Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Aug. 2017 - 8 B 345/17

bei uns veröffentlicht am03.08.2017

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.10.2016, mit welchem der Asylantrag des Antragstellers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der in Italien zuerkannten Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angedroht wurde.

2

Nach den Schreiben des Psychologischen Zentrums für Migranten vom 10.07.2015 und 20.09.2016 seien bei dem Antragsteller deutliche klinische Hinweise auf eine behandlungsbedürftige Erkrankung nach Traumatisierung sowohl im Heimatland Eritrea sowie auch auf dem Fluchtweg gegeben. Er sei dringend behandlungsbedürftig und erhalte in dem Zentrum regelmäßig Termine.

3

Mit Beschluss vom 15.12.2016 (8 B 740/16 MD) hat das erkennende Gericht unter Abänderung nach § 80 Abs. 7 VwGO den zunächst unter dem 14.11.2016 ergangenen Eilrechtsbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO (8 B 709/16 MD) abgeändert und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit dem Verweis auf die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Italien abgelehnt.

II.

4

Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des zuletzt ergangenen gerichtlichen Eilbeschlusses vom 15.12.2016 (8 B 740/16 MD) hat Erfolg. An der dortigen Einschätzung zur Situation anerkannter Flüchtlinge als sogenannte Rückkehrer nach Italien hält das Gericht aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.05.2017 (2 BvR 157/17; juris) in Bezug auf besonders schutzbedürftige Personen nicht mehr fest.

5

1.) In der nunmehr vorgelegten psychologischen Stellungnahme des psychologischen Zentrums für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 31.01.2017 heißt es:

6

"Bei dem Klienten liegt eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung nach Traumatisierung sowohl im Heimatland Eritrea sowie auch auf dem Fluchtweg vor. Die dazugehörige Diagnose nach ICD-10 der WHO lautet Posttraumatische Belastungsstörung (F.43.1). Die oben dargestellten durch die Therapeutin wahrnehmbaren Hinweisreize, die Erkenntnisse externer Behandler (siehe Arztbrief des Uniklinikums A-Stadt, J… F…, 04.02.2016) und die Schilderungen des Klienten selbst über seine Symptome ergeben ein kohärentes und eindeutiges Bild. Aus psychologisch-psychotherapeutischer Sicht ist der Flüchtling glaubhaft traumatisiert und dringend therapiebedürftig.

7

[…]

8

Eine Rückführung des Klienten nach Italien würde seine Bewältigungsmöglichkeiten höchstwahrscheinlich überfordern und mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer fundamentalen psychischen Destabilisierung führen. Im Fall einer erzwungenen Rückkehr nach Italien sind suizidale Impulshandlungen sehr wahrscheinlich."

9

Zudem ist bei dem Kläger ein Pterygium, eine gefäßhaltige Gewebewucherung der Bindehaut, die bei dem Kläger auf die Hornhaut übergreift, diagnostiziert worden und muss operativ behandelt werden.

10

Demnach ist das Gericht nunmehr davon überzeugt, dass der Antragsteller aufgrund seiner diagnostizierten und nachgewiesenen psychischen Erkrankung zu einem besonders schützenswerten Personenkreis gehört, welcher ohne vorherigen Nachweis der italienischen Behörden zur Unterbringungs- und Versorgungssituation nicht nach Italien verbracht werden darf. Dieser Nachweis liegt indes nicht vor.

11

Nach der nur auszugsweise wiedergegebenen fachpsychologischen Stellungnahme ist das Krankheitsbild des Antragstellers hinreichend diagnostiziert. Danach liegt bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) gesichert vor.

12

Zur Überzeugung des Gerichts gebieten diese glaubhaften, fachpsychologisch bescheinigten und nachvollziehbaren Besonderheiten hinsichtlich des Gesundheitszustands der Antragstellerin die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Im Falle einer unfreiwilligen Rückführung würden die Bewältigungsmöglichkeiten des Flüchtlings höchstwahrscheinlich überfordert und mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer fundamentalen psychischen Destabilisierung führen sowie suizidale Impulshandlungen sehr wahrscheinlich auslösen. Das Gericht ist nicht der Auffassung der Antragsgegnerin, dass das "Schreiben" des Psychologischen Zentrums nicht hinreichend als Erkenntnisquelle geeignet sei. Soweit die Antragsgegnerin auf den Beschluss der 3. Kammer des VG Magdeburg vom 23.01.2015 (3 B 1150/14 MD) verweist, ist die vorliegende "Psychologische Stellungnahme" nicht mit der vergleichbar, welche der dortigen Entscheidung zugrunde lag. Mögen im "Gutachten" verwandte Formulierungen und Umstände die Kammer veranlasst haben, dem "Gutachten" keinen Glauben schenken zu können, kann dies vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen handelt es sich nicht nur um ein "Schreiben" sondern um eine "Psychologische Stellungnahme" und ist von einer Psychologin unterzeichnet. Zum anderen sind die Ausführungen schlüssig und widerspruchsfrei. Ein besonderes "Eigeninteresse" an einer Behandlung und damit der Gewinnung des Antragstellers als Patienten kann der Psychologin nicht unterstellt werden. Ein "Gefälligkeitsgutachten" ist nicht ersichtlich.

13

Das Gericht folgt im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung nicht der Auffassung des Bundesamtes, dass im vorliegenden Fall die italienischen Behörden auf die individuelle gesundheitliche Situation der Antragstellerin angemessen reagieren können. Im Übrigen fehlt es auch in der aufgrund der richterlichen Verfügungen erbetenen Stellungnahme des Bundesamtes vom 02.08.2017 an Ausführungen zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss v. 08.05.2017, 2 BvR 157/17; juris), wonach den Rückkehrern "zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird".

14

2.) Daraus resultiert nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand Überwiegendes dafür, dass im Falle des Antragstellers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in Bezug auf Italien vorliegt.

15

a.) Die hinsichtlich der allgemeinen Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigen bestehenden Gewährleistungspflichten hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Einzelnen konkretisiert. Demnach kann die Verantwortlichkeit eines Staates aus Art. 3 EMRK begründet sein, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, juris, Rdn. 98 m.w.N.; Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S. / Belgien u. Griechenland) -, juris, Rdn. 253.

16

Hingegen verpflichtet Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Art. 3 EMRK begründet auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteile vom 30. Juni 2015 - 39350/13 - (A.S. / Schweiz) -, juris, Rdn. 27, vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S. / Belgien u. Griechenland) -, juris, Rdn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 (Mohammed Hussein u.a. / Niederlande u. Italien) -, juris, Rdn. 70; vgl. auch OVG NRW, Urteile v. 19.05.2016, 13 A 1490/13.A; v. 07.03.2014, 1 A 21/12.A) beide juris). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn international Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen (vgl. OVG NRW, Urteil v. 19.05.2016, 13 A 1490/13.A; juris).

17

Art. 3 EMRK gewährt von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 - (Mohammed Hussein u.a. / Niederlande u. Italien), juris, Rdn. 71; vgl. auch OVG NRW a. a. O.).

18

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 08.05.2017 (2 BvR 157/17; juris) ausgeführt, dass eine Rückführung anerkannter Schutzberechtigter in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort mit Art. 3 EMRK unvereinbare Bedingungen herrschen – etwa dann, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln. Das Bundesverfassungsgericht nimmt ausdrücklich auf seine frühere Rechtsprechung und auch auf diejenige des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug und betont die verfassungsrechtliche Bedeutung der Aufklärungspflicht der Gerichte hinsichtlich der Aufnahmebedingungen im Zielstaat. Hierbei bedarf es sowohl einer Auseinandersetzung mit der Einschätzung, anerkannt Schutzberechtigte seien als besonders verletzliche Gruppe zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration angewiesen, als auch mit dem etwaigen Fehlen der von Art. 34 RL 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen im Zielstaat (vgl. auch: Hessischer VGH, Urteil v. 04.11.2016, 3 A 1322/16.A; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 15.03.2017, A 11 S 2151/16; alle juris).

19

b.) Die Kammer geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Situation – auch anerkannter Flüchtlinge oder Schutzberechtigter, die nach Italien zurückkehren -, in Anlehnung an die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil v. 24.08.2016; 13 A 63/16.A; v. 19.05.2016, 13 A 1490/13.A; beide juris) jedenfalls für nicht besonders schutzbedürftige Personen wie folgt zu beschreiben ist (vgl. zuletzt: Beschl. v. 29.07.2017, 8 B 329/17 MD):

20

"Nach der Rechtsprechung des Senats stellen sich die Lebensverhältnisse anerkannter Flüchtlinge in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie die Hilfe caritativer Organisationen erhalten. […] Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen sind in Italien Ausländer, die dort als Flüchtlinge anerkannt worden sind, italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt, d. h., es wird grundsätzlich von ihnen erwartet, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. […] Dies ist nicht menschenrechtswidrig. Art. 3 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. […] Die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat, reicht ebenfalls nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Dies entspricht im Übrigen auch den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass international Schutzberechtigte im Hinblick auf den Zugang zu Sozialhilfeleistungen (Art. 29), medizinischer Versorgung (Art. 30) und Wohnung (Art. 32) nicht anders als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt werden. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass anerkannte Flüchtlinge - anders als die Staatsangehörigen des Mitgliedstaats - regelmäßig weder über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen noch auf die Unterstützung von Familienangehörigen zurückgreifen können. Italien hat inzwischen die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU in nationales Recht umgesetzt. […] Es ist deshalb davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien in den Genuss der in den Art. 20 bis Art. 35 der Qualifikationsrichtlinie genannten Rechte kommen. Die zurückkehrenden Flüchtlinge sind zudem nicht gänzlich sich selbst überlassen. Kehren anerkannte Flüchtlinge aus dem Ausland zurück, können sie sich etwa am Flughafen in Rom von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beraten lassen. […] Dort erfahren sie auch, welche Questura für sie zuständig ist. Diese wird informiert und der Flüchtling erhält ein Bahnticket, um dorthin zu gelangen. […] Für anerkannte Flüchtlinge ist die Behörde der Gemeinde zuständig, in der sie ihren Asylantrag gestellt haben. […] Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltsbewilligung, die fünf Jahre gültig ist und bei Ablauf verlängerbar bzw. erneuerbar ist. […] Die Versorgung von Flüchtlingen mit Wohnraum war und ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Ein Teil kann auch nach der Anerkennung als Flüchtling in einer Einrichtung der SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugati) für begrenzte Zeit Aufnahme finden. Auch caritative Einrichtungen stellen Unterkünfte zur Verfügung. […] In großen Städten konnten Flüchtlinge zwar vor Jahren teilweise nur in besetzten Häusern, mit zum Teil hunderten von Bewohnern, ohne ausreichende Versorgung mit Trinkwasser und Elektrizität unterkommen. […] Inzwischen hat sich die Situation aber verbessert. Das Auswärtige Amt hat schon im August 2013 und gegenüber dem erkennenden Gericht unter dem 23. Februar 2016 mitgeteilt, im Ergebnis könne davon ausgegangen werden, dass für die anerkannten Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichend staatliche bzw. öffentliche oder caritative Unterkunftsmöglichkeiten (bei teilweiser lokaler Überbelegung) zur Verfügung stehen. […] In Italien gibt es kein allgemeines System der Sozialhilfe. Etwaige gemeindliche Unterstützungsleistungen sind an den offiziellen Wohnsitz in der Gemeinde geknüpft. […] Es gibt aber öffentliche Fürsorgeleistungen für gemeldete Flüchtlinge, wenn sie bereit sind, an Maßnahmen zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, z. B. speziellen beruflichen Lehrgängen, teilzunehmen. […] Lokale Behörden, Stiftungen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen oder NGOs unterhalten Integrationsprogramme und arbeiten dabei teilweise zusammen. […] Soweit solche Leistungen nicht greifen oder ausreichen, können Flüchtlinge, wenn sie - wie viele Italiener auch - arbeitslos sind, auf Spenden caritativer Organisationen zurückgreifen. […] Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig. Viele Flüchtlinge, insbesondere junge Männer, die mit gleichaltrigen italienischen Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren, kommen häufig nur als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft unter. […] Daraus kann allerdings nicht auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK geschlossen werden. […] Bei der Gesundheitsversorgung werden Flüchtlinge in Italien wie italienische Bürger behandelt. Der kostenlose Zugang zur Notfallversorgung steht ihnen immer zur Verfügung."

21

Mit Urteil vom 27.04.2017 (8 A 674/16 juris) hat die Kammer zu der Entwicklung der Lage in Italien ausgeführt:

22

"Dabei sieht das Gericht die aktuelle Situation durchaus als kritisch und grenzwertig an. Allein an Ostern 2017 sind in Sizilien und Kalabrien rund 8.000 bis 8.500 Flüchtlinge angelandet. Seit Jahresbeginn 2017 sind offiziellen Angaben zufolge etwa 35.000 Migranten angekommen – deutlich mehr, rund 40 %, als im Rekordjahr 2016, als Italien insgesamt 181.000 Flüchtlinge aufnahm. In den vergangenen Monaten sind in Italien im Schnitt jeden Tag 500 Migranten gelandet (derStandard.at/tFluechtlinge-Rekordzahl; 20.04.2017; FOCUS Online; Flüchtlingskrise kehrt fast unbemerkt zurück, 20.04.2017). Nach Regierungsangaben sind derzeit 175.385 Asylsuchende in Italien in Aufnahmezentren untergebracht. 136.706 von ihnen kamen in sogenannten „temporären außerordentlichen“ Zentren unter, während nur 25.563 in besser eingerichteten Zentren leben (Pro Asyl; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017). Der Umverteilungsplan der EU für 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien wird von vielen Mitgliedstaaten schlicht ignoriert (tagesspiegel.de; mehr Flüchtlinge aus Afrika, 03.04.2017). 3.000 Flüchtlinge möchte die EU jeden Monat von Griechenland und Italien auf andere EU-Länder verteilen. Tatsächlich liegt die Übernahmequote aber nur bei 1.682 schutzbedürftigen Menschen; im Februar 2017 waren nur ca. 12.000 Flüchtlinge statt der versprochenen 160.000 umverteilt worden (Handelsblatt; Kaum Solidarität mit Italien und Griechenland, 08.02.2017; Internet). In Sizilien ist immer wieder zu beobachten, dass Menschen aus den Unterkünften fliehen, da die Geflüchteten nach der langen Wartezeit nicht mehr an eine Umverteilung (Relocation) glauben. Auch der Europarat konstatiert, dass das Relocation-Programm nicht funktioniert und die Normen, die für die Aufnahmezentren gelten, seien stark zu verbessern, da sie nicht an die Bedürfnisse der Asylsuchenden angepasst sind. Weitere Kritik gilt der Unterbringung von minderjährigen Flüchtlingen (PRO ASYL; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017, Internet). Trotz dieser bekannten unsolidarischen Haltung einzelner EU-Staaten sowie der zweifellos erschreckenden - aktuellen - Zahlen und in Anbetracht der Tatsache, dass die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer aufgrund des besseren Wetters eher ansteigen werden, kann gegenwärtig nicht davon ausgegangen werden, dass Italien seinen solidarischen Verpflichtungen innerhalb der EU nicht nachkommt und quasi die „Hände in den Schoß legt“, so dass das Asyl- und Unterbringungssystem - erneut - zu kollabieren droht. Denn PRO ASYL berichtet davon, dass die italienische Regierung neben der - bedenklichen - verstärkten Maßnahme von Abschiebungen, der Beschneidung des Rechtschutzes und der finanziellen Unterstützung auch und gerade das Unterbringungssystem neu regeln will. Seit Anfang 2017 sind 6.000 Unterbringungsplätze mehr in den Kommunen geschaffen worden. Ca. 200 Bürgermeister haben sich bereit erklärt, Erstaufnahmezentren in SPRAR-Zentren (Zweitaufnahme) umzuwandeln. Der neue Unterbringungsplan der Regierung sieht eine genau ausgearbeitete Unterbringung in den einzelnen Regionen und Kommunen abhängig von den Einwohnerzahlen vor. Am 22.03.2017 erklärte der italienische Innenminister, dass durch die Zusage Deutschlands, jeden Monat 500 Flüchtlinge aufzunehmen, sich die Lage deutlich entspannt hat, zudem auch Österreich und die Schweiz erklärten, sich an der Relocation zu beteiligen (PRO ASYL; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017; Internet). Das Gericht wird die Lage in Italien weiter im Blick behalten."

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c.) Weiter geht die Kammer mit der herrschen Meinung in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur: Urteil v. 17.02.2016, 8 A 51/16; juris) davon aus, dass in Italien nur die Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, wenn sie, weil ausschließlich auf staatliche Hilfe angewiesen, sich in einer besonderen Situation befinden (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris; s. a. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 – juris, United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) and others of the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 - Rn. 62.). Dies gilt insbesondere im Fall der Betroffenheit von Kindern. Hierbei ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist (EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99).

24

d.) Zur Überzeugung des Gerichts sind diese - für die dem Dublin-System unterworfenen besonders schutzwürdigen Asylbewerber - bedeutsamen Feststellungen auch auf die in Italien als Flüchtlinge oder mit Schutzstatus ausgestattete, sogenannte Rückkehrer anzuwenden, welche einem besonders schutzwürdigen Personenkreis angehören.Anerkannte Schutzberechtigte sind den italienischen Staatsangehörigen in Bezug auf die hier interessierenden Fragen der Befriedigung der allgemeinen Lebensbedürfnisse - Unterkunft, Geldmittel, Lebensmittel, Gesundheitsversorgung usw. - gleichgestellt, unterliegen jedoch dem Nachteil, dass sie im Gegensatz zu den Italienern überwiegend nicht über italienische Sprachkenntnisse sowie über ein soziales und insbesondere familiäres Netzwerk verfügen, dass in der dort gegebenen herausfordernden Situation aushelfen kann.

25

Bei der Prüfung der unmenschlichen Behandlung genügt dabei der Verweis auf eine Inländergleichbehandlung nicht, um eine unmenschliche Behandlung auszuschließen. Zum einen berücksichtigt das Gebot der Inländergleichbehandlung nicht, dass eine Inländer und Ausländer gleichermaßen unmenschlich treffende Behandlung eben eine unmenschliche Behandlung ist. Zum anderen kann ein und dieselbe Behandlung für einen Inländer nicht unmenschlich, für einen besonders schutzbedürftigen Ausländer aber sehr wohl unmenschlich sein, wenn die Gleichbehandlung dessen besonderes Schutzbedürfnis unzureichend berücksichtigen sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit der Einschätzung, dass es sich bei anerkannt Schutzberechtigten um eine besonders verletzliche Gruppe handelt, die zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration in den Aufnahmestaat angewiesen ist. Danach handelt es sich bei Personen, denen in einem anderen Staat bereits internationaler Schutz zuerkannt wurde, typischerweise um verletzliche und entwurzelte Menschen, die nicht ohne weiteres in der Lage sein werden, ihr Recht auf menschliche Behandlung in all seinen Ausprägungen effektiv in Anspruch zu nehmen. Zusätzlich zur Inländergleichbehandlung ist daher ein „spezifisch kompensatorisches“ Element erforderlich (VGH Baden-Württemberg, a. a. O.). Um eine unmenschliche Behandlung besonders schutzbedürftiger Ausländer auszuschließen, bedarf es daher Feststellungen dazu, ob bei deren Rückführung zumindest „in der ersten Zeit“ nach der Ankunft „der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt“ wird (BVerfG, a. a. O).

26

Diese Kompensationsmöglichkeiten für besonders Schutzbedürftige sind in Italien nicht erkennbar. Rückkehrer werden in besonderer Weise davon betroffen, dass es in Italien kein allgemeines System der Sozialhilfe gibt und sie eben keinen Anspruch mehr auf staatliche (Asyl-)Leistungen haben. Ohne Zusage ist nicht sichergestellt, dass die Rückkehrer, zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft, Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen haben. Nach ihrer Rückkehr können sie sich etwa am Flughafen in Rom von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beraten lassen (vgl. AA, a.a.O., S. 5; SFH, a.a.O., S. 33). Dort erfahren sie auch, welche Questura für sie zuständig ist. Bei dieser können sie dann einen Antrag auf Unterkunft stellen (vgl. AA, a.a.O., S. 5). Allerdings ist nicht gewährleistet, dass ihnen auf diesen Antrag zeitnah eine Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. Da die Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende bestimmt sind und nach Zuerkennung des internationalen Schutzes – abhängig von der jeweiligen örtlichen Praxis – innerhalb kurzer Zeit verlassen werden müssen (vgl. Aida, a.a.O., S. 111), kann nicht davon ausgegangen werden, dass dort Plätze für zurückkehrende Schutzberechtigte zur Verfügung stehen.

27

Hinsichtlich der Zweitaufnahmeeinrichtungen des SPRAR-Netzwerkes sind anerkannt Schutzberechtigte nach den entsprechenden internen Richtlinien des Italienischen Innenministeriums zwar berechtigt, ab Zuerkennung des Schutzstatus für sechs Monate untergebracht zu werden. Da die dort verfügbaren Plätze – wie oben dargelegt – aber nicht ausreichen, erscheint es zumindest wahrscheinlich, dass anerkannt Schutzberechtigte dort in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr keine Unterkunft erhalten. Sie werden daher jedenfalls in dieser Zeit darauf angewiesen sein, einen Schlafplatz in von caritativen Einrichtungen oder Gemeinden zur Verfügung gestellten Notunterkünften zu erhalten (vgl. SFH, a.a.O., S. 41 ff.). Dabei lässt sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen, dass die außerhalb des staatlichen Aufnahmesystems für Flüchtlinge bestehenden Notunterkünfte, die zumindest teilweise auch einheimischen Obdachlosen offen stehen, zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Überdies müssen sich anerkannt Schutzberechtigte nach ihrer Rückkehr selbständig um einen solchen Platz bemühen. Ob es ihnen in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr stets gelingen wird, einen gegebenenfalls verfügbaren Schlafplatz ausfindig zu machen und zu diesem zu gelangen, erscheint ungewiss. Zumal sie sich in dieser Zeit auch hinsichtlich der Versorgung mit Nahrung und Hygiene aktiv um die Unterstützung caritativer Organisationen bemühen müssen (vgl. dazu: VG Berlin, Beschluss v. 02.06.2017, 33 L 365.17 A; juris).

28

Das Gericht ist weiterhin der Überzeugung, dass diese allgemeinen (Lebens-)Herausforderungen für einen alleinstehenden jungen gesunden Mann zu bewältigen sind. Die gegenteilige von mehreren Kammern des Verwaltungsgerichts Berlin (vgl. Beschluss v. 20.07.2017, 28 L 282.17 A; Beschluss v. 02.06.2017, 33 L 365.17 A; beide juris) vertretene Auffassung, wonach jedwedem anerkannten Schutzberechtigten in Italien aufgrund der fehlenden Kapazitäten eine Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK droht, teilt die Kammer nicht. Die Kammer ist aber der Überzeugung, dass die Bewerkstelligung der allgemeinen Lebensverhältnisse in Italien jedenfalls nicht von solchen Personen erwartet werden darf, die einem besonders schutzwürdigen Personenkreis angehören. Dazu gehört der Antragsteller aufgrund seiner Erkrankung.

29

Demnach bedarf es einer besonderen staatlichen Zusicherung hinsichtlich der Aufnahme und (Kranken-)Versorgung des Antragtellers, was vorliegend nicht gegeben ist und der Eilantrag sowie der Prozesskostenhilfeantrag Erfolg haben. Der Antragsteller muss die Sicherheit haben, nicht mit seiner Abschiebung rechnen zu müssen, damit sich sein Gesundheitszustand nicht verschlechtert und er die Chance auf eine effektive Behandlungsmöglichkeit hat, was nach den faktischen Verhältnisse wiederum nur in Deutschland der Fall sein dürfte (vgl. auch: VG Magdeburg, Beschluss v. 09.03.2017, 8 B 127/17 MD).

30

Diese Überzeugung führt dazu, dass bereits im vorliegend gerichtlichen Eilverfahren aufgrund der zu befürchtenden Gesundheitsgefahren das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG abschließend anzunehmen ist (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss v. 07.04.2017, 22 L 670/17.A; juris). Einer abschließenden Klärung im anhängigen Hauptsacheverfahren bedarf es nicht, was das VG Düsseldorf übersieht. Denn nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG werden die Entscheidung des Bundeamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und die Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Das Bundesamt hat vielmehr das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG).

31

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.


Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Aug. 2017 - 8 B 345/17

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Aug. 2017 - 8 B 345/17

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Aug. 2017 - 8 B 345/17 zitiert 7 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 29 Unzulässige Anträge


(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn1.ein anderer Staata)nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oderb)auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertragesfür die Durchführung des Asylverfahr

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 37 Weiteres Verfahren bei stattgebender gerichtlicher Entscheidung


(1) Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 4 des Antrags und die Abschiebungsandrohung werden unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung entspricht.

Referenzen - Urteile

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Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 08. Mai 2017 - 2 BvR 157/17

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bei uns veröffentlicht am 27.04.2017

Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Unzulässigkeit seines Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und die Androhung der Abschiebung nach Italien durch Bescheid vom 23.09.2016. Laut Mitteilung der italienischen Behörden

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 15. März 2017 - A 11 S 2151/16

bei uns veröffentlicht am 15.03.2017

Tenor Das Verfahren wird ausgesetzt, um nach Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichthofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen einzuholen:1. Ist ein Asylbewerber nur dann flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) 604/2013, we

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 24. Aug. 2016 - 13 A 63/16.A

bei uns veröffentlicht am 24.08.2016

Tenor Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 4. Dezember 2015 geändert. Die Klage wird (auch) abgewiesen, soweit sie sich gegen die Ziffe

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 17. Feb. 2016 - 8 A 51/16

bei uns veröffentlicht am 17.02.2016

Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 03.07.2015, mit welchem der Asylantrag wegen der Zuständigkeit Italiens als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet wurde. Er bean

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 07. März 2014 - 1 A 21/12.A

bei uns veröffentlicht am 07.03.2014

Tenor Das angefochtene Urteil wird geändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläg
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Aug. 2017 - 8 B 345/17.

Verwaltungsgericht München Beschluss, 11. Jan. 2018 - M 28 S 17.34764

bei uns veröffentlicht am 11.01.2018

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gründe I. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Er verließ sei

Referenzen

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Minden vom 14. Dezember 2016 - 1 L 2033/16.A -, vom 6. Januar 2017 - 1 L 23/17.A - und vom 26. Januar 2017 - 1 L 151/17.A - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 20.000 € (in Worten: zwanzigtausend Euro) und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der am 9. April 1993 geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er reiste am 19. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. Dezember 2015 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 30. August 2016 gab er an, sein Asylantrag sei in Griechenland positiv beschieden worden. Auf Anfrage des Bundesamts teilte Griechenland mit Schreiben vom 19. Oktober 2016 mit, dass dem Beschwerdeführer internationaler Schutz gewährt worden sei. Mit dem Beschwerdeführer wurde am 8. November 2016 ein Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens geführt, in dem er angab, in Griechenland auf der Straße gelebt zu haben. Er habe keine Unterstützung vom griechischen Staat erhalten.

2

2. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 8. November 2016 als unzulässig ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorlägen und drohte die Abschiebung nach Griechenland an. Der Asylantrag sei aufgrund der Schutzgewährung in Griechenland gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 EMRK bei einer Rückführung nach Griechenland aufgrund der dortigen humanitären Verhältnisse drohe nicht. Griechenland sei Mitgliedstaat der Europäischen Union. Die Europäische Union habe zahlreiche Regelungen zur Behandlung von Flüchtlingen erlassen. Es sei davon auszugehen, dass Griechenland diese Regelungen einhalte. Dies gelte selbst bei traumatisierten und sonst vulnerablen Personen.

3

3. a) Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht Klage gegen den Bescheid, stellte einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Mit Schreiben vom 28. November 2016 begründete er Klage und Eilantrag unter Bezugnahme auf Berichte von aida, UNHCR, der Hellenic Foundation for European and Foreign Policy und Pro Asyl. Er führte aus, dass die Lage in Griechenland für anerkannt Schutzberechtigte noch schlechter sei als für Asylbewerber, die nach wie vor nicht nach Griechenland zurückgeführt würden. Es stünde kein Wohnraum zur Verfügung, ein Integrationsprogramm fehle. In Griechenland sei er nach seiner Anerkennung einfach auf der Straße gelassen worden. Viele anerkannt Schutzberechtigte blieben arbeits- und mittellos. Zwar stünde anerkannten Schutzberechtigten im Wesentlichen ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zu. Die Kriterien einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung durch die Aufnahmebedingungen müsse jedoch gleichlautend zu Asylbewerbern beurteilt werden. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 wies er auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen hin, in dem dieses dem Eilantrag eines in Griechenland anerkannten Flüchtlings, der transsexuell war, stattgegeben hatte.

4

b) Das Verwaltungsgericht Minden wies den Antrag mit Beschluss vom 14. Dezember 2016 ab. Das Konzept der normativen Vergewisserung sei für Griechenland nicht widerlegt. Für anerkannte Flüchtlinge sehe die Genfer Flüchtlingskonvention im Wesentlichen eine Inländergleichbehandlung vor. Aus den zugänglichen Quellen lasse sich nicht entnehmen, dass anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland systematisch schlechter behandelt würden als Inländer. Etwas anderes folge nicht daraus, dass aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Januar 2011 derzeit keine Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-III-VO stattfänden. Zum einen beziehe sich diese Rechtsprechung nicht auf anerkannt Schutzberechtigte. Zum anderen habe sich die Situation für Flüchtlinge in den letzten Monaten deutlich verbessert, weshalb die Europäische Kommission am 8. Dezember 2016 empfohlen habe, ab März 2017 wieder Dublin-Überstellungen nach Griechenland durchzuführen. Aus der von dem Beschwerdeführer angeführten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Göttingen folge nichts anderes, da es sich dort um einen Angehörigen einer besonders vulnerablen Personengruppe gehandelt habe.

5

4. a) Unter dem 4. Januar 2017 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge und stellte hilfsweise einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Das Verwaltungsgericht habe entscheidungserheblichen Vortrag übergangen und sich insbesondere nicht mit den von ihm zitierten Berichten und Stellungnahmen auseinandergesetzt, sondern einseitig die Empfehlung der EU-Kommission herangezogen. Weiterhin verwies er auf ein Interview von amnesty international mit einer Athener Anwältin, laut dem Flüchtlinge unter den Sparmaßnahmen am stärksten leiden würden. Sozialleistungen erhielten nur noch diejenigen, die 20 Jahre lang legal in Griechenland gelebt hätten. Flüchtlinge seien damit faktisch ausgeschlossen.

6

b) Mit Beschluss vom 6. Januar 2017 lehnte das Verwaltungsgericht die Anträge ab. Es habe die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen, hieraus jedoch andere rechtliche Schlussfolgerungen gezogen.

7

5. a) Der Beschwerdeführer erhob am 23. Januar 2017 eine weitere Gehörsrüge und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, mit der er eine Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. Januar 2017 vorlegte, die ihrerseits auf weitere Auskünfte Bezug nahm. Die Auskunft legte insbesondere dar, dass anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland faktisch keine staatlichen Hilfen erhielten und vielfach obdachlos seien.

8

b) Das Verwaltungsgericht lehnte den weiteren Antrag mit Beschluss vom 26. Januar 2017 ab. Es handle sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden jungen Mann und nicht um eine vulnerable Person, zu denen die Erkenntnismittel Auskünfte enthielten.

II.

9

1. Der Beschwerdeführer hat am 23. Januar 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben und diese mit Schreiben vom 31. Januar 2017 auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Januar 2017 erweitert. Die Entscheidungen verletzten ihn in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 GG, Art. 3 GG, Art. 16a GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 GG. Die zahlreichen von ihm schon im fachgerichtlichen Verfahren vorgelegten Erkenntnismittel belegten klar, dass es für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland keine Unterstützung gebe. Der Zugang zu den Sozialleistungen, die griechischen Bürgern gewährt würden, bestehe nur auf dem Papier. Infolge der Sparmaßnahmen habe sich die Situation in den letzten Jahren zumindest für anerkannt Schutzberechtigte noch verschlechtert und nicht, wie das Verwaltungsgericht anzunehmen scheine, verbessert. Die in Griechenland zu erwartende Behandlung verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Er habe dort keine reelle Chance, sich ein Existenzminimum zu schaffen. Er werde keine Beschäftigung finden und habe, anders als griechische Staatsangehörige, dort kein soziales Netzwerk, auf das er nach seiner Rückkehr zugreifen könne. Zwar gewähre das Unionsrecht grundsätzlich nur eine Inländergleichbehandlung. Schutzberechtigten müssten jedoch zumindest die Hilfen zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrungsbeschaffung, Hygiene) gewährt werden. Dieser Standard sei der Geltungsgrund des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts verstießen weiterhin gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da die lapidare Behauptung, dass das Konzept der normativen Vergewisserung nicht verletzt werde, angesichts des Tatsachenvortrags des Beschwerdeführers unter keinem Gesichtspunkt vertretbar sei. Das Verwaltungsgericht habe nur ausgeführt, den Vortrag des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen zu haben, ohne deutlich zu machen, auf welchen abweichenden Erkenntnismitteln die eigene Würdigung beruhe. Weiterhin sei auch gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen worden, da die Rechtswidrigkeit des Bescheids nahe gelegen habe und sich das Verwaltungsgericht mit dieser Frage im Hauptsacheverfahren, gegebenenfalls durch Einholung neuer Erkenntnismittel, weiter habe beschäftigen müssen.

10

2. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und das Bundesministerium des Innern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Bundesministerium des Innern hat darauf hingewiesen, dass zum 1. Januar 2017 in Griechenland eine allgemeine Sozialleistung in Höhe von 200 € eingeführt werden sollte, die auch anerkannt Schutzberechtigten offen stehen werde. Anträge könnten erst ab dem 1. Februar 2017 gestellt werden, praktische Erfahrungen bestünden noch keine.

11

Mit Schreiben vom 16. April 2017 hat der Beschwerdeführer beantragt, den Wert der anwaltlichen Tätigkeit auf mindestens 115.000 € festzusetzen.

III.

12

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Weise offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Das Verwaltungsgericht hat die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen an die Beurteilung der Aufnahmebedingungen in dem Abschiebungszielstaat als unmenschliche und entwürdigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK verfehlt.

14

Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGK 10, 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt werden kann; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit der Gewährleistung des Art. 3 EMRK im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

15

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist anerkannt, dass die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen herrschen. Solche Bedingungen können dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. hierzu insgesamt EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - M.S.S. gg. Griechenland und Belgien, Rn. 263 f. und 365 ff.).

16

Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG BVerfGE 117, 71<106 f.>) und die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 111, 307 <323 ff.>). In Fällen, in denen es um die Beurteilung der Aufnahmebedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung solcher möglicherweise gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen muss daher, jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind, etwa weil dies in der jüngsten Vergangenheit noch von der Bundesregierung und der EU-Kommission bejaht wurde und damit der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttert ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris, Rn. 11). Dabei kann es sowohl verfassungsrechtlich als auch konventionsrechtlich geboten sein, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung in den Drittstaat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, juris, Rn. 15 f., EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - M.S.S. gg. Griechenland und Belgien, Rn. 353 f. und EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 - Tarakhel gg. Schweiz, Rn. 121).

17

Soweit entsprechende Erkenntnisse und Zusicherungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht vorliegen und nicht eingeholt werden können, ist es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (vgl. zur Bedeutung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes für das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfGE 126, 1<27 ff.>; zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris, Rn. 17).

18

2. Die angegriffenen Entscheidungen werden diesen Vorgaben nicht gerecht. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts beruht im Wesentlichen auf der Annahme, die Situation des Beschwerdeführers als anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland sei anders zu bewerten als jene von Asylbewerbern; der Umstand, dass sich anerkannt Schutzberechtigte auf eine Gleichbehandlung mit Inländern berufen könnten, genüge den unionsrechtlichen Vorgaben. Auch habe die Europäische Kommission am 8. Dezember 2016 empfohlen, ab März 2017 wieder Dublin-Überstellungen nach Griechenland durchzuführen und zur Begründung auf Verbesserungen im griechischen Asylsystem hingewiesen.

19

Mit dieser Begründung verfehlt das Verwaltungsgericht die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Anforderungen; auch der - bloße - Hinweis, das Verwaltungsgericht habe den Vortrag des Beschwerdeführers umfassend zur Kenntnis genommen, werte ihn lediglich anders als dieser, lässt eine den angeführten Anforderungen genügende Befassung mit den aufgeworfenen Problemen nicht erkennen. Der Beschwerdeführer hat im fachgerichtlichen Verfahren zahlreiche Erkenntnisse vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland nicht einmal die geringen Unterstützungsleistungen zugänglich sind, die Personen zustehen, über deren Antrag auf internationalen Schutz noch nicht entschieden wurde. Anerkannt Schutzberechtigte hätten - auch angesichts der Wirtschaftskrise in Griechenland - keinen Zugang zu Arbeit oder zu Sozialleistungen, erhielten keinerlei Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung und müssten gleichwohl unmittelbar nach ihrer Anerkennung die Flüchtlingsunterkünfte verlassen. Ihnen drohe von diesem Zeitpunkt an die Obdachlosigkeit; Integrationsmaßnahmen würden von staatlicher Seite nicht angeboten.

20

Zwar trifft die Grundannahme des Verwaltungsgerichts zu, dass anerkannt Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsricht-linie) und den Wohlfahrtsvorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention im Wesentlichen - nur - ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Verwaltungsgericht setzt sich jedoch nicht damit auseinander, dass zum einen die von Art. 34 Qualifikationsrichtlinie geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen nicht angeboten werden (vgl. zur Relevanz dieser Maßnahmen bei der Prüfung einer Verletzung des Art. 3 EMRK: Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. November 2016 - 3 A 1292/16.A -, juris, Rn. 29 ff.). Zum anderen knüpfen - nach den vom Beschwerdeführer vorgelegten Erkenntnissen - die in Griechenland verfügbaren Sozialleistungen an einen bis zu 20jährigen legalen Aufenthalt an, weshalb anerkannt Schutzberechtigte von der Inanspruchnahme dieser Leistungen faktisch ausgeschlossen sind.

21

Zudem bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Einschätzung, bei anerkannt Schutzberechtigten ebenso wie bei Asylbewerbern treffe die Annahme des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu, dass es sich hierbei um eine besonders verletzliche Gruppe handelt, die zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration in den Aufnahmestaat angewiesen ist (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. November 2016 - 3 A 1292/16.A -, juris, Rn. 24 f.). Es hätte daher - insbesondere vor dem Hintergrund, dass die von Art. 34 Qualifikationsrichtlinie vorgeschriebenen Integrationsmaßnahmen nicht existieren - weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wie für nach Griechenland zurückgeführte anerkannt Schutzberechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.

22

Die erforderlichen Erkenntnisse hierzu enthält jedenfalls nicht die vom Verwaltungsgericht benannte Empfehlung der Kommission vom 8. Dezember 2016. Denn diese legt nur Verbesserungen - auch der humanitären Standards - für die Dauer des griechischen Asylverfahrens dar, bezieht sich also nicht auf die hier relevante Problematik der anerkannt Schutzberechtigten. Insbesondere ist nicht die Rede davon, dass erweiterte - nach wie vor nicht ausreichende - Unterbringungskapazitäten für Asylbewerber auch rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten zur Verfügung stünden. Im Übrigen empfiehlt die Kommission Rückführungen zur Durchführung von Asylverfahren ohnehin nur für den Fall, dass jeweils im Einzelfall aufgrund einer Zusicherung der griechischen Behörde feststeht, dass der Zurückzuführende in einer Flüchtlingsunterkunft unterkommen kann (vgl. Ziff. 10 der empfohlenen Maßnahmen zur Verbesserung des griechischen Asylsystems). Eine solche Zusicherung seitens der griechischen Behörde, den Beschwerdeführer zumindest für eine Übergangszeit unterzubringen, ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht abgegeben und von Bundesamt oder Bundesregierung - soweit ersichtlich - auch nicht angefordert worden. Vielmehr hat das Bundesamt in seinem Bescheid vom 8. November 2016 lediglich ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass Griechenland die einschlägigen Regelungen des EU-Rechts einhalte. Auf welcher Grundlage diese Annahme beruht, wird nicht offengelegt. Sie ist auch angesichts der seit sechs Jahren bejahten systemischen Mängel im griechischen Asylsystem nicht nachvollziehbar.

23

3. Die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts beruhen auf der Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gekommen wäre. Bei einer erneuten Entscheidung wird das Verwaltungsgericht zu prüfen und berücksichtigen haben, inwieweit seit der Einführung allgemeiner Sozialhilfeleistungen zum 1. Januar 2017 anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland in der Praxis Zugang zu diesen effektiv offen steht.

24

Die Kammer hebt nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG die Beschlüsse auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurück. Auf das Vorliegen der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen kommt es nicht an.

25

4. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit war angesichts des erheblichen Aufwands dieser Tätigkeit und den hohen Anforderungen, die an den Vortrag bezüglich der Verhältnisse in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzulegen sind, gegenüber dem regelmäßigen Gegenstandswert im Falle stattgebender Kammerbeschlüsse (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.> und zur konkreten Höhe statt vieler BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris, Rn. 16; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris, Rn. 25) zu erhöhen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2017 - 2 BvR 890/16 -, juris, Rn. 2).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt, um nach Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichthofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen einzuholen:

1. Ist ein Asylbewerber nur dann flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) 604/2013, wenn er sich gezielt und bewusst dem Zugriff der für die Durchführung der Überstellung zuständigen nationalen Behörden entzieht, um die Überstellung zu vereiteln bzw. zu erschweren, oder genügt es, wenn er sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr in der ihm zugewiesenen Wohnung aufhält und die Behörde nicht über seinen Verbleib informiert ist und deshalb eine geplante Überstellung nicht durchgeführt werden kann?

Kann sich der Betroffene auf die richtige Anwendung der Vorschrift berufen und in einem Verfahren gegen die Überstellungsentscheidung einwenden, die Überstellungsfrist von sechs Monaten sei abgelaufen, weil er nicht flüchtig gewesen sei?

2. Kommt eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO (EU) 604/2013 allein dadurch zustande, dass der überstellende Mitgliedstaat noch vor Ablauf der Frist den zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass der Betreffende flüchtig ist, und zugleich eine konkrete Frist benennt, die 18 Monate nicht übersteigen darf, bis zu der die Überstellung durchgeführt werden wird, oder ist eine Verlängerung nur in der Weise möglich, dass die beteiligten Mitgliedstaaten einvernehmlich eine verlängerte Frist festlegen?

3. Ist eine Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig, wenn er für den Fall einer Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risikos ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren?

Fällt diese Fragestellung noch in den Anwendungsbereich des Unionsrechts?

Nach welchen unionsrechtlichen Maßstäben sind die Lebensverhältnisse des anerkannten international Schutzberechtigten zu beurteilen?

Der Senat beantragt die Anordnung eines Eilvorabentscheidungsverfahrens.

Gründe

 
I.
Der Kläger ist nach seinen Angaben ein am 23. Oktober 1992 geborener Staatsangehöriger Gambias. Er wendet sich gegen seine Überstellung nach Italien zur Durchführung eines Asylverfahrens.
Er stellte am 23. Dezember 2014 einen Asylantrag, nachdem er Gambia am 5. Oktober 2012 verlassen und Italien über den Seeweg erreichte hatte. Von Italien aus reiste er nach Deutschland weiter. Auf Grundlage eines Eurodac-Treffers, wonach er in Italien einen Asylantrag gestellt habe (vgl. Art. 18 Abs. 1 lit. b) VO (EU) 604/2013), ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Italien am 26. Januar 2015 um die Wiederaufnahme des Klägers. Eine Reaktion Italiens auf dieses Ersuchen blieb in der Folgezeit aus.
Mit Bescheid vom 25. Februar 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete seine Abschiebung nach Italien an (Nr. 2).
Der Kläger erhob am 4. März 2015 Klage und stellte am 12. März 2015 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, den das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 30. April 2015 als unzulässig ablehnte, weil verspätet gestellt. Auf einen weiteren Eilantrag hin ordnete später das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage mit Beschluss vom 18. Februar 2016 an.
Am 8. Juni 2015 sollte der Kläger nach Italien überstellt werden, was jedoch misslang, da er in seinem Wohnbereich in der Gemeinschaftsunterkunft in Heidelberg nicht angetroffen werden konnte. Nach entsprechenden Nachfragen des Regierungspräsidiums Karlsruhe teilte die "Fachstelle für Wohnungsnotfälle" der Stadt Heidelberg unter dem 16. Juni 2015 dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, der Kläger sei seit längerem nicht in der Gemeinschaftsunterkunft anzutreffen, dieses habe der zuständige Hausmeister bestätigt. In der mündlichen Verhandlung des Senates erklärte der Kläger - erstmals im gesamten gerichtlichen Verfahren - hierzu, dass er Anfang Juni zu einem in Freiberg/Neckar lebenden Freund gereist sei, um ihn zu besuchen. Nach etwa ein bis zwei Wochen habe er einen Anruf von seinem Zimmergenossen aus Heidelberg erhalte, dass die Polizei ihn suche. Er habe sich entschieden, nach Heidelberg zurückzugehen, habe aber kein Geld gehabt, um die Rückfahrt zu bezahlen; er habe sich dieses erst leihen müssen: Etwa nach zwei Wochen sei er wieder in Heidelberg gewesen und sei dort zum Sozialamt der Stadt Heidelberg gegangen und habe gefragt, ob er noch sein Zimmer habe, was bejaht worden sei. Darüber, dass er seine längere Abwesenheit melden müsse, habe ihn niemand belehrt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterrichtete das italienische Innenministerium mit einem Formblatt am 16. Juni 2015, dass eine Überstellung derzeit nicht möglich sei, weil der Kläger flüchtig sei. Dies sei ihm seit dem 16. Juni 2016 bekannt. Weiter heißt es in dem Formular, dass eine Überstellung bis spätestens zum 10. August 2016 "gem. Art. 29 Abs. 2 Dublin-VO" erfolgen werde.
Am 3. Februar 2016 sollte der Kläger erneut überstellt werden; die Überstellung scheiterte erneut, weil der Kläger sich weigerte, das Flugzeug zu besteigen.
Durch Urteil vom 6. Juni 2016 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
Auf den Antrag des Klägers ließ der Senat die Berufung zu. Im Berufungsverfahren vertritt der Kläger nach wie vor die Auffassung, er sei im Juni 2015 nicht flüchtig gewesen, auch habe das Bundesamt die Fristverlängerung nicht, wie geschehen, bewirken können. Die Verfügung sein auch deshalb aufzuheben, weil bislang keine seit 6. August 2016 erforderliche Entscheidung zum Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots erfolgt sei. Eine Überstellung nach Italien sei auch deshalb unzulässig, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen dort systemischen Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UA 2 VO (EU) Nr. 604/2013 aufweise. Schließlich sei die Abschiebungsanordnung im Hinblick auf seine mit Erlaubnis der Ausländerbehörde aufgenommene Ausbildung aufzuheben.
10 
Während des Berufungsverfahrens konnte das Bundesamt in Erfahrung bringen, dass dem Kläger in Italien ein nationaler Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt worden war, der ein Jahr gültig und am 9. Mai 2015 abgelaufen war.
II.
11 
Der Senat setzt den Rechtsstreit aus, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) zu den im Tenor formulierten Fragen einzuholen. Die Fragen betreffen die Auslegung von Unionsrecht, insbesondere Art. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 29 Abs. 2 VO (EU) 604/2013.
12 
1.Folgende nationale Vorschriften bilden rechtlichen Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits:
13 
§ 60a Aufenthaltsgesetz i.d.F.v. 31.07.2016 (BGBl. I, S. 1939)
Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 ist zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen. In den Fällen nach Satz 4 wird die Duldung für die im Ausbildungsvertrag bestimmte Dauer der Berufsausbildung erteilt…
14 
§ 29 Asylgesetz i.d.F.v. 31.07.2016 (BGBl. I, S. 1939)
Unzulässige Anträge
Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
ein anderer Staat
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr.604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) oder
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist…
15 
§ 31 Asylgesetz
Entscheidung des Bundesamtes über Asylanträge
(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird.
16 
§ 34a Asylgesetz
Abschiebungsanordnung
Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig...
17 
Auf die Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften kommt es nach Auffassung des Senats entscheidungserheblich an. Denn zum einen steht die vom Kläger aufgenommene Ausbildung einer Überstellung nicht entgegen, insbesondere konnte der Kläger kein schützenwertes Vertrauen entwickeln, auch in der Zukunft nach einem negativen Ausgang dieses Rechtsstreits weiter in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben zu können. Dem Kläger wird keine Duldung nach § 60 Abs. 2 Satz 4 AufenthG zu erteilen sein, denn mit Erlass der Abschiebungsanordnung waren aufenthaltsbeendende Maßnahmen bereits eingeleitet. Auch die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG scheidet aus, insbesondere kommt mit Rücksicht auf das nicht schutzwürdige Vertrauen in eine Fortsetzung der Ausbildung keine Ermessensreduzierung in Betracht, wie der Kläger meint. Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel, insbesondere dem Bericht von aida "Country Report: Italy" (February 2017) leiden das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen trotz diverser erheblicher Mängel an keinen systemischen Schwachstellen, die gerade den allein stehenden Kläger, der keine gesundheitlichen Einschränkungen hat, dem beachtlichen Risiko einer Schlechtbehandlung im Sinne Art. 4 GRCh aussetzen würde, wenn er zur Durchführung eines (wohl weiteren) Asylverfahrens nach Italien überstellt werden würde. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die angegriffenen Bescheide auch nicht aufzuheben, auch wenn das Bundesamt noch nicht über das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat. Dies beruht darauf, dass § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der hier maßgeblichen Fassung, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht gegolten hatte, sondern erst am 6. August 2016 in Kraft getreten ist. Im Anschluss an vergleichbare in der Vergangenheit aufgetretene Fallkonstellationen geht der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass dieser Streitgegenstand im Berufungsverfahren angewachsen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1992 – 9 C 59.91 – NVwZ 1992, 892 zu § 51 Abs. 1 AuslG, vom 08.09.2011 – 10 C 14.10 und 10 C 15.10 – jew. juris zu § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.).
18 
Nach Auffassung des Senats führt auch die in Italien erfolgte Erteilung eines ein Jahr gültigen Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nicht zur Unanwendbarkeit der Verordnung (EU) Nr. 604/2013. Mit der Erteilung dieses Titels ist dem Kläger kein internationaler Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU gewährt worden.
19 
Zur ersten Vorlagefrage:
20 
Eine erste zentrale Weichenstellung nimmt der vorliegende Fall mit der Beantwortung der Frage, ob der Kläger 16. Juni 2015, d.h. am Tag der Meldung des Bundesamts an das italienische Innenministerium, "flüchtig" im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 war. Denn durch die spätere Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 18. Februar 2016, der erst nach Ablauf der 6-Montsfrist ergangen war, hätte die abgelaufene Frist nicht mehr verlängert oder unterbrochen werden können. Die Fragestellung erfährt im vorliegenden Fall insofern eine ungewöhnliche Zuspitzung als nach dem unstreitigen Sachverhalt der Kläger sich genau an dem Tag, an dem die Mitteilung an die italienischen Behörden erfolgt war, wieder bei der Stadt Heidelberg gemeldet hat, eine entsprechende Information aber nicht mehr an das Bundesamt gelangt war. Es ist nicht feststellbar, ob zum genauen Zeitpunkt der Meldung bei der Stadt Heidelberg die Information des italienischen Innenministeriums durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits erfolgt war oder nicht. Geht man von der Legaldefinition der Fluchtgefahr in Art. 2 lit. n) Verordnung (EU) Nr.604/2013 aus, wonach ein "Entziehen" durch Flucht festgestellt werden muss, so liegt auch nach dem allgemeinen Wortsinn nahe, im Begriff des "Entziehens" ein Element des Planvollen und Vorsätzlichen bzw. Bewussten zu sehen, mit anderen Worten ein Verhalten, das bewusst in Bezug auf die erwartete Überstellung erfolgt ist. Ein Flüchtigsein wäre nicht schon dann anzunehmen, wenn der oder die Betreffende nicht angetroffen wird und bei dieser Gelegenheit der aktuelle Aufenthaltsort nicht ermittelt werden kann. Die englische Fassung spricht in Art. 2 lit. n) bzw. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 allerdings (nur) von "risk of absconding" bzw. von "if the person concerned absconds"; im Französischen ist demgegenüber wiederum Rede von "risque de fuite" und "si la personne concernée prend la fuite". Jedenfalls die deutsche wie auch die französische Fassungen legen ein weites Verständnis nicht nahe. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass sich aus den öffentlich zugänglichen Materialien des Normsetzungsverfahrens nichts Erhellendes ablesen lässt. Die Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 entspricht wörtlich der des Art. 20 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003. Im Kommissionsentwurf (KOM/2001/0447endg – ABl. C 2001, 304 E, 192) war der hier interessierende Satz 2 noch gar nicht enthalten. Er wurde, soweit ersichtlich, erst im Kontext der abschließenden Beratungen des Rates eingefügt. Andererseits sieht der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ein missbilligtes Verhalten des Ausländers sanktioniert werden soll. Der Senat versteht Sinn und Zweck der Vorschrift dahin gehend, dass das effektive Funktionieren des Dublin-Systems gesichert werden soll. Dieses Funktionieren kann erheblich beeinträchtigt werden, wenn die Überstellungen nicht zeitnah erfolgen können, weil dem Gründe entgegen stehen, die nicht in die Verantwortungssphäre des überstellenden Mitgliedstaat fallen. Im Übrigen würden praktisch gesehen oftmals erhebliche Ermittlungs- bzw. Beweisschwierigkeiten bestehen, wenn den Betroffenen nachgewiesen werden müsste, dass sie sich gerade, um eine Überstellung unmöglich zu machen oder zu erschweren, von ihrer Wohnung entfernt bzw. sich verborgen hatten. Hiervon ausgehend sprechen gute Gründe dafür, es ausreichen zu lassen, dass der zuständigen Behörde der Aufenthalt zum Zeitpunkt des Überstellungsversuchs und auch noch zum Zeitpunkt der Information der zuständige Behörde des zuständigen Mitgliedstaat nicht bekannt war und es auch keine verlässlichen Anhaltspunkte für diese gab, wie der aktuelle Aufenthalt in zumutbarer Weise zu ermitteln sein könnte. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass zuständige Behörden hier im konkreten Fall das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - für das Asylverfahren - sowie das Regierungspräsidium Karlsruhe - für die Durchführung der Überstellung - waren. Legt man diese weitere Verständnis der Norm zugrunde, so wäre der Kläger, insbesondere nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch noch am 16. Juni 2015 flüchtig gewesen, zumal sich aus diesen noch nicht einmal entnehmen lässt, ob überhaupt oder ggf. wann er wieder nach Heidelberg zurückkehren wollte.
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Im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil vom 07. Juni 2016 (C-63/15) geht der Senat davon aus, dass durch die Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 auch unmittelbar Rechte des Ausländers berührt werden.
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Zur zweiten Vorlagefrage:
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Was die Frage betrifft, auf welche Weise die Fristverlängerung im Falle der Flucht (oder Krankheit) bewirkt wird, legt der Wortlaut des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 auf den ersten Blick die Herstellung eines Einvernehmens zwischen den Mitgliedstaaten nahe. Denn es heißt dort gerade nicht, dass "sich die Frist verlängert". Andererseits deckt der Wortlaut – auf den zweiten Blick – auch ein Verständnis dahin gehend, dass der überstellende Mitgliedstaat die Fristverlängerung einseitig herbeiführen kann, indem er den aufnehmenden Mitgliedstaat vor Ablauf der regulären Frist informiert und eine konkrete Frist benennt, bis zu der die Überstellung durchgeführt werden wird; die Frist darf dann auch durchaus, wie hier geschehen den Spielraum von 18 Monaten nicht ausschöpfen. Der rechtliche Ansatz einer einvernehmlichen Verlängerung wäre nach Auffassung des Senats unpraktikabel und hätte vorhersehbar zur Folge, dass die Norm in vielen Fällen leer liefe. Von diesem Verständnis lässt sich offensichtlich auch der weiterhin gültige Art. 9 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 leiten, der das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hier praktizierte Verfahren festlegt. Der Senat ist sich der Tatsache bewusst, dass diese Verordnung selbstverständlich nicht geeignet ist, das Verordnungsrecht des Rates materiell zu ändern. Da aber der Wortlaut der hier auszulegenden Bestimmung eine Auslegung in diesem Sinn nicht gänzlich ausschließt, legt nicht zuletzt der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts ein entsprechendes Normverständnis nahe.
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Zur dritten Vorlagefrage:
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Die Frage ist nach Auffassung des Senats nicht schon deshalb irrelevant, weil der Kläger unstreitig in Italien (noch) nicht als international Schutzberechtigter anerkannt worden ist. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem beschränkt sich nämlich nach Auffassung des Senats nicht nur darauf, die Phase der Aufnahme der Flüchtlinge und des Verfahrens auf Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus zweckentsprechend in einer Art und Weise zu regeln, die geeignet ist, einen effektiven und menschenwürdegemäßen Flüchtlingsschutz zu gewährleisten (vgl. etwa den 2., 8., 9., 10. und 11. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/33/EU vom 26.06.2013 bzw. den 2., 11., 15. und 25. Erwägungsrund der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013). Vielmehr hat es auch diejenigen Personen in den Blick zu nehmen, die nach Durchlaufen des Verfahrens von dem zuständigen Mitgliedstaat einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011). Ein effektives und menschenwürdiges Gemeinsames Europäisches Asylsystem steht und fällt auch mit den verheißenen und sodann realisierten Schutzstandards für die anerkannten Menschen. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Urteil vom 21.12.2011 – C-411/10 u.a.; vom 14.11.2013 – C-14/11; vom 10.12.2013 – C-394/12) ergeben sich keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass insoweit keine umfassende Bewertung gerade auch unionsrechtlich geboten sein könnte, mit anderen Worten, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem die Augen davor verschließen dürfte, in welcher Situation sich im Anschluss an die Aufnahme zum Zwecke der Verfahrensdurchführung die Schutzberechtigten befinden werden, wenn man den Schutzsuchenden nach dem Mechanismus des Dublin-Systems eine freie Wahl des Zufluchtlandes verwehrt und ihnen grundsätzlich nur einen Verfahrensweg in dem zuständigen Mitgliedstaat eröffnet. Denn notwendige und zwingende Kehrseite dieses Mechanismus muss sein, dass dann auch diese Betroffenen ein menschenwürdiges Leben in dem zuerkennenden Mitgliedstaat führen können. Dieser erweiterte Blickwinkel ist der systemimmanenten Logik dieses Mechanismus geschuldet. Daraus folgt dann auch, dass die Prüfung, ob in einem Mitgliedstaat sog. systemische Schwachstellen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) Nr. 604/2013) bestehen, sich nicht auf die Beantwortung der Frage beschränken darf, ob die Aufnahmebedingungen während des Verfahren und das Verfahren selbst frei von solchen Mängel sind, sondern auch die Lage danach einbeziehen muss. Dieses hat dann aber notwendigerweise zur Konsequenz, dass systemische, nicht menschenwürdegemäße Mängel auch nur in einer Phase insgesamt dazu führen, dass die Betroffenen nicht auf das Verfahren in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat verwiesen werden können, wenn die Betroffenen andernfalls das reale Risiko eingingen, eine Schlechtbehandlung im Sinne des Art.4 GRCh zu erfahren. Mit anderen Worten: Die besten Aufnahmebedingungen während des Anerkennungsverfahrens wären unzureichend, wenn den Betroffenen anschließend nach einer Anerkennung Verelendung droht, und umgekehrt. Ungeachtet dessen gebietet es ohnehin jedenfalls Art. 3 EMRK, vor einer Überstellung außerhalb des Dublinmechanismus (auf welcher Rechtsgrundlage auch immer), aus gegebenem Anlass eine Prüfung vorzunehmen. Allerdings ist dem Senat bewusst, dass die Qualifikationsrichtlinie, was die Existenzbedingungen der Schutzberechtigten betrifft, in der Regel nur Inländerbehandlung verspricht (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 –, InfAuslR 2015, 77) und unionsrechtlich nach dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem keine bestimmten (Mindest-)Standards vorgegeben werden (vgl. allerdings auch Art. 32 QRL, der nur Gleichbehandlung mit anderen Drittstaatszugehörigen verlangt). Inländerbehandlung kann allerdings unzureichend sein, selbst wenn die Standards für die Inländer noch menschenwürdegemäß sein sollten. Denn die Union muss bei alledem in den Blick nehmen, dass es sich hier typischerweise um verletzliche und entwurzelte Menschen, jedenfalls um Menschen mit vielerlei Handicaps handelt, die nicht ohne weiteres oder auch gar nicht in der Lage sein werden, allein gestellt die Rechtspositionen, die die Rechtsordnung des Aufnahmestaats an sich formal gewährleistet auch effektiv geltend zu machen. Sie müssen daher erst in die gleiche oder eine vergleichbare faktische Position einrücken, aus der heraus die einheimische Bevölkerung ihre Rechte in Anspruch nimmt und nehmen kann. Erst mit diesem realen sozialen Hintergrund erfährt Inländerbehandlung ihre innere Rechtfertigung und Tragfähigkeit. Deshalb fordert Art. 34 QRL aus gutem Grund von den Mitgliedstaaten, den effektiven Zugang zu Integrationsprogrammen zu gewährleisten, denen eine spezifisch kompensatorische Funktion zukommt, und dieses bedingungs- und einschränkungslos. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte berücksichtigte in seiner Rechtsprechung (Entscheidung vom 21.01.2011 – Nr. 30696/09 ) im Kontext des Art. 3 EMRK ausdrücklich den Umstand, dass der hier zu betrachtende und zu würdigende Personenkreis in besonderem Maße verletzlich und/oder hilfsbedürftig ist und entwickelt die mit Blick auf Art. 3 EMRK einzuhaltenden (höheren) Standards – in Abweichung von der für die Beurteilung der in Abschiebezielstaaten allgemein herrschenden humanitären Zuständen herausgebildeten eigenen Spruchpraxis (vgl. nunmehr aber auch EGMR, Urteil vom 13.12.2016 – 41738/16 ) spezifisch auch unter diesem Gesichtspunkt sowie den Verheißungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Konkret bedeutet dies dann auch, dass dieses Gemeinsame Europäische Asylsystem zumindest ein entsprechend dimensioniertes und den Defiziten des hier zu betrachtenden Personenkreises gerecht werdendes Integrationsprogramm gewährleisten muss, soweit dieses erforderlich ist, um jedenfalls die Inländerbehandlung faktisch und nicht nur formal rechtlich zu gewährleisten und sicherzustellen, was dann von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anforderungen bedingen kann. Dieser Standard stellt im Kontext des Unionsrechts ein flüchtlings- und menschenrechtliches Minimum dar. Er ist letztlich die Rechtfertigung und der Geltungsgrund des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, namentlich des dieses entscheidend prägenden Dublinsystems, der es den Flüchtlingen grundsätzlich verwehrt, einen effektiven Flüchtlingsschutz auch in einem anderen Mitgliedstaat zu suchen und zu finden. Dieses flüchtlings- und menschenrechtliche Minimum ist gewissermaßen die Kehrseite des Dublinsystems.
26 
Auf die vom Senat aufgeworfene Problematik kommt es im vorliegenden Verfahren auch an. Denn dem Senat liegt u.a. der ausführliche Recherchebericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Aufnahmebedingungen in Italien" vom August 2016 (vgl. dort S. 33 ff.) vor, aus dem sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass international Schutzberechtigte einem konkreten Risiko ausgesetzt sein könnten, bei einem Leben völlig am Rande der Gesellschaft obdachlos zu werden und zu verelenden. Dieser Bericht gibt, sofern die hier aufgeworfene Frage zu bejahen ist, Anlass diesen Anhaltspunkten weiter nachzugehen und eine abschließende Klärung herbeizuführen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe betont mehrfach, dass das völlig unzureichend entwickelte Sozialsystem in weiten Teilen durch den Rückhalt in familiären Strukturen zu erklären ist, bzw. anders gewendet nur wegen dieses Rückhalt unter der italienischen Bevölkerung Not nicht ein generelles Phänomen darstellt. Diese Strukturen fehlen aber bei den Schutzberechtigten völlig. Dass hier die kompensatorisch greifenden Integrationsprogramme in Italien gegenwärtig weitgehend fehlen und namentlich der Zugang zu den unerlässlichen Sprachkursen mehr oder weniger dem Zufall überlassen ist, beschreibt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (S. 53 f.) eindrücklich. Zwar soll ein Integrationsplan verabschiedet werden, er existiert allerdings noch nicht, geschweige denn, dass er umgesetzt würde; aktuell wird weiter hiervon geredet, mehr aber nicht (vgl. etwa Tagesspiegel v. 01.01.2017). Wenn überhaupt, werden einige wenige Projekte nur von Nichtregierungsorganisationen organisiert. Bei dieser Ausgangslage wäre es in Ermangelung eines ausgebauten vielfältigen sozialen Sicherungssystems unrealistisch, die Schutzberechtigten auf einen Rechtsweg zu verweisen, weil schon wegen teilweiser fehlender Ansprüche der Aspekt der Inländerbehandlung ins Abseits führen muss. Abgesehen davon dürfte die Effektivität ernsthaft infrage stehen. Dass die großen strukturellen Defizite des staatlichen Sozialsystems im weitesten Sinne angesichts der in den vergangenen Jahren stark angestiegenen Flüchtlingszahlen in Italien effektiv durch Nichtregierungsorganisationen und Kirchen ausgeglichen werden können, lässt der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht erkennen; wäre dieses der Fall, könnten die von ihr beschriebenen Verhältnisse so nicht eingetreten sein. Jedenfalls wäre dieser Frage gegebenenfalls noch weiter nachzugehen (vgl. zur Funktion und Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen in Italien vor Jahren bei wesentlich geringeren Flüchtlingszahlen VGH Bad-Württ., Urteil vom 16.04.2014 – A 11 S 1721/13).
27 
Namentlich für diese ggf. noch anzustellenden Ermittlungen ist es im Übrigen für den Senat von erheblicher Bedeutung, dass geklärt wird, welche unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Standards für die Beurteilung der Verhältnisse in dem jeweiligen Mitgliedstaat gelten und anzuwenden sind.
28 
Der Senat erachtet es für geboten, über das Ersuchen im Eilvorabentscheidungsverfahren zu entscheiden (Art. 107 VerfO i.V.m. Art. 23a der Satzung des Gerichthofs), da die dritte Vorlagefrage von weitreichender Bedeutung ist. Sie hat Relevanz für alle Italien betreffenden Überstellungsverfahren im gesamten Dublinsystem; sie ist daher vorgreiflich in einer unübersehbaren Zahl von Verfahren. Die Ungewissheit über ihren Ausgang birgt die Gefahr, das Funktionieren des durch die Verordnung 604/2013 eingeführten Systems zu beeinträchtigen und das Gemeinsame Europäischen Asylsystem zu schwächen (vgl. EuGH, Beschluss vom 15.02.2017 - C-670/16 -, ECLI:EU:C:2017:120).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 4. Dezember 2015 geändert. Die Klage wird (auch) abgewiesen, soweit sie sich gegen die Ziffern 2 und 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. Oktober 2015 richtet.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Unzulässigkeit seines Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und die Androhung der Abschiebung nach Italien durch Bescheid vom 23.09.2016. Laut Mitteilung der italienischen Behörden an das Bundesamt erhielt der Kläger in Italien internationaler Schutz.

2

Dier Kläger beantragt sinngemäß,

3

den Bescheid der Beklagten vom 23.09.2016 aufzuheben.

4

Die Beklagte beantragt,

5

die Klage abzuweisen

6

und verweist auf den streitbefangenen Bescheid.

7

Mit Beschluss vom 11.10.2016 hat das Gericht den Eilantrag abgelehnt (8 B 673/16 MD).

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den bei der Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter (§ 76 AsylG) entschieden werden konnte, ist unbegründet.

10

1.) Der streitgegenständliche Bescheid über die Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger ist bereits in Italien internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt worden, so dass ihm kein Anspruch auf Durchführung eins weiteren Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland zusteht (BVerwG, Urteil v. 17.06.2014, 10 C 7.13; juris). Dabei ist gleichgültig, ob es sich hierbei um die Flüchtlingsanerkennung oder den subsidiären Schutzstatus handelt. Denn mehr an Schutzrechten kann er in Deutschland auch nicht erhalten. Wegen der Antragstellung in Deutschland nach dem 20.07.2015 liegt auch kein Fall der sogenannten "Aufstockung" des nur subsidiären Schutzes vor (vgl. nur: BVerwG, Beschluss v. 23.10.2015, 1 B 41.15; VG Magdeburg, Urteil v. 04.02.2016, 8 A 45/16 MD; juris). Abschiebungsverbote hinsichtlich Italien liegen nicht vor. Denn dem nicht mehr dem Dublin-Regime unterstehenden Ausländer ist die Rückkehr als international Schutzberechtigter nach Italien zumutbar. Das Gericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Flüchtlingen und Rückkehrern in Italien nicht aufgrund systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen - auch für anerkannte Flüchtlinge - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, in dem Grundrecht aus Art. 4 GRCh bzw. in dem Menschenrecht aus Art. 3 EMRK bzw. dem Recht auf Freiheit aus Art. 6 GRCh und Art. 5 EMRK verletzt zu werden.

11

a.) Das Gericht schließt sich der diesbezüglichen Rechtsprechung anderer Gerichte an und hat zuletzt in dem Urteil vom 17.02.2016 (8 A 51/16; juris) ausgeführt:

12

"[…] Eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Entscheidung über den Asylantrag im Wege des sogenannten Selbsteintritts besteht nicht. Es gibt keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem anderen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen. Die Voraussetzungen liegen vor, wenn ein Asylbewerber wegen systemischer Mängel, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – HUDOC Rdnr. 98;. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris Rdnr. 24).

13

Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Asylsystem in Italien derzeit an solchen systemischen Mängeln leidet, die gerade auch den hier um Abschiebungsschutz nachsuchenden Asylbewerber der konkreten Gefahr aussetzen würden, im Fall einer Rücküberstellung nach Italien eine menschenunwürdige entwürdigende Behandlung zu erfahren. Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt.

14

Mittlerweile ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in Italien nur die Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, wenn sie, weil ausschließlich auf staatliche Hilfe angewiesen, sich in einer besonderen Situation befinden (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris; s. a. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 – juris, United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) and others of the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 - Rn. 62.). Dies gilt insbesondere im Fall der Betroffenheit von Kindern. Hierbei ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist (EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99).

15

Unzweifelhaft gehört der Kläger gehört keiner solchen schutzbedürftigen Personengruppe an. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht ebenfalls in seiner Entscheidung (Urteil 51428/10 vom 13.01.2015 - A.M.E. vs. The Netherlands) davon aus, dass systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien für den Kreis der Personen, die nicht zu einem besonders schützenswerten Personenkreis ("underprivileged and vulnerable population group in need of special protection", s. EGMR, Urteil vom 13.01.2015, a.a.O.) i. S. der Genfer Konvention und der ihr folgenden Richtlinien zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten - Aufnahmerichtlinien - (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013) gehören, nicht den Schweregrad einer Verletzung von Art. 3 EMRK erreichen. D.h., gesunde Männer ohne Familienangehörige, die den Weg aus ihrer Heimat nach Italien allein geschafft haben, sind den dort vorzufindenden Schwierigkeiten und Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung regelmäßig weit eher gewachsenen als dies für Familien mit Kindern oder für Minderjährige zutrifft. Sie sind grundsätzlich in der Lage, auch eine Übergangsfrist unter schwierigen Bedingungen auszuhalten, ohne dass dies zu einer Rechtsverletzung im oben dargelegten Sinne führt. Dieser Auffassung folgend, scheidet ein Selbsteintritt der Beklagten aus.

16

Nichts anderes ergibt sich aus aktuellen Erkenntnissen. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind keine tagespolitischen Meldungen bekannt, wonach Italien – wie früher – im besonderen Focus der Berichterstattung hinsichtlich systemischer Mängel im Asyl- oder Unterbringungsverfahren steht.

17

Auch soweit einige Gerichte (VG Düsseldorf, Urteil v. 15.12.2015, 12 K 7303/15.A; juris; VG Darmstadt, Urteil v. 07.01.2016, 3 K 392/14.DA.A; VG Potsdam, Beschluss v. 19.10.2015, VG 12 L 816/15.A) in neuerer Rechtsprechung aufgrund eines erneuten Anstieges der Flüchtlingszahlen und der schlechten Witterung im Herbst/Winter Mängel im Unterbringungssystem annehmen, vermag dies nicht die erniedrigende unmenschliche Behandlung aufgrund eines Zusammenbruchs des italienischen Asyl- und Unterbringungssystems zu begründen. Denn auch diese Entscheidungen stellen nur eine temporäre Momentaufnahme dar und angesichts der bevorstehenden wärmeren Jahreszeit mag die Witterung nunmehr anders zu beurteilen sein.

18

Ohne Zweifel verlangt die hohe Zahl von Flüchtlingen nach wie vor enorme Anstrengungen von Italien. Es liegen jedoch keine verlässlichen Informationen darüber vor, dass Italien nicht auch unter diesen Bedingungen in der Lage wäre, darauf angemessen zu reagieren, zumal Italien mehrfach Unterstützung durch die EU und Hilfsorganisationen erfahren hat; noch im Februar 2015 erhielt Italien einen Notkredit der EU, um die Versorgung der Flüchtlinge sicherzustellen (http//www.tagesschau.de, 19.02.2015). Damit die ohne Zweifel in den bisherigen Aufnahmeeinrichtungen bestehende prekäre Situation nicht zu menschenunwürdigen Zuständen führt, bezieht Italien nunmehr im Zuge der Lösung des bislang bestehenden innerstaatlichen Verteilungsproblems alle Regionen in die Aufnahme von Flüchtlingen ein. Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Flüchtlinge in Italien auf sich alleine gestellt sind und besondere persönliche Anstrengungen zur Bewerkstelligung des täglichen Lebensalltags unternehmen müssen. Trotzdem bestehen funktionierende Strukturen zur Aufnahme, Behandlung und Unterbringung der Flüchtlinge in Italien. Neben den staatlichen Strukturen gibt es kirchliche und private Trägerschaften. Die Einbeziehung solcher nichtstaatlicher Träger kann und darf dem italienischen Staat auch zugerechnet werden, da sie in das Gesamtsystem eingebettet sind (vgl. OVG NRW, Urteil v. 07.03.2014, 1 A 21/12.A; juris). Eine Untätigkeit bzw. die willentliche, systemimmanente Zusteuerung auf einen Kollaps kann nicht angenommen werden.

19

Demnach ist davon auszugehen, dass in Italien vieles hinsichtlich der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen nicht optimal läuft. Selbiges ist aber auch in Deutschland zu verzeichnen, wie die hiesigen Verhältnisse am LaGeSo in Berlin beweisen. Trotzdem wird man diese - aufgrund der hohen Zahl der Flüchtlinge bedingten - Probleme nicht mit systemischen Mängeln in Verbindung bringen können.

20

Das Gericht schließt sich somit der entsprechenden Rechtsprechung der vormals zuständigen Kammer (vgl. Eilverfahren) und weiterer Gerichte an (vgl. zuletzt: VG Ansbach, Urteil v. 11.12.2015, AN 14 K 15.50316; juris)."

21

b.) Diese Einschätzung der Situation in Italien wurde nach dem Urteil durch die Auskunft des AA an das OVG NRW vom 23.02.2016 und durch den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016 bestätigt. Danach wurden und werden stetig zusätzlichen Aufnahmezentren geschaffen. Das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze angewachsen.

22

c.) Aktuell gilt dies im Jahr 2017 fort. Denn die ganz überwiegende Meinung in der jedenfalls veröffentlichten Rechtsprechung folgt dem nach wie vor (vgl. z. B. nach juris-Recherche aktuell nur: VG München, Beschluss v. 04.04.2017, M 9 S 17.50786; Beschluss v. 08.11.2016, M 6 S 16.50615; mit Verweis auf: VG Hamburg, B. v. 08.02.2017, 9 AE 5887/16; VG Düsseldorf, B. v. 18.01.2017, 12 L 3754/16.A; VG Schwerin, U. v. 26.09.2016, 16 A 1757/15 As SN; OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14A – juris; U.v. 21.6.2016, 13 A 990/13.A; U.v. 19.5.2016 – 13 A 516/14.A – jeweils juris – m.w.N.; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14; juris).

23

Gegenwärtig ist auch nicht erkennbar, ob die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts München an der jedenfalls im Jahr 2016 bestehenden anderslautenden Rechtsprechung festhält (vgl. zuletzt: Urteil v. 26.09.2016, M 24 K 16.50512; Beschluss v. 01.08.2016, M 24 S 16.50487; beide juris). Das Verwaltungsgericht Hannover sieht die Situation für anerkannte Schutzberechtigte schwieriger als für noch im Asylverfahren befindliche Flüchtlinge (Beschluss v. 08.03.2017, 3 B 1492/17; juris).

24

Es ist mithin zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht davon auszugehen, dass die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der Flüchtlinge in Italien überschritten wäre. Dies wäre erst dann der Fall, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Anzahl von Flüchtlingen keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden.

25

Dabei sieht das Gericht die aktuelle Situation durchaus als kritisch und grenzwertig an. Allein an Ostern 2017 sind in Sizilien und Kalabrien rund 8.000 bis 8.500 Flüchtlinge angelandet. Seit Jahresbeginn 2017 sind offiziellen Angaben zufolge etwa 35.000 Migranten angekommen – deutlich mehr, rund 40 %, als im Rekordjahr 2016, als Italien insgesamt 181.000 Flüchtlinge aufnahm. In den vergangenen Monaten sind in Italien im Schnitt jeden Tag 500 Migranten gelandet (derStandard.at/tFluechtlinge-Rekordzahl; 20.04.2017; FOCUS Online; Flüchtlingskrise kehrt fast unbemerkt zurück, 20.04.2017). Nach Regierungsangaben sind derzeit 175.385 Asylsuchende in Italien in Aufnahmezentren untergebracht. 136.706 von ihnen kamen in sogenannten „temporären außerordentlichen“ Zentren unter, während nur 25.563 in besser eingerichteten Zentren leben (Pro Asyl; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017). Der Umverteilungsplan der EU für 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien wird von vielen Mitgliedstaaten schlicht ignoriert (tagesspiegel.de; mehr Flüchtlinge aus Afrika, 03.04.2017). 3.000 Flüchtlinge möchte die EU jeden Monat von Griechenland und Italien auf andere EU-Länder verteilen. Tatsächlich liegt die Übernahmequote aber nur bei 1.682 schutzbedürftigen Menschen; im Februar 2017 waren nur ca. 12.000 Flüchtlinge statt der versprochenen 160.000 umverteilt worden (Handelsblatt; Kaum Solidarität mit Italien und Griechenland, 08.02.2017; Internet). In Sizilien ist immer wieder zu beobachten, dass Menschen aus den Unterkünften fliehen, da die Geflüchteten nach der langen Wartezeit nicht mehr an eine Umverteilung (Relocation) glauben. Auch der Europarat konstatiert, dass das Relocation-Programm nicht funktioniert und die Normen, die für die Aufnahmezentren gelten, seien stark zu verbessern, da sie nicht an die Bedürfnisse der Asylsuchenden angepasst sind. Weitere Kritik gilt der Unterbringung von minderjährigen Flüchtlingen (PRO ASYL; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017, Internet).

26

Trotz dieser bekannten unsolidarischen Haltung einzelner EU-Staaten sowie der zweifellos erschreckenden - aktuellen - Zahlen und in Anbetracht der Tatsache, dass die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer aufgrund des besseren Wetters eher ansteigen werden, kann gegenwärtig nicht davon ausgegangen werden, dass Italien seinen solidarischen Verpflichtungen innerhalb der EU nicht nachkommt und quasi die „Hände in den Schoß legt“, so dass das Asyl- und Unterbringungssystem - erneut - zu kollabieren droht. Denn PRO ASYL berichtet davon, dass die italienische Regierung neben der - bedenklichen - verstärkten Maßnahme von Abschiebungen, der Beschneidung des Rechtschutzes und der finanziellen Unterstützung auch und gerade das Unterbringungssystem neu regeln will. Seit Anfang 2017 sind 6.000 Unterbringungsplätze mehr in den Kommunen geschaffen worden. Ca. 200 Bürgermeister haben sich bereit erklärt, Erstaufnahmezentren in SPRAR-Zentren (Zweitaufnahme) umzuwandeln. Der neue Unterbringungsplan der Regierung sieht eine genau ausgearbeitete Unterbringung in den einzelnen Regionen und Kommunen abhängig von den Einwohnerzahlen vor. Am 22.03.2017 erklärte der italienische Innenminister, dass durch die Zusage Deutschlands, jeden Monat 500 Flüchtlinge aufzunehmen, sich die Lage deutlich entspannt hat, zudem auch Österreich und die Schweiz erklärten, sich an der Relocation zu beteiligen (PRO ASYL; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017; Internet).

27

Das Gericht wird die Lage in Italien weiter im Blick behalten.

28

Der Kläger gehört keiner besonders schutzwürdigen Personengruppe an, wonach es einer besonderen Zusicherung Italiens bedarf.

29

d.) Dies gilt auch vorliegend im Falle der Zuerkennung des internationalen Schutzes in einem Dublin-Staat. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in der er vor Verfolgung sicher war.

30

e.) Es liegen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in Bezug auf Italien vor (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Denn in Italien drohen weder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK noch eine sonstige konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

31

Nach der Rechtsprechung stellen sich die Lebensverhältnisse anerkannter Flüchtlinge in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie die Hilfe caritativer Organisationen erhalten. (vgl. OVG NRW, Urteile vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -, juris, Rn. 51ff., und vom 19. Mai 2016 - 13 A 1490/13.A -, juris, Rn. 89ff).

1

32

2.) Der gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gerichtete Antrag hat keinen Erfolg.

33

Über die Dauer der Sperrfrist entscheidet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Das Gericht hat nur zu prüfen, ob die in § 114 VwGO genannten besonderen Voraussetzungen eingehalten werden, d.h. ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes – hier der behördlichen Befristungsentscheidung – gegeben sind, ob der Erlass des Verwaltungsaktes auf Ermessensfehlern beruht und ob eine Unterlassung einer rechts- und ermessensfehlerfreien Entscheidung der Behörde beim betroffenen Ausländer zu einer Rechtsverletzung führt (VG Oldenburg, B. v. 02.10.2015 – 5 B 3636/15 -, juris, Rdnr. 40).

34

Die von der Antragsgegnerin getroffene Befristung begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 i. V. m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots im Falle der Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen ist auch ermessensfehlerfrei innerhalb der von § 11 Abs. 3 AufentG aufgezeigten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich.

35

3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 03.07.2015, mit welchem der Asylantrag wegen der Zuständigkeit Italiens als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet wurde. Er beantragt

2

den Bescheid vom 03.07.2015 aufzuheben.

3

Die Beklagte beantragt,

4

die Klage abzuweisen

5

und verweist auf den streitbefangenen Bescheid.

6

Im Eilverfahren (5 B 370/15) wurde mit Beschluss vom 22.07.2015 vorläufiger Rechtsschutz abgelehnt.

7

Mit Schriftsatz vom 21.01.2016 teilte die Beklagte mit, dass ein Überstellungsversuch am 09.12.2015 wegen Untertauchens des Klägers gescheitert sei. Den italienischen Behörden sei daher mitgeteilt worden, dass sich die Überstellungsfrist verlängert habe.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des sogenannten Selbsteintrittsrechts.

10

1.) Rechtsgrundlage für die Ablehnung des in Deutschland gestellten Asylantrages ist § 27a AsylG. Danach ist Italien für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig.

11

2.) Eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Entscheidung über den Asylantrag im Wege des sogenannten Selbsteintritts besteht nicht. Es gibt keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem anderen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen. Die Voraussetzungen liegen vor, wenn ein Asylbewerber wegen systemischer Mängel, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – HUDOC Rdnr. 98;. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris Rdnr. 24).

12

Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Asylsystem in Italien derzeit an solchen systemischen Mängeln leidet, die gerade auch den hier um Abschiebungsschutz nachsuchenden Asylbewerber der konkreten Gefahr aussetzen würden, im Fall einer Rücküberstellung nach Italien eine menschenunwürdige entwürdigende Behandlung zu erfahren. Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt.

13

Mittlerweile ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in Italien nur die Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, wenn sie, weil ausschließlich auf staatliche Hilfe angewiesen, sich in einer besonderen Situation befinden (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris; s. a. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 – juris, United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) and others of the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 - Rn. 62.). Dies gilt insbesondere im Fall der Betroffenheit von Kindern. Hierbei ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist (EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99).

14

Unzweifelhaft gehört der Kläger gehört keiner solchen schutzbedürftigen Personengruppe an. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht ebenfalls in seiner Entscheidung (Urteil 51428/10 vom 13.01.2015 - A.M.E. vs. The Netherlands) davon aus, dass systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien für den Kreis der Personen, die nicht zu einem besonders schützenswerten Personenkreis ("underprivileged and vulnerable population group in need of special protection", s. EGMR, Urteil vom 13.01.2015, a.a.O.) i. S. der Genfer Konvention und der ihr folgenden Richtlinien zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten - Aufnahmerichtlinien - (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013) gehören, nicht den Schweregrad einer Verletzung von Art. 3 EMRK erreichen. D.h., gesunde Männer ohne Familienangehörige, die den Weg aus ihrer Heimat nach Italien allein geschafft haben, sind den dort vorzufindenden Schwierigkeiten und Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung regelmäßig weit eher gewachsenen als dies für Familien mit Kindern oder für Minderjährige zutrifft. Sie sind grundsätzlich in der Lage, auch eine Übergangsfrist unter schwierigen Bedingungen auszuhalten, ohne dass dies zu einer Rechtsverletzung im oben dargelegten Sinne führt. Dieser Auffassung folgend, scheidet ein Selbsteintritt der Beklagten aus.

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Nichts anderes ergibt sich aus aktuellen Erkenntnissen. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind keine tagespolitischen Meldungen bekannt, wonach Italien – wie früher – im besonderen Focus der Berichterstattung hinsichtlich systemischer Mängel im Asyl- oder Unterbringungsverfahren steht.

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Auch soweit einige Gerichte (VG Düsseldorf, Urteil v. 15.12.2015, 12 K 7303/15.A; juris; VG Darmstadt, Urteil v. 07.01.2016, 3 K 392/14.DA.A; VG Potsdam, Beschluss v. 19.10.2015, VG 12 L 816/15.A) in neuerer Rechtsprechung aufgrund eines erneuten Anstieges der Flüchtlingszahlen und der schlechten Witterung im Herbst/Winter Mängel im Unterbringungssystem annehmen, vermag dies nicht die erniedrigende unmenschliche Behandlung aufgrund eines Zusammenbruchs des italienischen Asyl- und Unterbringungssystems zu begründen. Denn auch diese Entscheidungen stellen nur eine temporäre Momentaufnahme dar und angesichts der bevorstehenden wärmeren Jahreszeit mag die Witterung nunmehr anders zu beurteilen sein.

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Ohne Zweifel verlangt die hohe Zahl von Flüchtlingen nach wie vor enorme Anstrengungen von Italien. Es liegen jedoch keine verlässlichen Informationen darüber vor, dass Italien nicht auch unter diesen Bedingungen in der Lage wäre, darauf angemessen zu reagieren, zumal Italien mehrfach Unterstützung durch die EU und Hilfsorganisationen erfahren hat; noch im Februar 2015 erhielt Italien einen Notkredit der EU, um die Versorgung der Flüchtlinge sicherzustellen (http//www.tagesschau.de, 19.02.2015). Damit die ohne Zweifel in den bisherigen Aufnahmeeinrichtungen bestehende prekäre Situation nicht zu menschenunwürdigen Zuständen führt, bezieht Italien nunmehr im Zuge der Lösung des bislang bestehenden innerstaatlichen Verteilungsproblems alle Regionen in die Aufnahme von Flüchtlingen ein. Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Flüchtlinge in Italien auf sich alleine gestellt sind und besondere persönliche Anstrengungen zur Bewerkstelligung des täglichen Lebensalltags unternehmen müssen. Trotzdem bestehen funktionierende Strukturen zur Aufnahme, Behandlung und Unterbringung der Flüchtlinge in Italien. Neben den staatlichen Strukturen gibt es kirchliche und private Trägerschaften. Die Einbeziehung solcher nichtstaatlicher Träger kann und darf dem italienischen Staat auch zugerechnet werden, da sie in das Gesamtsystem eingebettet sind (vgl. OVG NRW, Urteil v. 07.03.2014, 1 A 21/12.A; juris). Eine Untätigkeit bzw. die willentliche, systemimmanente Zusteuerung auf einen Kollaps kann nicht angenommen werden.

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Demnach ist davon auszugehen, dass in Italien vieles hinsichtlich der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen nicht optimal läuft. Selbiges ist aber auch in Deutschland zu verzeichnen, wie die hiesigen Verhältnisse am LaGeSo in Berlin beweisen. Trotzdem wird man diese - aufgrund der hohen Zahl der Flüchtlinge bedingten - Probleme nicht mit systemischen Mängeln in Verbindung bringen können.

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Das Gericht schließt sich somit der entsprechenden Rechtsprechung der vormals zuständigen Kammer (vgl. Eilverfahren) und weiterer Gerichte an (vgl. zuletzt: VG Ansbach, Urteil v. 11.12.2015, AN 14 K 15.50316; juris).

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3.) Die auf §§ 27a, 34a AsylG basierende Abschiebungsanordnung begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Überstellungsfrist hat sich nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO weiter verlängert. Der Kläger entzog sich der am 09.12.2015 angesetzten Abschiebung durch Flucht. Denn die Abschiebung konnte mangels Habhaftmachung seiner Person nicht durchgeführt werden. Ein Asylbewerber ist nicht erst dann im Sinne der Dublin-Vorschriften flüchtig, wenn er seine Wohnung dauerhaft verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch den Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung „flüchtig“ im Sinne der Dublin-Vorschriften knüpft an die geplante Überstellung des Asylbewerbers aufgrund der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates an. Kann diese nicht durchgeführt werden, weil sich der Asylbewerber derselben etwa durch Nichterscheinen entzieht, vereitelt gerade er die Überstellung. Dabei ist nicht entscheidend, ob die gescheiterte Überstellung vom Asylbewerber verschuldet ist. Entscheidend ist, dass die Nichtdurchführung durch ihn verursacht, also in seiner Sphäre liegt und jedenfalls nicht von der der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten ist. Denn der Ablauf der Überstellungsfrist soll nicht den Asylbewerber schützen, sondern die Zuständigkeit des anderen Mitgliedstaats begründen; nur wenn es dieser aufgrund seiner fehlerhaften organisatorischen Maßnahmen nicht schafft, den Flüchtling in den zuständigen Mitgliedstaat zu verbringen, geht die Zuständigkeit über. Davon kann vorliegend keine Rede sein, wenn der Asylbewerber zu seiner geplanten Abschiebung nicht erscheint (vgl.: VG Magdeburg, Beschluss v. 11.12.2014, 1 B 1196/14; VG Berlin, Beschluss v.13.02.2011, 323 L 550/10.A; VG Potsdam, Urteil v. 04.06.2014; 6 K 2414/13.A; alle juris). Daher wird es auch nicht darauf ankommen, ob der Kläger etwa aufgrund Krankheit oder sonstiger nicht zu vertretender Gründe nicht erschien; entscheidend ist allein, dass die Bundesrepublik Deutschland den Fristablauf nicht zu vertreten hat.

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4.) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 4 des Antrags und die Abschiebungsandrohung werden unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung entspricht. Das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzuführen.

(2) Entspricht das Verwaltungsgericht im Falle eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags dem Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung, endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn auf Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten vollziehbar wird.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 4 des Antrags und die Abschiebungsandrohung werden unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung entspricht. Das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzuführen.

(2) Entspricht das Verwaltungsgericht im Falle eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags dem Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung, endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn auf Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten vollziehbar wird.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.