. Danach konnten die drei Miteigentümerinnen über ihre Grundstücke wieder frei verfügen. Entsprechend forderte das Ausgleichsamt des Landkreises von den beiden Miteigentümerinnen, für die es zuständig war, die ihnen gewährte bzw. zugeflossene Hauptentschädigung mit Rückforderungs- und Leistungsbescheiden von 1995 zurück. Das Ausgleichsamt der Stadt Hannover als für die Klägerin zuständiges Rückforderungsamt wurde über die Erkenntnisse nicht informiert. Von dem bei der Klägerin eingetretenen Schadensausgleich erfuhr es erst anlässlich einer Durchsicht der Schadensakten des ehemaligen Ausgleichsamtes des Landkreises am 21. Juli 2008. Die Rückforderung der ihr gewährten Hauptentschädigung in Höhe von 6 387,05 € folgte mit Bescheid vom 22. Juli 2010, der mit Bescheid vom 1. September 2010 berichtigt wurde. Die vornehmlich auf Verjährung der Rückforderung gestützte Beschwerde wies die Beschwerdestelle für Lastenausgleichssachen bei dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport mit Bescheid vom 23. September 2010 zurück.
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Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen den Rückforderungs- und Leistungsbescheid abgewiesen und ausgeführt, die Klägerin könne über ihren Miteigentumsanteil seit der Wiederherstellung der Deutschen Einheit frei verfügen, der Rückforderungsbetrag sei zutreffend ermittelt. Die Rückforderung sei auch nicht wegen Verstreichens der Rückforderungsfrist ausgeschlossen; weder die vierjährige noch die zehnjährige Frist nach § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG seien abgelaufen. Zwar habe das Ausgleichsamt des Landkreises Hannover bereits 1995 vom Schadensausgleich erfahren. Zuständig für die Rückforderung von der Klägerin sei jedoch das Ausgleichsamt der Stadt Hannover, das von den Verhältnissen erst am 21. Juli 2008 erfahren habe. Die frühere Kenntnis des Rückforderungsamtes des Landkreises müsse das Ausgleichsamt der Stadt nicht gegen sich gelten lassen. Die Regelung in Tz. 8.4.5 des Rückforderungsrundschreibens des Bundesausgleichsamtes, wonach die Rückforderungsfrist in Fällen einer aktiven Befragung der Beteiligten durch ein einheitliches Feststellungsamt in der Regel sämtlichen Beteiligten gegenüber zu laufen beginne, wenn das Feststellungsamt die nötige Kenntnis erworben habe, greife nicht ein. Es sei schon zweifelhaft, ob alle Beteiligten, wie es danach erforderlich sei, schriftlich befragt worden seien; jedenfalls fehle es an einer aktiven Mitwirkung der Klägerin. Ihre Behauptung, den Schadensausgleich bei ihrer persönlichen Vorsprache bei dem Ausgleichsamt des Landkreises bestätigt zu haben, sei nicht erwiesen. Abgesehen davon fehle es an einer erfolgreichen aktiven Befragung, weil eine der Rückzahlungsverpflichteten den Schadensausgleich nicht bestätigt habe. Tz. 8.4.5 des Rückforderungsrundschreibens sei aber nur dann einschlägig, wenn die Kenntnis sämtlicher Rückforderungsvoraussetzungen auf einer Mitwirkung der Betroffenen beruhe. Ohne Konsequenzen bleibe auch, dass die Erkenntnisse nicht an das Ausgleichsamt der Stadt weitergeleitet worden seien. Zwar sehe das Rückforderungsrundschreiben eine enge Zusammenarbeit der Ämter vor; hieraus folge aber nicht, dass Kenntnisse eines Feststellungs- und Rückforderungsamtes einem anderen ohne Weiteres zuzurechnen seien. Es habe sich auch nicht um auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten gehandelt. Die Ausschlussfrist sei daher erst am 1. Januar 2009 in Gang gesetzt worden, die maßgebliche Vierjahresfrist bei Bescheiderlass 2010 noch nicht abgelaufen gewesen.
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Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansicht weiter, die Rückforderungsfrist sei verstrichen gewesen. Es sei dem Rückforderungsamt der Stadt zuzurechnen, dass einem anderen Rückforderungsamt schon 1995 der Schadensausgleich und die Rückzahlungspflichtigen bekannt gewesen seien. Für den Fristbeginn genüge es, dass die nötigen Erkenntnisse bei irgendeiner Behörde der Ausgleichsverwaltung vorhanden seien. Dafür spreche schon der Wortlaut des § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG, der im Unterschied zu Satz 3 nicht von der "zuständigen Ausgleichsbehörde", sondern nur von einer "Ausgleichsbehörde" spreche. Dasselbe ergebe sich aus den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2010 - 3 C 23.09 - und vom 28. September 2011 - 3 C 38.10 -. Ermittele ein einheitliches Feststellungsamt, werde dies von den Befragten stets als das maßgebliche Amt wahrgenommen, denn die Betroffenen müssten nicht damit rechnen, dass sich eine unzuständige Behörde an sie wende. Das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen an die aktive Befragung nach dem Rückforderungsrundschreiben. Es müsse ausreichen, wenn die Ausgleichsbehörde die für die Rückforderung nötigen Erkenntnisse von einem der Rückzahlungspflichtigen erhalte, die Frist laufe dann auch für alle anderen. Das bestätige der Präsident des Bundesausgleichsamtes in einem Schreiben vom 30. Juli 1998. Mehr als zehn Jahre nach der Rückforderung von den anderen Miteigentümern habe sie, die Klägerin, auch nicht mehr damit rechnen müssen, noch in Anspruch genommen zu werden. Jedenfalls aber sei die vierjährige Frist im Jahre 2001 angelaufen, als die Schadensakten auf das zuständige Rückforderungsamt übergegangen seien. Dadurch sei dieses Amt unmittelbar in den Besitz aller nötigen Kenntnisse gelangt.
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Die Beklagte tritt dem Revisionsbegehren entgegen. Es komme allein auf die Kenntnis des für die Klägerin zuständigen Ausgleichsamtes an. Die Kenntnis des einheitlichen Feststellungsamtes könne diesem nicht zugerechnet werden, weil es der Klägerin nicht als zuständiges Rückforderungsamt entgegengetreten sei. Die Voraussetzungen der aktiven Befragung nach Tz. 8.4.5 des Rückforderungsrundschreibens habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Zudem habe sie nicht annehmen können, ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nachgekommen zu sein.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage ohne Verstoß gegen Bundesrecht abgewiesen und dabei die im Revisionsverfahren zentrale Frage, ob die Rückforderung wegen Verstreichens der dafür geltenden Frist ausgeschlossen ist, im Ergebnis zu Recht verneint.
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1. Nach § 349 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 342 Abs. 3 Satz 1 und 2 LAG sind die zuviel gewährten Ausgleichsleistungen zurückzufordern, wenn nach dem 31. Dezember 1989 ein Schaden, für den Lastenausgleich gewährt worden ist, ganz oder teilweise ausgeglichen wird. Der zugunsten der Klägerin und der weiteren Geschädigten festgestellte Wegnahmeschaden an Mietwohngrundstücken in Magdeburg war am 3. Oktober 1990 ausgeglichen. Die Anerkennung eines Wegnahmeschadens beruhte darauf, dass die in der Bundesrepublik befindlichen Eigentümer keinen Zugriff auf ihr Grundvermögen hatten. Die tatsächliche Unmöglichkeit, über ein im Schadensgebiet befindliches Wirtschaftsgut zu verfügen, stand gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 BFG einer Wegnahme gleich. Diese Lage war infolge der Wiedervereinigung und der damit einhergehenden Wiedererlangung der vollen Verfügungsmöglichkeit über diese Vermögenswerte beseitigt, der Wegnahmeschaden galt gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG als in voller Höhe ausgeglichen (zu dieser so genannten Mietwohngrundstücksregelung vgl. auch Tz. 5.2.1.1 des Rückforderungsrundschreibens des Bundesausgleichsamtes i.d.F. vom 29. Januar 2013 sowie BVerwG, Beschluss vom 9. September 2004 - 3 B 42.04 - juris Rn. 6).
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2. Die Rückforderung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Ausschlussfrist des § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheides abgelaufen gewesen wäre.
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a) Die Frist beginnt nach § 349 Abs. 5 Satz 4 Halbs. 1 LAG nach dem Kalenderjahr, in dem die Ausgleichsbehörde von dem Schadensausgleich und von der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt hat. Fristauslösend ist die Kenntnis der für die Rückforderung zuständigen Behörde, unerheblich, ob die Kenntnis bei einer anderen Behörde der Ausgleichsverwaltung vorhanden ist. Dass es allein auf die Kenntnis der zuständigen Rückforderungsbehörde ankommt, ergibt sich deutlich aus dem Gesetz und erklärt sich aus den Notwendigkeiten einer Massenverwaltung, die den gesamten Lastenausgleich rückabzuwickeln hat und dabei auf Informationen Dritter und die Erkenntnisse und Ergebnisse anderer Verwaltungsverfahren, die zum Schadensausgleich führen (vgl. etwa § 349 Abs. 3 Satz 4 und 5 LAG), angewiesen ist. Der Senat hat das wiederholt klargestellt (BVerwG, Beschlüsse vom 9. September 2004 - 3 B 42.04 - juris Rn. 7 und vom 25. Juli 2007 - 3 B 4.07 - juris Rn. 6), aus den von der Klägerin angeführten Entscheidungen ergibt sich nichts anderes. Hieran ist festzuhalten. Wenn in Satz 3 von "der zuständigen Ausgleichsbehörde" die Rede ist, in Satz 4 aber nur von der "Ausgleichsbehörde", bedeutet das keinen Unterschied, sondern eine bloße sprachliche Verkürzung. Satz 4 spart ein Wort ein, das sich aus dem Zusammenhang und dem Rückbezug auf Satz 3 von selbst versteht.
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b) Örtlich zuständig für die Rückforderung war bereits 1995 das Ausgleichsamt der Stadt Hannover, bei dem die Akten der Klägerin geführt wurden. Das ergibt sich aus Tz. 12.1 des Rückforderungsrundschreibens, wonach die örtliche Zuständigkeit des Rückforderungsamtes aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung "eingefroren“ ist. Für die Rückforderung in abgeschlossenen Gewährungsfällen ist das Ausgleichsamt zuständig, bei dem sich am 31. Juli 1992 die Hauptentschädigung-Zuerkennungsakte befand. Mangels normativer Festlegung der Zuständigkeit war der Präsident des Bundesausgleichsamtes nach Art. 120a Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 319 Abs. 2 Satz 2 LAG zu einer Bestimmung durch allgemeine Verwaltungsvorschrift im Sinne des Art. 85 Abs. 2 GG ermächtigt.
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c) Fristauslösend ist die positive Kenntnis von dem Schadensausgleich und von der Person des Verpflichteten, gleichgültig, worauf sie beruht (BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 2009 - 3 B 112.08 - ZOV 2009, 256 f.) und ob oder inwieweit sich die Ausgleichsbehörde um Kenntniserlangung bemüht hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 2008 - 3 B 3.08 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 18 Rn. 5 und vom 3. November 2009 - 3 B 41.09 - ZOV 2010, 31). Diese positive Kenntnis hat das Ausgleichsamt der Stadt Hannover nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts am 21. Juli 2008 erlangt, sodass die Vierjahresfrist am 1. Januar 2009 begonnen hatte und bei Bescheiderlass im Jahre 2010 nicht abgelaufen war.
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d) Das zuständige Ausgleichsamt hat die fristauslösenden Kenntnisse nicht schon im Jahr 2001 erlangt, als ihm die Akten des Ausgleichsamtes des Landkreises Hannover - nach dessen Auflösung - zur zuständigkeitsgemäßen Weiterbearbeitung zugeleitet wurden. In Fällen solcher Funktionsnachfolge von Ämtern verschiedener Verwaltungsträger muss das nachfolgende Amt die Kenntnis des Funktionsvorgängers von im Rechtsverkehr erheblichen Umständen nur dann gegen sich gelten lassen, wenn dieser für die Verwaltungsaufgabe vor dem Funktionswechsel zuständig war. Nur dann darf der Bürger darauf vertrauen, dass die Verwaltung das ihr zuständigkeitsgemäß vermittelte, typischerweise aktenmäßig festgehaltene Wissen so organisiert, dass es bis zum Abschluss eines Verwaltungsverfahrens verfügbar bleibt und dass ihm durch seinem Einfluss entzogene Umstrukturierungen keine Nachteile entstehen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1996 - V ZR 239/94 - BGHZ 132, 30 <35 ff.>). Diese Erwägungen gelten nicht für Kenntnisse, die der Funktionsvorgänger nicht als zuständige Behörde, sondern bei der Wahrnehmung anderer Verwaltungsaufgaben beiläufig gewonnen und in seinen Akten niedergelegt hat und die nicht für seinen Zuständigkeitsbereich rechtserheblich waren. Unter solchen Voraussetzungen fehlt es an der Kontinuität der Zuständigkeiten, die es rechtfertigt, die einmal erworbene Kenntnis ungeachtet des Funktionswechsels als fortbestehend zu betrachten. Der Bürger kann auch nicht ernstlich darauf vertrauen, dass aktenkundige Kenntnisse einer bisher unzuständigen Behörde, die infolge eines - aus seiner Sicht zufälligen - Wechsels von Zuständigkeiten und der damit verbundenen Aktenübernahme in den Bereich der zuständigen Behörde gelangen, in dem Moment der Aktenübernahme als der neuen Behörde bekannt gelten. Vielmehr bleibt es in solchen Fällen auch unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes bei dem Grundsatz, dass positive Kenntnis im Sinne des § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG erst dann gegeben ist, wenn dem zuständigen Ausgleichsamt der rechtserhebliche Sachverhalt tatsächlich bekannt ist. Ist dieser von einem unzuständigen Ausgleichsamt ermittelt worden, erlangt das zuständige Amt bei einer durch Zuständigkeitswechsel veranlassten Aktenübernahme erst in dem Zeitpunkt Kenntnis, in dem der mit der Sachbearbeitung betraute Bedienstete die rechtserheblichen Umstände den Akten entnimmt, hier also am 21. Juli 2008.
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3. Die Kenntnisse der Ausgleichsbehörde des Landeskreises aus dem Jahre 1995 muss die zuständige Ausgleichsbehörde auch nicht aus anderen Gründen gegen sich gelten lassen. Für eine Zurechnung dieses Wissens an die zuständige Ausgleichsbehörde fehlt eine Rechtsgrundlage.
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a) Die Rechtsgrundlage kann nicht in Tz. 8.4.5 des Rückforderungsrundschreibens gesehen werden. Die Anwendung dieser Bestimmung würde zu einer materiellen Verkürzung von Rückforderungsansprüchen führen, weil die Ausgleichsverwaltung dadurch angehalten wird, von der Geltendmachung von Ansprüchen abzusehen, die objektiv noch durchsetzbar sind. Zu einer derart anspruchsverkürzenden Regelung ist der Präsident des Bundesausgleichsamtes nicht ermächtigt. Auch Art. 120a GG erlaubt ihm nicht, durch Verwaltungsvorschrift vom Gesetz abzuweichen oder ihm einen Inhalt zuzuschreiben, der sich mit der objektiven Rechtslage als unvereinbar erweist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 14.11 - BVerwGE 143, 314 Rn. 30; Beschluss vom 13. November 1987 - 3 B 14.87 - Buchholz 427.6 § 30 BFG Nr. 5 S. 2). Daher kann Tz. 8.4.5 des Rückforderungsrundschreibens nur Bedeutung haben, soweit darin im Sinne einer norminterpretierenden Verwaltungsvorschrift rechtsfehlerfrei erläutert wird, was sich für die geregelte Fallkonstellation aus Gesetz und Recht ergibt. Nichts anderes gilt für das Rundschreiben des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes von 1998, auf das die Klägerin sich beruft.
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b) Die Klägerin kann ihre Auffassung auch nicht auf die Grundsätze der Wissenszurechnung entsprechend § 166 BGB stützen, die allerdings auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruchen (vgl. dazu Schramm, in: MünchKommBGB, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, § 166 Rn. 24 und Schilken, in: Staudinger, BGB, § 166 Rn. 40). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass zwischen verschiedenen Behörden (desselben oder eines anderen Rechtsträgers) im Grundsatz keine Zurechnung von Kenntnissen stattfindet. Aus Respekt vor der behördlichen Zuständigkeitsordnung hat die Beurteilung behördlichen Handelns nur auf das bei der zuständigen Behörde vorhandene Wissen abzustellen. Für die mit einer Wissenszurechnung verbundene Durchbrechung von gesetzlichen Zuständigkeitsgrenzen bietet der Rechtsgedanke des § 166 BGB allein keine Grundlage (stRspr; vgl. BGH, Urteile vom 4. Februar 1997 - VI ZR 306/95 - BGHZ 134, 343 <348>, vom 15. Dezember 2005 - IX ZR 227/04 - NJW-RR 2006, 771 Rn. 13 und vom 30. Juni 2011 - IX ZR 155/08 - BGHZ 190, 201 Rn. 16 ff.; Beschluss vom 29. Juni 2006 - IX ZR 167/04 - juris Rn. 3; ebenso BSG, Urteil vom 17. April 2008 - B 13 R 123/07 R - BSGE 100, 215 Rn. 20 und VGH München, Beschluss vom 2. Mai 2013 - 4 ZB 12.1393 - BayVBl. 2014, 81 Rn. 10).
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Zwar sind Ausnahmen anerkannt, nach denen in Anwendung vorrangiger Rechtsgrundsätze eine Wissenszurechnung auch zwischen verschiedenen Behörden geboten ist. So muss etwa eine Behörde, die eine andere mit der Erledigung ihrer Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, sich das Wissen zurechnen lassen, das die ausführende Behörde in diesem Rahmen erlangt (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2013 - IX ZR 115/12 - MDR 2013, 620 Rn. 4; Urteile vom 25. Juni 1996 - VI ZR 117/95 - BGHZ 133, 129 <138> und vom 4. Februar 1997- VI ZR 306/95 - BGHZ 134, 343 <347 f.>.). Eine Zurechnung kann auch aus Gründen des Verkehrsschutzes geboten sein, wenn etwa der Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens berechtigterweise darauf vertrauen darf, dass das von einem Bediensteten erlangte Wissen in einer Verwaltungseinheit übergreifend verfügbar ist. Die Risiken einer Wissensaufteilung hat derjenige zu tragen, der sie veranlasst hat und durch zweckmäßige Organisation beherrschen kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1996 - V ZR 239/94 - BGHZ 132, 30 <35 f., 38 f.).
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Diese Erwägungen bieten aber im Fall der Klägerin keine taugliche Grundlage für eine Zurechnung. Als Ansatzpunkte hierfür kommen nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nur der Schutz der Klägerin infolge der "aktiven Befragung“ durch das Rückforderungsamt des Landkreises und dessen Versäumnis in Betracht, maßgebliche Erkenntnisse weiterzuleiten. Die Klägerin durfte jedoch nicht infolge der Ermittlungen des Landkreises annehmen, dass die Ausschlussfrist nach § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG auch ihr gegenüber schon im Jahre 1995 ausgelöst worden ist. Es mag insofern einem Rückzahlungspflichtigen in Fällen der "aktiven Befragung“ im Sinne der Tz. 8.4.5 des Rückforderungsrundschreibens nicht zum Nachteil gereichen, dass das befragende Amt nicht für ihn zuständig ist. Den Befragten ist nicht abzuverlangen, die behördliche Zuständigkeitsordnung zu durchschauen, sodass es genügen kann, wenn ein ehemals für die Schadensfeststellung zuständiges einheitliches Feststellungsamt tätig wird und den objektiven Anschein einer für die Rückforderung fortbestehenden Zuständigkeit nicht ausräumt. Zur Entstehung einer Vertrauensgrundlage muss der Rückzahlungspflichtige aber seinerseits alles getan haben, um die Rückforderungsfrist, die für jeden Verpflichteten gesondert läuft, in Gang zu setzen. Dazu muss er gegenüber dem um Informationen nachsuchenden (unzuständigen) Amt, wiewohl diesem gegenüber nicht anzeigepflichtig, seine Mitwirkungspflicht gemäß den Vorgaben des § 349 Abs. 5 Satz 3 LAG einschränkungslos erfüllt und aus seiner Sicht die Voraussetzungen geschaffen haben, damit der ihm gezahlte Lastenausgleich zurückgefordert werden kann. Eine solche Erfüllung der Mitwirkungspflichten hat das Verwaltungsgericht für die Klägerin nicht festgestellt. Es hat zwar angenommen, dass die Klägerin - zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt - beim Ausgleichsamt des Landkreises vorgesprochen hat; jedoch ist im Dunkeln geblieben, ob dies rechtzeitig geschehen ist und sie dabei die ihre Person betreffenden Angaben gemacht hat. Die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen, sie ist daher für den Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin nicht zugutekommt, dass der Landkreis das für die Klägerin zuständige Rückforderungsamt nicht informiert hat. Zwar verstieß dieses Unterlassen gegen die ausdrückliche und die nachgeordneten Ämter bindende Anweisung in Tz. 12.5 Satz 10 des Rückforderungsrundschreibens. Deshalb ist die Klägerin aber nicht so zu behandeln, als sei das für sie zuständige Ausgleichsamt umgehend - nämlich noch im Jahr 1995 - in Kenntnis gesetzt worden und die mangels Mitwirkung der Klägerin ausgelöste Zehnjahresfrist (§ 349 Abs. 5 Satz 4 Halbs. 2 LAG) am 31. Dezember 2005, also vor Erlass des angefochtenen Bescheides abgelaufen. Veranlassung, die Klägerin nach Treu und Glauben oder nach dem Grundgedanken des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (dazu BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 3 C 36.10 - BVerwGE 140, 103 Rn. 22 f. so zu stellen, als hätte der Landkreis seine Informationspflicht erfüllt, besteht nicht. Denn die Verpflichtung zur Informationsweiterleitung entfaltet keine Schutzwirkung zugunsten von Rückzahlungspflichtigen; sie soll lediglich im Interesse der Verwaltung sicherstellen, dass begründete Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht werden können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
- 1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, - 2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - 3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
- 1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder - 2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der Kläger stützt ihn auf die Zulassungsgründe die Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 5 VwGO. Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.
2I. Das Antragsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
31. Der Kläger macht zur Begründung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel zunächst geltend, der angegriffene Bescheid vom 18. Oktober 2011 sei rechtsfehlerhaft, weil ihm die begehrte Akteneinsicht in den der Entziehungsentscheidung zugrunde liegenden "Report" (gemeint ist offensichtlich der "Prüfbericht zu den Plagiatsvorwürfen gegen Dr. K. D. " der vom Promotionsausschuss eingerichteten Arbeitsgruppe, Blatt 45 ff. der Verwaltungsvorgänge) nicht gewährt worden sei. Der Kläger setzt jedenfalls der Annahme des Verwaltungsgerichts nichts Durchgreifendes entgegen, ein Mangel in Bezug auf die Gewährung der Akteneinsicht sei gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Nach dieser auf die Versagung von Akteneinsicht anwendbaren,
4vgl. Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 29 Rdn. 86; Herrmann in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 29 Rdn. 36; Ritgen in Knack/Henneke, VwVfG, 10. Auflage 2014, § 29 Rdn. 134,
5Bestimmung kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Dies hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen. Es hat ausgeführt, der Kläger sei sowohl in der Sitzung des Promotionsausschusses vom 20. Juni 2011 als auch mit dem Anhörungsschreiben vom 5. Juli 2011 über den wesentlichen Inhalt des Untersuchungsberichts informiert worden; er habe dazu Stellung nehmen können und auch genommen. Zusätzlich habe er eine eigene umfangreiche Stellungnahme zu allen von Vroni-Plag untersuchten Stellen vorgelegt; nichts anderes als diese Passagen aber habe die Arbeitsgruppe in dem Bericht untersucht. Letztendlich sei die Entscheidung auf die Annahme einer Täuschung aufgrund der vom Kläger selbst eingeräumten Zitierweise gestützt.
6Diese zutreffenden Ausführungen stellt der Zulassungsantrag nicht durchgreifend in Frage. In der Tat hat die Beklagte in ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, für rund 60 % der Seiten der Dissertation seien Textübernahmen festgestellt, die der Kläger lediglich durch nachgestellte Fußnoten gekennzeichnet habe; der genaue Umfang sei ohne Belang. Der Kläger habe den - teilweisen - bewussten Verzicht auf eine Kennzeichnung der wörtlichen Übernahmen durch An- und Abführungsstriche oder deren optische Hervorhebung ausdrücklich eingeräumt und lediglich in quantitativer Hinsicht in Frage gestellt. All dies stellt der Kläger weiterhin nicht in Abrede. Namentlich hat er von Beginn an eingeräumt, einen erheblichen Teil der umfangreichen wörtlichen Textübernahmen - teils einschließlich der darin enthaltenen Fußnoten - lediglich durch Fußnoten gekennzeichnet zu haben. So hat er bereits in seiner E-Mail vom 14. Mai 2011 erklärt, (wörtliche) Zitate teils durch Einrückung und kursive Schrift, teils durch An- und Abführungszeichen, teils aber auch nur durch Fußnote ausgewiesen zu haben. In seiner Stellungnahme vom 15. Juni 2011 hat er ausgeführt, letztgenannte Zitierweise ziehe sich durch die gesamte Dissertation hindurch; ca. 36 % des Fließtextes entsprächen der von ihm "genutzten" Zitierweise. Für ca. 10 % des gesamten Textes hat er überdies eingeräumt, dass bei Fremdtextübernahmen die Zuordnung der Fußnoten zumindest nicht eindeutig sei und vereinzelt jede Kennzeichnung fehle. In der Sitzung am 20. Juni 2011 hat der Kläger die Vorgehensweise, wörtliche Textübernahmen lediglich durch Fußnoten auszuweisen, als "charakteristisch" für seine Arbeit bezeichnet. Angesichts all dessen ist nicht nachvollziehbar, inwieweit die bemängelte Verweigerung von Akteneinsicht in den Bericht der Arbeitsgruppe von Einfluss auf das Entscheidungsergebnis gewesen sein kann. Das Zulassungsvorbringen, es hätte "die Möglichkeit gegeben (…), bei einer Stellungnahme nach Akteneinsicht Gremiumsmitglieder zu einer anderen Meinung zu bringen", erschöpft sich in einer Spekulation ohne Substanz; der Kläger lässt es an einer Darlegung dazu fehlen, was er dann hätte vortragen können, und insbesondere, aufgrund welcher Zusammenhänge er das, was er im Übrigen selbst eingeräumt hat, dann hätte in Abrede stellen sollen.
72. Der Kläger dringt auch nicht mit dem Vorbringen durch, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Es kann auf sich beruhen, ob das rechtswidrige Unterbleiben eines Widerspruchsverfahrens auf einen Verfahrensmangel führt, der dem angegriffenen Verwaltungsakt selbst anhaftet. Denn ein Widerspruchsverfahren war im Streitfall nicht statthaft.
8Der Kläger bezieht sich insoweit auf die Auffassung von Bausback (Zur und für die Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens als Regelrechtsbehelf im Rahmen universitärer Abschlussprüfungen, NWVBl 2008, 296 [297]), wonach die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens durch das Bürokratieabbaugesetz II Prüfungsordnungen der Universitäten und gleichgestellter Hochschulen nicht erfasse. Diese Ansicht hat - soweit ersichtlich - Gefolgschaft zu Recht nicht gefunden. Für die am 18. Oktober 2011 erlassene streitgegenständliche Verfügung ist maßgeblich § 110 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW vom 26. Januar 2010 (GV. NRW. S. 30; inhaltsgleich § 6 Abs. 1 Satz 1 AG VwGO NRW in der Fassung vom 9. Oktober 2007, GV. NRW. S. 393). Ihr zufolge bedurfte es vor Erhebung einer Anfechtungsklage einer Nachprüfung in einem Vorverfahren abweichend von § 68 Absatz 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht, wenn der Verwaltungsakt - wie hier - während des Zeitraums vom 1. November 2007 bis zum 31. Oktober 2012 bekannt gegeben worden war und keiner der in Absätze 2 und 3 geregelten Ausnahmetatbestände eingriff. Der Landesgesetzgeber hat dieser Regelung ersichtlich Geltung allgemein auch für den Bereich der Hochschulen zugemessen. Andernfalls wäre unverständlich, dass in § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 b) JustG NRW Verwaltungsakte, die von bei den staatlichen Hochschulen eingerichteten Ämtern für Ausbildungsförderung erlassen werden, von der Regelung des Abs. 1 ausdrücklich ausgenommen werden.
9Vgl. noch deutlicher § 26 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung, wonach in Hochschulangelegenheiten generell der Widerspruch nicht gegeben ist.
10Für die Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AG VwGO NRW bzw. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JustG NRW, wonach die Regelung des Absatz 1, also die Abschaffung des Vorverfahrens, nicht gilt für den Erlass oder die Ablehnung der Vornahme von Verwaltungsakten, denen die Bewertung einer Leistung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung zugrunde liegt, ist nicht der Gesichtspunkt der Hochschulautonomie maßgeblich. Leitend ist insoweit vielmehr die Erkenntnis, dass es aus Gründen des Grundrechtsschutzes notwendig ist, die Beschränkungen der gerichtlichen Überprüfbarkeit solcher Prüfungen - die im Übrigen nicht nur von Hochschulen durchgeführt werden - durch eine gegenständlich unbeschränkte verwaltungsinterne Nachprüfung zu kompensieren. Die Gesetzesbegründung bezieht sich insoweit ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach mit Blick darauf, dass berufsbezogene Prüfungen intensiv in die durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufswahl eingreifen und die gerichtliche Kontrolle gerade im Bereich der Bewertung von Leistungen an Grenzen stößt, der Grundrechtsschutz des Prüflings durch die Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens zu bewirken und dem Prüfling Gelegenheit zu geben ist, auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler der Prüfungsbehörde rechtzeitig und wirkungsvoll hinzuweisen, um damit ein Überdenken anstehender oder bereits getroffener Prüfungsentscheidungen zu erreichen.
11Vgl. LT-Drucks. 14/4199, S. 8.
12Eine Verletzung der Hochschulautonomie liegt in der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens auch für den Bereich der Hochschulen nicht, weil jene die Gewährleistung eines solchen verwaltungsprozessualen Vorverfahrens nicht umfasst. Der Hochschule kommt die Kompetenz zur Regelung von Hochschulprüfungen (§ 64 HG NRW) und Promotion (§ 67 Abs. 3 HG NRW) zu; ihr fehlt als Satzungsgeber die Regelungskompetenz für eine Normierung des Vorverfahrens als verwaltungsprozessuale Sachurteilsvoraussetzung, die nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch den Gesetzgeber zu erfolgen hat.
13Vgl. Geis in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 68 Rdn.122; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 68 Rdn. 24.
14Es ist auch nicht anzunehmen, dass mit der Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vom 4. Juni 2010 (Amtliche Bekanntmachungen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 40. Jahrgang Nr. 08 vom 10. Juni 2010, im Folgenden: PO) ein eigenständiges, von § 68 Abs. 1 VwGO unabhängiges Vorverfahren etabliert werden sollte. Für eine solche Annahme reicht die bloße Erwähnung des Widerspruchs in § 3 Abs. 2 und 3 PO ohne jegliche nähere Regelung etwa zu Form und Frist eines solchen Widerspruchs und das weitere einzuhaltende Verfahren nicht aus. Beide Bestimmungen beschränken sich auf Regelungen über die Zuständigkeit - unter anderem - für Entscheidungen über Widersprüche; sie setzen Regelungen darüber, wann ein Widerspruch als Rechtsbehelf gegeben ist, ersichtlich voraus. Die Vorschriften sind mit dem Inkrafttreten von § 6 Abs. 1 Satz 1 AG VwGO NRW bzw. § 110 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW in der oben genannten Fassung auch schon deshalb nicht obsolet geworden, weil diese Vorschriften in ihrer zeitlichen Geltung (zunächst) limitiert waren.
153. Der Kläger wirft dem Verwaltungsgericht des Weiteren zu Unrecht, vor "die Beweislage verkannt" zu haben. Die Beanstandung, es fehlten ausreichende Feststellungen dazu, "wer denn wie getäuscht worden sein soll", ist unzutreffend. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr näher ausgeführt, der Kläger habe bei der Erstellung und Einreichung seiner Dissertation getäuscht, weil er wahrheitswidrig bei Zulassung zur Promotion eidesstattlich erklärt habe, "die Stellen der Arbeit - einschl. Tabellen, Karten, Abbildungen usw. -, die anderen Werken dem Wortlaut oder Sinn nach entnommen" seien, kenntlich gemacht zu haben. Entgegen dieser Versicherung habe er die in ihrem Wortlaut entnommenen Stellen seiner Arbeit nicht hinreichend kenntlich gemacht und diese so als eigene Leistung ausgegeben. Allein die - vom Kläger in seiner Stellungnahme vom 15. Juni 2011 eingeräumte - unzureichende Kenntlichmachung von Fremdtextübernahmen im Umfang von ca. 10 % des gesamten Textes begründe die fehlende Übereinstimmung der von ihm verfolgten Verfahrensweise mit der abgegebenen Erklärung. Unabhängig von dieser Erklärung seien wortwörtliche Übernahmen grundsätzlich als solche kenntlich zu machen. Aufgrund der vom Kläger vorgenommenen Täuschung seien die für die Entscheidung zuständigen Gutachter dem Irrtum unterlegen, nur die besonders (durch Anführungszeichen) gekennzeichneten Stellen seien wörtliche Übernahmen, die durch Fußnoten gekennzeichneten Stellen hingegen eigene Worte des Klägers, in denen er sich mit den angegebenen Werken auseinander setze.
16Auch die Feststellungen zum Vorsatz sind entgegen der Auffassung des Klägers auf eine zureichende Tatsachengrundlage gestützt ungeachtet des Umstands, dass das originale Korrekturexemplar nicht mehr zur Verfügung stand. Wie bereits oben ausgeführt, gesteht der Kläger zu, einen erheblichen Teil der umfangreichen wörtlichen Textübernahmen lediglich durch Fußnoten gekennzeichnet zu haben, dies teils einschließlich der darin enthaltenen Fußnoten und für ca. 10 % des gesamten Textes so, dass eine Zuordnung der Fußnoten zu eigenem oder fremden Text nicht eindeutig sei. Die Gutachter der Dissertation, Prof. Dr. L. und Prof. Dr. I. , haben in ihren Stellungnahmen vom 2. und 13. Juni 2011 sowie vom 3. Juni 2011 sowie in den Sitzungen des Fakultätsrats am 20. Juni 2011 und am 13. Juli 2011 erklärt, ihnen sei der Umfang übernommener Fremdtexte seinerzeit nicht aufgefallen oder sonst bekannt gewesen; wäre das der Fall gewesen, wäre die Arbeit nicht angenommen worden. Das ist ohne Weiteres nachvollziehbar und glaubhaft und musste dem Kläger klar sein. Demgegenüber bleibt der Vortrag des Klägers ohne Substanz, die jetzt bemakelten Fehler seien, wie er wiederholt bekundet habe, nach seiner Erinnerung bereits Gegenstand der Betreuungsgespräche gewesen. Auf die Frage, ob die Gutachter den Umfang der Textübernahmen bei genauerer Prüfung hätten erkennen können oder müssen, kommt es nicht an; derartige Betreuungs- oder Sorgfaltsmängel auf Seiten der Getäuschten ließen weder die Täuschung noch den Täuschungsvorsatz entfallen.
17Vgl. Löwer, Aus der Welt der Plagiate, Rechtswissenschaft 2012, 116 (137 f.).
18Für den Täuschungsvorsatz des Klägers spricht nach Auffassung des Senats im Übrigen namentlich der Umstand, dass dieser einen - geringen - Teil seiner Fremdtextübernahmen durch An- und Abführungszeichen oder kursive Schreibweise als solche gekennzeichnet hat, den überwiegenden Teil jedoch nicht. Gerade diese differenzierte Vorgehensweise lässt darauf schließen, dass der Kläger den Umfang der wörtlichen Übernahmen verschleiern wollte. Seine Erklärung, er habe die ordnungsgemäßen Kennzeichnungsweisen genutzt, wenn er Aussagen besonders habe hervorheben wollen, und darauf ansonsten aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet, ist unglaubhaft.
19Angesichts dessen ist nicht entscheidend, dass das originale Korrekturexemplar nicht mehr zur Verfügung stand.
204. Auch das Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe die "1-Jahres-Regel nach Bekanntwerden von Vorwürfen für die Rücknahmeentscheidung verkannt", bleibt ohne Erfolg. Mangels näherer Darlegung ist anzunehmen, dass der Kläger mit dem Einwand geltend machen will, die Entziehung des Doktorgrades sei in seinem Fall gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW ausgeschlossen. Dabei lässt er es jedoch schon an jeder Auseinandersetzung mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts fehlen, wonach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW jedenfalls nach § 48 Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW unanwendbar ist.
21II. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen. Solche Schwierigkeiten liegen vor, wenn der Sachverhalt komplex ist und/oder Rechtsfragen aufgeworfen werden, die sich nicht schon ohne Weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit klären und entscheiden lassen. Der Zulassungsantrag zeigt nicht auf, dass eine diese Alternativen erfüllt wäre.
22Es ist zunächst nicht ansatzweise ersichtlich, dass tatsächliche Schwierigkeiten bestünden, weil es - wie der Kläger meint - eines Sachverständigengutachtens bedurft hätte. Die sachliche Grundlage der Entscheidung steht nicht in Frage; namentlich stellt der Kläger nicht in Abrede, weithin wörtliche Textübernahmen lediglich durch ‑ teils nicht eindeutig zuzuordnende - Fußnoten gekennzeichnet zu haben. Angesichts dessen ist schon ein weiterer Aufklärungsbedarf nicht zu erkennen, zu dem ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen sein sollte.
23An besonderen rechtlichen Schwierigkeiten fehlt es, wenn die im Streitfall entscheidungserheblichen Fragestellungen sich unmittelbar aus dem Gesetz oder ohne Weiteres mit den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens beantworten lassen. So liegt es hier. Abgesehen davon, dass der Zulassungsantrag es auch insoweit an näherer Darlegung fehlen lässt, begründet namentlich der Umstand, dass der Fußnotenapparat vollständig sein mag, keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten. Einen Rechtssatz des Inhalts, "alle Fehler seien gleich zu behandeln", ist dem angegriffenen Urteil entgegen der Behauptung des Klägers nicht zu entnehmen. Dass ein Widerspruchsverfahren nicht statthaft war und eine Verjährungsregelung nicht besteht, lässt sich ohne Weiteres bereits im Zulassungsverfahren feststellen (vgl. oben I. sowie nachfolgend III.)
24III. Der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung ist daher eine solche Frage aufzuwerfen und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
25Dem Vorbringen des Klägers, ein Fall wie der Vorliegende sei bislang noch entschieden, ist schon keine klärungsbedürftige Frage zu entnehmen.
26Die Frage,
27"ob tatsächlich im universitätsautonomen Bereich das Widerspruchsverfahren abgeschafft werden kann und im konkreten Falle angesichts der konkreten Promotionsordnung abgeschafft wurde",
28lässt sich ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne Weiteres im oben erläuterten Sinne entscheiden.
29Die Frage,
30"inwiefern für die Revidierung von Promotionsentscheidungen Verjährungsregeln de lege lata bereits gelten",
31lässt sich gleichfalls ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens im verneinenden Sinne beantworten. Der Zulassungsantrag verweist für seine Auffassung, bereits dem geltenden Recht seien für die Revidierung von Promotionsentscheidungen Verjährungsregeln zu entnehmen, auf Art. 1 GG und eine "Gesamtanalogie". Art. 1 GG zwingt zu der Annahme, es gelte bereits jetzt eine - welche? - Verjährungsfrist, jedoch schon deshalb nicht, weil die vom Kläger insoweit angeführten Gesichtspunkte - namentlich der Zeitablauf seit der Verleihung des Doktorgrades und der nach Ansicht des Klägers daraus erwachsende Vertrauensschutz - im Rahmen des durch die Ermächtigungsgrundlage eröffneten Ermessens berücksichtigt werden können;
32vgl. Gärditz, Die Feststellung von Wissenschaftsplagiaten im Verwaltungsverfahren, WissR 2013, 3 (26) sowie auch Doerfer, Die Verjährung im Promotionsrecht, WissR 2012, 227 (238); OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012 - 11 A 1548/11 -, juris Rdn. 57; VG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 2014 - 15 K 2271/13 -, juris Rdn. 189 ff; VG Freiburg, Urteil vom 20. Juni 2001 - 1 K 1475/00 -, juris Rdn. 24,
33hierbei bildet jedoch der Umstand, dass die Verleihung durch Täuschung erwirkt ist, einen gewichtigen gegenläufigen und Vertrauensschutz weitgehend ausschließenden Belang.
34Vgl. auch Gärditz, a.a.O., S. 26.
35Im Hinblick auf eine "Gesamtanalogie" legt der Kläger - unter anderem - nicht dar, dass die erforderliche planwidrige Regelungslücke besteht. Der Umstand, dass in der rechtspolitischen Diskussion verschiedentlich die Verankerung einer zeitlichen Grenze für die Rücknehmbarkeit der Verleihung akademischer Grade gefordert wird, belegt - gerade - nicht, dass eine solche Grenze de lege lata bereits besteht. Auch die tragenden Gründe von Verjährungsregelungen,
36dazu wiederum Doerfer, a.a.O., S. 235,
37zwingen nicht zu einer solchen Annahme.
38IV. Soweit mit dem Antrag der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend gemacht wird, verfehlt der Kläger bereits die Darlegungsanforderungen, da er die unzureichende Sachverhaltsermittlung und Beweiserhebung ohne nähere Erläuterung nur behauptet. Im Übrigen ist ein solcher Mangel nicht ersichtlich. Namentlich die in anderem Zusammenhang erwähnte Beanstandung, die Gutachter der Dissertation seien nicht als Zeugen gehört worden, begründet einen Verfahrensmangel nicht. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor, wenn ein Beteiligter es unterlässt, von den ihm verfahrensrechtlich gebotenen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, Gebrauch zu machen.
39Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 14. November 2006 - 10 B 48.06 -, juris Rdn. 5 mit weiteren Nachweisen.
40Der anwaltlich vertretene Kläger hat indessen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht einen förmlichen Beweisantrag nicht gestellt. Eine Sachverhaltsaufklärung drängte sich aus den oben dargelegten Gründen auch nicht auf.
41Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Ziffer 18.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (ebenso nunmehr 18.7 des Streitwertkatalogs 2013).
42Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Tatbestand
- 1
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Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der ihm erteilten Bescheinigung, Ehegatte einer Spätaussiedlerin zu sein.
- 2
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Er wurde 1960 in Kasachstan geboren, ist seit 1988 verheiratet und hat mit seiner ebenfalls in Kasachstan geborenen Frau zwei Kinder. Sein Schwiegervater ist deutscher und seine Schwiegermutter russischer Nationalität.
- 3
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Im Dezember 2002 siedelte der Kläger gemeinsam mit seiner Familie aufgrund der Einbeziehung in den Aufnahmebescheid seines Schwiegervaters in die Bundesrepublik Deutschland um. Während seine Ehefrau und Kinder als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers aufgenommen wurden, reiste er als sonstiger Familienangehöriger ein.
- 4
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Am 21. September 2004 stellte der Rechtsvorgänger des Beklagten eine Bescheinigung nach § 15 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) aus. In dieser Bescheinigung wurde die Ehefrau des Klägers nunmehr selbst als Spätaussiedlerin bezeichnet und der Kläger als Ehegatte einer Spätaussiedlerin. Die der Ehefrau des Klägers erteilte Bescheinigung wurde inzwischen rechtskräftig zurückgenommen, da sie - wie das Verwaltungsgericht feststellte - mangels deutscher Volkszugehörigkeit keine Spätaussiedlerin ist.
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Mit Schreiben vom 4. Juli 2006 hörte der Rechtsvorgänger des Beklagten den Kläger zur beabsichtigten Rücknahme der ihm erteilten Bescheinigung an. Der Kläger machte daraufhin mit einem am 14. Juli 2006 bei der Behörde eingegangenen Schreiben geltend, die Bescheinigung begründe bei ihm die deutsche Staatsangehörigkeit. Deren Entzug komme allenfalls bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung oder bewusst falscher Angaben in Betracht. Beides sei in seinem Fall nicht gegeben.
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Mit Bescheid vom 12. September 2006 nahm der Rechtsvorgänger des Beklagten die dem Kläger erteilte Bescheinigung, Ehegatte einer Spätaussiedlerin zu sein, zurück. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage abgewiesen.
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Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Rücknahme der Bescheinigung aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Rücknahme sei zwar fristgerecht erfolgt. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) habe erst nach der Durchführung des Anhörungsverfahrens im Juli 2006 zu laufen begonnen und sei somit am 12. September 2006 noch nicht abgelaufen gewesen. Rechtsgrundlage der Rücknahme sei die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Rücknahmevorschrift. Die mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) sei mangels einer entsprechenden Übergangsregelung nicht anwendbar. Die Behörde habe allerdings das ihr hinsichtlich der Rücknahme zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Sie sei von einem falschen Ermessensrahmen ausgegangen, da sie zu Unrecht angenommen habe, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der zurückgenommenen Bescheinigung infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Abgesehen davon habe sie nicht beachtet, dass sie die Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung allein zu verantworten habe. In einem solchen Fall komme nur eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft in Betracht. Schließlich habe die Behörde auch nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass die Rücknahme Folgen haben könne, die der Entziehung der Staatsangehörigkeit ähnelten.
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Mit seiner Revision macht der Beklagte eine Verletzung des § 48 VwVfG geltend. In Fällen, in denen - wie hier - die Rücknahme allein die Feststellung betreffe, dass der Inhaber der Bescheinigung Ehegatte einer Spätaussiedlerin sei, sei § 48 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG anzuwenden. Demzufolge komme es auf die Frage, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bescheinigung grob fahrlässig nicht erkannt habe, nicht an. Abgesehen davon habe das Oberverwaltungsgericht eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers auch zu Unrecht verneint.
- 9
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Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) (1.). Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2.).
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1. Zwar ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Rücknahme der Bescheinigung nicht auf die mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl I S. 1902), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2011 (BGBl I S. 2426) - n.F. - gestützt werden kann, sondern ihre Rechtsgrundlage in der allgemeinen verfahrensrechtlichen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i.V.m. § 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für den Freistaat Sachsen (SächsVwVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2003 (GVBl S. 614) findet (a). Des Weiteren hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht nicht in Frage gestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erfüllt sind (b) und es sich bei der dem Kläger am 21. September 2004 gemäß § 15 Abs. 2 BVFG in der insoweit anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) - a.F. - ausgestellten Bescheinigung um einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG handelt (c). Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht auch angenommen, dass die Rücknahme fristgerecht erfolgt ist (d). Jedoch hat es bei der Prüfung der behördlichen Ermessensentscheidung einen fehlerhaften Maßstab angewandt, soweit es auf die Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 2 VwVfG abgestellt hat (e). Da der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 VwVfG nicht eröffnet ist, greifen die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision nicht durch (f).
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a) Die durch das Achte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. Juli 2009 (BGBl I S. 1694) eingeführte und mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 BVFG n.F. ist mangels einer entsprechenden Übergangsregelung nicht auf eine - wie hier - vor ihrem Inkrafttreten ausgesprochene Rücknahme anwendbar.
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b) Nach der allgemeinen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG, auf die mangels einer speziellen Rücknahmeregelung zurückzugreifen ist, kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. stellt einen wirksamen Verwaltungsakt dar (aa), der in seinem Sachausspruch von Anfang an rechtswidrig war (bb).
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aa) Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ist ein statusfeststellender Verwaltungsakt, der die Rechtsstellung als Ehegatte eines Spätaussiedlers feststellt. Dies ist bislang - unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Erteilung des Vertriebenausweises - ausdrücklich nur für die Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG entschieden worden (vgl. Urteil vom 24. Februar 2005 - BVerwG 5 C 10.04 - BVerwGE 123, 101<103> = Buchholz 412.3 § 15 BVFG Nr. 30 S. 11 m.w.N.). Für die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG gilt jedoch nichts anderes.
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bb) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich, hier also der Zeitpunkt, in dem die Bescheinigung ausgestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nicht Ehegatte einer Spätaussiedlerin.
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Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) wurde die Klage der Ehefrau des Klägers gegen die Rücknahme der ihr am 21. September 2004 erteilten Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG a.F. durch das Verwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen. Dabei wurde - soweit hier von Interesse - in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass die Ehefrau des Klägers mangels deutscher Volkszugehörigkeit keine Spätaussiedlerin sei. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BVFG in der Fassung des Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus - Spätaussiedlerstatusgesetz (SpStatG) - vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266), da sie sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete nicht durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung zum deutschen Volkstum bekannt, sondern ausweislich der 1989 erfolgten Eintragung der russischen Nationalität in ihren Inlandspass ein Gegenbekenntnis zum russischen Volkstum abgegeben habe. Aus diesem Grund sei auch ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf vergleichbare Weise im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BVFG ausgeschlossen. Ebenso wenig gehöre die Ehefrau des Klägers gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 BVFG nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität. Auch könne ein Bekenntnis der Ehefrau des Klägers zum deutschen Volkstum nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG unterstellt werden, weil diese nicht substanziiert und in sich stimmig dargelegt habe, dass ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen sei.
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Die Rechtskraft des gegenüber der Ehefrau des Klägers ergangenen Urteils erzeugt im vorliegenden Verfahren zwar keine Bindungswirkung (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2002 - BVerwG 5 C 40.01 - Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 57 S. 7). Das Oberverwaltungsgericht hat aber offensichtlich die vom Verwaltungsgericht in dem Verfahren der Ehefrau des Klägers vorgenommene Würdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für das vorliegende Verfahren übernommen. Hiergegen sind weder erhebliche Gesichtspunkte vorgetragen noch ist diese Würdigung sonst revisionsgerichtlich zu beanstanden.
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c) Ein Verwaltungsakt, der einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Statusfeststellung nach § 15 Abs. 2 BVFG begründet oder bestätigt im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. wird zum Nachweis erteilt, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BVFG vorliegen, d.h. dass der Inhaber der Bescheinigung Ehegatte (oder Abkömmling) des Spätaussiedlers ist, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht erfüllt, aber die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen hat (Satz 1). Der rechtliche Vorteil liegt darin, dass diese Feststellungen für alle Behörden und Stellen, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz oder einem anderen Gesetz zuständig sind, im Einzelfall verbindlich sind.
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d) Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist, wenn die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Diese Frist wird in Lauf gesetzt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr sämtliche für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Hierzu gehören auch alle für eine Ermessensbetätigung wesentlichen Umstände. Die Behörde erhält Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Prüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter positive Kenntnis erlangt. Ein einzelne Fachfragen begutachtender Mitarbeiter einer Behörde ist kein zur rechtlichen Prüfung berufener Amtswalter. Diente eine Anhörung des Betroffenen nach § 28 Abs. 1 VwVfG - wie hier - der Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen, beginnt die Jahresfrist erst danach zu laufen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 19. Dezember 1984 - BVerwG GrSen 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 <362 ff.> = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33 S. 19 ff. und vom 7. November 2000 - BVerwG 8 B 137.00 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 99 S. 18; Urteile vom 24. Januar 2001 - BVerwG 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360 <362 ff.> = Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 40 S. 4 ff. und vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 3.09 - Buchholz 436.36 § 27 BAföG Nr. 6 Rn. 25).
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Das Oberverwaltungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung von diesen Rechtsgrundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass die Frist erst nach Durchführung des Anhörungsverfahrens im Juli 2006 zu laufen begonnen hat und demzufolge im Zeitpunkt der Rücknahme am 12. September 2006 noch nicht verstrichen war, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn für die Ermessensentscheidung über die Rücknahme waren notwendig auch die Aspekte zu berücksichtigen, die der Kläger - insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Betätigung schutzwürdigen Vertrauens - auf seine Anhörung vorbringen würde. Dabei kommt es für die vollständige Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen auf die Kenntnis der Leiterin der die Bescheinigung ausstellenden Behörde an. Denn diese war innerbehördlich zur abschließenden Prüfung der Frage zuständig, ob die Erteilung der Bescheinigung rechtswidrig erfolgt und zurückzunehmen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers kann nicht auf den nach seiner Ansicht "bösgläubigen" Sachbearbeiter abgestellt werden, der bereits zum Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung die maßgeblichen Tatsachen für eine Rücknahmeentscheidung gekannt habe.
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e) Das angefochtene Urteil steht aber mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit das Oberverwaltungsgericht die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Bescheinigung an der Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 2 VwVfG gemessen hat.
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Diese Vertrauensschutzregelung ist nur anzuwenden, wenn es um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt geht, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist. Ein derartiger Verwaltungsakt darf nach Satz 1 nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Dementsprechend ist die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG mit Rücksicht darauf, dass die Bescheinigung als solche keine Leistungen der genannten Art gewährt, aber der durch die Bescheinigung nachgewiesene Status grundsätzlich Voraussetzung für die Gewährung bestimmter Geld- oder Sachleistungen wie z.B. den finanziellen Hilfen nach § 9 BVFG, den Leistungen bei Krankheit nach § 11 BVFG, den Leistungen nach der Unfall- und Rentenversicherung nach § 13 BVFG und der Förderung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach § 14 BVFG ist (vgl. Urteil vom 24. Februar 2005 a.a.O. <103 f.> = S. 11), nur dann an § 48 Abs. 2 VwVfG auszurichten, wenn und soweit im Einzelfall feststeht, dass der Inhaber der Bescheinigung konkrete Geld- oder Sachleistungen erhalten oder sein Vertrauen im Hinblick auf den Erhalt solcher Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betätigt hat. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Ermessensentscheidung über die Rücknahme allein an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG zu messen (vgl. Urteile vom 20. März 1990 - BVerwG 9 C 12.89 - BVerwGE 85, 79 <84 ff.> = Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr. 14 S. 22 ff. und vom 17. Februar 1992 - BVerwG 9 C 152.90 - Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr. 16 S. 43 ff. sowie Beschluss vom 23. März 1993 - BVerwG 9 B 375.92 - juris Rn. 2). So ist es hier.
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Die Rücknahme der Bescheinigung des Klägers wirkt sich - worüber der Senat abschließend befinden kann - nur auf die dort getroffene Feststellung aus, dass er Ehegatte einer Spätaussiedlerin ist. Denn das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass dem Kläger auf der Grundlage der ihm erteilten Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. tatsächlich Geld- oder Sachleistungen gewährt wurden oder er solche etwa beantragt hat. Der Kläger hat derartiges auch nicht geltend gemacht, obwohl ihm insoweit bereits im Verwaltungsverfahren nach Maßgabe des § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG eine Mitwirkungspflicht oblegen hat, auf die er mit Anhörungsschreiben vom 4. Juli 2006 ausdrücklich hingewiesen wurde.
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f) Die von der Revision erhobene Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) hat keinen Erfolg. Sie bezieht sich auf Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG; Verursachungsbeitrag der Behörde), auf die es mangels Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG für die Entscheidung nicht ankommt.
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2. Das angefochtene Urteil stellt sich im Ergebnis auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist die Entschließung des Rechtsvorgängers des Beklagten, die rechtswidrige Bescheinigung zurückzunehmen, gemessen an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (a). Entsprechendes gilt, soweit der Rechtsvorgänger des Beklagten die Rücknahme der Bescheinigung zum Ausstellungstag ausgesprochen hat (b).
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a) Die an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG auszurichtende Ermessensentscheidung über das "Ob" der Rücknahme erweist sich als fehlerfrei.
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Im Rahmen der Ermessensausübung ist das öffentliche Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes mit dem Interesse des Betroffenen an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes abzuwägen. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind dabei grundsätzlich gleichwertig, sofern dem anzuwendenden Fachrecht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist (vgl. Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG 1 C 33.07 - Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 5 Rn. 12). Das ist vorliegend nicht der Fall (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1972 - BVerwG 1 C 32.71 - BVerwGE 41, 277 <280> = Buchholz 130 § 3 RuStAG Nr. 1 S. 3). Erforderlich ist eine umfassende Güterabwägung unter Einbeziehung aller wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls, wozu auch etwaige Vertrauensschutzgesichtspunkte gehören (vgl. Beschlüsse vom 7. November 2000 a.a.O.
und vom 14. April 2010 - BVerwG 8 B 88.09 - FamRZ 2010, 1250 m.w.N.). Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Rücknahmeentscheidung gerecht.
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Der Beklagte hat das ihm durch § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG eingeräumte Ermessen erkannt und das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsakts mit dem Interesse des Klägers an der Beibehaltung der rechtswidrigen Bescheinigung fehlerfrei abgewogen. Er hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger aufgrund der Bescheinigung keine unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile erhalten habe und zu Unrecht ein deutsches Personaldokument (Reisepass oder Personalausweis) besitze, da er nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Er hat ferner festgestellt, dass auch keine Vertrauenstatbestände ersichtlich seien, die so stark seien, dass sie einer Rücknahme der Bescheinigung entgegenstünden.
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b) Der Beklagte durfte gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG die Bescheinigung auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen. Dies begegnet im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Kläger hat durch die Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG a.F. nicht nach § 7 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) - StAG a.F. - die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, da er - wie unter 1. b) bb) dargelegt - nicht Ehegatte einer Spätaussiedlerin und damit kein sogenannter Statusdeutscher ist.
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Nach § 7 Satz 1 StAG a.F. erwirbt ein Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, mit der Ausstellung der Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 BVFG die deutsche Staatsangehörigkeit. Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 7 StAG a.F. setzt damit voraus, dass der Inhaber der Bescheinigung bei deren Ausstellung die Eigenschaft als Statusdeutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG besitzt. Hierfür spricht bereits der klare Wortlaut des Gesetzes (aa). Sinn und Zweck der Vorschrift (bb) sowie die Gesetzesmaterialien (cc) bestätigen dieses Normverständnis.
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aa) Der Wortlaut des § 7 Satz 1 StAG a.F. bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass das ausdrücklich aufgeführte Tatbestandsmerkmal "Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes" im staatsangehörigkeitsrechtlichen Kontext nicht zu prüfen ist und der gesetzliche Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 7 Satz 1 StAG a.F. allein an das formelle Vorliegen einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG geknüpft sein soll.
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bb) Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 7 StAG a.F. soll die Eingliederung von Statusdeutschen, d.h. von Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ohne deutsche Staatsangehörigkeit, in den deutschen Staatsverband erleichtern. Diese sollen in der Regel die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, ohne ein Einbürgerungsverfahren durchlaufen und die weiteren Voraussetzungen für eine Einbürgerung, die in der Regel wesentlich höher sind, erfüllen zu müssen. Objektiver Rechtfertigungsgrund für den vereinfachten Staatsangehörigkeitserwerb nach § 7 StAG ist die Rechtsstellung als Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG. § 7 StAG will nur denjenigen begünstigen, der tatsächlich Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist (vgl. Marx, in: GK-StAR, Stand August 2009, IV-2 § 7 Rn. 4 und 20; Renner/Maaßen, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, StAR, 5. Aufl. 2010, § 7 Rn. 16; s.a. Urteil vom 19. Juni 2001 - BVerwG 1 C 26.00 - BVerwGE 114, 332 <336> = Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 30 S. 9 unter Bezugnahme auf BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 5. Juli 2000 - 2 BvR 865/00 - NVwZ-RR 2000, 836).
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Unter welchen Voraussetzungen eine Person "als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte (oder Abkömmling)" diesen Status erwirbt, bestimmt sich nach Art. 116 Abs. 1 GG i.V.m. mit § 4 BVFG. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG zählt danach nicht zu den Erwerbsvoraussetzungen. Ihr kommt insoweit auch im Übrigen keine konstitutive Wirkung zu.
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cc) Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass die Eigenschaft als Statusdeutscher im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG tatbestandliche Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 7 Satz 1 StAG a.F. ist. Nach der Gesetzesbegründung zur Einführung dieser Vorschrift betrifft der Erwerbstatbestand Personen, die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 BVFG erfüllen (vgl. BTDrucks 14/533 S. 14; s.a. BTDrucks 16/5065 S. 227). Des Weiteren wird ausgeführt, "dagegen genügt es - entsprechend der bisherigen Praxis - für den Statuserwerb durch den nichtdeutschen Ehegatten nicht, wenn er nach dem Spätaussiedler die Aussiedlungsgebiete verlässt und erst in diesem Zeitpunkt die geforderte Ehedauer vorliegt. In diesen Fällen kann die deutsche Staatsangehörigkeit nur durch Einbürgerung erworben werden" (vgl. BTDrucks 14/533 S. 14 f.). Das zeigt, dass nach der gesetzgeberischen Vorstellung allein die formelle Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG nicht zum gesetzlichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit führen soll. Vielmehr soll der privilegierte Staatsangehörigkeitserwerb nach § 7 StAG a.F. nur bei einer materiell rechtmäßigen Bescheinigung eintreten. Denn käme es allein auf das formelle Vorliegen der Bescheinigung an, könnte der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 7 StAG nicht daran scheitern, dass der nichtdeutsche Ehegatte die Aussiedlungsgebiete nach dem Spätaussiedler verlassen und demzufolge nicht die materiellrechtliche Voraussetzung des § 7 Abs. 2 BVFG erfüllt hat.
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Die durch die Einfügung des gesetzlichen Erwerbstatbestandes angestrebte Entlastung der Einbürgerungsbehörden (vgl. BTDrucks 14/533 S. 14) entfällt dadurch nicht. Sie ist rein verfahrensrechtlicher Natur und liegt in dem Wegfall des bis dahin erforderlichen Einbürgerungsverfahrens für Spätaussiedler und deren nichtdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Ungültigerklärung ihrer Dissertationsschrift als Promotionsleistung und die Rücknahme ihres Doktorgrades.
3Die Philosophische Fakultät der beklagten Universität verlieh der Klägerin nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach) und der Philosophie (Nebenfach) an der beklagten Universität aufgrund ihrer Dissertation mit dem Titel “Person und Gewissen“ und dem Untertitel “Studien zu den Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ sowie den am 20. und 27. November 1980 abgenommenen mündlichen Prüfungen den Grad einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.). Die auf den Tag der letzten mündlichen Prüfung (27. November 1980) ausgestellte Promotionsurkunde wurde der Klägerin nach Drucklegung und Veröffentlichung der Arbeit am 9. Januar 1981 ausgehändigt.
4Die Eröffnung des Promotionsverfahrens, das auf den Studienabschluss und die Erlangung der Doktorwürde gerichtet war (sogenanntes grundständiges Promotionsverfahren), hatte die Klägerin unter dem 4. September 1980 beantragt. Mit dem Gesuch um Zulassung zum Promotionsverfahren hatte die Klägerin schriftlich an Eides Statt unter anderem das Folgende versichert:
5“Ich versichere, dass ich die vorgelegte Dissertation [Titel: …] selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.“
6Die Begutachtung der Dissertation erfolgte durch Prof. Dr. H. X. (beklagte Universität, Erziehungswissenschaftliches Institut; Gutachten vom 20. Oktober 1980) als Referent und Betreuer sowie durch Prof. Dr. X1. I. (beklagte Universität, Abteilung O. , Seminar für Pädagogik und Philosophie; Gutachten vom 21. Oktober 1980) als Korreferent. Beide Gutachter (bzw. Referenten) bewerteten die Arbeit mit dem Prädikat “opus admodum laudabile“ (heute: „magna cum laude“).
7Anfang Mai 2012 wurde der beklagten Universität anonym eine zeitgleich im Internet (www.T. .de) eingestellte Materialzusammenstellung zugesandt, aus der sich ergeben sollte, dass die Klägerin in ihrer Dissertation getäuscht habe. Nach erster Sichtung der Vorwürfe durch den Dekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Dekan) erteilte dieser dem seinerzeitigen Prodekan der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität, Prof. Dr. S. , in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des Promotionsausschusses mit Schreiben vom 3. Mai 2012 den Auftrag, die Dissertation der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob “die Eventualität eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ vorliege. In dem Schreiben heißt es weiter, dass auch die Klägerin selbst in einer fernmündlichen Äußerung gegenüber dem Rektor der beklagten Universität um entsprechende Prüfung gebeten habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 wurde die Klägerin von dieser Verfahrensweise in Kenntnis gesetzt.
8Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Promotionsausschuss) beschloss in seiner Sitzung vom 16. Mai 2012 zunächst, Frau Prof. Dr. T1. mit der Erstellung eines “Gutachtens“ darüber zu beauftragen, ob und gegebenenfalls in welchen Passagen die Dissertation Prüfungsleistungen enthalte, die den Vorwurf des Plagiats bzw. Wissenschaftsbetruges stützen könnten. Nach deren Rücktritt betraute der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Juni 2012 Prof. Dr. S. mit der “Berichterstattung“.
9Unter dem 27. September 2012 schloss Prof. Dr. S. seine Untersuchungen ab. In seinem 75 Seiten umfassenden Bericht, in dem er Passagen der Dissertationsschrift und die Vergleichstexte synoptisch gegenübergestellte, gelangte er abschließend zu der Feststellung, dass die Überprüfung der Dissertationsschrift für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise ergeben habe, in der ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element zu sehen sei. Im Wesentlichen stützte er seine Einschätzung darauf, dass prägnante Merkmale einer solchen Vorgehensweise nicht nur vereinzelt, sondern in einer Mehrzahl von Fällen und in einer Weise zu verzeichnen seien, die auf eine bestimmte Systematik schließen ließen. Dies sei insbesondere im Hinblick darauf festzustellen, dass mit gewisser Regelmäßigkeit der Eindruck bedeutender eigenständiger Rezeptionsleistungen vermittelt werde, während tatsächlich eine weitgehende oder auch vollständige Abhängigkeit von entsprechenden Leistungen anderer bestehe. Zudem komme dem Nachvollzug der Theoriebildung und der Forschungsdiskussion in der vorliegenden Dissertationsschrift besonderes Gewicht zu, wie sich bereits am bloßen Umfang des den “Theorien über das Gewissen“ gewidmeten zweiten Hauptteils der Dissertationsschrift ablesen lasse. Angesichts des allgemeinen Musters des Gesamtbildes und der spezifischen Merkmale einer signifikanten Zahl von Befundstellen sei eine leitende Täuschungsabsicht zu konstatieren. Auf den weiteren Inhalt des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
10Der von Prof. Dr. S. erstellte und mit dem Vermerk “Vertraulich“ betitelte Bericht wurde nachfolgend den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Promotionsausschusses persönlich ausgehändigt sowie ferner dem Dekan und der Klägerin zugeleitet. Auf ungeklärtem Wege gelangte ferner eine Version des Berichts an das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“.
11Nachfolgend befasste sich der Promotionsausschuss in seiner Sitzung am 17. Oktober 2012, an der auch der Dekan teilnahm, mit dem Bericht. Laut Sitzungsprotokoll erläuterte Prof. Dr. S. seinen Bericht; desweiteren wurden die wesentlichen Befundstellen erörtert. Der Promotionsausschuss stellte einstimmig fest, dass die essentiellen abschließenden Wertungen des Berichts durch den erhobenen Befund zwar hinlänglich belegt und nachvollziehbar seien, aber vor einem Beschluss über das weitere Vorgehen eine Stellungnahme der Klägerin zu den Vorhaltungen abgewartet werden solle. Der Promotionsausschuss beschloss sodann, dem Dekan zu empfehlen, die Klägerin um eine Äußerung zu den im Einzelnen im Bericht vom 27. September 2012 von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunden zu bitten.
12Mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 gab der Dekan der Klägerin Gelegenheit, sich zu dem Bericht von Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der den Befundteil betreffenden Passagen des Berichts sowie zum “Vorwurf des Plagiatsverdachts“ binnen eines Monats zu äußern.
13Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Sie beanstandete die fehlende Befassung des für die Frage der Entziehung des Doktorgrades allein zuständigen Fakultätsrats, stellte die Sachkunde von Prof. Dr. S. für die Prüfung des Plagiatsverdachts in Abrede und vertrat die Ansicht, dass die dargestellten Mängel kein wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentierten. In der Sache machte sie geltend, dass ihre Dissertation aus der Beschäftigung mit der im Literaturverzeichnis angegebenen Primär- und Sekundärliteratur und in regelmäßigen Gesprächskontakten mit den Professoren C1. und X. entstanden sei. Ihre Lektüreergebnisse sowie weiterführende Gedanken und Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur habe sie auf Karteikarten in einem Zettelkasten festgehalten. Die beanstandeten Textpassagen ihrer Arbeit würden sich ungleichmäßig auf die drei Hauptteile ihrer Dissertation verteilen. Die meisten fänden sich im zweiten Teil, der schon vom Titel her (“Theorien des Gewissens“) keinen Anspruch auf eigenständige Analysen erhebe, sondern bekannte Theorien zur Entstehung und Funktion normativer Regulierung in der Humangenese referiere und auswerte. Nur wenige monierte Fundstellen fänden sich im dritten Teil der Dissertation, der ihre eigenständige wissenschaftliche Leistung enthalte und resümiere. Einzelne handwerkliche Fehler würden eingeräumt. Der Nachweis derartiger Fehler bis hin zu fehlenden Nachweisen für Paraphrasen beweise allerdings nicht, dass ganze Passagen des zweiten Teils der Dissertation ein Plagiat seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie Theorien des Gewissens, die von anderen Autoren stammten, als ihre eigene Theorie hierzu ausgegeben hätte. Eine solche Gesamtdeutung sei jedoch schon von den Überschriften her ausgeschlossen. In der Arbeit stecke das Bemühen, möglichst viel Literatur zu verarbeiten und Positionen gleichermaßen aus der Primär- und Sekundärliteratur zu erschließen. Eine Täuschungsabsicht habe sie zu keinem Zeitpunkt der Arbeit an ihrer Dissertation gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme der Klägerin sowie auf den Inhalt der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
14Der Promotionsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012, an der der Dekan ebenfalls teilnahm, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin und der von ihr vorgelegten Anlagen erneut mit der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschung. Er kam einstimmig zu dem Ergebnis, dass die im Bericht von Prof. Dr. S. bezeichneten Vorhalte, nämlich die erhebliche Zahl von gravierenden Verstößen gegen die Regeln der korrekten wissenschaftlichen Arbeit und das erkennbare Muster unzureichender Kennzeichnung von Quellenzitaten und der Übernahme der wissenschaftlichen Rezeptionsleistungen Dritter, durch die Stellungnahme der Klägerin nicht aus dem Weg geräumt worden seien, so dass ein Vorsatz anzunehmen sei. Der Promotionsausschuss empfahl dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität (nachfolgend: Fakultätsrat), das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit der schriftlichen Promotionsleistung zu eröffnen.
15Mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 informierte der Dekan die Prozessbevollmächtigten der Klägerin darüber, dass der Promotionsausschuss seine Prüfung abgeschlossen habe und der Fakultätsrat nunmehr in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar 2013 entscheiden werde, ob die vom Promotionsausschuss ermittelten Befunde schwerwiegend genug seien, um das Aberkennungsverfahren einzuleiten. Die Erklärung des Promotionsausschusses wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf deren Bitte hin mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 übersandt. Desweiteren wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2013 ein zwischenzeitlich von der beklagten Universität in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ihres Prozessbevollmächtigten übermittelt, das den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens in juristischer Hinsicht für beanstandungsfrei befand.
16Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 beraumte der Dekan für den 22. Januar 2013 die bereits angekündigte Sitzung des Fakultätsrats an und setzte unter Ziffer 12 eine Entscheidung über den “Plagiatsfall“ der Klägerin auf die Tagesordnung. Am 22. Januar 2013 befasste sich der Fakultätsrat mit dem vorgenannten Tagesordnungspunkt in nicht-öffentlicher Sitzung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Fakultätsrat durch den Dekan und Prof. Dr. S. in den Sachverhalt eingeführt. Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. S. war sein von ihm im Nachgang zu der Sitzung des Promotionsausschusses vom 12. Dezember 2012 ergänzter und vom Promotionsausschuss gebilligter Bericht (Stand: 12. Dezember 2012). Für den Fall der Eröffnung eines Verfahrens wurden die Mitglieder des Fakultätsrats auf die Möglichkeit zur Akteneinsicht in die im Nachgang zur Sitzung im Dekanat zur Verfügung stehenden Unterlagen (Stehordner) informiert. Sämtliche Unterlagen standen den Mitgliedern des Fakultätsrats auch während der Sitzung am 22. Januar 2013 zur Verfügung. Nach abschließender Beratung beschloss der Fakultätsrat mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung, “ein förmliches Rücknahmeverfahren“ hinsichtlich der Promotion der Klägerin einzuleiten. Als weiterer Sitzungstermin wurde der 5. Februar 2013 anberaumt.
17Mit einer den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab zur Kenntnis übersandten Erklärung vom gleichen Tag informierte der Dekan die Presse über die vom Fakultätsrat nach geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen beschlossene Einleitung des “Haupt-verfahrens“ sowie darüber, dass für den 5. Februar 2013 eine weitere Sitzung des Fakultätsrats einberufen werden solle. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, wies der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage darauf hin, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte er ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen.
18Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) für die Dissertation der Klägerin, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als sachverständige Zeugen dazu zu hören, dass sie bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht davon ausgegangen seien, die aus der Sekundärliteratur rezipierten Darstellungen von Primärliteratur seien durchgängig selbständig erarbeitet worden, soweit sie nicht ausdrücklich am Ort der Darstellung auf Sekundärliteratur gestützt worden seien. Sie beantragten ferner, ein Sachverständigengutachten eines Erziehungswissenschaftlers zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die in dem Bericht von Prof. Dr. S. beanstandete Arbeitsweise, auf die der Vorwurf der “leitenden Täuschungsabsicht“ gestützt sei, in den Erziehungswissenschaften zur Zeit der Erstellung der Dissertation nicht unüblich gewesen sei.
19Am 5. Februar 2013 beschloss der Fakultätsrat in nichtöffentlicher Sitzung, an der neben den abstimmungsberechtigten 15 Mitgliedern außerdem der Dekan, der seinerzeitige Prodekan Prof. Dr. S. , der Studiendekan und die Gleichstellungsbeauftragte der beklagten Universität teilnahmen, zum einen die Dissertation als Promotionsleistung der Klägerin für ungültig zu erklären und zum anderen, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Grundlage der vorangegangenen Beratung zu den erhobenen Plagiatsvorwürfen gegen die Klägerin waren der Bericht des Promotionsausschusses mit Stand vom 12. Dezember 2012 sowie die von der Klägerin eingereichte Stellungnahme nebst den mit Schriftsatz vom 5. November 2012 übersandten Anlagen. Ausweislich des Protokolls setzten sich die Fakultätsratsmitglieder in ihrer Diskussion eingehend mit einer Vielzahl von Textpassagen exemplarisch auseinander, prüften im Diskurs die Relevanz der vorgetragenen Argumente in Bezug auf den Plagiatsvorwurf und beschäftigten sich ferner mit der Frage, ob zum Zeitpunkt der Abfassung der Dissertation andere Zitierregeln als heute gegolten hätten, was mehrheitlich verneint wurde. Nach einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Passagen in der Dissertation sowie deren Abgleich mit der Arbeit im Übrigen kamen die Mitglieder des Fakultätsrats sodann zu dem Ergebnis, dass die gravierende Anzahl von Regelverstößen ein erkennbares Muster aufweise und dies den Rückschluss auf eine vorsätzliche Täuschung zulasse. Die Notwendigkeit der Beiziehung eines zusätzlichen auswärtigen Gutachtens verneinte der Fakultätsrat ebenso, wie die Einvernahme der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) im Promotionsverfahren, Prof. Dr. X. und Prof. Dr. I. , als Zeugen. Ausweislich des Protokolls diskutierten die Mitglieder des Fakultätsrats nach einleitender Erläuterung durch den Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität anhand einer den Teilnehmern der Fakultätsratssitzung vorgelegten Handreichung dazu, welche Punkte im Hinblick auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten seien, abschließend im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses und des privaten Interesses der Klägerin das Für und Wider einer Ungültigerklärung der Dissertation und einer Entziehung des Doktorgrades. In geheimer und getrennter Abstimmung stimmten jeweils 12 Fakultätsratsmitglieder für die Ungültigerklärung und Aberkennung des Doktorgrades, zwei Mitglieder stimmten jeweils dagegen, ein Mitglied enthielt sich jeweils.
20Das Ergebnis der Sitzung vom 5. Februar 2013 einschließlich weiterer Erläuterungen im Einzelnen machte der Dekan im Rahmen einer Presseerklärung, die der Klägerin vorab per Fax über ihre Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zugeleitet worden war, öffentlich bekannt.
21In Ausführung des Beschlusses des Fakultätsrats erklärte der Dekan mit Bescheid vom 14. Februar 2013 die Dissertationsschrift der Klägerin als Promotionsleistung für ungültig und nahm die Verfügung vom 27. November 1980, durch die der Klägerin der Doktorgrad “Dr. phil.“ verliehen worden war, zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung sowie der Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades liege die Entscheidung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 zugrunde. Die Durchführung des Rücknahmeverfahrens sei nach der aktuell gültigen Promotionsordnung vom 4. Juli 2000 erfolgt, die in den §§ 20 und 21 die Entscheidung über die Aberkennung von Teilleistungen im Promotionsverfahren und den Entzug des Doktortitels dem Fakultätsrat zuweise. Für die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades, die in § 21 der Promotionsordnung geregelt sei, werde dort ergänzend auf § 48 VwVfG (NRW) verwiesen. Die Promotion der Klägerin erweise sich als durch vorsätzliche Täuschung erlangt, so dass die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Fakultätsrat habe bei seiner Prüfung darauf abgestellt, inwiefern und in welchem Umfang in der Arbeit Textplagiate vorlägen und ob das Einfügen nicht gekennzeichneter Textpassagen in ihrer Dissertation als Täuschungsabsicht der Klägerin zu bewerten sei. Dabei seien insbesondere diejenigen als kritisch eingestuften Passagen gewürdigt worden, deren Existenz grundsätzlich auch in den von der Klägerin eingereichten Stellungnahmen von C. , U. und G. nicht bestritten worden sei. Der Fakultätsrat sei dabei von einem allgemein anerkannten, auch von der einschlägigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnis von Textplagiaten ausgegangen, wonach ein Plagiat die wörtliche und gedankliche Übernahme fremden geistigen Eigentums ohne entsprechende Kenntlichmachung sei. Etwaige Besonderheiten beim Zitieren unter Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Promotionskultur in den frühen 80er Jahren seien nicht ersichtlich. Vielmehr deuteten entsprechende Handreichungen für das Fach Erziehungswissenschaften, wie etwa die von Kramp “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten, 8. Aufl. 1978“ darauf hin, dass auch in den Erziehungswissenschaften nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte seinerzeit als Textplagiate gewertet worden seien. Dies zugrunde legend habe für den Fakultätsrat auch kein Anlass bestanden, den Beweisanregungen der Klägerin nachzukommen. Auf die Frage, ob sich die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) der Arbeit getäuscht gefühlt hätten, komme es nicht an, da Adressat einer Promotionsleistung die Fakultät sei, die den Doktorgrad verleihe. Die Einholung erziehungswissenschaftlicher Gutachten sei nicht erforderlich, weil es vorliegend allein um die Feststellung von Textplagiaten gehe, zu deren Beurteilung die Fakultät über hinreichenden Sachverstand verfüge. Die Fakultät sei unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden Unterlagen auch in der Lage, sich ein genaues Bild von den bei Einreichung der Dissertation gültigen wissenschaftlichen Standards zu machen. Nach den Feststellungen der Fakultät handele es sich bei den im Bericht von Prof. Dr. S. aufgezeigten Textstellen in der Dissertation um objektiv schwerwiegende Verstöße gegen geltende Zitierstandards, die den Schluss zuließen, dass vorsätzlich über das Vorhandensein eigenständiger wissenschaftlicher Leistungen getäuscht worden sei. Entlastende Erklärungen für die vielfältigen, in ihrer Qualität durchaus unterschiedlichen Zitierfehler habe die Fakultät bei sachgerechter Würdigung des umfänglichen Befundes nicht zu ihrer Überzeugung ermitteln können. Namentlich sei es nicht möglich, die beanstandeten Textstellen etwa als bloße Ungenauigkeit oder Flüchtigkeitsfehler zu werten. Zwar komme bei isolierter Betrachtung in Bezug auf einige Stellen der beanstandeten Passagen, namentlich bei übernommenen Textstellen aus Publikationen von Niklas Luhmann, die nicht als Zitat gekennzeichnet seien, und deshalb den Eindruck eines eigenständigen Referats vermittelten, auch in Betracht, darin eine unsorgfältig ausgewiesene Paraphrase zu sehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Arbeit und unter Berücksichtigung zahlreicher sonstiger eindeutiger Plagiate sei eine solche Sichtweise allerdings nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte auch für solche Passagen, bei denen sich die Frage stelle, ob lediglich allgemein bekanntes lexikalisches Wissen wiedergegeben werde oder ob nicht in der Übernahme einzelner Wendungen aus den Werken beispielsweise von Gehlen, Buytendijk und Landmann eine “collagenhafte“ Technik der Aneignung von Syntheseleistungen aus fremden Texten zu erkennen sei. Unter Berücksichtigung der sehr deutlichen wörtlichen Entsprechungen in der Formulierung und im Lichte des Gesamtkontextes der Arbeit sei eine entlastende Bewertung jedoch ausgeschlossen. Im Ergebnis entscheidend sei, dass sämtliche Passagen einem durchgängigen – obschon im Detail variierenden – Muster folgten, das die gesamte Dissertation durchziehe und bei übergreifender Betrachtung zur Überzeugung der Fakultät ein System erkennen lasse, entlehntes Wissen – namentlich gelungene Zusammenfassungen von Streit- und Forschungsständen – an entscheidenden Stellen durch Weglassen der jeweiligen Quellen als eigene Erkenntnis bzw. eigene Formulierung und Komprimierung erscheinen zu lassen. Bekräftigt werde das durch eine Reihe eindeutiger und nicht anders als durch eine vorsätzliche Vorgehensweise zu erklärender Passagen, wie etwa der Textstücke, die aus dem Werk “Psychoanalyse und Gewissen“ von Ernst Stadter übernommen worden seien. In der Gesamtheit komme der Fakultätsrat vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass die in der Voruntersuchung zusammengetragenen Befunde nur als schwerwiegende und auf Grund ihrer Systematik auch vorsätzliche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens gedeutet werden könnten. Hierbei sei man zudem davon ausgegangen, dass bereits die eindeutigen Plagiate, die sich insbesondere in Bezug auf die übernommene Textpassagen aus dem Werk von Stadter selbst bei isolierter Betrachtung nur durch vorsätzliches Vorgehen sinnvoll erklären ließen, für sich gesehen ausreichend seien, die Promotionsleistung für ungültig zu erklären. Die von der Klägerin angeführten Erklärungen zum angeblichen Zustandekommen der Zitierfehler seien unbeachtlich, da sie sich entweder gar nicht auf die Vorhaltungen bezögen bzw. allgemein exkulpatorischer Art oder sachfremd seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin jenseits der beanstandeten Passagen grundsätzlich durchgängig richtig zitiere, bei Bedarf Anführungszeichen verwende und paraphrasiere. Schließlich habe der Fakultätsrat die plagiierten Stellen auch in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit der Arbeit beurteilt. Eine hierarchische Unterordnung des zweiten empirischen Teils der Dissertationsschrift und der dort festgestellten gehäuften “Zitierfehler“ sei nicht erkennbar, weil entgegen der anderslautenden Behauptung der Klägerin das zweite Kapitel schon von seiner Ausdehnung her ein Kernelement der Dissertation bilde, dessen Anspruch gerade auch darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern. Dies gelte umso mehr, als gerade dieser Teil in den Gutachten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) besonders gelobt worden sei.
22Der Fakultätsrat habe das ihm nach den §§ 20, 21 der Promotionsordnung eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er sowohl die schriftliche Promotionsleistung für ungültig erklärt als auch den Doktorgrad entzogen habe. Dabei sei er davon ausgegangen, dass eine Rücknahme nach § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW nur erfolgen könne, wenn kein Vertrauensschutz bestehe, ferner, dass eine Rücknahme (allein) wegen – hier zweifelsfrei festgestellter – objektiver Falschangaben zwar im Hinblick auf den Zeitablauf unverhältnismäßig sei, eine Entziehung aber deswegen in Betracht komme, weil der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung habe der Fakultätsrat keine in der Person der Klägerin oder in den besonderen Umständen des Einzelfalls liegenden, die öffentlichen Interessen, nämlich die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundlage der Titelführung zu schützen sowie die verletzten wissenschaftlichen Verhaltensregeln zu rehabilitieren, überwiegenden Gründe feststellen können, die angesichts des Umfangs und der Schwere der vorsätzlichen Täuschung einer Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung und dem Entzug des Doktortitels entgegenstünden bzw. einen Verzicht hierauf als zweckmäßig erscheinen ließen. Auch eine möglicherweise nachlässige Betreuung durch die damaligen Gutachter (bzw. Referenten) ändere nichts daran, dass die Klägerin als damalige Promovendin für die gesamte Dissertation in dem abgegebenen Zustand die volle Verantwortung getragen habe. Den Umstand, dass die Entziehung des Doktorgrades nach über 30 Jahren für die Betroffene “einen nicht unerheblichen Eingriff“ darstelle, habe der Fakultätsrat im Rahmen der Abwägung ebenso gewürdigt wie die Tatsache, dass es sich bei der Arbeit um eine sogenannte grundständige Promotion handele. Beide Umstände hätten indes kein hinreichendes Gewicht, das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrigen Promotion zu überwinden. Frequenz und Umfang der betroffenen Passagen, auch wenn sie sich einer genauen quantitativen Messung entzögen, seien als so gravierend gewichtet worden, dass es nicht als hinnehmbar erachtet worden sei, auf eine Ungültigerklärung der Promotionsleistung sowie eine Entziehung des Doktorgrades, für dessen Verleihung nunmehr der Rechtsgrund weggefallen sei, zu verzichten. Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Ermächtigung zur Entziehung keiner Verjährung unterworfen sei. Die Hochschule habe zudem ein qualifiziertes Interesse daran, die fehlerhaften Weichenstellungen im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs auch nach längerer Zeit noch zu korrigieren, damit nicht aufgrund von Täuschungshandlungen, die in der Einflusssphäre des Täuschenden entstanden seien, schwerwiegender Schaden an der Wissenschaftlichkeit als solcher, an der Validität akademischer Grade und an der Richtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse eintrete. Die Komplexität, der Anspruch und die entsprechend langsame Zeittaktung wissenschaftlicher Forschung, die nicht mit der Ableistung berufsqualifizierender Leistungen verglichen werden könne, erfordere es daher, auch noch über längere Zeiträume hinweg das signifikante Entdeckungsrisiko aufrechtzuerhalten. Die Fakultät habe deswegen dem allgemeinen Präventionsinteresse höheres Gewicht beigemessen als den – mangels unmittelbarer Abhängigkeit von einer konkreten Berufsqualifikation ohnehin im Vergleich zu anderen Fällen bei einer Folgenbetrachtung zu relativierenden – Nachteilen, die der Klägerin durch die Entziehung entstünden. Schließlich habe der Fakultätsrat auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seine bisherige Praxis in Plagiatsfällen berücksichtigt. Um einen Bagatellfall handele es sich vorliegend ebenfalls nicht.
23Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 20. Februar 2013 Klage erhoben.
24Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und hält die Sachentscheidung für rechtswidrig. Zur Begründung macht sie hierzu im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsverfahren sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden. Es fehle an einem Verfahren vor der Untersuchungskommission gemäß den Grundsätzen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002. Jedenfalls sei es rechtwidrig, zur Vorbereitung eines Einleitungsbeschlusses des Fakultätsrats nach § 22 VwVfG NRW an Stelle des Verfahrens vor der Untersuchungskommission Ermittlungen im Promotionsausschuss durchzuführen und diese Ermittlungen dann zur Grundlage sowohl der Einleitungsentscheidung als auch der Entziehungsentscheidung zu machen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Verfahrens vor der Untersuchungskommission zu einer anderen Empfehlung an den Fakultätsrat geführt hätte als die Empfehlung durch den Promotionsausschuss. Das durchgeführte Verfahren sei zudem nicht mit § 21 PromO i. V. m. § 22 Satz 1 VwVfG NRW vereinbar. Der Dekan und der Promotionsausschuss hätten praktisch ein eigenes Verwaltungsverfahren ohne die dazu erforderliche Ermächtigung durch den zuständigen Fakultätsrat durchgeführt. Darüber hinaus sei der angefochtene und durch den Dekan verfasste Bescheid nicht nach vorheriger Verständigung mit dem Fakultätsrat über die tragenden Gründe ergangen. Das Vorbereitungsverfahren durch den Promotionsausschuss sei auch deswegen rechtswidrig, weil in Bezug auf die Mitglieder dieses Ausschusses unter Berücksichtigung der Indiskretionen gegenüber der Presse die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Auch in Bezug auf die Mitglieder des Fakultätsrats bestehe eine entsprechende Besorgnis der Befangenheit, weil wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung am 5. Februar 2013 in der Presse über die Schrift “Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Kramp berichtet worden sei sowie ferner darüber, dass die gegen sie, die Klägerin, erhobenen Vorwürfe durch diese Schrift angeblich gestützt würden. Die Information der Öffentlichkeit in diesem Stadium des Verfahrens könne nur durch das Dekanat oder Mitglieder des Fakultätsrats erfolgt sein und allein dem Zweck gedient haben, die Willensbildung im Fakultätsrat zu beeinflussen. Die gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung vor der Entscheidung über die Rücknahme des Doktorgrades sei vollständig unterblieben. Die beklagte Universität habe ferner bei der Ermittlung des Sachverhaltes § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW verletzt. Die Beweisanträge, die sie, die Klägerin, schriftlich gestellt habe, seien mit fehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden.
25Zur Entscheidung in der Sache macht die Klägerin geltend: Der Entscheidung nach § 20 Satz 1 PromO, die Dissertation für ungültig zu erklären, liege ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Täuschung zu Grunde. Im Übrigen seien die hierzu getroffenen Feststellungen im Ergebnis falsch und die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Im Einzelnen wird hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Täuschung sei nicht ohne Erregung eines Irrtums möglich. Die am Promotionsverfahren beteiligten Gutachter (bzw. Referenten) seien aber keinem Irrtum unterlegen. Die von der beklagten Universität erhobenen Beanstandungen seien auch nicht geeignet, den Täuschungsvorsatz zu belegen. Eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Dissertation allein aus der jeweiligen Primärliteratur habe von ihr nicht erwartet werden können. Ein Rückgriff auf die Sekundärliteratur sei zwingend erforderlich gewesen, was sie im Grundsatz auch offen gelegt habe. Der Vorwurf, sie habe bedeutende Rezeptionsleistungen Dritter fälschlich als eigene Leistungen dargestellt, werde durch die Feststellungen nicht gestützt. Soweit sie einzelne Stellen nicht als Rezeptionsleistungen Dritter gekennzeichnet habe, komme diesen Befunden jedenfalls im Gesamtzusammenhang der Arbeit nur eine geringe Bedeutung zu. Soweit sie bei der Heranziehung von Sekundärliteratur Satzteile und Wendungen übernommen habe, folgten die Darlegungen ihren eigenen Gedanken. Auch seien die Titel – bis auf zwei – sämtlich im Literaturverzeichnis angegeben. Im Übrigen habe die beklagte Universität bei ihrer Beurteilung ausgeblendet, dass Primär- und Sekundärliteratur oftmals übereinstimmten und dass ohne eine Analyse dieser Übereinstimmungen überhaupt nicht erkennbar sei, in welchem Maße die benutzte Sekundärliteratur eine wissenschaftliche Eigenleistung enthalte, die sie sich zu Eigen gemacht haben könnte. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass die von ihr praktizierte Vorgehensweise im Umgang mit der Primär- und Sekundärliteratur in den Erziehungswissenschaften seinerzeit verbreitet gewesen sei. In Bezug auf vereinzelte Stellen räume sie Zitierfehler ein, allerdings habe sie insoweit nicht in Täuschungsabsicht gehandelt. Das gelte erst recht für die Stellen, in denen die Hinweise auf die benutzte Sekundärliteratur lückenhaft seien.
26Das Ermessen zu § 20 Satz 1 PromO sei fehlerhaft ausgeübt worden. Die Bedeutung des Zeitablaufs von mehr als 32 Jahren sei nicht ausreichend gewichtet worden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass es in vielen Prüfungsordnungen Verjährungsfristen von kürzerer Dauer gebe und die hier streitgegenständliche grundständige Promotion der Klägerin auch eine berufsqualifizierende Prüfung darstelle. Die Erwägungen zum öffentlichen Interesse seien nicht tragfähig. Dass die Dissertation im Vergleich zu anderen Prüfungsleistungen eine Sonderstellung einnehme, sei nicht ersichtlich. Eine Schädigung der Lauterkeit und Richtigkeit des wissenschaftlichen Diskurszusammenhangs komme heute nur noch in Betracht, wenn durch Mängel der Dissertation Gefahren für wissenschaftliches Arbeiten Dritter im Rahmen eines Rückgriffs auf die Dissertation begründet würden. Hierzu verhalte sich der Bescheid nicht. Generalpräventive Erwägungen, insbesondere der Ansatz, das signifikante Entdeckungsrisiko und die damit einhergehenden Schwierigkeiten einer Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch noch über längere Zeiträume hinweg aufrechtzuerhalten, seien hier angesichts des zu wahrenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die verstrichene Zeit nicht angezeigt. Auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, wie etwa die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert der Dissertation im Übrigen oder die Bedeutung der Befunde unter Berücksichtigung ihres Umfangs mit Blick auf die insgesamt erbrachte Leistung im Übrigen, seien im Bescheid nicht enthalten.
27Die Entscheidung nach § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW zur Rücknahme des Doktorgrades sei schon deswegen rechtswidrig, weil keine rechtmäßige Entscheidung gemäß § 20 PromO vorliege. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten Täuschung, so dass der Vertrauensschutz nicht entfalle. Auch habe der Fakultätsrat bei seiner Entscheidung in seiner Ermessensausübung nicht ausreichend zwischen § 20 PromO und § 21 PromO differenziert; insbesondere seien für die Rücknahme weitere Ermessensaspekte zu berücksichtigen, da hier wegen der Grundständigkeit der Promotion und des gleichzeitigen Entzugs des Hochschulabschlusses in die Freiheit der Berufswahl eingegriffen werde. Schließlich habe der Fakultätsrat auch nicht geprüft, ob unter den genannten Umständen eine Entscheidung nur nach § 20 PromO ausreichend gewesen wäre. Die Berufung des Fakultätsrats auf die Behandlung ähnlich gelagerter Fälle sei mangels entsprechender Belegfälle nicht nachvollziehbar.
28Die Klägerin beantragt,
29den Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung führt sie aus: Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Ein Verfahren vor der Untersuchungskommission nach Maßgabe der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität habe nicht durchgeführt werden müssen. Maßgeblich sei hier allein das satzungsrechtlich in der Promotionsordnung vorgesehene Verfahren. Die dort einschlägigen Spezialermächtigungen gingen der Arbeit der Untersuchungskommission vor. Die jeweiligen Zuständigkeiten von Dekan und Fakultätsrat seien beachtet worden. Über die Entziehung entscheide der Fakultätsrat. Der Dekan, der auch Vorsitzender des Fakultätsrats sei, treffe die außenwirksame Entscheidung als zuständige Behörde, wobei hier die Begründung des Bescheides vorab mit dem Fakultätsrat besprochen worden sei. Dem Dekan obliege es außerdem, gemäß §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen einzuleiten und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, um eine entsprechende Entscheidung des Fakultätsrats vorzubereiten. Er könne sich hierbei auch Dritter, wie hier veranlasst durch die Beauftragung des Promotionsausschusses, bedienen, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützten. Ungeachtet dessen habe der Fakultätsrat die Vorgehensweise des Dekans jedenfalls in seiner ersten Sitzung am 22. Januar 2013 nachträglich gebilligt. Das Anhörungserfordernis sei gewahrt; eine vorherige Anhörung bezogen auf jeden Einzelaspekt sei nicht erforderlich. Eine Besorgnis der Befangenheit bestehe nicht. Dass das Gutachten von Prof. Dr. S. auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei, bedeute nicht, dass damit jedes Mitglied des Fakultätsrats automatisch als befangen gelte. Die Beweisanregungen der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden. Deren Ablehnung sei rechtmäßig gewesen.
33Auch in materieller Hinsicht lägen keine Fehler vor: Die Klägerin habe plagiiert, weil sie Textpassagen aus einschlägigen Sekundärquellen übernommen und diese nicht durch Nachweise gekennzeichnet habe; auf die insoweit mit der Klageschrift geltend gemachten Einwände sei im Einzelnen eingegangen worden. Die Klägerin habe objektiv bei dem Betreuer (bzw. Referent) und dem Korreferenten sowie den anderen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät einen Irrtum darüber erregt, dass keine anderen als die jeweils angegebenen Quellen genutzt und wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche gekennzeichnet worden seien. Auch habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf selbst eingeräumt, indem sie zugestanden habe, dass sie stellenweise Rezeptionsleistungen Dritter übernommen, aber nicht hinreichend belegt habe. Ein Täuschungsvorsatz liege nach eingehender Gesamtwürdigung der Befunde vor. Ob die eingereichte Dissertation annahmefähig gewesen wäre, wenn sie die fehlenden Nachweise enthalten hätte, sei irrelevant. Eine “geltungserhaltende Reduktion“ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.
34Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Entscheidungen zu den §§ 20 und 21 PromO seien im Fakultätsrat separat und nach getrennten Abstimmungen erfolgt; ungeachtet dessen stünden die Regelungen in einem funktionalen Zusammenhang. Deshalb ließen sich die konkreten Ermessenserwägungen nicht voneinander trennen. Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung seien schließlich auch die persönlichen Folgen einer Doktorgradentziehung für die Klägerin berücksichtigt worden. Eine Regelung zur Verjährung gebe es nicht und, selbst wenn, hätte die Klägerin einen entsprechenden Einwand verwirkt, da sie selbst um Überprüfung gebeten habe und die Begünstigung im Übrigen durch vorsätzliche Täuschung erlangt worden sei. Der vorliegende Fall könne auch nicht mit anderen Prüfungsordnungen, in denen sich vereinzelt Verjährungsregelungen fänden, verglichen werden, da es dort im Regelfall lediglich um berufsqualifizierende Abschlüsse gehe und diese anders als eine Dissertation nicht als Beleg für eine besondere wissenschaftliche Befähigung dienten. Es gehe bei einer Promotion um den Kern der wissenschaftlichen Leistung und ihrer rechtlichen Funktion, die auch über längere Zeiträume hinweg die jeweilige Qualifikation in akademischer Hinsicht ausmachten. Schwerwiegende Verstöße gegen korrektes wissenschaftliches Verhalten ließen die Leistung als solche hinfällig werden, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der verstrichen sei. Dass die Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs praktisch gesehen sehr unterschiedlich sei und mit der Zeit verblassen könne, sei rechtlich bedeutungslos. Entscheidend sei, dass eine Dissertation den Anspruch haben müsse, als wissenschaftlicher Diskursbeitrag jederzeit aufgegriffen zu werden. Deshalb sei auch namentlich das Strafrecht, das mit vergleichbar kurzen Verjährungsfristen operiere, kein taugliches Vergleichsobjekt.
35Der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin anwesende Prozessbevollmächtigte hat Beweisanträge gestellt und beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass die Methode des Nachweises der von der Klägerin in der Dissertation benutzten und im Beweisantrag im Einzelnen aufgeführten Werke in der erziehungswissenschaftlichen Literatur 1980 nicht unüblich gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen sowie ferner zum Beweis der Tatsache, dass die seinerzeitigen Gutachter im Promotionsverfahren bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin nicht angenommen hätten, die auf den zuvor genannten Seiten aus der Literatur rezipierten Darstellungen der Auffassungen anderer Autoren seien aus der Primärliteratur durchgängig selbständig erarbeitet worden, Referent und Korreferent als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die Kammer hat die Beweisanträge abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der beklagten Universität Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat keinen Erfolg.
39Die Klage, die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist unbegründet.
40Der angefochtene Bescheid des Dekans der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 14. Februar 2013 und die diesem zugrunde liegende Entscheidung des Fakultätsrats, mit dem die Dissertation als schriftliche Promotionsleistung der Klägerin für ungültig erklärt und unter Berücksichtigung dessen der der Klägerin durch Übergabe der Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehene Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückgenommen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies steht zur Überzeugung der Kammer ohne die Notwendigkeit fest, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen oder entsprechend den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen der Klägerin bzw. ihren ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen weiter aufzuklären.
41Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Entscheidungen des Fakultätsrats ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen.
42Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 28).
43Zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG) vom 31. Oktober 2006 (GV NRW S. 474) in der bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Dezember 2012 (GV NRW S. 672) geänderten Fassung sowie die zu diesem Zeitpunkt geltende und auf der Grundlage des Hochschulgesetzes erlassene Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität vom 4. Juli 2000 (Amtl. Bek. vom 11. Juli 2000) - PromO -, in der Fassung der zuletzt mit Ordnung vom 8. März 2011 erfolgten Änderungen.
44Gemäß § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2). Gemäß § 21 PromO kann zudem der Doktorgrad entzogen bzw. zurückgenommen werden, wobei die Regelung auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen verweist (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3).
45Die Entscheidungen des Fakultätsrats sind danach formell (vgl. Ziffer 1) und materiell (vgl. Ziffer 2 und 3) rechtmäßig ergangen.
461.) Die Einwände der Klägerin gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Fakultätsrats greifen nicht durch.
47a) Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen rechtlich unerheblich ist, ob die von der Klägerin gerügten Rechtsmängel den Maßnahmen anhaften, die Dekan und Promotionsausschuss zwecks Klärung der Frage ergriffen haben, ob sich der Fakultätsrat mit den gegen die Klägerin erhobenen “Plagiatsvorwürfen“ befassen soll. Dieses “Vorprüfungsverfahren“ ist nicht Bestandteil des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, auf dessen Überprüfung die gerichtliche Rechtskontrolle beschränkt ist.
48Gemäß §§ 20, 21 PromO entscheidet über die Ungültigkeit der Promotionsleistung und über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades der Fakultätsrat, so dass das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren mit der erstmaligen Befassung des Fakultätsrats begann. Die zuvor ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen des Dekans und des von ihm beauftragten Promotionsausschusses waren deshalb Bestandteil einer dem Verfahren beim Fakultätsrat vorgelagerten Vorprüfung, deren Ziel allein die Klärung der Frage war, ob die mit der “Anzeige“ gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe im Tatsächlichen hinreichend Anlass boten, den Sachverhalt dem Fakultätsrat zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob in einem Verwaltungsverfahren die Gültigkeit der Promotionsleistung der Klägerin sowie deren Berechtigung zur Führung des Doktorgrades überprüft werden sollten. Gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG NRW, der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, ermittelt die Behörde bzw. hier die beklagte Universität, vertreten durch den Dekan, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 HG den Fachbereich (bzw. die Fakultät) leitet und ihn (bzw. sie) innerhalb der Hochschule vertritt, den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt hierbei Art und Umfang der Ermittlungen. Als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Verwaltungsverfahren eingeleitet werden soll, sowie dafür, ob dieses Verfahren gegebenenfalls mit einer Regelung abgeschlossen werden soll, begründen etwaige formelle Mängel dieser Untersuchung deshalb grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Verfahrensposition und damit auch keinen Ansatz für einen eigenen Verfahrensfehler, der sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung auswirken kann.
49Vgl. zum Zweck des § 24 VwVfG und zur Verfahrensposition im Falle der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes: Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 24 Rdnr. 5 ff.
50b) Mit dem Fakultätsrat hat, wie dargelegt, das nach §§ 20, 21 PromO zuständige Organ entschieden. Ob der Fakultätsrat die bei der beklagten Universität auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der beklagten Universität vom 27. Juni 2002 (Amtl. Bek. Nr. 14/2002 vom 28. Juli 2002) - nachfolgend: Grundsätze - zum Zwecke der Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingerichtete ständige Untersuchungskommission hätte bitten dürfen, dem Verdacht gegen die Klägerin nachzugehen und den Sachverhalt aufzuklären, kann offen bleiben. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht. Eine solche ergibt sich weder aus den vorgenannten Grundsätzen selbst noch aus der Promotionsordnung. Vielmehr bestimmt § 8 Abs. 2 Satz 1 der Grundsätze, dass das Verfahren vor der Untersuchungskommission nicht andere, gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelte Verfahren ersetzt. Dementsprechend stellt § 8 Abs. 2 Satz 2 der Grundsätze auch ausdrücklich klar, dass die anderweitig gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelten Verfahren von den jeweils zuständigen Organen eingeleitet werden. Erfüllt daher – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zugleich möglicherweise einen Tatbestand, der nach der einschlägigen Promotionsordnung Sanktionen rechtfertigt, so ist das dafür vorgesehene Verfahren unter Beachtung der in der Promotionsordnung normierten Zuständigkeiten durchzuführen.
51Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009, 3 A 319.05, juris (Rdnr. 36 ff).
52c) Eine Anhörung der Klägerin in dem Verfahren, das der Fakultätsrat mit den Entscheidungen zur Ungültigkeit der Dissertation und zur Rücknahme des Doktorgrades “Dr. phil.“ abgeschlossen hat, ist gemäß § 20 Satz 2 PromO, der der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung in § 28 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht und wonach der Fakultätsrat seine Entscheidung nach Anhörung der oder des Betroffenen durch den Dekan trifft, bzw. gemäß § 21 PromO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt.
53Anhörung im Sinne der vorgenannten Vorschriften bedeutet, dass die Behörde, das heißt der Amtsträger, der für die in der Sache zu treffenden Entscheidung zuständig ist, dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zum Gang des Verfahrens, zum Gegenstand, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zum möglichen Ergebnis innerhalb einer angemessenen Frist gibt.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 14. Aufl. 2013 (Kopp/Ramsauer), § 28 Rdnr. 12 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
55Danach ist hier bezogen auf beide Entscheidungen des Fakultätsrats eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin erfolgt.
56Abgesehen davon, dass dem Fakultätsrat im Rahmen seiner Sitzung am 22. Januar 2013 bereits ausführliche Stellungnahmen der Klägerin aus dem Vorprüfungsverfahren vorlagen und der Klägerin der Bericht von Prof. Dr. S. bereits bekannt war, hatte die Klägerin auch nach der Sitzung des Fakultätsrats vom 22. Januar 2013, in der dieser allein die “Einleitung eines förmlichen Rücknahmeverfahrens“ beschlossen hatte, hinreichend Gelegenheit zum Sach- und Streitstand weiter vorzutragen. Über die vom Fakultätsrat beschlossene Einleitung des “Hauptverfahrens“ sowie darüber, dass der Fakultätsrat für den 5. Februar 2013 zu einer weiteren Sitzung einberufen werden sollte, ist die Klägerin durch die vom Dekan an ihre Prozessbevollmächtigten übermittelte Presseerklärung am Tag der Beschlussfassung am 22. Januar 2013 informiert worden. Auf die Anfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Januar 2013, welche Planungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Verfahrens bestünden und ob noch eine Entscheidung über die Einholung weiterer Gutachten getroffen worden sei oder getroffen werden solle, hat der Dekan mit Schreiben vom gleichen Tage nochmals ergänzend klargestellt, dass der Fakultätsrat in seiner Sitzung vom 22. Januar 2013 “das Verfahren zur Entscheidung über eine eventuelle Ungültigkeitserklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin“ eingeleitet habe, und zugleich darauf hingewiesen, dass die bereits übersandten Unterlagen der Klägerin auch im weiteren Verfahren berücksichtigt würden und dass es der Klägerin unbenommen bleibe, zum Rechtsgutachten Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. Januar 2013 führte der Dekan zudem ergänzend aus, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe, jedenfalls derzeit keine externe Expertise hinzuzuziehen. Damit waren der Klägerin die Grundlagen der weiteren Verfahrensweise des Fakultätsrats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entsprechend der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs offen gelegt. Dass der in der Presseerklärung verwandte Begriff “Hauptverfahren“ dabei untechnisch gemeint war und sowohl das Verfahren zur Erklärung der Ungültigkeit als auch das Verfahren zur Rücknahme des Doktorgrades beinhaltete, musste sich für die Klägerin bei lebensnaher Betrachtungsweise aus den bisherigen Verfahrensabläufen ergeben, in denen der Dekan ihr gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass es um die Frage der Einleitung eines “Aberkennungsverfahrens“ im Sinne der vorgenannten Verfahrensschritte gehe. Dementsprechend haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2013 die Gelegenheit, für die Klägerin vorzutragen, auch tatsächlich genutzt und Beweisanträge gestellt sowie im Rahmen ihrer Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der beklagten Universität zum Verfahrensablauf außerdem zum Ausdruck gebracht, dass ihnen (und damit der Klägerin) unter Berücksichtigung der im Gutachten ausdrücklich erfolgten rechtlichen Befassung mit der Möglichkeit einer Entziehung des Doktorgrades auf der Grundlage von § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW vor dem Hintergrund einer Ungültigerklärung der Promotionsleistung nach § 20 PromO die Tragweite der mit der Presseerklärung bekannt gemachten Einleitung des gegen die Klägerin gerichteten Verfahrens bewusst war. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung, die Betroffene auf die Möglichkeit zu Äußerungen zur Sache ausdrücklich hinzuweisen oder sie dazu aufzufordern bzw. dafür eine Frist zu setzen, bestand nicht.
57Vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 28 Rdnr. 20 m. w. N.
58Ungeachtet der vorherigen Ausführungen wäre ein etwaiger Anhörungsmangel gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW aber auch geheilt.
59d) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 7 HG war es Aufgabe des Dekans, den Beschluss des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 auszuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Dekan den Beschluss dem objektiv erkennbaren Willen des Fakultätsrats zuwider vollzogen hat,
60vgl. zur Umsetzung solcher Beschlüsse nach Maßgabe der früheren Regelung in § 27 Universitätsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. August 1993 (GV NRW S. 532): Leuze in Leuze/Bender, Kommentar zum WissHG NW, letzter Stand Dezember 1998, § 27 Rdnr. 6; vgl. ferner Denninger, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (1984), S. 420 f zu § 64 Rndr. 64 ff.,
61sind unter Zugrundelegung der protokollierten Beschlussfassung nicht ersichtlich. Einer vorhergehenden Genehmigung des genauen Wortlauts des Bescheides durch den Fakultätsrat bedurfte es entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht. Ein solches Gebot findet sich weder im Hochschulgesetz noch in anderen hier maßgeblichen Regelungen bzw. Ordnungen.
62e) Formell rechtswidrig sind die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats auch nicht mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats. Für eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG NRW, der hier gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW Anwendung findet, bestehen objektiv keine Anhaltspunkte. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin erschöpft sich in Mutmaßungen und ist unsubstantiiert. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, die Befangenheit der Mitglieder des Fakultätsrats ergebe sich aus dem Umstand, dass der von Prof. Dr. S. Ende September 2012 dem Promotionsausschuss vorgelegte Bericht auf ungeklärtem Wege an die Presse gelangt sei. Inwieweit dieser Umstand geeignet sein soll, die Besorgnis zu begründen, dass die Mitglieder des Fakultätsrats nicht unparteilich entscheiden würden, erschließt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
63f) Der Umstand, dass, wie von der Klägerin beanstandet, die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) ihrer Dissertation nicht als sachverständiger Zeuge vernommen wurden, begründet schon vom Ansatz her keinen selbständigen formellen Mangel. Ungeachtet dessen kam es auf ihre Einvernahme aber auch nicht an, wie im Weiteren noch auszuführen sein wird.
64Die angefochtenen Entscheidungen des Fakultätsrats, die Dissertation der Klägerin für ungültig zu erklären (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) und den Doktorgrad “Dr. phil.“ zurückzunehmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3), sind auch materiell rechtmäßig.
652.) Nach § 20 Satz 1 PromO können die Promotionsleistungen durch den Fakultätsrat unter anderem dann für ungültig erklärt werden, wenn sich nach Aushändigung der Promotionsurkunde ergibt, dass sich die Doktorandin oder der Doktorand bei der Zulassung zum Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. Ziffer 2 a – c) sind gegeben. Schließlich hat der Fakultätsrat auch das ihm nach der Vorschrift eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 2 d).
66Mit dem Begriff der Täuschung knüpft die Promotionsordnung an die dem Tatbestand des § 263 StGB innewohnenden Merkmale an. Danach sind Voraussetzungen einer Täuschung das Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschungshandlung - durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen - (vgl. dazu Ziffer 2 a), ferner das Erregen eines Irrtums sowie die Ursächlichkeit der Täuschungshandlung für den erregten Irrtum (vgl. dazu Ziffer 2 b) und schließlich das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes (vgl. dazu Ziffer 2 c).
67Dass der Fakultätsrat diese Voraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht in Bezug auf die Dissertation der Klägerin als gegeben angesehen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden, wobei die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlung wegen des dem Fakultätsrat hier eingeräumten Beurteilungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
68Vgl. zum Beurteilungsspielraum im vorbeschriebenen Zusammenhang etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 34); vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl 2010 S. 176 (179); vgl. zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
69a) Eine rechtserhebliche Täuschungshandlung durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen liegt, soweit hier von Interesse, vor, wenn Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Promovenden selbst, sondern von einem anderen Autor stammen und der Promovend dies nicht kennzeichnet.
70Vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rdnr. 21) und BayVGH, Beschluss vom 19. August 2004, 7 CE 04.2058, juris (Rdnr. 18).
71aa) Unter Zugrundelegung des für das Prüfungsrecht aus dem Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots, eine Prüfungsleistung persönlich zu erbringen, ist Grundvoraussetzung für eine der Bewertung zugängliche und außerdem für den Abschluss des Studiums bedeutende Prüfungsleistung, wie hier in Gestalt der grundständigen Promotion der Klägerin, dass der Promovend die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen eigenständig und unverfälscht erbringt. Die Anforderungen, die an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen sind, ergeben sich aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit. Dieses erfordert wiederum, geistiges Eigentum Dritter nachprüfbar zu machen, indem sämtliche wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken aus Quellen und Literatur als solche kenntlich gemacht werden.
72Diese Anforderungen entsprechen auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das hierzu in seinem Urteil vom 20. Dezember 1991 (15 A 77/89) im Zusammenhang mit einer Täuschung bei einer im Jahre 1976 angefertigten Habilitationsschrift das Folgende ausgeführt hat (vgl. juris, Rdnr. 11):
73“...Es ist ein grundlegendes, jedermann einsichtiges und allseits anerkanntes Gebot der Redlichkeit, in einer wissenschaftlichen Arbeit Gedanken anderer Autoren, selbst wenn sie nur Ausgangspunkt eigener Überlegungen sein sollen, als solche kenntlich zu machen, sei es im Text oder in den beigefügten Zitaten. Noch mehr und erst recht gilt dies, wenn eine fremde gedankliche Leistung in weithin nur wiederholender Darstellung aufgegriffen und lediglich in Einzelheiten weitergeführt, vervollkommnet [...] werden soll. Unterbleibt in diesem [...] Fall die Kenntlichmachung der fremden Leistung, so muss der unbefangene Leser in dem selbstverständlichen Vertrauen, dass jene grundlegende Regel wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten ist, einen falschen Eindruck von Umfang und Wert der eigenen Leistung des Verfassers gewinnen; zumindest aber gerät er in die Gefahr, einem solchen Irrtum zu erliegen....“
74Dementsprechend hat die Klägerin auch gemäß § 3 Ziff. 3c der zum Zeitpunkt der Anfertigung ihrer Dissertation einschlägigen Promotionsordnung vom 15. Februar 1977 (nachfolgend: PromO a.F.), genehmigt mit Erlass des damaligen “Ministerium für Wissenschaft und Forschung“ des Landes Nordrhein-Westfalen – abgekürzt: MWF NW – Az. I B 2 8101/071 (Amtl. Bek. 1/1977 vom 27. Mai 1977), eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts abgegeben, dass sie die vorgelegte Dissertation selbst und ohne unerlaubte Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
75Hier hat die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht, wobei dem Fakultätsrat die maßgeblichen Umstände erst nach Aushändigung der Promotionsurkunde bekannt geworden sind.
76Entgegen den zuvor dargestellten Anforderungen hat die Klägerin in rechtserheblichem Umfang ohne erforderliche Kennzeichnung und ohne Angabe der von ihr genutzten Quellen wörtliche oder leicht umgewandelte oder sinngemäß übernommene Passagen aus den von ihr verwendeten Quellen in ihre Dissertation übernommen und damit den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Maßgabe des dem Fakultätsrat vorliegenden Berichts von Prof. Dr. S. (Stand: 12. Dezember 2012) fest, der nach einer eigenständigen Überprüfung der Dissertation der Klägerin anhand der Originaltexte im Rahmen einer synoptischen Gegenüberstellung der einzelnen Belegstellen aus der Dissertation mit den jeweils nicht genannten Quellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat, dass die Dissertationsschrift mit den in dem Bericht im Einzelnen bezeichneten Textstellen Passagen enthält, die als nicht eigenständige Leistung der Klägerin zu werten sind. Die Kammer hat im Rahmen eines von ihr selbst vorgenommenen Textabgleichs die von Prof. Dr. S. behaupteten Textgleichheiten oder Textähnlichkeiten, die sich in allen drei Teilen der Dissertation, im Schwerpunkt allerdings im zweiten Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“), finden, überprüft. Danach sind die in dem Bericht von Prof. Dr. S. aufgeführten Befunde (vgl. zusammenfassend Seite 87 des Berichts) in ihrer Richtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.
77Im Einzelnen handelt es sich um folgende Befundstellen:
78(1) Erster Teil der Arbeit (“Der Verstehenshorizont“, S. 20 – 58):
79Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
80Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
81Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
82Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
83Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
84Die Seiten 50 – 52 der Dissertation enthalten, wie Prof. Dr. S. zu Recht rügt, Übernahmen aus der Arbeit von Joseph Speck (Die anthropologische Fundierung erzieherischen Handelns. Zur Problematik “personaler“ Pädagogik, Münster 1968), die sich zum Personenbegriff verhalten, wie ihn Max Müller und Alois Halder (Person – I. Begriff und Wesen der Person, in Staatslexikon: Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1961, Sp. 197 – 206) entwickelt haben, ohne diese Übernahmen als solche kenntlich zu machen.
85Auf Seite 56 umfasst die Dissertation einen Absatz, der als Zitat von Karl Jaspers (Allgemeine Psychopathologie, Berlin, Heidelberg 1948, S. 275) gekennzeichnet wird. Tatsächlich handelt es sich aber, wie von Prof. Dr. S. zu Recht beanstandet wird, um ein “Zitat im Zitat“; dabei wurde der Absatz in Gänze aus einer Arbeit von Walter Tröger (Erziehungsziele, München 1967) übernommen.
86(2) Zweiter Teil der Arbeit (“Theorien über das Gewissen“, S. 59 – 253):
87Die Seiten 62 – 70 der Dissertation, auf denen sich die Klägerin mit zwei Arbeiten von Niklas Luhmann auseinandersetzt (Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 90, H. 3 (1965), S. 257 – 286, und, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 223 – 243), umfassen, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend moniert wird, etliche nicht kenntlich gemachte Textübernahmen (Satzstücke und/oder Wendungen) aus den vorgenannten Publikationen von Luhmann. Stellenweise (vgl. etwa Seite 70 der Dissertation) wird der Eindruck erweckt, ein korrekt ausgewiesenes Luhmann-Zitat werde mit einer bereits zuvor gebrachten vermeintlich eigenständigen, tatsächlich aber ebenfalls aus den Werken von Luhmann stammenden Folgerung verbunden. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 29 – 42) wird insoweit Bezug genommen.
88Die auf den Seiten 75 – 76 der Dissertation dargestellte Freud-Rezeption ist, wie im Bericht von Prof. Dr. S. ebenfalls zu Recht beanstandet wird, fast vollständig aus nicht gekennzeichneten, identisch übernommenen oder geringfügig abgewandelten Textbausteinen aus der Schrift von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen. Von der Stimme “Gottes“ zum “Über-Ich“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970) zusammengefügt worden. Stadter wird auch gar nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
89Zu Recht hat Prof. Dr. S. ferner gerügt, dass sich Seite 78 der Dissertation nahezu in Gänze als “Collage“ von solchen Textstellen erweist, die ohne Kennzeichnung aus den Werken von Josef Nuttin (Psychoanalyse und Persönlichkeit, Freiburg/Schweiz 1956), Gustav Bally (Einführung in die Psychoanalyse Siegmund Freuds, Hamburg 1974) sowie Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis (Das Vokabular der Psychoanalyse, 2 Bde., Frankfurt am Main 1972) übernommen wurden. Letzteres Werk wird ebenfalls nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.
90Auf den Seiten 82 – 83 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, über mehrere Abschnitte hinweg nicht kenntlich gemachte Übernahmen fast identischer oder sprachlich nur geringfügig veränderter Textpassagen aus einer Arbeit von Heinz Häfner (Das Gewissen in der Neurose, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluss wichtiger Grenzgebiete, hrsg. von Victor E. Frankl u.a., Bd. 2: Spezielle Neurosenlehre, München 1959, S. 692 – 726).
91Seite 84 der Dissertation betrifft die Rezeption von Erik H. Erikson (Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1972). Diese umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte wörtliche oder leicht angepasst übernommene Textbausteine aus einer Arbeit von Gerhard Klier (Gewissensfreiheit und Psychologie. Der Beitrag der Psychologie zur Normbereichsanalyse des Grundrechts der Gewissensfreiheit, Berlin 1978).
92Auf den Seiten 90 – 94 der Dissertation finden sich, wie im Bericht von Prof. Dr. S. richtigerweise ausgeführt wird, nicht kenntlich gemachte, wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textpassagen und Textstellen aus den Werken von Henry Jacoby (Alfred Adlers Individualpsychologie und dialektische Charakterkunde, Frankfurt/Main 1974), Antoni J. Nowak (Gewissen und Gewissensbildung heute in tiefenpsychologischer und theologischer Sicht, Wien, Freiburg, Basel 1978) und Otto Baumhauer (Das Vor-Urteil des Gewissens, Limburg 1970), die allesamt Rezeptionen von Alfred Adler betreffen.
93Die Seiten 101 – 105 weisen zahlreiche nicht kenntlich gemachte textidentische oder nur geringfügig abgewandelte Elemente aus der Arbeit von Jolande Jacobi (Der Weg zur Individuation, Zürich, Stuttgart 1965) auf. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 54 – 58) wird Bezug genommen.
94Die Seiten 113 – 114 der Dissertation umfassen, wie von Prof. Dr. S. im Bericht zu Recht beanstandet wird, über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite weitgehend wörtlich übernommene oder leicht angepasste “Textbausteine“ aus dem Werk von Nowak (a.a.O.) in Bezug auf die Rezeption der Texte von Igor A. Caruso (Der Vorstoß ins Weltall als psychologisches Problem, in: “Der Psychologe“ 12, 11, 1960), wobei Nowak auf den vorgenannten Seiten nur in Bezug auf zwei kleinere Halbsätze als Autor zitiert wird.
95Zutreffend weist Prof. Dr. S. ferner darauf hin, dass Seite 135 der Dissertation textidentisch übernommene oder leicht angepasste, teilweise voneinander getrennte und neu zusammengefügte Textpassagen aus dem Werk von Alfred L. Baldwin (Theorien primärer Sozialisationsprozesse, 2 Bde., Weinheim, Basel 1974) umfasst, die sich unmittelbar auf Piaget (= Originalquelle) beziehen. Baldwin wird lediglich als Urheber eines Satzes durch ein Zitat ausgewiesen.
96Auf den Seiten 140 – 143 der Dissertation finden sich, was Prof. Dr. S. zutreffend rügt, nicht kenntlich gemachte vollständig übernommene oder leicht abgewandelte Textbausteine aus dem Werk von Fritz Oser (Das Gewissen lernen. Probleme intentionaler Lernkonzepte im Bereich der moralischen Erziehung, Olten, Freiburg 1976), die sich ebenfalls zu Piaget verhalten. Oser wird nur im Zusammenhang mit vereinzelten Textstellen als Autor, nicht aber auch als Ausgangsquelle im Übrigen benannt.
97Der Text auf Seite 165 der Dissertation, der sich mit Kant auseinandersetzt (vgl. Ziffer 6. der Dissertation der Klägerin “Das Gewissen als Richter der Vernunft“), enthält über das korrekt ausgewiesene Zitat (Fußnote 4) hinaus weitere, nicht kenntlich gemachte Übernahmen aus einer Arbeit von Johannes Schwartländer (Der Mensch ist Person, Kants Lehre vom Menschen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968), in denen die Klägerin mit den von Schwartländer übernommenen Textpassagen eigenständige Überlegungen vorspiegelt. Ergänzend wird insoweit auf Seite 65 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug genommen.
98Auf den Seiten 216 – 217 der Dissertation finden sich, wie Prof. Dr. S. weiter zu Recht moniert, erneut wörtlich übernommene oder sprachlich leicht angepasste Textbausteine aus dem Werk von Reinhold Mokrosch (Das religiöse Gewissen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979) in Bezug auf die Wiedergabe der Traditionsgeschichte des Gewissens als Gegenstand theologischer Reflexion. Mokrosch wird lediglich im Zusammenhang mit zwei wörtlichen Zitaten aus seinem Werk als Beleg aufgeführt.
99Die Seiten 225 – 227 und 231 – 233 der Dissertation weisen in erheblichem Umfang (teilweise über mehrere Absätze hinweg im Umfang einer vollen Seite) nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht abgewandelte “Textbausteine“ aus einer Arbeit von Alfons Auer (Autonome Moral und christlicher Glaube, in: Katechetische Blätter, Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, kirchliche Jugendarbeit, 102 [1977], S. 60 – 76) zum Verständnis der Moraltheologie in der Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer Glaubensethik und einer autonomen Moral im christlichen Kontext auf. Verweise auf Auer als Autor erfolgen nur in Bezug auf vereinzelte Aussagen (vgl. S. 226, Fußnote 1) und in Bezug auf ein wörtliches Zitat (vgl. S. 227, Fußnote 2). Die Ausführungen auf Seite 231 der Dissertation, die fast vollständig textidentisch von Auer übernommen wurden, enthalten ebenso wie die auf Seite 232 abgehandelten und von Auer übernommenen Darlegungen zu den Positionen von Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs keinerlei Nachweise auf das Werk von Auer. Auf den Bericht von Prof. Dr. S. (vgl. dort die Seiten 69 – 73) wird ergänzend Bezug genommen.
100Seite 241 der Dissertation umfasst, worauf Prof. Dr. S. zu Recht hinweist, nicht kenntlich gemachte Übernahmen eines Textausschnitts und eines Zitats zu Bruno Schüller aus dem Werk von Wilhelm Korff (Kernenergie und Moraltheologie. Der Beitrag der theologischen Ethik zur Frage ethischer Kri-terien allgemeiner Entscheidungsprozesse, Frankfurt a. M., 1979).
101(3) Dritter Teil der Arbeit (“Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“), S. 254 – 335:
102Auf den Seiten 259 – 260 folgt die Dissertationsschrift im Rahmen der Rezeption von Martin Buber (Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7 – 136) vollständig dem Aufbau und den Formulierungen in der Arbeit von Johannes Nosbüsch (Das Personenproblem in der gegenwärtigen Philosophie, in: Personale Erziehung. Beiträge zur Pädagogik der Gegenwart, hrsg. von Berthold Gerner, Darmstadt 1965, S. 33 – 88), ohne die jeweils übernommenen Textpassagen kenntlich zu machen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 76 des Berichts wird ergänzend Bezug genommen.
103Die Ausführungen auf den Seiten 279 - 280 der Dissertation weisen im Sinne von Prof. Dr. S. nicht kenntlich gemachte “Collagen aus Textbausteinen“ auf, die zunächst aus dem Werk von Johannes Stelzenberger (Das Gewissen. Besinnliches zur Klarstellung eines Begriffes, Paderborn 1961), zum weit überwiegenden Teil aber aus dem Werk von Alexander F. Schischkin (Das Gewissen, in: Das Gewissen in der Diskussion, hrsg. von Jürgen Blühdorn, Darmstadt 1976, S. 343 – 352) übernommen wurden. Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit auf die Seiten 77 – 79 des Berichts von Prof. Dr. S. Bezug.
104Zu Recht moniert Prof. Dr. S. weiter, dass die Seiten 296 - 297 der Dissertation nicht kenntlich gemachte, fast vollständig textidentische Übernahmen aus dem Werk von Dietmar Mieth (Normative Sittlichkeit und ethisches Lernen, in: Ethisch handeln lernen. Zu Konzeption und Inhalt ethischer Erziehung, hrsg. von Günter Stachel und Dietmar Mieth, Zürich 1978, S. 183 – 201) beinhalten, die sich zu Johannes Schwartländer verhalten. Die diese Passage beschließende Fußnote auf Seite 297 (Fußnote 1) signalisiert dagegen eine unmittelbare und eigenständige Rezeption Schwartländers durch die Klägerin.
105Die Seiten 307 – 308 der Dissertation vermitteln, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, den Eindruck, dass die relevante und in den Fußnoten aufgeführte Literatur in Bezug auf den Text eigenständig rezipiert wurde. Tatsächlich wurden die zitierten Begriffsprägungen ebenso wie die entsprechenden Nachweise in den Fußnoten und auch die auf Seite 308 dargestellten Textausschnitte ohne dies kenntlich zu machen vollständig aus dem Werk von Antoni J. Nowak (a.a.O.) übernommen. Hinsichtlich der im Fließtext übernommenen Bezugnahme auf Griesl fehlt es darüber hinaus gänzlich an einem bibliographischen Nachweis. Seine Arbeit ist auch im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
106Auf den Seiten 312, 315, 316 und 322 der Dissertation finden sich nicht kenntlich gemachte Übernahmen von textidentischen oder leicht abgewandelten Stellen aus dem Werk von Lutz Hupperschwiller (Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht, Stuttgart 1970), die sich zu S. Freud., H. Roth, H. Zulliger, E. Hapke und Igor A. Caruso verhalten und, wie Prof. Dr. S. in seinem Bericht zu Recht ausführt, den Anschein einer eigenständigen Leistung der Klägerin erwecken.
107Die gegen die Annahme einer Täuschungshandlung gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Sie sind schon sämtlich nicht schlüssig, weil sie inhaltlich den Kern der der Klägerin zum Vorwurf gemachten Täuschungshandlungen nicht treffen.
108Rechtlich unerheblich ist, dass die Klägerin die meisten der betroffenen Werke, aus denen sie Textpassagen wortgleich oder leicht abgewandelt übernommen hat, in das Literaturverzeichnis aufgenommen hat. Denn es entspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, dass etwaige Übernahmen von anderen Autoren bei den jeweiligen Textstellen als Zitate oder auf andere geeignete Weise kenntlich gemacht werden.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, m. w. N., juris (Rdnr. 18); vgl. ferner VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, m. w. N., juris (Rdnr. 78), VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 14).
110Der Fakultätsrat ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die von ihm zugrunde gelegten Anforderungen, dass jeder Gedankengang und jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern von dem Werk eines anderen herrühren, sowie sämtliche aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen als solche kenntlich zu machen sind und auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierung) so deutlich gemacht werden müssen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu ihm spricht.
111Vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a. a. O.
112Die Rechtmäßigkeit dieser Anforderungen wird von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt.
113Die Behauptung der Klägerin, die von ihr in der Dissertation praktizierte Vorgehensweise habe der üblichen Zitierweise in den 80er Jahren entsprochen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtlich unerheblich, weil eine solche Zitierpraxis unter Berücksichtigung der sich allein aus dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Eigenständigkeit wissenschaftlichen Arbeitens rechtswidrig gewesen wäre. Auf die insoweit von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 1.) und den ergänzenden schriftsätzlichen Beweisanregungen begehrte Sachaufklärung dazu, dass die von ihr praktizierte Methode zum Nachweis von Literatur üblich gewesen sei, kam es und kommt es daher offenkundig ebenso wenig an, wie darauf, dass sich in den 80er Jahren ein als verbindlich angesehener Standard, der die von ihr praktizierte Darstellungsweise ausgeschlossen habe, nicht etabliert habe.
114Daran ändert auch die diese Behauptung der Klägerin stützende Stellungnahme des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. , nichts, der zufolge in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. Abgesehen davon, dass diese Verfahrensweise ohnehin nicht alle in der Dissertation der Klägerin beanstandeten Befundstellen abdecken würde, da die Klägerin mehrfach auch ohne Bezug zu irgendeinem wörtlichen Zitat Textstellen aus der Sekundärliteratur übernommen hat (vgl. etwa auf S. 75 – 76, S. 78, S. 297 und S. 308 der Dissertation), und abgesehen davon, dass bei etlichen Befundstellen zwischen dem wörtlichen Zitat und den übernommenen Textstellen schon wegen des erheblichen Umfangs der Paraphrasen kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen dem wörtlichem Zitat und der Paraphrase festzustellen ist (vgl. etwa S. 26 und S. 50 – 51 der Dissertation ), redet I1. in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt),
115vgl. zum Begriff “Bauernopfer“: Weber-Wulff, Technische Möglichkeiten der Aufdeckung von Plagiaten – Was kann, wie und durch wen kontrolliert werden, in: Plagiate, Wissenschaftsethik und Recht, hrsg. von Thomas Dreier und Ansgar Ohly, Tübingen 2013, unter Hinweis auf Lahusen, Goldene Zeiten – Anmerkungen zu Hans-Peter Schwintowski, Juristische Methodenlehre, UTB basics Recht und Wirtschaft, 2005, KJ 2008, 398, 405,
116Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben.
117Im Übrigen bestehen auch keine verifizierbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade für das Fach Erziehungswissenschaften an der philosophischen Fakultät der beklagten Universität etwas anderes gegolten habe. Vielmehr sprechen alle Umstände auch hier für eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Sinne der eingangs dargestellten Anforderungen. So heißt es etwa in den in einer Schrift von Wolfgang Kramp von 1978 (Düsseldorfer Materialien zum Studium der Erziehungswissenschaften) enthaltenen Hinweisen zur Literaturverarbeitung in Seminar-Arbeiten, deren Mitverfasser der für die Dissertation der Klägerin zuständige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. war, unter Ziffer 6.) zur Wiedergabe sinngemäßer Zitate:
118“... Wenn man längere Ausführungen eines Autors zusammenfassend wiedergeben will, kommt an Stelle eines wörtlichen nur ein sinngemäßes Zitat, das man in eigene Worte fassen muss, in Frage. Jedes sinngemäße Zitat muss genauso wie ein wörtliches Zitat mit einer genauen Quellenangabe versehen werden. ...“,
119und unter Ziffer 9.) zu Quellenangaben bei Zitaten aus erster und zweiter Hand:
120“... Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man bei Verwendung des MLA-Zitiersystems: “...“ (Goffman 1959, S. 145 f ; zit. nach Cicourel 1974, S. 98 f); entsprechend verfährt man auch bei Quellenangaben in Fußnoten oder Anmerkungen. ...“.
121Es unterliegt aus Sicht der Kammer keinem Zweifel, dass auch seinerzeit die Anforderungen an die Darstellungs- und Zitierweise in einer Dissertation nicht unterhalb derjenigen Anforderungen gelegen haben, die an die Anfertigung einer Seminararbeit gestellt wurden.
122Ungeachtet dessen spricht gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vorgehen habe den Anforderungen an die Zitierweise zum Zeitpunkt der Erstellung der Dissertation entsprochen, schließlich auch, dass sie in ihrer Arbeit an den nicht beanstandeten Stellen im Einklang mit den vorbeschriebenen Regeln zitiert. Das gilt sowohl für die Kennzeichnung unmittelbar wörtlicher oder sinngemäßer Übernahmen (vgl. etwa den ersten Absatz auf S. 279 und Fußnote 2 auf S. 280), als auch für die Kennzeichnung der Übernahme von Zitaten aus Zitaten in den Werken Dritter (vgl. etwa auf S. 46 sowie ähnlich auf S. 53, 54, 55, 160, 165, 223, 266, 280, 289, 295 und 322), sowie für die Kennzeichnung der Übernahme von Literaturangaben aus den Werken Dritter (vgl. etwa Fußnote 4 auf S. 279 der Dissertation).
123Rechtlich unerheblich ist schließlich, ob es in der Vergangenheit an der Philosophischen Fakultät der beklagten Universität bei der Anfertigung von Dissertationen zu Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit gekommen ist, die in rechtswidriger Weise unbeanstandet geblieben sind. Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen.
124Ob die Klägerin, wie sie weiter behauptet, die von ihr benannten Quellen der Primärliteratur tatsächlich selbst überprüft hat oder nicht und ob sie die Werke in ihrer Bibliothek vorhält, ist ebenfalls rechtlich ohne Bedeutung. Der Vortrag geht in der Sache am objektiven Gehalt des Täuschungsvorwurfs vorbei, der beinhaltet, dass die Klägerin ihre Entlehnungen aus der Sekundärliteratur zwecks Darstellung der Erkenntnisse zu der Primärliteratur, wie bereits dargelegt, in ihrer Dissertation nicht durchweg hinreichend kenntlich gemacht hat. Dass die Klägerin insbesondere in Bezug auf die den zweiten Teil der Dissertation betreffenden Befunde und die von ihr dort dargestellten “Theorien des Gewissens“ keine eigenen Lösungen präsentiert, sondern lediglich fremdes Wissen rezipiert, ist für die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ebenfalls irrelevant und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Denn auch der Reproduktion bzw. der Paraphrasierung fremder Texte liegt stets eine fachlich wertende wissenschaftliche Leistung zu Grunde, die darin besteht, wie die Inhalte erfasst und komprimiert wiedergegeben werden. Mithin unterliegt auch die Verwendung solcher fremd erstellten Reproduktionen und Paraphrasierungen genauso den wissenschaftlichen Zitierregeln, wie die Schöpfung eines gänzlich neuen Inhalts.
125Vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 20), vgl. ferner VG Münster, Urteil vom 20. Februar 2009, 10 K 1212/07, juris (Rdnr. 24), nachgehend OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2010, 14 A 847/09, juris.
126Es ist ferner rechtlich unerheblich, ob von der Klägerin, wie sie unterstützt durch die von ihr hierzu vorgelegten Stellungnahmen von I3. G. und I2. -F. U. moniert, eine Erarbeitung des interdisziplinären beschreibenden zweiten Teils der Arbeit allein aus der jeweiligen Primärliteratur nicht erwartet werden konnte. Der Vortrag geht auch hier am Kern des Täuschungsvorwurfs vorbei. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und / oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der “Zwischenquelle“ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.
127Rechtlich bedeutungslos ist auch der Einwand der Klägerin, die Darstellung des “Zeckenbeispiels“ von Uexküll (vgl. Fußnote 1 auf S. 26 der Dissertation) habe seinerzeit zum Standardwissen in den Erziehungswissenschaften gehört. Selbst wenn es sich hierbei um selbstverständliches Allgemeinwissen der Erziehungswissenschaften gehandelt haben sollte, ändert dieser Umstand nichts daran, dass sich das “Zeckenbeispiel“ in der von der Klägerin in ihrer Dissertation geschilderten Fassung in dieser konkreten Form gerade nicht in der Originalquelle wiederfindet, sondern so einer von ihr an dieser Stelle nicht kenntlich gemachten Sekundärquelle entnommen worden ist. Auf die von der Klägerin angeregte Sachaufklärung dazu, dass es sich bei dem “Zeckenbeispiel“ um erziehungswissenschaftliches Allgemeinwissen gehandelt habe, kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, ob die Wiedergabe dieses Standardbeispiels in ihrer Dissertation eine wissenschaftliche Leistung darstellt.
128Soweit die Klägerin in Bezug auf die die Seiten 225 ff der Dissertation betreffenden Befundstellen (hier die Übernahme von Textpassagen aus der Arbeit von Alfons Auer, a.a.O.), geltend macht, das Thema (Verständnis der Moraltheologie) sei Gegenstand der Vorlesungen bei Franz Böckle sowie zahlreicher Buchveröffentlichungen gewesen, außerdem entsprächen ihre Formulierungen an vielen Stellen der damaligen moraltheologischen Literatur und gehörten gleichsam zum Allgemeingut der Moraltheologie dieser Zeit, verfehlt auch dieser Einwand den Kern der Täuschungsvorwürfe. Die Abhängigkeit der beanstandeten Textpassagen von den von Alfons Auer (a.a.O.) gewählten Formulierungen, dessen Text die Klägerin teilweise wörtlich übernommen oder leicht angepasst bzw. teilweise zerlegt und neu arrangiert hat, wird damit nicht etwa widerlegt, sondern im Gegenteil von der Klägerin der Sache nach eingeräumt.
129Dass einzelne Autoren (zum Beispiel Stadter und Fend) sich durch das Nichtzitieren ihrer Werke in der Dissertation der Klägerin nicht nachteilig betroffen fühlen, ist für die hier allein entscheidende Frage, nämlich ob die Klägerin getäuscht hat, offensichtlich ebenfalls irrelevant.
130bb) Nicht zu beanstanden ist aus Rechtsgründen auch, dass der Fakultätsrat die Täuschungshandlung als erheblich angesehen hat und davon ausgegangen ist, dass kein Bagatellfall vorliegt.
131Hinsichtlich der Frage, ob eine erhebliche Täuschungshandlung oder nur ein Bagatellfall vorliegt, verbleibt dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Zwar obliegt diesem im “Aberkennungsverfahren“ keine fachlich (neue) Beurteilung der Dissertation als Prüfungsleistung. Ein Beurteilungsspielraum besteht aber hinsichtlich des Umfangs oder des Gewichts eines Plagiats und des Ausmaßes der damit verbundenen Schädigung der öffentlichen Interessen.
132Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.
133Die Beurteilung dieser nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beantwortenden Fragen hat der Satzungsgeber in § 20 PromO bewusst dem Fakultätsrat als wissenschaftlichem Gremium zugewiesen. Innerhalb dieses Beurteilungsspielraums ist die gerichtliche Kontrolle auf die Prüfung beschränkt, ob die getroffene Entscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder von sachfremden Erwägungen getragen wird.
134Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, a. a. O.; vgl. ferner im Rahmen eines Überblicks über die Rechtsprechung: Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, a. a. O.; vgl. ferner zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums im Prüfungsrecht allgemein: Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 639 ff.
135Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot oder aber dafür, dass der Verneinung eines Bagatellfalls durch den Fakultätsrat sachfremde Erwägungen zugrunde gelegen hätten, sind nicht ersichtlich.
136Der Fakultätsrat hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Täuschungshandlung der Klägerin erheblich ist, maßgeblich auf die Quantität und Qualität der aufgedeckten Befunde abzustellen ist.
137Rechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit, dass der Fakultätsrat unter Berücksichtigung der Anzahl der Täuschungsverstöße in der Dissertation, die laut Bericht von Prof. Dr. S. insgesamt 60 Befunde betreffen, in der Gesamtschau davon ausgegangen ist, dass damit quantitativ die Bagatellgrenze überschritten wird. Denn in der Sache zutreffend hat er dabei darauf abgestellt, dass die vorgenannten Befundstellen alle drei Teile der Arbeit betreffen, sich jeweils mindestens über mehrere Zeilen, wenn nicht sogar über mehrere Seiten erstrecken und sich auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Autoren beziehen. Dass die Dissertation seiner Meinung nach in erheblichem Umfang Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit enthält, hat der Fakultätsrat damit in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet.
138Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Fakultätsrat darauf abgestellt hat, die Befunde beträfen auch in qualitativer Hinsicht wesentliche Teile der Arbeit. Ohne erkennbare Rechtsfehler hat er dabei angenommen, dass dem zweiten Teil der Dissertation, in dem sich die festgestellten Täuschungsbefunde schwerpunktmäßig finden und in dem die verschiedenen “Theorien des Gewissens“ vorgestellt werden, keine nur untergeordnete wissenschaftliche Bedeutung zukommt. Seine diesbezügliche Begründung, das zweite Kapitel, das schon von seinen Ausdehnungen her einen Großteil der Arbeit einnehme, bilde auch inhaltlich ein Kernelement der Arbeit, deren Anspruch gerade darin gelegen habe, sich dem Thema vergleichend aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und ihrer Methoden zu nähern, ist plausibel und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit er außerdem die korrekte Aufbereitung des Materials, seine Einordnung und wechselseitige Zuordnung sowie das Verständnis der unterschiedlichen – teils disparaten – Sichtweisen als einen wesentlichen Teil der spezifischen Promotionsleistung der Klägerin angesehen hat, ist dies nachvollziehbar. Denn auch die komprimierte Darstellung der Theorien und die Gewinnung gedanklicher Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Auffassungen anderer Wissenschaftler, die Strukturierung und Gewichtung dieser Schlussfolgerungen sowie ihre sprachliche Umsetzung in einen wissenschaftlichen Text stellen eigenständige wissenschaftliche Leistungen dar.
139Die Bedeutung des dies leistenden zweiten Kapitels der Dissertation der Klägerin hat der Fakultätsrat dabei rechtsfehlerfrei aus den Stellungnahmen der Gutachter (bzw. Referenten) des seinerzeitigen Promotionsverfahrens entnommen. Wie sich aus diesen Stellungnahmen ergibt, wurde gerade der abgewogenen Darstellung und Interpretation der Primärquellen durch die Klägerin im Rahmen der theoretischen Synthese - und insoweit dem Mittelteil ihrer Dissertation (Theorien über das Gewissen) - eine zentrale Bedeutung für ihre Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und die Qualität ihrer schriftlichen Promotionsleistung beigemessen.
140Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
141“...Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. [...] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. [...] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert [...] eine jeweils stimmige Leistung....“
142Auch der Zweitgutachter (bzw. Korreferent) Prof. Dr. I. hebt in seinem Gutachten hervor, dass “vor allem der umfangreiche Mittelteil `Theorien des Gewissens´ von zentraler Bedeutung“ sei, “die Ausbreitung einer Reihe von Gewissenstheorien […] der Untersuchung ein hohes Maß an sachlicher Korrektheit“ gebe, “die Einbindung der hier vorliegenden Fragestellung in Nachbardisziplinen wie Philosophie und Psychologie“ deutlich werde und “der Aufbereitung der einzelnen Gewissenstheorien […] ein Bearbeitungsschema zugrunde“ liege, “das die Lesbarkeit“ fördere “und der Vergleichbarkeit der einzelnen Ansätze“ diene.
143Angesichts dessen kann offen bleiben, ob allein schon die von der Klägerin aus der Arbeit von Ernst Stadter (Psychoanalyse und Gewissen) auf den Seiten 75 und 76 der Dissertation übernommenen und nicht kenntlich gemachten Textpassagen dazu führen könnten, von einer erheblichen Täuschungshandlung auszugehen.
144Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. August 847/09, juris (Rdnr. 22) zur Täuschungssanktion und Verhältnismäßigkeit bei einem Plagiat über 1 1/3 Seiten bei einer 47-seitigen Arbeit.
145b) Die Klägerin hat durch ihre Verfahrensweise bei den seinerzeitigen Gutachtern (bzw. Referenten) sowie bei den übrigen an der Promotionsentscheidung beteiligten Mitgliedern der Fakultät auch einen Irrtum erregt.
146Irrtum ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit. Die Erregung bzw. Hervorrufung eines Irrtums setzt voraus, dass die Fehlvorstellung des Getäuschten durch die Täuschungshandlung begründet wird.
147Vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Aufl. 2014 (Fischer), § 263 Rdnr. 54 und 64.
148Zur Überzeugung der Kammer steht auch ohne die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung, wie sie von der Klägerin mit dem Beweisantrag zu 2.) und den entsprechenden Beweisanregungen beantragt worden ist, fest, dass die Klägerin im Sinne der vorbezeichneten Definition dadurch, dass sie in ihrer Dissertation schriftlich in den vom Fakultätsrat beanstandeten Passagen Gedanken anderer Autoren aufgenommen hat, ohne dies (hinreichend) kenntlich zu machen, bei dem vorgenannten Personenkreis die tatsächlich fehlerhafte Vorstellung herbeigeführt hat, auch diese Textstellen seien von ihr im Sinne der eidesstattlichen Erklärung ohne Hilfsmittel verfasst worden und damit das Ergebnis einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) die Annahme der Dissertation der Klägerin in der vorgelegten Form empfohlen hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit und ihrer eidesstattlichen Erklärung zuwider in ihrer Arbeit im vorbezeichneten Umfang sowohl andere als die von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen verwendet als auch wörtliche oder sinngemäße Übernahmen als solche nicht gekennzeichnet hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel vom 16. Dezember 2012 (XX Online). Dass sich der seinerzeitige Erstgutachter (bzw. Referent) Prof. Dr. X. danach nicht vorstellen kann, dass die Klägerin getäuscht hat, belegt im Gegenteil, dass er von der der Klägerin zum Vorwurf gemachten plagiierenden Verfahrensweise gerade keine Kenntnis hatte. Für die Berechtigung des andernfalls den Gutachtern (bzw. Referenten) gegenüber zu erhebenden Vorwurfs, sie hätten rechtswidrig, wenn nicht sogar in kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin, deren Arbeit in Kenntnis um die Verstöße gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit angenommen, spricht ebenfalls nichts.
149Abgesehen davon wäre es aber auch rechtlich unerheblich und bedurfte auch deshalb keiner weiteren Sachaufklärung, wenn, wie die Klägerin behauptet, die Gutachter (bzw. Referenten) Kenntnis von den Übereinstimmungen der Arbeit mit den von der Klägerin an den beanstandeten Stellen nicht gekennzeichneten Sekundärquellen gehabt hätten bzw. dem Umstand, dass die Klägerin aus der Sekundärliteratur Quellen der Primärliteratur übernommen hat, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen, keine Bedeutung beigemessen haben sollten. Weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich ist nämlich, dass dieser Umstand allen am Promotionsverfahren beteiligten Mitgliedern der Fakultät bekannt gewesen ist. Denn ein durch die Täuschungshandlung hervorgerufener Irrtum liegt auch bereits dann vor, wenn nur einzelne Amtswalter, die an der Entscheidung maßgeblich beteiligt waren, irregeführt worden sind.
150Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 1991, 15 A 77/89, a .a. O., juris (Rdnr. 25)
151Für die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Täuschung und dem Irrtum ist es schließlich unerheblich, ob die Dissertation der Klägerin ohne die diskreditierten Textstellen noch eine eigenständige wissenschaftliche Leistung darstellt (die gegebenenfalls mit einer schlechteren Note hätte bewertet werden können), und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung die Promotionsleistung der Klägerin angenommen und der Doktorgrad hätte verliehen werden können. Die Kammer folgt insoweit den Rechtsausführungen des VGH Baden-Württemberg,
152vgl. Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99. juris (Rdnr. 25),
153in denen es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 18. November 1980, IX 1302/78, [ESVGH 31, 54 (57)] heißt:
154“… Auszugehen ist von der konkreten Identität der vorgelegten Arbeit. Es ist für die Frage der Ursächlichkeit nicht von Bedeutung, ob dem Kläger für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, und erst recht nicht, ob der Anteil selbständiger Eigenleistung an seiner Dissertation mit irgend einer – auch einer schlechteren – Note hätte bewertet werden können. Die Dissertation ist ein Form- und Sinnganzes, das der zuständigen Fakultät zur Bewertung vorliegt. Sie soll beweisen, dass der Bewerber selbständig wissenschaftlich arbeiten kann. […] Diesen Beweis kann sie nur als eigenständige – inhaltliche und formale – Gesamtleistung erbringen. Die Arbeit wird so, wie sie vom Bewerber vorgelegt worden ist, entweder angenommen oder abgelehnt oder mit bestimmten Änderungen angenommen. […] Eine hypothetische Beurteilung einer in dieser Form und mit diesem Inhalt nicht vorgelegten Arbeit ist nicht möglich; denn sie würde eine gedankliche Äußerung des Bewertungsgegenstandes voraussetzen, die auf den Beurteiler und nicht auf den Urheber des Bewertungsgegenstandes zurückgeht. Das gilt selbst für die Beantwortung der […] Frage, was geschehen wäre, `wenn der Kläger die Arbeit […] ordnungsgemäß zitiert hätte´. Denn es lässt sich nicht unterstellen, dass der Kläger eine in dieser Form gedachte Arbeit überhaupt noch mit gleichem Text vorgelegt hätte oder hätte vorlegen können. […]“
155Die vorbezeichneten Erwägungen gelten auch für die streitgegenständliche Dissertation der Klägerin.
156c) Die Klägerin hat auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
157Vgl. dazu, dass bedingter Vorsatz genügt: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 24), ferner VG Frankfurt, Urteil vom 23. Mai 2007, 12 E 2262/05, juris (Rdnr. 15) und BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
158Danach muss der Täuschende zumindest billigend in Kauf nehmen, dass bei dem Getäuschten ein Irrtum hervorgerufen wird.
159Vgl. Fischer, a. a. O., § 263 Rdnr. 180.
160Diese Voraussetzung liegt hier vor.
161Die Klägerin hat bei der Anfertigung ihrer Dissertation zumindest zustimmend akzeptiert und damit billigend in Kauf genommen, dass die von ihr vorgelegte schriftliche Promotionsleistung durch die Gutachter (bzw. Referenten) und sonstigen promotionsberechtigten Mitgliedern der Fakultät durchgängig, soweit sie keine anderen Quellen angeführt hat, als gedanklich eigenständige von ihr verfasste wissenschaftliche Leistung begutachtet worden ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem wiederholten Zuwiderhandeln gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit, obwohl sie sich zu dessen Einhaltung durch die von ihr unterschriebene eidesstattliche Versicherung ausdrücklich verpflichtet hatte.
162Dem kann die Klägerin auch nicht entgegenhalten, die aufgedeckten Übereinstimmungen erklärten sich daraus, dass sich die Art und Weise, wie die betroffenen Textpassagen gestaltet bzw. abgesetzt worden seien, durch Verwendung derselben Primärquellen sozusagen zwangsläufig ergeben hätten, weil sie gewissermaßen parallel zu den Sekundärquellen vorgegangen sei, dabei auf dieselben Primärquellen gestoßen sei und durch deren Auswertung im Wortlaut und in der Syntax unvermeidbar gleich- oder ähnlich lautende Textpassagen produziert habe, wie sie in den (von ihr nicht) zitierten Sekundärquellen zu finden seien. Selbst wenn sich derartige inhaltliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten ergeben sollten, was die Kammer ausdrücklich nicht ausschließt, wären sie kein Beleg dafür, dass die Klägerin durch eigenständige Wiedergabe dieser Primärquellen nur zufällig bzw. zwangsläufig zu ihrer Art der Darstellung gekommen ist. Denn die in der Dissertation der Klägerin durch Prof. Dr. S. aufgedeckten, nicht hinreichend gekennzeichneten Textstellen lassen sich in ihrer Gesamtheit nach dem Eindruck der Kammer nicht anders erklären, als dass die Klägerin gezielt mit von ihr nicht genannten und aufgeführten Sekundärquellen gearbeitet und ihre textliche Übernahmen hieraus insoweit bewusst verschleiert hat. Die in Bezug auf die übernommenen Textstellen vorgenommenen Umformulierungen und Umstellungen der Syntax (vgl. beispielsweise die Textpassage auf S. 45 der Dissertation “…Nach Durkheim lebt der Mensch durch Triebe ständig bedrängt von Natur aus in einem instabilen Zustand. Erst durch soziale Normen und Werte erfährt sein Streben Begrenzung und Zielsetzung und werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Die Reichweite möglicher Verhaltensweisen wird durch die moralische Ordnung als dem umfassenden System von Verboten und Geboten bestimmt...“, die ohne Kennzeichnung aus dem Werk von Helmut Fend, Sozialisierung und Erziehung, S. 28 – 30 übernommen wurde, wo es heißt: “…Der Mensch lebt nach Durkheim von Natur aus in einem unstabilen Zustand, in dem er von Trieben bedrängt wird. […] Eine Begrenzung und Zielsetzung erfolgt aber durch soziale Normen und Werte. Durch sie werden die Triebe und Wünsche der Mitglieder einer Gesellschaft in realisierbare Bahnen gelenkt. Eine moralische Ordnung ist für Durkheim ein umfassendes System von Verboten und Geboten. Ihr Ziel ist es, die Reichweite der möglichen Verhaltensweisen zu begrenzen…“), die Verwendung von Synonymen (vgl. beispielsweise auf S. 83 der Dissertation “…Versagung von Bedürfnisbefriedigung…“ statt nach Häfner, Das Gewissen in der Neurose, S. 702, “…Versagung primitiver Bedürfnisse…“, sowie auf S. 92 der Dissertation “…die Genese eines Menschen…“, statt nach Nowak, Gewissen und Gewissensbildung, S. 31 – 32, “…die Geschichte eines Menschen…“) sowie einzelne Auslassungen (vgl. z.B. auf den S. 75 – 76, S. 105 der Dissertation u. a.) lassen ebenfalls keinen anderen Schluss zu als den einer gezielten Auswertung und Verwendung von Sekundärquellen durch die Klägerin. Dem hat die Klägerin letztlich substantiiert nichts entgegengesetzt. Sie behauptet lediglich pauschal für die Fälle, in denen sie Zitatfehler einräumt, diese beruhten jeweils auf einem Versehen im Sinne von Fahrlässigkeit. Angesichts der dargestellten Art und Weise ihrer Befassung mit den nicht kenntlich gemachten Sekundärtexten bzw. Textstellen ohne hinreichende Quellenangabe kann jedoch von einem bloß versehentlichen Verstoß gegen das Redlichkeits- und Zitiergebot nicht die Rede sein. Auch der Hinweis der Klägerin, etwaige von ihr nicht kenntlich gemachte Rezeptionsleistungen Dritter, auf die sie sich bei der Abfassung der Dissertation gestützt habe, seien auf die damals übliche und fehleranfällige Arbeitsweise (“Zettelkasten“) zurückzuführen und stellten bloße “handwerkliche“ Fehler dar, entlastet sie nicht. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, fehlerhafte Zitierungen als bloße Zitierfehler außer Acht zu lassen. Der hier zu verzeichnende Täuschungsbefund und der dabei deutlich werdende Umgang der Klägerin mit den von ihr benutzten, aber nicht kenntlich gemachten Sekundärquellen, bei denen sie Formulierungen entweder wörtlich übernommen oder nur in Details verändert hat, indem sie Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt hat usw., spricht allerdings dagegen, dass die beanstandeten Textpassagen auf bloßen “Montagefehlern“ oder einer ungenauer Arbeitsweise beruhen. Das gilt erst recht für die von der Klägerin aus dem Werk von Ernst Stadter übernommenen Textpassagen (vgl. S. 75 – 76 der Dissertation), dessen Arbeit sie auch im Literaturverzeichnis nicht angeführt hat.
163d) Ist damit der Tatbestand des § 20 Satz 1 PromO erfüllt, hält die zu Lasten der Klägerin getroffene, in das Ermessen des Fakultätsrats gestellte Entscheidung, die Promotionsleistung nachträglich für ungültig zu erklären, der gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten gerichtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Das Gericht prüft insoweit, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
164Die Entscheidung des Fakultätsrats die Dissertation für ungültig zu erklären, lässt danach keine Ermessensfehler erkennen.
165aa) Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin geht fehl. Dem Protokoll über die Sitzung des Fakultätsrats vom 5. Februar 2013 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Abwägung des öffentlichen Interesses einerseits und des privaten Interesses der Klägerin andererseits das Für und Wider einer Ungültigerklärung diskutiert wurde. Auch der angefochtene Bescheid vom 14. Februar 2013 stellt auf Seite 19 ausdrücklich darauf ab, dass der Fakultätsrat das ihm von § 20 PromO eingeräumte Ermessen ausgeübt und hierbei das öffentliche Interesse mit dem privaten Interesse der Klägerin abgewogen hat. Zwar verhalten sich die weiteren Ausführungen zum Ermessen im Rahmen der Begründung dieses Ergebnisses in dem Bescheid wörtlich nur zu der “Entziehung“. Allerdings ist der Begriff der “Entziehung“ im vorgenannten Zusammenhang offensichtlich nur untechnisch gemeint und erfasst – wie sich auch aus den ausdrücklich genannten Normen ergibt –, sowohl die Ungültigerklärung der Dissertation als auch die Rücknahme des Doktorgrades. Angesichts des durch den Fakultätsrat danach ausgeübten Ermessens ist es rechtlich unerheblich, ob – wie die beklagte Universität im gerichtlichen Verfahren erstmals und wohl zu Unrecht geltend gemacht hat – eine schwerwiegende Täuschung im Regelfall sanktioniert werden müsse.
166Vgl. zum sog. intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012, 6 C 3.11, BVerwGE 143, 87, juris (Rdnr. 51), sowie Beschluss vom 7. Juli 2004, 6 C 24.03, BVerwGE 121, 226, juris (Rdnr. 15).
167bb) Die Ermessensausübung durch den Fakultätsrat lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. S. und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.
168(1) Die vom Fakultätsrat zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellten Aspekte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
169Soweit der Fakultätsrat die wissenschaftliche Redlichkeit als öffentliches Interesse in seine Abwägung eingestellt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn hierbei handelt es sich um ein zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses überragend wichtiges und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankertes Gemeinschaftsgut.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013, 6 C 9/12, m. w. N, juris (Rdnr. 31)
171Dabei ist der Fakultätsrat rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Einhaltung “wissenschaftlicher Lauterkeit“ zu den Kardinalspflichten jedes Wissenschaftlers gehört und Plagiate, die wegen ihrer Dimension nicht als Bagatellfall einzustufen sind, als eine schwerwiegende Störung des wissenschaftlichen Diskurses zu werten und entsprechend zu sanktionieren sind. Denn dass die Nutzung fremden Gedankenguts durch die genaue Angabe der Quelle (Fundstelle) kenntlich gemacht werden muss, hat - neben urheberrechtlichen Gründen - im wissenschaftlichen Diskurs den Sinn, Aussagen, Fakten und Daten überprüfbar zu machen und dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst weiter zu forschen. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess kann sich überhaupt nur dann sachgerecht fortentwickeln, wenn der wahre Urheber einer Aussage bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass die Nichtkenntlichmachung benutzter Quellen diesen Ansatz nachhaltig beeinträchtigt. Das gilt auch für die insbesondere im zweiten Teil der Dissertation von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, ihre “Zwischenquelle“ oder Sekundärquelle, also die Fundstelle, aus der die von ihr wörtlich oder sinngemäß übernommene Textpassage tatsächlich stammt und die ihrerseits wiederum auf die “Primärquelle“ verweist, nicht anzugeben.
172So auch VG Berlin, Urteil vom 15. April 2009, 12 A 319.08, juris (Rn 25).
173Denn, wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, führt auch diese Handhabung nicht nur dazu, dass der Autor nicht offen legt, wie er zu der Primärquelle gelangt ist, und bloße Formulierungen übernimmt. Vielmehr wird auch nicht sichtbar, dass die in der Dissertation befindliche komprimierte Darstellung und Interpretation der Primärquelle hinsichtlich der darin enthaltenen fachlichen wissenschaftlichen Wertung gar nicht von dem Autor selbst vorgenommen, sondern von ihm aus einer “Zwischenquelle“ übernommen worden ist.
174Dass der Fakultätsrat entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen ist, ihrer Dissertation komme heute keine messbare Bedeutung mehr zu, und dementsprechend auch nicht zugrunde gelegt hat, dass sich die Störung des wissenschaftlichen Diskurses als nicht mehr so gewichtig darstelle, hält ebenfalls einer Rechtskontrolle stand. Denn für die Beurteilung der Bedeutung einer Dissertation für den wissenschaftlichen Diskurs gibt es unter Berücksichtigung des eingetretenen Zeitablaufs keinen allgemeingültigen, objektiven Gradmesser. Vielmehr ist die wissenschaftliche Bedeutung einer angenommenen Dissertation immer eine potentielle, weil es an den nicht verlässlich vorhersehbaren Forschungsthemen, Methoden und Fragestellungen der einzelnen Wissenschaftler liegt, welche ältere Arbeit wieder Bedeutung erlangt. Dass für die Dissertation der Klägerin etwas anderes gilt, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
175Rechtsfehlerfrei hat der Fakultätsrat in seine Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses ferner eingestellt, dass der Sanktionierung auch ein generalpräventiver Zweck zukomme, und dies beanstandungsfrei damit begründet, diejenigen, die ihren akademischen Grad redlich erworben hätten, müssten vor einer Entwertung ihrer eigenen Leistungen durch derartige Täuschungen geschützt werden und deshalb müsse auch über längere Zeiträume hinweg das Entdeckungsrisiko aufrechterhalten werden. Innerhalb bestimmter Schranken ist die Hochschule grundsätzlich befugt, auch auf generalpräventive Gründe abzustellen, soweit diese nicht so verselbständigt werden, dass andere Umstände des Falles als von vornherein bedeutungslos zurücktreten.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980, 1 C 19/78, m. w. N. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, juris (Rdnr. 23) .
177Da der Fakultätsrat seine das öffentliche Interesse begründenden Ermessenserwägungen auf ein ganzes Bündel von Gründen und nur unter anderem auch auf den vorgenannten generalpräventiven Zweck gestützt hat, kann von einer Verselbständigung dieses Grundes hier nicht die Rede sein. Die vom Fakultätsrat zugrunde gelegten generalpräventiven Erwägungen sind auch nicht sachwidrig. Denn zum einen nimmt die Hochschule gegenüber den Doktoranden bzw. Promovierten, die ihre Dissertation redlich erwerben wollen bzw. erworben haben, eine Schutzverantwortung wahr. Zum anderen wäre die Hochschule ihrerseits vorsätzlichen Täuschungen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, würde das Damoklesschwert der Sanktionierung nicht über unredlich erlangten Dissertationen schweben.
178(2) Der Fakultätsrat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch die privaten Belange der Klägerin und die Beeinträchtigung ihrer beruflichen und sozialen Stellung hinreichend eingestellt.
179(a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit, dass und wie der Fakultätsrat die Tatsache, dass seit Aushändigung der Promotionsurkunde mehr als 30 Jahre vergangen sind, und den Umstand, dass es im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion geht, bei der mit der Promotion zugleich das Hochschulstudium abgeschlossen wird und die Promotion auch den (einzigen) akademischen Hochschulabschluss darstellt, in seiner dem Bescheid vom 14. Februar 2013 zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigt hat. Auf die erstmals im gerichtlichen Verfahren - und insoweit wohl auch verfehlt - vertretene Auffassung der beklagten Universität, der Klägerin sei die Berufung auf den Aspekt des Zeitablaufs verwehrt, weil sie nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe in der Öffentlichkeit selbst gegenüber der beklagten Universität eine Überprüfung ihrer Dissertation beantragt hat, kommt es daher rechtlich nicht an.
180Dass der Fakultätsrat den Zeitfaktor nur als Gewichtungsfaktor berücksichtigt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
181Zutreffend ist der Fakultätsrat davon ausgegangen, dass sich weder aus der Promotionsordnung selbst noch aus sonstigen Regelungen eine absolute Ausschluss- bzw. Verjährungsfrist für die Ungültigerklärung von Promotionsleistungen ergibt.
182Vgl. in Bezug auf eine Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln mit ähnlichen Erwägungen: VG Köln, Urteil vom 23. März 2012, 6 K 6097/11, juris (Rdnr. 53).
183Für eine analoge Anwendung von sonstigen Verjährungsregeln (aus anderen Rechtsgebieten) besteht ebenfalls kein Raum. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sonstige Hochschulabschlüsse den jeweils einschlägigen Prüfungsordnungen zufolge im Regelfall nur binnen einer Ausschlussfrist – überwiegend gilt hier eine Fünfjahresfrist (vgl. etwa auch § 29 Abs. 4 Satz 2 der aktuellen Ordnung für die Prüfung zur Magistra Artium oder zum Magister Artium der Philosophischen Fakultät der I5. -I6. -Universität E1. vom 19. März 1998) – entzogen werden können.
184Die unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfungsordnungen einerseits und der hier einschlägigen Promotionsordnung für die grundständige Promotion der Klägerin andererseits verstößt auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn die jeweiligen Ordnungen sind bezüglich ihres Regelungsgegenstandes und in ihren Zielrichtungen nicht miteinander vergleichbar.
185Vgl. hierzu auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 34).
186Sachlicher Grund für die Fristenregelungen in den Prüfungsordnungen sind die Folgen einer Aberkennung bzw. Entziehung des berufsqualifizierenden Abschlusses für die Berufsfreiheit des Betroffenen (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Promotion, und insoweit auch die grundständige Promotion, stellt dagegen in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit dar, mit der eine wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen wird und insoweit vorrangig eine andere Zielrichtung verfolgt wird als mit einem berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.
187Durch die Promotion wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG regelmäßig eine über das allgemeine Studienziel gemäß § 58 Abs. 1 HG hinausgehende Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen, bei der es maßgeblich darum geht, eigenständige und kreative Gedanken mit bereits vorliegenden wissenschaftlichen Befunden systematisch und kontrolliert zu verbinden. Die Dissertation stellt dabei als schriftliche Promotionsleistung im Rahmen der Promotion – anders als eine den Berufs-zugang vermittelnde Hochschulabschlussprüfung – die maßgebliche wissenschaftliche Leistung dar, mit der sich ein Bewerber für die akademische Laufbahn empfiehlt oder jedenfalls eine herausgehobene besondere wissenschaftliche Befähigung nachweist. Vor diesem Hintergrund betreffen Verstöße gegen wissenschaftliche Sorgfaltspflichten bei einer Promotion regelmäßig nicht nur handwerkliche Mängel. Vielmehr geht es um den Kern der wissenschaftlichen Leistung sowie ihrer tatsächlichen und rechtlichen Funktion, die auch noch über längere Zeiträume hinaus den jeweiligen Wert einer Promotion in akademischer Hinsicht ausmacht. Dass die Promotion der Klägerin wegen des von ihr absolvierten grundständigen Promotionsverfahrens gleichzeitig einen ersten und einzigen Abschluss auch ihres Hochschulstudiums darstellt, ändert an der Zielrichtung der auch im Rahmen eines grundständigen Promotionsverfahrens ausschließlich wissenschaftlich ausgerichteten schriftlichen Promotionsarbeit nichts. Dieser Ansatz verletzt auch nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit. Dass dem Absolventen eines grundständigen Promotionsstudiums die Möglichkeit eingeräumt wird, sein Studium ausschließlich mit der Promotion und ohne weiteren akademischen Abschluss zu beenden, stellt gegenüber den sonst üblichen mit einer akademischen Abschlussprüfung zu beendenden Hochschulstudiengängen insbesondere mit Blick auf die deutlich geringere Arbeitsbelastung sowie in zeitlicher Hinsicht einen erheblichen Vorteil dar. Gleichzeitig erhöht sich für den Absolventen allerdings wegen der Abhängigkeit von Promotion und Studienabschluss das Risiko eines erfolglosen Hochschulabschlusses. Das hat zur Folge, dass der Promovend als Kehrseite der von ihm freiwillig getroffenen Risikoentscheidung für eine grundständige Promotion nicht nur den erfolgreichen Abschluss seines Studiums vom Erfolg der Promotion abhängig macht, sondern zugleich in Kauf nimmt bzw. nehmen muss, dass sein Hochschulabschluss auch zukünftig das weitere Schicksal seiner Promotion teilt.
188Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich der Fakultätsrat nicht gezwungen gesehen hat, wegen des Zeitablaufs von über 30 Jahren seit Beendigung des Promotionsverfahrens aus Gründen der Verwirkung auf eine Ungültigerklärung zu verzichten. In der Rechtsprechung ist zwar geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), er zudem tatsächlich auch darauf vertraut hat (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
189Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. August 2011, 3 B 36.11, juris (Rdnr. 5), und vom 12. Januar 2004, 3 B 101.03, juris (Rdnr. 3) sowie Urteil vom 7. Februar 1974, 3 C 115.71, BVerwGE 44, 339 (343 f); vgl. ferner zu diesem Ansatz auch VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2012, 6 K 2684/12, juris (Rdnr. 36).
190Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die beklagte Universität, die von den Täuschungsvorwürfen erstmals im Mai 2012 erfahren hat, hat dies umgehend zum Anlass genommen, den Sachverhalt aufzuklären, und sie hat den Fakultätsrat im Januar 2013 mit den vorgenannten Vorwürfen befasst. Anhaltspunkte für ein gegenüber der Klägerin festzumachendes früheres Verhalten der beklagten Universität oder des Fakultätsrats, aus dem die Klägerin darauf schließen und vertrauen konnte, dass nicht mehr gegen sie eingeschritten werden würde, sind nicht ersichtlich.
191(b) Dass der Zeitfaktor, auch wenn diesem für sich allein keine eigenständige Bedeutung zukommt, im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, weil die verstrichene Zeit neben anderen Umständen ein gewichtiger Beurteilungsfaktor dafür ist, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine nachträgliche Ungültigerklärung noch als rechtmäßig anzusehen ist,
192vgl. zur Frage der Bedeutung des Zeitablaufs bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts gemäß § 48 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, juris, sowie ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57,
193hat der Fakultätsrat ebenfalls rechtsfehlerfrei in seine Ermessensentscheidung als Abwägungskriterium eingestellt. Ausweislich der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung hat der Fakultätsrat seiner Abwägung insoweit zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung der hier in Rede stehenden Täuschung nach über 30 Jahren, und damit einem Zeitraum, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. z.B. § 78 StGB, § 197 BGB), für die Klägerin “einen nicht unerheblichen Eingriff“ in ihre Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist vom Fakultätsrat auch berücksichtigt worden, dass es sich im Falle der Klägerin um eine grundständige Promotion handelt.
194(c) Dass der Fakultätsrat das Interesse der Klägerin an der Bewahrung ihrer Promotionsleistung dennoch, also auch vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs, dem öffentlichen Interesse an einer Sanktionierung der mit dem Makel der Täuschung behafteten Dissertation und insoweit der Durchsetzung der Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit untergeordnet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Fakultätsrat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den berechtigten Belangen der Klägerin Rechnung getragen und mit der nachträglichen Ungültigerklärung gegebenenfalls für die Klägerin einhergehende nachteilige Folgen für ihre Reputation und die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung auch rechtsfehlerfrei gewichtet.
195Die vom Fakultätsrat dem Fehlverhalten, das der Klägerin mit Blick auf den quantitativen und qualitativen Umfang der aufgedeckten Täuschung vorzuwerfen ist, beigemessene Schwere, stellt einen rechtlich zu billigenden Anlass dar, der betroffenen Promotionsleistung ihre Funktionstauglichkeit als Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu entziehen. Gravierende Fälle wissenschaftlicher Unredlichkeit bedürfen einer wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeit, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu beschädigen und die Vertrauensbasis der Wissenschaftler untereinander zu erhalten, ohne die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist. Anlass, stattdessen etwaige mildere Mittel, z.B. in Gestalt einer Rüge, zu erwägen, bestand deshalb für den Fakultätsrat nicht. Abgesehen davon enthält weder die Promotionsordnung eine Ermächtigungsgrundlage hierzu, noch ist eine solche sonst ersichtlich.
196Das Ergebnis steht auch mit den Grundrechten in Einklang. Die Maßnahme greift zwar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Sphäre der Berufsfreiheit ein. Einschränkungen der Berufsfreiheit und faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung, die sich als Folge einer nachträglichen Ungültigerklärung einer Promotionsleistung ergeben, sind allerdings erforderlich und auch sonst verhältnismäßig und damit hinzunehmen, wenn sie, wie hier durch den Fakultätsrat, ohne Rechtsfehler zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgutes für notwendig gehalten werden. Fachlich zutreffend hat der Fakultätsrat darüber hinaus in seine Abwägung eingestellt, dass die Klägerin durch die nachträgliche Ungültigerklärung ihrer Promotion auch nicht zur Beendigung ihrer im Zeitpunkt der Entscheidung konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen wird. Sie kann vielmehr auch ohne gültige Promotion und ohne Hochschulabschluss weiterhin als Berufspolitikerin mit den sich daraus ergebenden Verwendungsmöglichkeiten arbeiten, was ihr im Status einer Bundestagsabgeordneten auch gegenwärtig bereits gelingt.
197(d) Rechtlich unbedenklich ist ferner der Hinweis des Fakultätsrats, er habe bei seiner Entscheidung auch die gleichmäßige Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Behauptung der Klägerin, eine Gleichbehandlung von Inhabern des Doktorgrades, die wie sie vor langer Zeit promoviert worden seien und dadurch zugleich den einzigen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hätten, sei dadurch nicht gewährleistet, geht schon deswegen fehl, weil die insoweit darlegungspflichtige Klägerin keinen Referenzfall für eine etwaige Ungleichbehandlung benannt oder einen entsprechenden Nachweis geführt hat. Auf den Umstand, dass künftige Sachverhalte voraussichtlich keine Fallgestaltungen mit grundständiger Promotion und damit eine andere Ausgangskonstellation betreffen werden, kommt es für die vom Fakultätsrat zugesicherte gleichmäßige Rechtsanwendung in Täuschungsfällen nicht an.
198(e) Der Fakultätsrat hat auch zu Recht dem Umstand, dass Erstgutachter (bzw. Referent) und Zweitgutachter (bzw. Korreferent) die Täuschungsbefunde nicht schon bei der Annahme bzw. bei der Bewertung der Dissertation der Klägerin entdeckt haben und dass die Betreuung der Dissertation durch die seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) insoweit möglicherweise nachlässig war, keine Bedeutung zugemessen. Denn weder rechtfertigt dies, die elementaren Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens missachten zu dürfen, noch lässt sich daraus ein “Mitverschulden“ Dritter und damit eine Verschiebung der persönlichen Verantwortung des Promovenden für die Dissertation konstruieren.
199Vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 93) m. w. N. auf BayVGH, Urteil vom 4. April 2006, 7 BV 05.388, juris (Rdnr. 13).
200Insbesondere bestand auf Seiten der seinerzeitigen Gutachter (bzw. Referenten) keine Verpflichtung, die Dissertation der Klägerin bereits bei ihrer Abgabe und unabhängig von einem konkret begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Fakultätsrat ausweislich der Begründung im Bescheid zutreffend darauf abgestellt, dass etwaige Mängel in der Betreuung jedenfalls nicht als kausal für die festgestellte Täuschung anzusehen seien, da die Klägerin an zahlreichen Stellen ihrer Dissertation durch korrekte Angabe ihrer Quellen zu erkennen gegeben hat, dass ihr die gebotene Vorgehensweise durchaus bekannt war.
2013.) Angesichts der danach rechtlich nicht zu beanstandenden Ungültigerklärung der schriftlichen Promotionsleistung der Klägerin erweist sich auch die Rücknahme des der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrades, gestützt auf § 21 PromO i. V. m. § 48 VwVfG NRW, als rechtsfehlerfrei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier ebenfalls erfüllt (vgl. Ziffer 3 a). Außerdem hat der Fakultätsrat das ihm hiernach eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (vgl. Ziffer 3 b).
202a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme sind gegeben. Nach § 21 Satz 1 PromO entscheidet der Fakultätsrat über die Rücknahme oder Entziehung des Doktorgrades unter Beachtung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Sache wird damit auf die in § 48 VwVfG NRW geregelte Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte verwiesen.
203Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei im Falle der Rücknahme eines - wie hier - begünstigenden Verwaltungsaktes, dieser gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf.
204Ein rechtswidriger Verwaltungsakt liegt hier vor, weil die Dissertation der Klägerin gemäߠ § 20 Satz 1 PromO rechtmäßig für ungültig erklärt wurde und damit die Grundlage für die Verleihung des Doktorgrades entfallen ist.
205b) Die Entscheidung des Fakultätsrats, den der Klägerin mit Promotionsurkunde vom 27. November 1980 verliehenen Doktorgrad “Dr. phil“ zurückzunehmen, weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf.
206Der Fakultätsrat hat nicht verkannt, dass die Entscheidung gemäß § 48 VwVfG NRW in seinem Ermessen steht. Er hat unter Zugrundelegung der Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2013 sein Ermessen in dem gebotenen Maße ausgeübt und seine Entscheidung umfassend begründet. Auf die im gerichtlichen Verfahren von Seiten der beklagten Universität vertretene Auffassung, eine schwerwiegende Täuschung sei im Regelfall durch Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades zu sanktionieren, und auf die damit verbundene Frage, ob der Entscheidung zur Rücknahme der Grundsatz des intendierten Ermessens zugrunde zu legen ist, kommt es daher nicht an.
207Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2005, 13 A 1181/02, juris (Rdnr. 26) im Zusammenhang mit der Rücknahme der Anerkennung zum Führen der Bezeichnung “Praktische Ärztin“, wonach der Grundsatz des intendierten Ermessens auch im Hinblick auf eine nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG NRW zu treffende Rücknahmeentscheidung lediglich zu Begründungserleichterungen führt.
208Die Ermessenserwägungen des Fakultätsrats sind auch nicht rechtsfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.
209Dabei ist der Fakultätsrat zu Recht davon ausgegangen, dass (auch) § 48 VwVfG NRW weder eine absolute Ausschlussfrist für die Rücknahme bzw. Entziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes enthält, noch im Wege der Auslegung in die Norm eine solche hineinzulesen ist. Letzterem Ansatz steht schon der aus der Gesetzesbegründung erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen.
210Der Gesetzgeber hat beim Erlass des – insoweit wortgleichen – Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes die Frage einer absoluten Ausschlussfrist erwogen, letztlich aber nicht ins Gesetz aufgenommen. In der Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 4 E-VwVfG (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 71) heißt es:
211“... Eine absolute Ausschlussfrist, für die es auf Kenntnis der Ausschließungsgründe nicht ankommt, erscheint nicht gerechtfertigt, da es durchaus Fälle geben kann, in denen ein so weitgehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre (z.B. Rücknahme einer ärztlichen Approbation, durch strafbare Handlung erlangte Vermögensvorteile). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (BVerwG, Beschl. vom 5. September 1972, III B 67.72)...“
212Auch unter Zugrundelegung der einschlägigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Kammer folgt insoweit den auf die vorgenannte Rechtsprechung eingehenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11 (juris). In den Entscheidungsgründen wird insoweit ausgeführt (vgl. juris, Rdnr. 44 - 56):
213“… Die auch vom Gesetzgeber in Bezug genommene damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging davon aus, dass die Zeit, die seit Unanfechtbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts bis zum Erlass des Änderungsbescheides verstrichen war, allein für sich gesehen keine eigenständige Bedeutung habe. Die verstrichene Zeit könne aber ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse des Einzelfalles eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen sei.
214Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57, m. w. N.
215Auch nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetztes hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass weder § 48 Abs. 4 VwVfG noch den verwandten Vorschriften in der Abgabenordnung und des Sozialgesetzbuches ein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden könne, der auf eine absolute zeitliche Grenze hinauslaufe, nach deren Erreichen ein rechtswidriger Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden dürfe. Auch eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG scheide aus,
216vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993, 3 B 7.93, NVwZ-RR 1994, 338.
217Die Behörde sei jedoch bei der Ermittlung der Rücknahmevoraussetzungen dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, der sich insbesondere im Rechtsinstitut der Verwirkung manifestiere,
218vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1997, 3 B 66.97, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 87.
219Demgegenüber hat das Bundessozialgericht für die Parallelvorschrift des § 45 SGB X entschieden, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung 30 Jahre nach seinem Erlass nicht mehr für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, auch wenn er durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei,
220vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1993, 9/9a RV 38/91, BSGE 72, 139 = NVwZ-RR 1994, 628 ff.
221In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, unabhängig vom Gesichtspunkt der Verwirkung sei die Rücknahme mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz der Rechtssicherheit nicht unbefristet vorstellbar,
222vgl. Meyer in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz. 9. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 44.
223Weiter findet sich der Hinweis, die verstrichene Zeit erlange als Beurteilungsfaktor u.a. vor allem bei längeren Zeiträumen im Hinblick zumal auf Verschlechterungen der Beweissituation besonderes Gewicht,
224vgl. Sachs in: Stelkens u.a., Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 203.
225Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass § 48 VwVfG nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers keine absolute Ausschlussfrist enthält. Das Bundessozialgericht leitet die Annahme einer absoluten Ausschlussfrist von 30 Jahren letztlich – unter Einbeziehung weiterer übergreifender Gesichtspunkte – aus dem in § 45 SGB X geschaffenen Fristensystem her, das § 48 VwVfG in dieser Form nicht enthält. Diese Rechtsprechung ist daher auf § 48 VwVfG nicht übertragbar….“
226Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in die mündliche Verhandlung für die Klägerin eingeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
227Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, juris,
228die sich zur Verjährung von Geldleistungsansprüchen verhält und in dem Zusammenhang fordert, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und - vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Der darin zu Tage tretende Rechtsgrundsatz, dass der Bürger in den Bestand der Rechtsordnung vertrauen können müsse, ist weder neu noch auf den Fall der Klägerin übertragbar, der - anders als im entschiedenen Fall des Bundesverfassungsgerichts - keine abstrakt generelle Rechtslage, sondern einen individuellen Einzelakt betrifft.
229Der Zeitablauf ist jedoch, was der Fakultätsrat gesehen hat, auch hier, wie bei der Ungültigerklärung, im Rahmen der Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Ausführungen der Kammer zur Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen von § 20 Satz 1 PromO (vgl. Ziffer 2 d) entsprechend. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
230Ein möglicherweise vorhandenes Vertrauen der Klägerin darauf, dass ihr der verliehene Grad erhalten bleibt, steht dessen Rücknahme hier ebenfalls nicht entgegen. Zum einen hindert ein Vertrauensschutz die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, der, wie hier, keine Geld- oder Sachleistung gewährt, grundsätzlich nicht, da § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW in solchen Fällen nicht gilt (§ 48 Abs. 3 VwVfG NRW). Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.
231Vgl. etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 152.
232Sie ist damit bei einer vorsätzlichen Täuschung wie der der Klägerin regelmäßig gegeben; Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor.
233Vgl. dazu: VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013, 7 K 3335/11, juris (Rdnr. 90) und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2000, 9 S 2435/99, juris (Rdnr. 27).
234Damit steht ferner fest, dass der Entziehung des Doktorgrades auch die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nicht entgegensteht, die bestimmt, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist. Denn die Jahresfrist ist nach § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in den Fällen arglistiger Täuschung nicht zu beachten. Dies gilt auch für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 3 VwVfG NRW.
235Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 48 Rndr. 209 m. w. N.
236Davon abgesehen ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW hier auch eingehalten worden. Sie beginnt erst zu laufen, sobald eine Behörde Kenntnis von allen die Rücknahme rechtfertigenden - also auch von den für eine Ermessensentscheidung maßgeblichen - Tatsachen hat. Nach dieser Maßgabe begann die Jahresfrist hier mit der ersten Befassung durch den Fakultätsrat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 zu laufen. Selbst wenn man die Übermittlung der Materialzusammenstellung aus dem Internet an die beklagte Universität im Mai 2012 zugrunde legen würde, wäre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Fakultätsrats am 5. Februar 2013 die Jahresfrist noch nicht abgelaufen gewesen.
237Dem Fakultätsrat war nach der Begründung in dem angefochtenen Bescheid bei seiner Entscheidung schließlich bewusst, dass sich die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Nachteile für das berufliche Fortkommen der Klägerin und insbesondere für deren Reputation auch bzw. im Besonderen im Zusammenhang mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades auswirken können. Er ist allerdings auch insoweit beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die aufgedeckten Plagiatsbefunde in der Dissertation gerade wegen des Gewichts der Täuschung neben der Ungültigerklärung auch eine Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades erforderlich machen und die Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades neben der Ungültigerklärung nicht unverhältnismäßig ist, insbesondere ein etwaiger, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängender Verlust gesellschaftlichen Ansehens und ein damit verbundener Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesse ebenfalls hinzunehmen sind. Auch stellt die Ungültigerklärung - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - alleine keine geeignete Maßnahme dar, um den mit der Rücknahme bzw. Entziehung des Doktorgrades verfolgten weiteren Zweck zu erreichen. Denn mittels der Rücknahme des Doktorgrades infolge einer aufgedeckten Täuschung sollen nicht nur, wie bei der Ungültigerklärung, die akademischen Lauterkeitsregeln durchgesetzt und die Wissenschaftlichkeit des akademischen Promotionswesens von Störungen bereinigt werden. Die Rücknahme des Doktorgrades dient vielmehr auch dazu, außenwirksam klarzustellen, dass der Klägerin, der seinerzeit mit der Erlaubnis zur Führung eines Doktorgrades die Befähigung zu vertiefter – und auch selbständiger – wissenschaftlicher Arbeit bescheinigt worden war und die durch die Verleihung des Doktorgrades öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde (“scientific community“) ausgewiesen war, aufgrund ihrer nachträglich für ungültig erklärten Promotionsleistung die erforderliche Qualifikation zur berechtigten Führung des Doktorgrades fehlt.
238Lediglich vorsorglich ist anzumerken, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für mildere Maßnahmen ersichtlich sind.
239Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
240Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich dagegen, dass ihm die beklagte Universität den von ihr verliehenen Doktorgrad unter Berufung darauf entzogen hat, er habe sich durch späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen.
- 2
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Der Kläger ist Physiker. Die Beklagte promovierte ihn im Januar 1998 auf Grund einer Dissertation auf dem Gebiet der Photovoltaik zum Doktor der Naturwissenschaften. Von Juli 1998 bis September 2002 arbeitete der Kläger in einer privaten Forschungseinrichtung, den zur Firma L. T. gehörenden B. L., in den USA. Für diese Tätigkeit hatte ihm die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Postdoktorandenstipendium mit der Laufzeit von August 1998 bis Januar 2000 bewilligt. Der Kläger befasste sich während dieser Zeit mit Forschungen und Experimenten zur Supraleitung und zur Herstellung von Nano-Bauelementen. Er war an einer Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen beteiligt, die in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit teilweise als bahnbrechend gewürdigt wurden.
- 3
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Im Mai 2002 setzte die Leitung der B. L. eine Kommission unter dem Vorsitz von Prof. B. von der S. University (im Folgenden: B.-Kommission) ein, um die Vorwürfe des wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu klären, die in der Fachöffentlichkeit unter Bezug auf von dem Kläger und verschiedenen Mitautoren verfasste Publikationen erhoben worden waren. Nach der Untersuchung von 24 Veröffentlichungen und einem unveröffentlichten Manuskript aus den Jahren 1998 bis 2002 kam die B.-Kommission in ihrem Abschlussbericht vom September 2002 (im Folgenden: B.-Report) zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Originaldaten und die verwendeten Proben seiner beschriebenen Experimente nicht systematisch archiviert habe. Zudem gebe es zwingende Belege dafür, dass er Daten manipuliert und falsch dargestellt habe. Eine Verantwortlichkeit auch der Mitautoren der betroffenen Ausarbeitungen scheide aus, da der Kläger die zu Grunde liegenden Versuche und Messungen mit wenigen Ausnahmen allein durchgeführt habe.
- 4
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Entsprechend einem von dem Promotionsausschuss Physik der Beklagten gefassten Beschluss entzog dessen Vorsitzender dem Kläger mit Bescheid vom 4. Juni 2004 unter Berufung auf § 55c Abs. 1 UG BW a.F. den verliehenen akademischen Grad eines Doktors der Naturwissenschaften, weil sich der Kläger im Sinne der Vorschrift durch sein späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen habe. Der Begriff der Unwürdigkeit sei wissenschaftsbezogen zu verstehen. Der Ausschuss sei auf Grund einer eigenen Würdigung des B.-Reports zu der Auffassung gelangt, dass ein wissenschaftliches Fehlverhalten des Klägers in Gestalt der Datenmanipulation, der Präsentation von Daten in falschem Zusammenhang und der künstlichen Erzeugung von Daten in einem in der deutschen Wissenschaftsgeschichte bisher beispiellosen Ausmaß nachgewiesen sei. Das Interesse der Beklagten, eine Person, die wissenschaftliches Fehlverhalten in einem derart erheblichen Umfang zu verantworten habe, nach außen sichtbar aus dem Kreis derjenigen auszuschließen, die durch den Doktorgrad die Zugehörigkeit zur qualifizierten wissenschaftlichen Forschung dokumentierten, überwiege das persönliche Interesse des Klägers, durch die Führung des Titels seine erfolgreiche Promotion zu belegen und seine beruflichen Chancen zu verbessern.
- 5
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Im Verlauf des Verfahrens über den von dem Kläger gegen die Entziehungsverfügung eingelegten Widerspruch untersuchte der Promotionsausschuss Physik der Beklagten sieben der in dem B.-Report aufgeführten Publikationen. In der hierüber gefertigten Analyse stellte der Promotionsausschuss fest, dass vielfach Originaldaten fehlten und im Übrigen Daten manipuliert, gefälscht und fabriziert worden seien; zudem würden in den Publikationen mehrfach geglättete Daten gezeigt, dabei werde jedoch suggeriert, dass es sich um gemessene Daten handele. Der Promotionsausschuss zog überdies die Entscheidung des Hauptausschusses der DFG vom 14. Oktober 2004 bei, in der festgestellt worden war, dass dem Kläger im Hinblick auf zwei Veröffentlichungen aus den Jahren 1998 und 2000, die er in einem Bericht an die DFG benannt hatte und die auch von der B.-Kommission untersucht worden waren, wissenschaftliches Fehlverhalten in der Form der Fälschung und Manipulation von Daten sowie der unzureichenden Aufbewahrung und Dokumentation von Primärdaten zur Last zu legen sei. Nachdem sich der Promotionsausschuss für die Zurückweisung des Widerspruchs des Klägers ausgesprochen hatte, wurde dieser durch den Prorektor für Lehre der Beklagten unter dem 19. Oktober 2009 entsprechend beschieden. Die Voraussetzungen für den Entzug des Doktorgrades nach dem zwischenzeitlich an die Stelle des § 55c Abs. 1 UG BW a.F. getretenen, wortgleichen § 35 Abs. 7 LHG BW lägen vor. Der Kläger habe über einen längeren Zeitraum und in erheblichem Umfang wissenschaftliches Fehlverhalten an den Tag gelegt und dadurch seine Kernpflichten als Wissenschaftler massiv verletzt.
- 6
-
Das Verwaltungsgericht hat der von dem Kläger erhobenen Anfechtungsklage stattgegeben, weil es das der angefochtenen Entziehungsverfügung zu Grunde liegende wissenschaftsbezogene Verständnis des in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW enthaltenen Begriffs der Unwürdigkeit verfassungsrechtlich für nicht zulässig, stattdessen eine Beschränkung auf Fälle besonders zu missbilligender Straftaten für geboten und zudem die Entziehung des Doktorgrades des Klägers für unverhältnismäßig gehalten hat.
- 7
-
Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Entziehung des Doktorgrades habe in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW eine verfassungsmäßige Ermächtigungsgrundlage. Das in der Norm enthaltene Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit sei wegen des in ihm angelegten Wissenschaftsbezugs hinreichend bestimmt. Ein Titelinhaber erweise sich als unwürdig zur Führung des verliehenen Doktorgrades, wenn er gravierend gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis bzw. die wissenschaftliche Redlichkeit verstoße, insbesondere Forschungsergebnisse fälsche. Derart ausgelegt, bestünden auch keine Bedenken gegen die Vereinbarkeit des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dass dem Kläger ein die weitere Führung des verliehenen Doktorgrades ausschließender schwerwiegender Verstoß gegen die wissenschaftliche Redlichkeit zur Last zu legen sei, habe die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise angenommen. Da der Kläger die Primärdaten seiner Untersuchungen nicht ordnungsgemäß aufbewahrt und die durchgeführten Experimente nicht hinreichend dokumentiert habe, könne im Wege des prima-facie-Beweises darauf geschlossen werden, dass die von dem Kläger behaupteten Experimente nicht in der beschriebenen Weise stattgefunden hätten. Unabhängig hiervon sei durch die Entscheidung des Hauptausschusses der DFG vom 14. Oktober 2004 und die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens durchgeführte Untersuchung des Promotionsausschusses Physik der Beklagten positiv nachgewiesen, dass der Kläger Daten gefälscht und manipuliert habe. Auch die Einwände des Klägers gegen die Ergebnisse der B.-Kommission überzeugten nicht. Bei dieser Sachlage sei eine weitere gerichtliche Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht nicht veranlasst gewesen. Ein Ermessensfehler sei der Beklagten nicht unterlaufen. Insbesondere stehe die Entziehung des Doktorgrades in Ansehung der Gesamtumstände in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs.
- 8
-
Zur Begründung seiner von dem Senat zugelassenen Revision gegen das Berufungsurteil macht der Kläger - teilweise gestützt auf die Erwägungen des der Klage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils - geltend: Der überkommene hochschulrechtliche Begriff der Unwürdigkeit gehöre dem revisiblen Recht an. Durch die von dem Verwaltungsgerichtshof vorgenommene wissenschaftsbezogene Auslegung gewinne dieser Begriff eine verfassungsrechtlich unzulässige Weite. Sie ermögliche eine dauerhafte Entwertung des korrekt erworbenen Doktorgrades auf Grund eines nachträglichen Fehlverhaltens ohne strafrechtliche Relevanz und dadurch einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und die Berufswahlfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG, erfasse unter Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nur diejenigen Inhaber eines Doktorgrades, die nach ihrer Promotion weiterhin im Wissenschaftsbereich tätig seien, und verletze die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Justitiabilität, weil sich verlässliche Kriterien für die Beantwortung der Frage, wann gravierendes wissenschaftliches Fehlverhalten vorliege, nicht finden ließen. Unabhängig hiervon sei der Verwaltungsgerichtshof in verfahrensfehlerhafter Weise zu seiner Feststellung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens gelangt. Er habe unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO - hier in seiner Ausprägung durch die gerichtliche Hinweis- und Erörterungspflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO und § 104 Abs. 1 VwGO - ein Überraschungsurteil erlassen und überdies die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil er den bestrittenen Sachvortrag der Beklagten ohne weitere Ermittlungen bzw. Beweiserhebung und ohne entsprechenden vorherigen Hinweis als gegeben vorausgesetzt habe. Eine Gehörsverletzung wegen des Erlasses eines Überraschungsurteils sei dem Verwaltungsgerichtshof auch deshalb vorzuwerfen, weil er nicht darauf hingewiesen habe, dass er der rechtlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht folgen und den unbestimmten Rechtsbegriff der Unwürdigkeit auch in Abkehr von seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung wissenschaftsbezogen auslegen werde. In jedem Fall habe die Beklagte den Doktorgrad in ermessensfehlerhafter Weise entzogen, weil die Wissenschaftsgemeinschaft mit den gegen ihn, den Kläger, erhobenen Vorwürfen auch ohnedies bereits vertraut gewesen sei und im Übrigen der Titel bei wissenschaftlichen Publikationen im Fach Physik nicht angegeben werde.
- 9
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Der Kläger beantragt,
-
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. September 2011 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22. September 2010 zurückzuweisen,
-
hilfsweise,
-
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. September 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
- 10
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Die Beklagte beantragt,
-
die Revision zurückzuweisen.
- 11
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Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
- 12
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Die zulässige Revision ist sowohl mit ihrem Hauptantrag als auch mit ihrem Hilfsantrag unbegründet und deshalb gemäß § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil hat im Einklang mit Bundesrecht im Sinne von § 137 Abs. 1 VwGO die Klage gegen die Entziehung des Doktorgrades abgewiesen.
- 13
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Die Vorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über die Hochschulen in Baden-Württemberg (Landeshochschulgesetz BW - LHG BW) vom 1. Januar 2005 (GBl S. 1), hier anwendbar in der Fassung des Gesetzes vom 14. Juli 2009 (GBl S. 317, 331), wonach der von einer baden-württembergischen Hochschule verliehene Hochschulgrad unbeschadet der §§ 48 und 49 LVwVfG BW entzogen werden kann, wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen hat, gehört dem nach § 137 Abs. 1 VwGO nicht revisiblen Landesrecht an (1.). Sie verstößt in ihrer Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Grundgesetz (2.). Ebenso wenig ist revisionsgerichtlich zu beanstanden, dass der Verwaltungsgerichtshof die auf die Vorschrift gestützte Entziehungsverfügung der Beklagten im Übrigen als rechtmäßig beurteilt hat. An die den Tatbestand des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW ausfüllenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da der Kläger keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe gegen sie vorgebracht hat (3.). Einen Ermessensfehler der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof ohne Verstoß gegen Bundesrecht verneint (4.).
- 14
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1. Der Kläger geht fehl, wenn er meint, der in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW enthaltene unbestimmte Rechtsbegriff der Unwürdigkeit gehöre dem revisiblen Recht an. Er beruft sich zu Unrecht darauf, dass der Begriff aus der die Entziehung wegen nachträglicher Unwürdigkeit durch späteres Verhalten betreffenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) des früheren Gesetzes über die Führung akademischer Grade (GFaG) vom 7. Juni 1939 (RGBl I S. 985) mit bundeseinheitlicher Geltung überkommen sei und das Hochschulrecht der Länder den Entzug des Doktorgrades durchweg an die Voraussetzung der Unwürdigkeit knüpfe.
- 15
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Das vorkonstitutionelle Gesetz über die Führung akademischer Grade galt in seinem wesentlichen Normbestand nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wegen seiner Zugehörigkeit zum Hochschulrecht und damit zur Gesetzgebungskompetenz der Länder gemäß Art. 123 Abs. 1 GG als Landesrecht fort (stRspr seit dem Urteil vom 26. Februar 1960 - BVerwG 7 C 198.59 - BVerwGE 10, 195 <195 f.> = Buchholz 421.11 § 4 Ges. Akadem. Grade Nr. 1 S. 1 f., zuletzt Urteil vom 25. August 1993 - BVerwG 6 C 4.91 - BVerwGE 94, 73 <76 f.> = Buchholz 421.11 § 2 GFaG Nr. 14 S. 14). Die Geltung des Gesetzes in allen damaligen Ländern machte es nicht zu Bundesrecht und führte mangels einer ausdrücklichen Anordnung der Landesgesetzgeber nach Art. 99 GG auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtseinheit und des Anspruchs der Bürger auf Gleichbehandlung nicht dazu, dass es als revisibel angesehen werden konnte (Beschlüsse vom 26. November 1976 - BVerwG 7 B 48.75 - Buchholz 421.11 § 2 GFaG Nr. 4 S. 2, vom 17. März 1978 - BVerwG 7 B 14.77 - Buchholz 421.11 § 2 GFaG Nr. 6 S. 7 und vom 20. Juli 1984 - BVerwG 7 B 116.84 - Buchholz 421.11 § 2 GFaG Nr. 8 S. 4). Für Regelungen, die - wie § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW - nach der sukzessiven Aufhebung des Gesetzes über die Führung akademischer Grade in den Ländern an die Stelle des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) GFaG getreten sind, besteht erst recht kein Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Revisibilität (Beschluss vom 10. März 1997 - BVerwG 6 B 72.96 - Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 4), zumal längst nicht alle Länder derartige Nachfolgeregelungen erlassen haben (vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen Landesvorschriften bei: Stumpf, BRJ Sonderausgabe 1/2011, 36 Fn. 325). Der Senat hat demnach nur zu prüfen, ob die durch den Verwaltungsgerichtshof ausgelegte Entziehungsvorschrift als solche oder ihre Anwendung auf den konkreten Fall dem (Verfassungs-)Recht des Bundes widerspricht.
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2. Die Vorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW ist nicht verfassungswidrig. Der in ihr enthaltene unbestimmte Rechtsbegriff der Unwürdigkeit erfährt durch seinen Wissenschaftsbezug, den der Verwaltungsgerichtshof im Wege der für den Senat nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO verbindlichen Normauslegung festgestellt hat (a)), eine Konkretisierung, die dem in dem Rechtsstaatsprinzip und damit im Wesentlichen in Art. 20 Abs. 3 GG zu verortenden Gebot der Gesetzesbestimmtheit genügt (b)). Die Norm ist in dieser Auslegung auch mit dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (c)), der in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit (d)), dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (e)) und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (f)) vereinbar.
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a) Nach ihrer Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof ist die landesrechtliche Entziehungsvorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW wissenschaftsbezogen zu verstehen. Anders als dies bei den auf einen berufsqualifizierenden Abschluss gerichteten Hochschulgraden der Fall sei, werde durch den Doktorgrad nicht lediglich ein einmal erreichter Ausbildungsstand nachgewiesen. Vielmehr bescheinige die Erlaubnis zur Führung des Doktorgrades dem Inhaber gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 LHG BW die Befähigung zu vertiefter - und auch selbständiger - wissenschaftlicher Arbeit. Damit werde der Inhaber öffentlich sichtbar als Mitglied der akademischen Wissenschaftsgemeinde ("scientific community") ausgewiesen. Er gelange durch diese Zuschreibung in dem arbeitsteiligen Prozess des wissenschaftlichen Fortschritts in den Genuss eines Vertrauensvorschusses, was die Einhaltung der Regeln der Wissenschaftlichkeit anbelange. Die Kernpflicht wissenschaftlichen Arbeitens bestehe in der Wahrung der wissenschaftlichen Redlichkeit, zu der auch § 3 Abs. 5 Satz 1 LHG BW ausdrücklich verpflichte. Ein Titelinhaber erweise sich deshalb dann als unwürdig im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW, wenn sich der mit der Verleihung des Doktorgrades begründete Anschein wissenschaftskonformen Arbeitens angesichts gravierender Verstöße gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis und Redlichkeit - insbesondere in Form der Fälschung von Forschungsergebnissen - als unzutreffend herausstelle und zum Schutz vor Irreführung korrigiert werden müsse. Demgemäß sehe auch § 3 Abs. 5 Satz 3 LHG BW vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschangaben in wissenschaftserheblichem Zusammenhang als beispielhaft für einen Verstoß gegen die allgemein anerkannten Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis an.
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Durch diese Ausführungen hat der Verwaltungsgerichtshof den Regelungsgehalt der landesrechtlichen Vorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW dahingehend umrissen, dass sie von den durch Prüfung erlangten Hochschulgraden nur den Doktorgrad erfasst und für dessen Entziehung wegen späterer Unwürdigkeit vorsätzliche oder grob fahrlässige Verstöße gegen wissenschaftliche Kernpflichten voraussetzt.
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b) Mit diesem Inhalt steht § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW nicht in Widerspruch zu dem in dem bundesverfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip wurzelnden (BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 <384>; BVerwG, Urteil vom 23. März 2011 - BVerwG 6 CN 3.10 - BVerwGE 139, 210 = Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 175 Rn. 22) Gebot der hinreichenden gesetzlichen Bestimmtheit.
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Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, den Tatbestand einer Norm mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Dass ein Gesetz unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet, verstößt allein noch nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justitiabilität. Das Gesetz muss nur so bestimmt sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Unvermeidbare Auslegungsschwierigkeiten in Randbereichen sind dann von Verfassungs wegen hinzunehmen. Erforderlich ist allerdings stets, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen (BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 a.a.O. S. 384 f. m.w.N.).
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Diese Bestimmtheitsanforderungen würden verfehlt, wollte man für die Bestimmung der Unwürdigkeit im Sinne der Entziehungsvorschrift, wie von der älteren Instanzrechtsprechung (etwa: OVG Münster, Urteil vom 14. Januar 1963 - V A 747/62 - MDR 1965, 515 <516>; OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Oktober 1965 - V OVG A 58/63 - OVGE 21, 441 <443 ff.>; VGH München, Urteile vom 21. Juli 1966 - Nr. 184 VI 65 - DVBl 1967, 89 und vom 14. Februar 1969 - Nr. 182 III 67 - VGHE 22, 111 <112>; vgl. auch noch: OVG Berlin, Urteil vom 26. April 1990 - 3 B 19/89 - NVwZ 1991, 188; OVG Koblenz, Urteil vom 31. Juli 1991 - 2 A 10260/91 - NVwZ-RR 1992, 79 <80>), der frühen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 6. September 1966 - BVerwG 7 B 201.65 - Buchholz 421.11 § 4 Ges. Akadem. Grade Nr. 2 S. 4) und großen Teilen der Literatur (z.B. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004 Rn. 420, 436 f., 441; Menzel, JZ 1960, 461) für die Vorgängernorm des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) GFaG vertreten, auf die Enttäuschung traditioneller gesellschaftlicher Vorstellungen über den Doktorgrad als öffentliche Würde eigener Art, als herausgehobener Rang oder als ehrenvolle Kennzeichnung der Persönlichkeit seines Trägers abstellen. Weder haben derartige allgemeine Vorstellungen, sofern sie in der Gesellschaft überhaupt auch heute noch bestehen, eine normative Grundlage, noch sind die Hochschulen institutionell oder fachlich zur Abgabe und Durchsetzung entsprechender Werturteile berufen. Die Fallgestaltungen, in denen eine Entziehung des Doktorgrades wegen späterer Unwürdigkeit gerechtfertigt wäre, würden nicht in hinreichender Weise erkennbar (Lorenz, DVBl 2005, 1244; Maurer, Promotion, in: Flämig/Kimminich/Krüger/Meusel/Rupp/Scheven/Schuster/Graf Stenbock-Fermor
, Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1996, S. 768 f., 776; Stumpf, a.a.O. S. 36).
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Dementsprechend haben das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht in den wenigen, sehr kurzen Entscheidungen, in denen explizit die Bestimmtheit des Unwürdigkeitsbegriffs des früheren § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) GFaG in Frage stand, der Sache nach eine restriktive, verfassungskonforme Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs für erforderlich gehalten. Bestimmend für diese Rechtsprechung ist der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. November 1988 - 1 BvR 900/88 - (juris Rn. 8 f.; vgl. im Übrigen noch: Beschluss vom 18. Dezember 1992 - 1 BvR 1475/92 - n.v. und dazu: BVerwG, Beschluss vom 10. März 1997 a.a.O.), dessen Erwägungen sich das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 7. September 1990 - BVerwG 7 B 127.90 - Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 2 S. 9 und vom 25. August 1992 - BVerwG 6 B 31.91 - Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 3 S. 13) zu eigen gemacht hat. Das Bundesverfassungsgericht (Kammerbeschluss vom 30. November 1988 a.a.O.) hat die Unschärfe des Unwürdigkeitsbegriffs hervorgehoben und Zweifeln Ausdruck verliehen, inwieweit Verhaltensweisen, die keinen unmittelbaren Bezug zu der mit dem Doktorgrad verbundenen fachlich-wissenschaftlichen Qualifikation hätten, zur Begründung eines Unwerturteils herangezogen werden dürften. Deshalb werde eine Auslegung, die eine funktionelle Verknüpfung - des seinerzeit gegebenen strafbaren Verhaltens - mit dem Wesen und der Bedeutung des akademischen Grades herstelle, den verfassungsrechtlichen Anforderungen in besonderer Weise gerecht.
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Diesen bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz hat der Verwaltungsgerichtshof unter Aufnahme einschlägiger dogmatischer Grundlegungen in der Literatur (Lorenz, a.a.O. S. 1242 ff.; v. Coelln, FuL 2011, 278 f.; im Ausgangspunkt auch Tiedemann, ZRP 2010, 55 und später Stumpf, a.a.O. S. 37 f.) durch die auf die systematischen Bezüge innerhalb des Landeshochschulgesetzes gestützte wissenschaftsbezogene Interpretation des Unwürdigkeitsbegriffs in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW weiterentwickelt. Er ist auf diese Weise zu einer konsistenten Beschreibung des Regelungsbereichs der Entziehungsvorschrift gelangt, die deren Begrenzung ohne Weiteres ersichtlich werden lässt. Die Vorschrift erfasst danach im Wesentlichen die Verletzung von Pflichten, die sich unabhängig von den innerhalb der Wissenschaft erarbeiteten Zusammenstellungen der Anforderungen an eine gute wissenschaftliche Praxis (zum Beispiel: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis - Empfehlungen der Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft", Denkschrift 1998 mit Ergänzung vom Juli 2013) im Sinne eines Begriffskerns (vgl. dazu: Schmidt-Aßmann, NVwZ 1998, 1226; Schulze-Fielitz, WissR, Beiheft 21 <2011> S. 6) bereits aus dem Begriff der Wissenschaft als solchem, das heißt dem ernsthaften Versuch zur Ermittlung von Wahrheit ergeben. In vergleichbarer Weise hat der Senat (Urteil vom 11. Dezember 1996 - BVerwG 6 C 5.95 - BVerwGE 102, 304 <308 ff.> = Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 150 S. 63 ff.) in anderem Zusammenhang die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte individuelle Forschungsfreiheit des Hochschullehrers in Beziehung zu der Verantwortung der Hochschule für die Pflege der Wissenschaften gesetzt, die aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als objektiver, das Verhältnis von Wissenschaft und Staat regelnder wertentscheidender Grundsatznorm ableitbar ist. Dem im vorliegenden Fall in Rede stehenden Fälschungs- und Manipulationsverbot können danach - wie etwa § 3 Abs. 5 Satz 3 LHG BW im Hinblick auf Hochschulangehörige bestimmt - vor allem die vergleichbar gewichtigen Verbote der Verletzung des geistigen Eigentums und der Beeinträchtigung der Forschungstätigkeit Anderer an die Seite gestellt werden.
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Mit dieser Auslegung des Unwürdigkeitsbegriffs verträgt es sich indes nicht, wenn der Verwaltungsgerichtshof - wenngleich nicht im Zusammenhang mit der Frage der Bestimmtheit der Entziehungsvorschrift, sondern mit derjenigen ihrer Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz - offen lässt, ob neben den Fällen einer wissenschaftsbezogen begründeten Unwürdigkeit auch bei schweren Verfehlungen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs eine Entziehung des Doktorgrades in Betracht kommen könnte. Der in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW enthaltene Unwürdigkeitsbegriff, der nach den Maßgaben des Landeshochschulrechts über die Bedeutung des Doktorgrades wissenschaftsbezogen zu verstehen ist, kann aus Gründen des bundesverfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots nicht zugleich unter Heranziehung anderer Kriterien interpretiert werden, die mangels normativer Regelung ihrerseits nur in der oben genannten Enttäuschung nicht hinreichend fassbarer gesellschaftlicher Vorstellungen über den Doktorgrad und dessen Träger bestehen können. Dies gilt auch für die unter anderem in der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 4 Abs. 1 GFaG (Urteil vom 18. März 1981 - IX 1496/79 - JZ 1981, 661 <663>; ebenso: Starosta, DÖV 1987, 1052) und in dem hiesigen Verfahren noch von dem erstinstanzlichen Urteil befürwortete Beschränkung des Unwürdigkeitsbegriffs auf besonders schwere oder verwerfliche Straftaten jedenfalls dann, wenn diese Taten keinen Wissenschaftsbezug aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist der Senat zu der Feststellung befugt, dass die von dem Verwaltungsgerichtshof gefundene wissenschaftsbezogene Auslegung des Unwürdigkeitsbegriffs in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW als abschließend anzusehen ist (vgl. dazu allgemein: Urteil vom 17. Oktober 1986 - BVerwG 7 C 79.85 - BVerwGE 75, 67 <72> = Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 18 S. 33).
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c) In der wissenschaftsbezogenen Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof ist § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW mit dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar.
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Von vornherein kein Raum besteht für die Annahme, das individuelle Wissenschaftsfreiheitsrecht sei dadurch verletzt, dass die Unwürdigkeit im Sinne der landesrechtlichen Entziehungsvorschrift überhaupt in vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstößen gegen wissenschaftliche Kernpflichten gefunden werde. Denn ein derartiges wissenschaftliches Fehlverhalten wird bereits von dem Schutzbereich des Grundrechts nicht erfasst (vgl. Urteil vom 11. Dezember 1996 a.a.O. S. 312 bzw. S. 67; Linke, WissR 1999, 160; Lorenz, a.a.O. S. 1244 f.).
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Ein unzulässiger Eingriff in die individuelle Wissenschaftsfreiheit liegt auch nicht darin begründet, dass die Vorschrift als Reaktion auf die in Rede stehenden späteren wissenschaftlichen Pflichtverstöße den Zugriff auf den Bestand des zuvor redlich erworbenen Doktorgrades ermöglicht. Denn der damit für den Träger des Grades verbundene Nachteil findet seine Rechfertigung in dem Gehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als objektiver Grundsatznorm, weil er nach dem von dem Verwaltungsgerichtshof festgestellten Regelungsgehalt der landesrechtlichen Entziehungsvorschrift der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses dient. In der Wissenschaft als prinzipiell offenem System muss jeder wissenschaftlich Tätige mit seinen Forschungen auf den Erkenntnissen anderer aufbauen und darauf vertrauen können, dass diese nicht manipuliert sind. Wird dieses Vertrauen verletzt, leidet neben der Qualität der jeweiligen Forschungsarbeit auch die Präzision des Fachdiskurses. Dies kann die Glaubwürdigkeit des Wissenschaftsbetriebs insgesamt beschädigen (vgl. Goeckenjan, JZ 2013, 725; Deutsche Forschungsgemeinschaft, a.a.O. S. 27). Vor diesem Hintergrund hat der Landesgesetzgeber nach Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs dem verliehenen Doktorgrad die Funktion zugeschrieben, im Fall der weiteren Teilnahme seines Trägers am Wissenschaftsprozess als Ausweis für dessen Willen und Fähigkeit zur permanenten Einhaltung der wissenschaftlichen Kernpflichten zu dienen. Der Landesgesetzgeber hat diese Zuschreibung mit einer entsprechenden Verhaltenserwartung verknüpft und für den Fall der Nichterfüllung der Erwartung die Entziehung des Doktorgrades vorgesehen. Dieses Regelungssystem stellt sich unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative und des Gestaltungsspielraums des Landesgesetzgebers nicht als unverhältnismäßig im weiteren Sinne dar. Insbesondere sind die gesetzgeberische Zuschreibung und Verhaltenserwartung nicht deshalb als fehlsam zu beurteilen, weil das entsprechende Vertrauen in den Doktorgrad in der Wissenschaft bzw. in einzelnen ihrer Bereiche in tatsächlicher Hinsicht unterschiedlich stark ausgeprägt sein mag.
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Einen unverhältnismäßigen Charakter gewinnt die in § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW geregelte Entziehung des Doktorgrades wegen eines späteren wissenschaftsbezogenen unwürdigen Verhaltens ferner nicht deshalb, weil die Vorschrift keine Bestimmung über eine Befristung der Entziehungsentscheidung enthält. Denn in Fällen, in denen sich eine Aufrechterhaltung der Entziehungsverfügung als unzumutbar erweisen sollte, kann dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung getragen werden, dass die Entziehungsentscheidung auf der Grundlage der nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO revisiblen Vorschrift des § 49 Abs. 1 LVwVfG BW, auf die § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW ausdrücklich verweist, widerrufen wird (zur Aufhebung einer Entziehungsentscheidung nach dem früheren Gesetz über die Führung akademischer Grade unter Verweis auf § 4 Abs. 4 GFaG: VGH Mannheim, Urteil vom 18. März 1981 a.a.O. S. 664; Thieme, a.a.O. Rn. 446; vgl. auch: Maurer, a.a.O. S. 777). Unabhängig hiervon besteht grundsätzlich die Möglichkeit eines Neuerwerbs des Doktorgrades (Stumpf, a.a.O. S. 48).
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Schließlich können etwaige für das Grundrecht der subjektiven Wissenschaftsfreiheit bedeutsame Besonderheiten des Einzelfalles im Rahmen der nach § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW erforderlichen Ermessensausübung berücksichtigt werden.
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d) Die wissenschaftsbezogen ausgelegte Entziehungsvorschrift des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW verletzt nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.
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Einschränkungen der Berufsfreiheit, die sich als Folge einer auf Grund der Vorschrift verfügten Entziehung des Doktorgrades für Tätigkeiten im Wissenschaftsbetrieb ergeben, sind entsprechend den Darlegungen zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gerechtfertigt, weil sie zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftsprozesses, einem überragend wichtigen und verfassungsrechtlich in dem objektiven Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verankerten Gemeinschaftsgut, erforderlich und auch sonst verhältnismäßig sind. Deshalb müssen die von einer Entziehungsentscheidung Betroffenen auch mit dieser verbundene faktische Beeinträchtigungen einer Berufsausübung (vgl. zu solchen Beeinträchtigungen allgemein: Urteil vom 18. Oktober 1990 - BVerwG 3 C 2.88 - BVerwGE 87, 37 <41 ff.> = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 209 S. 27 ff.) außerhalb des Wissenschaftsbereichs hinnehmen. Der Landesgesetzgeber war auf Grund der ihm zustehenden Pauschalierungs- und Typisierungsbefugnis nicht verpflichtet, bereichsspezifische Verbote zur Führung des Doktorgrades vorzusehen. Eine im Einzelfall gegebene besondere Betroffenheit in beruflicher Hinsicht kann wiederum in die Ermessensausübung nach § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW einfließen.
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e) Aus den bisherigen Darlegungen folgt zugleich, dass - im Hinblick auf einen etwaigen, mit der Entziehung des Doktorgrades zusammenhängenden Verlust gesellschaftlichen Ansehens - das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht in der wissenschaftsbezogen interpretierten Norm des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW eine verfassungsmäßige Grenze findet.
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f) Der Umstand, dass der wohl überwiegende Teil der Promovierten mangels weiterer wissenschaftlicher Tätigkeit nach der Promotion dem Anwendungsbereich des wissenschaftsbezogen verstandenen § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW faktisch nicht unterfällt, begründet keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Er ist vielmehr deshalb sachlich gerechtfertigt, weil von den besagten Titelträgern keine Gefahr einer Störung des Wissenschaftsprozesses durch Verletzung wissenschaftlicher Kernpflichten ausgeht (vgl. Stumpf, a.a.O. S. 38).
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3. Gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, der Kläger habe den Tatbestand des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW erfüllt, ist revisionsgerichtlich nichts zu erinnern.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat - unmittelbar und unabhängig von dem ergänzend gezogenen, an eine mangelhafte Archivierung von Primärdaten und Dokumentation von Experimenten anknüpfenden prima-facie-Schluss - festgestellt, dass der Kläger während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in den USA schwerwiegend und wiederholt Daten seiner Forschungsergebnisse manipuliert und gefälscht hat. Auf diesen vorsätzlichen bzw. grob fahrlässigen Verstoß gegen das zum Kreis der wissenschaftlichen Kernpflichten gehörende Fälschungs- und Manipulationsverbot hat der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der Unwürdigkeit des Klägers im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW gestützt. Der Senat ist gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs und dessen auf dieser Grundlage vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung gebunden, weil der Kläger mit seinen hiergegen gerichteten Verfahrensrügen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (a)) und der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (b)) nicht durchzudringen vermag.
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a) Der Kläger macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verstoßen, weil das Berufungsurteil sowohl im Hinblick auf seine tatsächliche als auch in Bezug auf seine rechtliche Grundlage eine Überraschungsentscheidung darstelle. In tatsächlicher Hinsicht habe der Verwaltungsgerichtshof nicht nach § 86 Abs. 3 VwGO darauf hingewiesen bzw. nicht gemäß § 104 Abs. 1 VwGO erörtert, dass er die von ihm, dem Kläger, bestrittene Manipulation und Fälschung von Daten allein auf Grund des Akteninhalts als erwiesen ansehen werde. Eines solchen Hinweises habe es zwingend bedurft, da der Verwaltungsgerichtshof einerseits anders als das erstinstanzliche Urteil ein wissenschaftsbezogenes Unwürdigkeitsverständnis befürwortet, andererseits aber den für ein solches Verständnis entscheidungserheblichen umstrittenen Sachverhalt nicht durch eigene Ermittlungen und Beweiserhebungen aufgeklärt habe. Anders gewendet hätte der Verwaltungsgerichtshof in rechtlicher Hinsicht nicht ohne vorherigen Hinweis sein wissenschaftsbezogenes Unwürdigkeitsverständnis an die Stelle der von der Vorinstanz in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vertretenen Beschränkung auf besonders schwere oder verwerfliche Straftaten setzen dürfen. Der Kläger beruft sich in diesem Zusammenhang ergänzend auf die auf den Zivilprozess bezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa Kammerbeschluss vom 16. Oktober 1991 - 2 BvR 458/89 - NJW 1992, 495 m.w.N.) und des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 15. Februar 2005 - XI ZR 144/03 - FamRZ 2005, 700 f. m.w.N.) über zweitinstanzliche Vortragserleichterungen für die in erster Instanz siegreiche Partei bzw. zu deren Gunsten eingreifende Hinweispflichten des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO in der prozessualen Situation, dass das Berufungsgericht den Rechtsstandpunkt der Vorinstanz nicht teilt. Er macht geltend, dass er, wenn der Verwaltungsgerichtshof den erforderlichen Hinweis in tatsächlicher Hinsicht erteilt hätte, in der Lage gewesen wäre, dazu Stellung zu nehmen, Vertagung zu beantragen und weiter vorzutragen oder einen förmlichen Beweisantrag zu stellen, so dass eine für ihn günstigere Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Auf eine verfahrensfehlerhafte Ablehnung eines gestellten Beweisantrages hätte er seine Nichtzulassungsbeschwerde stützen können. Auf den notwendigen Hinweis in rechtlicher Hinsicht hin hätte er den Verwaltungsgerichtshof mit seiner früheren Rechtsprechung konfrontiert.
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Der Gehörsrüge muss der Erfolg versagt bleiben. Sie erfüllt bereits nicht die Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO, der für die Rüge eines Verfahrensmangels die Angabe der Tatsachen verlangt, die den Mangel ergeben. Wird ein Gehörsverstoß geltend gemacht, sind demnach substantiierte Ausführungen darüber erforderlich, was im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs über das bisherige Vorbringen hinaus noch entscheidungserheblich vorgetragen worden wäre bzw. welche Beweisanträge gestellt worden wären (vgl. Urteile vom 16. August 1983 - BVerwG 9 C 853.80 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 26 S. 10 und vom 24. September 1992 - BVerwG 3 C 88.88 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 61 S. 267 f.). Dies ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht.
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Davon abgesehen liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht vor, denn das angefochtene Urteil stellt keine diesen Grundsatz verletzende Überraschungsentscheidung dar. Auch unter Berücksichtigung der Ausprägung, die der Grundsatz durch die Hinweis- und Erörterungspflichten nach § 86 Abs. 3 VwGO und § 104 Abs. 1 VwGO erfährt, ist das Tatsachengericht nicht verpflichtet, die Beteiligten schon vor bzw. in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung (Beschlüsse vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2; vom 27. November 2008 - BVerwG 5 B 54.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 60 Rn. 8 und vom 29. Juni 2011 - BVerwG 6 B 7.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410 Rn. 8). Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (Beschlüsse vom 27. November 2008 a.a.O. Rn. 8; vom 29. Juni 2011 a.a.O. Rn. 8 und vom 19. Juli 2010 - BVerwG 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 Rn. 4; vgl. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263>; Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 <345 f.>). Die Annahme eines solchen Ausnahmefalls scheidet hier aus.
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In tatsächlicher Hinsicht hat die Beklagte die Annahme der wissenschaftsbezogen verstandenen Unwürdigkeit des Klägers im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW auf die Ergebnisse des B.-Reports vom September 2002, die Feststellungen des Hauptausschusses der DFG vom 14. Oktober 2004 und die im Widerspruchsverfahren von ihrem Promotionsausschuss Physik erstellte Fehleranalyse gestützt. Der Kläger hatte im Verwaltungsverfahren Gelegenheit, ausführlich zu den in den genannten Untersuchungen enthaltenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Die Verwaltungsvorgänge, in denen das Material enthalten ist, sind im gerichtlichen Verfahren beigezogen worden. In der ersten Instanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben sich die Beteiligten weiter umfänglich darüber auseinander gesetzt. Nachdem sie in der Berufungsinstanz über die Rechtsfrage der - in dem erstinstanzlichen Urteil abgelehnten - wissenschaftsbezogenen Auslegung der Unwürdigkeit im Sinne des § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW gestritten hatten, hat der Verwaltungsgerichtshof in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf die Behördenakten zurückgreife. Für den anwaltlich vertretenen Kläger konnte daher kein Zweifel bestehen, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, sollte sich dieser der Ablehnung des wissenschaftsbezogenen Unwürdigkeitsverständnisses durch das Verwaltungsgericht nicht anschließen, die Frage eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens des Klägers und der tatsächlichen Grundlagen dafür Bedeutung erlangen würde. Ebenso klar lag zu Tage, dass der Verwaltungsgerichtshof dann seiner ausdrücklichen Ankündigung gemäß auf die in den Behördenakten enthaltenen tatsächlichen Feststellungen abstellen würde. Der Kläger musste deshalb damit rechnen, dass das Berufungsgericht dabei die für ihn ungünstigen Ergebnisse der bereits von der Beklagten herangezogenen Untersuchungen als überzeugend erachten würde.
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Auch in rechtlicher Hinsicht musste der Kläger ohne weiteren gerichtlichen Hinweis gewärtigen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Unwürdigkeit als Voraussetzung für die Entziehung des Doktorgrades nach § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW wissenschaftsbezogen verstehen und insoweit seine frühere Rechtsprechung (Urteil vom 18. März 1981 a.a.O. S. 663) zu § 4 Abs. 1 GFaG fortentwickeln würde. Schließlich hatte die Beklagte ihre Entziehungsverfügung ausdrücklich auf ein solches wissenschaftsbezogenes Unwürdigkeitsverständnis gestützt. Die Beteiligten hatten darüber bereits in der ersten Instanz ausführlich und in der Berufungsinstanz fast ausschließlich gestritten.
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Weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht kann der Kläger aus der von ihm herangezogenen zivilprozessualen Rechtsprechung etwas zu seinen Gunsten herleiten, denn diese hat ihre Grundlage in dem Beibringungsgrundsatz, der den Zivilprozess prägt (vgl. zu diesem Zusammenhang: Beschluss vom 24. Juli 2008 - BVerwG 6 PB 18.08 - Buchholz 251.7 § 79 NWPersVG Nr. 7 Rn. 3), jedoch im Verwaltungsprozess nicht gilt.
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b) Die Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO durch den Verwaltungsgerichtshof sieht der Kläger darin begründet, dass dieser, obwohl er, der Kläger, die Vorwürfe der Manipulation und Fälschung von Daten substantiiert bestritten und widerlegt habe, die in den Verfahrensakten enthaltenen Feststellungen übernommen habe, anstatt den Sachverhalt von Amts wegen näher zu ermitteln und gegebenenfalls das von der Beklagten in der ersten Instanz angeregte Sachverständigengutachten einzuholen.
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Für eine Prüfung dieses Verfahrensfehlers hat der Kläger keine den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügende Grundlage unterbreitet. Für die ordnungsgemäße Begründung der Aufklärungsrüge muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände, die für das Gericht entscheidungserheblich waren, Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Dabei müssen die Beweismittel, deren Heranziehung sich dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen, angegeben werden, also zum Beispiel die Sachverständigen genannt und die im Einzelnen in ihr Wissen gestellten Tatsachen angeführt und dargelegt werden, inwiefern das Urteil im Einzelnen auf der unterbliebenen Vernehmung beruht oder beruhen kann (stRspr, vgl. nur Urteile vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 25 und vom 14. Februar 2007 - BVerwG 6 C 28.05 - Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 3 Rn. 11).
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Die Revisionsbegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Der Kläger hätte dem von der Beklagten entsprechend den Ergebnissen des B.-Reports, der Entscheidung des Hauptausschusses der DFG vom 14. Oktober 2004 und der Fehleranalyse des Promotionsausschusses Physik der Beklagten erhobenen Vorwurf der Manipulation und Fälschung von Daten sein abweichendes Vorbringen im Detail entgegenstellen müssen. Er hätte weiter angeben müssen, was der Verwaltungsgerichtshof insoweit - quasi auf der Hand liegend - mit welchem Ergebnis aufzuklären gehabt hätte. Dies hat der Kläger nicht ansatzweise getan.
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4. Ein Verstoß gegen Bundesrecht liegt schließlich nicht darin, dass der Verwaltungsgerichtshof die Ausübung des von § 35 Abs. 7 Satz 1 LHG BW eingeräumten Ermessens durch die Beklagte gebilligt hat.
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Die wissenschaftsbezogene Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unwürdigkeit im Tatbestand der Entziehungsvorschrift bringt es mit sich, dass im Rahmen des eingeräumten Ermessens auf der Rechtsfolgeseite der Norm dem allgemeinen Interesse an der Vertrauenswürdigkeit wissenschaftlicher Tätigkeit besonderes Gewicht zukommt. Dem hat die Beklagte Rechnung getragen. Wegen der auch formellen Funktion des Doktorgrades als Vertrauenswürdigkeitsausweis geht das von dem Kläger verwandte Argument ins Leere, in seinem Fall sei die Wissenschaftsgemeinschaft durch das Aufsehen, das die gegen ihn gerichteten Vorwürfe erregt hätten, bereits materiell hinreichend unterrichtet und eine Entziehung des Doktorgrades nicht mehr erforderlich gewesen. Ferner ist es, anders als der Kläger meint, unerheblich, wenn der Doktorgrad bei wissenschaftlichen Publikationen im Fach Physik nicht angegeben wird, denn der Wissenschaftsprozess greift hierüber weit hinaus.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d :
2Der am XX. Juni 1972 in E. geborene Kläger bestand im Frühjahr 1991 am B. -G. -Gymnasium in I. sein Abitur. Ab dem Wintersemester 1991/ 1992 studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten und legte am 8. November 1996 die Diplomprüfung mit der Gesamtnote "gut" ab. Die Fakultät verlieh ihm mit Urkunde vom 28. Januar 1997 den akademischen Grad "Diplom-Kaufmann". Am 10./19. September 1997 bestand er zudem die Diplomprüfung im integrierten Studiengang Wirtschaftswissenschaft an der Fernuniversität I1. mit der Note "ausreichend" (3,8). Aufgrund dieser Prüfung verlieh ihm der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Fernuniversität mit Urkunde vom 17. November 1997 den akademischen Grad "Diplom-Volkswirt (Dipl.-Volksw.)".
3Vom 1. August 1997 bis zum 31. Mai 1998 war der Kläger am Lehrstuhl Unternehmensrechnung und Controlling (Prof. Dr. S. ) der Beklagten als wissenschaftlicher Angestellter tätig. Ab 1. Juni 1998 arbeitete er als Controller im I2. -Konzern, F. , zunächst bei der I2. -Verkehrswegebau GmbH in der Niederlassung W. . Während dieser Zeit ‑ wohl im Mai 1998 ‑ ließ sich die Studentin D. E1. , geb. N. , für ihre im Frühjahr 1999 anstehende Diplomarbeit mit dem Thema "L3. " vormerken und gab an, sie bevorzuge den Kläger als betreuenden Assistenten. Diese Funktion übte der Kläger aus, obwohl er 1999 formell kein Hochschulangehöriger mehr war. Frau E1. legte ihre Diplomarbeit am 20. September 1999 am Lehrstuhl Prof. Dr. S. vor. Dieser bewertete sie in seinem Gutachten vom 20. Januar 2000 mit 1,7 ("gut plus"). Ein Zweitgutachten, wie es durch die Diplomprüfungsordnung vorgeschrieben ist, existiert nicht. Frau E1. erhielt in ihrer Diplomprüfung die Gesamtnote "gut" (1,7).
4Unter dem 12. Mai 2001 beantragte der Kläger bei der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten die Zulassung zum Promotionsverfahren mit dem Arbeitsthema für die Dissertation "L4. " und schlug Prof. Dr. K. , Inhaber des Lehrstuhls für Industriebetriebslehre, als Betreuer vor. Dieser erklärte sich zur Betreuung bereit. Mit Schreiben vom 24. September 2001 reichte der Kläger seine Dissertation ein und fügte ihr folgende schriftliche Erklärung vom 14. September 2001 bei:
5"Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt sowie die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken als solche kenntlich gemacht habe.
6Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht."
7Entsprechend dem Vorschlag des Klägers bestellte der Promotionsausschuss als Gutachter Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. sowie als weiteres Mitglied der Promotionskommission Prof. Dr. L. . Prof. Dr. K. bewertete die Arbeit in seinem Gutachten vom 18. September 2002 "als ein[en] innovative[n] Beitrag zur Weiterentwicklung branchenspezifischer Controlling-Systeme" und vergab die Note "sehr gut minus". Prof. Dr. S. bewertete die Dissertation in seinem Gutachten vom 27. Januar 2003 als eine "gute wissenschaftliche Forschungsleistung" und vergab die Note "gut plus". Beide Gutachter wiesen als "kleinere formale Mängel" auf Rechtschreibfehler, unkommentierte Abbildungen und ein unvollständiges Abkürzungsverzeichnis hin. Aufgrund seiner Dissertationsschrift und der Disputation vom 19. Mai 2003 erkannte die Promotionskommission dem Kläger die Gesamtnote "gut" zu und promovierte ihn zum Doktor rerum politicarum (Dr. rer. pol.). Nach Ablieferung der Pflichtexemplare seiner Dissertation übersandte der Dekan ihm unter dem 24. Juli 2003 die Promotionsurkunde.
8Nachdem sie zuvor telefonisch darauf hingewiesen hatte, wandte sich Frau E1. mit E-Mail vom 28. November 2005 an den Vorsitzenden der Kommission zur Sicherstellung guter wissenschaftlicher Praxis der Beklagten (im Weiteren: Kommission), "um einen Plagiatsfall anzuzeigen". Sie habe zufällig festgestellt, dass der Kläger in seiner Dissertation weite Teile ihrer Diplomarbeit wörtlich übernommen habe. Mit E-Mail vom 29. November 2005 übersandte sie eine pdf-Datei, die nach ihrer Angabe ihre Diplomarbeit beinhaltet. Der von der Beklagten erstellte Ausdruck umfasst einschließlich des Inhaltsverzeichnisses 291 Seiten. Das Original der Diplomarbeit hatte die Beklagte, die seinerzeit von einer Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren ausging, bereits vernichtet.
9Der Kommissionsvorsitzende informierte den Kläger unter dem 20. Dezember 2005 darüber, dass der "Anfangsverdacht eines Plagiats" in Bezug auf seine Dissertation bestehe, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 2. Januar 2006, es sei richtig, dass er die Diplomarbeit von Frau E1. betreut habe. Die Gliederung der Diplomarbeit sei in enger Abstimmung mit ihm und nach seiner konkreten Vorgabe entstanden. Große Teile seiner Arbeit, insbesondere der Herleitungsteil und Teile zur Kostenrechnung, seien im Jahr 1999 bereits erstellt gewesen. Diese Unterlagen sowie umfangreiche Literaturempfehlungen und Abbildungen habe er Frau E1. teils elektronisch als Vorbereitung und zur Einarbeitung und Weiterverwendung 1999 für ihre Diplomarbeit zur Verfügung gestellt. Bei der Korrektur ihrer Diplomarbeit habe er zur Kenntnis genommen, dass die Gliederung seinen Vorgaben entsprochen habe und vorgegebene Grafiken/Abbildungen und Texte inhaltlich verarbeitet worden seien. Nach seiner Erinnerung habe Frau E1. dabei auf seine unveröffentlichte Arbeit verwiesen. Auf Textgleichheiten mit seiner Arbeit habe er wegen des Umfangs der Diplomarbeit nicht weiter geachtet. Wegen der geringen wissenschaftlichen Bedeutung für den Gesamtkontext habe er insbesondere den zur Verfügung gestellten Teilen seiner Dissertation keine wesentliche Beachtung geschenkt. Bei Frau E1. handele es sich um eine sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit, die jedoch mit der Benotung ihrer Arbeit nicht einverstanden gewesen sei.
10In der Sitzung der Kommission vom 8. Februar 2006 gab der Kläger ausweislich der Niederschrift unter anderem an, Frau E1. habe gegen die Note von 1,7 Einspruch erhoben; dadurch sei es zum Streit mit Prof. Dr. S. gekommen, der ihn, den Kläger, als Auslöser des Widerspruchs angesehen habe. Prof. Dr. S. habe sich daraufhin geweigert, seine Dissertation weiter zu betreuen und ihm Prof. Dr. K. ab etwa März/April 2000 vermittelt. Das Fazit seiner Arbeit habe er relativ früh fertiggestellt, dann aber immer wieder daran gefeilt. Ende 1999 habe er eine Alpha-Version seiner Arbeit Prof. Dr. S. , nach dem Streit mit ihm dann etwa im April 2000 Prof. Dr. K. vorgelegt. Im Jahr 2000 habe er eine E-Mail von Frau E1. erhalten mit der Drohung, sie werde sich für die Bewertung ihrer Arbeit revanchieren.
11Frau E1. gab in der Sitzung der Kommission vom 10. Februar 2006 ausweislich der Niederschrift unter anderem an, sie habe auf Wunsch des Klägers diesem auch eine digitale Version ihrer Arbeit zur Verfügung stellen müssen. Über die Note von 1,7 sei sie zunächst ein wenig überrascht, dann aber zufrieden gewesen, weil sie die Diplomnote ohnehin nicht stark beeinflusst habe. Mit Schreiben vom 28. Februar 2006 übersandte Frau E1. ergänzend Unterlagen, die nach ihrer Angabe unterschiedliche Bearbeitungsversionen ihrer Arbeit nebst handschriftlicher Korrekturen und Anmerkungen beinhalten.
12Prof. Dr. S. erklärte in einem Telefonat am 12. Mai 2006, sich an einen Einspruch der Frau E1. gegen die Note nicht erinnern zu können. In einer E-Mail vom 27. Juni 2006 gab er ergänzend an, es sei sicher, dass er sich mit dem Kläger nicht wegen Frau E1. überworfen habe. Der Dekan Prof. Dr. T. teilte unter dem 30. Mai 2006 mit, ein Widerspruchsverfahren einer Frau N. (jetzt: E1. ) sei nicht anhängig gewesen.
13Am 1. November 2006 legte der Vorsitzende der Kommission dem Rektor der Beklagten einen Bericht vor mit der abschließenden Empfehlung, gegen den Kläger ein Verfahren zur Entziehung des Doktorgrades einzuleiten. In dem Bericht ist ausgeführt, die Universitätsmitarbeiterin T1. habe festgestellt, dass die Dissertation auch Übereinstimmungen mit einer Seminararbeit von M. Q. und M. I3. aufweise, die 1999/2000 an der Universität M. angefertigt worden sei.
14Mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Es komme die Aberkennung des Doktorgrades in Betracht. Der Kläger nahm zu den Vorwürfen mit anwaltlichen Schreiben vom 7. Februar 2007 und vom 12. Juni 2007 Stellung. Letzterem war eine eidesstattliche Versicherung seiner damaligen Lebensgefährtin, D1. M1. , beigefügt, wonach diese sich daran erinnern könne, dass der Kläger ihr Ende 1999 den Ausdruck einer E-Mail einer kürzlich betreuten Diplomandin mit drohendem Inhalt gezeigt habe.
15Der Fakultätsrat der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät behandelte in der Fakultätsratssitzung am 27. Juni 2007 den Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde". Zu dieser Sitzung war mit Schreiben vom 6. Juni 2007 unter Beifügung einer vorläufigen Tagesordnung mit dem Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde" eingeladen worden. Die Sitzung dauerte ausweislich des Protokolls von 16:15 bis 17:15 Uhr. Der Fakultätsrat beschloss mit 13:0:0 Stimmen, den Doktorgrad abzuerkennen.
16Diesen Beschluss setzte der Dekan der Fakultät mit Bescheid vom 17. September 2007 um. Er entzog dem Kläger den Doktorgrad und gab ihm auf, die Promotionsurkunde binnen zwei Wochen nach Erhalt des Bescheides zurückzugeben. Für die Entziehung stützte er sich auf § 20 der Promotionsordnung der Beklagten für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW. Zur Begründung führte er an, die Verleihung des Doktorgrades im Jahre 2003 sei rechtswidrig gewesen. Die Dissertation des Klägers erbringe den in § 67 Abs. 1 HG NRW vorausgesetzten Nachweis der Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nicht. Der Kläger habe darin 73 % des Textes der Diplomarbeit von Frau E1. und auf den Seiten 351 bis 369 umfangreich Textstellen einer Seminararbeit der Studenten M. Q. und M. I3. der Universität M. verwendet, ohne diese beiden Quellen im Literaturverzeichnis oder sonst in seiner Dissertation anzugeben. Damit habe er über die Eigenständigkeit seiner Leistung getäuscht und sei seine entsprechende Versicherung gemäß § 10 der Promotionsordnung falsch gewesen. Die Täuschung sei vorsätzlich erfolgt und für die Verleihung des Doktorgrades ursächlich gewesen. Das Vorbringen, Frau E1. habe bei der Anfertigung der Diplomarbeit im Jahre 1999 ihrerseits möglicherweise Textteile aus dem Entwurf der Dissertation des Klägers übernommen, sei nicht plausibel und überzeugend. Im Übrigen reiche bereits die weitgehende Verwendung von Textstellen aus der Seminararbeit der Herren Q. und I3. für die Annahme einer bewussten Täuschung bei der Erstellung der Dissertation und die Entziehung des Doktorgrades aus. Das zuständige Gremium habe sich bei der Entscheidung über die Entziehung des Doktorgrades mit den möglichen Auswirkungen auf die berufliche Karriere und die gesellschaftliche Stellung des Klägers befasst. Dem öffentlichen Interesse an der Entziehung des Doktorgrades sei jedoch der Vorrang einzuräumen. Sowohl der Umfang als auch die Qualität der Plagiate sprächen für einen gravierenden Fall der Täuschung. Die Verpflichtung zur Rückgabe der Promotionsurkunde ergebe sich aus § 52 VwVfG NRW. Der Zweck der Urkunde, ihrem Inhaber das Führen eines akademischen Grades nachzuweisen, sei entfallen. Da der Urkunde als Beweismittel im Rechtsverkehr große Bedeutung zukomme, liege ihre Herausgabe vor allem im Interesse der Rechtssicherheit, um jeglichen Missbrauch auszuschließen.
17Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen darauf, ein beweiskräftiger Text der Diplomarbeit habe nicht vorgelegen. Frau E1. sei nicht glaubwürdig. Aus der M. Seminararbeit habe er nichts übernommen. Die Entziehung des Doktorgrades sei überdies unverhältnismäßig.
18Der Fakultätsrat beschloss in seiner Sitzung vom 30. April 2008 unter deren Tagesordnungspunkt 8 "Aberkennung einer Doktorwürde" konsensual, den Widerspruch zurückzuweisen. Zu der Sitzung war unter Beifügung einer vorläufigen Tagesordnung eingeladen worden, die keinen entsprechenden Tagesordnungspunkt enthielt. An ihr nahmen ausweislich des Protokolls der Dekan, der Prodekan und der Studiendekan, acht Angehörige der Gruppe der Hochschullehrer, drei Angehörige der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter nebst einem Vertreter, ein nichtwissenschaftlicher Mitarbeiter nebst einem Vertreter sowie drei Angehörige der Gruppe der Studierenden nebst einem Vertreter teil. Den Beschluss setzte der Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät mit Bescheid vom 5. Mai 2008 um, mit dem er den Widerspruch des Klägers zurückwies. Zur Begründung führte er aus, die Einwände des Klägers hätten nicht zu einer geänderten Entscheidung geführt. Ein Motiv der Frau E1. , ihre Arbeit im Nachhinein elektronisch seiner Dissertation anzupassen, um dann den Kläger des Plagiats zu beschuldigen, trage dieser nicht nachvollziehbar vor. Die Benotung der Diplomarbeit der Frau E1. spiele keine tragende Rolle, da sich die Gesamtnote auch bei einer Veränderung der Benotung der Arbeit nicht verbessert hätte. Frau E1. habe auch keine Einwände gegen die Benotung erhoben. Für die Feststellung der Plagiate habe eine hinreichende Grundlage bestanden, obwohl die Papierfassung der Arbeit E1. vernichtet sei. Soweit der Kläger vorbringe, Frau E1. habe im Gegenteil aus seinem Konzept Textteile in ihre Diplomarbeit übernommen, frage sich, warum er dies bei der Korrektur der Diplomarbeit nicht erkannt habe. Zudem bleibe es bei dem Plagiat der Seminararbeit der Herren Q. und I3. . Soweit der Kläger darauf hinweise, diese Autoren seien möglicherweise in den Besitz von Unterlagen gekommen, die er im Rahmen seiner Arbeit bei I2. erstellt habe, lege er nicht dar, um welche Unterlagen es sich handeln solle. Überdies enthalte seine Dissertation aus dem Jahr 2003 dieselben Rechtschreibfehler wie die Seminararbeit der Herren Q. und I3. aus dem Jahr 1999. Der Einwand, die Arbeit sei auch ohne die beanstandeten Textteile als umfassend und als "Neuland" zu bewerten, sei unerheblich. In Anbetracht der Schwere des Plagiats und des Umstands, dass das Vertrauen in die Einhaltung der anerkannten wissenschaftlichen Regeln geschützt werden müsse, erscheine die Entziehung auch verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei.
19Der Kläger hat am 5. Juni 2008 Klage erhoben und ergänzend geltend gemacht, er habe keine Passagen aus der Diplomarbeit der Frau E1. und der Seminararbeit der Herren Q. und I3. übernommen, er sei vielmehr deren Urheber. Es sei nicht überprüfbar, wie Teile seiner Arbeit auf der Plattform "hausarbeiten.de" als Seminararbeit aus dem Jahre 1999/2000 hätten auftauchen können. Gegenstände der Dissertation seien auch Inhalte seiner täglichen Arbeit bei I2. gewesen. Dort hätten zahlreiche Personen Zugang zu Projektdaten und Texten gehabt, die er verfasst habe. Die unbefugte Weitergabe seiner Texte könne daher nicht ausgeschlossen werden. Es sei auch nicht nachgewiesen, ob die Arbeit im Zeitraum zwischen ihrer Veröffentlichung im Internet und dem Einreichen seiner Dissertation überhaupt heruntergeladen worden sei und gegebenenfalls vom wem. Überdies habe es damals nur wenige Unterlagen zum Thema "Balanced Scorecard" gegeben, weshalb textliche Überschneidungen nicht zu vermeiden gewesen seien. Es seien auch nur geringe Textmengen wortgleich.
20Zur Ermittlung der Übereinstimmungen mit der Arbeit der Frau E1. hätte die Beklagte die Software "Turnitin" nicht verwenden dürfen, weil sie unzuverlässig sei. Sie messe außerdem zu Unrecht den Angaben der Frau E1. mehr Glaubhaftigkeit bei als seinen. Diese stelle schon falsch dar, wie sie und er erstmals in Kontakt gekommen seien. Entgegen ihrer Darstellung seien ferner die Themenkreise "Marketing-Controlling" und "Strategisches Controlling" die geplanten Hauptkapitel der Diplomarbeit gewesen. Auch entspreche es nicht der Wahrheit, dass Frau E1. Auszüge ihrer Arbeit bereits in der Erstellungsphase zur Verfügung gestellt habe. Das Abbildungsmaterial mit der Kennung "I2. " in ihrer Diplomarbeit sowie die Verweise auf die Quelle "I2. Verkehrswegebau" zeigten, dass seine ‑ des Klägers ‑ Unterlagen in ihre Diplomarbeit Eingang gefunden hätten. Er habe ferner nicht verlangt, dass Frau E1. ihre Diplomarbeit in einer elektronischen Version einreiche und über eine solche niemals verfügt. Das Aussageverhalten von Frau E1. sei von einer Belastungstendenz geprägt. Dies beruhe darauf, dass sie mit der Benotung ihrer Diplomarbeit nicht zufrieden gewesen sei; eine bessere Note in der Diplomarbeit hätte rechnerisch eine deutlich bessere Gesamtnote auf dem Diplomzeugnis bedeutet. Prof. Dr. S. habe ‑ was im Bericht der Kommission zu seinen Lasten nicht erwähnt sei ‑ in seiner Anhörung am 10. Januar 2006 erklärt, Frau E1. habe sich bei ihm über ihre Note beschwert. In einer ihm, dem Kläger, nicht mehr vorliegenden Mail aus Ende 1999/Anfang 2000 habe sie angekündigt, sich bei ihm "revanchieren" zu wollen. Dazu sei sie auch unter dem Pseudonym "L1. E2. " im Hörfunk aufgetreten. In dem Interview werde deutlich, dass sie sich offenkundig über in interne Vorgänge eingeweihte Personen bei der Beklagten über das Verfahren gegen ihn informiert habe. Sie erhebe ihre Anschuldigungen auffälligerweise zu einem Zeitpunkt, zu dem die Originalarbeit bereits vernichtet sei. Zudem habe sie zunächst geäußert, alle Diplomarbeitsdateien seien durch einen Virus vernichtet worden. Die von ihr später vorgelegten Seiten mit handschriftlichen Anmerkungen eines Zwischenstandes könnten genauso gut im Nachhinein entstanden sein. Frau E1.‘s Ehemann sei im Übrigen ehemaliger Mitarbeiter von Professor M2. , dem Vorsitzenden des Promotionsausschusses und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik. Er habe damit die Gelegenheit und das Wissen gehabt, im Interesse seiner Ehefrau Unterlagen, die ihn, den Kläger, entlasten könnten, zu entsorgen bzw. eine Diplomarbeit nachzustellen.
21Er, der Kläger, habe bei der Erstellung des Gutachtenentwurfs zu der Diplomarbeit einen Abgleich mit seiner Doktorarbeit nicht vorgenommen, weil ihm eine unerlaubte Übernahme von Textteilen nicht in den Sinn gekommen sei. Das Gutachten belege den Plagiatsvorwurf nicht. Auch der Abgleich des Fazits der Dissertation tauge dafür nicht. Es sei nicht üblich, im Fazit nochmals auf alle Details der Arbeit einzugehen. Seine Dissertation sei im Übrigen 1999 bereits im Wesentlichen fertiggestellt und Anfang 2001 mit Ausnahme von redaktionellen Überarbeitungen abgeschlossen gewesen. Dies bestätige die Aussage von Prof. Dr. K. im Protokoll zur 10. Sitzung der Kommission vom 10. Januar 2006. Es sei auch unwahrscheinlich, dass Frau E1. eine so umfangreiche Diplomarbeit in nur etwa drei Monaten erstellt haben wolle.
22Der M. Seminararbeit komme schon deshalb kein Beweiswert hinsichtlich eines Plagiatsvorwurfs zu, weil sie erst im Mai 2000 veröffentlicht worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Kapitel über die "Balanced Scorecard" bereits Teil seiner Arbeit gewesen. Der Kläger hat dazu eine E-Mail des GRIN-Verlags und eidesstattliche Versicherungen vorgelegt.
23Er berufe sich auf Verjährung gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG NRW und Vertrauensschutz. Die Entziehung sei zudem ermessensfehlerhaft. Mit seiner umfangreichen Dissertation habe er Neuland betreten. Die Maßnahme hätte für ihn direkte und dauerhafte Arbeitslosigkeit zur Folge. Damit würde die wirtschaftliche Existenz einer Familie vernichtet. Überdies sei die Entziehung verfahrensfehlerhaft, so seien die Tagesordnung und die Unterrichtung der Mitglieder des Fakultätsrats defizitär.
24Der Kläger hat beantragt,
25den Bescheid des Dekans der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten vom 17. September 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2008 aufzuheben.
26Die Beklagte hat beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Sie hat geltend gemacht: Eine elektronische Auswertung habe ergeben, dass sich 73 % des Textes der Diplomarbeit der Frau E1. mehr oder weniger wörtlich in der Dissertation fänden. Die äußere Ähnlichkeit der Arbeiten hinsichtlich des Layouts, des Schrifttyps und sogar bei einigen Schreibfehlern sei auffällig, zumal es Vorgaben der Fakultät für die formale Gestaltung von Diplomarbeiten und Dissertationen seinerzeit nicht gegeben habe. Dass zum Vergleich der Arbeiten zunächst die Software "Turnitin" eingesetzt worden sei, sei unschädlich, da die Ergebnisse später bewertet worden seien.
29Ein nachvollziehbares Motiv der Frau E1. dafür, ihrerseits im Nachhinein ihre Arbeit der Dissertation des Klägers anzupassen, um ihn des Plagiats beschuldigen zu können, sei nicht ersichtlich. Die Behauptung, die Gesamtnote der Diplomprüfung hätte sich auch mit einer günstigeren Bewertung der Diplomarbeit nicht verbessert, hat die Beklagte dazu nicht aufrechterhalten: Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2011 hat sie auf gerichtliche Anfrage erklärt, wenn die Diplomarbeit mit 1,3 bewertet worden wäre, hätte Frau E1. die Gesamtnote 1,6 ("gut") erzielt, bei einer Bewertung mit 1,0 die Gesamtnote 1,5 ("sehr gut"). Frau E1. hätte mit den erzielten Prüfungsergebnissen ein Promotionsverfahren einleiten können, da zur Zeit des Abschlusses ihrer Diplomarbeit hierfür kein bestimmtes Ergebnis in der Diplomarbeit oder -prüfung erforderlich gewesen sei.
30Die Einladung zu der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 sei auf den 6. Juni 2007 datiert. Es sei üblich, die Einladung auch an diesem Tag zu versenden. Selbst wenn sie ausnahmsweise am nächsten Tag abgeschickt worden sein sollte, wäre die Ladungsfrist von einer Woche gewahrt. Für die Einladung zur Fakultätsratssitzung am 30. April 2008, die vom 17. April 2008 datiere, gelte das Gleiche. Der Tagesordnungspunkt "Aberkennung einer Doktorwürde" sei einstimmig unter Tagesordnungspunkt 2 "Endgültige Festlegung der Tagesordnung" aufgenommen worden. Jedes Mitglied des Fakultätsrats habe frühzeitig die Möglichkeit gehabt, in die entscheidungserheblichen Unterlagen Einsicht zu nehmen.
31Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung der Lebensgefährtin des Klägers D1. M1. , seines Freundes H. T2. und des Prof. Dr. S. . Mit dem angefochtenen Urteil hat es der Klage stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide seien materiell rechtswidrig. Ein Plagiat lasse sich nicht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststellen. Das Original der Diplomarbeit von Frau E1. sei nicht mehr vorhanden. Der Computerausdruck ihrer Arbeit entspreche nicht mit der erforderlichen Sicherheit dem Originaltext ihrer Arbeit. Es spreche allerdings Vieles dafür, dass in der Dissertation des Klägers die Seminararbeit Q. /I3. plagiiert sei. Dies könne jedoch dahinstehen, denn die Entscheidung sei jedenfalls ermessensfehlerhaft, weil sie in der Begründung vorwiegend auf das Plagiat der Diplomarbeit der Frau E1. abstelle, das nicht feststehe.
32Gegen das ihr am 21. März 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. April 2012 die Zulassung der Berufung beantragt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 8. April 2014 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.
33Die Beklagte macht zur Begründung der Berufung geltend:
34§ 67 HG NRW stelle eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für § 20 der Promotionsordnung dar. § 67 Abs. 3 Satz 3 HG NRW stelle klar, dass es sich bei der Promotionsordnung um eine Prüfungsordnung handele, die auch Regelungen über die Folgen von Verstößen gegen die Prüfungsvorschriften enthalten müsse. Diese Bestimmung habe als spezielle Norm Vorrang vor § 48 VwVfG NRW. Dem stehe § 1 Abs. 1 VwVfG NRW nicht entgegen, weil landesrechtliche Vorschriften im Sinne der Norm auch alle auf Grund von Landesgesetzen erlassenen Rechtsnormen seien. Dafür, dass der Kläger die Diplomarbeit der Frau E1. plagiiert habe, spreche, dass die älteste noch existierende Version der Dissertation die "Diskettenversion" vom 2. Oktober 1999 sei, während die Datei der Frau E1. vom 20. September 1999 stamme; unter diesem Datum sei die Arbeit auch abgegeben worden. Der Erklärungsversuch des Klägers für die Übereinstimmungen sei inkonsistent und stehe in Widerspruch zu Zeugenaussagen. Seine Darstellung zur Betreuung durch Prof. Dr. S. bereits im Jahre 1997 stehe mit dessen Angaben nicht in Einklang. Dass ein Doktorand ‑ wie es der Kläger vortrage ‑ einer Diplomandin namhafte Teile seiner Dissertation übergebe, widerspreche jeder Lebenserfahrung. Es sei auch nicht glaubhaft, dass dem Kläger die Übereinstimmungen bei der Korrektur nicht aufgefallen seien. Zudem habe die Kommission festgestellt, dass sich die prozentuale Übereinstimmung des Wortlauts der Arbeit E1. mit der Dissertation von der Zwischenversion vom 2. Oktober 1999 zur Endversion vom 20. November 2001 erhöhe; dies gelte besonders für das Fazit. Auffällig sei ferner, dass die Seminararbeit der Studenten aus M. nur in der Arbeit des Klägers auftauche, nicht der Diplomarbeit E1. . Das Verwaltungsgericht, das die Glaubwürdigkeit der Frau E1. in Zweifel ziehe, hätte diese als Zeugin hören müssen. Es sei nicht glaubhaft, dass sie einen Rachefeldzug gegen den Kläger führe, da eine bessere Endnote das Gesamtergebnis ihres Diplomzeugnisses kaum nennenswert beeinflusst hätte. Sie, die Beklagte habe in ihrer Entscheidung auch angenommen, bereits das Plagiat der M. Seminararbeit reiche für die Entziehung des Doktorgrades aus. Vertrauensschutz oder Verjährung stünden der Entziehung nicht entgegen.
35Die Beklagte beantragt,
36das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
37Der Kläger beantragt,
38die Berufung zurückzuweisen.
39Er macht ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen im Wesentlichen geltend: § 48 VwVfG NRW sei die in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage. Die hochschulrechtlichen Grundlagen genügten nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot und dem Vorbehalt des Gesetzes und verstießen gegen das Willkürverbot. Ein nach Abschluss des Prüfungsverfahrens begonnenes Verfahren sei ferner vom Regelungsbereich der Prüfungsordnung nicht erfasst.
40Die Entscheidung sei formell rechtswidrig. Die Aktenführung der Beklagten sei nicht ordnungsgemäß. Überdies sei § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Senats nicht beachtet. Entgegen der Vorschrift sei nicht dokumentiert, welche Unterlagen versandt worden seien. Angesichts der Kürze der Sitzung des Fakultätsrats vom 27. Juni 2006 (60 Minuten) sei unvorstellbar, dass über die Aberkennung der Doktorwürde ernsthaft Beschluss gefasst worden sei. Ebenfalls unvorstellbar sei, dass ein Gremium von Hochschulangehörigen es als rechtmäßig akzeptiert haben solle, dass das Original der Diplomarbeit bereits vernichtet gewesen sei und darauf trotzdem die Entscheidung gestützt werden solle. Daher sei von einer mutwilligen Fehlinformation des Fakultätsrats auszugehen. Überdies sei das Mitglied des Fakultätsrats Prof. Dr. U. befangen gewesen. Dieser sei gleichzeitig mit einer nichtssagenden Zeugenaussage (E-Mail vom 15. Mai 2006) aufgeführt. Er könne aber nicht gleichzeitig Zeuge und Entscheider sein.
41Ferner bestünden erhebliche Zweifel daran, dass nur er, der Kläger, von Frau E1. abgeschrieben haben könne. Es könne nicht zweifelhaft sein, dass Prof. Dr. S. ihn betreut habe. Dass dieser sich nicht mehr richtig an die Rahmenbedingungen seines, des Klägers, Tätigwerdens erinnere, sei befremdlich, könne aber an seinem Alter und daran liegen, dass die Vorgänge lange zurücklägen. Zahlreiche Zeugen könnten belegen, dass er ‑ der Kläger ‑ seit 1997 an dem Kennzahlen-Projekt gearbeitet habe. Die von der Beklagten behauptete zeitliche Reihenfolge der Diskettenversionen sei durch nichts belegt. Insbesondere sei unklar, woraus sich ergebe, dass die Datei von Frau E1. vom 20. September 1999 stamme.
42In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat die Beklagte erklärt, sie ändere die Rückforderung der Promotionsurkunde im angefochtenen Entziehungsbescheid vom 17. September 2007 dahin ab, dass die Urkunde binnen zwei Wochen nach Unanfechtbarkeit zurückzugeben sei. Sie hat ferner klargestellt, dass die Aussage über die Kostentragung im Tenor des angefochtenen Entziehungsbescheides vom 17. September 2007 nur als Hinweis auf die gesetzliche Kostentragungspflicht des Verursachers nach § 13 Abs. 1 GebG NRW gemeint sei.
43Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
44Entscheidungsgründe:
45Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des Dekans der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten vom 17. September 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2008 ist in seinen beiden Regelungsbestandteilen ‑ der Entziehung des Doktorgrades (A.) sowie der Aufforderung zur Rückgabe der Promotionsurkunde in der Fassung, die die Beklagte ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gegeben hat (B.) ‑ rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
46A. Die Entscheidung, dem Kläger den Doktorgrad zu entziehen, ist rechtsfehlerfrei. Sie findet eine wirksame Ermächtigungsgrundlage jedenfalls in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW (I.) und hält in materieller (II.) und formeller (III.) Hinsicht der Rechtskontrolle stand.
47I. Der Senat kann offenlassen, ob § 20 Satz 1 der Promotionsordnung der Universität E3. für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät vom 26. September 1983 (GABl. NRW. S. 540) in der Fassung der Änderungen vom 12. April 1991 (GABl. NRW. S. 73), vom 29. Januar 1997 (GABl. NRW. S. 223) und vom 9. Oktober 1999 (GABl. NRW. S. 946) ‑ im Folgenden: PromO 1983 ‑ als wirksame Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung herangezogen werden kann. Verneinendenfalls findet die Maßnahme ihre Ermächtigungsgrundlage jedenfalls in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW.
48Nach § 20 Satz 1 PromO 1983 wird der Doktorgrad aberkannt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrtümlich als gegeben angesehen worden sind. Soweit diese Norm wirksam ist, verdrängt sie zwar gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG NRW im Sinne eines Anwendungsvorrangs die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte in § 48 VwVfG NRW. Der Senat hat auch keinen Zweifel, dass § 20 Satz 1 PromO 1983 als Regelung einer Hochschulprüfungsordnung im Sinne der §§ 64 Abs. 2 Nr. 9, 67 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz- HG NRW) vom 31. Oktober 2006 (GV. NRW. S. 474) und der entsprechenden Vorschriften des bis 2006 in NRW geltenden Hochschulrechts dem Vorbehalt des Gesetzes genügt.
49Vgl. dazu näher OVG NRW, Urteile vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 62 ff., sowie ‑ 19 A 2820/11 ‑, juris, Rdn. 42 ff.
50Zweifelhaft erscheint allerdings, ob die als gebundene Entscheidung ausgestaltete Bestimmung ein Abwägungsprogramm zur Verfügung stellt, das ausreichenden Raum zur Berücksichtigung der grundrechtlich, insbesondere durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belange und der Besonderheiten des Einzelfalls wie etwa des Zeitablaufs, des Vertrauensschutzes und möglicher existenzbedrohender Folgen der Doktorgradentziehung bietet und insoweit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht.
51Vgl. dazu BVerwG, Beschlüsse vom 25. August 1992 ‑ 6 B 31.91 ‑, Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 3, juris, Rdn. 14, und vom 20. Oktober 2006 ‑ 6 B 67.06 -, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116, juris, Rdn. 6; OVG NRW, Urteile vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 95 und ‑ 19 A 2820/11 ‑, juris, Rdn. 72.
52Der Senat braucht dieser Frage nicht nachzugehen. Denn aus den nachfolgend dargelegten Gründen sind die Voraussetzungen des § 20 Satz 1 PromO 1983 und des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW gleichermaßen erfüllt. Gegen die Heranziehung letzterer Norm als Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung bestehen ‑ die Unwirksamkeit des § 20 Satz 1 PromO 1983 unterstellt ‑ auch sonst keine durchgreifenden Bedenken. Die Beklagte hat sich in ihrer Entscheidung neben § 20 Satz 1 PromO 1983 auch auf § 48 Abs. 1 VwVfG NRW gestützt und dabei Ermessen ausgeübt. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Entziehung eines akademischen Grades einer Ermessensentscheidung der Verwaltung nach § 48 VwVfG überlassen werden darf.
53Vgl. näher BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2006, a. a. O., juris, Rdn. 4 f., und Bay. VGH, Urteil vom 4. April 2006 ‑ 7 BV 05.388 ‑, juris, Rdn. 11 zu § 48 bay. VwVfG sowie VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13. Oktober 2008 ‑ 9 S 494/08 ‑, juris, Rdn. 3 und Urteil vom 19. April 2000 ‑ 9 S 2435/99 ‑, juris, Rdn. 22 zu § 48 VwVfG BW.
54II. Die Entziehungsverfügung vom 17. September 2007 ist sowohl am Maßstab des § 20 Satz 1 PromO 1983 als auch am Maßstab des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW materiell rechtmäßig. Nach § 20 Satz 1 PromO 1983 wird der Doktorgrad aberkannt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrtümlich als gegeben angesehen worden sind. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Vorschriften liegen vor (1.). Die lediglich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW zusätzlich erforderliche Ermessensausübung der Beklagten ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (2.). Die Rücknahmemöglichkeit war auch weder verfristet (3.) noch verjährt oder durch Zeitablauf erloschen (4.).
551. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Satz 1 PromO 1983 sowie des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW sind erfüllt. Die Promotion des Klägers war rechtswidrig, da wesentliche Verleihungsvoraussetzungen irrtümlich als gegeben angesehen worden sind, über deren Vorliegen der Kläger getäuscht hat. Entgegen seiner Behauptung stellte seine Dissertation in Teilen keine selbstständige wissenschaftliche Leistung dar, wie § 10 Abs. 2 PromO 1983 erfordert (a), und war seine Dissertation bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens, was § 10 Abs. 4 PromO 1983 verbietet (b).
56a) Entgegen der Vorspiegelung des Klägers stellte seine am 24. September 2001 eingereichte Dissertation in weiten Teilen keine selbstständige wissenschaftliche Leistung dar.
57Wesensbestimmendes Merkmal einer Dissertation und damit zugleich wesentliche Verleihungsvoraussetzung für den Doktorgrad ist, dass sie auf der eigenen selbstständigen wissenschaftlichen Arbeit des Doktoranden beruht. Durch sie wird gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 HG NRW die Befähigung zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen. Satzungsrechtlich hat die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten die Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Arbeit des Doktoranden in § 10 Abs. 2 und 4 PromO 1983 zur zentralen Verleihungsvoraussetzung eines Doktor rerum politicarum (Dr. rer. pol.) gemacht. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 PromO 1983 muss die Dissertation eine selbstständige Leistung des Doktoranden darstellen. Dieser hat seiner Dissertation die Versicherung beizufügen, dass er die Arbeit selbstständig verfasst und sich anderer als der angegebenen Hilfsmittel nicht bedient hat (§ 10 Abs. 2 Satz 2 PromO 1983). Die Dissertation darf nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens gewesen sein (§ 10 Abs. 4 PromO 1983). Diese Anforderungen des § 10 Abs. 2 und 4 PromO 1983 sind "wesentliche" Verleihungsvoraussetzungen im Sinne des § 20 Satz 1 PromO 1983. Von ihnen hängt die Fortführung des Promotionsverfahrens ab. Das ergibt sich aus § 10 Abs. 6 PromO 1983. Nach dessen Satz 1 muss der Promotionsausschuss die Dissertation an den Doktoranden zurückverweisen, falls sie eine der Anforderungen der Abs. 2 und 4 nicht erfüllt. Wird der Mangel nicht innerhalb einer angemessenen, vom Promotionsausschuss festzulegenden Frist behoben, muss der Promotionsausschuss die Zulassung zur Promotion widerrufen (Abs. 6 Satz 2).
58Mit dem Tatbestandsmerkmal der Täuschung knüpft § 20 Satz 1 PromO 1983 an den Begriff der arglistigen Täuschung im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht an (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Adressat eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes begeht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine arglistige Täuschung in diesem Sinn, wenn er den maßgeblichen Bediensteten der Behörde in seiner Entscheidung beeinflusst, indem er bei diesem einen Irrtum über entscheidungserhebliche Tatsachen hervorruft, deren Unrichtigkeit der Adressat kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt. Bei der Erstellung einer Dissertation begeht der Doktorand eine Täuschung im Sinne des § 20 Satz 1 PromO 1983 über das Vorliegen der wesentlichen Verleihungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 2 PromO 1983 (und hier auch § 10 Abs. 4 PromO 1983) namentlich dann, wenn er bei den Gutachtern einen Irrtum über die Eigenständigkeit seiner erbrachten wissenschaftlichen Leistung hervorruft, indem er in erheblichem Umfang fremde Textpassagen ohne Quellenangabe aus dem Werk eines anderen Autors wörtlich oder sinngemäß übernimmt, obwohl ihm deren Herkunft vom Fremdautor bewusst ist.
59Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Dezember 2015 ‑ 19 A 254/13 ‑, juris, Rdn. 99 ff. mit weiteren Nachweisen.
60Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger in seiner Dissertation zu einem erheblichen Anteil bewusst wörtliche oder nahezu wörtliche Passagen aus der am 20. September 1999 eingereichten Diplomarbeit "L3. " der Frau E1. übernommen hat, ohne dies offenzulegen. Angesichts des Umfangs und des Gewichts bereits dieser Übernahmen kann der Senat unterstellen, dass der Kläger nicht zusätzlich aus der im Jahr 1999/2000 an der Universität M. angefertigten Seminararbeit der Studenten M. Q. und M. I3. abgeschrieben hat.
61Den sich hierauf beziehenden, in der mündlichen Verhandlung in der Sitzung vom 14. Januar 2016 gestellten Beweisanträgen 1. bis 5. war insoweit schon deshalb nicht nachzugehen, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung des Senats ohne Belang sind. Letzteres gilt auch für den Beweisantrag zu 6., der darauf gerichtet ist, Beweis darüber zu erheben, "dass die Datumsangaben 20. September 1999 (Text E1. ) bzw. 2. Oktober 1999 (Text Kläger) in den Dateinamen der seitens der Beklagten elektronisch abgeglichenen Textdateien von dem jeweiligen Verwender zu einem naturwissenschaftlich-technisch nicht feststellbaren Zeitpunkt eingegeben wurden, und dass die Angabe des Änderungsdatums der jeweils abgeglichenen Dateien ausschließlich erkennen lässt, wann letztmalig Änderungen zu der jeweiligen Datei gespeichert wurden, im Gegensatz zu dem Zeitpunkt, an dem die Datei erstmalig gespeichert wurde". Der Senat geht mit dem Kläger davon aus, dass die genannten Daten lediglich die Speicherung der jeweils letzten Änderung der Dateien dokumentieren. Ebenfalls kann der Senat davon absehen, auf die zusätzlich festzustellenden Übereinstimmungen von Passagen der Dissertation mit der I2. -Unterlage "B2. " einzugehen, die der Kläger gleichfalls nicht offengelegt hat.
62Bereits das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich der Text und die Abbildungen der Kapitel 1 bis 4.2 (32 Seiten), ferner der Kapitel 4.4 bis 4.5.5.5 (44 Seiten), der Kapitel 4.6 bis 4.7 (5 Seiten) sowie Ausführungen unter den Gliederungspunkten 5., 5.2, 5.5, 5.5.1, 5.5.4, 5.11.5, 5.11.5.2, 7.5.2, 7.5.4 und schließlich Passagen des Fazits in dem vorliegenden Ausdruck der Diplomarbeit der Frau E1. sich nahezu vollständig, überwiegend wortgleich und im Übrigen nur geringfügig abgewandelt oder erweitert in der Dissertation des Klägers wiederfinden. Die Auflistung ist allerdings nicht einmal vollständig; hinzu treten etwa weitgehende Übereinstimmungen in den Kapiteln 4.3.6. bis 4.3.8. der Dissertation ("Die Kalkulation von Bauprojekten", "Target Costing bei Baubetrieben", "Der Soll-Ist-Vergleich auf Baustellenebene", Seiten 229 bis 278) mit den Kapiteln 5.4 bis 5.6 der Diplomarbeit ("Die Kalkulation im Baubetrieb", "Target Costing", "Der Soll-Ist-Vergleich auf Baustellenebene", Seiten 127 bis 160); auch finden sich Ausführungen aus Kapitel 7.5.5. der Diplomarbeit in der Dissertation wieder. Die Arbeiten entsprechen sich überdies in der formalen Gestaltung. Angesichts dieser vom Gericht nachvollzogenen Übereinstimmungen ist das Vorbringen des Klägers unerheblich, die Software "turnitin", die die Beklagte zu ihrer Ermittlung herangezogen hat, sei unzuverlässig. Die Übereinstimmungen zwischen beiden Arbeiten bis ins Detail sind so umfassend, dass ihr zufälliges Zustandekommen ausgeschlossen ist. Die Fallumstände vermitteln dem Gericht die Überzeugung, dass sie entstanden sind, indem der Kläger die entsprechenden Textpassagen und Abbildungen aus der Diplomarbeit der Frau E1. übernommen hat, die damals bereits in der Fassung der von dieser eingereichten pdf-Datei vorlag, wie es der Darstellung der Frau E1. entspricht.
63Gewichtige Indizien für die vom Senat angenommene Genese der Übereinstimmungen liefern bereits folgende Umstände:
64In Frau E1. Arbeit sind sämtliche Autoren mit ausgeschriebenem (erstem) Vornamen genannt und im Literaturverzeichnis mit einheitlicher Fundstellenangabe (Auflage, Erscheinungsort und -jahr) aufgeführt. In der Arbeit des Klägers ist nur ein Teil der Angaben in dieser Weise gefasst, und zwar auffälligerweise ‑ mit ganz vereinzelten Abweichungen ‑ genau jener Teil, der auch in der Arbeit der Frau E1. vorkommt. In den Angaben, die ausschließlich in seiner Arbeit vorkommen, nennt der Kläger ganz überwiegend den Erscheinungsort nicht und nur den ersten Buchstaben des Vornamens ‑ dies selbst dann, wenn der Autor zuvor bereits mehrfach mit vollem Vornamen von Frau E1. übernommen war (Beispiele: Autoren Coenenberg, Ewert und Horváth). Für letzteren Autor verwendet Frau E1. durchgängig die Schreibweise "Horváth, Péter", beim Kläger hingegen finden sich diese sowie die weiteren Schreibweisen "Horváth, P." und "Horvath, Peter". Augenfällig wird die unterschiedliche Handhabung des Klägers beispielsweise in den Fußnoten auf den Seiten 99 und 197 der Dissertation: Dort sind nur und gerade die Autoren mit abgekürzten Vornamen in den Fußnoten erwähnt, die sich zu der entsprechenden Textpassage allein beim Kläger finden (so Seite 99 der Dissertation, die im Wesentlichen Seite 36 der Diplomarbeit entspricht: "Behrendt, D.", aber "Spranz, Dieter"). Dies erklärt sich zwanglos, wenn man annimmt, dass der Kläger die Angaben von Frau E1. übernommen und es gleichzeitig nicht für notwendig gehalten hat, ebenso genaue Angaben zu machen wie diese. Nimmt man hingegen an, dass Frau E1. vom Kläger abgeschrieben hat, ergäbe sich der außerordentlich unwahrscheinliche Zufall, dass sie just exakt jene Passagen übernommen hätte, in denen die Literaturnachweise den vollen ersten Vornamen und die erweiterten Angaben im Literaturverzeichnis umfassen.
65Überdies ist das Fazit beider Arbeiten nahezu identisch, es ist in der Arbeit des Klägers lediglich leicht erweitert. Die in der Arbeit des Klägers zusätzlich behandelten und von den Gutachtern in der Anhörung vor der Kommission als innovative Teile bezeichneten Aspekte ‑ wie die "Balanced Scorecard" ‑ werden in ihm im Wesentlichen nicht aufgegriffen. Warum er bedeutsame Teile seiner Arbeit im Fazit nicht angesprochen hat, hat der Kläger nicht nachvollziehbar erläutert. Erklärbar wird die Kongruenz, wenn man annimmt, dass der Kläger (auch) das Fazit von Frau E1. übernommen und lediglich einer geringfügigen Überarbeitung unterzogen hat.
66Hinzu tritt, dass keiner der vom Kläger angebotenen Erklärungsversuche dafür, wie es ‑ wenn nicht der Kläger von Frau E1. abgeschrieben hat ‑ zu den weitreichenden Übereinstimmungen zwischen den beiden Arbeiten gekommen sein kann, auch nur ansatzweise glaubhaft ist. Der Kläger hat dafür zwei mögliche Erklärungen präsentiert, die einander allerdings ausschließen: Er macht einerseits geltend, nicht er habe bei Frau E1. abgeschrieben, sondern diese habe in ihre Diplomarbeit Passagen aus Unterlagen übernommen, die er ihr zur Verfügung gestellt habe. Andererseits stellt er die Möglichkeit in den Raum, Frau E1. habe die Dateien, die sie jetzt als ihre Diplomarbeit ausgebe, nach der Vernichtung des Originals ihrer Arbeit nachträglich unter Verwendung von Passagen seiner Dissertation erstellt und so die Übereinstimmungen, die das Original gar nicht aufgewiesen habe, erst im Nachhinein erzeugt. Diese beiden Varianten sind im Einzelnen aus folgenden Gründen durchgreifend unglaubhaft:
67aa. Dass Frau E1. umfängliche Passagen aus vom Kläger überlassenem Material in ihre Diplomarbeit übernommen haben soll, erscheint in so hohem Maß unwahrscheinlich, dass der Senat es ausschließt.
68Im akademischen Betrieb sehr fernliegend und deshalb unglaubhaft ist es bereits, dass der Kläger ‑ wie er vorträgt ‑ Frau E1. fertig gestellte Texte aus seiner im Entstehen befindlichen Dissertation vorab "zur Einarbeitung und Weiterverwendung" in ihrer Diplomarbeit zur Verfügung gestellt hat. Denn für das Dissertationsunternehmen des Klägers, das von großer Bedeutung für seine berufliche Zukunft sein würde und in das er erhebliche Anstrengungen investierte, war es essentiell, dass er seine Erkenntnisse und deren Ausarbeitung in seiner Arbeit als Novität würde präsentieren können; wie erwähnt, war es gemäß § 10 Abs. 4 PromO 1983 Verleihungsvoraussetzung, dass die Dissertation nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen Promotions- oder sonstigen Prüfungsverfahrens war. Folglich hätte die Überlassung erheblicher Teile seiner noch nicht veröffentlichten Dissertation das Promotionsvorhaben ernstlich gefährdet oder jedenfalls eine Überarbeitung erfordert. Einen Grund dafür, warum er dies eingegangen bzw. auf sich genommen haben sollte, hat der Kläger nicht angegeben.
69Die vorgenannte Behauptung ungeachtet dessen zunächst als zutreffend unterstellt, erscheint es des Weiteren in hohem Maß unwahrscheinlich, dass Frau E1. vom Kläger zur Verfügung gestelltes Material in ihrer Diplomarbeit schlicht übernommen hätte. Denn sie hätte davon ausgehen müssen, dass dem Kläger bei der nachfolgenden Lektüre der Arbeit zum Zwecke der Bewertung die wörtliche Übernahme ausgedehnter Textpassagen sowie von Abbildungen aus seiner Dissertation auf den ersten Blick auffallen würde. Es ist nicht anzunehmen, dass ein vernünftiger Diplomand ‑ und damit auch Frau E1. , die der Kläger in seiner ersten Stellungnahme vom 2. Januar 2006 noch als sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit bezeichnet hat ‑ seine Diplomarbeit und damit den erfolgreichen Studienabschluss auf derart plumpe Weise einem solchen Risiko ausgesetzt hätte.
70Dem Kläger kann darüber hinaus nicht abgenommen werden, dass ihm die Übereinstimmungen bei der Begutachtung der Arbeit nicht aufgefallen sein sollen. Denn diese haben ‑ wie oben dargelegt ‑ einen ganz erheblichen Umfang. So sind ‑ neben Weiterem ‑ schon die ersten 32 Seiten beider Arbeiten in weiten Passagen wortgleich, enthalten identische Abbildungen und entsprechen sich überdies in der formalen Gestaltung; einzelne Seiten (etwa Seite 5 beider Arbeiten) sind sogar optisch wie inhaltlich vollkommen identisch. Letztlich finden sich ‑ mit der Ausnahme weniger Seiten ‑ ausgedehnte Passagen der Seiten 1 bis 160 der Diplomarbeit in der Dissertation des Klägers wieder. Einem Akademiker, der seine Dissertation und demgemäß mit besonderer Sorgfalt formuliert und gestaltet, wird auffallen, wenn sich eigene Formulierungen in einem solchen Ausmaß sowie die identischen Abbildungen in einem anderen Text wiederfinden, ohne dass er dazu einen "Textabgleich" in den Einzelheiten vorzunehmen hat; dass er die Diplomarbeit "einmal gelesen" hat, hat der Kläger eingeräumt. Die Übereinstimmungen fallen aber selbst bei pflichtwidrig oberflächlicher Durchsicht geradezu ins Auge.
71All diese bereits für sich genommen unglaubhaften Umstände nochmals als zutreffend unterstellt, wäre es ebensowenig glaubhaft, dass Frau E1. es mehrere Jahre später unternommen haben sollte, den Kläger ihrerseits der Textübernahmen zu bezichtigen, um sich für eine Note von "nur" 1,7 zu revanchieren. Denn Frau E1. wäre damit das Risiko eingegangen, dass ihr eigenes plagiatorisches Vorgehen aufgedeckt würde; es war nicht unwahrscheinlich, dass der Kläger etwa durch frühe Ausdrucke oder abgespeicherte Vorversionen würde beweisen können, dass in Wirklichkeit sie von ihm abgeschrieben hatte. Dies wäre abgesehen von möglichen weiteren Konsequenzen jedenfalls geeignet gewesen, Schadensersatzansprüche des Klägers zu begründen. Dass Frau E1. ein solches Risiko eingegangen wäre, erscheint vor allem deshalb in sehr hohem Maß lebensfern, weil das ihr vom Kläger hierfür unterstellte Motiv denkbar schwach ist: Der Kläger trägt vor, Frau E1. habe sich für die Vergabe der Note von 1,7 rächen wollen. Das überzeugt aus einer Reihe von Gründen nicht. Die Note von 1,7 hat erstens letztlich nicht der Kläger, sondern Prof. Dr. S. vergeben. Sie ist zweitens immer noch überdurchschnittlich hoch. Zu einer besseren Bewertung der Diplomprüfung ‑ "sehr gut" statt "gut" ‑ hätte es überdies nur geführt, wenn die Diplomarbeit mit 1,0 bewertet worden wäre. Eine Mindestnote für die Einleitung eines Promotionsverfahrens gab es nach Angaben der Beklagten seinerzeit nicht, so dass die vergebene Note für Frau E1. insoweit kein Hindernis darstellte. Überdies lag die ‑ nach Allem allenfalls geringfügig zu schlechte und praktisch weitgehend folgenlose ‑ Notenvergabe zu dem Zeitpunkt, zu dem sich Frau E1. mit dem Täuschungsvorwurf an die Beklagte gewandt hat, bereits rund sechs Jahre zurück; lebensnah ist anzunehmen, dass die Verärgerung um eine nach eigenem Empfinden geringfügig zu schlechte Bewertung nach einem derartigen Zeitablauf verblasst ist.
72Hinzu tritt, dass auch die Angaben des Klägers zum ‑ ohnehin schwachen ‑ Motiv der Frau E1. jedenfalls teilweise unglaubhaft sind. Dabei legt der Senat zugrunde, dass sich Frau E1. über ihre Benotung beim Lehrstuhl Prof. Dr. S. beschwert hat. Dies hat Prof. Dr. S. ausweislich des Entwurfs des Protokolls der 10. Sitzung der Kommission bereits dieser gegenüber angegeben und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bestätigt. Der auf die Feststellung einer Beschwerde der Frau E1. am Lehrstuhl Prof. Dr. S. gerichtete, in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2016 gestellte Beweisantrag zu 7. konnte deshalb als unerheblich abgelehnt werden. Die Behauptungen des Klägers zu den Weiterungen, die sich aus dieser Beschwerde ergeben haben sollen, haben sich jedoch nicht bestätigen lassen; dies nährt die Vermutung, dass der Kläger die Bedeutung der Beschwerde überhöht darstellt, um so ein Motiv der Frau E1. nachvollziehbar zu machen. So hat der Dekan Prof. Dr. T4. unter dem 30. Mai 2006 mitgeteilt, ein Widerspruchsverfahren einer Frau N. sei ausweislich der Verwaltungsvorgänge nicht anhängig gewesen. Zu anderen Folgen der Beschwerde ist schon die Darstellung des Klägers nicht konsistent und deckt sich ferner nicht mit den Darstellungen der anderen Beteiligten. Der Kläger hat nämlich weiter behauptet, anlässlich eines Einspruchs der Frau E1. gegen die Note von 1,7 sei es zum Streit zwischen ihm und Prof. Dr. S. gekommen, weil letzterer den Kläger als Auslöser des Einspruchs angesehen habe. Prof. Dr. S. habe ‑ so der Kläger ‑ sich daraufhin geweigert, seine Dissertation weiter zu betreuen und ihm Prof. Dr. K. ab etwa März/April 2000 vermittelt. Demgegenüber hat der Kläger abweichend hiervon mit Schriftsatz vom 19. August 2010 vorgetragen, Prof. Dr. K. sei "aus Zeitgründen von Prof. S. " Betreuer seiner Dissertation geworden. Wenn der Kläger auf die gerichtliche Bitte, die Ungereimtheit aufzuklären, mit Schriftsatz vom 24. März 2011 versucht hat, die unterschiedlichen Darstellungen dahin zu vereinbaren, Prof. Dr. S. habe wegen der Beschwerde der Frau E1. aus Zeitgründen nicht mehr zur Verfügung gestanden, ist das ersichtlich abwegig. Überdies hat Prof. Dr. S. in einer E-Mail vom 27. Juni 2006 angegeben, es sei sicher, dass er sich nicht mit dem Kläger wegen Frau E1. überworfen habe. In seiner Stellungnahme vom 29. März 2011 hat er des Weiteren ausgeführt, der Kläger habe bis zu seinem Ausscheiden aus seinem Lehrstuhl eine tragfähige wissenschaftliche Konzeption seiner Doktorarbeit nicht vorgestellt. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger es vorgezogen habe, bei dem Kollegen K. um eine Betreuung zu ersuchen, bei dem er auch seine Diplomarbeit erstellt habe. Der Betreuerwechsel müsse spätestens zum Mai 1998 erfolgt sein. Von einer Meinungsverschiedenheit anlässlich der Bewertung der Diplomarbeit der Frau E1. und einem darauf erfolgten Betreuerwechsel Ende 1999/Anfang 2000 ist wiederum keine Rede.
73Eine abweichende Beurteilung rechtfertigen nicht die Zeugenaussagen der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers, D1. M1. , und seines Freundes H. T2. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Beide haben bestätigt, dass es eine E-Mail der Frau E1. mit der Androhung einer Revanche gegeben hat. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussagen stellt es bereits in Frage, dass der Kläger in seiner ersten Stellungnahme vom 2. Januar 2006 lediglich ausgeführt hat, es handele sich bei Frau E1. um "eine sehr freundliche, intelligente Persönlichkeit", die jedoch "mit der Bewertung ihrer Diplomarbeit nicht einverstanden" gewesen sei. Es ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass und warum der Kläger ‑ zumal angesichts des gegen ihn erhobenen bedeutsamen Vorwurfs ‑ für Frau E1. so freundliche Worte gefunden und die feindselige E‑Mail mit der Drohung, sie werde sich revanchieren, nicht umgehend erwähnt haben sollte, hätte es letztere tatsächlich gegeben. Letztlich kann jedoch auf sich beruhen, ob die Zeugen die Wahrheit gesagt oder aus Verbundenheit mit dem Kläger gelogen haben. Denn auch wenn es eine solche E-Mail gegeben haben sollte, bliebe es dabei, dass die Verärgerung über eine geringfügig zu schlechte Notengebung nach sechs Jahren ein unzureichendes Motiv für das hohe Risiko und den Aufwand bildete, das Frau E1. mit einer Falschbezichtigung eingegangen wäre bzw. betrieben hätte.
74bb. Auch die zweite vom Kläger als denkbar dargestellte Möglichkeit für die Entstehung der Übereinstimmungen, nämlich durch nachträgliche Manipulation ihrer Diplomarbeit durch Frau E1. , erscheint in so hohem Maß unwahrscheinlich, dass sie auszuschließen ist.
75Dafür, dass der vorgelegte Ausdruck der tatsächlich eingereichten Diplomarbeit der Frau E1. entspricht, streitet zunächst das Gutachten des Prof. Dr. S. vom 20. Januar 2000, das in weiten Teilen eine Inhaltsangabe der Diplomarbeit darstellt. Diese Inhaltsangabe passt genau zu dem vorliegenden Ausdruck der Arbeit.
76Aber auch weitere Überlegungen sprechen entscheidend gegen die Annahme einer nachträglichen Manipulation. Zunächst hätte ungeachtet der Vernichtung des Originals ihrer Diplomarbeit Frau E1. mit der nicht fernliegenden Möglichkeit rechnen müssen, dass der Kläger etwa durch Vorlage früher abgespeicherter Versionen oder Ausdrucke würde belegen können, dass seine Dissertation schon vor Abgabe ihrer Arbeit die Passagen aufwies, in Bezug auf die sie eine Übernahme behauptete. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sie nicht etwa nur eine Version ihrer Arbeit vorgelegt hat, sondern einen Ausdruck im Umfang von über 60 Seiten mit zahlreichen handschriftlichen, plausibel erscheinenden Korrekturanmerkungen einschließlich Streichungen sowie eine CD mit Arbeitsversionen einzelner Kapitel, angefertigt im Zeitraum vom 30. Mai 1999 bis zum 16. September 1999, aus denen ‑ so auch die Bewertung die Kommission ‑ eine plausible Genese der Diplomarbeit zu entnehmen ist. Frau E1. müsste es also unternommen haben, nicht nur eine manipulierte Version ihrer Arbeit, sondern zudem (Teil-)Versionen in unterschiedlichen Entstehungsstadien zu erstellen und mit Korrekturanmerkungen zu versehen. Zusätzlich müsste sie für die fiktive Vorversion Passagen verfasst und sodann gestrichen haben. Darüber hinaus entsprechen sich die Texte in der Dissertation des Klägers und der Diplomarbeit E1. zwar weitgehend, aber nicht vollständig: So finden sich etwa in der Dissertation teils kurze, teils längere eingeschobene Passagen, die die Diplomarbeit nicht aufweist ‑ und umgekehrt ‑, ferner ergänzte Fußnoten, modifizierte Überschriften und geänderte Formulierungen. Einzelne Kapitel sind verschoben; auch ist die Rechtschreibung in der Diplomarbeit orientiert an den vor der Rechtschreibreform von 1996 geltenden Regeln, die Dissertation an den seither geltenden Vorgaben. Frau E1. müsste also zur Herstellung einer fingierten Diplomarbeit den Text der Dissertation nicht einfach übernommen, sondern einer aufwändigen Überarbeitung unterzogen haben. Dabei müsste sie beispielsweise so komplizierte Fußnotenverweise eingefügt haben wie "Eine Begründung für diese Auswahl findet sich unter 3.3" (Seite 20 der Diplomarbeit), der in der Arbeit des Klägers fehlt, obwohl der entsprechende Text ansonsten identisch ist. Nachdrücklich gegen die Überlegung, die Überstimmungen zwischen den Texten beruhten auf einer nachträglichen Erstellung einer fingierten Diplomarbeit, spricht ferner der Umstand, dass die Arbeit der Frau E1. mehrfach Abbildungen mit Verweisen auf interne I2. -Unterlagen sowie zum Teil Stichtagen aus Sommer 1999 enthält, welche in der Arbeit des Klägers bei den entsprechenden Abbildungen ‑ bei denen gegebenenfalls spätere Stichtage angegeben sind ‑ fehlen; dies betrifft beispielsweise die im Wesentlichen identischen Abbildungen auf Seite 27 der Dissertation und Seite 29 der Diplomarbeit, auf Seite 158 der Dissertation und Seite 33 der Diplomarbeit sowie Seite 277 der Dissertation und Seite 159 der Diplomarbeit. Die Abbildung 3 auf Seite 29 der Dissertation beispielsweise ist versehen mit der Fußnote "… basierend auf Th. S. , …". Bei Frau E1. findet sich unter der nämlichen Abbildung hingegen die Fußnote "Interner Entwurf I2. Verkehrswegebau". Es ist unerklärlich, woher Frau E1. von der Herkunft dieser und anderer Abbildungen hätte wissen können, obwohl die Arbeit des Klägers hierauf keinen Hinweis enthält, und auf welchem Weg sie nachträglich ‑ Jahre später ‑ an Unterlagen aus dem Unternehmen I2. etwa mit dem Stichtag 30.6.1999 (Seite 68 der Diplomarbeit) gekommen sein soll. Insgesamt wäre der betriebene Aufwand ganz unnötig kompliziert und fehleranfällig gewesen, wäre es Frau E1. darum gegangen, wahrheitswidrig ein Plagiat vortäuschen. Dafür und das eingegangene Risiko rechtlicher Konsequenzen nicht geringen Gewichts stellt wiederum die Verärgerung über eine geringfügig zu schlechte Notengebung nach einem Ablauf von rund sechs Jahren aus den oben genannten Gründen nicht im Ansatz ein nachvollziehbares Motiv dar.
77Der Kläger wendet vergeblich ein, er habe die Arbeit der Frau E1. nur für kurze Zeit zur Verfügung gehabt, die nicht ausreiche, um ausgedehnte Passagen abzuschreiben. Der Senat geht davon aus, dass Frau E1. ihm ‑ wie sie behauptet ‑ eine elektronische Version der Arbeit überlassen hat, die ohne Schwierigkeit kopiert werden konnte. Die Darstellung der Frau E1. wird insoweit gestützt durch die Auskunft des Universitätsmitarbeiters T5. T6. vom 2. Mai 2006, der bestätigt hat, er habe in der Entstehungsphase der Diplomarbeit wiederholt mit dieser darüber spekuliert, warum sie ihre Arbeit auch auf Diskette und dazu in einem leseunfreundlichen Format und in einer Schriftart habe abgeben müssen, die für längere Schriftstücke als wenig geeignet gelte. Abgesehen davon liegt jedenfalls auf der Hand, dass auch ein kurzer Zeitraum ausgereicht hätte, um von der Arbeit zunächst Kopien zu fertigen und/oder sie mit Hilfe Dritter abschreiben zu lassen. Ebenfalls nicht tragfähig ist der Einwand des Klägers, Frau E1. habe erklärt, alle Dateien zu ihrer Arbeit seien infolge einer Virenverseuchung vernichtet worden, so dass unklar sei, woher die nun vorgelegte Datei stamme. Der Vortrag entbehrt in tatsächlicher Hinsicht der Grundlage. Frau E1. hat ausweislich des Protokolls vor der Kommission lediglich angegeben, "einige Files, die Zwischenversionen der Arbeit enthielten", seien im Sommer 2000 verloren gegangen.
78Ob sich die Unglaubhaftigkeit der vom Kläger gebotenen Versionen oder gar seine mangelnde Glaubwürdigkeit noch aus weiteren Widersprüchen, Ungereimtheiten oder Gegenäußerungen ergibt, lässt der Senat dahinstehen.
79b) Angesichts des Vorstehenden hat der Kläger auch über das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 4 PromO 1983 getäuscht, wonach die Dissertation nicht bereits früher mit ihren wesentlichen Teilen Gegenstand eines erfolgreich abgeschlossenen sonstigen Prüfungsverfahrens gewesen sein darf. Denn wesentliche Teile der Arbeit waren, wie er wusste, entgegen seiner der Arbeit beigefügten Erklärung bereits Gegenstand der Diplomarbeit der Frau E1. .
80Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kläger mit der bei Einreichung der Dissertation begangenen Täuschung bei den Gutachtern einen Irrtum über die für seine Promotion wesentliche Voraussetzung der eigenen selbstständigen wissenschaftlichen Leistung hervorgerufen hat. Es fehlt an jeglichem Anhalt dafür, dass sie die umfassende Textübernahme aus der Diplomarbeit E1. bei der Bewertung der Dissertation erkannt haben; vielmehr spricht alles dafür, dass sie sich auf die schriftliche Erklärung des Klägers vom 24. September 2001 verlassen haben. Nach den vorbenannten Bestimmungen der PromO 1983 liegt auf der Hand, dass die Beklagte den Kläger in Kenntnis der Täuschung nicht promoviert hätte.
812. Danach ist auch der Tatbestand des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW erfüllt. Die Verleihung des Doktorgrades an den Kläger war rechtswidrig, weil deren Voraussetzungen nicht vorlagen. Auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW war der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme der Verleihung Ermessen eingeräumt. Die Entscheidung, dem Kläger den Doktorgrad zu entziehen, weist keinen Ermessensfehler auf (§ 114 Satz 1 VwGO).
82Die Entziehungsentscheidung erweist sich zunächst nicht deshalb als fehlerhaft, weil ‑ wovon der Senat ausgeht ‑ allein die Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. feststehen. Denn die Beklagte hat ihre Ermessensentscheidung (auch) allein im Hinblick auf die Übernahmen aus der Diplomarbeit E1. als die Entziehung selbstständig tragenden Verstoß getroffen, in dem sie verdeutlicht hat, dass sie ihre Entscheidung jeweils alternativ auf nur eine der von ihr als feststehend erachteten Übernahmen gestützt hat. Sie hat im angegriffenen Ausgangsbescheid ausgeführt, bereits die weitgehende Verwendung von Textstellen aus der Seminararbeit der Herren Q. und I3. reiche für die Annahme einer bewussten Täuschung bei der Erstellung der Dissertation und die Entziehung des Doktorgrades aus. In die gleiche Richtung zielt der Hinweis im Widerspruchsbescheid, unabhängig von den Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. bleibe es "zudem" bei dem Plagiat der Seminararbeit der Herren Q. und I3. . Da die Übernahmen aus der Diplomarbeit der Frau E1. einen um ein Vielfaches größeren Umfang haben als die von der Beklagten angenommenen Entlehnungen aus der Seminararbeit Q. /I3. , muss ‑ erst recht ‑ gelten, dass die Beklagte die Entziehung auch allein auf erstere Übernahme stützt. Vor diesem Hintergrund kann die Formulierung zur Begründung der Ermessensentscheidung, angesichts des Umfangs und der Qualität der Plagiate liege ein gravierender Fall der Täuschung vor, nur so aufgefasst werden, dass sich die Beklagte auch hier weiterhin alternativ auf beide Plagiate stützt, die jeweils von erheblichem Gewicht sind.
83Daher überprüft der Senat die Ermessensentscheidung allein im Hinblick auf die Textübernahmen aus der Diplomarbeit E1. als den im gerichtlichen Verfahren zu seiner Überzeugung erwiesenen Verstoß, ohne dass es auf die von der Beklagten auch als feststehend erachteten Textübernahme aus der Seminararbeit ankommt. Diese Fragen hat der Senat mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung als rechtserheblich eingehend erörtert, so dass die Beteiligten auch mit dem vorstehenden Ergebnis der Überzeugungsbildung rechnen konnten. Der hierzu im Termin am 14. Januar 2016 geäußerten Bitte des Prozessbevollmächtigten des Klägers um Schriftsatzfrist brauchte der Senat nicht zu entsprechen, da er durch die Unterbrechung der mündlichen Verhandlung und ihre Fortführung am 10. Februar 2016 faktisch die "Nachfrist" bekommen hat, die er zu weiterem Vortrag hätte nutzen können.
84Der Fakultätsrat hat berücksichtigt, dass diese Entscheidung für den Kläger erhebliche Nachteile in beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht nach sich ziehen dürfte. Dass er mit Rücksicht auf Umfang und Qualität der Übernahmen die öffentlichen Interessen an der Entziehung des Doktorgrades im Ergebnis höher bewertet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Entziehung des Doktorgrades erscheint auch angesichts des Gewichts der grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belange ermessensfehlerfrei. Sie dient dem Schutz der Redlichkeit des Wissenschaftsbetriebes und seines Prüfungswesens und dient damit einem gewichtigen legitimen Zweck. Sie steht ferner nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des Rechtsverstoßes, den sie beseitigt. Die Maßnahme greift nicht in die Berufswahlfreiheit des Klägers ein, weil der Doktorgrad an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten keinen Studienabschluss darstellt. Nach § 3 Abs. 1 PromO 1983 setzt vielmehr schon die Zulassung zur Promotion ein mit qualifiziertem Ergebnis abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium der Wirtschaft- und/oder Sozialwissenschaften voraus. Der Kläger behält seine beiden ihm mit Urkunden vom 28. Januar 1997 und vom 17. November 1997 verliehenen akademischen Grade "Diplom-Kaufmann" und "Diplom-Volkswirt" und kann weiter in diesen Berufen tätig sein. Zu den nachteiligen Folgen für sein berufliches Fortkommen hat er nichts Konkretes vorgetragen.
85Vertrauensschutz des Klägers steht der Entziehung des Doktorgrades nicht entgegen. Allerdings hat die Behörde bei der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG NRW, der nicht auf eine Geld- oder teilbare Sachleistung gerichtet ist, im Grundsatz im Rahmen ihrer gebotenen Ermessensausübung den Schutz des Vertrauens auf den Bestand des Verwaltungsaktes mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme abzuwägen. Die in § 48 Abs. 2 VwVfG NRW getroffene Wertung über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, die sich ihrem Wortlaut nach nur auf die dort genannten Geld- und Sachleistungsverwaltungsakte bezieht, ist dabei im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen.
86BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2006, a. a. O., juris, Rdn. 6 mit weiteren Nachweisen.
87Der Kläger kann sich aber nach dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW auf Vertrauen nicht berufen, weil er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung und durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, und er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes daher kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn eine bewusste Irreführung vorlag, die darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen einer Behörde einzuwirken. Das ist der Fall, weil der Kläger in dem Bewusstsein und der Absicht gehandelt haben muss, den Promotionsausschuss durch die Täuschung zu einer günstigen Entschließung zu bestimmen, und die Verleihung seines Doktorgrades demnach durch vorsätzliche Täuschung über die Verleihungsvoraussetzungen erwirkt hat.
88Vgl. etwa OVG Berlin, Beschluss vom 2. März 2006 ‑ OVG 8 N 53.04 ‑, juris, Rdn. 27; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. April 2000 ‑ 9 S 2435/99 ‑, juris, Rdn. 27 f. zu vergleichbaren Fallgestaltungen.
89Ein Ermessensfehler liegt schließlich nicht in der Fehlannahme der Beklagten, die Gesamtnote der Diplomprüfung der Frau E1. hätte sich durch eine Anhebung der Bewertung ihrer Diplomarbeit nicht geändert. Diese Annahme war, wie die Beklagte (erst) im Klageverfahren eingeräumt hat, allerdings unzutreffend: Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2011 hat sie auf gerichtliche Anfrage erklärt, wenn die Diplomarbeit mit 1,3 bewertet worden wäre, hätte Frau E1. die Gesamtnote 1,6 (gut) erzielt, bei einer Bewertung mit 1,0 die Gesamtnote 1,5 (sehr gut). Die Erwägung ist aber lediglich von Relevanz für die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen, die die Beklagte nach dem oben Ausgeführten ungeachtet des Fehlers im Ergebnis zu Recht angenommen hat; denn sie stellt sich nur im Zusammenhang mit der Frage, ob Frau E1. ein Motiv dafür hatte, den Kläger zu Unrecht eines Plagiats zu bezichtigen. Für die im Rahmen des Ermessens vorzunehmende Erfassung und Gewichtung der öffentlichen Interessen sowie derjenigen des Klägers ist das ohne Belang.
903. Die Rücknahmemöglichkeit war auch nicht verfristet. Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit der Kenntniserlangung der Behörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen zulässig. Allerdings findet diese Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW in Verbindung mit § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW keine Anwendung, wenn der Verwaltungsakt ‑ wie hier ‑ durch arglistige Täuschung erwirkt wurde.
91Abgesehen davon handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW um eine Entscheidungs-, nicht um eine Bearbeitungsfrist; sie beginnt daher erst zu laufen, wenn die Behörde über sämtliche entscheidungsrelevante Tatsachen informiert ist, hier also frühestens mit der Vorlage des Berichts der Kommission am 1. November 2006.
924. Die Befugnis der Fakultät zur Entziehung eines Doktorgrades ist ferner weder verjährt noch durch Zeitablauf erloschen. Sie unterliegt nur bei ausdrücklicher entsprechender Regelung der Verjährung.
93Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2015 ‑ 19 A 1111/12 ‑, juris, Rdn. 23, 29 ff.
94Eine solche Regelung besteht im Streitfall nicht. Insbesondere ist die genannte Befugnis kein verjährbarer Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB, also kein Recht, von einem anderen, hier dem Doktoranden, ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Sowohl die höchstrichterliche Rechtsprechung als auch die Literatur verneinen vorbehaltlich spezialgesetzliche Regelungen eine Verjährbarkeit der behördlichen Befugnis zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte aus § 48 VwVfG NRW insbesondere mit der Begründung, der Faktor Zeitablauf sei nach Maßgabe des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW und ergänzend im Rahmen des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen.
95Vgl. die Nachweise bei BVerwG, Teilurteil vom 21. Oktober 2010 - 3 C 4.10 -, NVwZ 2011, 949, juris, Rdn. 16.
96III. Die Entziehungsverfügung hält schließlich in formeller Hinsicht der Rechtskontrolle Stand.
971. Zunächst hat im Verwaltungsverfahren das zuständige Organ der Beklagten in einem rechtsfehlerfreien Verfahren entschieden.
98a) Mit dem Fakultätsrat hat das intern gemäß § 20 Satz 2 PromO 1983 zuständige Organ über die Doktorgradentziehung entschieden. Diese Entscheidung hat der Dekan als außenwirksam handelnde Behörde umgesetzt.
99Vgl. dazu Linke, WissR 1999, 146 (162).
100b) Dem Anhörungserfordernis gemäß der hier nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Vorschrift des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW (vgl. auch § 17 Abs. 2 PromO 1983 zur Ungültigkeitserklärung der Promotion) ist genügt. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegeben und darauf hingewiesen, es komme die Aberkennung des Doktorgrades in Betracht. Der Kläger hat diese Gelegenheit mit anwaltlichen Schreiben vom 7. Februar 2007 und vom 12. Juni 2007 im Übrigen auch wahrgenommen.
101c) Die Einladung der Fakultätsratsmitglieder zur Sitzung am 27. Juni 2007 entspricht den Vorgaben. Nach § 3 der Fakultätsordnung für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten vom 19. Dezember 2001 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 7/2002), geändert durch die Ordnung zur Änderung der Fakultätsordnung für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Beklagten vom 28. Januar 2004 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 3/2004) ‑ im Weiteren Fakultätsordnung ‑ in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Sätze 1, 2 der Geschäftsordnung des Senats der Universität E3. vom 14. Februar 2003 (Amtliche Mitteilungen der Universität E3. 4/2003) ‑ im Weiteren Geschäftsordnung ‑ lädt der Vorsitzende zu einer Gremiumssitzung unter Beifügung der vorläufigen Tagesordnung mit einer Ladungsfrist von einer Woche ein. Hiernach ist die Einladung zu der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 fristgerecht erfolgt. Sie ist auf den 6. Juni 2007 datiert. Nachdem es nach Angabe der Beklagten üblich ist, die Einladung auch an diesem Tag zu versenden, und für Abweichendes keinerlei Anhalt besteht, ist die Ladungsfrist von einer Woche gewahrt. Der Einladung zu der Sitzung war ferner eine vorläufige Tagesordnung mit dem Tagesordnungspunkt 11 "Aberkennung einer Doktorwürde" beigefügt. Der Einwand des Klägers, diese Angabe sei zu ungenau, verfängt nicht. In sachlicher Hinsicht war damit hinreichend verdeutlicht, welcher Gegenstand beraten werden sollte.
102d) Hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der im Protokoll dokumentierten Beschlussfassung in der Sitzung des Fakultätsrats am 27. Juni 2007 mit dem Abstimmungsergebnis von 13:0:0 Stimmen bestehen keine Bedenken.
103e) Ein Verfahrensfehler wegen mangelnder Sachaufklärung liegt nicht vor. Gemäß der gleichfalls nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Vorschrift des § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie hat nach Absatz 2 alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Der Kläger moniert insoweit vergeblich, es sei angesichts des Umstands, dass die Fakultätsratssitzung bei 13 Tagesordnungspunkten dem Protokoll zufolge nur 60 Minuten gedauert hat, unvorstellbar, dass die Mitglieder des Fakultätsrats ausreichend über die Einzelheiten seines Falls unterrichtet worden seien und sie sich zureichend damit befasst hätten; vielmehr sei "von einer mutwilligen Fehlinformation des Fakultätsrates" auszugehen. Das greift nicht durch. Es spricht zunächst nichts gegen die Richtigkeit der Angabe der Beklagten, jedes Mitglied des Fakultätsrats habe frühzeitig die Möglichkeit gehabt, in die entscheidungserheblichen Unterlagen Einsicht zu nehmen; für den noch weitergehenden Vorwurf der mutwilligen Fehlinformation fehlt jeder Anhalt. Im Übrigen folgt aus § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW nicht, dass der Kläger eine bestimmte Tiefe der Befassung einzelner Gremiumsmitglieder mit den Einzelheiten seines Falls beanspruchen könnte. Der Weg der Überzeugungsbildung der einzelnen Mitglieder ist insoweit rechtlich ungebunden.
104Vgl. auch Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 24 Rdn. 7.
105Abgesehen davon wäre die Aufhebung der angefochtenen Entziehungsverfügung gestützt auf einen etwa vorliegenden Mangel der Sachverhaltsaufklärung jedenfalls nach § 46 VwVfG NRW ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hier hätte sich der Fehler offensichtlich nicht ausgewirkt, weil der Fakultätsrat ‑ wie der Senat festzustellen hatte und nach dem oben Ausgeführten festgestellt hat ‑ im Ergebnis in tatsächlicher Hinsicht zutreffend das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen angenommen und die einzustellenden Ermessensbelange ermittelt hat.
106Vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1987 ‑ 1 C 29.85 ‑, BVerwGE 78, 285, juris, Rdn. 32 f.
107f) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt die Rechtsfehlerhaftigkeit der Entziehungsentscheidung auch nicht aus der Befangenheit des Mitglieds des Fakultätsrats Prof. Dr. U. . Es liegt kein Grund vor, der im Sinne des ebenfalls gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren § 21 Abs. 1 VwVfG NRW geeignet ist, Misstrauen gegen dessen unparteiische Amtsführung zu rechtfertigen. Der Kläger verweist dazu auf die E-Mail vom 15. Mai 2006, in der Prof. Dr. U. an den Vorsitzenden der Kommission geschrieben hat, er habe Frau E1. als "fleißige, intelligente Studentin kennen und schätzen gelernt". Eine Beteiligung an einem Täuschungsversuch könne er sich bei ihr beim besten Willen nicht vorstellen. Dies reicht nicht aus für die Annahme, Prof. Dr. U. habe in der Angelegenheit nicht mehr unvoreingenommen entscheiden können oder wollen.
108g) Soweit die Aktenführung der Beklagten sowie die Dokumentation der Übersendung der Unterlagen an die Mitglieder des Fakultätsrats nicht ordnungsgemäß sind, wie der Kläger bemängelt, führt dies für sich genommen nicht auf eine Rechtsverletzung des Klägers.
1092. Auch das Widerspruchsverfahren ist im Wesentlichen rechtsfehlerfrei. Auf den allein festzustellenden Verfahrensmangel kann sich der Kläger nicht berufen.
110a) Mit dem Fakultätsrat hat das zuständige Gremium über seinen Widerspruch entschieden. Das ergibt sich jedenfalls aus § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO, da es um eine Selbstverwaltungsangelegenheit geht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 HG NRW).
111b) Die Einladung zur Fakultätsratssitzung am 30. April 2008, die vom 17. April 2008 datiert, war entsprechend dem oben Ausgeführten ebenfalls fristgerecht.
112c) Auf den bei der Beschlussfassung des Fakultätsrats vorgekommenen Verfahrensmangel kann sich der Kläger nicht berufen.
113In der Fakultätsratssitzung vom 30. April 2008, in der der Fakultätsrat über den Widerspruch des Klägers entschieden hat, hat dieser gegen § 3 Satz 2 der Fakultätsordnung in Verbindung mit § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung verstoßen. Danach können in der Sitzung selbst keine Tagesordnungspunkte ergänzt werden, zu denen Beschlüsse gefasst werden sollen. Die vorläufige Tagesordnung, die der Einladung zur Fakultätsratssitzung vom 30. April 2008 beigefügt war, enthielt einen die Entziehung des Doktorgrades bzw. dessen Widerspruch betreffenden Tagesordnungspunkt jedoch nicht. In dieser Sitzung ist gleichwohl unter Tagesordnungspunkt 2 "Endgültige Festlegung der Tagesordnung" einstimmig beschlossen worden, als neuen Tagesordnungspunkt 8 aufzunehmen "Aberkennung einer Doktorwürde". Später hat der Fakultätsrat in der Sitzung beschlossen, den Widerspruch des Klägers zurückzuweisen.
114Die Beschlussfassung über den Widerspruch unter Verstoß gegen § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung stellt jedoch keinen Fehler des Entziehungsverfahrens dar, auf den sich der Kläger berufen kann. Es ist anerkannt, dass ‑ auch mit Blick auf die Aufgabenvielfalt des Verfahrensrechts ‑ der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Rechtsverletzung des Betroffenen nur dann besteht, wenn im Gefüge der Verfahrenshandlungen gerade die einschlägige Verfahrensbestimmung eine Schutzaufgabe für die materiell-rechtliche Position des Betroffenen hat.
115Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 3. Februar 2014 ‑ 9 S 885/13 ‑, juris, Rdn. 34 mit weiteren Nachweisen.
116Ein solcher Rechtswidrigkeitszusammenhang ist im Hinblick auf die Beschlussfassung in der Sitzung vom 30. April 2008 nicht gegeben. § 2 Abs. 8 Satz 3 der Geschäftsordnung dient ersichtlich dazu, den Mitgliedern des Gremiums eine ausreichende Vorbereitungsmöglichkeit hinsichtlich zu fassender Beschlüsse zu gewährleisten. In der fraglichen Sitzung waren sämtliche gemäß § 2 Abs. 1 der Fakultätsordnung stimmberechtigte Mitglieder anwesend: die Gruppe der Hochschullehrer war vertreten durch acht Mitglieder, die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter durch drei Mitglieder, die Gruppe der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter durch ein Mitglied und die Gruppe der Studierenden durch drei Mitglieder, teilweise nebst Vertretern. In dieser Besetzung haben die Mitglieder des Fakultätsrats einstimmig beschlossen, den Tagesordnungspunkt "Aberkennung einer Doktorwürde" auf die endgültige Tagesordnung zu setzen und darüber zu beschließen. Sie haben damit übereinstimmend zu erkennen gegeben, eine weitere Vorbereitung auf die Entscheidung nicht für erforderlich zu halten. Ein bestimmtes Maß der Befassung einzelner Gremiumsmitglieder kann der Kläger ‑ wie ausgeführt ‑ nicht beanspruchen.
117B. Die Aufforderung, die Promotionsurkunde binnen zwei Wochen nach Erhalt des Bescheides zurückzugeben, erweist sich in der Fassung, die die Beklagte ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gegeben hat, gleichfalls als rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 52 Satz 1 VwVfG NRW sind erfüllt. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde die auf Grund eines Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückzufordern, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen oder seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Rückforderung der Promotionsurkunde ‑ einer Urkunde im Sinne der Vorschrift ‑ vom Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entziehung des Doktorgrades abhängig gemacht. Sie hat auch erkennen lassen, das ihr insoweit eröffnete Ermessen ausgeübt zu haben. Sie hat im Entziehungsbescheid ausgeführt, der Zweck der Urkunde, ihrem Inhaber das Führen eines akademischen Grades nachzuweisen, sei entfallen. Da der Urkunde als Beweismittel im Rechtsverkehr große Bedeutung zukomme, liege ihre Herausgabe vor allem im Interesse der Rechtssicherheit, um jeglichen Missbrauch auszuschließen. Letztere gewichtende Erwägung belegt hinreichend, dass die Beklagte den ihr zustehenden Spielraum erkannt und ausgefüllt hat, zumal ein vernünftiger Grund dafür, dem Kläger die Urkunde zu belassen, nicht ersichtlich ist.
118Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
119Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind. Insbesondere ist die Revision nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Hinblick auf die Rechtsgrundlage für die Entziehung eines Doktorgrades zuzulassen, weil die Entscheidung nicht allein auf die Annahme einer satzungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gestützt ist.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 04. Oktober 2007 - 8 K 1384/05 - wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage endet mit der Unanfechtbarkeit oder, wenn die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist, drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels. Dies gilt auch, wenn die Vollziehung durch die Behörde ausgesetzt oder die aufschiebende Wirkung durch das Gericht wiederhergestellt oder angeordnet worden ist, es sei denn, die Behörde hat die Vollziehung bis zur Unanfechtbarkeit ausgesetzt.
(2) Das Rechtsmittelgericht kann auf Antrag anordnen, daß die aufschiebende Wirkung fortdauert.
(3) § 80 Abs. 5 bis 8 und die §§ 80a und 80c gelten entsprechend.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.