Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 12. Juli 2018 - 1 K 13046/17

bei uns veröffentlicht am12.07.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Versagung einer Grenzerlaubnis für Flüge von Bremgarten nach London.
Der Kläger ist Inhaber eines Pilotenscheines. Er hat ein privates Flugzeug auf dem Flugplatz in Bremgarten stationiert (ca. 17 km von seinem Wohnort XXX entfernt). Dieser ist keine zugelassene Grenzübertrittsstelle. Die von XXX aus nächstgelegenen Grenzübertrittsstellen befinden sich in Freiburg (ca. 26 km entfernt) sowie Lahr (ca. 48 km entfernt).
Bis in das Jahr 2015 erteilte die Beklagte dem Kläger mehrfach eine Grenzerlaubnis für Flüge ab Bremgarten. Am 15.05.2015 beantragte der Kläger eine Grenzerlaubnis für einen Flug von Bremgarten nach London und zurück für den Zeitraum vom 23. - 27.05.2015. Mit Schreiben vom 20.05.2015 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass das bisherige Verfahren zur Erteilung von Grenzerlaubnissen geändert worden sei und nunmehr ein besonderes Bedürfnis begründet werden müsse, das bei seinem Antrag fehle. Daraufhin nahm der Kläger seinen Antrag in einem persönlichen Gespräch mit der Beklagten zurück.
Mit Schreiben vom 17.11.2015 beantragte der Kläger eine Grenzerlaubnis für einen Flug von Bremgarten nach London und zurück für den Zeitraum vom 06. - 15.12.2015. Der Kläger begründete seinen Antrag damit, dass er „mehrere geschäftliche Termine in London wahrnehmen" müsse. Eine Zwischenlandung etwa auf dem als Grenzübertrittsstelle zugelassen Flughafen in Lahr sei mit „erheblichen organisatorischen, zeitlichen und finanziellen Nachteilen" verbunden. Zudem begründe die ungewisse Wettersituation im Dezember ein Sicherheitsrisiko bei einer Zwischenlandung. In der Vergangenheit seien ihm mehrfach Grenzerlaubnisse erteilt worden.
Nach vorheriger Anhörung des Klägers lehnte die Beklagte seinen Antrag mit Bescheid vom 03.12.2015 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, eine Grenzerlaubnis sei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu erteilen. Nach einer geänderten Dienstvorschrift sei fortan ein restriktiver Maßstab anzulegen. Danach liege ein Ausnahmefall nicht vor. Insbesondere habe der Kläger den behaupteten zeitlichen, finanziellen und organisatorischen Mehraufwand nicht näher substantiiert. Die frühere Erteilung von Grenzerlaubnissen begründe keinen Anspruch auf den Fortbestand dieser Verwaltungspraxis.
Den dagegen am 28.12.2015 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2017, zugegangen am 07.07.2017, zurück.
Am 07.08.2017 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er vorträgt, § 61 Abs. 3 BPolG als Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Grenzerlaubnis sei in den letzten Jahren nicht verändert worden. Aktuell bestehe bei ihm ein ähnliches besonderes Bedürfnis für die Erteilung der Grenzerlaubnis, wie bei den vorangegangenen und stets positiv beschiedenen Anträgen. Nach § 61 Abs. 3 BPolG genüge ein besonderes Bedürfnis für die Erteilung der Erlaubnis. Ein besonderes „öffentliches“ Bedürfnis sei nicht gefordert. Eine Zwischenlandung zur Grenzabfertigung sei mit erheblichen organisatorischen, zeitlichen und finanziellen Nachteilen verbunden. Letztere beliefen sich auf Zusatzkosten von ca. 200 EUR. Das Wetter im Dezember stelle ein Sicherheitsrisiko bei Zwischenlandungen dar. Wenn eine Grenzerlaubnis für Operationen im Ausland erteilt werde, müsse auch bei solchen Gefahren eine Erlaubnis erteilt werden, weil kein Unterschied zwischen eingetretenen Schäden und der Vermeidung zukünftiger Schäden gemacht werden dürfe. Außerdem gelte der von der Beklagten geltend gemachte restriktive Maßstab nicht, weil es unter Nr. 3.2 der Dienstvorschrift heiße „Bei der Prüfung ist ein restriktiver Maßstab anzusetzen und die Gründe, die zu einer in der Vergangenheit erfolgten Versagung oder einem Erlöschen der Grenzerlaubnis geführt haben, sind zu berücksichtigen“. Ein restriktiver Maßstab solle demnach nur dann zur Anwendung kommen, wenn bereits in der Vergangenheit eine Grenzerlaubnis versagt worden sei. Ihm sei die Grenzerlaubnis dagegen über Jahrzehnte erteilt worden.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2005 und deren Widerspruchsbescheid vom 04.07.2017 rechtswidrig waren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, die Klage sei unbegründet, denn die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig ergangen. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG für die Erteilung einer Grenzerlaubnis lägen nicht vor. Der Kläger habe kein besonderes Bedürfnis für die Erteilung einer Grenzerlaubnis vorgetragen und nachgewiesen. Geschäftstermine könnten in Ausnahmefällen, etwa bei besonderer Dringlichkeit und Arbeitsplatzrelevanz, ein besonderes Bedürfnis begründen. Der Kläger habe solche Termine indes nur behauptet, aber keinerlei Vortrag zur Substantiierung geleistet, sodass eine Nachprüfung der Beklagten nicht möglich gewesen sei. Nachdem es sich um eine geplante Reise gehandelt habe, sei auch nicht nachvollziehbar, warum ein anderer Reiseverlauf unzumutbar hätte sein sollen. Der finanzielle Mehraufwand von 200 EUR könne aufgrund seiner geringen Höhe generell kein besonderes Bedürfnis i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG darstellen. Ein besonderes Bedürfnis wegen der mit einer Zwischenlandung verbundenen zusätzlichen ökologischen Belastung habe der Kläger nicht näher spezifiziert. Im Übrigen gehe § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG generell von einem Überwiegen des Sicherheitsinteresses der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der ökologischen Zusatzbelastung bei einer Zwischenlandung aus. Selbiges gelte für den Zusatzaufwand einer Zwischenlandung. Es stehe dem Kläger frei, ein emissionsärmeres Fortbewegungsmittel als ein Flugzeug zu nutzen. Auch die schlechte Wetterlage begründe kein Bedürfnis für die Erteilung einer Grenzerlaubnis. Eine konkrete Unwettergefahr für den begehrten Reisezeitraum habe der Kläger nicht nachgewiesen. Zudem sei es dem Kläger auch möglich gewesen, sein Flugzeug direkt nach Lahr zu bringen und seinen Flug erst von dort aus zu starten. Schließlich sei London verkehrsmäßig auch anderweitig gut zu erreichen. Seit der Änderung der Verwaltungspraxis im Jahr 2015 habe die Beklagte erst einem Antrag auf Erteilung einer Grenzerlaubnis stattgegeben. Dabei handele es sich um eine als Honorarkonsul tätige Person, die als Mitglied mehrerer Aufsichts- und Beiräte von zentraler Bedeutung für die deutsche Wirtschaft und Wirtschaftspolitik sei. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung mit allen anderen Antragstellern könne dem Kläger darum keine Grenzerlaubnis erteilt werden. Außerdem stünden der Erteilung auch öffentliche Belange entgegen. So seien die Mehrkosten für die Grenzkontrolle in Bremgarten von der öffentlichen Hand zu tragen. Schließlich gewähre § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG der Beklagten ein weites Ermessen, dass sie zulasten des Klägers ausübe. Er könne sich nicht auf Aspekte des Vertrauensschutzes berufen und sei rechtzeitig auf die geänderte Verwaltungspraxis hingewiesen worden.
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Auf Nachfrage des Gerichts zur Natur seiner Termine und ihrem Anfall nach Verweigerung der Grenzerlaubnis erklärte der Kläger, die Termine seien akademischer und wirtschaftlicher Natur. Als Absolvent der Universität XXX pflege er die fruchtbaren Kontakte und nehme regelmäßig (meistens zweimal jährlich) an gesellschaftlichen Anlässen, Vorträgen und Seminaren teil. Dabei bringe er den anwesenden Entscheidern aus allen Bereichen den deutschen Blickwinkel zu historischen, tagespolitischen und ökonomischen Fragestellungen zu Gehör. Wirtschaftlich sei er als Vermögensverwalter der Familie tätig. Er nutze seine Kontakte und die weltweite Bedeutung des Finanzplatzes London regelmäßig, um sich Informationen aus erster Hand zu beschaffen und Produktvorstellungen beizuwohnen. Auch nach Versagung der Grenzerlaubnis sei er weiterhin in das Vereinigte Königreich geflogen, dann aber von Lahr aus, konkret am 03.12.2016, 25.05.2017 und 03.12.2017. Auch in Zukunft werde er jeweils Anfang Dezember sowie mindestens ein weiteres Mal pro Jahr nach Großbritannien fliegen. Ob der anstehende „Brexit“ daran etwas ändere, sei aktuell unklar. Weiter erklärte der Kläger, eine Zwischenlandung in Lahr sei ihm nicht unmöglich, aber nur schwerlich zumutbar. Im Dezember 2015 habe er das Flugzeug am Vortag der geplanten Reise von Bremgarten nach Lahr überstellen müssen, weil aus meteorologischen Gründen eine Zwischenlandung nicht sicher möglich gewesen wäre. Dadurch und durch den damit einhergehenden Transfer zu und von den Flughäfen sei ihm ein vermeidbarer zeitlicher Mehraufwand von 3,5 - 4 h entstanden. Der genannte finanzielle Mehraufwand von 200 EUR sei erheblich. Im Übrigen werde er ungleich gegenüber jener Person behandelt, der eine Grenzerlaubnis erteilt worden sei.
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Die Beklagte erklärte zu ihrer Vergabepraxis für Grenzerlaubnisse auf Nachfrage des Gerichts, dass seit dem 01.07.2015 Grenzerlaubnisse für 12 Flüge beantragt worden seien. Für acht Flüge habe sie Grenzerlaubnisse erteilt. Ein Antrag habe sich nach der Anhörung erledigt. Die übrigen Anträge seien abgelehnt worden. Ein besonderes Bedürfnis für die Erteilung einer Grenzerlaubnis sei nur in einem Fall festgestellt worden, bei zwei geschäftlichen Flügen eines Honorarkonsuls der Russischen Föderation nach Moskau und Jerewan. Sie sei insoweit an die Vorgabe ihrer vorgesetzten Behörde gebunden gewesen, bei dem Honorarkonsul regelmäßig von einem besonderen Bedürfnis auszugehen. Alle weiteren Grenzerlaubnisse seien als einmalige Kulanzentscheidungen jenen Personen gewährt worden, die in der Vergangenheit immer Grenzerlaubnisse erhalten hätten und von der geänderten Verfahrenslage bei Antragstellung nichts gewusst hätten, sodass sie sich nicht darauf hätten einstellen können, weil Grenzerlaubnisse regelmäßig nur wenige Tage vor dem beantragten Flug beantragt würden. Der Kläger habe bereits mit Anhörungsschreiben der Beklagten vom 20.05.2015 von der geänderten Verfahrenslage erfahren und sei darum bei Antragstellung im November 2015 nicht schutzwürdig gewesen.
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Dem Gericht liegen die Behördenakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten, die Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
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Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
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I. Die Klage ist nach entsprechender Konkretisierung des klägerischen Antrages in der mündlichen Verhandlung als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft und zulässig. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens stand dem nicht entgegen und das VG Stuttgart ist auch das örtlich zuständige Gericht.
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Mit Ablauf des geplanten Reisezeitraums (6. - 12.12.2015) hat sich der ursprüngliche Verpflichtungsantrag des Klägers vor der Klageerhebung erledigt. Sein tatsächliches Begehren, § 88 VwGO, geht darum nur noch dahin, die Rechtswidrigkeit der ablehnenden Behördenentscheidung feststellen zu lassen. Dieses Ziel lässt sich über eine Fortsetzungsfeststellungsklage in doppelter Analogie zu § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erreichen.
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1. Gemäß § 113 Abs. 1 VwGO hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (S. 1). Hat sich der Verwaltungsakt vorher erledigt, spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (S. 4). Aus der Stellung des § 113 VwGO im 8. Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung folgt systematisch, dass „vorher“ eine Erledigung im gerichtlichen Verfahren meint. Wegen der vergleichbaren Interessenlage und dem oftmals zufälligen Zeitpunkt, an dem die Erledigung eintritt, ist § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf diese Situationen entsprechend anwendbar (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2010 - 6 C 16.09 -, BVerwGE 138, 186, 190; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.2015 - 1 S 257/13 -, juris Rn. 23 jeweils m.w.N.).
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2. Zwar ist die vom Kläger begehrte Feststellung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit nach Erledigung nur für den Fall der Anfechtungsklage normiert, § 113 Abs. 1 VwGO. Die Regelungslücke in Bezug auf die Verpflichtungssituation ist jedoch planwidrig und die dortige Interessenlage mit jener des Anfechtungsklägers, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, vergleichbar (allg. Ansicht, vgl.: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 - 8 S 2245/10 -, juris Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 21.12.2010 - 7 C 23.09 -, juris Rn. 47).
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3. Das gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich aus einer Wiederholungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr liegt vor, wenn binnen absehbarer Zeit bei im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit einer gleichartigen negativen Entscheidung der Behörde zu rechnen ist (BVerwG, Beschluss vom 29.04.2008 - 1 WB 11.07 -, juris), die gerichtliche Entscheidung also von „richtungsweisender Bedeutung“ für das behördliche Handeln ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.02.1990 - 1 S 1646/89 -, juris Leitsatz 1). Das ist der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Behörde die Versagung der begehrten Erlaubnis oder die Untersagung des beabsichtigten Verhaltens voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 -, VBlBW 2012, 473; BVerfG, Beschluss vom 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris).
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Nach den glaubhaften Darlegungen des Klägers fliegt er seit Jahren regelmäßig mindestens einmal jährlich von Bremgarten nach London. Mit dieser Praxis, seiner beruflichen Tätigkeit als Vermögensverwalter und seinen akademischen Bindungen an die Universität XXX bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass er in absehbarer Zeit erneut einen solchen Flug beabsichtigen und dafür eine Grenzübertrittserlaubnis benötigen wird und dass ihm diese aus den identischen Erwägungen wie vorliegend verweigert würde.
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4. Die Beklagte hat ein Widerspruchsverfahren durchgeführt. Eines solchen hätte es vorliegend nicht bedurft, weil sich das Verpflichtungsbegehren bereits vor Einlegung des Widerspruches erledigt hatte (BVerwG, Urteil vom 09.02.1967 - 1 C 49.64 -, BVerwGE 26, 161-168 Leitsatz 1). Es war sogar unstatthaft (BVerwG, Urteil vom 12.04.2001 - 2 C 10.00 -, NVwZ 2001, 1288). Für die Zulässigkeit der hiesigen Klage war dieses „zuviel“ an gewährtem Rechtschutz gleichwohl unerheblich.
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5. Die örtliche Zuständigkeit des VG Stuttgart ergibt sich aus § 52 Nr. 2 S. 1, 2 VwGO. Danach ist für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat. Dies gilt entsprechend für Fortsetzungsfeststellungsklagen (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 52 Rn. 8; VG Freiburg, Beschluss vom 03.06.2013 - 4 K 896/13 -, juris). Bundespolizeibehörden sind gemäß § 57 Abs. 1 BPolG das Bundespolizeipräsidium, die Bundespolizeidirektionen und die Bundespolizeiakademie. In Rede steht vorliegend ein Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Stuttgart mit Sitz in Böblingen und damit im Gerichtsbezirk des VG Stuttgart, § 1 Abs. 2 AGVwGO i.V.m. § 12 Abs. 1 LVG.
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II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 04.07.2017 sind rechtmäßig ergangen. Die Beklagte hat die maßgebliche Vorschrift des § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG korrekt angewendet (1.) und auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG ergibt sich nicht die Rechtswidrigkeit der Versagung (2.).
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1. Das Überschreiten der deutschen Außengrenzen ist grundsätzlich nur an den zugelassenen Grenzübertrittsstellen zulässig, § 3 PassG. Wer demnach unzulässig die Grenze überschreitet, begeht eine Ordnungswidrigkeit, § 25 Abs. 3 Nr. 2 PassG.
27 
Ausnahmen vom Grenzübertrittsverbot sind durch andere Rechtsnormen und zwischenstaatliche Vereinbarungen möglich. Sie sind seit der Geltung des Schengener Abkommens (heute über Art. 1 Abs. 1 (VO (EG) Nr. 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) vom 09.03.2016) die Regel, weil sämtliche Landgrenzen Deutschlands so zu Binnengrenzen i.S.v. Art. 2 Nr. 1 a des Schengener Grenzkodex geworden sind. Für See- und Flugreisen mit dem Ziel, die Außengrenzen des Schengenraumes zu überschreiten, bleibt es jedoch beim Grundsatz des § 3 PassG (Erbs/Kohlhaas/Wache, PassG, § 3 Rn. 3).
28 
Eine weitere nach § 3 PassG zulässige Ausnahme für den Grenzübertritt außerhalb einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle ist eine Grenzübertrittserlaubnis nach § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG. Danach kann die Bundespolizei Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Dispensermächtigung (Drewes/Malmberg/Walter, BPolG, 5. Aufl., § 61 Rn. 13) sind nicht erfüllt, weil es dem Kläger an einem „besonderen Bedürfnis“ für die Erteilung der Grenzerlaubnis i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG fehlte.
29 
Bei dem „besonderen Bedürfnis“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite, der als solcher der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (st. Rspr. vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 - 1 BvR 419/81 -, juris; Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, § 114 Rn. 33 m.w.N.).
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Welche Interessen als besonderes Bedürfnis i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 PolG anzuerkennen sind, ist durch die Auslegung der Norm zu ermitteln. Der Begriff des „Bedürfnisses“ ist dabei nicht weiter beschränkt, sodass nicht nur „öffentliche“ Interessen die Erteilung einer Grenzschutzerlaubnis zu rechtfertigen vermögen, sondern grundsätzlich alle Interessen eines Antragstellers zu berücksichtigen sind.
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Nach dem Wortlaut ist eine Grenzerlaubnis nur bei einem „besonderen Bedürfnis“ zu erteilen. Gemeint ist eine materielle Interessenlage des Betroffenen, die vom allgemeinen Bedürfnis Reisender abweichen und sich von derjenigen anderer Personen unterscheiden muss (Wehr, in: Nomoskommentar BPolG, § 61 Rn. 5).
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Systematisch normiert § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG eine Ausnahme zum Verbot des § 3 PassG. Aus seiner Beschränkung des Grenzübertrittes auf bestimmte Orte („Grenzübertrittsstellen“) und Zeiten („Verkehrsstunden“) folgt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich jenen Aufwand als hinzunehmen erachtet, dessen es bedarf, um diese Vorgaben zu wahren. Weiter folgt aus dem Regel-/Ausnahmeverhältnis, dass § 61 Abs. 3 BPolG eng auszulegen ist, um die grundsätzliche Intention des Gesetzgebers nicht auszuhöhlen (vgl. allgemein zur engen Auslegung von Ausnahmevorschriften BVerwG, Urteil vom 25.01.2018 - 1 C 7.17 -, juris Rn. 16; und Beschluss vom 22.11.2016 - 1 B 117.16 -, juris Leitsatz 3 und Rn. 5).
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Systematisch ist weiter zu beachten, dass § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG nicht nur auf Tatbestandsseite einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält, sondern der Behörde auf der Rechtsfolgenseite auch Ermessen einräumt. Es handelt sich damit um eine sogenannte „Kopplungsvorschrift“ (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage, § 7 Rn. 48, Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Auflage, § 114 Rn. 31). Anders als bei anderen solchen Vorschriften führt diese Kopplung von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen vorliegend indes nicht dazu, dass das Ermessen entleert wird, weil sämtliche Gesichtspunkte bereits auf Tatbestandsseite zu berücksichtigen sind (so etwa bei § 35 Abs. 2 BauGB „öffentliche Belange“ - BVerwG, Urteil vom 29.04.1964 - 1 C 30.62 -, BVerwGE 18, 247 oder bei § 25 Abs. 6 BAföG „unbillige Härte“ - BVerwG, Urteil vom 17.07.1998 - 5 C 14.97 -, BVerwGE 107, 164) oder dass der Tatbestand das Ermessen zwingend determiniert (§ 131 AO 1919 „unbillig“ - Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70 -, BVerwGE 39, 355-374).
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Stattdessen enthält die Norm ein positives und ein negatives Tatbestandsmerkmal („besonderes Bedürfnis“ und „keine entgegenstehenden öffentlichen Interessen“) sowie Ermessen auf Rechtsfolgenseite. Aus dem gesetzgeberischen Dreischritt und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite nicht derart eng (beim „besonderen Bedürfnis“) oder weit (bei den „öffentlichen Belangen“) ausgelegt werden dürfen, dass kein Raum mehr für eine Ermessensentscheidung der Behörde bleibt.
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Historisch hat der Gesetzgeber das Bedürfnis für die Erteilung einer Grenzerlaubnis in bis heute nahezu wortgleichen Formulierungen zunächst in § 46 Abs. 3 BGSG und später in § 61 Abs. 3 BGSG, dem Vorläufer des heutigen § 61 Abs. 3 BPolG geregelt. In der Gesetzesbegründung zu § 46 BGSG (BT-Drs. VI/2886 S. 38 f.) heißt es:
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„In der Praxis hat es sich als notwendig erwiesen, das Überschreiten der Grenzen auch außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen zuzulassen, soweit dies nicht ohnehin gestattet ist, wie z. B. für Deutsche an der Demarkationslinie zur DDR. An den Auslandsgrenzen zeigt sich ein Bedürfnis dafür zum Beispiel bei Landwirten, die ihre jenseits der Grenzen gelegenen Felder bewirtschaften müssen, bei Teilnehmern an Festen oder anderen Veranstaltungen im Grenzgebiet sowie bei Geschäftsreisenden. Absatz 3 ermächtigt deshalb die Grenzschutzämter, einer bestimmten Person oder Personengruppe die Erlaubnis zu erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen oder außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. […] Überschreitet der Inhaber einer solchen Erlaubnis die Grenze im Rahmen der ihm erteilten Erlaubnis außerhalb einer zugelassenen Grenzübergangsstelle oder außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, so handelt er nicht rechtswidrig.“
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Weitere Ausführungen zur Frage, wann das besondere Bedürfnis anzunehmen ist, enthält die Gesetzesbegründung nicht.
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Mit der Internationalisierung und Unionalisierung des Schutzes der Außengrenzen durch den Schengenprozess ist auch die Erteilung einer Grenzübertrittserlaubnis inzwischen europarechtlich überformt. In Art. 5 des Schengener Grenzkodex heißt es:
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(1) Die Außengrenzen dürfen nur an den Grenzübergangsstellen und während der festgesetzten Verkehrsstunden überschritten werden. Die Verkehrsstunden sind an den Grenzübergangsstellen, die nicht rund um die Uhr geöffnet sind, deutlich anzugeben.
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Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission gemäß Artikel 39 die Liste ihrer Grenzübergangsstellen.
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(2) Abweichend von Absatz 1 können Ausnahmen von der Verpflichtung, die Außengrenzen nur an den Grenzübergangsstellen und während der festgesetzten Verkehrsstunden zu überschreiten, vorgesehen werden:
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a) für Personen oder Personengruppen, wenn eine besondere Notwendigkeit für das gelegentliche Überschreiten der Außengrenzen außerhalb der Grenzübergangsstellen oder der festgesetzten Verkehrsstunden vorliegt, sofern sie die nach nationalem Recht erforderlichen Genehmigungen mit sich führen und Belange der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit der Mitgliedstaaten nicht entgegenstehen. Die Mitgliedstaaten können in bilateralen Abkommen besondere Regeln hierfür festlegen. Die in nationalen Rechtsvorschriften und bilateralen Abkommen vorgesehenen allgemeinen Ausnahmen werden der Kommission gemäß Artikel 39 mitgeteilt;
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b) für Personen oder Personengruppen im Falle einer unvorhergesehenen Notlage;
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c) im Einklang mit den Sonderbestimmungen der Artikel 19 und 20 in Verbindung mit den Anhängen VI und VII.
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Auch insoweit ist die „besondere Notwendigkeit“ des Art. 5 Abs. 2 lit. a Grenzkodex nicht weiter legal definiert.
46 
Mit Blick auf die ratio des § 61 Abs. 3 BPolG ist zu beachten, dass mit der Versagung der Grenzübertrittserlaubnis nicht in Frage steht, ob der jeweilige Antragsteller überhaupt ausreisen darf, sondern lediglich, von welchem Flughafen aus er das tun darf. Weiter geht die ratio der Norm dahin, dem legitimen Interesse jedes Staates Rechnung zu tragen, Kenntnis von den sein Territorium unmittelbar betreffenden Migrationsbewegungen zu haben. Die Sicherung der unionalen Außengrenzen ist seine staats- und europarechtliche Aufgabe und Pflicht (vgl. Art. 8 ff. Schengener Grenzkodex). Um diese Pflicht erfüllen zu können, zentralisiert der Gesetzgeber die Grenzübertritte auf die zugelassenen Grenzübertrittsstellen und überträgt der Bundespolizei die Abwicklung des grenzpolizeilichen Schutzes der Bundesgrenzen, § 2 Abs. 1 BPolG einschließlich der Überprüfung der Grenzübertrittsberechtigung, § 2 Abs. 2 Nr. 2 a) BPolG.
47 
Diese originäre Staatsaufgabe ist mit organisatorischem und technischem Aufwand (etwa den benötigten Beamten und Geräten zur Passkontrolle und Grenzabfertigung) verbunden. Er ist aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten und liegt außerhalb der zugelassenen Grenzübertrittsstellen wegen der dort fehlenden Infrastruktur höher als an diesen. Die Zusatzkosten für die Abfertigung von Flugpassagieren außerhalb der offiziellen Grenzübertrittsstellen trägt nicht der Grenzübertrittsberechtigte. Eine Erstattung der zusätzlichen Kosten durch den privaten Nutznießer der öffentlichen Leistung, wie sie etwa § 3 Abs. 2 BPolG vorsieht, erfolgt bei Grenzerlaubnissen nach § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG gerade nicht. Dementsprechend geht die ratio des § 61 Abs. 3 S. 1 PolG auch dahin, den staatlichen Erfüllungsaufwand für die notwendige Grenzsicherung zu begrenzen.
48 
Nach alledem ist von einem „besonderes Bedürfnis“ auszugehen, wenn sich die materielle Interessenslage des Betroffenen von jener anderer Personen unterscheidet und seinen Interessen ein solches Gewicht zukommt, dass auch mit Blick auf die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und den Grundsatz des § 3 PassG die anderenfalls mit der Abfertigung an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle verbundenen Einschränkungen eine Ausnahme gerechtfertigt erscheinen lassen können.
49 
Ein solches besonderes Bedürfnis ergibt sich nicht aus dem zeitlichen, finanziellen und organisatorischen Zusatzaufwand, welcher dem Kläger daraus erwächst, den Flug nicht vom Standort seines Flugzeuges in Bremgarten antreten zu können (a.). Er ergibt sich auch nicht aus der damit einhergehenden zusätzlichen ökologischen Belastung (b.) und auch die akademischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen des Klägers vermögen nicht, ein besonderes Interesse zu begründen (c.).
50 
a. Der grundsätzlichen Eingrenzung der Grenzübertrittsstellen und -zeiten durch § 3 PassG ist es immanent, dass ein Grenzübertritt nicht in der freien räumlichen und zeitlichen Disposition des Bürgers steht, sondern dass er sich nach den ihm von der Polizei, § 2 BPolG, eingeräumten Möglichkeiten des Grenzübertrittes zu richten hat. Diese generelle Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begegnet im Grundsatz keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. zur ähnlich gelagerten Passpflicht aus § 7 PassG als Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG: BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 - 1 BvR 253/56 -, BVerfGE 6, 32-45 - Elfes).
51 
Dem ist es weiter immanent, dass jedem Grenzübertrittswilligen zusätzlicher zeitlicher, finanzieller und organisatorischer Aufwand aus dem Weg zur Grenzübertrittsstelle und der Einhaltung der dortigen Verkehrsstunden erwächst. Sie begründen jedenfalls solange kein „besonderes Bedürfnis“, wie dieser zusätzliche Aufwand nicht außer Verhältnis zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung steht. Das ist vorliegend nicht der Fall.
52 
Soweit der Kläger die zusätzlichen Überführungskosten für den Grenzübertritt an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle mit 200 EUR beziffert, liegt in ihrer Ersparnis kein besonderes Bedürfnis. Das ergibt sich zum einen aus dem Verhältnis dieses Betrages zu den Gesamtkosten einer Flugreise im eigenen Flugzeug, insbesondere seinen Anschaffungs-, Wartungs- und Unterhaltskosten, sowie den Kosten seiner Stationierung. Es folgt weiter daraus, dass es der freien Disposition des Klägers obliegt, wo er sein Flugzeug stationiert. Wählt er einen Flughafen, der nicht als offizielle Grenzübertrittsstelle anerkannt ist, ist dies für ihn mit anderweitigen Vorteilen verbunden, etwa einem kürzeren Anfahrtsweg, geringerem Verkehrsaufkommen, besseren Anflugbedingungen oder einer geringeren Stellplatzmiete wegen des Standortnachteils der fehlenden Grenzübertrittsstelle. Kommt der Kläger so in den Genuss der Vorteile seiner Stationierungsentscheidung, hat er aber grundsätzlich auch deren Nachteile zu tragen.
53 
Der vom Kläger geltend gemachte zusätzliche zeitliche und organisatorische Aufwand von 3,5 - 4 h vermag ebenfalls kein „besonderes Bedürfnis“ nach § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG zu begründen. Auch insoweit ist zu beachten, dass die gesetzliche Regelung einen Zusatzaufwand grundsätzlich für zulässig erachtet, ohne insoweit rechtlichen Bedenken zu begegnen und dass das „ob“ und der Umfang dieses Mehraufwandes maßgeblich auf der Stationierungsentscheidung des Klägers beruhen.
54 
Im Übrigen steht ein solcher Mehraufwand nach dem Dafürhalten der Kammer nicht derart außer Verhältnis zum erstrebten Nutzen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, dass er unzumutbar wäre. Die Termine des Klägers fallen regelmäßig im Mai und Anfang Dezember eines Jahres an. Seine Reisen sind damit planbar. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist weder aus dem Vortrag des Klägers noch anderweitig ersichtlich.
55 
b. Auch soweit der Kläger die vermeidbare ökologische Zusatzbelastung durch die Abfertigung an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle geltend macht, ergibt sich daraus kein „besonderes Bedürfnis“ i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG.
56 
Zum einen fällt diese Zusatzbelastung bei jeder Reise an, die nicht von einer allgemein zugelassenen Grenzübertrittsstelle aus angetreten wird. Sie ist damit bereits vom rechtlich unbedenklichen Grundsatz des § 3 PassG erfasst. Zum zweiten ist die Zusatzbelastung ein allgemeiner und kein „besonderer“ Umstand. Er unterscheidet das Reisevorhaben des Klägers in keiner Weise von jenem anderer Personen. Zum dritten fällt eine ökologische Zusatzbelastung auch bei Erteilung der begehrten Grenzübertrittserlaubnis (wenn auch ggf. in geringerem Umfang) an. Sie wird dann lediglich auf die staatlichen Stellen als Verursacher verlagert, weil sich die Beamten in diesem Fall zur Grenzabfertigung von ihrem Dienstsitz zum Flughafen Bremgarten begeben müssen. Schließlich sind auch keine derart schwerwiegenden ökologischen Zusatzbelastungen geltend gemacht oder ersichtlich, dass sie völlig außer Verhältnis zum erstrebten Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stünden.
57 
c. Auch die akademischen, ökonomischen und wirtschaftlichen Verpflichtungen des Klägers begründen kein „besonderes Bedürfnis“ für eine Grenzübertrittserlaubnis i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG.
58 
Einerseits ist mit Blick auf die Gesetzesbegründung zur Vorgängernorm des § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG, § 46 BGSG, festzuhalten, dass Geschäftsreisen im Einzelfall ein „besonderes Bedürfnis“ i.S.d. Norm begründen können. Andererseits ist auch insoweit davon auszugehen, dass jeder Grenzübertrittswillige seine Reise aus einem bestimmten Grund antritt. Das Bestehen akademischer, sozialer oder wirtschaftlicher Interessen als solches begründet dementsprechend einen allgemeinen und keinen besonderen Umstand. Auch die konkreten Interessen des Klägers im Einzelfall vermögen nicht, diese Wertung zu ändern.
59 
Der Kläger beruft sich auf wirtschaftliche, akademische und gesellschaftliche Interessen, welche er in Großbritannien verfolge. Dass diesen ein besonderes Gewicht und eine besondere Dringlichkeit zukommt und dass die mit der Abfertigung an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle verbundene Verzögerung und der damit einhergehende Mehraufwand ihren Gesamterfolg wenn nicht vereiteln so doch unzumutbar erschweren würde, ist nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bereits nach dem Vortrag des Klägers um regelmäßig stattfindende und zumindest mittelfristig absehbare Termine, was im Übrigen auch die Konstanz der klägerischen Reisen, jeweils im Mai sowie Anfang Dezember eines Jahres, belegt. Das ermöglicht es dem Kläger seine Reisen vorzubereiten und zu planen und dabei ggf. notwendige Zwischenlandungen zu berücksichtigen.
60 
2. Die Rechtswidrigkeit der behördlichen Versagung ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das folgt schon daraus, dass selbst die rechtswidrige Erteilung der Grenzerlaubnisse an andere Antragsteller keinen Anspruch des Klägers begründete, ebenfalls eine Grenzerlaubnis erteilt zu bekommen (a.). Im Übrigen erteilte die Beklagte aller Voraussicht nach auch weder dem Honorarkonsul der Russischen Föderation (b.) noch den „kulanzhalber“ begünstigten Antragstellern (c.) ihre Grenzerlaubnisse gleichheitswidrig.
61 
a. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Daraus folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG, Beschluss vom 15.07.1998 - 1 BvR 1554/89 -, BVerfGE 98, 365, 385; BVerfG, Beschluss vom 21.06.2006 - 2 BvL 2/99 -, BVerfGE 116, 164, 180; BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015 - 2 BvL 1/12 -, BVerfGE 141, 1, 38). Art. 3 Abs. 1 GG verbietet damit ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 23.05.2017 - 2 BvR 883/14 -, juris Rn. 81 m.w.N.).
62 
Allerdings ergibt sich aus dem Gleichheitssatz kein Anspruch auf eine Perpetuierung rechtswidrigen Vorgehens. Er gebietet nur gleiches Recht im Recht, nicht aber gleiches Recht im Unrecht (BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvL 25/77 -, BVerfGE 50, 142-166, juris Rn. 59; BVerwG, Urteil vom 22.07.2015 - 8 C 7.14 -, BVerwGE 152, 31).
63 
b. Mit dem Antrag des Honorarkonsuls der Russischen Föderation wurde gegenüber jenem des Klägers bereits nicht „wesentlich Gleiches“ ungleich behandelt, sondern Verschiedenes. Das Tatbestandsmerkmal des „besonderen Bedürfnisses“ in § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG dient gerade dazu, die jeweils individuelle Interessenlage eines jeden Antragstellers bewerten zu können. Welche Interessen konkret zur Erteilung der Grenzerlaubnis an den Honorarkonsul geführt haben, ist dabei unerheblich. Dass er mit seinen Reisen wesentlich identische Interessen verfolgte wie der Kläger, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen waren für die Bejahung eines besonderen Bedürfnisses insoweit möglicherweise auch diplomatische Gründe mitbestimmend.
64 
c. Die einmalige positive Bescheidung anderer Antragsteller aus Kulanz durch die Beklagte verstieß nicht gegen den Gleichheitssatz, weil die Beklagte bei der Frage, wem eine Grenzerlaubnis zu erteilen war, sachgerecht differenzierte und die Ungleichbehandlung so jedenfalls gerechtfertigt war.
65 
Art. 3 Abs. 1 GG untersagt Differenzierungen nicht pauschal. Sie bedürfen jedoch der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 - 1 BvL 7/14 -, juris Rn. 69). Als Unterscheidungsmerkmal für die Erteilung der Grenzerlaubnis wählte die Beklagte insoweit die Kurzfristigkeit des Antrages und die Vorkenntnis der jeweiligen Antragsteller von der geänderten Behördenpraxis. Dies ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger war die geänderte Verwaltungspraxis bereits seit Mai 2015 bekannt, sodass er im Dezember 2015 nicht mehr mit einer positiven Bescheidung seines Antrags rechnen konnte.
66 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
67 
Die Berufung ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 124 a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Gründe

 
16 
Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
17 
I. Die Klage ist nach entsprechender Konkretisierung des klägerischen Antrages in der mündlichen Verhandlung als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft und zulässig. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens stand dem nicht entgegen und das VG Stuttgart ist auch das örtlich zuständige Gericht.
18 
Mit Ablauf des geplanten Reisezeitraums (6. - 12.12.2015) hat sich der ursprüngliche Verpflichtungsantrag des Klägers vor der Klageerhebung erledigt. Sein tatsächliches Begehren, § 88 VwGO, geht darum nur noch dahin, die Rechtswidrigkeit der ablehnenden Behördenentscheidung feststellen zu lassen. Dieses Ziel lässt sich über eine Fortsetzungsfeststellungsklage in doppelter Analogie zu § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erreichen.
19 
1. Gemäß § 113 Abs. 1 VwGO hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (S. 1). Hat sich der Verwaltungsakt vorher erledigt, spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (S. 4). Aus der Stellung des § 113 VwGO im 8. Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung folgt systematisch, dass „vorher“ eine Erledigung im gerichtlichen Verfahren meint. Wegen der vergleichbaren Interessenlage und dem oftmals zufälligen Zeitpunkt, an dem die Erledigung eintritt, ist § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf diese Situationen entsprechend anwendbar (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2010 - 6 C 16.09 -, BVerwGE 138, 186, 190; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.2015 - 1 S 257/13 -, juris Rn. 23 jeweils m.w.N.).
20 
2. Zwar ist die vom Kläger begehrte Feststellung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit nach Erledigung nur für den Fall der Anfechtungsklage normiert, § 113 Abs. 1 VwGO. Die Regelungslücke in Bezug auf die Verpflichtungssituation ist jedoch planwidrig und die dortige Interessenlage mit jener des Anfechtungsklägers, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, vergleichbar (allg. Ansicht, vgl.: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 - 8 S 2245/10 -, juris Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 21.12.2010 - 7 C 23.09 -, juris Rn. 47).
21 
3. Das gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich aus einer Wiederholungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr liegt vor, wenn binnen absehbarer Zeit bei im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit einer gleichartigen negativen Entscheidung der Behörde zu rechnen ist (BVerwG, Beschluss vom 29.04.2008 - 1 WB 11.07 -, juris), die gerichtliche Entscheidung also von „richtungsweisender Bedeutung“ für das behördliche Handeln ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.02.1990 - 1 S 1646/89 -, juris Leitsatz 1). Das ist der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Behörde die Versagung der begehrten Erlaubnis oder die Untersagung des beabsichtigten Verhaltens voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 -, VBlBW 2012, 473; BVerfG, Beschluss vom 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris).
22 
Nach den glaubhaften Darlegungen des Klägers fliegt er seit Jahren regelmäßig mindestens einmal jährlich von Bremgarten nach London. Mit dieser Praxis, seiner beruflichen Tätigkeit als Vermögensverwalter und seinen akademischen Bindungen an die Universität XXX bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass er in absehbarer Zeit erneut einen solchen Flug beabsichtigen und dafür eine Grenzübertrittserlaubnis benötigen wird und dass ihm diese aus den identischen Erwägungen wie vorliegend verweigert würde.
23 
4. Die Beklagte hat ein Widerspruchsverfahren durchgeführt. Eines solchen hätte es vorliegend nicht bedurft, weil sich das Verpflichtungsbegehren bereits vor Einlegung des Widerspruches erledigt hatte (BVerwG, Urteil vom 09.02.1967 - 1 C 49.64 -, BVerwGE 26, 161-168 Leitsatz 1). Es war sogar unstatthaft (BVerwG, Urteil vom 12.04.2001 - 2 C 10.00 -, NVwZ 2001, 1288). Für die Zulässigkeit der hiesigen Klage war dieses „zuviel“ an gewährtem Rechtschutz gleichwohl unerheblich.
24 
5. Die örtliche Zuständigkeit des VG Stuttgart ergibt sich aus § 52 Nr. 2 S. 1, 2 VwGO. Danach ist für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat. Dies gilt entsprechend für Fortsetzungsfeststellungsklagen (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 52 Rn. 8; VG Freiburg, Beschluss vom 03.06.2013 - 4 K 896/13 -, juris). Bundespolizeibehörden sind gemäß § 57 Abs. 1 BPolG das Bundespolizeipräsidium, die Bundespolizeidirektionen und die Bundespolizeiakademie. In Rede steht vorliegend ein Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Stuttgart mit Sitz in Böblingen und damit im Gerichtsbezirk des VG Stuttgart, § 1 Abs. 2 AGVwGO i.V.m. § 12 Abs. 1 LVG.
25 
II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 04.07.2017 sind rechtmäßig ergangen. Die Beklagte hat die maßgebliche Vorschrift des § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG korrekt angewendet (1.) und auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG ergibt sich nicht die Rechtswidrigkeit der Versagung (2.).
26 
1. Das Überschreiten der deutschen Außengrenzen ist grundsätzlich nur an den zugelassenen Grenzübertrittsstellen zulässig, § 3 PassG. Wer demnach unzulässig die Grenze überschreitet, begeht eine Ordnungswidrigkeit, § 25 Abs. 3 Nr. 2 PassG.
27 
Ausnahmen vom Grenzübertrittsverbot sind durch andere Rechtsnormen und zwischenstaatliche Vereinbarungen möglich. Sie sind seit der Geltung des Schengener Abkommens (heute über Art. 1 Abs. 1 (VO (EG) Nr. 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) vom 09.03.2016) die Regel, weil sämtliche Landgrenzen Deutschlands so zu Binnengrenzen i.S.v. Art. 2 Nr. 1 a des Schengener Grenzkodex geworden sind. Für See- und Flugreisen mit dem Ziel, die Außengrenzen des Schengenraumes zu überschreiten, bleibt es jedoch beim Grundsatz des § 3 PassG (Erbs/Kohlhaas/Wache, PassG, § 3 Rn. 3).
28 
Eine weitere nach § 3 PassG zulässige Ausnahme für den Grenzübertritt außerhalb einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle ist eine Grenzübertrittserlaubnis nach § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG. Danach kann die Bundespolizei Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Dispensermächtigung (Drewes/Malmberg/Walter, BPolG, 5. Aufl., § 61 Rn. 13) sind nicht erfüllt, weil es dem Kläger an einem „besonderen Bedürfnis“ für die Erteilung der Grenzerlaubnis i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG fehlte.
29 
Bei dem „besonderen Bedürfnis“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite, der als solcher der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (st. Rspr. vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 - 1 BvR 419/81 -, juris; Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, § 114 Rn. 33 m.w.N.).
30 
Welche Interessen als besonderes Bedürfnis i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 PolG anzuerkennen sind, ist durch die Auslegung der Norm zu ermitteln. Der Begriff des „Bedürfnisses“ ist dabei nicht weiter beschränkt, sodass nicht nur „öffentliche“ Interessen die Erteilung einer Grenzschutzerlaubnis zu rechtfertigen vermögen, sondern grundsätzlich alle Interessen eines Antragstellers zu berücksichtigen sind.
31 
Nach dem Wortlaut ist eine Grenzerlaubnis nur bei einem „besonderen Bedürfnis“ zu erteilen. Gemeint ist eine materielle Interessenlage des Betroffenen, die vom allgemeinen Bedürfnis Reisender abweichen und sich von derjenigen anderer Personen unterscheiden muss (Wehr, in: Nomoskommentar BPolG, § 61 Rn. 5).
32 
Systematisch normiert § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG eine Ausnahme zum Verbot des § 3 PassG. Aus seiner Beschränkung des Grenzübertrittes auf bestimmte Orte („Grenzübertrittsstellen“) und Zeiten („Verkehrsstunden“) folgt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich jenen Aufwand als hinzunehmen erachtet, dessen es bedarf, um diese Vorgaben zu wahren. Weiter folgt aus dem Regel-/Ausnahmeverhältnis, dass § 61 Abs. 3 BPolG eng auszulegen ist, um die grundsätzliche Intention des Gesetzgebers nicht auszuhöhlen (vgl. allgemein zur engen Auslegung von Ausnahmevorschriften BVerwG, Urteil vom 25.01.2018 - 1 C 7.17 -, juris Rn. 16; und Beschluss vom 22.11.2016 - 1 B 117.16 -, juris Leitsatz 3 und Rn. 5).
33 
Systematisch ist weiter zu beachten, dass § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG nicht nur auf Tatbestandsseite einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält, sondern der Behörde auf der Rechtsfolgenseite auch Ermessen einräumt. Es handelt sich damit um eine sogenannte „Kopplungsvorschrift“ (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage, § 7 Rn. 48, Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Auflage, § 114 Rn. 31). Anders als bei anderen solchen Vorschriften führt diese Kopplung von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen vorliegend indes nicht dazu, dass das Ermessen entleert wird, weil sämtliche Gesichtspunkte bereits auf Tatbestandsseite zu berücksichtigen sind (so etwa bei § 35 Abs. 2 BauGB „öffentliche Belange“ - BVerwG, Urteil vom 29.04.1964 - 1 C 30.62 -, BVerwGE 18, 247 oder bei § 25 Abs. 6 BAföG „unbillige Härte“ - BVerwG, Urteil vom 17.07.1998 - 5 C 14.97 -, BVerwGE 107, 164) oder dass der Tatbestand das Ermessen zwingend determiniert (§ 131 AO 1919 „unbillig“ - Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70 -, BVerwGE 39, 355-374).
34 
Stattdessen enthält die Norm ein positives und ein negatives Tatbestandsmerkmal („besonderes Bedürfnis“ und „keine entgegenstehenden öffentlichen Interessen“) sowie Ermessen auf Rechtsfolgenseite. Aus dem gesetzgeberischen Dreischritt und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite nicht derart eng (beim „besonderen Bedürfnis“) oder weit (bei den „öffentlichen Belangen“) ausgelegt werden dürfen, dass kein Raum mehr für eine Ermessensentscheidung der Behörde bleibt.
35 
Historisch hat der Gesetzgeber das Bedürfnis für die Erteilung einer Grenzerlaubnis in bis heute nahezu wortgleichen Formulierungen zunächst in § 46 Abs. 3 BGSG und später in § 61 Abs. 3 BGSG, dem Vorläufer des heutigen § 61 Abs. 3 BPolG geregelt. In der Gesetzesbegründung zu § 46 BGSG (BT-Drs. VI/2886 S. 38 f.) heißt es:
36 
„In der Praxis hat es sich als notwendig erwiesen, das Überschreiten der Grenzen auch außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen zuzulassen, soweit dies nicht ohnehin gestattet ist, wie z. B. für Deutsche an der Demarkationslinie zur DDR. An den Auslandsgrenzen zeigt sich ein Bedürfnis dafür zum Beispiel bei Landwirten, die ihre jenseits der Grenzen gelegenen Felder bewirtschaften müssen, bei Teilnehmern an Festen oder anderen Veranstaltungen im Grenzgebiet sowie bei Geschäftsreisenden. Absatz 3 ermächtigt deshalb die Grenzschutzämter, einer bestimmten Person oder Personengruppe die Erlaubnis zu erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen oder außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. […] Überschreitet der Inhaber einer solchen Erlaubnis die Grenze im Rahmen der ihm erteilten Erlaubnis außerhalb einer zugelassenen Grenzübergangsstelle oder außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, so handelt er nicht rechtswidrig.“
37 
Weitere Ausführungen zur Frage, wann das besondere Bedürfnis anzunehmen ist, enthält die Gesetzesbegründung nicht.
38 
Mit der Internationalisierung und Unionalisierung des Schutzes der Außengrenzen durch den Schengenprozess ist auch die Erteilung einer Grenzübertrittserlaubnis inzwischen europarechtlich überformt. In Art. 5 des Schengener Grenzkodex heißt es:
39 
(1) Die Außengrenzen dürfen nur an den Grenzübergangsstellen und während der festgesetzten Verkehrsstunden überschritten werden. Die Verkehrsstunden sind an den Grenzübergangsstellen, die nicht rund um die Uhr geöffnet sind, deutlich anzugeben.
40 
Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission gemäß Artikel 39 die Liste ihrer Grenzübergangsstellen.
41 
(2) Abweichend von Absatz 1 können Ausnahmen von der Verpflichtung, die Außengrenzen nur an den Grenzübergangsstellen und während der festgesetzten Verkehrsstunden zu überschreiten, vorgesehen werden:
42 
a) für Personen oder Personengruppen, wenn eine besondere Notwendigkeit für das gelegentliche Überschreiten der Außengrenzen außerhalb der Grenzübergangsstellen oder der festgesetzten Verkehrsstunden vorliegt, sofern sie die nach nationalem Recht erforderlichen Genehmigungen mit sich führen und Belange der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit der Mitgliedstaaten nicht entgegenstehen. Die Mitgliedstaaten können in bilateralen Abkommen besondere Regeln hierfür festlegen. Die in nationalen Rechtsvorschriften und bilateralen Abkommen vorgesehenen allgemeinen Ausnahmen werden der Kommission gemäß Artikel 39 mitgeteilt;
43 
b) für Personen oder Personengruppen im Falle einer unvorhergesehenen Notlage;
44 
c) im Einklang mit den Sonderbestimmungen der Artikel 19 und 20 in Verbindung mit den Anhängen VI und VII.
45 
Auch insoweit ist die „besondere Notwendigkeit“ des Art. 5 Abs. 2 lit. a Grenzkodex nicht weiter legal definiert.
46 
Mit Blick auf die ratio des § 61 Abs. 3 BPolG ist zu beachten, dass mit der Versagung der Grenzübertrittserlaubnis nicht in Frage steht, ob der jeweilige Antragsteller überhaupt ausreisen darf, sondern lediglich, von welchem Flughafen aus er das tun darf. Weiter geht die ratio der Norm dahin, dem legitimen Interesse jedes Staates Rechnung zu tragen, Kenntnis von den sein Territorium unmittelbar betreffenden Migrationsbewegungen zu haben. Die Sicherung der unionalen Außengrenzen ist seine staats- und europarechtliche Aufgabe und Pflicht (vgl. Art. 8 ff. Schengener Grenzkodex). Um diese Pflicht erfüllen zu können, zentralisiert der Gesetzgeber die Grenzübertritte auf die zugelassenen Grenzübertrittsstellen und überträgt der Bundespolizei die Abwicklung des grenzpolizeilichen Schutzes der Bundesgrenzen, § 2 Abs. 1 BPolG einschließlich der Überprüfung der Grenzübertrittsberechtigung, § 2 Abs. 2 Nr. 2 a) BPolG.
47 
Diese originäre Staatsaufgabe ist mit organisatorischem und technischem Aufwand (etwa den benötigten Beamten und Geräten zur Passkontrolle und Grenzabfertigung) verbunden. Er ist aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten und liegt außerhalb der zugelassenen Grenzübertrittsstellen wegen der dort fehlenden Infrastruktur höher als an diesen. Die Zusatzkosten für die Abfertigung von Flugpassagieren außerhalb der offiziellen Grenzübertrittsstellen trägt nicht der Grenzübertrittsberechtigte. Eine Erstattung der zusätzlichen Kosten durch den privaten Nutznießer der öffentlichen Leistung, wie sie etwa § 3 Abs. 2 BPolG vorsieht, erfolgt bei Grenzerlaubnissen nach § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG gerade nicht. Dementsprechend geht die ratio des § 61 Abs. 3 S. 1 PolG auch dahin, den staatlichen Erfüllungsaufwand für die notwendige Grenzsicherung zu begrenzen.
48 
Nach alledem ist von einem „besonderes Bedürfnis“ auszugehen, wenn sich die materielle Interessenslage des Betroffenen von jener anderer Personen unterscheidet und seinen Interessen ein solches Gewicht zukommt, dass auch mit Blick auf die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und den Grundsatz des § 3 PassG die anderenfalls mit der Abfertigung an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle verbundenen Einschränkungen eine Ausnahme gerechtfertigt erscheinen lassen können.
49 
Ein solches besonderes Bedürfnis ergibt sich nicht aus dem zeitlichen, finanziellen und organisatorischen Zusatzaufwand, welcher dem Kläger daraus erwächst, den Flug nicht vom Standort seines Flugzeuges in Bremgarten antreten zu können (a.). Er ergibt sich auch nicht aus der damit einhergehenden zusätzlichen ökologischen Belastung (b.) und auch die akademischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen des Klägers vermögen nicht, ein besonderes Interesse zu begründen (c.).
50 
a. Der grundsätzlichen Eingrenzung der Grenzübertrittsstellen und -zeiten durch § 3 PassG ist es immanent, dass ein Grenzübertritt nicht in der freien räumlichen und zeitlichen Disposition des Bürgers steht, sondern dass er sich nach den ihm von der Polizei, § 2 BPolG, eingeräumten Möglichkeiten des Grenzübertrittes zu richten hat. Diese generelle Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begegnet im Grundsatz keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. zur ähnlich gelagerten Passpflicht aus § 7 PassG als Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG: BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 - 1 BvR 253/56 -, BVerfGE 6, 32-45 - Elfes).
51 
Dem ist es weiter immanent, dass jedem Grenzübertrittswilligen zusätzlicher zeitlicher, finanzieller und organisatorischer Aufwand aus dem Weg zur Grenzübertrittsstelle und der Einhaltung der dortigen Verkehrsstunden erwächst. Sie begründen jedenfalls solange kein „besonderes Bedürfnis“, wie dieser zusätzliche Aufwand nicht außer Verhältnis zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung steht. Das ist vorliegend nicht der Fall.
52 
Soweit der Kläger die zusätzlichen Überführungskosten für den Grenzübertritt an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle mit 200 EUR beziffert, liegt in ihrer Ersparnis kein besonderes Bedürfnis. Das ergibt sich zum einen aus dem Verhältnis dieses Betrages zu den Gesamtkosten einer Flugreise im eigenen Flugzeug, insbesondere seinen Anschaffungs-, Wartungs- und Unterhaltskosten, sowie den Kosten seiner Stationierung. Es folgt weiter daraus, dass es der freien Disposition des Klägers obliegt, wo er sein Flugzeug stationiert. Wählt er einen Flughafen, der nicht als offizielle Grenzübertrittsstelle anerkannt ist, ist dies für ihn mit anderweitigen Vorteilen verbunden, etwa einem kürzeren Anfahrtsweg, geringerem Verkehrsaufkommen, besseren Anflugbedingungen oder einer geringeren Stellplatzmiete wegen des Standortnachteils der fehlenden Grenzübertrittsstelle. Kommt der Kläger so in den Genuss der Vorteile seiner Stationierungsentscheidung, hat er aber grundsätzlich auch deren Nachteile zu tragen.
53 
Der vom Kläger geltend gemachte zusätzliche zeitliche und organisatorische Aufwand von 3,5 - 4 h vermag ebenfalls kein „besonderes Bedürfnis“ nach § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG zu begründen. Auch insoweit ist zu beachten, dass die gesetzliche Regelung einen Zusatzaufwand grundsätzlich für zulässig erachtet, ohne insoweit rechtlichen Bedenken zu begegnen und dass das „ob“ und der Umfang dieses Mehraufwandes maßgeblich auf der Stationierungsentscheidung des Klägers beruhen.
54 
Im Übrigen steht ein solcher Mehraufwand nach dem Dafürhalten der Kammer nicht derart außer Verhältnis zum erstrebten Nutzen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, dass er unzumutbar wäre. Die Termine des Klägers fallen regelmäßig im Mai und Anfang Dezember eines Jahres an. Seine Reisen sind damit planbar. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist weder aus dem Vortrag des Klägers noch anderweitig ersichtlich.
55 
b. Auch soweit der Kläger die vermeidbare ökologische Zusatzbelastung durch die Abfertigung an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle geltend macht, ergibt sich daraus kein „besonderes Bedürfnis“ i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG.
56 
Zum einen fällt diese Zusatzbelastung bei jeder Reise an, die nicht von einer allgemein zugelassenen Grenzübertrittsstelle aus angetreten wird. Sie ist damit bereits vom rechtlich unbedenklichen Grundsatz des § 3 PassG erfasst. Zum zweiten ist die Zusatzbelastung ein allgemeiner und kein „besonderer“ Umstand. Er unterscheidet das Reisevorhaben des Klägers in keiner Weise von jenem anderer Personen. Zum dritten fällt eine ökologische Zusatzbelastung auch bei Erteilung der begehrten Grenzübertrittserlaubnis (wenn auch ggf. in geringerem Umfang) an. Sie wird dann lediglich auf die staatlichen Stellen als Verursacher verlagert, weil sich die Beamten in diesem Fall zur Grenzabfertigung von ihrem Dienstsitz zum Flughafen Bremgarten begeben müssen. Schließlich sind auch keine derart schwerwiegenden ökologischen Zusatzbelastungen geltend gemacht oder ersichtlich, dass sie völlig außer Verhältnis zum erstrebten Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stünden.
57 
c. Auch die akademischen, ökonomischen und wirtschaftlichen Verpflichtungen des Klägers begründen kein „besonderes Bedürfnis“ für eine Grenzübertrittserlaubnis i.S.v. § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG.
58 
Einerseits ist mit Blick auf die Gesetzesbegründung zur Vorgängernorm des § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG, § 46 BGSG, festzuhalten, dass Geschäftsreisen im Einzelfall ein „besonderes Bedürfnis“ i.S.d. Norm begründen können. Andererseits ist auch insoweit davon auszugehen, dass jeder Grenzübertrittswillige seine Reise aus einem bestimmten Grund antritt. Das Bestehen akademischer, sozialer oder wirtschaftlicher Interessen als solches begründet dementsprechend einen allgemeinen und keinen besonderen Umstand. Auch die konkreten Interessen des Klägers im Einzelfall vermögen nicht, diese Wertung zu ändern.
59 
Der Kläger beruft sich auf wirtschaftliche, akademische und gesellschaftliche Interessen, welche er in Großbritannien verfolge. Dass diesen ein besonderes Gewicht und eine besondere Dringlichkeit zukommt und dass die mit der Abfertigung an einer zugelassenen Grenzübertrittsstelle verbundene Verzögerung und der damit einhergehende Mehraufwand ihren Gesamterfolg wenn nicht vereiteln so doch unzumutbar erschweren würde, ist nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bereits nach dem Vortrag des Klägers um regelmäßig stattfindende und zumindest mittelfristig absehbare Termine, was im Übrigen auch die Konstanz der klägerischen Reisen, jeweils im Mai sowie Anfang Dezember eines Jahres, belegt. Das ermöglicht es dem Kläger seine Reisen vorzubereiten und zu planen und dabei ggf. notwendige Zwischenlandungen zu berücksichtigen.
60 
2. Die Rechtswidrigkeit der behördlichen Versagung ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das folgt schon daraus, dass selbst die rechtswidrige Erteilung der Grenzerlaubnisse an andere Antragsteller keinen Anspruch des Klägers begründete, ebenfalls eine Grenzerlaubnis erteilt zu bekommen (a.). Im Übrigen erteilte die Beklagte aller Voraussicht nach auch weder dem Honorarkonsul der Russischen Föderation (b.) noch den „kulanzhalber“ begünstigten Antragstellern (c.) ihre Grenzerlaubnisse gleichheitswidrig.
61 
a. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Daraus folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG, Beschluss vom 15.07.1998 - 1 BvR 1554/89 -, BVerfGE 98, 365, 385; BVerfG, Beschluss vom 21.06.2006 - 2 BvL 2/99 -, BVerfGE 116, 164, 180; BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015 - 2 BvL 1/12 -, BVerfGE 141, 1, 38). Art. 3 Abs. 1 GG verbietet damit ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 23.05.2017 - 2 BvR 883/14 -, juris Rn. 81 m.w.N.).
62 
Allerdings ergibt sich aus dem Gleichheitssatz kein Anspruch auf eine Perpetuierung rechtswidrigen Vorgehens. Er gebietet nur gleiches Recht im Recht, nicht aber gleiches Recht im Unrecht (BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvL 25/77 -, BVerfGE 50, 142-166, juris Rn. 59; BVerwG, Urteil vom 22.07.2015 - 8 C 7.14 -, BVerwGE 152, 31).
63 
b. Mit dem Antrag des Honorarkonsuls der Russischen Föderation wurde gegenüber jenem des Klägers bereits nicht „wesentlich Gleiches“ ungleich behandelt, sondern Verschiedenes. Das Tatbestandsmerkmal des „besonderen Bedürfnisses“ in § 61 Abs. 3 S. 1 BPolG dient gerade dazu, die jeweils individuelle Interessenlage eines jeden Antragstellers bewerten zu können. Welche Interessen konkret zur Erteilung der Grenzerlaubnis an den Honorarkonsul geführt haben, ist dabei unerheblich. Dass er mit seinen Reisen wesentlich identische Interessen verfolgte wie der Kläger, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen waren für die Bejahung eines besonderen Bedürfnisses insoweit möglicherweise auch diplomatische Gründe mitbestimmend.
64 
c. Die einmalige positive Bescheidung anderer Antragsteller aus Kulanz durch die Beklagte verstieß nicht gegen den Gleichheitssatz, weil die Beklagte bei der Frage, wem eine Grenzerlaubnis zu erteilen war, sachgerecht differenzierte und die Ungleichbehandlung so jedenfalls gerechtfertigt war.
65 
Art. 3 Abs. 1 GG untersagt Differenzierungen nicht pauschal. Sie bedürfen jedoch der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 - 1 BvL 7/14 -, juris Rn. 69). Als Unterscheidungsmerkmal für die Erteilung der Grenzerlaubnis wählte die Beklagte insoweit die Kurzfristigkeit des Antrages und die Vorkenntnis der jeweiligen Antragsteller von der geänderten Behördenpraxis. Dies ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger war die geänderte Verwaltungspraxis bereits seit Mai 2015 bekannt, sodass er im Dezember 2015 nicht mehr mit einer positiven Bescheidung seines Antrags rechnen konnte.
66 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
67 
Die Berufung ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 124 a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 12. Juli 2018 - 1 K 13046/17

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 12. Juli 2018 - 1 K 13046/17

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni
Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 12. Juli 2018 - 1 K 13046/17 zitiert 19 §§.

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Baugesetzbuch - BBauG | § 35 Bauen im Außenbereich


(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es1.einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Bet

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 52


Für die örtliche Zuständigkeit gilt folgendes:1.In Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, ist nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder

Gesetz über die Bundespolizei


Bundespolizeigesetz - BPolG

Abgabenordnung - AO 1977 | § 131 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts


(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste

Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG | § 25 Freibeträge vom Einkommen der Eltern und des Ehegatten oder Lebenspartners


(1) Es bleiben monatlich anrechnungsfrei 1. vom Einkommen der miteinander verheirateten oder in einer Lebenspartnerschaft verbundenen Eltern, wenn sie nicht dauernd getrennt leben, 2 415 Euro,2. vom Einkommen jedes Elternteils in sonstigen Fällen sow

Bundespolizeigesetz - BGSG 1994 | § 2 Grenzschutz


(1) Der Bundespolizei obliegt der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes (Grenzschutz), soweit nicht ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt. (2) Der Grenzschutz umfa

Gesetz über den Bundesgrenzschutz


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Bundespolizeigesetz - BGSG 1994 | § 3 Bahnpolizei


(1) Die Bundespolizei hat die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die 1. den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder2. beim Betrieb d

Bundespolizeigesetz - BGSG 1994 | § 61 Grenzübergangsstellen, Grenzerlaubnis


(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt. (2) Die B

Bundespolizeigesetz - BGSG 1994 | § 57 Bundespolizeibehörden


(1) Bundespolizeibehörden sind das Bundespolizeipräsidium, die Bundespolizeidirektionen und die Bundespolizeiakademie. (2) Dem Bundespolizeipräsidium als Oberbehörde unterstehen die Bundespolizeidirektionen als Unterbehörden und die Bundespolizei

Bundesgrenzschutzgesetz - BGSG | § 61 Ordnungswidrigkeiten


(1) Ordnungswidrig handelt, wer als Grenzschutzdienstpflichtiger vorsätzlich oder fahrlässig 1. bei der Entlassung oder später zum Gebrauch im Grenzschutzdienst bestimmte Bekleidungs- oder Ausrüstungsstücke nicht übernimmt (§ 51),2. sich nicht auf di

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Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 03. Juni 2013 - 4 K 896/13

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 19. Juni 2012 - 8 S 2245/10

bei uns veröffentlicht am 19.06.2012

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(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14.05.2012 - 3 K 1395/11 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Ausschlusses als Versammlungsleiter der sog. Revolutionären 1. Mai-Demonstration in Karlsruhe im Jahr 2011.
Mit Schreiben vom 09.02.2011 zeigte der Kläger als Vertreter der Gruppe „Revolutionäres 1. Mai Bündnis Karlsruhe" die Durchführung einer öffentlichen Versammlung mit Aufzug am 01.05.2011 im Stadtgebiet der Beklagten an. Das Thema der Demonstration lautete „Gemeinsam. Organisiert. Kämpferisch. Soziale Revolution ist grenzenlos.". Die Versammlung, zu der 150 Teilnehmer erwartet wurden, sollte um 9.00 Uhr beginnen und nach einer Auftaktkundgebung am Friedrichsplatz über die Erbprinzenstraße und Waldstraße und von dort über die Kaiserstraße zum Marktplatz führen. Als Verantwortlicher im Sinne des Versammlungsgesetzes wurde der Kläger benannt.
In der der Beklagten übermittelten Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 06.04.2011 hieß es zur Person des Klägers, dieser sei seit mehreren Jahren aktiver Angehöriger der örtlichen „Autonomen Antifa“ und dort als Führungsperson tätig. Seit März 2010 sei er örtlicher Vorsitzender der ... und seit März 2011 auch Landesvorsitzender dieser Organisation. Seit dem Jahr 2007 habe er Treffen, Veranstaltungen und Aktionen der linksextremistischen Szene in Karlsruhe organisiert bzw. koordiniert. Bei entsprechenden demonstrativen Aktionen, nicht nur in Karlsruhe, sei sein teilweise aggressiv kämpferisches, hasserfülltes Verhalten gegenüber Polizeibeamten aufgefallen. Am 01.05.2009 sei er bei demonstrativen „Gegenaktionen“ zu einer genehmigten NPD-Versammlung als Teilnehmer eines „schwarzen Blocks“ aufgefallen, wobei er vermummt agiert und die anwesenden Polizeibeamten lauthals mit den Worten „Hass, Hass wie noch nie“ und „all cops are bastards“ beschimpft und beleidigt habe. Das Amtsgericht Ulm habe ihn deshalb wegen eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz und wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. Am 01.05.2010 sei er Anmelder und Leiter der teilweise gewalttätig verlaufenen revolutionären 1. Mai-Demonstration in Karlsruhe gewesen. Er sei hierbei weder in der Lage noch willens gewesen, seinen Pflichten als Versammlungsleiter verantwortungsbewusst nachzukommen. Beim Verlesen der Auflagen habe er wörtlich geäußert: „Den Auflagen der Polizei ist eventuell Folge zu leisten.“ Danach habe er sich verbessert. Beendet habe er seine Rede mit den Worten „Viel Spaß und lasst es krachen“. Als im Verlauf der Versammlung Transparente entrollt und so gehalten worden seien, dass sich einzelne Versammlungsteilnehmer dahinter verbergen konnten, sei dies vom Kläger unterbunden worden. Es seien jedoch immer wieder Transparente verknotet sowie vereinzelt Feuerwerkskörper gezündet worden. Als es zu Sitzblockaden auf den Straßenbahnschienen gekommen sei, seien Aufforderungen des Versammlungsleiters und der Ordner, die Gleise frei zu machen, erfolglos geblieben. Erst nach mehrfacher Aufforderung des Versammlungsleiters in Verbindung mit der Polizei seien die Gleise freigegeben worden, wobei wiederholt gegen Auflagen verstoßen worden sei (Vermummung, Mitführen von Glasflaschen). Das Amtsgericht Karlsruhe habe einen - noch nicht rechtskräftigen - Strafbefehl wegen eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz über 100 Tagessätze gegen den Kläger erlassen.
Zum Kreis der Versammlungsteilnehmer hieß es in der Erkenntnismitteilung, es sei davon auszugehen, dass die linksextremistische Szene aus Karlsruhe zusammentreffen werde. Weiter sei damit zu rechnen, dass anreisende Personen anderer linksextremistischer Gruppierungen teilnehmen würden. Ob die Teilnehmerzahl von 150 Personen realistisch sei, lasse sich nicht abschließend beurteilen. Bei der entsprechenden Versammlung im Vorjahr sei diese Zahl mit 500 bis 600 Teilnehmern weit übertroffen worden. Es sei davon auszugehen, dass es vor dem Hintergrund der starken Diskussion um die Begleitung des Demonstrationszugs durch Polizeikräfte 2010 zu vereinzelten oder koordinierten Provokationen kommen werde, um die Polizei zu entsprechendem Handeln zu zwingen. Möglich seien ähnliche Aktionen wie im Jahr 2010, insbesondere diverse Straftaten wie Beleidigung, Körperverletzung etc. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen sei davon auszugehen, dass sich unter den Demonstrationsteilnehmern ein Anteil von maximal 25 % gewaltbereiten Personen befinde.
Am 20.04.2011 wurde ein Kooperationsgespräch mit dem Kläger geführt, bei dem auch die Frage der Versammlungsleitung erörtert wurde. In diesem Zusammenhang wurden dem Kläger die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz im Jahr 2009 sowie die Einleitung eines Strafverfahrens wegen gewalttätiger Vorfälle bei der Demonstration in Karlsruhe am 01.05.2010 vorgehalten.
Mit Verfügung vom 26.04.2011 untersagte die Beklagte dem Kläger die Übernahme der Funktion des Versammlungsleiters bei der für den 01.05.2011 angezeigten Versammlung sowie für jede Form von Ersatzveranstaltungen am 01.05.2011 in Karlsruhe (Nr. 1). Der Kläger wurde aufgefordert, bis spätestens Donnerstag, den 28.04.2011, 16.00 Uhr, einen neuen Versammlungsleiter zu benennen (Nr. 2). In Nummer 4 der Verfügung wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei mit Blick auf die vom Polizeipräsidium Karlsruhe mitgeteilten Erkenntnisse im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht vertretbar, die Versammlung durch den Kläger als verantwortlichen Versammlungsleiter durchführen zu lassen. Im Rahmen des Kooperationsgesprächs habe der Kläger wider besseres Wissen angegeben, dass gegen ihn im Zusammenhang mit der Demonstration vom 01.05.2010 kein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Er habe auch keine Einsicht hinsichtlich eines möglichen Fehlverhaltens bei der Leitung der Versammlung am 01.05.2010 gezeigt. Vielmehr habe er erklärt, dass seitens der Teilnehmer keine Gewaltaktionen geplant gewesen und diese allein durch das Verhalten der Polizei herausgefordert worden seien. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt, weil nicht die Versammlung verboten, sondern nur der Versammlungsleiter abgelehnt werde. Nur durch den Einsatz eines geeigneten Versammlungsleiters, der die entsprechenden Auflagen verantwortungsvoll durchsetzen könne, könnten die bestehenden Befürchtungen bezüglich drohender Delikte wie Beleidigungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen oder auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ausgeräumt werden.
Am 29.04.2011 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 26.04.2011 Widerspruch ein und benannte einen neuen Versammlungsleiter.
Am 30.05.2011 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Die Benennung eines neuen Versammlungsleiters sei nur erfolgt, um die Durchführung der Demonstration nicht zu gefährden. Er habe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da nicht sichergestellt sei, dass er bei künftigen Anmeldungen einer Demonstration nicht erneut als Versammlungsleiter ausgeschlossen werde. Die Voraussetzungen des § 15 VersammlG für seinen Ausschluss als Versammlungsleiter hätten nicht vorgelegen. Die Beklagte habe nicht schlüssig dargelegt, dass von der angemeldeten Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Zwar könne diese Gefahr auch vom Versammlungsleiter ausgehen. Nach den von der Beklagten genannten Anhaltspunkten sei jedoch eine in seiner Person begründete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht ersichtlich gewesen. Die Beklagte habe dazu vorgetragen, dass er in der Vergangenheit als Mitglied der linksextremistischen Szene in Karlsruhe aufgefallen sei, ohne dies näher zu konkretisieren. Außerdem werde auf die Verurteilung bezüglich einer Demonstrationsteilnahme am 01.05.2009 in Ulm verwiesen. Dieser Vorgang stelle sich heute völlig anders dar. Die Einkesselung durch die Polizei, die zu Gegenreaktionen der Demonstranten geführt habe, sei zwischenzeitlich durch rechtskräftige Urteile des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Urt. v. 29.11.2010 - 1 K 3643/09 - juris) als rechtswidrig eingestuft worden. Unabhängig davon habe er an der Demonstration weder als Teilnehmer eines sog. schwarzen Blocks teilgenommen noch die ihm vorgeworfenen Straftaten begangen. Aus Kostengründen habe er sich damals nicht gegen den Strafbefehl zur Wehr gesetzt. Jedenfalls habe seine Verurteilung nicht dazu geführt, dass er im Jahr 2010 als ungeeignet für die Leitung einer Versammlung eingestuft worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei jedenfalls davon ausgegangen worden, dass er die erforderliche Durchsetzungskraft habe und sich auch im Hinblick auf beschränkende Verfügungen der Behörde Geltung bei den Demonstrationsteilnehmern verschaffen könne. Die Vorwürfe, die gegen ihn hinsichtlich der Demonstrationsleitung am 1. Mai 2010 vorgebracht würden, seien unberechtigt. Es verbiete sich, alle Vorkommnisse, die durch Teilnehmer von De-monstrationen verursacht würden, dem Versammlungsleiter anzulasten. Dieser habe zwar die Funktion, auf Teilnehmer der Versammlung einzuwirken, und an der störungsfreien Durchführung der Veranstaltung mitzuwirken. Es liege jedoch nicht in seiner Macht, jede aus der Versammlung hervorgehende Störung auszuschließen. Die Versammlung am 01.05.2010 sei unstreitig friedlich verlaufen. Der Kläger habe den Versammlungsteilnehmern die Auflagen in geeigneter Weise vorgetragen, ungeachtet der Frage, ob es sich überhaupt um Auflagen gehandelt habe und ob die Auflagen in dieser Form überhaupt zulässig gewesen seien. Er habe jeweils eingegriffen, wenn ihm Verstöße gegen Auflagen gemeldet worden seien oder wenn Transparente verknotet gewesen seien. Es treffe nicht zu, dass Transparente unzulässig mit Haltestöcken verstärkt worden seien. Ihm sei auch nicht bekannt, dass ein Lied mit beleidigendem Inhalt abgespielt worden sei. Eine ihm zurechenbare Blockade habe es ebenfalls nicht gegeben. Vielmehr sei die Versammlung grundlos in Polizeispalier genommen worden. Weil sich ein Großteil der Teilnehmer dadurch im Recht auf Versammlungsfreiheit beeinträchtigt gesehen habe, habe er die Versammlung mehrfach unterbrechen müssen und erst nach Gesprächen mit der Polizeieinsatzleitung weiterführen können. Er habe sehr besonnen gehandelt, um einen friedlichen Verlauf der Versammlung zu gewährleisten, was ihm auch gelungen sei. Nachdem die Polizei die Demonstration in versammlungsfeindlicher Weise als mobilen Polizeikessel gestaltet habe und damit das Ziel, die Bevölkerung anzusprechen, nicht habe erreicht werden können, habe er die Versammlung nach einer kurzen Abschlusskundgebung aufgelöst. Die Ausführungen der Beklagten könnten seinen Ausschluss als Versammlungsleiter nicht rechtfertigen. Es ergebe sich keine Konkretisierung der behaupteten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, und es würden überzogene Anforderungen an den Versammlungsleiter gestellt, die mit Art. 8 GG nicht vereinbar seien.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie führte aus, der Kläger sei aus einer Vielzahl von Gründen als Versammlungsleiter abzulehnen gewesen. Er sei vom Amtsgericht Ulm wegen Beleidigung und wegen eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt worden. Anlässlich der Demonstration am 01.05.2010, bei der er als Versammlungsleiter bestellt gewesen sei, habe sich erwiesen, dass er nicht in der Lage gewesen sei, den damit verbundenen Auflagen in ausreichender Weise nachzukommen. So habe er gegenüber den Versammlungsteilnehmern geäußert, „den Auflagen der Polizei sei eventuell Folge zu leisten" und „viel Spaß und lasst es krachen". Damals sei eine Vielzahl von Auflagen der Versammlungsbehörde missachtet worden. So seien Transparente miteinander verknotet und Feuerwerkskörper gezündet worden. Es sei von ca. 50 bis 60 Personen eine Sitzblockade auf Straßenbahngleisen durchgeführt worden, was dazu geführt habe, dass die Veranstaltung für beendet erklärt worden sei. Durch diese Vorkommnisse sei unter Beweis gestellt, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt als Versammlungsleiter ungeeignet gewesen sei. Bei dem Kooperationsgespräch am 20.04.2011 sei es auch um die damalige Versammlung und das Verhalten des Klägers gegangen. Dieser habe sich sehr uneinsichtig gezeigt. Über verschiedene Geschehnisse sei er nicht informiert gewesen und er habe die Verantwortung für die Eskalation ausschließlich bei der Polizei gesucht. Hinsichtlich der geplanten Demonstration am 01.05.2011 habe er nicht aufzeigen können, wie ähnliche Gewalttaten wie im Vorjahr vermieden werden könnten. Die Versammlungsbehörde sei daher aufgrund des Verlaufs des Kooperationsgesprächs zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht geeignet sei, den Aufgaben eines Versammlungsleiters nachzukommen. Da anzunehmen gewesen sei, dass die Versammlung mit einem anderen Versammlungsleiter ordnungsgemäß durchgeführt werden könne, sei der Kläger als Versammlungsleiter abgelehnt worden.
10 
Mit Urteil vom 25.10.2011 - 1 Cs 570 Js 20276/10 - verurteilte das Amtsgericht Karlsruhe den Kläger hinsichtlich der Vorkommnisse am 01.05.2010 wegen abweichender Durchführung einer Versammlung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen versammlungsrechtliche Auflagen in vier tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Das Landgericht Karlsruhe stellte das Verfahren in der Hauptverhandlung über die vom Kläger und von der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen mit Beschluss vom 16.07.2014 gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, weil die Strafe, zu der die Verfolgung führen könne, neben der Strafe, die gegen den Kläger durch Strafbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24.08.2011 - 332 Js 39669/11 - verhängt worden sei, nicht beträchtlich ins Gewicht falle.
11 
Mit Urteil vom 14.05.2012 - 3 K 1395/11 - stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Nummern 1 und 2 der Verfügung der Beklagten vom 26.04.2011 rechtswidrig gewesen seien. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Der Kläger beabsichtige, auch in Zukunft wieder als Versammlungsleiter im Stadtgebiet der Beklagten aufzutreten. Auch sei davon auszugehen, dass die Beklagte ihn dann erneut als ungeeignet für die Leitung von Versammlungen ansehen würde. Die Klage sei auch begründet. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für die gegenüber dem Kläger ergangene versammlungsbeschränkende Verfügung hätten nicht vorgelegen. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Durchführung der Versammlung mit dem Kläger als Versammlungsleiter zu einer unmittelbaren Gefährdung der durch § 15 Abs. 1 VersammlG geschützten Rechtsgüter geführt hätte.
12 
Zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 04.02.2013 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens vor, die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Ulm, die Vorkommnisse bei der Demonstration am 01.05.2010 und das Verhalten des Klägers beim Kooperationsgespräch hätten schon für sich genommen, jedenfalls aber in der Gesamtschau seine Ablehnung als Versammlungsleiter gerechtfertigt.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14.05.2012 - 3 K 1395/11 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr sei auch deshalb gegeben, weil davon auszugehen sei, dass die Beklagte ihre Ungeeignetheitsprognose an andere Versammlungsbehörden übermittle und er dann, wenn er möglicherweise dort als Versammlungsleiter auftreten wolle, ebenfalls als unzuverlässig abgelehnt werde. Er sei zudem in seinem Persönlichkeitsrecht und seiner Ehre betroffen, weil er zu Unrecht als Linksextremist abgestempelt und ihm auf unzutreffender Tatsachengrundlage die Eignung als Versammlungsleiter abgesprochen worden sei. Die von der Beklagten getroffene Gefahrprognose sei insgesamt nicht tragfähig. Es sei der Beklagten nicht gelungen, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch ihn als Versammlungsleiter nachzuweisen. In der streitgegenständlichen Verfügung würden keinerlei Ausführungen zu aktuellen Erkenntnissen bezüglich der geplanten Demonstration gemacht. Am 01.05.2010 habe es kein vorwerfbares Verhalten des Klägers gegeben. Die Beklagte behaupte letztlich, dass der Kläger als Versammlungsleiter fungiere, führe als solches bereits zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Es fehlten jedoch jegliche Ausführungen zum Wechselverhältnis zwischen der Tätigkeit des Versammlungsleiters und dem vermuteten Demonstrationsverlauf unter Berücksichtigung von Zielsetzung, Teilnehmerzusammensetzung, Teilnehmerzahl, Verlaufsmöglichkeiten aufgrund der angesetzten Zeit und dem geplanten Ablauf der Demonstration.
18 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte der Kläger auf Fragen des Vorsitzenden, er sei nicht mehr Landesvorsitzender der ... - ...... und in Karlsruhe nicht mehr politisch aktiv. Die Anschrift in ... sei sein einziger Wohnsitz. Auf Nachfrage des Berichterstatters, wo er in den Jahren 2012, 2013 und 2014 den 1. Mai verbracht habe, gab er an, er habe jeweils als einfacher Teilnehmer an der Mai-Demonstration in Karlsruhe teilgenommen. Er habe dies mit einem Besuch bei seinen Eltern verbunden, die noch in Karlsruhe lebten. Als Anmelder einer Versammlung oder Versammlungsleiter sei er allerdings nicht mehr aufgetreten. Er habe dies damals in seiner Funktion als Ortsvorsitzender der ... gemacht. Dass er zunächst auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden weitere politische Aktivitäten in Karlsruhe nach seinem Umzug nach ... allgemein verneint habe, liege daran, dass er diese Frage nicht dahingehend verstanden habe, dass sie auf die Teilnahme an Demonstrationen ziele. Er habe jugendpolitische Arbeit im Kreisjugendring, Parteiversammlungen u. ä. vor Augen gehabt, als er weitere politische Aktivitäten in Karlsruhe pauschal verneint habe. Der im Einstellungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 16.07.2014 erwähnte Strafbefehl des Amtsgerichts Frankfurt habe keinen versammlungsrechtlichen Bezug. Die Demonstration am 01.05.2010 habe er vorzeitig aufgelöst, weil sich infolge des Verhaltens der Polizei, insbesondere des Polizeispaliers, unter den Teilnehmern eine aggressive Stimmung verbreitet habe und er die weitere Verantwortung für die Versammlung nicht mehr habe tragen wollen. Was nach der Auflösung passiert sei, habe er nicht mehr mitbekommen. Er sei dann in der Stadt einen Kaffee trinken gegangen. Bei der Verlesung der Auflagen zu Beginn der Versammlung habe er sich versprochen; es sei nicht seine Absicht gewesen, die Stimmung aufzuheizen. Er habe auch noch keinerlei Erfahrung als Versammlungsleiter gehabt.
19 
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten, die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und die beigezogenen Strafakten des Amtsgerichts Ulm - 25 Js 14411/09 - und des Landgerichts Karlsruhe - 8 Ns 570 Js 20276/10 - vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
20 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Zwar hat die Beklagte keinen ausdrücklichen Berufungsantrag formuliert, doch wird aus der fristgemäß eingereichten Berufungsbegründung das Ziel der Berufung deutlich, das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen. Damit ist den Anforderungen des § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO Genüge getan (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 124 a Rn. 30 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.05.2013 - 10 S 281/12 - NJW 2013, 2045 ).
II.
21 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass die Nummern 1 und 2 der Verfügung der Beklagten vom 26.04.2011 rechtswidrig gewesen sind. Die Klage ist unzulässig (1.), weil es in dem für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - VBlBW 2005, 431 m.w.N.) an dem erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt. Zudem wäre die Klage auch unbegründet gewesen (2.).
22 
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen - mit Ausnahme des Feststellungsinteresses (b) - liegen vor (a).
23 
a) Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - VBlBW 2014, 147 m.w.N.). Es bedurfte auch nicht der Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.). Einer Fristbindung unterliegt die Klageerhebung bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsakts vor Eintritt der Bestandskraft nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <206 ff.>; Senatsurt. v. 19.08.2010 - 1 S 2266/09 - ESVGH 61, 65 = DVBl 2010, 1569 m.w.N.).
24 
b) Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger sich nicht auf ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts berufen kann.
25 
Die Anforderungen an das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.> und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.), wobei die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen sind. Nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit begründet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht nur dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt (aa), wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht (bb) oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (cc; vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurt. v.06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O.).
26 
aa) Die Ablehnung des Klägers als Versammlungsleiter stellt keine schwere Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar.
27 
Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Eine weitere Gewichtung eines solchen Grundrechtseingriffs, etwa im Hinblick auf den spezifischen Anlass oder die Größe der Versammlung, ist dem Staat verwehrt. Ebenso bedarf in einem derartigen Fall keiner Klärung, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG, von verwaltungsgerichtlichen Auflagen nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO oder von verfassungsgerichtlichen Maßgaben nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 89 ).
28 
Daran gemessen führte der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter nicht zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Die Versammlung konnte wie geplant stattfinden, wenn auch mit einem anderen Versammlungsleiter. Auch der Kläger durfte an der Versammlung teilnehmen, ihm wurde lediglich die Ausübung der Funktion des Versammlungsleiters untersagt. Dass die Person des Versammlungsleiters für die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung von Bedeutung gewesen wäre, wird nicht geltend gemacht. Dafür sind auch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, nachdem der Kläger bei der Demonstration am 01.05.2010 über die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Versammlungsleiter hinausgehend nicht in Erscheinung getreten war.
29 
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es auch an einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr.
30 
Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt grundsätzlich zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurt. v. 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011, a.a.O. S. 406 ).
31 
Da es vorliegend um den Ausschluss als Versammlungsleiter geht, setzt die Wiederholungsgefahr den Willen des Klägers voraus, in Zukunft im Zuständigkeitsbereich der Beklagten als Leiter vergleichbarer Versammlungen in Erscheinung zu treten. Ein solcher Wille ist unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht erkennbar. Der Kläger, der seit einigen Jahren seinen Lebensmittelpunkt in ... hat, hat erklärt, dass sein Auftreten als Anmelder und als vorgesehener Versammlungsleiter bei den 1. Mai-Demonstrationen 2010 und 2011 mit den politischen Funktionen zusammenhing, die er damals in Karlsruhe ausübte. In den Jahren 2012, 2013 und 2014 hat er den 1. Mai-Kundgebungen in Karlsruhe auch nach eigenem Bekunden lediglich als einfacher Teilnehmer beigewohnt. Eine Absicht, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten künftig wieder als Versammlungsleiter in Erscheinung treten zu wollen, hat er nicht geäußert.
32 
Eine Absicht, in ... oder anderswo als Versammlungsleiter auftreten zu wollen, hat der Kläger ebenfalls nicht erkennen lassen. Sie wäre entgegen der Auffassung seiner Prozessbevollmächtigten auch nicht ausreichend, um eine Wiederholungsgefahr zu bejahen, weil auf der Seite der Beklagten erforderlich ist, dass „die Behörde“, d.h. die Behörde, deren Verfügung im Streit steht, voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten und erneut in gleicher Weise agieren wird. Über die mögliche Rechtsauffassung anderer Versammlungsbehörden kann bloß spekuliert werden. Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Beklagte ihre Erkenntnisse über den Kläger, die aus den Jahren 2009 bis 2011 stammen, anderen Versammlungsbehörden übermittelt, so wären diese im Übrigen schon aufgrund der verstrichenen Zeit sowie im Lichte etwaiger neuerer Erkenntnisse neu zu bewerten.
33 
cc) Schließlich kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht unter dem Aspekt der Rehabilitierung bejaht werden.
34 
Ein Rehabilitierungsinteresse ist im Fall der Erledigung einer Maßnahme anzunehmen, wenn die begehrte Feststellung, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig war, als "Genugtuung" oder zur Rehabilitierung erforderlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigte. Auch in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten sind Begründungen für beschränkende Maßnahmen vorstellbar, die diskriminierend wirken können, insbesondere Ausführungen über die Persönlichkeit des Veranstalters oder zu seinem erwarteten kriminellen Verhalten auf Versammlungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 92 m.w.N.). Die - behauptete - Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als solche reicht für die Bejahung eines Rehabilitierungsinteresses allerdings nicht aus; erforderlich ist eine „Bemakelung“ des Betroffenen, die sich aus den Gründen des Bescheids oder den Umständen seines Erlasses ergibt, jedoch nicht automatisch aus der Einstufung als Störer im polizeirechtlichen Sinne oder - wie hier - dem Ausschluss als Versammlungsleiter aufgrund einer Gefahrenprognose nach § 15 VersammlG folgt. Hieraus muss sich eine fortwirkende konkrete und objektive Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen ergeben, die gerade durch den gerichtlichen Ausspruch beseitigt werden kann (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - a.a.O. m.w.N.; Senatsurt. v. 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - DVBl 2011, 1305 ).
35 
Daran gemessen ist hier ein Rehabilitierungsinteresse zu verneinen. Die angegriffene Anordnung hatte keine persönlichkeitsbeeinträchtigende Wirkung. Die vom Kläger angemeldete Versammlung konnte wie geplant und auch von ihm nach außen kommuniziert stattfinden. Es ist nicht erkennbar, dass der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter oder gar die hierfür maßgeblichen Gründe von der Beklagten selbst oder auf ihre Veranlassung publik gemacht worden wären. Der streitgegenständliche Bescheid war allein an den Kläger gerichtet und daher nicht geeignet, sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.
36 
2. Die Klage wäre auch nicht begründet gewesen. Der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter war rechtmäßig und verletzte ihn nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
37 
a) Nach der gemäß § 18 Abs. 1 VersammlG auch für Versammlungen unter freiem Himmel anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 VersammlG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Dieser bestimmt den Ablauf der Versammlung, und er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§ 8 Satz 1 und 2 VersammlG); bei Aufzügen hat er nach § 19 Abs. 1 VersammlG für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem persönlichen Vermögen imstande sein, den ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen. Zweifel an der Zuverlässigkeit und Eignung der als Leiter vorgesehenen Person müssen durch Tatsachen belegbar sein (vgl. Die- tel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, Kommentar, 16. Aufl., § 7 Rn. 8 m.w.N.).
38 
b) Allerdings vermögen mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz durch Tatsachen belegte Zuverlässigkeits- und Eignungszweifel für sich genommen die Ablehnung einer Person als Versammlungsleiter nicht zu rechtfertigen. Vielmehr kommt - wie die Beklagte zutreffend erkannt hat - ein präventiver Ausschluss einer Person als Versammlungsleiter nur auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG in Betracht. Nach dieser Vorschrift dürfen versammlungsbeschränkende Maßnahmen nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung ohne Erlass der betreffenden Verfügung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. ; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
39 
Bei der Prognose ist die ex ante-Sicht und nicht eine spätere Sicht entscheidend. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche Erkenntnisse die Versammlungsbehörde im Anschluss an ihre Entscheidung gewinnt: War das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr im Zeitpunkt der Entscheidung über die einschränkende Verfügung objektiv wahrscheinlich, bleibt diese auch dann rechtmäßig, wenn sich die Prognose aufgrund von sich später ergebenden Erkenntnissen als unrichtig erweisen sollte. Umgekehrt kann eine unmittelbare Gefahr nicht - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - mit Tatsachen begründet werden, die erst im Anschluss an den Erlass der versammlungsrechtlichen Verfügung bekannt werden.
40 
c) Hier erweist sich die von der Beklagten getroffene Gefahrprognose, die sich in erster Linie auf die Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums vom 06.04.2011 und die bei dem Kooperationsgespräch am 20.04.2011 gewonnenen Erkenntnisse gestützt hat, als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die die Prognose rechtfertigten, dass bei Durchführung der Versammlung mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist.
41 
In der angefochtenen Verfügung kommt - wenn auch knapp und teilweise nur indirekt - hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Beklagte sich nicht nur die vom Polizeipräsidium über den Kläger mitgeteilten Erkenntnisse, sondern auch die maßgeblich auf die Erfahrungen des Vorjahres gestützten Erkenntnisse über den Teilnehmerkreis der geplanten Versammlung und das insgesamt von der Versammlung ausgehende Gefahrenpotential zu eigen macht. Dass die Beklagte vergleichbare Rechtsverletzungen wie im Vorjahr befürchtete, wird etwa auf S. 4 unten des Bescheides bei den Ausführungen zum Verhalten des Klägers bei dem Kooperationsgespräch deutlich, in dem es u.a. darum ging, von dem Kläger zu erfahren, welche Maßnahmen er zur Vermeidung ähnlicher Geschehnisse anlässlich der diesjährigen Versammlung ergreifen wolle.
42 
Ob und in welchem Ausmaß das prognostizierte Gefahrenpotential sich realisieren und es aus der angemeldeten Versammlung heraus zur Begehung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten kommen würde, hing vorliegend nach der ex ante-Prognose maßgeblich von der Person des Versammlungsleiters und von dessen Zuverlässigkeit bzw. Eignung ab. Die Beklagte hat auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zutreffend prognostiziert, dass mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre.
43 
Entscheidende Bedeutung kam dem Verhalten des Klägers beim Verlesen der Auflagen zu Beginn der Versammlung am 1. Mai 2010 zu, durch das er - ob beabsichtigt oder nicht - die Stimmung unter den Versammlungsteilnehmern anheizte, was mit dazu beigetragen haben dürfte, dass es von Beginn an zu massiven Verstößen gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten und damit ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit zu beachtenden Auflagen kam. Zwar kooperierte der Kläger dann im weiteren Verlauf der Versammlung mit der Polizei und bemühte sich auch, gegen Auflagen- bzw. Gesetzesverstöße einzuschreiten, doch blieb er mit diesen Bemühungen weitgehend erfolglos, so dass er schließlich keinen anderen Ausweg sah, als sich der weiteren Verantwortung durch vorzeitige Auflösung der Versammlung zu entledigen. Dieses Verhalten durfte für die Gefahrprognose bezüglich der hinsichtlich Zielsetzung und Teilnehmerkreis im Wesentlichen gleichartigen 1. Mai-Demonstration im Jahr 2011 herangezogen werden, weil es keinerlei Hinweise gab, dass der damals als Versammlungsleiter noch unerfahrene Kläger zwischenzeitlich einen Lernprozess durchlaufen und sein Verhalten kritisch reflektiert hätte. In dem mit ihm geführten Kooperationsgespräch zeigte er keinerlei Einsicht in eigenes Fehlverhalten und suchte die Verantwortung für die Eskalation der 1. Mai-Demonstration 2010 ausschließlich bei der Polizei. Zudem stellte er in Abrede, dass gegen ihn wegen der Vorkommnisse im Vorjahr ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Zwar besteht keine Rechtspflicht zur Kooperation und ist es der Versammlungsbehörde daher verwehrt, allein aus der Weigerung eines Veranstalters zur Teilnahme an einem vorbereitenden Kooperationsgespräch negative Schlüsse zu ziehen (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 01.03.2002 - 1 BvQ 5/02 - NVwZ 2002, 982). Nimmt ein Veranstalter aber - wie hier - freiwillig an einem Kooperationsgespräch teil, können die dabei gewonnenen Erkenntnisse selbstverständlich verwertet werden. Die Beklagte durfte daher auch berücksichtigen, dass der Kläger, obwohl er die Gefahr von Rechtsverstößen bei der von ihm angemeldeten Versammlung kannte oder jedenfalls hätte kennen müssen, keine Veranlassung sah, Vorkehrungen zur Eindämmung dieser Gefahr zu treffen (vgl. hierzu Senats-beschl. v. 18.06.1999 - 1 S 1464/99 - VBlBW 1999, 462). Als weiteren Mosaikstein durfte die Beklagte schließlich die Verurteilung durch den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm heranziehen, die den Schluss erlaubte, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür bietet, in - zu erwartenden - kritischen Situationen deeskalierend zu wirken.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
45 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
46 
Beschluss vom 27. Januar 2015
47 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
48 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
20 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Zwar hat die Beklagte keinen ausdrücklichen Berufungsantrag formuliert, doch wird aus der fristgemäß eingereichten Berufungsbegründung das Ziel der Berufung deutlich, das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen. Damit ist den Anforderungen des § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO Genüge getan (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 124 a Rn. 30 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.05.2013 - 10 S 281/12 - NJW 2013, 2045 ).
II.
21 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass die Nummern 1 und 2 der Verfügung der Beklagten vom 26.04.2011 rechtswidrig gewesen sind. Die Klage ist unzulässig (1.), weil es in dem für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - VBlBW 2005, 431 m.w.N.) an dem erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt. Zudem wäre die Klage auch unbegründet gewesen (2.).
22 
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen - mit Ausnahme des Feststellungsinteresses (b) - liegen vor (a).
23 
a) Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - VBlBW 2014, 147 m.w.N.). Es bedurfte auch nicht der Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.). Einer Fristbindung unterliegt die Klageerhebung bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsakts vor Eintritt der Bestandskraft nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <206 ff.>; Senatsurt. v. 19.08.2010 - 1 S 2266/09 - ESVGH 61, 65 = DVBl 2010, 1569 m.w.N.).
24 
b) Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger sich nicht auf ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts berufen kann.
25 
Die Anforderungen an das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.> und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.), wobei die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen sind. Nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit begründet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht nur dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt (aa), wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht (bb) oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (cc; vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurt. v.06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O.).
26 
aa) Die Ablehnung des Klägers als Versammlungsleiter stellt keine schwere Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar.
27 
Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Eine weitere Gewichtung eines solchen Grundrechtseingriffs, etwa im Hinblick auf den spezifischen Anlass oder die Größe der Versammlung, ist dem Staat verwehrt. Ebenso bedarf in einem derartigen Fall keiner Klärung, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG, von verwaltungsgerichtlichen Auflagen nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO oder von verfassungsgerichtlichen Maßgaben nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 89 ).
28 
Daran gemessen führte der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter nicht zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Die Versammlung konnte wie geplant stattfinden, wenn auch mit einem anderen Versammlungsleiter. Auch der Kläger durfte an der Versammlung teilnehmen, ihm wurde lediglich die Ausübung der Funktion des Versammlungsleiters untersagt. Dass die Person des Versammlungsleiters für die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung von Bedeutung gewesen wäre, wird nicht geltend gemacht. Dafür sind auch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, nachdem der Kläger bei der Demonstration am 01.05.2010 über die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Versammlungsleiter hinausgehend nicht in Erscheinung getreten war.
29 
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es auch an einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr.
30 
Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt grundsätzlich zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurt. v. 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011, a.a.O. S. 406 ).
31 
Da es vorliegend um den Ausschluss als Versammlungsleiter geht, setzt die Wiederholungsgefahr den Willen des Klägers voraus, in Zukunft im Zuständigkeitsbereich der Beklagten als Leiter vergleichbarer Versammlungen in Erscheinung zu treten. Ein solcher Wille ist unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht erkennbar. Der Kläger, der seit einigen Jahren seinen Lebensmittelpunkt in ... hat, hat erklärt, dass sein Auftreten als Anmelder und als vorgesehener Versammlungsleiter bei den 1. Mai-Demonstrationen 2010 und 2011 mit den politischen Funktionen zusammenhing, die er damals in Karlsruhe ausübte. In den Jahren 2012, 2013 und 2014 hat er den 1. Mai-Kundgebungen in Karlsruhe auch nach eigenem Bekunden lediglich als einfacher Teilnehmer beigewohnt. Eine Absicht, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten künftig wieder als Versammlungsleiter in Erscheinung treten zu wollen, hat er nicht geäußert.
32 
Eine Absicht, in ... oder anderswo als Versammlungsleiter auftreten zu wollen, hat der Kläger ebenfalls nicht erkennen lassen. Sie wäre entgegen der Auffassung seiner Prozessbevollmächtigten auch nicht ausreichend, um eine Wiederholungsgefahr zu bejahen, weil auf der Seite der Beklagten erforderlich ist, dass „die Behörde“, d.h. die Behörde, deren Verfügung im Streit steht, voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten und erneut in gleicher Weise agieren wird. Über die mögliche Rechtsauffassung anderer Versammlungsbehörden kann bloß spekuliert werden. Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Beklagte ihre Erkenntnisse über den Kläger, die aus den Jahren 2009 bis 2011 stammen, anderen Versammlungsbehörden übermittelt, so wären diese im Übrigen schon aufgrund der verstrichenen Zeit sowie im Lichte etwaiger neuerer Erkenntnisse neu zu bewerten.
33 
cc) Schließlich kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht unter dem Aspekt der Rehabilitierung bejaht werden.
34 
Ein Rehabilitierungsinteresse ist im Fall der Erledigung einer Maßnahme anzunehmen, wenn die begehrte Feststellung, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig war, als "Genugtuung" oder zur Rehabilitierung erforderlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigte. Auch in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten sind Begründungen für beschränkende Maßnahmen vorstellbar, die diskriminierend wirken können, insbesondere Ausführungen über die Persönlichkeit des Veranstalters oder zu seinem erwarteten kriminellen Verhalten auf Versammlungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 92 m.w.N.). Die - behauptete - Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als solche reicht für die Bejahung eines Rehabilitierungsinteresses allerdings nicht aus; erforderlich ist eine „Bemakelung“ des Betroffenen, die sich aus den Gründen des Bescheids oder den Umständen seines Erlasses ergibt, jedoch nicht automatisch aus der Einstufung als Störer im polizeirechtlichen Sinne oder - wie hier - dem Ausschluss als Versammlungsleiter aufgrund einer Gefahrenprognose nach § 15 VersammlG folgt. Hieraus muss sich eine fortwirkende konkrete und objektive Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen ergeben, die gerade durch den gerichtlichen Ausspruch beseitigt werden kann (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - a.a.O. m.w.N.; Senatsurt. v. 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - DVBl 2011, 1305 ).
35 
Daran gemessen ist hier ein Rehabilitierungsinteresse zu verneinen. Die angegriffene Anordnung hatte keine persönlichkeitsbeeinträchtigende Wirkung. Die vom Kläger angemeldete Versammlung konnte wie geplant und auch von ihm nach außen kommuniziert stattfinden. Es ist nicht erkennbar, dass der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter oder gar die hierfür maßgeblichen Gründe von der Beklagten selbst oder auf ihre Veranlassung publik gemacht worden wären. Der streitgegenständliche Bescheid war allein an den Kläger gerichtet und daher nicht geeignet, sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.
36 
2. Die Klage wäre auch nicht begründet gewesen. Der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter war rechtmäßig und verletzte ihn nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
37 
a) Nach der gemäß § 18 Abs. 1 VersammlG auch für Versammlungen unter freiem Himmel anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 VersammlG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Dieser bestimmt den Ablauf der Versammlung, und er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§ 8 Satz 1 und 2 VersammlG); bei Aufzügen hat er nach § 19 Abs. 1 VersammlG für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem persönlichen Vermögen imstande sein, den ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen. Zweifel an der Zuverlässigkeit und Eignung der als Leiter vorgesehenen Person müssen durch Tatsachen belegbar sein (vgl. Die- tel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, Kommentar, 16. Aufl., § 7 Rn. 8 m.w.N.).
38 
b) Allerdings vermögen mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz durch Tatsachen belegte Zuverlässigkeits- und Eignungszweifel für sich genommen die Ablehnung einer Person als Versammlungsleiter nicht zu rechtfertigen. Vielmehr kommt - wie die Beklagte zutreffend erkannt hat - ein präventiver Ausschluss einer Person als Versammlungsleiter nur auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG in Betracht. Nach dieser Vorschrift dürfen versammlungsbeschränkende Maßnahmen nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung ohne Erlass der betreffenden Verfügung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. ; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
39 
Bei der Prognose ist die ex ante-Sicht und nicht eine spätere Sicht entscheidend. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche Erkenntnisse die Versammlungsbehörde im Anschluss an ihre Entscheidung gewinnt: War das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr im Zeitpunkt der Entscheidung über die einschränkende Verfügung objektiv wahrscheinlich, bleibt diese auch dann rechtmäßig, wenn sich die Prognose aufgrund von sich später ergebenden Erkenntnissen als unrichtig erweisen sollte. Umgekehrt kann eine unmittelbare Gefahr nicht - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - mit Tatsachen begründet werden, die erst im Anschluss an den Erlass der versammlungsrechtlichen Verfügung bekannt werden.
40 
c) Hier erweist sich die von der Beklagten getroffene Gefahrprognose, die sich in erster Linie auf die Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums vom 06.04.2011 und die bei dem Kooperationsgespräch am 20.04.2011 gewonnenen Erkenntnisse gestützt hat, als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die die Prognose rechtfertigten, dass bei Durchführung der Versammlung mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist.
41 
In der angefochtenen Verfügung kommt - wenn auch knapp und teilweise nur indirekt - hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Beklagte sich nicht nur die vom Polizeipräsidium über den Kläger mitgeteilten Erkenntnisse, sondern auch die maßgeblich auf die Erfahrungen des Vorjahres gestützten Erkenntnisse über den Teilnehmerkreis der geplanten Versammlung und das insgesamt von der Versammlung ausgehende Gefahrenpotential zu eigen macht. Dass die Beklagte vergleichbare Rechtsverletzungen wie im Vorjahr befürchtete, wird etwa auf S. 4 unten des Bescheides bei den Ausführungen zum Verhalten des Klägers bei dem Kooperationsgespräch deutlich, in dem es u.a. darum ging, von dem Kläger zu erfahren, welche Maßnahmen er zur Vermeidung ähnlicher Geschehnisse anlässlich der diesjährigen Versammlung ergreifen wolle.
42 
Ob und in welchem Ausmaß das prognostizierte Gefahrenpotential sich realisieren und es aus der angemeldeten Versammlung heraus zur Begehung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten kommen würde, hing vorliegend nach der ex ante-Prognose maßgeblich von der Person des Versammlungsleiters und von dessen Zuverlässigkeit bzw. Eignung ab. Die Beklagte hat auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zutreffend prognostiziert, dass mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre.
43 
Entscheidende Bedeutung kam dem Verhalten des Klägers beim Verlesen der Auflagen zu Beginn der Versammlung am 1. Mai 2010 zu, durch das er - ob beabsichtigt oder nicht - die Stimmung unter den Versammlungsteilnehmern anheizte, was mit dazu beigetragen haben dürfte, dass es von Beginn an zu massiven Verstößen gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten und damit ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit zu beachtenden Auflagen kam. Zwar kooperierte der Kläger dann im weiteren Verlauf der Versammlung mit der Polizei und bemühte sich auch, gegen Auflagen- bzw. Gesetzesverstöße einzuschreiten, doch blieb er mit diesen Bemühungen weitgehend erfolglos, so dass er schließlich keinen anderen Ausweg sah, als sich der weiteren Verantwortung durch vorzeitige Auflösung der Versammlung zu entledigen. Dieses Verhalten durfte für die Gefahrprognose bezüglich der hinsichtlich Zielsetzung und Teilnehmerkreis im Wesentlichen gleichartigen 1. Mai-Demonstration im Jahr 2011 herangezogen werden, weil es keinerlei Hinweise gab, dass der damals als Versammlungsleiter noch unerfahrene Kläger zwischenzeitlich einen Lernprozess durchlaufen und sein Verhalten kritisch reflektiert hätte. In dem mit ihm geführten Kooperationsgespräch zeigte er keinerlei Einsicht in eigenes Fehlverhalten und suchte die Verantwortung für die Eskalation der 1. Mai-Demonstration 2010 ausschließlich bei der Polizei. Zudem stellte er in Abrede, dass gegen ihn wegen der Vorkommnisse im Vorjahr ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Zwar besteht keine Rechtspflicht zur Kooperation und ist es der Versammlungsbehörde daher verwehrt, allein aus der Weigerung eines Veranstalters zur Teilnahme an einem vorbereitenden Kooperationsgespräch negative Schlüsse zu ziehen (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 01.03.2002 - 1 BvQ 5/02 - NVwZ 2002, 982). Nimmt ein Veranstalter aber - wie hier - freiwillig an einem Kooperationsgespräch teil, können die dabei gewonnenen Erkenntnisse selbstverständlich verwertet werden. Die Beklagte durfte daher auch berücksichtigen, dass der Kläger, obwohl er die Gefahr von Rechtsverstößen bei der von ihm angemeldeten Versammlung kannte oder jedenfalls hätte kennen müssen, keine Veranlassung sah, Vorkehrungen zur Eindämmung dieser Gefahr zu treffen (vgl. hierzu Senats-beschl. v. 18.06.1999 - 1 S 1464/99 - VBlBW 1999, 462). Als weiteren Mosaikstein durfte die Beklagte schließlich die Verurteilung durch den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm heranziehen, die den Schluss erlaubte, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür bietet, in - zu erwartenden - kritischen Situationen deeskalierend zu wirken.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
45 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
46 
Beschluss vom 27. Januar 2015
47 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
48 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2010 - 6 K 4127/09 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Genehmigungsfähigkeit einer Nutzungsänderung auf dem Baugrundstück Flst.Nr. ... der Gemarkung Giengen an der Brenz vor Inkrafttreten einer Veränderungssperre.
Das am Ostrand der Giengener Kernstadt gelegene Baugrundstück ist mit Gebäudekomplex "..." ...... und einem Parkhaus bebaut. Seine Errichtung geht auf den Bebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken" von 1979 zurück, der für das Baugrundstück ein Sondergebiet für ein Einkaufszentrum sowie Gemeinbedarfsflächen festsetzte. Mit dem Änderungsbebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ vom 25.01.1996 wurde für die Gemeinbedarfsflächen ebenfalls ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf und Wohnen" (SO 2) und für das Baugrundstück ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf" (SO 1) festgesetzt. Danach sind im SO 1 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe" und im SO 2 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe, Betriebe des Beherbergungsgewerbes, Wohnen" zulässig.
Im September 2008 stellten die Firma ......GmbH in Ulm ..., eine weitere Firma sowie die Klägerin Bauanträge für Spielhallen im "...". Die Beklagte bewertete die Vorhaben als eine einheitliche kerngebietstypische Spielhalle, die im SO 1 unzulässig sei. Daraufhin nahmen die Klägerin sowie die weitere Firma ihre Anträge zurück. Die Firma ... erhielt auf ihren modifizierten Bauantrag am 16.12.2008 eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Räumen im Erdgeschoss des "..." für eine Spielhalle mit acht Geldspielgeräten sowie ein angrenzendes Café mit drei Geldspielgeräten.
Mit Schreiben vom 15.07.2009, eingegangen am 22.07.2009, reichte die Firma ... einen neuen Bauantrag der Klägerin vom 06.07.2009 zur Nutzungsänderung des Cafés in ein “Freizeit- und Eventcenter (Spielothek)“ mit acht Geldspielgeräten mit der Erläuterung ein, ihre vorhandene Spielhalle sei nicht konkurrenzfähig. In einer Bauzeichnung der Bauvorlagen ist in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eine Tür eingezeichnet.
Das Baurechtsamt der Beklagten teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2009 mit, es beabsichtige, den Bauantrag abzulehnen, weil die geplante Spielhalle kerngebietstypisch sei. Sie bilde mit der vorhandenen eine betriebliche Einheit. Die Aufsichtsflächen seien nur durch eine Tür voneinander getrennt. Es sei daher zu vermuten, dass das Personal für beide Spielhallen zuständig sei. Es werde um Mitteilung bis zum 15.09.2009 gebeten, ob die Klägerin den Antrag zurücknehme oder dessen Ablehnung wünsche. Mit Schreiben vom 31.08.2009, eingegangen am 01.09.2009, legte die Klägerin dar, beide Spielhallen seien baulich und organisatorisch getrennt. Die Tür zwischen den Aufsichtsflächen werde verschlossen gehalten. Das könne durch Nebenbestimmung zur Baugenehmigung gesichert werden. Sie diene nur im äußersten Notfall dazu, dass das Personal eines Betriebes demjenigen im anderen Betrieb schnell zu Hilfe kommen könne, ohne die Betriebsräume verlassen zu müssen. Die Klägerin betreibe selbst Spielhallen und sei mit der Firma ... nicht identisch. Es werde um einen Bescheid gebeten.
Mit Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 bestätigte das Baurechtsamt die Vollständigkeit der Bauvorlagen und gab als Datum der voraussichtlichen Entscheidung den 30.10.2009 an. Mit weiteren Schreiben vom selben Tag bat es die Ordnungsverwaltung bei der Beklagten und die Gewerbeaufsicht beim Landratsamt um Äußerung bis zum 30.09. bzw. 16.10.2009. Am 01.10.2009 ging die Äußerung der Ordnungsverwaltung ein, diejenige des Landratsamts folgte am 09.10.2009 als E-Mail und am 13.10.2009 per Post. Beide Stellen hatten keine Bedenken gegen das Vorhaben, das Landratsamt bat um Aufnahme von Nebenbestimmungen in die Baugenehmigung.
Am 22.10.2009 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans, um zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Einzelhandelsstruktur im Plangebiet die zulässigen Nutzungsarten neu zu definieren und Vergnügungsstätten auszuschließen. Ferner beschloss er eine Satzung über eine Veränderungssperre für das Gebiet des zu ändernden Bebauungsplans, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 06.11.2009 in Kraft trat. Ende September 2011 beschloss er eine Satzung zur Verlängerung der Veränderungssperre um ein Jahr, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 21.10.2011 in Kraft trat.
Bereits am 05.11.2009 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung zu verpflichten. Die Klage wurde der Beklagten am 10.11.2009 zugestellt. Mit Bescheid vom selben Tag lehnte sie den Bauantrag wegen Verstoßes gegen die Satzung über die Veränderungssperre ab; eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB scheide aus. Über den Widerspruch der Klägerin ist noch nicht entschieden. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin nur noch die Feststellung beantragt, dass die Beklagte vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zur Erteilung einer Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 verpflichtet gewesen sei. Sie wolle Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung geltend machen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 16.02.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Der Feststellungsantrag sei zwar statthaft, da sich das Verpflichtungsbegehren mit Inkrafttreten der Veränderungssperre erledigt habe. Er sei gleichwohl unzulässig, weil die Verpflichtungsklage unzulässig gewesen sei und weil die Klägerin kein berechtigtes Feststellungsinteresse habe. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig gewesen, weil die Beklagte einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit gehabt habe. Denn die ihr nach der Landesbauordnung eingeräumte zweimonatige Entscheidungsfrist sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre noch nicht abgelaufen gewesen. Diese Frist habe erst mit Eingang der Stellungnahme des Landratsamtes am 13.10.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe die Entscheidungsfrist ausschöpfen dürfen. Das sei ein besonderer Umstand i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO. Die Beklagte sei auch nicht zu einer früheren Anhörung der Behörden verpflichtet gewesen. Zwar verlange die Landesbauordnung die unverzügliche Einleitung der Anhörung nach vollständigem Eingang des Bauantrags und der Bauvorlagen. Dies bedeute ohne schuldhaftes Zögern. Es sei der Behörde aber nicht verwehrt, den Bauherrn zunächst auf rechtliche Bedenken hinzuweisen. Denn ziehe dieser den Bauantrag zurück, könnten Kosten gespart werden, was seinem Interesse diene. Bestehe er auf einer Entscheidung, könne es sachgerecht sein, das Verfahren nun zu betreiben. Zwar dürfe die Behörde es dann nicht mutwillig verzögern. Auch könne sie gehalten sein, die Verzögerung auszugleichen. Die Beklagte habe das Verfahren aber nicht mutwillig verzögert. Zwar habe sie erst am 16.09.2009 mit der Anhörung begonnen. Sie habe den beteiligten Stellen aber eine relativ knappe Frist von einem Monat gesetzt und das Verfahren zügig betrieben. Das Feststellungsinteresse fehle wegen der verfrühten Untätigkeitsklage ebenfalls. Die Klägerin hätte nach Inkrafttreten der Veränderungssperre und Ablehnung des Bauantrags beim Zivilgericht Schadensersatzklage erheben können. Die Klage sei aber auch unbegründet. Die Beklagte sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre mangels Ablaufs der Entscheidungsfrist nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet gewesen. Darauf, ob der Bauantrag damals genehmigungsfähig gewesen sei, komme es daher nicht an.
10 
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung legt die Klägerin im Wesentlichen dar: Sie habe nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist zulässig Untätigkeitsklage erhoben. Das Vorliegen eines zureichenden Grundes i. S. des § 75 Satz 3 VwGO ändere daran nichts. Die Klage sei mit dem Feststellungsantrag auch begründet. Die Entscheidungsfrist sei bei Klageerhebung abgelaufen gewesen. Diese Frist habe mit Eingang des vollständigen Bauantrags am 22.07.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe gerade wegen der vorangegangenen Genehmigungsverfahren der Klägerin und ihrer "Schwestergesellschaften" sofort mit der Bearbeitung begonnen. Ihr Schreiben vom 19.08.2009 fordere nicht zur Ergänzung oder Änderung unvollständiger Bauvorlagen auf, sondern interpretiere nur den Bauantrag falsch. Die Entscheidungsfrist sei daher am 22.09.2009 abgelaufen. Bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre sei ihr Vorhaben genehmigungsfähig gewesen.
11 
Die Klägerin beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16.02.2010 - 6 K 4127/09 - zu ändern und festzustellen, dass die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, vor dem 06.11.2009 rechtswidrig gewesen ist.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Sie erwidert: Die dreimonatige Sperrfrist nach § 75 VwGO habe erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 zu laufen begonnen. Jedenfalls sei die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 75 Satz 2 VwGO nicht erfüllt gewesen, weil über den Bauantrag mit zureichendem Grund noch nicht entschieden worden sei. Dieser Grund liege darin, dass die Entscheidungsfrist nach der Landesbauordnung selbst bei früherer Einleitung der Anhörung frühestens am 12.11.2009 geendet hätte. Die Anhörung müsse erst nach Ablauf einer Frist von zehn Arbeitstagen zur Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit unverzüglich eingeleitet werden. Dafür stünden weitere drei bis fünf Arbeitstage zur Verfügung. Demzufolge hätte die Anhörung frühestens 15 Arbeitstage nach dem 22.07.2009, also am 12.08.2009 eingeleitet sein müssen. Bei einer angemessenen einmonatigen Anhörungsfrist hätte die zweimonatige Entscheidungsfrist danach frühestens am 12.09.2009 begonnen. Abgesehen davon sei der Bauantrag erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 vollständig gewesen. Der Feststellungsantrag sei auch unbegründet. Das Vorhaben sei auch vor Inkrafttreten der Veränderungssperre nicht genehmigungsfähig gewesen.
16 
Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Bau- und Bebauungsplanakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 641/11 - geändert, soweit die Klage abgewiesen wurde.

Es wird festgestellt, dass die an den Kläger gerichtete Auflage in Ziffer 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.

Die Beklagte trägt die gesamten Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Kläger begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit einer an ihn als Versammlungsleiter gerichteten Auflage, nach der das Mitführen von Gegenständen, die zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeignet und bestimmt sind, bei der Versammlung verboten ist.
Mit Schreiben vom 25.01.2011 und 01.02.2011 meldete der Kläger bei der Beklagten für Samstag, den 12.02.2011, 12 - 15 Uhr, eine Versammlung mit 200 bis 250 Teilnehmern auf dem Karlsruher Marktplatz an. Die Kundgebung richtete sich gegen einen wenige Tage später stattfindenden Castor-Transport aus dem Karlsruher Institut für Technologie - KIT - nach Lubmin. Ein LKW sollte als Bühne dienen, die Teilnehmer und Passanten sollten per Lautsprecher, Transparenten und Flyern erreicht werden.
Mit Bescheid vom 09.02.2011 bestätigte die Beklagte gemäß § 14 VersammlG die Versammlung und erteilte - ausweislich der Begründung gestützt auf § 15 VersammlG - eine Reihe von Auflagen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Ziffer 7 der Verfügung lautete:
„Es ist verboten an der Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf ausgerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern (Vermummungsverbot). Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, dürfen bei der Versammlung nicht mitgeführt werden. Hierzu zählt insbesondere die Bekleidung mit Kapuzenpullovern und Halstüchern, wenn dadurch eine Identifizierung unmöglich gemacht wird (z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen).“
Die Einzelbegründung zu Ziffer 7 lautete:
„Die Auflage ergibt sich direkt aus § 17 a Abs. 2 Versammlungsgesetz.“
Des weiteren wurde der Kläger als Versammlungsleiter verpflichtet, sich zu Beginn bei der Polizeieinsatzleitung zu melden und während der Veranstaltung per Mobiltelefon erreichbar zu sein. Ihm wurde aufgegeben, je 50 Teilnehmer einen Ordner einzusetzen und deren Personalien vorab der Polizei mitteilen. Es wurden Einzelheiten bezüglich des Bühnen- und Standaufbaus sowie der Beschaffenheit von Transparenten und Fahnen geregelt, unter anderem wurden Transparente mit einer Länge von über 3 m untersagt. Verboten wurden auch die Blockade und Behinderung des Straßenbahnverkehrs, der Ausschank, Verkauf und Konsum alkoholischer Getränke sowie das Mitführen von Glasbehältnissen und Hunden. Der Kläger wurde verpflichtet, den Versammlungsort nach der Veranstaltung zu reinigen.
Der Bescheid verpflichtete den Kläger, den Teilnehmern den Verlauf und die Auflagen mitzuteilen und auf mögliche Bußgeldverfahren hinzuweisen. Ziffer 1 der Verfügung endete mit dem Satz:
„Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.“
10 
Der Sofortvollzug aller Auflagen wurde angeordnet.
11 
Am 11.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen einige der verfügten Auflagen, über den nicht entschieden wurde.
12 
Die Versammlung fand am 12.02.2011 statt und wurde um 14.15 Uhr vom Kläger beendet. Die Versammlung, an der zur Spitzenzeit ca. 300 und 350 Personen teilnahmen, verlief friedlich. Die Beklagte teilte dem Kläger während der Versammlung mit, dass auf den Sofortvollzug der Auflagen verzichtet werde.
13 
Am 09.03.2011 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass die Ziffern 1, 3, 5, 7, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig waren, soweit diese
14 
a) den Kläger verpflichten, dem Polizeieinsatzleiter vor Versammlungsbeginn die Mobiltelefonnummer, unter der er jederzeit während der Versammlung erreichbar ist, mitzuteilen,
15 
b) den Kläger verpflichten, als Versammlungsleiter die Personalien (Name, Vorname und Wohnort) der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die der Polizei am 12.02.2011 um 11.30 Uhr vorzulegen ist,
16 
c) den Kläger verpflichten, keine Transparente mitzuführen, die die Länge von 3 m überschreiten,
17 
d) das Mitführen von Gegenständen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, bei der Versammlung verbieten, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen,
18 
e) das Mitführen von Glasbehältnissen auf der Versammlung verbieten,
19 
f) das Mitführen von Hunden während der Versammlung untersagen.
20 
Mit Urteil vom 24.11.2011 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe festgestellt, dass die Ziffern 1, 3, 5, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 in dem mit der Klage angegriffenen Umfang rechtswidrig waren. Lediglich in Bezug auf das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2 und 3 der Verfügung), hat es die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es insoweit ausgeführt: Die Anordnung wiederhole lediglich den Wortlaut des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG und konkretisiere diesen durch Beispiele. Das angeführte Tragen von Kapuzenpullovern und Halstüchern sei nur insofern verboten, als dies in einer Weise geschehe, die eine Identifizierung der Person unmöglich mache. Danach sei das Tragen der genannten Kleidungsstücke nicht generell untersagt, sondern nur dann, wenn es dem Verbot des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG zuwiderlaufe. In dieser Auslegung begegne das Verbot keinen Bedenken.
21 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 22.03.2012 - 1 S 89/12 - zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor: Das Verbot des Mitführens von zur Vermummung geeigneten Gegenständen stelle nicht lediglich eine Konkretisierung des gesetzlichen Verbots dar. Während nach § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG lediglich das Mitführen von Gegenständen verboten sei, die geeignet und den Umständen nach zur Vermummung bestimmt seien, verbiete die angegriffene Verfügung schon das bloße Tragen geeigneter Kleidungsstücke, ohne dass eine Zweckbestimmung notwendig sei. Zur Vermummung geeignete Kleidungsstücke, insbesondere die in der Verfügung genannten Kapuzenpullover seien ein weit verbreitetes modisches Kleidungsstück. Das Verbot sei den potentiellen Teilnehmern nicht vorab bekannt, es hindere Bürger an der spontanen Teilnahme. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG seien nicht gegeben. Die Veranstaltung sei, wie bereits im Vorfeld absehbar gewesen sei, friedlich verlaufen. Die Auflage sei schließlich zu unbestimmt; der Kläger könne nicht zuverlässig beurteilen, ob ein Verstoß gegen die Auflage vorliege. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers seien mehrere Vorfälle bekannt, bei denen Jugendlichen vor Demonstrationen das Tragen von Halstüchern oder Kapuzenpullovern untersagt worden sei, obwohl die jeweiligen Umstände nahegelegt hätten, dass die Kleidungsstücke nicht der Vermummung, sondern dem Schutz vor der Witterung dienen sollten.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 641/11 - zu ändern und festzustellen, dass Ziff. 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.
24 
Die Beklagte beantragt,
25 
die Berufung zurückzuweisen.
26 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Ziffer 7 der Verfügung verbiete nicht das Tragen von zur Vermummung potentiell geeigneten Kleidungsstücken an sich, sondern nur in Verbindung mit der Absicht die Identitätsfeststellung zu verhindern. Diese Absicht sei nur festzustellen durch eine bereits stattgefundene Vermummung. Die Verfügung wiederhole und konkretisiere nur das gesetzliche Vermummungsverbot und bedürfe daher keiner Gefahrenprognose nach § 15 Abs. 1 VersammlG.
27 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Für die örtliche Zuständigkeit gilt folgendes:

1.
In Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, ist nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.
2.
Bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat, vorbehaltlich der Nummern 1 und 4. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen des Satzes 1. In Streitigkeiten nach dem Asylgesetz ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach Nummer 3. Soweit ein Land, in dem der Ausländer seinen Aufenthalt zu nehmen hat, von der Möglichkeit nach § 83 Absatz 3 des Asylgesetzes Gebrauch gemacht hat, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, das nach dem Landesrecht für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz betreffend den Herkunftsstaat des Ausländers zuständig ist. Für Klagen gegen den Bund auf Gebieten, die in die Zuständigkeit der diplomatischen und konsularischen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland fallen, auf dem Gebiet der Visumangelegenheiten auch, wenn diese in die Zuständigkeit des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten fallen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesregierung ihren Sitz hat.
3.
Bei allen anderen Anfechtungsklagen vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Ist er von einer Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, oder von einer gemeinsamen Behörde mehrerer oder aller Länder erlassen, so ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Fehlt ein solcher innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach Nummer 5. Bei Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte einer von den Ländern mit der Vergabe von Studienplätzen beauftragten Behörde ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde ihren Sitz hat. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen der Sätze 1, 2 und 4.
4.
Für alle Klagen aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat der Kläger oder Beklagte keinen dienstlichen Wohnsitz oder keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, so ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk diese Behörde ihren Sitz hat. Die Sätze 1 und 2 gelten für Klagen nach § 79 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen entsprechend.
5.
In allen anderen Fällen ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hat oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte.

Tenor

Das Verwaltungsgericht Freiburg erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Stuttgart verwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht gemäß den §§ 83 VwGO, 17a Abs. 2 GVG nach Anhörung der Beteiligten.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen Maßnahmen von Beamten der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein. Nach § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO ist bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat, vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 (von § 52 VwGO). Die Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein ist eine unselbständige Untergliederung der Bundespolizeidirektion Stuttgart und damit nicht Behörde im zuvor genannten Sinn. Nach dem Gesetz über die Bundespolizei vom 19.10.1994 (BGBl I 1994, 2978) und der Verordnung über die Zuständigkeiten der Bundespolizeibehörden in der Fassung vom 01.03.2008 (BGBl I 2008, 250) kommen nur den Bundespolizeidirektionen, nicht aber den Bundespolizeiinspektionen, eigene Zuständigkeiten zu (ebenso VG Münster, Beschluss vom 14.04.2008 - 1 K 201/08 -, juris; vgl. auch VG Köln, Urteil vom 26.03.2009 - 20 K 2662/08 -, juris, in dem - unausgesprochen - eine Zuständigkeit für außerhalb des Gerichtsbezirks des VG Köln durchgeführte Maßnahmen der für NRW zuständigen Bundespolizeidirektion angenommen wurde). Die nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Nr. 1 der oben genannten Verordnung für das Land Baden-Württemberg zuständige Bundespolizeidirektion Stuttgart mit Sitz in Böblingen ist danach die Bundesbehörde, nach der sich die Zuständigkeit im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO richtet.
Die Kammer hält die Vorschrift des § 52 Nr. 2 VwGO auch im vorliegenden Fall einer Fortsetzungsfeststellungklage wegen deren Ableitung von der Anfechtungsklage für entsprechend anwendbar (wie hier VG Frankfurt, Beschluss vom 27.03.2013 - 6 K 1186/12 -, juris, m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 52 RdNr. 8, m.w.N, und § 113 RdNr. 97).
Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich die Zuständigkeit des Gerichts hier nicht aus § 52 Nr. 3 (Satz 2) VwGO, da diese Vorschrift nur für Klagen gilt, die, wie bereits der Wortlaut von § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO zeigt, nicht unter § 52 Nrn. 1, 2 und 4 VwGO fallen (vgl. u. a. Kopp/Schenke, a.a.O, § 52 RdNr. 12).
Danach ist hier das Verwaltungsgericht Stuttgart, in dessen Bezirk die Bundespolizeidirektion Stuttgart ihren Sitz hat, örtlich zuständig.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).

(1) Bundespolizeibehörden sind das Bundespolizeipräsidium, die Bundespolizeidirektionen und die Bundespolizeiakademie.

(2) Dem Bundespolizeipräsidium als Oberbehörde unterstehen die Bundespolizeidirektionen als Unterbehörden und die Bundespolizeiakademie. Das Bundespolizeipräsidium untersteht dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat unmittelbar.

(3) (weggefallen)

(4) Die Bundespolizeiakademie ist die zentrale Aus- und Fortbildungsstätte der Bundespolizei.

(5) Zahl und Sitz der Bundespolizeibehörden bestimmt das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, den Sitz nach Anhörung des beteiligten Landes.

(6) Die zahlenmäßige Stärke der Bundespolizei ergibt sich aus dem Haushaltsplan.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es

1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt,
2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient,
3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient,
4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind,
5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient,
6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb,
b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt,
c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und
d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität,
8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient
a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder
b)
auf einer Fläche längs von
aa)
Autobahnen oder
bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
und in einer Entfernung zu diesen von bis zu 200 Metern, gemessen vom äußeren Rand der Fahrbahn, oder
9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2,
b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und
c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.

(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.

(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben

1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht,
2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht,
3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird,
4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert,
5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet,
6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet,
7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder
8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
Raumbedeutsame Vorhaben dürfen den Zielen der Raumordnung nicht widersprechen; öffentliche Belange stehen raumbedeutsamen Vorhaben nach Absatz 1 nicht entgegen, soweit die Belange bei der Darstellung dieser Vorhaben als Ziele der Raumordnung abgewogen worden sind. Öffentliche Belange stehen einem Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.

(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:

1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz,
b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt,
c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück,
d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden,
e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs,
f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und
g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden,
b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf,
c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und
d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle,
4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient,
5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden,
b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und
c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
In begründeten Einzelfällen gilt die Rechtsfolge des Satzes 1 auch für die Neuerrichtung eines Gebäudes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1, dem eine andere Nutzung zugewiesen werden soll, wenn das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, keine stärkere Belastung des Außenbereichs zu erwarten ist als in Fällen des Satzes 1 und die Neuerrichtung auch mit nachbarlichen Interessen vereinbar ist; Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis g gilt entsprechend. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 sowie des Satzes 2 sind geringfügige Erweiterungen des neuen Gebäudes gegenüber dem beseitigten oder zerstörten Gebäude sowie geringfügige Abweichungen vom bisherigen Standort des Gebäudes zulässig.

(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.

(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
Bei Aufstellung der Satzung sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. § 10 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden. Von der Satzung bleibt die Anwendung des Absatzes 4 unberührt.

(1) Es bleiben monatlich anrechnungsfrei

1.
vom Einkommen der miteinander verheirateten oder in einer Lebenspartnerschaft verbundenen Eltern, wenn sie nicht dauernd getrennt leben, 2 415 Euro,
2.
vom Einkommen jedes Elternteils in sonstigen Fällen sowie vom Einkommen des Ehegatten oder Lebenspartners des Auszubildenden je 1 605 Euro.

(2) (weggefallen)

(3) Die Freibeträge des Absatzes 1 erhöhen sich

1.
für den nicht in Eltern-Kind-Beziehung zum Auszubildenden stehenden Ehegatten oder Lebenspartner des Einkommensbeziehers um 805 Euro,
2.
für Kinder des Einkommensbeziehers sowie für weitere dem Einkommensbezieher gegenüber nach dem bürgerlichen Recht Unterhaltsberechtigte um je 730 Euro,
wenn sie nicht in einer Ausbildung stehen, die nach diesem Gesetz oder nach § 56 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gefördert werden kann. Die Freibeträge nach Satz 1 mindern sich um das Einkommen des Ehegatten oder Lebenspartners, des Kindes oder des sonstigen Unterhaltsberechtigten.

(4) Das die Freibeträge nach den Absätzen 1, 3 und 6 übersteigende Einkommen der Eltern und des Ehegatten oder Lebenspartners bleibt anrechnungsfrei

1.
zu 50 vom Hundert und
2.
zu 5 vom Hundert für jedes Kind, für das ein Freibetrag nach Absatz 3 gewährt wird.

(5) Als Kinder des Einkommensbeziehers gelten außer seinen eigenen Kindern

1.
Pflegekinder (Personen, mit denen er durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht),
2.
in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten oder Lebenspartners,
3.
in seinen Haushalt aufgenommene Enkel.

(6) Zur Vermeidung unbilliger Härten kann auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen ist, abweichend von den vorstehenden Vorschriften ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Hierunter fallen insbesondere außergewöhnliche Belastungen nach den §§ 33 bis 33b des Einkommensteuergesetzes sowie Aufwendungen für behinderte Personen, denen der Einkommensbezieher nach dem bürgerlichen Recht unterhaltspflichtig ist.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist,
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat,
3.
wenn die Finanzbehörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
§ 130 Abs. 3 gilt entsprechend.

(3) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Finanzbehörde keinen späteren Zeitpunkt bestimmt.

(4) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer als Grenzschutzdienstpflichtiger vorsätzlich oder fahrlässig

1.
bei der Entlassung oder später zum Gebrauch im Grenzschutzdienst bestimmte Bekleidungs- oder Ausrüstungsstücke nicht übernimmt (§ 51),
2.
sich nicht auf die geistige oder körperliche Tauglichkeit untersuchen läßt (§ 53 Abs. 2 Satz 2) oder
3.
eine Aufforderung zur Vorstellung nicht befolgt (§ 51).

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist das Kreiswehrersatzamt.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Der Bundespolizei obliegt der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes (Grenzschutz), soweit nicht ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt.

(2) Der Grenzschutz umfaßt

1.
die polizeiliche Überwachung der Grenzen,
2.
die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs einschließlich
a)
der Überprüfung der Grenzübertrittspapiere und der Berechtigung zum Grenzübertritt,
b)
der Grenzfahndung,
c)
der Abwehr von Gefahren,
3.
im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern und von der seewärtigen Begrenzung an bis zu einer Tiefe von 50 Kilometern die Abwehr von Gefahren, die die Sicherheit der Grenze beeinträchtigen.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, zur Sicherung des Grenzraumes das in Satz 1 Nr. 3 bezeichnete Gebiet von der seewärtigen Begrenzung an durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auszudehnen, soweit die Grenzüberwachung im deutschen Küstengebiet dies erfordert. In der Rechtsverordnung ist der Verlauf der rückwärtigen Begrenzungslinie des erweiterten Grenzgebietes genau zu bezeichnen. Von der seewärtigen Begrenzung an darf diese Linie eine Tiefe von 80 Kilometern nicht überschreiten.

(3) Das Einvernehmen nach Absatz 1 ist in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dem beteiligten Land herzustellen, die im Bundesanzeiger bekanntzugeben ist. In der Vereinbarung ist die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und der Polizei des Landes zu regeln.

(4) Nimmt die Polizei eines Landes Aufgaben nach Absatz 1 im Einvernehmen mit dem Bund mit eigenen Kräften wahr, richtet sich die Durchführung der Aufgaben nach dem für die Polizei des Landes geltenden Recht.

(1) Die Bundespolizei hat die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die

1.
den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder
2.
beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen.

(2) Die durch die Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 begünstigten Verkehrsunternehmen sind verpflichtet, der Bundespolizei für die erlangten Vorteile einen angemessenen Ausgleich zu leisten. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur für den zu leistenden Ausgleich einen Prozentsatz festzusetzen, der 50 Prozent des Gesamtaufwandes der Bundespolizei für die Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 nicht überschreiten darf. Dabei sind insbesondere die erlangten Vorteile und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verkehrsunternehmens zu berücksichtigen. Sind mehrere Verkehrsunternehmen begünstigt, ist für jedes Unternehmen nach Maßgabe des Satzes 3 gesondert ein Prozentsatz festzusetzen, die Summe dieser Prozentsätze darf 50 Prozent des Gesamtaufwandes nicht überschreiten. Die Ausgleichsbeträge werden durch die in der Rechtsverordnung nach § 58 Abs. 1 bestimmte Bundespolizeibehörde erhoben.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Der Bundespolizei obliegt der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes (Grenzschutz), soweit nicht ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt.

(2) Der Grenzschutz umfaßt

1.
die polizeiliche Überwachung der Grenzen,
2.
die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs einschließlich
a)
der Überprüfung der Grenzübertrittspapiere und der Berechtigung zum Grenzübertritt,
b)
der Grenzfahndung,
c)
der Abwehr von Gefahren,
3.
im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern und von der seewärtigen Begrenzung an bis zu einer Tiefe von 50 Kilometern die Abwehr von Gefahren, die die Sicherheit der Grenze beeinträchtigen.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, zur Sicherung des Grenzraumes das in Satz 1 Nr. 3 bezeichnete Gebiet von der seewärtigen Begrenzung an durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auszudehnen, soweit die Grenzüberwachung im deutschen Küstengebiet dies erfordert. In der Rechtsverordnung ist der Verlauf der rückwärtigen Begrenzungslinie des erweiterten Grenzgebietes genau zu bezeichnen. Von der seewärtigen Begrenzung an darf diese Linie eine Tiefe von 80 Kilometern nicht überschreiten.

(3) Das Einvernehmen nach Absatz 1 ist in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dem beteiligten Land herzustellen, die im Bundesanzeiger bekanntzugeben ist. In der Vereinbarung ist die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und der Polizei des Landes zu regeln.

(4) Nimmt die Polizei eines Landes Aufgaben nach Absatz 1 im Einvernehmen mit dem Bund mit eigenen Kräften wahr, richtet sich die Durchführung der Aufgaben nach dem für die Polizei des Landes geltenden Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

§ 50d Absatz 8 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz verstößt, weil er für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit eine von den Regelungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abweichende Besteuerung erlaubt.

A.

I.

2

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG unterliegen der Einkommensteuer (alle) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Entsprechend diesen Regelungen werden alle aus nichtselbständiger Arbeit erzielten Einkünfte natürlicher Personen, die in Deutschland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unabhängig vom Ort ihrer Erzielung nach deutschem Recht besteuert (sog. Welteinkommensprinzip).

3

Mit Abkommen vom 16. April 1985 haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867, im Folgenden abgekürzt als DBA-Türkei 1985) unter anderem Folgendes vereinbart:

Art. 15 DBA-Türkei 1985 (Unselbständige Arbeit)

(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19 und 20 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

(2) - (3) … .

Art. 23 DBA-Türkei 1985 (Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat)

(1) Bei in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Personen wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden:

a) Vorbehaltlich des Buchstabens b werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb der Republik Türkei sowie die in der Republik Türkei gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei besteuert werden können oder nur dort besteuert werden können; die Bundesrepublik Deutschland kann jedoch bei der Festsetzung des Steuersatzes für die nicht so ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte die Einkünfte und Vermögenswerte berücksichtigen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei berücksichtigt werden können. […]

b) - d) … .

4

Der Bundestag hat diesem Abkommen mit der Türkei mit Gesetz vom 27. November 1989 zugestimmt (BGBl II S. 866).

5

Nach den Regelungen in Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Türkei 1985 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen in der Türkei erzielen, in Abweichung vom Welteinkommensprinzip der § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 EStG von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen. Sie dürfen nicht für die Bemessung der Einkommensteuer nach deutschem Recht herangezogen werden. Lediglich bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte dürfen sie berücksichtigt werden.

6

§ 50d EStG in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) regelt nach seiner amtlichen Überschrift "Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen". Sein Absatz 8 lautet:

Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit zu ändern. § 175 Absatz 1 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.

7

§ 50d Abs. 8 EStG knüpft damit die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer an den Nachweis, dass der Vertragsstaat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die von ihm festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren folgendermaßen begründet (BRDrucks 630/03, S. 66):

"[§ 50d Abs. 8] Satz 1 macht die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gebotene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von dem Nachweis abhängig, dass der Tätigkeitsstaat auf die Besteuerung dieser Einkünfte verzichtet hat oder dass die in diesem Staat festgesetzte Steuer entrichtet wurde. Damit soll verhindert werden, dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, z.B. weil dann keine Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Steuerpflichtigen mehr bestehen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, die Steuerbefreiung aufgrund DBA von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. Vgl. hierzu die Ausführungen des BFH im Urteil vom 20. März 2002, I R 38/00, BStBl. II S. 819. Sind die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen worden, so ist nach Satz 2 der Steuerbescheid zu ändern, sobald der Steuerpflichtige den in Satz 1 geforderten Nachweis erbringt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats geschützt ist und die Gefahr einer sonst eintretenden Doppelbesteuerung vermieden wird. Nach Satz 3 ist § 175 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Nachweis nach Satz 1 geführt wird. Der Steuerpflichtige hat damit ausreichend Zeit, die dem Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen."

8

§ 50d Abs. 8 EStG war für den Veranlagungszeitraum 2004 erstmals anzuwenden.

9

Das DBA-Türkei 1985 wurde von der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt. Am 1. August 2012 ist das Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (BGBl II 2012 S. 527), dem der Bundestag mit Gesetz vom 24. Mai 2012 (BGBl II S. 526) zugestimmt hat, in Kraft getreten.

II.

10

1. Im Ausgangsverfahren wenden sich die Kläger, gemeinsam veranlagte Eheleute, gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004, in dem der Ehemann teils in Deutschland, teils in der Türkei Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Die Kläger beantragten, die in der Türkei erzielten Einkünfte entsprechend den Regelungen des DBA-Türkei 1985 steuerfrei zu belassen. Da sie jedoch nicht entsprechend § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nachgewiesen hatten, dass die in der Türkei erzielten Einkommensbestandteile dort versteuert worden waren oder die Türkei auf die Besteuerung verzichtet hatte, behandelte das Finanzamt den gesamten Bruttoarbeitslohn als steuerpflichtig. Die Klage zum Finanzgericht blieb erfolglos.

11

2. Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 hat der Bundesfinanzhof das daraufhin von den Klägern eingeleitete Revisionsverfahren ausgesetzt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

12

Zur Begründung der Vorlage trägt der Bundesfinanzhof vor, dass die Revision im Fall der Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG zurückzuweisen wäre. Nach seiner Auffassung verstößt die Vorschrift jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG. Mit Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens habe sich Deutschland seines Besteuerungsrechts für in der Türkei erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit begeben. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der das Besteuerungsrecht an Deutschland zurückfallen lasse, verstoße daher gegen bindendes Völkervertragsrecht und laufe der in Art. 25 GG enthaltenen Wertentscheidung des Grundgesetzes für den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliege. Die Kläger des Ausgangsverfahrens würden dadurch in ihrem Grundrecht auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung verletzt (a). Zudem widerspreche die Regelung dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG (b).

13

a) § 50d Abs. 8 EStG weiche von der im DBA-Türkei 1985 völkerrechtlich vereinbarten Verteilung des Besteuerungsrechts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ab, da sich beide Staaten hinsichtlich der Besteuerung von Arbeitseinkünften völkerrechtlich auf das Quellenprinzip und die Freistellungsmethode geeinigt hätten und diese Vereinbarung vorbehaltlos in nationales Recht überführt worden sei. Das Abkommen enthalte zudem weder eine Rückfallklausel (subject-to-tax-Klausel) noch einen Nachweisvorbehalt für die Besteuerung im anderen Vertragsstaat. In diesem Zusammenhang könne auch dahinstehen, ob bilaterale Abkommen - wie der Bundesfinanzhof in früheren Entscheidungen angenommen habe - unter einem allgemeinen Umgehungsvorbehalt stünden, der durch nationales Recht konkretisiert werden könne. Denn bei § 50d Abs. 8 EStG handele es sich jedenfalls nicht um einen der Ausfüllung eines solchen Umgehungsvorbehalts dienenden Tatbestand zur Abwehr von Abkommensmissbräuchen, also von Maßnahmen, die darauf abzielten, sich in gestaltungsmissbräuchlicher Weise in die Inanspruchnahme von Vorteilen eines bilateralen Abkommens einzukaufen.

14

Der vorlegende Senat wolle der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, die im unilateralen "Bruch" des völkervertraglich Vereinbarten - dem so genannten Treaty Overriding - keinen verfassungsrelevanten Vorgang sähen, im Einklang mit Teilen der Literatur sowie der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr folgen. Das Bundesverfassungsgericht habe im Görgülü- (BVerfGE 111, 307) und im Alteigentümer-Beschluss (BVerfGE 112, 1) sowie in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326) die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verpflichtung aller staatlichen Organe zur Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestätigt, die kraft Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ebenso wie Doppelbesteuerungsabkommen in den Rang eines Bundesgesetzes überführt worden sei. Es habe sich im Görgülü-Beschluss dahingehend geäußert, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorlägen, von denen das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit einer Abweichung abhängig mache. Darauf aufbauend ergebe sich aus dem Alteigentümer-Beschluss die Verpflichtung aller Staatsorgane, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen - durch das Rechtsstaatsgebot in Art. 20 Abs. 3 GG - in die Pflicht genommen werde, Völkervertragsrecht zu beachten. Die prinzipielle Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sei vorrangig und wirke für den Gesetzgeber als materiell-rechtliche Sperre, die ihm die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand in dem Maße nehme, das der völkerrechtliche Vertrag vorgebe. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht diese Frage in der Entscheidung zum Reichskonkordat (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>) noch anders beantwortet. Aus dem Alteigentümer-Beschluss ergebe sich jedoch, dass Abweichungen von völkervertraglichen Vereinbarungen einer besonderen Rechtfertigung bedürften, deren Voraussetzungen eng seien. Rechtfertigungsgrund sei die Beachtung der Menschenwürde und der Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht habe damit methodisch den Weg zu einer Prüfung der Erforderlichkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) gewiesen. Für den Ausgleich der hier widerstreitenden Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie komme es entscheidend darauf an, ob dem Gesetzgeber gegenüber dem Vertragsbruch ein milderes Mittel zur Verfügung stehe.

15

Im vorliegenden Fall sei eine Rechtfertigung für den Verstoß gegen das Völkerrecht nicht zu erkennen. Zwar orientiere sich § 50d Abs. 8 EStG am Leistungsfähigkeitsprinzip, verhindere eine sogenannte Keinmalbesteuerung und stelle eine gleichheitsgerechte Besteuerung (wieder) her, indem es dem Steuerpflichtigen den Vorteil, dass seine im Ausland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dort unbesteuert blieben, wieder nehme und ihn im Ergebnis mit anderen Steuerpflichtigen gleichbehandele, die entsprechende Einkünfte im Inland erzielten. Dem Gesetzgeber sei es jedoch nicht in erster Linie um die Verhinderung einer sogenannten Keinmalbesteuerung gegangen, sondern - ausweislich der Gesetzesbegründung - um die Förderung der Steuerehrlichkeit. Da die so erhobenen Steuern aber nicht an den anderen Staat weitergeleitet würden, sei § 50d Abs. 8 EStG wohl von fiskalischen Überlegungen geleitet. Diese seien ebenso wenig wie mangelnde Steuerehrlichkeit ein rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Freistellungsmethode. Unabhängig davon sei die Möglichkeit der Keinmalbesteuerung für die Freistellungsmethode kennzeichnend, so dass es systemfremd wäre, daraus einen Rechtfertigungsgrund für den einseitig angeordneten Besteuerungsrückfall abzuleiten. Eine Rechtfertigung der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) ergebe sich auch nicht daraus, dass Deutschland gezwungen gewesen sei, mittels § 50d Abs. 8 EStG schnell auf einen besonderen Missstand oder einen besonders kurzfristig zutage tretenden Steuerausfall bei im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu reagieren. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte mit der Kündigung des Abkommens - wie mit Wirkung zum 1. Januar 2011 geschehen - ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden.

16

b) § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil er den Steuerpflichtigen mit im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, der den Nachweis gemäß § 50d Abs. 8 EStG erbringe, anders behandle als den Steuerpflichtigen, dem dieser Nachweis nicht gelinge. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liege auch darin, dass das Nachweiserfordernis allein Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit treffe, nicht dagegen solche mit anderen Einkünften.

17

3. Zu dem Vorlagebeschluss haben namens der Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen sowie alle Senate des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen.

18

Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unbegründet. Die nachträgliche Abweichung von einer durch Vertragsgesetz innerstaatlich in Geltung gesetzten völkerrechtlichen Vereinbarung sei nicht verfassungswidrig. Nach dem sich klar im Wortlaut des Grundgesetzes widerspiegelnden Modell sei zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) und völkervertragsrechtlichen Bindungen (Art. 59 Abs. 2 GG) zu unterscheiden. Daraus ergebe sich für Völkervertragsrecht eindeutig der Rang einfachen Rechts, weshalb der demokratisch legitimierte Gesetzgeber durch leges posteriores wirksam von völkervertraglichen Vorgaben abweichen könne. Die abstrakte Berufung auf den Gedanken der Völkerrechtsfreundlichkeit sei nicht geeignet, Rechtsfolgen zu begründen, die Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG widersprächen. Unabhängig davon verstoße § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auch in den Fällen, in denen ein Doppelbesteuerungsabkommen keinesubject-to-tax-Klausel enthalte, schon deshalb nicht gegen Völkervertragsrecht, weil er lediglich einen allgemeinen, ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt, unter dem alle Doppelbesteuerungsabkommen stünden, konkretisiere. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der geforderte Nachweis diene der Missbrauchsverhinderung und sei insofern sachlich geboten. Die Beschränkung auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sei dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber gerade hier besonderen Handlungsbedarf erkannt habe, weil nichtselbständige Tätigkeiten, beispielsweise von Piloten, Berufskraftfahrern oder Seeleuten, für die Steuerbehörden erheblich schwerer zu erfassen seien als selbständige oder unternehmerische Tätigkeiten.

19

Die Senate des Bundesverwaltungsgerichts teilen überwiegend die Ansicht, dass das Grundgesetz keine Vorrangregelung für völkerrechtliche Verträge enthalte, diese innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hätten und der Gesetzgeber daher von ihnen abweichen dürfe. Weder die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes noch das Rechtsstaatsgebot nivellierten die differenzierten Regelungen über die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtlicher Bestimmungen gemäß Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG.

III.

20

Der Senat hat dem Bundesfinanzhof Gelegenheit gegeben, den Vorlagebeschluss zu ergänzen. Dem ist der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 10. Juni 2015 nachgekommen.

B.

21

Die Vorlage ist zulässig.

I.

22

Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Die Begründung, die das Bundesverfassungsgericht entlasten soll (vgl. BVerfGE 37, 328 <333 f.>; 65, 265 <277>), muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 79, 240 <243>; 105, 61 <67>; 121, 108 <117>; 133, 1 <11>; 135, 1 <10 f., Rn. 28>; 136, 127 <142, Rn. 44>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Das vorlegende Gericht muss dabei den Sachverhalt darstellen (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>), sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verpflichtet das vorlegende Gericht jedoch nicht, auf jede denkbare Rechtsauffassung einzugehen. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f., 193>; 88, 187 <194>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11, Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).

23

Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage, insbesondere der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).

II.

24

Die Vorlage genügt diesen Anforderungen.

25

Der Bundesfinanzhof legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG und die dafür maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar dar und setzt sich jedenfalls im Hinblick auf die aus der angenommenen Völkerrechtswidrigkeit abgeleitete Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG hinreichend mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinander (1.). Ob auch die Ausführungen zur Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann deshalb dahinstehen (2.).

26

1.a) Aus der Begründung der Vorlage ergibt sich, dass der Bundesfinanzhof von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG unter anderem wegen seines Widerspruchs zu den Regelungen des DBA-Türkei 1985 überzeugt ist. In diesem Zusammenhang geht er - wie geboten (vgl. BVerfGE 136, 127 <145 ff., Rn. 53 ff.>) - auch auf die beiden in seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung vertretenen Ansätze zur Verfassungsmäßigkeit von abkommensüberschreibenden Gesetzen ein. Er erläutert ausführlich, aus welchen Gründen nach seiner jetzigen Überzeugung die von ihm bislang angenommene Befugnis des nationalen Gesetzgebers, ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag durch ein hiervon abweichendes Gesetz ändern oder aufheben zu können (vgl. BFHE 175, 351 <352>; 178, 59 <61 f.>; 198, 514 <521>; BFH, Beschluss vom 28. November 2001 - I B 169/00 -, juris, Rn. 10 f.), nicht besteht. Auch setzt er sich damit auseinander, dass er in früheren Entscheidungen einen ungeschriebenen allgemeinen Umgehungsvorbehalt in Doppelbesteuerungsabkommen anerkannt hat, so dass sich bei einer einen derartigen Vorbehalt konkretisierenden Regelung die Frage ihrer Völkerrechts- und damit auch ihrer dadurch bedingten Verfassungswidrigkeit nicht stellt (vgl. BFHE 198, 514 <518>; 210, 117 <121 f.>; 220, 244 <246>; 220, 392 <395>). Er bringt dabei nachvollziehbar zum Ausdruck, dass und weshalb die Wertungen dieser (bisherigen) Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Umgehungsvorbehalten § 50d Abs. 8 EStG nicht beträfen und auch nicht auf diese Regelung übertragen werden könnten. Zudem legt er schlüssig dar, weshalb die vorgelegte Norm nach seiner Auffassung als Abkommensüberschreibung (Treaty Override) anzusehen ist.

27

b) Auch die Erläuterung der für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG maßgeblichen Erwägungen genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Der Bundesfinanzhof benennt insoweit den seiner Ansicht nach maßgeblichen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab - Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG - und legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG jedenfalls unter dem Aspekt der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG nachvollziehbar dar.

28

aa) Unter dem Blickwinkel der Völkerrechtswidrigkeit bezieht sich der Bundesfinanzhof zur Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auf jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 111, 307; 112, 1; 128, 326) zum Verhältnis von Völker- und Verfassungsrecht. Unter Einbeziehung vor allem steuerrechtlicher Fachliteratur erläutert er, dass und in welchem Umfang der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und das Rechtsstaatsprinzip die Befugnisse des Gesetzgebers seiner Auffassung nach beschränken.

29

Die Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird in Auseinandersetzung mit dessen Rechtsprechung begründet (vgl. BVerfGE 80, 182 <186>; BVerfGK 4, 184 <196>). Auch soweit der Bundesfinanzhof den in Bezug genommenen jüngeren Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnimmt, dass völkerrechtswidrige Gesetze regelmäßig nichtig sind, genügt die Vorlage - entgegen insoweit geäußerten Zweifeln (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <230>; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 ff.>) - den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt vom vorlegenden Gericht lediglich die Darlegung, aus welchen Erwägungen es eine Norm für verfassungswidrig "hält", und stellt insofern ausschließlich auf dessen Rechtsansicht ab; ob diese zutrifft oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht in der Sachprüfung oder - bei offensichtlich unzutreffender Rechtsauffassung - im vereinfachten Verfahren nach § 24 BVerfGG (vgl. Müller-Terpitz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn. 244 ). Die vom Bundesfinanzhof unter Bezugnahme auf die jüngere Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene Auffassung, dass abkommensüberschreibende Gesetze regelmäßig verfassungswidrig sind, ist jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend. Sie entspricht einer in der Literatur vertretenen (vgl. Gosch, IStR 2008, S. 413 <418 ff.>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 137 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 ff.; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, JZ 1997, S. 161 ff.; ders., in: Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 193 ff., 205; Weigell, IStR 2009, S. 636 <637 ff.>) Ansicht.

30

bb) Dass sich der Bundesfinanzhof bei der Darlegung der Verfassungswidrigkeit von Abkommensüberschreibungen nicht mit einer Kammerentscheidung vom 22. Dezember 2006 (BVerfGK 10, 116) auseinandergesetzt hat, in der die 1. Kammer des Zweiten Senats unter Bezugnahme auf eine Passage des Alteigentümer-Beschlusses (BVerfGE 112, 1 <25>) ausgeführt hat, dass eine verfassungsunmittelbare Pflicht der staatlichen Organe zur Berücksichtigung des Völkerrechts nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen sei, sondern nur, soweit dies dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG sowie in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes entspreche (vgl. BVerfGK 10, 116 <124>), steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt zwar eine Darstellung der aus Sicht des vorlegenden Gerichts für die Verfassungswidrigkeit der Norm sprechenden Erwägungen und in diesem Zusammenhang auch eine Auseinandersetzung mit der die Vorlagefrage betreffenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Gebot, auch sämtliche Kammerentscheidungen auszuwerten, ist damit jedoch nicht verbunden. In der Sache hat die 1. Kammer zudem lediglich die Alteigentümer-Entscheidung wiedergegeben, die der Bundesfinanzhof in seine Argumentation einbezogen hat.

31

2. Da die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit Blick auf den Gesichtspunkt der möglichen Völkerrechtswidrigkeit den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof auch die von ihm angenommene Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ausreichend begründet hat. Ist eine Richtervorlage zumindest unter einem Gesichtspunkt zulässig, hat das Bundesverfassungsgericht die vorgelegte Norm unter allen in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. BVerfGE 26, 44 <58>; 90, 145 <168>; 120, 125 <144>; 126, 77 <98>; 133, 1 <12, Rn. 41>), unabhängig davon, ob sie im Vorlagebeschluss angesprochen worden sind oder nicht (vgl. BVerfGE 90, 145 <168>).

C.

32

Die Vorlage ist unbegründet. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Er ist weder aufgrund seines (möglichen) Widerspruchs zu völkerrechtlichen Verträgen (I.) noch wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG (II.) verfassungswidrig.

I.

33

1. In der Ordnung des Grundgesetzes haben völkerrechtliche Verträge in der Regel den Rang einfacher Bundesgesetze. Sie können daher durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (a-c). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (d) noch aus dem Rechtsstaatsprinzip (e).

34

a) Rang und Einordnung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der deutschen Rechtsordnung werden durch das Grundgesetz bestimmt, das das Verhältnis von internationalem und nationalem Recht an verschiedenen Stellen regelt. So bekennt es sich in Art. 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Diese unveräußerlichen Rechte liegen ihm voraus und sind selbst der Disposition des Verfassungsgebers entzogen (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27>; 128, 326 <369>). In Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Abs. 1a GG ermöglicht das Grundgesetz dem Gesetzgeber, Hoheitsrechte auf die Europäische Union, andere zwischenstaatliche und grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen und dem von diesen Organisationen gesetzten Recht einen Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht einzuräumen (vgl. BVerfGE 37, 271 <280>; 73, 339 <374 f.>), in Art. 24 Abs. 2 GG, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen und in eine entsprechende Beschränkung der Hoheitsrechte einzuwilligen (vgl. BVerfGE 90, 286 <345 ff.>). In Art. 25 GG bestimmt es, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen (vgl. BVerfGE 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>). Gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließlich bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes.

35

Aus der Existenz dieser Öffnungsklauseln ergibt sich, dass das Grundgesetz nicht nur über die Wirksamkeit, sondern auch über den Rang von internationalem Recht innerhalb der nationalen Rechtsordnung entscheidet. In ihrem Geltungsbereich bestimmt die Verfassung insofern auch über Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht sowie über die Auflösung von Kollisionen. Sie kann dabei grundsätzlich auch dem staatlichen Recht Vorrang einräumen.

36

Hängen Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht innerhalb der deutschen Rechtsordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes ab, so können sie durch die Verfassung auch begrenzt werden, mit der Folge, dass es zu einem Auseinanderfallen von innerstaatlich wirksamem Recht und völkerrechtlichen Verpflichtungen kommen kann.

37

b) Während die allgemeinen Regeln des Völkerrechts kraft unmittelbar in der Verfassung erteilten Vollzugsbefehls innerstaatlich wirksam sind und im Rang über dem Gesetz stehen (Art. 25 GG) (aa), bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eines Zustimmungsgesetzes und haben grundsätzlich nur den Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes (bb).

38

aa) Art. 25 Satz 1 GG verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben gemäß Art. 25 Satz 2 GG innerhalb der nationalen Rechtsordnung einen Rang über den (einfachen) Gesetzen, aber unterhalb der Verfassung (2). Völkerrechtliche Verträge nehmen in der Regel nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG bestimmten Vorrang vor den (einfachen) Gesetzen teil (3).

39

(1) Art. 25 Satz 1 GG bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Er verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar, das heißt, ohne dass ein sonstiger (einfachrechtlicher) Rechtsakt hinzukommen müsste, Wirksamkeit innerhalb der deutschen Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>).

40

(2) Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vor. Er räumt diesen Regeln damit Vorrang vor den Gesetzen ein. Ein Gesetz, das mit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts kollidiert, verstößt daher gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>).

41

Gleichzeitig ist Art. 25 GG jedoch dahingehend zu verstehen, dass er - dem Wortlaut von Satz 2 entsprechend - den allgemeinen Regeln des Völkerrechts einen Rang oberhalb der (einfachen) Gesetze, aber unterhalb der Verfassung einräumt (Zwischenrang) (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 37, 271 <279>; 111, 307 <318>; 112, 1 <24, 26>; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 42 ; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 11; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 25 Rn. 55). Dies korrespondiert mit Art. 100 Abs. 2 GG, der dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung zuweist, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, nicht jedoch die Prüfung, ob das Grundgesetz mit dem (vorrangigen) Völkerrecht vereinbar ist.

42

(3) Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (vgl. BVerfGE 15, 25 <32 f., 34 f.>; 23, 288 <317>; 31, 145 <177>; 94, 315 <328>; 95, 96 <129>; 96, 68 <86>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134>), das heißt diejenigen Normen des Völkerrechts, die unabhängig von vertraglicher Zustimmung für alle oder doch die meisten Staaten gelten (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 1 ; vgl. auch BVerfGE 15, 25 <34>; 16, 27 <33>; 118, 124 <164 ff.>). Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nehmen daher grundsätzlich nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG vorgesehenen Vorrang teil (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 31, 145 <178>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134 f.>). Anders als andere Rechtsordnungen - etwa die französische (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl. 1989, S. 113 f.; Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 51; Oellers-Frahm, in: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, S. 865 <868 f.>) oder die luxemburgische (vgl. Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 204) - sieht das Grundgesetz einen generellen Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor dem einfachen Gesetzesrecht nicht vor.

43

bb) Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erlangen völkerrechtliche Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, erst durch das dort vorgesehene Zustimmungsgesetz innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben den Rang einfacher Bundesgesetze (2). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz pacta sunt servanda (3) noch - auch nicht für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - aus § 2 Abs. 1 AO (4).

44

(1) Der Zustimmungsvorbehalt gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hat unterschiedliche Funktionen. Er dient - neben der Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse im Bereich des auswärtigen Handelns (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) - der Ermöglichung einer rechtzeitigen und damit effektiven Kontrolle der Exekutive durch die Legislative vor Eintritt der völkerrechtlichen Verbindlichkeit eines Vertrags (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 118, 244 <258>; 131, 152 <195 f.>). Zudem sichert er den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, da aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hervorgeht, dass die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltenen Regelungen nur unter der Voraussetzung Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen, abändern oder aufheben können, dass ihnen der Gesetzgeber zugestimmt hat (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 65 ff.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 26). Im Interesse der Funktionsfähigkeit völkerrechtlicher Beziehungen soll der Zustimmungsvorbehalt darüber hinaus verhindern, dass (wichtige) Verträge mit auswärtigen Staaten geschlossen werden, die später - mangels notwendiger Billigung durch den Gesetzgeber - nicht erfüllt werden können (Zweck der Vollzugssicherung) (vgl. BVerfGE 1, 372 <389 f.>; 118, 244 <258>). Damit dient der Zustimmungsvorbehalt zugleich der Wahrung der Entscheidungsfreiheit der Legislative, denn er verhindert, dass das Parlament durch völkerrechtliche Verpflichtungen, die innerstaatlich ein gesetzgeberisches Tätigwerden verlangen, präjudiziert wird (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21).

45

(2) Aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgt zudem, dass völkerrechtlichen Verträgen, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel - insbesondere Art. 23 bis Art. 25 GG - fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt und sie insofern keinen Übergesetzes- oder gar Verfassungsrang besitzen (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>).

46

Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt nicht nur die Methodik, durch die völkervertragliche Regelungen in der nationalen Rechtsordnung wirksam werden, sondern auch den Rang, der dem für anwendbar erklärten Völkervertragsrecht innerhalb der nationalen Rechtsordnung zukommt. Das (einfache) Gesetz kann - ohne eine dahingehende grundgesetzliche Ermächtigung - dem völkervertraglich Vereinbarten keinen höheren Rang verleihen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht stets betont, dass der Rechtsanwendungsbefehl im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einem völkerrechtlichen Vertrag innerhalb der Normenhierarchie keinen Rang über den Gesetzen einräumt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367>).

47

(3) Aus dem Grundsatz pacta sunt servanda, der seinerseits eine allgemeine Regel des Völkerrechts ist (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 92), ergibt sich nichts anderes. Der Grundsatz beschreibt zwar eine besondere (völkerrechtliche) Pflichtenstellung des Staates gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner, sagt jedoch nichts über die innerstaatliche Geltung und den Rang völkerrechtlicher Verträge (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ). Er bewirkt insbesondere nicht, dass alle Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG werden (vgl. BVerfGE 31, 145 <178>; vgl. auch BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 1983 - 2 BvR 1193/83 -, NVwZ 1984, S. 165 <165>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, VIZ 2001, S. 114 <114>).

48

(4) An diesem Ergebnis vermag § 2 Abs. 1 AO - auch für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - nichts zu ändern (vgl. Lehner, IStR 2012, S. 389 <400>). Nach dieser Vorschrift gehen zwar Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG über die Besteuerung, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vor. Da es sich bei § 2 AO um eine einfachgesetzliche Regelung handelt, kann er den von ihm geregelten völkerrechtlichen Verträgen keinen höheren Rang in der Normenhierarchie vermitteln (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2226>). Allenfalls könnte er die Subsidiarität der nationalen Steuergesetze gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen und anderen völkerrechtlichen Verträgen im Steuerrecht anordnen.

49

c) Haben völkerrechtliche Verträge den Rang (einfacher) Bundesgesetze, können sie entsprechend dem lex-posterior-Grundsatz durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (aa). Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließt dies nicht aus (bb). Auch aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass eine solche Verdrängung an besondere Voraussetzungen gebunden wäre (cc). Das Völkerrecht steht der innerstaatlichen Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht entgegen (dd).

50

aa) Für ranggleiches innerstaatliches Recht gilt im Fall der Kollision der Grundsatz lex posterior derogat legi priori, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere oder die Geltung des lex-posterior-Grundsatzes wird abbedungen. Sind die Regelungen eines völkerrechtlichen Vertrags in der innerstaatlichen Rechtsordnung wirksam und kommt ihnen dabei der Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes zu, so können auch sie durch ein späteres, gegenläufiges Bundesgesetz im Umfang des Widerspruchs außer Kraft gesetzt werden (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 118 f.; a.A. Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>).

51

bb) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schränkt die Geltung deslex-posterior-Grundsatzes für völkerrechtliche Verträge nicht ein. Da der Gesetzgeber einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig nur insgesamt zustimmen oder nicht zustimmen kann (vgl. BVerfGE 90, 286 <358>), wird zwar mitunter angenommen, dass Zustimmungsgesetz und völkerrechtlicher Vertrag derart untrennbar miteinander verbunden seien, dass das Zustimmungsgesetz - abgesehen von seiner Aufhebung im Ganzen - durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gegen inhaltliche Abänderungen geschützt sei (vgl. Wohlschlegel, FR 1993, S. 48 <49>) oder sich der Gesetzgeber von einem völkerrechtlichen Vertrag nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht lösen könne (vgl. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, HStR XI, 3. Aufl. 2013, § 236 Rn. 33).

52

Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen.

53

Sie widerspricht insbesondere dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität. Demokratie ist Herrschaft auf Zeit (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20 Rn. 79). Dies impliziert, dass spätere Gesetzgeber - entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes - innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 174; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren, weil dadurch politische Auffassungen auf Dauer festgeschrieben würden (vgl. Hofmann, DVBl. 2013, S. 215 <219>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 184 ; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll einem innerstaatlich anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag zudem ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau vermitteln (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 21), nicht dieses absenken. Es soll die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 37; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 65; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21). Dem widerspräche es, aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen (vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S. 261).

54

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Unterschied zu Exekutive und Judikative gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht jedoch an einfachrechtliche Regelungen gebunden ist. Diese soll er - innerhalb der verfassungsrechtlichen Bindungen - durchaus ändern und neu gestalten können. Für ihn sollen daher gerade keine einfachgesetzlichen Bindungen bestehen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 173). Würde der Gesetzgeber seine Normsetzungsbefugnis in dem Umfang verlieren, in dem er in der Form eines Bundesgesetzes völkerrechtliche Vereinbarungen gebilligt hat, führte dies im Ergebnis zu einer Art. 20 Abs. 3 GG widersprechenden Bindung (vgl. Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>).

55

Auch ist der Gesetzgeber nicht für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Bestünde tatsächlich eine entsprechende Selbstbindung nach der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, würde er dauerhaft auf seine Gesetzgebungsbefugnis verzichten (vgl. BVerfGE 68, 1 <83, 85 f.>). Wenn aber das Demokratieprinzip eine dauerhafte Bindung des Gesetzgebers an Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber verbietet und ihm gleichzeitig die Befugnis fehlt, völkerrechtliche Verträge, mit deren Inhalt er nicht mehr einverstanden ist, zu beenden, muss er zumindest in der Lage sein, innerhalb seines Kompetenzbereichs vom völkerrechtlich Vereinbarten abweichende Gesetze zu erlassen.

56

Schließlich hat das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag für die Beteiligten am Rechtsverkehr ebenso wenig wie ein sonstiges innerstaatliches Gesetz eine Garantiefunktion dahingehend, dass kein abweichendes Gesetz erlassen wird (vgl. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 212 ff.; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <289>).

57

cc) Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass völkervertragliche Regelungen nicht durch spätere, ihnen widersprechende (Bundes-)Gesetze verdrängt werden können.

58

So hat der Zweite Senat in seiner Entscheidung zur C-Waffen-Stationierung ausgeführt, dass der Verfassung schwerlich unterlegt werden könne, dass sie es der Bundesrepublik Deutschland verwehre, sich völkerrechtswidrig zu verhalten (vgl. BVerfGE 77, 170 <233 f.>; vgl. auch BVerfGE 68, 1 <107>). In der Entscheidung zur Unschuldsvermutung hat er zwar festgestellt, dass Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands auszulegen und anzuwenden seien, selbst wenn sie zeitlich später wirksam geworden seien als ein völkerrechtlicher Vertrag, da nicht anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet habe, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Pflichten ermöglichen wolle (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>). Daher sei davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber grundsätzlich nicht in Widerspruch zu völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands setzen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 515; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <488>); er ist dazu jedoch in der Lage (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>).

59

Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 518; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 4a; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 109 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <848>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 205; ders., IStR 2005, S. 29 <30>; Weigell, IStR 2009, S. 636 <639 f.>) hat das Bundesverfassungsgericht auch im Görgülü-Beschluss (BVerfGE 111, 307) nicht entschieden, dass der Gesetzgeber nur zur Wahrung tragender Verfassungsgrundsätze von völkerrechtlichen Vereinbarungen abweichen dürfe. Zwar hat der Senat dort festgehalten, dass es dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht widerspreche, wenn der Gesetzgeber Völkervertragsrecht ausnahmsweise nicht beachte, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden sei (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>). Er hat zudem festgestellt, dass das Zustimmungsgesetz eine Pflicht der zuständigen Stellen zur Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs für Menschenrechte begründe und dass diese die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis nehmen und in ihren Willensbildungsprozess einfließen lassen müssten (vgl. BVerfGE 111, 307 <324>). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig zu dessen Verfassungswidrigkeit führt. Der Görgülü-Beschluss verhält sich zu den Folgen eines Verstoßes des Gesetzgebers gegen Völker(vertrags)recht nicht, sondern betrifft ausschließlich die Rechtsfolgen einer unzureichenden Beachtung von Völkerrecht durch die Fachgerichte (vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).

60

dd) Das Völkerrecht verbietet die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte grundsätzlich nicht (1); unbeachtlich ist ein Verstoß gegen Völkerrecht gleichwohl nicht (2).

61

(1) Das Völkerrecht schließt die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht aus. Allgemeine Regeln des Völkerrechts zur innerstaatlichen Erfüllung von Vertragspflichten existieren nicht (vgl. BVerfGE 73, 339 <375>; vgl. auch BVerfGE 111, 307 <322>; 123, 267 <398>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384, Rn. 26>; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 704; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 64; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>). Das Völkerrecht überlässt es vielmehr den Staaten, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Regelungen genügen (so in Bezug auf die EMRK jedenfalls BVerfGE 111, 307 <316> m.w.N.; 128, 326 <370>). Zwar fordert es von den Staaten die Erfüllung der zwischen ihnen geschlossenen Verträge nach Treu und Glauben (Art. 26 WVRK). Es schließt allerdings nur aus, dass ein Staat unter Berufung auf innerstaatliches Recht die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht auf völkerrechtlicher Ebene rechtfertigen kann (Art. 27 Satz 1 WVRK).

62

Insoweit überlässt es das Völkerrecht den Staaten, die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer Kollision zwischen einem völkerrechtlichen Vertrag und einem Gesetz nach den entsprechenden Rang- und Kollisionsregeln des nationalen Rechts zu regeln und dem nationalen Recht den Vorrang einzuräumen (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 30; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 183 ). Innerstaatliche Regelungen betreffen andere Rechtsverhältnisse als die völkerrechtlichen Vorschriften, zu denen sie im Widerspruch stehen.

63

(2) Auch wenn das Völkerrecht die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht ausschließt, ist der damit verbundene Verstoß nicht unbeachtlich. Verletzt ein Staat seine Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag, haben der oder die Vertragspartner verschiedene Möglichkeiten, auf den Vertragsbruch zu reagieren. Bei weniger gravierenden Vertragsverletzungen kommen regelmäßig nur ein Recht zur ordentlichen Kündigung (Art. 56 WVRK), ein Anspruch auf Herstellung des vertragsmäßigen Zustands oder - subsidiär - eine Schadensersatzforderung in Betracht (vgl. Art. 34 ff. der ILC, Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 370 mit Fn. 82, Rn. 371 ff. mit Fn. 86). Bei erheblichen Verletzungen (material breach) kann der andere Teil berechtigt sein, den Vertrag unabhängig von der Vereinbarung eines Kündigungsrechts zu beenden oder ihn zu suspendieren (Art. 60 Abs. 1 WVRK; vgl. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 371). Eine erhebliche Verletzung liegt gemäß Art. 60 Abs. 3 WVRK bei Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder -zwecks wesentlichen Bestimmung vor (vgl. Art. 2b i.V.m. Art. 12 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ).

64

d) Die Verfassungswidrigkeit völkerrechtswidriger Gesetze lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen (a.A. Vogel, JZ 1997, S. 161 <165 ff.>; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>; Richter, in: Giegerich , Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <846>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>). Der Grundsatz hat zwar Verfassungsrang (aa), beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. Er dient vielmehr vor allem als Auslegungshilfe (bb). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann insbesondere die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen und ihre Systematik nicht unterlaufen (cc).

65

aa) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit hat Verfassungsrang. Er ergibt sich aus einer Zusammenschau der verfassungsrechtlichen Vorschriften, die das Verhältnis Deutschlands zur internationalen Staatengemeinschaft zum Gegenstand haben (vgl. Herdegen, Völkerrecht, 13. Aufl. 2014, § 22 Rn. 9 f.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <470 ff.>). Das Grundgesetz hat die deutsche öffentliche Gewalt auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG) festgelegt. Es hat das Völkerrecht jedenfalls in seinen allgemeinen Regeln besonders hervorgehoben (Art. 25 GG), das Völkervertragsrecht durch Art. 59 Abs. 2 GG in das System der Gewaltenteilung eingeordnet, die Einfügung Deutschlands in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugelassen (Art. 24 Abs. 2 GG), den Auftrag zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit erteilt (Art. 24 Abs. 3 GG) und den Angriffskrieg für verfassungswidrig erklärt (Art. 26 GG) (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>). Mit diesen Regelungen zielt es, auch ausweislich der Präambel, darauf, die Bundesrepublik Deutschland als friedliches und gleichberechtigtes Glied in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft einzufügen (vgl. BVerfGE 63, 343 <370>; 111, 307 <318>). Die Bestimmungen enthalten eine Verfassungsentscheidung für eine auf die Achtung und Stärkung des Völkerrechts aufbauende zwischenstaatliche Zusammenarbeit (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 112, 1 <25>; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 1992, § 175 Rn. 1 ff.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <481>) und verpflichten daher die gesamte öffentliche Gewalt dazu, einem Auseinanderfallen von völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtslage entgegenzuwirken und im Außenverhältnis eine mit einer Verletzung des Völkerrechts verbundene Haftung Deutschlands zu vermeiden (vgl. BVerfGE 58, 1 <34>; 59, 63 <89>; 109, 13 <23 f.>; 109, 38 <49 f.>; 111, 307 <316, 318, 328>; 112, 1 <25>; 128, 326 <368 f.>).

66

Der daraus abgeleitete Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes wird in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vor allem im Verhältnis zu Menschenrechtspakten und dabei insbesondere im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention - hervorgehoben (vgl. BVerfGE 92, 26 <48>; 111, 307 <317 ff.>; 112, 1 <26>; 113, 273 <296>; 123, 267 <344, 347>; 128, 326 <365, 366, 369>; BVerfGK 9, 174 <186, 190, 191, 192>; 17, 390 <397 f.>), ist aber auch schon in der älteren Rechtsprechung des Gerichts nachweisbar (vgl. BVerfGE 6, 309 <362>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75>; 41, 88 <120 f.>). Während zunächst vor allem die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit thematisiert wurden (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75 f.>; 41, 88 <120 f.>), betont die Rechtsprechung heute, dass das Grundgesetz die Staatsorgane in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts stellt und dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts mindert (vgl. BVerfGE 109, 38 <50>; 111, 307 <328>; 112, 1 <25>).

67

bb) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Verträge (1-2). Er dient vor allem als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (3).

68

(1) Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität.

69

(2) Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes folgt keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung jeder Bestimmung des Völkerrechts. Eine solche widerspräche, wie der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss erläutert hat, dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG, in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und in Art. 59 Abs. 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes und damit den differenzierten Regelungen über den innerstaatlichen Rang völkerrechtlicher Normen (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), aus denen der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit abgeleitet wird und die daher auch bei der näheren Bestimmung seines Inhalts zu beachten sind. Das Grundgesetz hat nicht die uneingeschränkte Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Vorrang von Völkerrecht auch vor dem Verfassungsrecht angeordnet, sondern will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit (nur) in den Formen einer kontrollierten Bindung (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), das heißt so, wie sie in den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsordnungen vorgesehen ist. Diese beinhalten für die Regelungen völkerrechtlicher Verträge jedoch gerade keine Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung.

70

(3) Die sich aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergebende Pflicht, das Völkerrecht zur respektieren, besitzt vielmehr drei Dimensionen: Erstens sind die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens hat der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können. Drittens können die deutschen Staatsorgane - unter hier nicht näher zu bestimmenden Voraussetzungen - auch verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).

71

(4) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ferner als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (vgl. zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <315 f., 317, 324, 325, 329>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <365, 367 f.>; BVerfGK 3, 4 <8>; 9, 174 <190>; 10, 66 <77>; 10, 234 <239>; 11, 153 <159 ff.>; 20, 234 <247>). Er gebietet, die nationalen Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317 f.>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>; BVerfGK 9, 174 <190>). In der Kammerrechtsprechung ist dies dahingehend konkretisiert worden, dass im Rahmen geltender methodischer Grundsätze von mehreren möglichen Auslegungen eines Gesetzes grundsätzlich eine völkerrechtsfreundliche zu wählen ist (vgl. BVerfGK 10, 116 <123>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11 -, NVwZ 2015, S. 361 <364>; so auch Proelß, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Bd. 1, 2009, S. 553 <556 ff.>).

72

Das aus dem Grundgesetz abgeleitete Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung gilt jedoch nicht absolut und ungeachtet der methodischen Grenzen der Gesetzesauslegung. Es verlangt keine schematische Parallelisierung der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Völkerrecht, sondern eine möglichst vollständige Übernahme der materiellen Wertungen - soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist (vgl. BVerfGE 111, 307 <323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>; BVerfGK 20, 234 <247>; bezogen auf die EMRK vgl. Thym, JZ 2015, S. 53 <54>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 <318, 323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>) und lässt etwa den Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung unangetastet (vgl. BVerfGE 123, 267 <344>). Zwar ist grundsätzlich nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; BVerfGK 10, 116 <123>). Eine Auslegung entgegen eindeutig entgegenstehendem Gesetzes- oder Verfassungsrecht ist jedoch methodisch nicht vertretbar (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; vgl. auch Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <425 f.>).

73

cc) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann daher nicht völkerrechtsfreundlich dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen, in denen allein auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist, über völkervertragliche Bindungen hinwegsetzen dürfte. Eine Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach völkerrechtlichen Verträgen zumindest im Regelfall ein Rang über den (einfachen) Gesetzen zukäme, ist methodisch nicht vertretbar. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann die Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen (1) und die damit verbundene Systematik nicht unterlaufen (2).

74

(1) Das Grundgesetz hat sich in Art. 59 Abs. 2 GG dafür entschieden, völkerrechtliche Verträge innerstaatlich (nur) mit dem Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes auszustatten (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <367>; BVerfGK 10, 116 <124>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - der seinerseits keine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, juris, Rn. 11) und unter anderem aus Art. 59 Abs. 2 GG abgeleitet wird - vermag an dieser Einordnung und an der daran anknüpfenden Geltung des lex-posterior-Grundsatzes nichts zu ändern. In diesem Sinne hat der Senat bereits in seiner Entscheidung zum Reichskonkordat festgestellt, dass das Grundgesetz in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit gehe, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>). Der aus ihm abgeleitete ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann das Grundgesetz konkretisieren oder ergänzen. Er kann das geschriebene Verfassungsrecht jedoch nicht entgegen der in Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG vorgesehenen Zuständigkeit und Methodik ändern oder außer Kraft setzen (vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 251).

75

(2) Die hier in Rede stehende Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG, die sich auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit beruft, führte im Ergebnis dazu, dass die Unterschiede in der Bindungswirkung der verschiedenen Quellen des Völkerrechts, die durch ihren jeweiligen grundgesetzlich bestimmten Rang bedingt sind, eingeebnet würden und damit die grundgesetzliche Systematik hinsichtlich des Rangs von Völkerrecht unterlaufen würde (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <231 f.>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.I.). Dies wird, nimmt man Doppelbesteuerungsabkommen in den Blick, sehr deutlich: Da Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig nicht gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen (vgl. Fehrenbacher/Traut, in: Festschrift für Kay Hailbronner, 2013, S. 569 <580>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, IStR 2005, S. 29 <30>), hätten sie de facto - wie die allgemeinen Regeln des Völkerrechts - regelmäßig einen Rang über den Gesetzen. Eine solche Gleichsetzung widerspräche jedoch der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG getroffenen Unterscheidung. Darüber kann sich die Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG nicht hinwegsetzen.

76

Die Forderung nach einer völkerrechtskonformen Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG verkennt zudem, dass das Grundgesetz nicht nur zwischen Völkervertragsrecht und allgemeinen Regeln des Völkerrechts unterscheidet, sondern auch zwischen zwingenden, der Disposition des Verfassungsgebers entzogenen Regelungen, insbesondere den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG), und sonstigem Völkerrecht (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27 f.>; 128, 326 <369>). Daher können die vom Bundesfinanzhof und Teilen des Schrifttums zur Begründung einer grundsätzlichen Bindung des Gesetzgebers an Völkervertragsrecht herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich durchgängig auf grund- und menschenrechtliche Fragestellungen (vgl. BVerfGE 111, 307 <308 ff.>; 112, 1 <13 ff.>; 128, 326 <359 ff.>) beziehen, nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen werden (zur fehlenden Übertragbarkeit der Entscheidungen aufgrund des unterschiedlichen normativen Gesamtgefüges vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Musil, IStR 2014, S. 192 <194>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).

77

e) Entgegen einer vor allem in der steuerrechtlichen Literatur vertretenen und vom Bundesfinanzhof nun aufgegriffenen Ansicht (z.B. Frotscher, IStR 2009, S. 593 <599>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 <1381>; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 105 ff.; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; Stein, IStR 2006, S. 505 <509>; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>), ist die einseitige Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schließlich nicht wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig.Die Auslegung des grundgesetzlichen Rechtsstaatsgebots muss den Anforderungen einer systematischen Interpretation des Verfassungstextes genügen. Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung findet jedenfalls an ausdrücklichen Vorgaben des Grundgesetzes und am Demokratieprinzip ihre Grenze (aa). Daher kann aus dem Rechtsstaatsprinzip ein insbesondere den Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG widersprechender (begrenzter) Vorrang des Völkervertragsrechts vor dem (einfachen) Gesetz oder eine Einschränkung des lex-posterior-Grundsatzes nicht abgeleitet werden (bb).

78

aa) Das Verfassungsrecht besteht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung, sondern darüber hinaus aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 80 ff., 84 f.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 399 ff.). Zu diesen Grundsätzen gehört das Rechtsstaatsprinzip, das sich aus einer Zusammenschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG über die Bindung der einzelnen Gewalten und der Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes ergibt (vgl. BVerfGE 2, 380 <403>). Seine vornehmliche Verankerung findet das Rechtsstaatsprinzip allerdings in den in Art. 20 Abs. 3 GG ausgesprochenen Bindungen der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 35, 41 <47>; 39, 128 <143>; 48, 210 <221>; 51, 356 <362>; 56, 110 <128>; 58, 81 <97>; 101, 397 <404>; 108, 186 <234>; 133, 143 <157 f., Rn. 40>; 134, 33 <89, Rn. 129>; stRspr).

79

Das Rechtsstaatsprinzip enthält keine bis in alle Einzelheiten gehenden, eindeutig bestimmten Ge- oder Verbote, sondern ist entsprechend den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Angesichts dieser Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist bei der Ableitung konkreter Bindungen mit Behutsamkeit vorzugehen (vgl. BVerfGE 90, 60 <86>; vgl. auch BVerfGE 57, 250 <276>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung des Grundgesetzes findet jedenfalls an anderen Vorgaben des Grundgesetzes ihre Grenze. Sie darf der geschriebenen Verfassung nicht widersprechen (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 85, 87). Das Rechtsstaatsprinzip ist daher auch kein Einfallstor für eine den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Regelungen widersprechende schematische "Vollstreckung" von Völkerrecht (vgl. bezogen auf die Durchführung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte BVerfGE 111, 307 ).

80

bb) Wollte man die Verfassungswidrigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) aus ihrer Rechtsstaatswidrigkeit abzuleiten versuchen, liefe dies darauf hinaus, dem Völkervertragsrecht entgegen dem insbesondere Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG zu entnehmenden Konzept des Grundgesetzes zumindest einen begrenzten Vorrang vor dem (einfachen) Gesetz einzuräumen. Ein verfassungsrechtliches Verbot der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) würde bedeuten, dass nicht nur das Abkommen selbst, das mitunter erst nach Ablauf mehrerer Jahre (vgl. Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA-Türkei 1985) und nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 1 GG nicht vom Gesetzgeber (vgl. oben Rn. 55) gekündigt werden kann, sondern auch seine Auslegung durch die Fachgerichte korrigierenden Eingriffen des Gesetzgebers entzogen wäre (vgl. BVerfGE 135, 1 <15, Rn. 45>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>). Das widerspräche nicht nur der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Entscheidung gegen eine Unterwerfung der Verfassung unter das Völkerrecht und für den einfachgesetzlichen Rang des Völkervertragsrechts, sondern auch dem Demokratieprinzip.

81

Aus dem Urteil des Zweiten Senats zur Verpackungsteuer ergibt sich nichts anderes. Dort ging es um sich widersprechende Regeln des Steuergesetzgebers (Land) und des Sachgesetzgebers (Bund), also um den - vom Senat allerdings nicht erwähnten - Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG und die Kohärenz der (einheitlichen) nationalen Rechtsordnung. Auf sie bezieht sich der dort entwickelte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 98, 106 <118 f.>), der verhindern soll, dass der Bürger einander widersprechenden Normbefehlen unterschiedlicher Gesetzgeber ausgesetzt wird. Demgegenüber geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) um die Kollision zweier gleichrangiger Normen desselben Gesetzgebers. Derartige Kollisionen sind - wie der Senat in dem Verpackungsteuerbeschluss ausgeführt hat - grundsätzlich "nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen" aufzulösen (BVerfGE 98, 106 <119>).

82

2. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) darstellt. Das Grundgesetz verbietet eine Überschreibung der dort genannten völkervertraglichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht (a). Das verstößt weder gegen die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (b) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (c). Auch sonstige Erwägungen stehen ihr nicht entgegen (d).

83

a) Das DBA-Türkei 1985 ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Da er nicht allgemeine Regeln des Völkerrechts klarstellend wiederholt und die allgemeine Regel des Völkerrechts pacta sunt servanda die einzelnen Normen eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht in allgemeine Regeln des Völkerrechts verwandelt, scheidet Art. 25 GG als Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung der hier in Rede stehenden Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schon tatbestandlich aus.

84

Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung einer Überschreibung des DBA-Türkei 1985 ist allein Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Demnach bedürfen Doppelbesteuerungsabkommen wie andere völkerrechtliche Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit eines ihnen den Anwendungsbefehl innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung erteilenden Bundesgesetzes. Durch diesen erhalten sie innerstaatlich den Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes.

85

Da der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG und in Übereinstimmung mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an einfache Gesetze gebunden ist, kann er das Zustimmungsgesetz zu dem DBA-Türkei 1985 ungeachtet der fortbestehenden völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch den Erlass von Gesetzen, die dem im Doppelbesteuerungsabkommen Vereinbarten inhaltlich widersprechen, aufheben oder ändern.

86

b) Nichts anderes ergibt sich - wie dargelegt - aus dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit. Dieser ist ein die Verfassungs- und Gesetzesauslegung leitender Grundsatz, verleiht jedoch auch Doppelbesteuerungsabkommen wie dem DBA-Türkei 1985 keinen Rang über dem einfachen Gesetzesrecht und insofern auch keine die Befugnisse des Gesetzgebers beschränkende Bindung.

87

c) Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Einheit der Rechtsordnung, könnte nicht die Verfassungswidrigkeit einer etwaigen Abkommensüberschreibung (Treaty Override) durch § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG abgeleitet werden.

88

Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegendem Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat ("ungeachtet des Abkommens"), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgesetzen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <390>).

89

d) Selbst wenn man davon ausginge, dass es für die Zulässigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) entscheidend auf die Möglichkeit des Gesetzgebers ankommt, sich im Einklang mit dem Völkerrecht von einem (teilweise) nicht mehr gewollten Vertrag zu lösen, führte dies nicht zur Unzulässigkeit einer Überschreibung. Denn der Gesetzgeber ist unabhängig davon, ob eine Kündigung völkerrechtlich zulässig ist, nach den Regelungen des Grundgesetzes zur Kündigung eines völkerrechtlichen Abkommens nicht befugt (Art. 59 Abs. 1 GG) (vgl. BVerfGE 68, 1 <82>). Die Kündigung eines Doppelbesteuerungsabkommens zum Zweck der Neuverhandlung und vertraglichen Durchsetzung eigener Absichten ist insoweit, verglichen mit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) und entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs, kein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel, um dem Demokratieprinzip gerecht zu werden, und deshalb auch nicht vorzugswürdig (vgl. Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>).

90

Hinzu kommt, dass die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrags auch aus Sicht des Vertragspartners nicht unbedingt ein milderes Mittel ist, sich vom völkerrechtlich Vereinbarten zu lösen, weil das Abkommen infolge der Kündigung regelmäßig insgesamt wegfällt (vgl. Art. 44 WVRK). Dies nähme ihm die völkerrechtlich vorgesehene Möglichkeit, den Inhalt oder zumindest die Auslegung eines Abkommens durch die Praxis seiner Anwendung in Übereinstimmung mit der anderen Vertragspartei in ganz bestimmten Punkten (konkludent) zu ändern (vgl. Art. 31 Abs. 3 Buchstabe b, Art. 39 WVRK).

91

Schließlich kann die Kündigung des Doppelbesteuerungsabkommens auch aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht als milderes Mittel angesehen werden (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2225>). Denn ohne Doppelbesteuerungsabkommen ist er - vorbehaltlich der Anrechnung entsprechend § 34c EStG - der Gefahr einer Doppelbesteuerung ausgesetzt.

II.

92

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

93

1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>; 130, 240 <252>). Er verbietet ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 122, 210 <230>; 126, 400 <416>; 130, 240 <252 f.>; 135, 126 <143, Rn. 51>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>; stRspr). Verboten ist daher ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Differenzierungen sind damit nicht ausgeschlossen, bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; 129, 49 <68>; 130, 240 <253>; 132, 179 <188, Rn. 30>; 133, 59 <86, Rn. 72>; 135, 126 <143, Rn. 52>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 107, 218 <244>; 115, 381 <389>). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416>; 129, 49 <69>; 132, 179 <188, Rn. 30>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund, die von auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 88, 5 <12>; 88, 87 <96>; 105, 73 <110>; 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29>; 122, 1 <23>; 122, 210 <230>; 123, 111 <119>; 126, 400 <416>; 127, 224 <244>; 129, 49 <68>; 130, 52 <66>; 130, 240 <254>; 131, 239 <255 f.>; 135, 126 <143 f., Rn. 52>; stRspr).

94

Das Willkürverbot ist verletzt, wenn die (un)gleiche Behandlung zweier Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt (vgl. BVerfGE 76, 256 <329>; 84, 239 <268>; 85, 176 <187>; 90, 145 <196>; 101, 275 <291>; 115, 381 <389>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den neben Art. 3 GG betroffenen Freiheitsrechten (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; 122, 210 <230>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) und aus der Ungleichbehandlung von Personengruppen ergeben (vgl. BVerfGE 101, 54 <101>; 103, 310 <319>; 110, 274 <291>; 131, 239 <256>; 133, 377 <407 f., Rn. 75>). Zudem verschärfen sich die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; 129, 49 <69>; 130, 240 <254>; 132, 179 <188 f., Rn. 31>).

95

b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 ff.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Die Steuerpflichtigen müssen entsprechend diesem Grundsatz durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und so als rechtlich gleich qualifiziert (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), wird, insbesondere für den Bereich des Einkommensteuerrechts (vgl. BVerfGE 82, 60 <86>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), daher vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 105, 73 <125>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 122, 210 <231>).

96

Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 82, 60 <89>; 99, 246 <260>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Bei der Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands muss zudem die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden (vgl. BVerfGE 84, 239 <271>; 93, 121 <136>; 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 101, 132 <138>; 101, 151 <155>; 105, 73 <125 f.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Demgemäß müssen sich Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands; vgl. BVerfGE 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>; 137, 350 <366, Rn. 41>) und bedürfen folglich eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 105, 73 <125 f.>; 107, 27 <47>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <29>; 121, 108 <119 f.>; 122, 210 <231>; 126, 400 <417>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>; 137, 350 <366, Rn. 41>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als besonderer sachlicher Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen anzuerkennen (vgl. BVerfGE 116, 164 <182>; 105, 17 <45>; 122, 210 <233>).

97

2.§ 50d Abs. 8 EStG enthält zwar eine Ungleichbehandlung (a). Diese weist jedoch nur eine geringe Eingriffsintensität auf (b) und ist durch vernünftige, einleuchtende Gründe gerechtfertigt (c).

98

a) Bei der Prüfung der Frage, ob mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Ungleichbehandlung verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen beschränkter (§ 1 Abs. 4, § 49 EStG) und unbeschränkter (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 3, § 2 EStG) Steuerpflicht als sachgerecht und die damit verbundene unterschiedliche Behandlung der entsprechenden Personengruppen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig als gerechtfertigt anzusehen ist (vgl. BVerfGE 43, 1 <10>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Februar 2010 - 2 BvR 1178/07 -, NJW 2010, S. 2419 <2420>). Daher bildet die Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen ebenso wie die Gruppe der beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich die maßgebliche Obergruppe, innerhalb derer Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung bedürfen. Innerhalb der Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen hat der Gesetzgeber mit der Berücksichtigung einer Doppelbesteuerung bei ausländischen Einkünften, die auf unterschiedlichen Wegen (Anrechnung, Freistellung, Abzug) erfolgen kann (vgl. § 34c EStG), eine eigenständige Untergruppe geschaffen. Differenzierungen innerhalb dieser Untergruppe müssen ihrerseits nach Maßgabe des Gebots der horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG genügen.

99

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freigestellt sind, für den Fall (doch) der Besteuerung in Deutschland unterwirft, dass der geforderte Nachweis nicht erbracht wird, behandelt unbeschränkt Steuerpflichtige im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften von der deutschen Steuer ungleich. So werden Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen eines Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Steuer befreit sind, im Fall der Nichterbringung des von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderten Nachweises genauso behandelt wie Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger, die nicht aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer befreit sind, so dass die mit der Freistellung von der deutschen Steuer verbundene Begünstigung aufgehoben wird, während sie für diejenigen, die den Nachweis erbringen, bestehen bleibt. Darüber hinaus verlangt § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als zusätzliche Voraussetzung für die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von der deutschen Steuer einen Nachweis über einen Besteuerungsverzicht des Vertragsstaates beziehungsweise über die Entrichtung der von diesem Staat festgesetzten Steuer. Bei anderen Einkunftsarten, die ebenso wie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nach den Regelungen von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellt sein können, so zum Beispiel Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 DBA-Türkei 1985) oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Art. 14 Abs. 1 DBA-Türkei 1985), wird dagegen kein derartiger Nachweis verlangt.

100

b) Die Vereinbarkeit der mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundenen Ungleichbehandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG setzt einen hinreichend tragfähigen Differenzierungsgrund voraus. Dafür genügt hier ein vernünftiger, einleuchtender Grund im Sinne des Willkürverbots. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine intensivere gerichtliche Kontrolle stattfinden müsste, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist der mit der Nachweisobliegenheit verbundene Eingriff in andere Grundrechte so gering, dass die in der Rechtsprechung anerkannten Fälle einer intensivierten verfassungsgerichtlichen Kontrolle von mit Freiheitseingriffen einhergehenden Ungleichbehandlungen (vgl. BVerfGE 37, 342 <353 f.>; 62, 256 <274 f.>; 79, 212 <218 f.>; 88, 87 <96 ff.>; 98, 365 <385>; 99, 341 <355 f.>; 111, 160 <169 ff.>; 112, 50 <67 ff.>; 116, 243 <259 ff.>) hier nicht Platz greifen.

101

c) Die mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundene Ungleichbehandlung unbeschränkt Steuerpflichtiger im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

102

Dafür, dass § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für die Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, nicht jedoch für die Freistellung von sonstigen, nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellten Einkünften eine Nachweisobliegenheit vorsieht, gibt es - ebenso wie für die Nachweisobliegenheit als solche - einen hinreichenden sachlichen Grund. Der Gesetzgeber wollte damit - wie aus der Stellungnahme der Bundesregierung im vorliegenden Verfahren hervorgeht und der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist - der im Vergleich zu sonstigen Einkunftsarten erhöhten Gefahr des Missbrauchs der in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer entgegenwirken.

103

Dass die missbräuchliche Ausnutzung von Freistellungsregelungen in Doppelbesteuerungsabkommen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aufgrund ihrer im Vergleich zu unternehmerischer Tätigkeit verringerten Wahrnehmbarkeit besonders einfach ist und daher insoweit besonderer Bedarf für eine Gegensteuerung besteht, ist nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr als Auslöser für den Erlass von § 50d Abs. 8 EStG die Tätigkeit von Piloten, Seeleuten und Berufskraftfahrern war, bei denen in der Regel nicht erkennbar ist, in welchem Land sie ihre Einkünfte erzielen, und die zudem oftmals zwischen mehreren Ländern unterwegs und behördlich daher nur schwer zu erfassen sind.

Abw. Meinung

1

Die Entscheidung der Senatsmehrheit kann ich weder in der Argumentation noch im Ergebnis mittragen. Denn sie lässt dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen freie Hand, sich nach dem lex-posterior-Grundsatz mit einem späteren Gesetz bewusst und gewollt über Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen (bei denen es sich nicht um Menschenrechtsverträge handelt) hinwegzusetzen.

I.

2

1. Die Senatsmehrheit stützt ihre Auffassung in erster Linie auf das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Diskontinuität. Da Demokratie Herrschaft auf Zeit sei, müssten spätere Gesetzgeber innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können. Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG solle die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen; dem widerspräche es, aus dieser Norm eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen. Etwas anderes lasse sich weder unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit noch auf das Rechtsstaatsprinzip begründen. Diese beiden Verfassungsprinzipien könnten nicht dazu herangezogen werden, um die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Normen zu unterlaufen. Damit bestätigt die Senatsmehrheit im Wesentlichen die Auffassung, die der Zweite Senat bereits in seinem Urteil zum Reichskonkordat aus dem Jahr 1957 (BVerfGE 6, 309 <362 f.>) vertreten hat.

3

2. a) Diese Rechtsauffassung halte ich - in einer globalisierten Welt, in der die Staaten durch eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge in einem weiten Spektrum von Regelungsbereichen miteinander verflochten sind - für nicht (mehr) überzeugend. Um den Entwicklungen dieser umfangreichen internationalen Zusammenarbeit auf der Grundlage bi- und multilateraler völkerrechtlicher Verträge und dem in der modernen Völkerrechtsordnung geltenden Grundsatz der "rule of law" (vgl. Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 [2006], S. 235 <243 f.>; Wittinger, JöR 57 [2009], S. 427 <444 ff.>; Kotzur, in: Festschrift für Eckart Klein, 2013, S. 797 <797 f., 804 ff.>) Rechnung zu tragen, muss vielmehr zwischen dem Demokratieprinzip einerseits und dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit andererseits ein angemessener Ausgleich hergestellt werden.

4

In Anlehnung an die von Robert Alexy verwandte Begrifflichkeit (Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.) geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) nur vordergründig um einen Konflikt zweier Regeln, die einfachen Gesetzesrang haben. Dieser Konflikt wird von der Senatsmehrheit nach der lex-posterior-Regel zugunsten des späteren völkerrechtswidrigen Gesetzes aufgelöst. Jedoch wird der Konflikt einer völkerrechtsdeterminierten lex prior mit einer den völkerrechtlichen Vertrag überschreibenden lex posterior auf der Ebene des Verfassungsrechts nicht durch eine abschließende Regel aufgelöst. Allein der Verweis auf den Rang, der Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zukommen soll und aus dem ohne Weiteres die uneingeschränkte Anwendung der lex-posterior-Regel abgeleitet wird (kritisch zur Anwendung der lex-posterior-Regel Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 220 ff.; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 65), vermag nicht zu überzeugen. Ein solcher Lösungsansatz lässt die hinter der Rangfrage stehende Kollision zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip außer Acht (zum Rekurs auf die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien auch im Hinblick auf objektiv-rechtliche Rechtsgüter vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 100 f. m.w.N.; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 91 f.).

5

b) Hinter den miteinander kollidierenden Gesetzesbestimmungen stehen die genannten Verfassungsprinzipien, die in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten. Das Rechtsstaatsprinzip ist - ebenso wie das Demokratieprinzip - ein grundlegendes Strukturprinzip und als solches Teil der verfassungsmäßigen Ordnung, an die auch der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Der Rechtsstaatsbegriff gehört - wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde so treffend ausgedrückt hat - "zu jenen vom Wortsinn her vagen und nicht ausdeutbaren Schleusenbegriffen, die sich 'objektiv', aus sich heraus, niemals abschließend definieren lassen, vielmehr offen sind für das Einströmen sich wandelnder staats- und verfassungstheoretischer Vorstellungen und damit auch für verschiedenartige Konkretisierungen, …" (Böckenförde, in: Festschrift für Adolf Arndt, 1969, S. 53 <53>). Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips bedarf mithin der Konkretisierung in Bezug auf den jeweils zu entscheidenden Sachverhalt (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 259 ff.), wobei es für neuere Entwicklungen offen ist. Damit kann, ja muss das Rechtsstaatsprinzip bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Treaty Override in dem offenen Verfassungsstaat des Grundgesetzes (Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 33, 35 f.; ders., JZ 1997, S. 161 <162 f.>; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 137 ff., 380 ff.; Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 134 ff., 220 ff.; Sommermann, in: v. Bogdandy/Cruz Villalón/Huber: Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. II, 2008, § 14) unter Beachtung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit konkretisiert werden (Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <291>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; die völkerrechtskonforme Auslegung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls bejahend Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 254; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 62 f.; Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>). Aus dem letztgenannten Grundsatz hat der Zweite Senat in der Alteigentümer-Entscheidung aus dem Jahr 2004 die Pflicht hergeleitet, das Völkerrecht zu respektieren. Diese habe drei Elemente: Erstens seien die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens habe der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden könnten. Und drittens könnten die deutschen Staatsorgane verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzten (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).

6

c) Legt man das Rechtsstaatsprinzip, dessen Kernbestandteil die Rechtstreue beziehungsweise die Einhaltung rechtlicher Bindungen ist (zur Bindung aller staatlichen Gewalt an die Verfassung: Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 248 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 17 ff. [Dezember 2007]), im Lichte dieser Aussagen aus, so ergibt sich auch für den Gesetzgeber grundsätzlich die Verpflichtung, die von ihm durch das Zustimmungsgesetz legitimierte Bindung an völkerrechtliche Verträge zu respektieren und sich von diesen nicht bewusst - und damit treuwidrig - einseitig zu lösen. Klaus Vogel hat denn auch in seiner Münchener Abschiedsvorlesung 1996 plastisch von einem "Wortbruch" gesprochen, zu dem der Gesetzgeber nicht legitimiert sei (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <167>; ähnlich Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>, wo es heißt: "Der Wortbruch ist keine Verhaltensoption des Verfassungsstaats; …"). Streitet mithin das völkerrechtsfreundlich ausgelegte Rechtsstaatsprinzip für eine vollständige Bindung auch späterer Gesetzgeber an den völkerrechtlichen Vertrag in der Form des Zustimmungsgesetzes, so ist allerdings zu berücksichtigen, dass dadurch deren durch das Demokratieprinzip gewährleistete Entscheidungsfreiheit vollständig eingeschränkt würde. Die Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip führte nämlich dazu, dass dem Zustimmungsgesetz faktisch die Wirkung einer "Änderungssperre" für spätere Gesetzgeber zukäme. Das Rechtsstaatsprinzip, das für eine vollständige Bindung, und das Demokratieprinzip, das für eine völlige Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers spricht, werden zu gegenläufigen Sollensgeboten. Diese zwischen den beiden Prinzipien bestehende Konfliktlage muss zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden, bei dem das Ziel kein "Alles oder nichts", sondern ein "Sowohl als auch" ist (vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.).

7

3. Die Entscheidung der Senatsmehrheit gibt dem Demokratieprinzip - unter Hintanstellung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Auslegung nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - uneingeschränkt den Vorzug. Im Ergebnis ist der spätere Gesetzgeber frei, bewusst von den Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags - ungeachtet des damit verbundenen Völkerrechtsbruchs - abzuweichen. Besonderer Voraussetzungen oder einer Rechtfertigung bedarf es hierfür nicht. Demgegenüber verlangt der hier vertretene Ansatz die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in einer Weise, die beiden Prinzipien möglichst weitreichende Wirkung belässt.

8

a) Als Kriterien, die bei der Abwägung heranzuziehen sind, kommen insbesondere die folgenden in Betracht: das mit dem späteren Gesetzverfolgte Regelungsziel und dessen Bedeutung für das Gemeinwohl, die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Individuen, die Dringlichkeit der abweichenden Regelung, die Möglichkeit des Rückgriffs auf zumutbare völkerrechtsgemäße Mittel zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung, wie etwa Abgabe einer interpretativen Erklärung, Kündigung oder Modifizierung des Vertrags, und die bei einem Völkerrechtsbruch im Raume stehenden Rechtsfolgen.

9

b) Überwiegt das Gewicht der Kriterien, die für eine einseitige Abkehr von dem konkret in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrag sprechen, nicht das Gewicht derjenigen Gesichtspunkte, die gegen eine Abkommensüberschreibung streiten, so muss dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit ausgelegten Rechtsstaatsprinzip der Vorrang vor dem Demokratieprinzip zukommen. Eine solche Abwägung muss in jedem Einzelfall getroffen werden, um Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847 ff.>; Richter, Völkerrechtsfreundlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - Die unfreundliche Erlaubnis zum Bruch völkerrechtlicher Verträge, in: Giegerich, Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; im Ergebnis wohl auch Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 242 f.; weitgehender Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>).

10

c) Diesem Lösungsansatz kann nicht entgegengehalten werden, dass er eine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller Normen des Völkerrechts begründe (aa) oder die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts verdränge oder ihre Systematik unterlaufe (bb).

11

aa) Die vorgeschlagene Lösung führt weder zu einer uneingeschränkten Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung noch zu einem unbedingten Vorrang des Völkerrechts auch vor dem Verfassungsrecht. Vielmehr bleibt es bei einer kontrollierten Bindung, und sie lässt Raum dafür, "die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt [nicht] aus der Hand zu geben" (BVerfGE 112, 1<25 f.> unter Verweis auf BVerfGE 111, 307 <328 f.>). Der (spätere) Gesetzgeber wird allerdings verpflichtet, vor einer bewussten Abweichung von einem völkerrechtlichen Vertrag sorgfältig die einzelnen oben aufgeführten Aspekte gegeneinander abzuwägen und insbesondere zu prüfen, ob eine völkerrechtsgemäße Lösung von der völkerrechtlichen Bindung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens möglich ist. Ist dies der Fall, so muss zunächst der Versuch unternommen werden, im Einklang mit dem Völkerrecht zu handeln. Richtig ist zwar, dass das Parlament selbst einen völkerrechtlichen Vertrag nicht kündigen oder suspendieren kann. Es hat jedoch die Möglichkeit, seinen politischen Willen kundzutun und die Regierung zu entsprechenden Schritten im Außenverhältnis aufzufordern. Erst wenn diese sich weigert oder keine entsprechenden Aktivitäten entfaltet oder wenn im konkreten Fall keine Möglichkeit besteht, sich in angemessener Zeit mit völkerrechtsgemäßen Mitteln von dem Vertrag zu lösen, kann der Gesetzgeber einseitig von dem Vertragsinhalt abweichen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft Abwägungsvorgang und -ergebnis, wobei dem Gesetzgeber - wie sonst auch - ein Einschätzungsspielraum zugebilligt wird (vgl. BVerfGE 7, 377 <403>; 50, 290 <332 ff.>; 77, 170 <171>; 102, 197 <218>; 110, 177 <194>; 129, 124 <182 f.>; stRspr).

12

bb) Die in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Systematik wird nicht unterlaufen, weil die vorgeschlagene Lösung nicht zu einer generellen"Sperrwirkung" führt. Der Gesetzgeber behält die aus dem Demokratieprinzip folgende Kompetenz, völkerrechtliche Verträge zu überschreiben; aus dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ausgelegten Rechtsstaatsprinzipergeben sich allerdings Einschränkungen in Bezug auf ihre Ausübung. Durch diese Einschränkungen wird sichergestellt, dass, wie es der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss formuliert hat, die deutschen Staatsorgane - und dazu gehört auch der Gesetzgeber - die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit unterlassen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>). Nur so kommt dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dessen wichtigste Funktion es ist, möglichst einen Gleichlauf zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung herzustellen oder aufrechtzuerhalten und damit Konflikte zu vermeiden (vgl. zur Funktion des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit als Konfliktvermeidungsregel Payandeh, JöR 57 [2009] S. 465 <481>; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 201 ff. <238>), im Verhältnis zum Demokratieprinzip hinreichende Beachtung zu.

II.

13

Nach diesen Maßstäben wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

14

1. Das vorlegende Gericht hat ausführlich dargelegt, dass die in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. enthaltene Regelung von den Bestimmungen des Abkommens vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867 [im Folgenden: DBA-Türkei 1985]) abweicht. Insbesondere verstößt sie dadurch, dass die Freistellung der Auslandseinkünfte eines Arbeitnehmers von dem Nachweis der tatsächlichen Entrichtung der Steuer an den anderen Vertragsstaat oder dessen Besteuerungsverzicht abhängig gemacht wird, gegen die in Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der so genannten virtuellen Doppelbesteuerung im Ausland(hier in der Türkei). Diese Rechtsauffassung ist sorgfältig begründet und gut vertretbar, so dass sie der verfassungsrechtlichen Prüfung zugrunde gelegt werden kann.

15

Die von dem Inhalt des DBA-Türkei 1985 abweichende Regelung ist überdies nicht durch einen dem Abkommen innewohnenden ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt gedeckt. Das Bestehen derartiger Vorbehalte ist generell umstritten (vgl. nur die Darstellung bei Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <229 f.>). Gegen einen solchen Vorbehalt im konkreten Fall spricht insbesondere, dass die Bundesrepublik Deutschland - anders als in dem Protokoll zum DBA-Türkei 1985 - in dem Protokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 19. September 2011 (BGBl II 2012 S. 527 [im Folgenden: DBA-Türkei 2011]) ausdrücklich eine Vereinbarung zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften getroffen hat (vgl. Ziffer 10 des Protokolls zum DBA-Türkei 2011, BTDrucks 17/8841 S. 29, und die Erläuterung in der Denkschrift, S. 34). Ein derartiges Vorgehen wäre beim Vorliegen eines allgemeinen ungeschriebenen Vorbehalts entbehrlich gewesen.

16

Es ist mithin von einer völkerrechtswidrigen Abkommensüberschreibung auszugehen.

17

2. Bei der Abwägung der für und gegen diese mit dem DBA Türkei 1985 nicht vereinbare Gesetzesbestimmung sind die oben genannten Kriterien (siehe unter Punkt I.3.a) heranzuziehen.

18

a) Laut Gesetzesbegründung verfolgt der Gesetzgeber mit der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. das Ziel, zu verhindern, "dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, …" (BTDrucks 15/1562 S. 39 f.). Damit geht es dem Gesetzgeber bei der Nachweispflicht, wie auch der Bundesfinanzhof festgestellt hat, in erster Linie um die Herstellung von "Steuerehrlichkeit". Jedenfalls in den Fällen, in denen der andere Vertragsstaat nicht vollständig auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat, soll zudem die so genannte Keinmalbesteuerung verhindert werden. Hierbei handelt es sich um legitime Ziele von erheblicher Bedeutung für das Gemeinwohl, weil verhindert werden soll, dass Steuerpflichtige, die ihre Einkünfte im Tätigkeitsstaat nicht erklären, im Vergleich zu "steuerehrlichen" Steuerpflichtigen von ihrem pflichtwidrigen Verhalten profitieren. An dieser Bewertung ändert sich auch nichts, wenn man - wie das vorlegende Gericht - davon ausgeht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 50d Abs. 8 EStG n.F. eher von fiskalischen Überlegungen geleitet gewesen sein dürfte (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 27).

19

b) Die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Personen können, je nach den konkreten Umständen, sehr unterschiedlich ausfallen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die im DBA-Türkei 1985 ohne Rückfallklausel vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der virtuellen Doppelbesteuerung in erster Linie im Interesse der beiden Vertragsstaaten liegt, die nicht auf die Regelungslage und Besteuerungspraxis des jeweils anderen Staates oder deren Kenntnis angewiesen sein sollen (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 28). Demgegenüber liegt es nicht in der Absicht der Vertragsstaaten, dem von der Freistellung betroffenen Steuerpflichtigen eine Rechtsposition zu verschaffen, die es ihm ermöglicht, in keinem der beiden Staaten Steuern zu entrichten, auch wenn sich die völkerrechtliche Vereinbarung so auswirken kann. Damit stellt sich die mit einer "Keinmalbesteuerung" der im anderen Vertragsstaat erzielten Einkünfte verbundene finanzielle Begünstigung des Steuerpflichtigen eher als begünstigender Rechtsreflex dar, der bei der Abwägung nicht erheblich ins Gewicht fällt.

20

c) Nach dem DBA-Türkei 1985 standen mit dem Völkerrecht vereinbare Mittel zur Verfügung, um sich von dem Vertrag zu lösen. Gemäß Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA Türkei 1985 kann jeder Vertragsstaat vom 1. Januar des dritten Jahres an, welches auf das Jahr der Ratifikation des Abkommens folgt, jeweils während der ersten sechs Monate eines Kalenderjahres das Abkommen kündigen. Es besteht also nach Ablauf von rund drei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags ein Kündigungsrecht, das jeweils in den ersten sechs Monaten des Jahres, in dem gekündigt werden soll, ausgeübt werden muss. Besonderer Gründe für die Kündigung bedarf es nicht.Damit hätte die Bundesrepublik Deutschland das DBA-Türkei 1985 bereits im Jahr 2003, als das Steueränderungsgesetz beraten wurde, oder im ersten Halbjahr 2004 kündigen und ein neues, verbessertes Abkommen aushandeln können. Dass dieser Weg grundsätzlich gangbar war, zeigt sich, wie auch das vorlegende Gericht hervorhebt, daran, dass das Abkommen von deutscher Seite am 27. Juli 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt worden ist. Das daraufhin neu verhandelte Doppelbesteuerungsabkommen vom 19. September 2011, welches das DBA-Türkei 1985 mit Wirkung vom 1. Januar 2011 ersetzt, sieht nach wie vor die Freistellungsmethode vor (vgl. Art. 22 Abs. 2Buchstabe a), enthält aber insbesondere in Art. 22 Abs. 2 Buchstabe e eine so genannte Umschwenk- oder Rückfallklausel, die es der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode zu wechseln. Zweck dieser Klausel ist es, dass es zu keinem deutschen Steuerverzicht kommt, wenn Einkünfte in keinem der beiden Vertragsstaaten besteuert werden (BTDrucks 17/8841 S. 33). Zudem ist, wie bereits erwähnt, im Protokoll zum DBA-Türkei 2011 ausdrücklich eine Klausel zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften vereinbart worden.

21

d) Für eine besondere Dringlichkeit der Regelung in § 50d Abs. 8 EStG n.F., etwa zur Abwehr erheblicher Nachteile für den deutschen Fiskus, ist nichts ersichtlich. Die zeitliche Verzögerung, die mit der Ergreifung völkerrechtsgemäßer Handlungsoptionen zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung an das DBA-Türkei 1985 verbunden gewesen wäre, fällt daher nicht ins Gewicht.

22

e) Schließlich müssen die möglichen Rechtsfolgen eines Völkerrechtsbruchs in die Abwägung einfließen. Bei einem erheblichen Vertragsbruch (material breach) kann der damit konfrontierte andere Staat nicht nur seinerseits den Vertrag kündigen oder suspendieren (vgl. Art. 60, 65 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl II 1985 S. 927). Vielmehr kann er in jedem Fall - unabhängig von der Schwere der Rechtsverletzung - die Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und - im Wege der Naturalrestitution - die Wiederherstellung eines vertragsgemäßen Zustands einfordern (vgl. Art. 30, 34 und 35 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 [im Folgenden: ILC-Entwurf]). Daraus ergibt sich zuvörderst die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, seine innerstaatliche Rechtslage mit dem Inhalt des betroffenen Vertrags (wieder) in Einklang zu bringen. Erst wenn dies tatsächlich unmöglich ist, kann der verletzte Staat - subsidiär - Schadensersatz in Geld verlangen (vgl. Art. 36 Abs. 1 des ILC-Entwurfs).

23

Selbst wenn der verletzte Staat, wie in diesem Fall, keine konkreten Schritte zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Wiedergutmachung einleitet, steht bei jedem bewusst herbeigeführten Vertragsbruch die Verlässlichkeit Deutschlands als Partner im internationalen Rechtsverkehr auf dem Spiel. Genauso wie Deutschland von seinen Vertragspartnern auf europäischer und internationaler Ebene Vertrags- beziehungsweise Rechtstreue erwartet, muss es bereit sein, seinerseits seine vertraglichen Pflichten einzuhalten und die vertragliche Bindung nicht einseitig durch ein späteres entgegenstehendes Gesetz "abzuschütteln".

24

f) Wägt man die genannten Kriterien gegeneinander ab, so überwiegen die Gesichtspunkte, die gegen die Abkommensüberschreibung sprechen. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Erlass der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. zwar einen legitimen, für das Gemeinwohl auch erheblichen Zweck, indem er die Steuerpflichtigen durch die Nachweispflicht zu mehr "Steuerehrlichkeit" anhalten will. Zudem sind die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der von der Anwendung des Abkommens begünstigten Steuerpflichtigen von geringem Gewicht. Für die Neuregelung bestand allerdings keine besondere Dringlichkeit, die es erfordert hätte, das abweichende Gesetz ohne vorherige Aufforderung der Bundesregierung, auf völkerrechtsgemäße Mittelzurückzugreifen, zu erlassen. Nach dem DBA-Türkei 1985 bestand auch die Möglichkeit, das Abkommen ohne weitere Begründung zeitnah zu kündigen. Hätte man eine Kündigung wegen der weitreichenden Folgewirkungen vermeiden wollen, so hätte die Bundesregierung - auf Aufforderung durch den Bundestag oder von sich aus - zumindest versuchen können, sich mit der Türkei auf eine nachträgliche Auslegung der einschlägigen Vertragsbestimmungen zu verständigen, der zufolge die Anwendung der Freistellungsmethode von einer Nachweispflicht abhängig gemacht werden darf. Schließlich schlägt der mit der Abkommensüberschreibung zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, sich trotz Vorhandenseins völkerrechtsgemäßer Mittel einseitig vom DBA-Türkei 1985 zu lösen und damit bewusst und ohne Not über die völkerrechtliche Bindung hinwegzusetzen, wegen der damit verbundenen Signalwirkung negativ zu Buche.

III.

25

In der Folge wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) verfassungswidrig und nichtig (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 BVerfGG).

IV.

26

Nach meiner Auffassung wäre es an der Zeit gewesen, den "Mentalitätenwandel", den Klaus Vogel für das Grundgesetz in Bezug auf die Öffnung des deutschen Staates für die internationale Zusammenarbeit und die Einbindung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft im Vergleich zu früheren deutschen Verfassungen festgestellt hat (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <163>), auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtswidrigen späteren Gesetzen zu vollziehen. Zu meinem Bedauern hat sich die Senatsmehrheit hierzu nicht entschließen können.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14.05.2012 - 3 K 1395/11 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Ausschlusses als Versammlungsleiter der sog. Revolutionären 1. Mai-Demonstration in Karlsruhe im Jahr 2011.
Mit Schreiben vom 09.02.2011 zeigte der Kläger als Vertreter der Gruppe „Revolutionäres 1. Mai Bündnis Karlsruhe" die Durchführung einer öffentlichen Versammlung mit Aufzug am 01.05.2011 im Stadtgebiet der Beklagten an. Das Thema der Demonstration lautete „Gemeinsam. Organisiert. Kämpferisch. Soziale Revolution ist grenzenlos.". Die Versammlung, zu der 150 Teilnehmer erwartet wurden, sollte um 9.00 Uhr beginnen und nach einer Auftaktkundgebung am Friedrichsplatz über die Erbprinzenstraße und Waldstraße und von dort über die Kaiserstraße zum Marktplatz führen. Als Verantwortlicher im Sinne des Versammlungsgesetzes wurde der Kläger benannt.
In der der Beklagten übermittelten Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 06.04.2011 hieß es zur Person des Klägers, dieser sei seit mehreren Jahren aktiver Angehöriger der örtlichen „Autonomen Antifa“ und dort als Führungsperson tätig. Seit März 2010 sei er örtlicher Vorsitzender der ... und seit März 2011 auch Landesvorsitzender dieser Organisation. Seit dem Jahr 2007 habe er Treffen, Veranstaltungen und Aktionen der linksextremistischen Szene in Karlsruhe organisiert bzw. koordiniert. Bei entsprechenden demonstrativen Aktionen, nicht nur in Karlsruhe, sei sein teilweise aggressiv kämpferisches, hasserfülltes Verhalten gegenüber Polizeibeamten aufgefallen. Am 01.05.2009 sei er bei demonstrativen „Gegenaktionen“ zu einer genehmigten NPD-Versammlung als Teilnehmer eines „schwarzen Blocks“ aufgefallen, wobei er vermummt agiert und die anwesenden Polizeibeamten lauthals mit den Worten „Hass, Hass wie noch nie“ und „all cops are bastards“ beschimpft und beleidigt habe. Das Amtsgericht Ulm habe ihn deshalb wegen eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz und wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. Am 01.05.2010 sei er Anmelder und Leiter der teilweise gewalttätig verlaufenen revolutionären 1. Mai-Demonstration in Karlsruhe gewesen. Er sei hierbei weder in der Lage noch willens gewesen, seinen Pflichten als Versammlungsleiter verantwortungsbewusst nachzukommen. Beim Verlesen der Auflagen habe er wörtlich geäußert: „Den Auflagen der Polizei ist eventuell Folge zu leisten.“ Danach habe er sich verbessert. Beendet habe er seine Rede mit den Worten „Viel Spaß und lasst es krachen“. Als im Verlauf der Versammlung Transparente entrollt und so gehalten worden seien, dass sich einzelne Versammlungsteilnehmer dahinter verbergen konnten, sei dies vom Kläger unterbunden worden. Es seien jedoch immer wieder Transparente verknotet sowie vereinzelt Feuerwerkskörper gezündet worden. Als es zu Sitzblockaden auf den Straßenbahnschienen gekommen sei, seien Aufforderungen des Versammlungsleiters und der Ordner, die Gleise frei zu machen, erfolglos geblieben. Erst nach mehrfacher Aufforderung des Versammlungsleiters in Verbindung mit der Polizei seien die Gleise freigegeben worden, wobei wiederholt gegen Auflagen verstoßen worden sei (Vermummung, Mitführen von Glasflaschen). Das Amtsgericht Karlsruhe habe einen - noch nicht rechtskräftigen - Strafbefehl wegen eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz über 100 Tagessätze gegen den Kläger erlassen.
Zum Kreis der Versammlungsteilnehmer hieß es in der Erkenntnismitteilung, es sei davon auszugehen, dass die linksextremistische Szene aus Karlsruhe zusammentreffen werde. Weiter sei damit zu rechnen, dass anreisende Personen anderer linksextremistischer Gruppierungen teilnehmen würden. Ob die Teilnehmerzahl von 150 Personen realistisch sei, lasse sich nicht abschließend beurteilen. Bei der entsprechenden Versammlung im Vorjahr sei diese Zahl mit 500 bis 600 Teilnehmern weit übertroffen worden. Es sei davon auszugehen, dass es vor dem Hintergrund der starken Diskussion um die Begleitung des Demonstrationszugs durch Polizeikräfte 2010 zu vereinzelten oder koordinierten Provokationen kommen werde, um die Polizei zu entsprechendem Handeln zu zwingen. Möglich seien ähnliche Aktionen wie im Jahr 2010, insbesondere diverse Straftaten wie Beleidigung, Körperverletzung etc. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen sei davon auszugehen, dass sich unter den Demonstrationsteilnehmern ein Anteil von maximal 25 % gewaltbereiten Personen befinde.
Am 20.04.2011 wurde ein Kooperationsgespräch mit dem Kläger geführt, bei dem auch die Frage der Versammlungsleitung erörtert wurde. In diesem Zusammenhang wurden dem Kläger die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz im Jahr 2009 sowie die Einleitung eines Strafverfahrens wegen gewalttätiger Vorfälle bei der Demonstration in Karlsruhe am 01.05.2010 vorgehalten.
Mit Verfügung vom 26.04.2011 untersagte die Beklagte dem Kläger die Übernahme der Funktion des Versammlungsleiters bei der für den 01.05.2011 angezeigten Versammlung sowie für jede Form von Ersatzveranstaltungen am 01.05.2011 in Karlsruhe (Nr. 1). Der Kläger wurde aufgefordert, bis spätestens Donnerstag, den 28.04.2011, 16.00 Uhr, einen neuen Versammlungsleiter zu benennen (Nr. 2). In Nummer 4 der Verfügung wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei mit Blick auf die vom Polizeipräsidium Karlsruhe mitgeteilten Erkenntnisse im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht vertretbar, die Versammlung durch den Kläger als verantwortlichen Versammlungsleiter durchführen zu lassen. Im Rahmen des Kooperationsgesprächs habe der Kläger wider besseres Wissen angegeben, dass gegen ihn im Zusammenhang mit der Demonstration vom 01.05.2010 kein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Er habe auch keine Einsicht hinsichtlich eines möglichen Fehlverhaltens bei der Leitung der Versammlung am 01.05.2010 gezeigt. Vielmehr habe er erklärt, dass seitens der Teilnehmer keine Gewaltaktionen geplant gewesen und diese allein durch das Verhalten der Polizei herausgefordert worden seien. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt, weil nicht die Versammlung verboten, sondern nur der Versammlungsleiter abgelehnt werde. Nur durch den Einsatz eines geeigneten Versammlungsleiters, der die entsprechenden Auflagen verantwortungsvoll durchsetzen könne, könnten die bestehenden Befürchtungen bezüglich drohender Delikte wie Beleidigungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen oder auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ausgeräumt werden.
Am 29.04.2011 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 26.04.2011 Widerspruch ein und benannte einen neuen Versammlungsleiter.
Am 30.05.2011 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Die Benennung eines neuen Versammlungsleiters sei nur erfolgt, um die Durchführung der Demonstration nicht zu gefährden. Er habe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da nicht sichergestellt sei, dass er bei künftigen Anmeldungen einer Demonstration nicht erneut als Versammlungsleiter ausgeschlossen werde. Die Voraussetzungen des § 15 VersammlG für seinen Ausschluss als Versammlungsleiter hätten nicht vorgelegen. Die Beklagte habe nicht schlüssig dargelegt, dass von der angemeldeten Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Zwar könne diese Gefahr auch vom Versammlungsleiter ausgehen. Nach den von der Beklagten genannten Anhaltspunkten sei jedoch eine in seiner Person begründete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht ersichtlich gewesen. Die Beklagte habe dazu vorgetragen, dass er in der Vergangenheit als Mitglied der linksextremistischen Szene in Karlsruhe aufgefallen sei, ohne dies näher zu konkretisieren. Außerdem werde auf die Verurteilung bezüglich einer Demonstrationsteilnahme am 01.05.2009 in Ulm verwiesen. Dieser Vorgang stelle sich heute völlig anders dar. Die Einkesselung durch die Polizei, die zu Gegenreaktionen der Demonstranten geführt habe, sei zwischenzeitlich durch rechtskräftige Urteile des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Urt. v. 29.11.2010 - 1 K 3643/09 - juris) als rechtswidrig eingestuft worden. Unabhängig davon habe er an der Demonstration weder als Teilnehmer eines sog. schwarzen Blocks teilgenommen noch die ihm vorgeworfenen Straftaten begangen. Aus Kostengründen habe er sich damals nicht gegen den Strafbefehl zur Wehr gesetzt. Jedenfalls habe seine Verurteilung nicht dazu geführt, dass er im Jahr 2010 als ungeeignet für die Leitung einer Versammlung eingestuft worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei jedenfalls davon ausgegangen worden, dass er die erforderliche Durchsetzungskraft habe und sich auch im Hinblick auf beschränkende Verfügungen der Behörde Geltung bei den Demonstrationsteilnehmern verschaffen könne. Die Vorwürfe, die gegen ihn hinsichtlich der Demonstrationsleitung am 1. Mai 2010 vorgebracht würden, seien unberechtigt. Es verbiete sich, alle Vorkommnisse, die durch Teilnehmer von De-monstrationen verursacht würden, dem Versammlungsleiter anzulasten. Dieser habe zwar die Funktion, auf Teilnehmer der Versammlung einzuwirken, und an der störungsfreien Durchführung der Veranstaltung mitzuwirken. Es liege jedoch nicht in seiner Macht, jede aus der Versammlung hervorgehende Störung auszuschließen. Die Versammlung am 01.05.2010 sei unstreitig friedlich verlaufen. Der Kläger habe den Versammlungsteilnehmern die Auflagen in geeigneter Weise vorgetragen, ungeachtet der Frage, ob es sich überhaupt um Auflagen gehandelt habe und ob die Auflagen in dieser Form überhaupt zulässig gewesen seien. Er habe jeweils eingegriffen, wenn ihm Verstöße gegen Auflagen gemeldet worden seien oder wenn Transparente verknotet gewesen seien. Es treffe nicht zu, dass Transparente unzulässig mit Haltestöcken verstärkt worden seien. Ihm sei auch nicht bekannt, dass ein Lied mit beleidigendem Inhalt abgespielt worden sei. Eine ihm zurechenbare Blockade habe es ebenfalls nicht gegeben. Vielmehr sei die Versammlung grundlos in Polizeispalier genommen worden. Weil sich ein Großteil der Teilnehmer dadurch im Recht auf Versammlungsfreiheit beeinträchtigt gesehen habe, habe er die Versammlung mehrfach unterbrechen müssen und erst nach Gesprächen mit der Polizeieinsatzleitung weiterführen können. Er habe sehr besonnen gehandelt, um einen friedlichen Verlauf der Versammlung zu gewährleisten, was ihm auch gelungen sei. Nachdem die Polizei die Demonstration in versammlungsfeindlicher Weise als mobilen Polizeikessel gestaltet habe und damit das Ziel, die Bevölkerung anzusprechen, nicht habe erreicht werden können, habe er die Versammlung nach einer kurzen Abschlusskundgebung aufgelöst. Die Ausführungen der Beklagten könnten seinen Ausschluss als Versammlungsleiter nicht rechtfertigen. Es ergebe sich keine Konkretisierung der behaupteten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, und es würden überzogene Anforderungen an den Versammlungsleiter gestellt, die mit Art. 8 GG nicht vereinbar seien.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie führte aus, der Kläger sei aus einer Vielzahl von Gründen als Versammlungsleiter abzulehnen gewesen. Er sei vom Amtsgericht Ulm wegen Beleidigung und wegen eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt worden. Anlässlich der Demonstration am 01.05.2010, bei der er als Versammlungsleiter bestellt gewesen sei, habe sich erwiesen, dass er nicht in der Lage gewesen sei, den damit verbundenen Auflagen in ausreichender Weise nachzukommen. So habe er gegenüber den Versammlungsteilnehmern geäußert, „den Auflagen der Polizei sei eventuell Folge zu leisten" und „viel Spaß und lasst es krachen". Damals sei eine Vielzahl von Auflagen der Versammlungsbehörde missachtet worden. So seien Transparente miteinander verknotet und Feuerwerkskörper gezündet worden. Es sei von ca. 50 bis 60 Personen eine Sitzblockade auf Straßenbahngleisen durchgeführt worden, was dazu geführt habe, dass die Veranstaltung für beendet erklärt worden sei. Durch diese Vorkommnisse sei unter Beweis gestellt, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt als Versammlungsleiter ungeeignet gewesen sei. Bei dem Kooperationsgespräch am 20.04.2011 sei es auch um die damalige Versammlung und das Verhalten des Klägers gegangen. Dieser habe sich sehr uneinsichtig gezeigt. Über verschiedene Geschehnisse sei er nicht informiert gewesen und er habe die Verantwortung für die Eskalation ausschließlich bei der Polizei gesucht. Hinsichtlich der geplanten Demonstration am 01.05.2011 habe er nicht aufzeigen können, wie ähnliche Gewalttaten wie im Vorjahr vermieden werden könnten. Die Versammlungsbehörde sei daher aufgrund des Verlaufs des Kooperationsgesprächs zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht geeignet sei, den Aufgaben eines Versammlungsleiters nachzukommen. Da anzunehmen gewesen sei, dass die Versammlung mit einem anderen Versammlungsleiter ordnungsgemäß durchgeführt werden könne, sei der Kläger als Versammlungsleiter abgelehnt worden.
10 
Mit Urteil vom 25.10.2011 - 1 Cs 570 Js 20276/10 - verurteilte das Amtsgericht Karlsruhe den Kläger hinsichtlich der Vorkommnisse am 01.05.2010 wegen abweichender Durchführung einer Versammlung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen versammlungsrechtliche Auflagen in vier tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Das Landgericht Karlsruhe stellte das Verfahren in der Hauptverhandlung über die vom Kläger und von der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen mit Beschluss vom 16.07.2014 gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, weil die Strafe, zu der die Verfolgung führen könne, neben der Strafe, die gegen den Kläger durch Strafbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24.08.2011 - 332 Js 39669/11 - verhängt worden sei, nicht beträchtlich ins Gewicht falle.
11 
Mit Urteil vom 14.05.2012 - 3 K 1395/11 - stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Nummern 1 und 2 der Verfügung der Beklagten vom 26.04.2011 rechtswidrig gewesen seien. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Der Kläger beabsichtige, auch in Zukunft wieder als Versammlungsleiter im Stadtgebiet der Beklagten aufzutreten. Auch sei davon auszugehen, dass die Beklagte ihn dann erneut als ungeeignet für die Leitung von Versammlungen ansehen würde. Die Klage sei auch begründet. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für die gegenüber dem Kläger ergangene versammlungsbeschränkende Verfügung hätten nicht vorgelegen. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Durchführung der Versammlung mit dem Kläger als Versammlungsleiter zu einer unmittelbaren Gefährdung der durch § 15 Abs. 1 VersammlG geschützten Rechtsgüter geführt hätte.
12 
Zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 04.02.2013 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens vor, die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Ulm, die Vorkommnisse bei der Demonstration am 01.05.2010 und das Verhalten des Klägers beim Kooperationsgespräch hätten schon für sich genommen, jedenfalls aber in der Gesamtschau seine Ablehnung als Versammlungsleiter gerechtfertigt.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14.05.2012 - 3 K 1395/11 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr sei auch deshalb gegeben, weil davon auszugehen sei, dass die Beklagte ihre Ungeeignetheitsprognose an andere Versammlungsbehörden übermittle und er dann, wenn er möglicherweise dort als Versammlungsleiter auftreten wolle, ebenfalls als unzuverlässig abgelehnt werde. Er sei zudem in seinem Persönlichkeitsrecht und seiner Ehre betroffen, weil er zu Unrecht als Linksextremist abgestempelt und ihm auf unzutreffender Tatsachengrundlage die Eignung als Versammlungsleiter abgesprochen worden sei. Die von der Beklagten getroffene Gefahrprognose sei insgesamt nicht tragfähig. Es sei der Beklagten nicht gelungen, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch ihn als Versammlungsleiter nachzuweisen. In der streitgegenständlichen Verfügung würden keinerlei Ausführungen zu aktuellen Erkenntnissen bezüglich der geplanten Demonstration gemacht. Am 01.05.2010 habe es kein vorwerfbares Verhalten des Klägers gegeben. Die Beklagte behaupte letztlich, dass der Kläger als Versammlungsleiter fungiere, führe als solches bereits zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Es fehlten jedoch jegliche Ausführungen zum Wechselverhältnis zwischen der Tätigkeit des Versammlungsleiters und dem vermuteten Demonstrationsverlauf unter Berücksichtigung von Zielsetzung, Teilnehmerzusammensetzung, Teilnehmerzahl, Verlaufsmöglichkeiten aufgrund der angesetzten Zeit und dem geplanten Ablauf der Demonstration.
18 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte der Kläger auf Fragen des Vorsitzenden, er sei nicht mehr Landesvorsitzender der ... - ...... und in Karlsruhe nicht mehr politisch aktiv. Die Anschrift in ... sei sein einziger Wohnsitz. Auf Nachfrage des Berichterstatters, wo er in den Jahren 2012, 2013 und 2014 den 1. Mai verbracht habe, gab er an, er habe jeweils als einfacher Teilnehmer an der Mai-Demonstration in Karlsruhe teilgenommen. Er habe dies mit einem Besuch bei seinen Eltern verbunden, die noch in Karlsruhe lebten. Als Anmelder einer Versammlung oder Versammlungsleiter sei er allerdings nicht mehr aufgetreten. Er habe dies damals in seiner Funktion als Ortsvorsitzender der ... gemacht. Dass er zunächst auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden weitere politische Aktivitäten in Karlsruhe nach seinem Umzug nach ... allgemein verneint habe, liege daran, dass er diese Frage nicht dahingehend verstanden habe, dass sie auf die Teilnahme an Demonstrationen ziele. Er habe jugendpolitische Arbeit im Kreisjugendring, Parteiversammlungen u. ä. vor Augen gehabt, als er weitere politische Aktivitäten in Karlsruhe pauschal verneint habe. Der im Einstellungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 16.07.2014 erwähnte Strafbefehl des Amtsgerichts Frankfurt habe keinen versammlungsrechtlichen Bezug. Die Demonstration am 01.05.2010 habe er vorzeitig aufgelöst, weil sich infolge des Verhaltens der Polizei, insbesondere des Polizeispaliers, unter den Teilnehmern eine aggressive Stimmung verbreitet habe und er die weitere Verantwortung für die Versammlung nicht mehr habe tragen wollen. Was nach der Auflösung passiert sei, habe er nicht mehr mitbekommen. Er sei dann in der Stadt einen Kaffee trinken gegangen. Bei der Verlesung der Auflagen zu Beginn der Versammlung habe er sich versprochen; es sei nicht seine Absicht gewesen, die Stimmung aufzuheizen. Er habe auch noch keinerlei Erfahrung als Versammlungsleiter gehabt.
19 
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten, die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und die beigezogenen Strafakten des Amtsgerichts Ulm - 25 Js 14411/09 - und des Landgerichts Karlsruhe - 8 Ns 570 Js 20276/10 - vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
20 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Zwar hat die Beklagte keinen ausdrücklichen Berufungsantrag formuliert, doch wird aus der fristgemäß eingereichten Berufungsbegründung das Ziel der Berufung deutlich, das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen. Damit ist den Anforderungen des § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO Genüge getan (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 124 a Rn. 30 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.05.2013 - 10 S 281/12 - NJW 2013, 2045 ).
II.
21 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass die Nummern 1 und 2 der Verfügung der Beklagten vom 26.04.2011 rechtswidrig gewesen sind. Die Klage ist unzulässig (1.), weil es in dem für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - VBlBW 2005, 431 m.w.N.) an dem erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt. Zudem wäre die Klage auch unbegründet gewesen (2.).
22 
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen - mit Ausnahme des Feststellungsinteresses (b) - liegen vor (a).
23 
a) Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - VBlBW 2014, 147 m.w.N.). Es bedurfte auch nicht der Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.). Einer Fristbindung unterliegt die Klageerhebung bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsakts vor Eintritt der Bestandskraft nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <206 ff.>; Senatsurt. v. 19.08.2010 - 1 S 2266/09 - ESVGH 61, 65 = DVBl 2010, 1569 m.w.N.).
24 
b) Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger sich nicht auf ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts berufen kann.
25 
Die Anforderungen an das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.> und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.), wobei die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen sind. Nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit begründet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht nur dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt (aa), wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht (bb) oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (cc; vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurt. v.06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O.).
26 
aa) Die Ablehnung des Klägers als Versammlungsleiter stellt keine schwere Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar.
27 
Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Eine weitere Gewichtung eines solchen Grundrechtseingriffs, etwa im Hinblick auf den spezifischen Anlass oder die Größe der Versammlung, ist dem Staat verwehrt. Ebenso bedarf in einem derartigen Fall keiner Klärung, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG, von verwaltungsgerichtlichen Auflagen nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO oder von verfassungsgerichtlichen Maßgaben nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 89 ).
28 
Daran gemessen führte der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter nicht zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Die Versammlung konnte wie geplant stattfinden, wenn auch mit einem anderen Versammlungsleiter. Auch der Kläger durfte an der Versammlung teilnehmen, ihm wurde lediglich die Ausübung der Funktion des Versammlungsleiters untersagt. Dass die Person des Versammlungsleiters für die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung von Bedeutung gewesen wäre, wird nicht geltend gemacht. Dafür sind auch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, nachdem der Kläger bei der Demonstration am 01.05.2010 über die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Versammlungsleiter hinausgehend nicht in Erscheinung getreten war.
29 
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es auch an einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr.
30 
Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt grundsätzlich zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurt. v. 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011, a.a.O. S. 406 ).
31 
Da es vorliegend um den Ausschluss als Versammlungsleiter geht, setzt die Wiederholungsgefahr den Willen des Klägers voraus, in Zukunft im Zuständigkeitsbereich der Beklagten als Leiter vergleichbarer Versammlungen in Erscheinung zu treten. Ein solcher Wille ist unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht erkennbar. Der Kläger, der seit einigen Jahren seinen Lebensmittelpunkt in ... hat, hat erklärt, dass sein Auftreten als Anmelder und als vorgesehener Versammlungsleiter bei den 1. Mai-Demonstrationen 2010 und 2011 mit den politischen Funktionen zusammenhing, die er damals in Karlsruhe ausübte. In den Jahren 2012, 2013 und 2014 hat er den 1. Mai-Kundgebungen in Karlsruhe auch nach eigenem Bekunden lediglich als einfacher Teilnehmer beigewohnt. Eine Absicht, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten künftig wieder als Versammlungsleiter in Erscheinung treten zu wollen, hat er nicht geäußert.
32 
Eine Absicht, in ... oder anderswo als Versammlungsleiter auftreten zu wollen, hat der Kläger ebenfalls nicht erkennen lassen. Sie wäre entgegen der Auffassung seiner Prozessbevollmächtigten auch nicht ausreichend, um eine Wiederholungsgefahr zu bejahen, weil auf der Seite der Beklagten erforderlich ist, dass „die Behörde“, d.h. die Behörde, deren Verfügung im Streit steht, voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten und erneut in gleicher Weise agieren wird. Über die mögliche Rechtsauffassung anderer Versammlungsbehörden kann bloß spekuliert werden. Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Beklagte ihre Erkenntnisse über den Kläger, die aus den Jahren 2009 bis 2011 stammen, anderen Versammlungsbehörden übermittelt, so wären diese im Übrigen schon aufgrund der verstrichenen Zeit sowie im Lichte etwaiger neuerer Erkenntnisse neu zu bewerten.
33 
cc) Schließlich kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht unter dem Aspekt der Rehabilitierung bejaht werden.
34 
Ein Rehabilitierungsinteresse ist im Fall der Erledigung einer Maßnahme anzunehmen, wenn die begehrte Feststellung, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig war, als "Genugtuung" oder zur Rehabilitierung erforderlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigte. Auch in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten sind Begründungen für beschränkende Maßnahmen vorstellbar, die diskriminierend wirken können, insbesondere Ausführungen über die Persönlichkeit des Veranstalters oder zu seinem erwarteten kriminellen Verhalten auf Versammlungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 92 m.w.N.). Die - behauptete - Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als solche reicht für die Bejahung eines Rehabilitierungsinteresses allerdings nicht aus; erforderlich ist eine „Bemakelung“ des Betroffenen, die sich aus den Gründen des Bescheids oder den Umständen seines Erlasses ergibt, jedoch nicht automatisch aus der Einstufung als Störer im polizeirechtlichen Sinne oder - wie hier - dem Ausschluss als Versammlungsleiter aufgrund einer Gefahrenprognose nach § 15 VersammlG folgt. Hieraus muss sich eine fortwirkende konkrete und objektive Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen ergeben, die gerade durch den gerichtlichen Ausspruch beseitigt werden kann (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - a.a.O. m.w.N.; Senatsurt. v. 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - DVBl 2011, 1305 ).
35 
Daran gemessen ist hier ein Rehabilitierungsinteresse zu verneinen. Die angegriffene Anordnung hatte keine persönlichkeitsbeeinträchtigende Wirkung. Die vom Kläger angemeldete Versammlung konnte wie geplant und auch von ihm nach außen kommuniziert stattfinden. Es ist nicht erkennbar, dass der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter oder gar die hierfür maßgeblichen Gründe von der Beklagten selbst oder auf ihre Veranlassung publik gemacht worden wären. Der streitgegenständliche Bescheid war allein an den Kläger gerichtet und daher nicht geeignet, sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.
36 
2. Die Klage wäre auch nicht begründet gewesen. Der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter war rechtmäßig und verletzte ihn nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
37 
a) Nach der gemäß § 18 Abs. 1 VersammlG auch für Versammlungen unter freiem Himmel anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 VersammlG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Dieser bestimmt den Ablauf der Versammlung, und er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§ 8 Satz 1 und 2 VersammlG); bei Aufzügen hat er nach § 19 Abs. 1 VersammlG für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem persönlichen Vermögen imstande sein, den ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen. Zweifel an der Zuverlässigkeit und Eignung der als Leiter vorgesehenen Person müssen durch Tatsachen belegbar sein (vgl. Die- tel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, Kommentar, 16. Aufl., § 7 Rn. 8 m.w.N.).
38 
b) Allerdings vermögen mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz durch Tatsachen belegte Zuverlässigkeits- und Eignungszweifel für sich genommen die Ablehnung einer Person als Versammlungsleiter nicht zu rechtfertigen. Vielmehr kommt - wie die Beklagte zutreffend erkannt hat - ein präventiver Ausschluss einer Person als Versammlungsleiter nur auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG in Betracht. Nach dieser Vorschrift dürfen versammlungsbeschränkende Maßnahmen nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung ohne Erlass der betreffenden Verfügung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. ; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
39 
Bei der Prognose ist die ex ante-Sicht und nicht eine spätere Sicht entscheidend. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche Erkenntnisse die Versammlungsbehörde im Anschluss an ihre Entscheidung gewinnt: War das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr im Zeitpunkt der Entscheidung über die einschränkende Verfügung objektiv wahrscheinlich, bleibt diese auch dann rechtmäßig, wenn sich die Prognose aufgrund von sich später ergebenden Erkenntnissen als unrichtig erweisen sollte. Umgekehrt kann eine unmittelbare Gefahr nicht - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - mit Tatsachen begründet werden, die erst im Anschluss an den Erlass der versammlungsrechtlichen Verfügung bekannt werden.
40 
c) Hier erweist sich die von der Beklagten getroffene Gefahrprognose, die sich in erster Linie auf die Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums vom 06.04.2011 und die bei dem Kooperationsgespräch am 20.04.2011 gewonnenen Erkenntnisse gestützt hat, als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die die Prognose rechtfertigten, dass bei Durchführung der Versammlung mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist.
41 
In der angefochtenen Verfügung kommt - wenn auch knapp und teilweise nur indirekt - hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Beklagte sich nicht nur die vom Polizeipräsidium über den Kläger mitgeteilten Erkenntnisse, sondern auch die maßgeblich auf die Erfahrungen des Vorjahres gestützten Erkenntnisse über den Teilnehmerkreis der geplanten Versammlung und das insgesamt von der Versammlung ausgehende Gefahrenpotential zu eigen macht. Dass die Beklagte vergleichbare Rechtsverletzungen wie im Vorjahr befürchtete, wird etwa auf S. 4 unten des Bescheides bei den Ausführungen zum Verhalten des Klägers bei dem Kooperationsgespräch deutlich, in dem es u.a. darum ging, von dem Kläger zu erfahren, welche Maßnahmen er zur Vermeidung ähnlicher Geschehnisse anlässlich der diesjährigen Versammlung ergreifen wolle.
42 
Ob und in welchem Ausmaß das prognostizierte Gefahrenpotential sich realisieren und es aus der angemeldeten Versammlung heraus zur Begehung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten kommen würde, hing vorliegend nach der ex ante-Prognose maßgeblich von der Person des Versammlungsleiters und von dessen Zuverlässigkeit bzw. Eignung ab. Die Beklagte hat auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zutreffend prognostiziert, dass mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre.
43 
Entscheidende Bedeutung kam dem Verhalten des Klägers beim Verlesen der Auflagen zu Beginn der Versammlung am 1. Mai 2010 zu, durch das er - ob beabsichtigt oder nicht - die Stimmung unter den Versammlungsteilnehmern anheizte, was mit dazu beigetragen haben dürfte, dass es von Beginn an zu massiven Verstößen gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten und damit ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit zu beachtenden Auflagen kam. Zwar kooperierte der Kläger dann im weiteren Verlauf der Versammlung mit der Polizei und bemühte sich auch, gegen Auflagen- bzw. Gesetzesverstöße einzuschreiten, doch blieb er mit diesen Bemühungen weitgehend erfolglos, so dass er schließlich keinen anderen Ausweg sah, als sich der weiteren Verantwortung durch vorzeitige Auflösung der Versammlung zu entledigen. Dieses Verhalten durfte für die Gefahrprognose bezüglich der hinsichtlich Zielsetzung und Teilnehmerkreis im Wesentlichen gleichartigen 1. Mai-Demonstration im Jahr 2011 herangezogen werden, weil es keinerlei Hinweise gab, dass der damals als Versammlungsleiter noch unerfahrene Kläger zwischenzeitlich einen Lernprozess durchlaufen und sein Verhalten kritisch reflektiert hätte. In dem mit ihm geführten Kooperationsgespräch zeigte er keinerlei Einsicht in eigenes Fehlverhalten und suchte die Verantwortung für die Eskalation der 1. Mai-Demonstration 2010 ausschließlich bei der Polizei. Zudem stellte er in Abrede, dass gegen ihn wegen der Vorkommnisse im Vorjahr ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Zwar besteht keine Rechtspflicht zur Kooperation und ist es der Versammlungsbehörde daher verwehrt, allein aus der Weigerung eines Veranstalters zur Teilnahme an einem vorbereitenden Kooperationsgespräch negative Schlüsse zu ziehen (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 01.03.2002 - 1 BvQ 5/02 - NVwZ 2002, 982). Nimmt ein Veranstalter aber - wie hier - freiwillig an einem Kooperationsgespräch teil, können die dabei gewonnenen Erkenntnisse selbstverständlich verwertet werden. Die Beklagte durfte daher auch berücksichtigen, dass der Kläger, obwohl er die Gefahr von Rechtsverstößen bei der von ihm angemeldeten Versammlung kannte oder jedenfalls hätte kennen müssen, keine Veranlassung sah, Vorkehrungen zur Eindämmung dieser Gefahr zu treffen (vgl. hierzu Senats-beschl. v. 18.06.1999 - 1 S 1464/99 - VBlBW 1999, 462). Als weiteren Mosaikstein durfte die Beklagte schließlich die Verurteilung durch den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm heranziehen, die den Schluss erlaubte, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür bietet, in - zu erwartenden - kritischen Situationen deeskalierend zu wirken.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
45 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
46 
Beschluss vom 27. Januar 2015
47 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
48 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
20 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Zwar hat die Beklagte keinen ausdrücklichen Berufungsantrag formuliert, doch wird aus der fristgemäß eingereichten Berufungsbegründung das Ziel der Berufung deutlich, das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen. Damit ist den Anforderungen des § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO Genüge getan (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 124 a Rn. 30 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.05.2013 - 10 S 281/12 - NJW 2013, 2045 ).
II.
21 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass die Nummern 1 und 2 der Verfügung der Beklagten vom 26.04.2011 rechtswidrig gewesen sind. Die Klage ist unzulässig (1.), weil es in dem für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - VBlBW 2005, 431 m.w.N.) an dem erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt. Zudem wäre die Klage auch unbegründet gewesen (2.).
22 
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen - mit Ausnahme des Feststellungsinteresses (b) - liegen vor (a).
23 
a) Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - VBlBW 2014, 147 m.w.N.). Es bedurfte auch nicht der Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.). Einer Fristbindung unterliegt die Klageerhebung bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsakts vor Eintritt der Bestandskraft nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <206 ff.>; Senatsurt. v. 19.08.2010 - 1 S 2266/09 - ESVGH 61, 65 = DVBl 2010, 1569 m.w.N.).
24 
b) Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger sich nicht auf ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts berufen kann.
25 
Die Anforderungen an das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.> und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. m.w.N.), wobei die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen sind. Nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit begründet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht nur dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt (aa), wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht (bb) oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (cc; vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurt. v.06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O.).
26 
aa) Die Ablehnung des Klägers als Versammlungsleiter stellt keine schwere Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar.
27 
Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Eine weitere Gewichtung eines solchen Grundrechtseingriffs, etwa im Hinblick auf den spezifischen Anlass oder die Größe der Versammlung, ist dem Staat verwehrt. Ebenso bedarf in einem derartigen Fall keiner Klärung, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG, von verwaltungsgerichtlichen Auflagen nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO oder von verfassungsgerichtlichen Maßgaben nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 89 ).
28 
Daran gemessen führte der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter nicht zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Die Versammlung konnte wie geplant stattfinden, wenn auch mit einem anderen Versammlungsleiter. Auch der Kläger durfte an der Versammlung teilnehmen, ihm wurde lediglich die Ausübung der Funktion des Versammlungsleiters untersagt. Dass die Person des Versammlungsleiters für die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung von Bedeutung gewesen wäre, wird nicht geltend gemacht. Dafür sind auch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, nachdem der Kläger bei der Demonstration am 01.05.2010 über die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Versammlungsleiter hinausgehend nicht in Erscheinung getreten war.
29 
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es auch an einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr.
30 
Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt grundsätzlich zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurt. v. 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011, a.a.O. S. 406 ).
31 
Da es vorliegend um den Ausschluss als Versammlungsleiter geht, setzt die Wiederholungsgefahr den Willen des Klägers voraus, in Zukunft im Zuständigkeitsbereich der Beklagten als Leiter vergleichbarer Versammlungen in Erscheinung zu treten. Ein solcher Wille ist unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht erkennbar. Der Kläger, der seit einigen Jahren seinen Lebensmittelpunkt in ... hat, hat erklärt, dass sein Auftreten als Anmelder und als vorgesehener Versammlungsleiter bei den 1. Mai-Demonstrationen 2010 und 2011 mit den politischen Funktionen zusammenhing, die er damals in Karlsruhe ausübte. In den Jahren 2012, 2013 und 2014 hat er den 1. Mai-Kundgebungen in Karlsruhe auch nach eigenem Bekunden lediglich als einfacher Teilnehmer beigewohnt. Eine Absicht, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten künftig wieder als Versammlungsleiter in Erscheinung treten zu wollen, hat er nicht geäußert.
32 
Eine Absicht, in ... oder anderswo als Versammlungsleiter auftreten zu wollen, hat der Kläger ebenfalls nicht erkennen lassen. Sie wäre entgegen der Auffassung seiner Prozessbevollmächtigten auch nicht ausreichend, um eine Wiederholungsgefahr zu bejahen, weil auf der Seite der Beklagten erforderlich ist, dass „die Behörde“, d.h. die Behörde, deren Verfügung im Streit steht, voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten und erneut in gleicher Weise agieren wird. Über die mögliche Rechtsauffassung anderer Versammlungsbehörden kann bloß spekuliert werden. Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Beklagte ihre Erkenntnisse über den Kläger, die aus den Jahren 2009 bis 2011 stammen, anderen Versammlungsbehörden übermittelt, so wären diese im Übrigen schon aufgrund der verstrichenen Zeit sowie im Lichte etwaiger neuerer Erkenntnisse neu zu bewerten.
33 
cc) Schließlich kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht unter dem Aspekt der Rehabilitierung bejaht werden.
34 
Ein Rehabilitierungsinteresse ist im Fall der Erledigung einer Maßnahme anzunehmen, wenn die begehrte Feststellung, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig war, als "Genugtuung" oder zur Rehabilitierung erforderlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigte. Auch in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten sind Begründungen für beschränkende Maßnahmen vorstellbar, die diskriminierend wirken können, insbesondere Ausführungen über die Persönlichkeit des Veranstalters oder zu seinem erwarteten kriminellen Verhalten auf Versammlungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S. 92 m.w.N.). Die - behauptete - Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als solche reicht für die Bejahung eines Rehabilitierungsinteresses allerdings nicht aus; erforderlich ist eine „Bemakelung“ des Betroffenen, die sich aus den Gründen des Bescheids oder den Umständen seines Erlasses ergibt, jedoch nicht automatisch aus der Einstufung als Störer im polizeirechtlichen Sinne oder - wie hier - dem Ausschluss als Versammlungsleiter aufgrund einer Gefahrenprognose nach § 15 VersammlG folgt. Hieraus muss sich eine fortwirkende konkrete und objektive Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen ergeben, die gerade durch den gerichtlichen Ausspruch beseitigt werden kann (vgl. Senatsurt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - a.a.O. m.w.N.; Senatsurt. v. 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - DVBl 2011, 1305 ).
35 
Daran gemessen ist hier ein Rehabilitierungsinteresse zu verneinen. Die angegriffene Anordnung hatte keine persönlichkeitsbeeinträchtigende Wirkung. Die vom Kläger angemeldete Versammlung konnte wie geplant und auch von ihm nach außen kommuniziert stattfinden. Es ist nicht erkennbar, dass der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter oder gar die hierfür maßgeblichen Gründe von der Beklagten selbst oder auf ihre Veranlassung publik gemacht worden wären. Der streitgegenständliche Bescheid war allein an den Kläger gerichtet und daher nicht geeignet, sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.
36 
2. Die Klage wäre auch nicht begründet gewesen. Der Ausschluss des Klägers als Versammlungsleiter war rechtmäßig und verletzte ihn nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
37 
a) Nach der gemäß § 18 Abs. 1 VersammlG auch für Versammlungen unter freiem Himmel anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 VersammlG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Dieser bestimmt den Ablauf der Versammlung, und er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§ 8 Satz 1 und 2 VersammlG); bei Aufzügen hat er nach § 19 Abs. 1 VersammlG für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem persönlichen Vermögen imstande sein, den ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen. Zweifel an der Zuverlässigkeit und Eignung der als Leiter vorgesehenen Person müssen durch Tatsachen belegbar sein (vgl. Die- tel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, Kommentar, 16. Aufl., § 7 Rn. 8 m.w.N.).
38 
b) Allerdings vermögen mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz durch Tatsachen belegte Zuverlässigkeits- und Eignungszweifel für sich genommen die Ablehnung einer Person als Versammlungsleiter nicht zu rechtfertigen. Vielmehr kommt - wie die Beklagte zutreffend erkannt hat - ein präventiver Ausschluss einer Person als Versammlungsleiter nur auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG in Betracht. Nach dieser Vorschrift dürfen versammlungsbeschränkende Maßnahmen nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung ohne Erlass der betreffenden Verfügung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Senatsurt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 - a.a.O. ; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
39 
Bei der Prognose ist die ex ante-Sicht und nicht eine spätere Sicht entscheidend. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche Erkenntnisse die Versammlungsbehörde im Anschluss an ihre Entscheidung gewinnt: War das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr im Zeitpunkt der Entscheidung über die einschränkende Verfügung objektiv wahrscheinlich, bleibt diese auch dann rechtmäßig, wenn sich die Prognose aufgrund von sich später ergebenden Erkenntnissen als unrichtig erweisen sollte. Umgekehrt kann eine unmittelbare Gefahr nicht - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - mit Tatsachen begründet werden, die erst im Anschluss an den Erlass der versammlungsrechtlichen Verfügung bekannt werden.
40 
c) Hier erweist sich die von der Beklagten getroffene Gefahrprognose, die sich in erster Linie auf die Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums vom 06.04.2011 und die bei dem Kooperationsgespräch am 20.04.2011 gewonnenen Erkenntnisse gestützt hat, als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die die Prognose rechtfertigten, dass bei Durchführung der Versammlung mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist.
41 
In der angefochtenen Verfügung kommt - wenn auch knapp und teilweise nur indirekt - hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Beklagte sich nicht nur die vom Polizeipräsidium über den Kläger mitgeteilten Erkenntnisse, sondern auch die maßgeblich auf die Erfahrungen des Vorjahres gestützten Erkenntnisse über den Teilnehmerkreis der geplanten Versammlung und das insgesamt von der Versammlung ausgehende Gefahrenpotential zu eigen macht. Dass die Beklagte vergleichbare Rechtsverletzungen wie im Vorjahr befürchtete, wird etwa auf S. 4 unten des Bescheides bei den Ausführungen zum Verhalten des Klägers bei dem Kooperationsgespräch deutlich, in dem es u.a. darum ging, von dem Kläger zu erfahren, welche Maßnahmen er zur Vermeidung ähnlicher Geschehnisse anlässlich der diesjährigen Versammlung ergreifen wolle.
42 
Ob und in welchem Ausmaß das prognostizierte Gefahrenpotential sich realisieren und es aus der angemeldeten Versammlung heraus zur Begehung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten kommen würde, hing vorliegend nach der ex ante-Prognose maßgeblich von der Person des Versammlungsleiters und von dessen Zuverlässigkeit bzw. Eignung ab. Die Beklagte hat auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zutreffend prognostiziert, dass mit dem Kläger als Versammlungsleiter die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre.
43 
Entscheidende Bedeutung kam dem Verhalten des Klägers beim Verlesen der Auflagen zu Beginn der Versammlung am 1. Mai 2010 zu, durch das er - ob beabsichtigt oder nicht - die Stimmung unter den Versammlungsteilnehmern anheizte, was mit dazu beigetragen haben dürfte, dass es von Beginn an zu massiven Verstößen gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten und damit ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit zu beachtenden Auflagen kam. Zwar kooperierte der Kläger dann im weiteren Verlauf der Versammlung mit der Polizei und bemühte sich auch, gegen Auflagen- bzw. Gesetzesverstöße einzuschreiten, doch blieb er mit diesen Bemühungen weitgehend erfolglos, so dass er schließlich keinen anderen Ausweg sah, als sich der weiteren Verantwortung durch vorzeitige Auflösung der Versammlung zu entledigen. Dieses Verhalten durfte für die Gefahrprognose bezüglich der hinsichtlich Zielsetzung und Teilnehmerkreis im Wesentlichen gleichartigen 1. Mai-Demonstration im Jahr 2011 herangezogen werden, weil es keinerlei Hinweise gab, dass der damals als Versammlungsleiter noch unerfahrene Kläger zwischenzeitlich einen Lernprozess durchlaufen und sein Verhalten kritisch reflektiert hätte. In dem mit ihm geführten Kooperationsgespräch zeigte er keinerlei Einsicht in eigenes Fehlverhalten und suchte die Verantwortung für die Eskalation der 1. Mai-Demonstration 2010 ausschließlich bei der Polizei. Zudem stellte er in Abrede, dass gegen ihn wegen der Vorkommnisse im Vorjahr ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Zwar besteht keine Rechtspflicht zur Kooperation und ist es der Versammlungsbehörde daher verwehrt, allein aus der Weigerung eines Veranstalters zur Teilnahme an einem vorbereitenden Kooperationsgespräch negative Schlüsse zu ziehen (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 01.03.2002 - 1 BvQ 5/02 - NVwZ 2002, 982). Nimmt ein Veranstalter aber - wie hier - freiwillig an einem Kooperationsgespräch teil, können die dabei gewonnenen Erkenntnisse selbstverständlich verwertet werden. Die Beklagte durfte daher auch berücksichtigen, dass der Kläger, obwohl er die Gefahr von Rechtsverstößen bei der von ihm angemeldeten Versammlung kannte oder jedenfalls hätte kennen müssen, keine Veranlassung sah, Vorkehrungen zur Eindämmung dieser Gefahr zu treffen (vgl. hierzu Senats-beschl. v. 18.06.1999 - 1 S 1464/99 - VBlBW 1999, 462). Als weiteren Mosaikstein durfte die Beklagte schließlich die Verurteilung durch den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm heranziehen, die den Schluss erlaubte, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür bietet, in - zu erwartenden - kritischen Situationen deeskalierend zu wirken.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
45 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
46 
Beschluss vom 27. Januar 2015
47 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
48 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2010 - 6 K 4127/09 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Genehmigungsfähigkeit einer Nutzungsänderung auf dem Baugrundstück Flst.Nr. ... der Gemarkung Giengen an der Brenz vor Inkrafttreten einer Veränderungssperre.
Das am Ostrand der Giengener Kernstadt gelegene Baugrundstück ist mit Gebäudekomplex "..." ...... und einem Parkhaus bebaut. Seine Errichtung geht auf den Bebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken" von 1979 zurück, der für das Baugrundstück ein Sondergebiet für ein Einkaufszentrum sowie Gemeinbedarfsflächen festsetzte. Mit dem Änderungsbebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ vom 25.01.1996 wurde für die Gemeinbedarfsflächen ebenfalls ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf und Wohnen" (SO 2) und für das Baugrundstück ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf" (SO 1) festgesetzt. Danach sind im SO 1 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe" und im SO 2 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe, Betriebe des Beherbergungsgewerbes, Wohnen" zulässig.
Im September 2008 stellten die Firma ......GmbH in Ulm ..., eine weitere Firma sowie die Klägerin Bauanträge für Spielhallen im "...". Die Beklagte bewertete die Vorhaben als eine einheitliche kerngebietstypische Spielhalle, die im SO 1 unzulässig sei. Daraufhin nahmen die Klägerin sowie die weitere Firma ihre Anträge zurück. Die Firma ... erhielt auf ihren modifizierten Bauantrag am 16.12.2008 eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Räumen im Erdgeschoss des "..." für eine Spielhalle mit acht Geldspielgeräten sowie ein angrenzendes Café mit drei Geldspielgeräten.
Mit Schreiben vom 15.07.2009, eingegangen am 22.07.2009, reichte die Firma ... einen neuen Bauantrag der Klägerin vom 06.07.2009 zur Nutzungsänderung des Cafés in ein “Freizeit- und Eventcenter (Spielothek)“ mit acht Geldspielgeräten mit der Erläuterung ein, ihre vorhandene Spielhalle sei nicht konkurrenzfähig. In einer Bauzeichnung der Bauvorlagen ist in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eine Tür eingezeichnet.
Das Baurechtsamt der Beklagten teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2009 mit, es beabsichtige, den Bauantrag abzulehnen, weil die geplante Spielhalle kerngebietstypisch sei. Sie bilde mit der vorhandenen eine betriebliche Einheit. Die Aufsichtsflächen seien nur durch eine Tür voneinander getrennt. Es sei daher zu vermuten, dass das Personal für beide Spielhallen zuständig sei. Es werde um Mitteilung bis zum 15.09.2009 gebeten, ob die Klägerin den Antrag zurücknehme oder dessen Ablehnung wünsche. Mit Schreiben vom 31.08.2009, eingegangen am 01.09.2009, legte die Klägerin dar, beide Spielhallen seien baulich und organisatorisch getrennt. Die Tür zwischen den Aufsichtsflächen werde verschlossen gehalten. Das könne durch Nebenbestimmung zur Baugenehmigung gesichert werden. Sie diene nur im äußersten Notfall dazu, dass das Personal eines Betriebes demjenigen im anderen Betrieb schnell zu Hilfe kommen könne, ohne die Betriebsräume verlassen zu müssen. Die Klägerin betreibe selbst Spielhallen und sei mit der Firma ... nicht identisch. Es werde um einen Bescheid gebeten.
Mit Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 bestätigte das Baurechtsamt die Vollständigkeit der Bauvorlagen und gab als Datum der voraussichtlichen Entscheidung den 30.10.2009 an. Mit weiteren Schreiben vom selben Tag bat es die Ordnungsverwaltung bei der Beklagten und die Gewerbeaufsicht beim Landratsamt um Äußerung bis zum 30.09. bzw. 16.10.2009. Am 01.10.2009 ging die Äußerung der Ordnungsverwaltung ein, diejenige des Landratsamts folgte am 09.10.2009 als E-Mail und am 13.10.2009 per Post. Beide Stellen hatten keine Bedenken gegen das Vorhaben, das Landratsamt bat um Aufnahme von Nebenbestimmungen in die Baugenehmigung.
Am 22.10.2009 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans, um zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Einzelhandelsstruktur im Plangebiet die zulässigen Nutzungsarten neu zu definieren und Vergnügungsstätten auszuschließen. Ferner beschloss er eine Satzung über eine Veränderungssperre für das Gebiet des zu ändernden Bebauungsplans, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 06.11.2009 in Kraft trat. Ende September 2011 beschloss er eine Satzung zur Verlängerung der Veränderungssperre um ein Jahr, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 21.10.2011 in Kraft trat.
Bereits am 05.11.2009 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung zu verpflichten. Die Klage wurde der Beklagten am 10.11.2009 zugestellt. Mit Bescheid vom selben Tag lehnte sie den Bauantrag wegen Verstoßes gegen die Satzung über die Veränderungssperre ab; eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB scheide aus. Über den Widerspruch der Klägerin ist noch nicht entschieden. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin nur noch die Feststellung beantragt, dass die Beklagte vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zur Erteilung einer Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 verpflichtet gewesen sei. Sie wolle Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung geltend machen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 16.02.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Der Feststellungsantrag sei zwar statthaft, da sich das Verpflichtungsbegehren mit Inkrafttreten der Veränderungssperre erledigt habe. Er sei gleichwohl unzulässig, weil die Verpflichtungsklage unzulässig gewesen sei und weil die Klägerin kein berechtigtes Feststellungsinteresse habe. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig gewesen, weil die Beklagte einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit gehabt habe. Denn die ihr nach der Landesbauordnung eingeräumte zweimonatige Entscheidungsfrist sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre noch nicht abgelaufen gewesen. Diese Frist habe erst mit Eingang der Stellungnahme des Landratsamtes am 13.10.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe die Entscheidungsfrist ausschöpfen dürfen. Das sei ein besonderer Umstand i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO. Die Beklagte sei auch nicht zu einer früheren Anhörung der Behörden verpflichtet gewesen. Zwar verlange die Landesbauordnung die unverzügliche Einleitung der Anhörung nach vollständigem Eingang des Bauantrags und der Bauvorlagen. Dies bedeute ohne schuldhaftes Zögern. Es sei der Behörde aber nicht verwehrt, den Bauherrn zunächst auf rechtliche Bedenken hinzuweisen. Denn ziehe dieser den Bauantrag zurück, könnten Kosten gespart werden, was seinem Interesse diene. Bestehe er auf einer Entscheidung, könne es sachgerecht sein, das Verfahren nun zu betreiben. Zwar dürfe die Behörde es dann nicht mutwillig verzögern. Auch könne sie gehalten sein, die Verzögerung auszugleichen. Die Beklagte habe das Verfahren aber nicht mutwillig verzögert. Zwar habe sie erst am 16.09.2009 mit der Anhörung begonnen. Sie habe den beteiligten Stellen aber eine relativ knappe Frist von einem Monat gesetzt und das Verfahren zügig betrieben. Das Feststellungsinteresse fehle wegen der verfrühten Untätigkeitsklage ebenfalls. Die Klägerin hätte nach Inkrafttreten der Veränderungssperre und Ablehnung des Bauantrags beim Zivilgericht Schadensersatzklage erheben können. Die Klage sei aber auch unbegründet. Die Beklagte sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre mangels Ablaufs der Entscheidungsfrist nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet gewesen. Darauf, ob der Bauantrag damals genehmigungsfähig gewesen sei, komme es daher nicht an.
10 
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung legt die Klägerin im Wesentlichen dar: Sie habe nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist zulässig Untätigkeitsklage erhoben. Das Vorliegen eines zureichenden Grundes i. S. des § 75 Satz 3 VwGO ändere daran nichts. Die Klage sei mit dem Feststellungsantrag auch begründet. Die Entscheidungsfrist sei bei Klageerhebung abgelaufen gewesen. Diese Frist habe mit Eingang des vollständigen Bauantrags am 22.07.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe gerade wegen der vorangegangenen Genehmigungsverfahren der Klägerin und ihrer "Schwestergesellschaften" sofort mit der Bearbeitung begonnen. Ihr Schreiben vom 19.08.2009 fordere nicht zur Ergänzung oder Änderung unvollständiger Bauvorlagen auf, sondern interpretiere nur den Bauantrag falsch. Die Entscheidungsfrist sei daher am 22.09.2009 abgelaufen. Bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre sei ihr Vorhaben genehmigungsfähig gewesen.
11 
Die Klägerin beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16.02.2010 - 6 K 4127/09 - zu ändern und festzustellen, dass die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, vor dem 06.11.2009 rechtswidrig gewesen ist.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Sie erwidert: Die dreimonatige Sperrfrist nach § 75 VwGO habe erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 zu laufen begonnen. Jedenfalls sei die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 75 Satz 2 VwGO nicht erfüllt gewesen, weil über den Bauantrag mit zureichendem Grund noch nicht entschieden worden sei. Dieser Grund liege darin, dass die Entscheidungsfrist nach der Landesbauordnung selbst bei früherer Einleitung der Anhörung frühestens am 12.11.2009 geendet hätte. Die Anhörung müsse erst nach Ablauf einer Frist von zehn Arbeitstagen zur Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit unverzüglich eingeleitet werden. Dafür stünden weitere drei bis fünf Arbeitstage zur Verfügung. Demzufolge hätte die Anhörung frühestens 15 Arbeitstage nach dem 22.07.2009, also am 12.08.2009 eingeleitet sein müssen. Bei einer angemessenen einmonatigen Anhörungsfrist hätte die zweimonatige Entscheidungsfrist danach frühestens am 12.09.2009 begonnen. Abgesehen davon sei der Bauantrag erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 vollständig gewesen. Der Feststellungsantrag sei auch unbegründet. Das Vorhaben sei auch vor Inkrafttreten der Veränderungssperre nicht genehmigungsfähig gewesen.
16 
Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Bau- und Bebauungsplanakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 641/11 - geändert, soweit die Klage abgewiesen wurde.

Es wird festgestellt, dass die an den Kläger gerichtete Auflage in Ziffer 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.

Die Beklagte trägt die gesamten Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Kläger begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit einer an ihn als Versammlungsleiter gerichteten Auflage, nach der das Mitführen von Gegenständen, die zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeignet und bestimmt sind, bei der Versammlung verboten ist.
Mit Schreiben vom 25.01.2011 und 01.02.2011 meldete der Kläger bei der Beklagten für Samstag, den 12.02.2011, 12 - 15 Uhr, eine Versammlung mit 200 bis 250 Teilnehmern auf dem Karlsruher Marktplatz an. Die Kundgebung richtete sich gegen einen wenige Tage später stattfindenden Castor-Transport aus dem Karlsruher Institut für Technologie - KIT - nach Lubmin. Ein LKW sollte als Bühne dienen, die Teilnehmer und Passanten sollten per Lautsprecher, Transparenten und Flyern erreicht werden.
Mit Bescheid vom 09.02.2011 bestätigte die Beklagte gemäß § 14 VersammlG die Versammlung und erteilte - ausweislich der Begründung gestützt auf § 15 VersammlG - eine Reihe von Auflagen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Ziffer 7 der Verfügung lautete:
„Es ist verboten an der Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf ausgerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern (Vermummungsverbot). Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, dürfen bei der Versammlung nicht mitgeführt werden. Hierzu zählt insbesondere die Bekleidung mit Kapuzenpullovern und Halstüchern, wenn dadurch eine Identifizierung unmöglich gemacht wird (z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen).“
Die Einzelbegründung zu Ziffer 7 lautete:
„Die Auflage ergibt sich direkt aus § 17 a Abs. 2 Versammlungsgesetz.“
Des weiteren wurde der Kläger als Versammlungsleiter verpflichtet, sich zu Beginn bei der Polizeieinsatzleitung zu melden und während der Veranstaltung per Mobiltelefon erreichbar zu sein. Ihm wurde aufgegeben, je 50 Teilnehmer einen Ordner einzusetzen und deren Personalien vorab der Polizei mitteilen. Es wurden Einzelheiten bezüglich des Bühnen- und Standaufbaus sowie der Beschaffenheit von Transparenten und Fahnen geregelt, unter anderem wurden Transparente mit einer Länge von über 3 m untersagt. Verboten wurden auch die Blockade und Behinderung des Straßenbahnverkehrs, der Ausschank, Verkauf und Konsum alkoholischer Getränke sowie das Mitführen von Glasbehältnissen und Hunden. Der Kläger wurde verpflichtet, den Versammlungsort nach der Veranstaltung zu reinigen.
Der Bescheid verpflichtete den Kläger, den Teilnehmern den Verlauf und die Auflagen mitzuteilen und auf mögliche Bußgeldverfahren hinzuweisen. Ziffer 1 der Verfügung endete mit dem Satz:
„Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.“
10 
Der Sofortvollzug aller Auflagen wurde angeordnet.
11 
Am 11.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen einige der verfügten Auflagen, über den nicht entschieden wurde.
12 
Die Versammlung fand am 12.02.2011 statt und wurde um 14.15 Uhr vom Kläger beendet. Die Versammlung, an der zur Spitzenzeit ca. 300 und 350 Personen teilnahmen, verlief friedlich. Die Beklagte teilte dem Kläger während der Versammlung mit, dass auf den Sofortvollzug der Auflagen verzichtet werde.
13 
Am 09.03.2011 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass die Ziffern 1, 3, 5, 7, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig waren, soweit diese
14 
a) den Kläger verpflichten, dem Polizeieinsatzleiter vor Versammlungsbeginn die Mobiltelefonnummer, unter der er jederzeit während der Versammlung erreichbar ist, mitzuteilen,
15 
b) den Kläger verpflichten, als Versammlungsleiter die Personalien (Name, Vorname und Wohnort) der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die der Polizei am 12.02.2011 um 11.30 Uhr vorzulegen ist,
16 
c) den Kläger verpflichten, keine Transparente mitzuführen, die die Länge von 3 m überschreiten,
17 
d) das Mitführen von Gegenständen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, bei der Versammlung verbieten, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen,
18 
e) das Mitführen von Glasbehältnissen auf der Versammlung verbieten,
19 
f) das Mitführen von Hunden während der Versammlung untersagen.
20 
Mit Urteil vom 24.11.2011 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe festgestellt, dass die Ziffern 1, 3, 5, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 in dem mit der Klage angegriffenen Umfang rechtswidrig waren. Lediglich in Bezug auf das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2 und 3 der Verfügung), hat es die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es insoweit ausgeführt: Die Anordnung wiederhole lediglich den Wortlaut des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG und konkretisiere diesen durch Beispiele. Das angeführte Tragen von Kapuzenpullovern und Halstüchern sei nur insofern verboten, als dies in einer Weise geschehe, die eine Identifizierung der Person unmöglich mache. Danach sei das Tragen der genannten Kleidungsstücke nicht generell untersagt, sondern nur dann, wenn es dem Verbot des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG zuwiderlaufe. In dieser Auslegung begegne das Verbot keinen Bedenken.
21 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 22.03.2012 - 1 S 89/12 - zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor: Das Verbot des Mitführens von zur Vermummung geeigneten Gegenständen stelle nicht lediglich eine Konkretisierung des gesetzlichen Verbots dar. Während nach § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG lediglich das Mitführen von Gegenständen verboten sei, die geeignet und den Umständen nach zur Vermummung bestimmt seien, verbiete die angegriffene Verfügung schon das bloße Tragen geeigneter Kleidungsstücke, ohne dass eine Zweckbestimmung notwendig sei. Zur Vermummung geeignete Kleidungsstücke, insbesondere die in der Verfügung genannten Kapuzenpullover seien ein weit verbreitetes modisches Kleidungsstück. Das Verbot sei den potentiellen Teilnehmern nicht vorab bekannt, es hindere Bürger an der spontanen Teilnahme. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG seien nicht gegeben. Die Veranstaltung sei, wie bereits im Vorfeld absehbar gewesen sei, friedlich verlaufen. Die Auflage sei schließlich zu unbestimmt; der Kläger könne nicht zuverlässig beurteilen, ob ein Verstoß gegen die Auflage vorliege. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers seien mehrere Vorfälle bekannt, bei denen Jugendlichen vor Demonstrationen das Tragen von Halstüchern oder Kapuzenpullovern untersagt worden sei, obwohl die jeweiligen Umstände nahegelegt hätten, dass die Kleidungsstücke nicht der Vermummung, sondern dem Schutz vor der Witterung dienen sollten.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 641/11 - zu ändern und festzustellen, dass Ziff. 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.
24 
Die Beklagte beantragt,
25 
die Berufung zurückzuweisen.
26 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Ziffer 7 der Verfügung verbiete nicht das Tragen von zur Vermummung potentiell geeigneten Kleidungsstücken an sich, sondern nur in Verbindung mit der Absicht die Identitätsfeststellung zu verhindern. Diese Absicht sei nur festzustellen durch eine bereits stattgefundene Vermummung. Die Verfügung wiederhole und konkretisiere nur das gesetzliche Vermummungsverbot und bedürfe daher keiner Gefahrenprognose nach § 15 Abs. 1 VersammlG.
27 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Für die örtliche Zuständigkeit gilt folgendes:

1.
In Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, ist nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.
2.
Bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat, vorbehaltlich der Nummern 1 und 4. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen des Satzes 1. In Streitigkeiten nach dem Asylgesetz ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach Nummer 3. Soweit ein Land, in dem der Ausländer seinen Aufenthalt zu nehmen hat, von der Möglichkeit nach § 83 Absatz 3 des Asylgesetzes Gebrauch gemacht hat, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, das nach dem Landesrecht für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz betreffend den Herkunftsstaat des Ausländers zuständig ist. Für Klagen gegen den Bund auf Gebieten, die in die Zuständigkeit der diplomatischen und konsularischen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland fallen, auf dem Gebiet der Visumangelegenheiten auch, wenn diese in die Zuständigkeit des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten fallen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesregierung ihren Sitz hat.
3.
Bei allen anderen Anfechtungsklagen vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Ist er von einer Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, oder von einer gemeinsamen Behörde mehrerer oder aller Länder erlassen, so ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Fehlt ein solcher innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach Nummer 5. Bei Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte einer von den Ländern mit der Vergabe von Studienplätzen beauftragten Behörde ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde ihren Sitz hat. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen der Sätze 1, 2 und 4.
4.
Für alle Klagen aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat der Kläger oder Beklagte keinen dienstlichen Wohnsitz oder keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, so ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk diese Behörde ihren Sitz hat. Die Sätze 1 und 2 gelten für Klagen nach § 79 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen entsprechend.
5.
In allen anderen Fällen ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hat oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte.

Tenor

Das Verwaltungsgericht Freiburg erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Stuttgart verwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht gemäß den §§ 83 VwGO, 17a Abs. 2 GVG nach Anhörung der Beteiligten.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen Maßnahmen von Beamten der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein. Nach § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO ist bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat, vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 (von § 52 VwGO). Die Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein ist eine unselbständige Untergliederung der Bundespolizeidirektion Stuttgart und damit nicht Behörde im zuvor genannten Sinn. Nach dem Gesetz über die Bundespolizei vom 19.10.1994 (BGBl I 1994, 2978) und der Verordnung über die Zuständigkeiten der Bundespolizeibehörden in der Fassung vom 01.03.2008 (BGBl I 2008, 250) kommen nur den Bundespolizeidirektionen, nicht aber den Bundespolizeiinspektionen, eigene Zuständigkeiten zu (ebenso VG Münster, Beschluss vom 14.04.2008 - 1 K 201/08 -, juris; vgl. auch VG Köln, Urteil vom 26.03.2009 - 20 K 2662/08 -, juris, in dem - unausgesprochen - eine Zuständigkeit für außerhalb des Gerichtsbezirks des VG Köln durchgeführte Maßnahmen der für NRW zuständigen Bundespolizeidirektion angenommen wurde). Die nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Nr. 1 der oben genannten Verordnung für das Land Baden-Württemberg zuständige Bundespolizeidirektion Stuttgart mit Sitz in Böblingen ist danach die Bundesbehörde, nach der sich die Zuständigkeit im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO richtet.
Die Kammer hält die Vorschrift des § 52 Nr. 2 VwGO auch im vorliegenden Fall einer Fortsetzungsfeststellungklage wegen deren Ableitung von der Anfechtungsklage für entsprechend anwendbar (wie hier VG Frankfurt, Beschluss vom 27.03.2013 - 6 K 1186/12 -, juris, m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 52 RdNr. 8, m.w.N, und § 113 RdNr. 97).
Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich die Zuständigkeit des Gerichts hier nicht aus § 52 Nr. 3 (Satz 2) VwGO, da diese Vorschrift nur für Klagen gilt, die, wie bereits der Wortlaut von § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO zeigt, nicht unter § 52 Nrn. 1, 2 und 4 VwGO fallen (vgl. u. a. Kopp/Schenke, a.a.O, § 52 RdNr. 12).
Danach ist hier das Verwaltungsgericht Stuttgart, in dessen Bezirk die Bundespolizeidirektion Stuttgart ihren Sitz hat, örtlich zuständig.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).

(1) Bundespolizeibehörden sind das Bundespolizeipräsidium, die Bundespolizeidirektionen und die Bundespolizeiakademie.

(2) Dem Bundespolizeipräsidium als Oberbehörde unterstehen die Bundespolizeidirektionen als Unterbehörden und die Bundespolizeiakademie. Das Bundespolizeipräsidium untersteht dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat unmittelbar.

(3) (weggefallen)

(4) Die Bundespolizeiakademie ist die zentrale Aus- und Fortbildungsstätte der Bundespolizei.

(5) Zahl und Sitz der Bundespolizeibehörden bestimmt das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, den Sitz nach Anhörung des beteiligten Landes.

(6) Die zahlenmäßige Stärke der Bundespolizei ergibt sich aus dem Haushaltsplan.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es

1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt,
2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient,
3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient,
4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind,
5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient,
6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb,
b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt,
c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und
d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität,
8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient
a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder
b)
auf einer Fläche längs von
aa)
Autobahnen oder
bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
und in einer Entfernung zu diesen von bis zu 200 Metern, gemessen vom äußeren Rand der Fahrbahn, oder
9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2,
b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und
c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.

(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.

(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben

1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht,
2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht,
3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird,
4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert,
5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet,
6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet,
7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder
8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
Raumbedeutsame Vorhaben dürfen den Zielen der Raumordnung nicht widersprechen; öffentliche Belange stehen raumbedeutsamen Vorhaben nach Absatz 1 nicht entgegen, soweit die Belange bei der Darstellung dieser Vorhaben als Ziele der Raumordnung abgewogen worden sind. Öffentliche Belange stehen einem Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.

(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:

1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz,
b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt,
c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück,
d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden,
e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs,
f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und
g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden,
b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf,
c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und
d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle,
4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient,
5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen:
a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden,
b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und
c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
In begründeten Einzelfällen gilt die Rechtsfolge des Satzes 1 auch für die Neuerrichtung eines Gebäudes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1, dem eine andere Nutzung zugewiesen werden soll, wenn das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, keine stärkere Belastung des Außenbereichs zu erwarten ist als in Fällen des Satzes 1 und die Neuerrichtung auch mit nachbarlichen Interessen vereinbar ist; Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis g gilt entsprechend. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 sowie des Satzes 2 sind geringfügige Erweiterungen des neuen Gebäudes gegenüber dem beseitigten oder zerstörten Gebäude sowie geringfügige Abweichungen vom bisherigen Standort des Gebäudes zulässig.

(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.

(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
Bei Aufstellung der Satzung sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. § 10 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden. Von der Satzung bleibt die Anwendung des Absatzes 4 unberührt.

(1) Es bleiben monatlich anrechnungsfrei

1.
vom Einkommen der miteinander verheirateten oder in einer Lebenspartnerschaft verbundenen Eltern, wenn sie nicht dauernd getrennt leben, 2 415 Euro,
2.
vom Einkommen jedes Elternteils in sonstigen Fällen sowie vom Einkommen des Ehegatten oder Lebenspartners des Auszubildenden je 1 605 Euro.

(2) (weggefallen)

(3) Die Freibeträge des Absatzes 1 erhöhen sich

1.
für den nicht in Eltern-Kind-Beziehung zum Auszubildenden stehenden Ehegatten oder Lebenspartner des Einkommensbeziehers um 805 Euro,
2.
für Kinder des Einkommensbeziehers sowie für weitere dem Einkommensbezieher gegenüber nach dem bürgerlichen Recht Unterhaltsberechtigte um je 730 Euro,
wenn sie nicht in einer Ausbildung stehen, die nach diesem Gesetz oder nach § 56 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gefördert werden kann. Die Freibeträge nach Satz 1 mindern sich um das Einkommen des Ehegatten oder Lebenspartners, des Kindes oder des sonstigen Unterhaltsberechtigten.

(4) Das die Freibeträge nach den Absätzen 1, 3 und 6 übersteigende Einkommen der Eltern und des Ehegatten oder Lebenspartners bleibt anrechnungsfrei

1.
zu 50 vom Hundert und
2.
zu 5 vom Hundert für jedes Kind, für das ein Freibetrag nach Absatz 3 gewährt wird.

(5) Als Kinder des Einkommensbeziehers gelten außer seinen eigenen Kindern

1.
Pflegekinder (Personen, mit denen er durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht),
2.
in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten oder Lebenspartners,
3.
in seinen Haushalt aufgenommene Enkel.

(6) Zur Vermeidung unbilliger Härten kann auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen ist, abweichend von den vorstehenden Vorschriften ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Hierunter fallen insbesondere außergewöhnliche Belastungen nach den §§ 33 bis 33b des Einkommensteuergesetzes sowie Aufwendungen für behinderte Personen, denen der Einkommensbezieher nach dem bürgerlichen Recht unterhaltspflichtig ist.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist,
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat,
3.
wenn die Finanzbehörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
§ 130 Abs. 3 gilt entsprechend.

(3) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Finanzbehörde keinen späteren Zeitpunkt bestimmt.

(4) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer als Grenzschutzdienstpflichtiger vorsätzlich oder fahrlässig

1.
bei der Entlassung oder später zum Gebrauch im Grenzschutzdienst bestimmte Bekleidungs- oder Ausrüstungsstücke nicht übernimmt (§ 51),
2.
sich nicht auf die geistige oder körperliche Tauglichkeit untersuchen läßt (§ 53 Abs. 2 Satz 2) oder
3.
eine Aufforderung zur Vorstellung nicht befolgt (§ 51).

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist das Kreiswehrersatzamt.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Der Bundespolizei obliegt der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes (Grenzschutz), soweit nicht ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt.

(2) Der Grenzschutz umfaßt

1.
die polizeiliche Überwachung der Grenzen,
2.
die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs einschließlich
a)
der Überprüfung der Grenzübertrittspapiere und der Berechtigung zum Grenzübertritt,
b)
der Grenzfahndung,
c)
der Abwehr von Gefahren,
3.
im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern und von der seewärtigen Begrenzung an bis zu einer Tiefe von 50 Kilometern die Abwehr von Gefahren, die die Sicherheit der Grenze beeinträchtigen.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, zur Sicherung des Grenzraumes das in Satz 1 Nr. 3 bezeichnete Gebiet von der seewärtigen Begrenzung an durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auszudehnen, soweit die Grenzüberwachung im deutschen Küstengebiet dies erfordert. In der Rechtsverordnung ist der Verlauf der rückwärtigen Begrenzungslinie des erweiterten Grenzgebietes genau zu bezeichnen. Von der seewärtigen Begrenzung an darf diese Linie eine Tiefe von 80 Kilometern nicht überschreiten.

(3) Das Einvernehmen nach Absatz 1 ist in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dem beteiligten Land herzustellen, die im Bundesanzeiger bekanntzugeben ist. In der Vereinbarung ist die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und der Polizei des Landes zu regeln.

(4) Nimmt die Polizei eines Landes Aufgaben nach Absatz 1 im Einvernehmen mit dem Bund mit eigenen Kräften wahr, richtet sich die Durchführung der Aufgaben nach dem für die Polizei des Landes geltenden Recht.

(1) Die Bundespolizei hat die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die

1.
den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder
2.
beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen.

(2) Die durch die Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 begünstigten Verkehrsunternehmen sind verpflichtet, der Bundespolizei für die erlangten Vorteile einen angemessenen Ausgleich zu leisten. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur für den zu leistenden Ausgleich einen Prozentsatz festzusetzen, der 50 Prozent des Gesamtaufwandes der Bundespolizei für die Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 nicht überschreiten darf. Dabei sind insbesondere die erlangten Vorteile und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verkehrsunternehmens zu berücksichtigen. Sind mehrere Verkehrsunternehmen begünstigt, ist für jedes Unternehmen nach Maßgabe des Satzes 3 gesondert ein Prozentsatz festzusetzen, die Summe dieser Prozentsätze darf 50 Prozent des Gesamtaufwandes nicht überschreiten. Die Ausgleichsbeträge werden durch die in der Rechtsverordnung nach § 58 Abs. 1 bestimmte Bundespolizeibehörde erhoben.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Der Bundespolizei obliegt der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes (Grenzschutz), soweit nicht ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt.

(2) Der Grenzschutz umfaßt

1.
die polizeiliche Überwachung der Grenzen,
2.
die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs einschließlich
a)
der Überprüfung der Grenzübertrittspapiere und der Berechtigung zum Grenzübertritt,
b)
der Grenzfahndung,
c)
der Abwehr von Gefahren,
3.
im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern und von der seewärtigen Begrenzung an bis zu einer Tiefe von 50 Kilometern die Abwehr von Gefahren, die die Sicherheit der Grenze beeinträchtigen.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, zur Sicherung des Grenzraumes das in Satz 1 Nr. 3 bezeichnete Gebiet von der seewärtigen Begrenzung an durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auszudehnen, soweit die Grenzüberwachung im deutschen Küstengebiet dies erfordert. In der Rechtsverordnung ist der Verlauf der rückwärtigen Begrenzungslinie des erweiterten Grenzgebietes genau zu bezeichnen. Von der seewärtigen Begrenzung an darf diese Linie eine Tiefe von 80 Kilometern nicht überschreiten.

(3) Das Einvernehmen nach Absatz 1 ist in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dem beteiligten Land herzustellen, die im Bundesanzeiger bekanntzugeben ist. In der Vereinbarung ist die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und der Polizei des Landes zu regeln.

(4) Nimmt die Polizei eines Landes Aufgaben nach Absatz 1 im Einvernehmen mit dem Bund mit eigenen Kräften wahr, richtet sich die Durchführung der Aufgaben nach dem für die Polizei des Landes geltenden Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

§ 50d Absatz 8 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz verstößt, weil er für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit eine von den Regelungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abweichende Besteuerung erlaubt.

A.

I.

2

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG unterliegen der Einkommensteuer (alle) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Entsprechend diesen Regelungen werden alle aus nichtselbständiger Arbeit erzielten Einkünfte natürlicher Personen, die in Deutschland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unabhängig vom Ort ihrer Erzielung nach deutschem Recht besteuert (sog. Welteinkommensprinzip).

3

Mit Abkommen vom 16. April 1985 haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867, im Folgenden abgekürzt als DBA-Türkei 1985) unter anderem Folgendes vereinbart:

Art. 15 DBA-Türkei 1985 (Unselbständige Arbeit)

(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19 und 20 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

(2) - (3) … .

Art. 23 DBA-Türkei 1985 (Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat)

(1) Bei in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Personen wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden:

a) Vorbehaltlich des Buchstabens b werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb der Republik Türkei sowie die in der Republik Türkei gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei besteuert werden können oder nur dort besteuert werden können; die Bundesrepublik Deutschland kann jedoch bei der Festsetzung des Steuersatzes für die nicht so ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte die Einkünfte und Vermögenswerte berücksichtigen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei berücksichtigt werden können. […]

b) - d) … .

4

Der Bundestag hat diesem Abkommen mit der Türkei mit Gesetz vom 27. November 1989 zugestimmt (BGBl II S. 866).

5

Nach den Regelungen in Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Türkei 1985 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen in der Türkei erzielen, in Abweichung vom Welteinkommensprinzip der § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 EStG von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen. Sie dürfen nicht für die Bemessung der Einkommensteuer nach deutschem Recht herangezogen werden. Lediglich bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte dürfen sie berücksichtigt werden.

6

§ 50d EStG in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) regelt nach seiner amtlichen Überschrift "Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen". Sein Absatz 8 lautet:

Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit zu ändern. § 175 Absatz 1 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.

7

§ 50d Abs. 8 EStG knüpft damit die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer an den Nachweis, dass der Vertragsstaat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die von ihm festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren folgendermaßen begründet (BRDrucks 630/03, S. 66):

"[§ 50d Abs. 8] Satz 1 macht die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gebotene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von dem Nachweis abhängig, dass der Tätigkeitsstaat auf die Besteuerung dieser Einkünfte verzichtet hat oder dass die in diesem Staat festgesetzte Steuer entrichtet wurde. Damit soll verhindert werden, dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, z.B. weil dann keine Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Steuerpflichtigen mehr bestehen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, die Steuerbefreiung aufgrund DBA von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. Vgl. hierzu die Ausführungen des BFH im Urteil vom 20. März 2002, I R 38/00, BStBl. II S. 819. Sind die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen worden, so ist nach Satz 2 der Steuerbescheid zu ändern, sobald der Steuerpflichtige den in Satz 1 geforderten Nachweis erbringt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats geschützt ist und die Gefahr einer sonst eintretenden Doppelbesteuerung vermieden wird. Nach Satz 3 ist § 175 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Nachweis nach Satz 1 geführt wird. Der Steuerpflichtige hat damit ausreichend Zeit, die dem Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen."

8

§ 50d Abs. 8 EStG war für den Veranlagungszeitraum 2004 erstmals anzuwenden.

9

Das DBA-Türkei 1985 wurde von der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt. Am 1. August 2012 ist das Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (BGBl II 2012 S. 527), dem der Bundestag mit Gesetz vom 24. Mai 2012 (BGBl II S. 526) zugestimmt hat, in Kraft getreten.

II.

10

1. Im Ausgangsverfahren wenden sich die Kläger, gemeinsam veranlagte Eheleute, gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004, in dem der Ehemann teils in Deutschland, teils in der Türkei Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Die Kläger beantragten, die in der Türkei erzielten Einkünfte entsprechend den Regelungen des DBA-Türkei 1985 steuerfrei zu belassen. Da sie jedoch nicht entsprechend § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nachgewiesen hatten, dass die in der Türkei erzielten Einkommensbestandteile dort versteuert worden waren oder die Türkei auf die Besteuerung verzichtet hatte, behandelte das Finanzamt den gesamten Bruttoarbeitslohn als steuerpflichtig. Die Klage zum Finanzgericht blieb erfolglos.

11

2. Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 hat der Bundesfinanzhof das daraufhin von den Klägern eingeleitete Revisionsverfahren ausgesetzt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

12

Zur Begründung der Vorlage trägt der Bundesfinanzhof vor, dass die Revision im Fall der Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG zurückzuweisen wäre. Nach seiner Auffassung verstößt die Vorschrift jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG. Mit Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens habe sich Deutschland seines Besteuerungsrechts für in der Türkei erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit begeben. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der das Besteuerungsrecht an Deutschland zurückfallen lasse, verstoße daher gegen bindendes Völkervertragsrecht und laufe der in Art. 25 GG enthaltenen Wertentscheidung des Grundgesetzes für den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliege. Die Kläger des Ausgangsverfahrens würden dadurch in ihrem Grundrecht auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung verletzt (a). Zudem widerspreche die Regelung dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG (b).

13

a) § 50d Abs. 8 EStG weiche von der im DBA-Türkei 1985 völkerrechtlich vereinbarten Verteilung des Besteuerungsrechts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ab, da sich beide Staaten hinsichtlich der Besteuerung von Arbeitseinkünften völkerrechtlich auf das Quellenprinzip und die Freistellungsmethode geeinigt hätten und diese Vereinbarung vorbehaltlos in nationales Recht überführt worden sei. Das Abkommen enthalte zudem weder eine Rückfallklausel (subject-to-tax-Klausel) noch einen Nachweisvorbehalt für die Besteuerung im anderen Vertragsstaat. In diesem Zusammenhang könne auch dahinstehen, ob bilaterale Abkommen - wie der Bundesfinanzhof in früheren Entscheidungen angenommen habe - unter einem allgemeinen Umgehungsvorbehalt stünden, der durch nationales Recht konkretisiert werden könne. Denn bei § 50d Abs. 8 EStG handele es sich jedenfalls nicht um einen der Ausfüllung eines solchen Umgehungsvorbehalts dienenden Tatbestand zur Abwehr von Abkommensmissbräuchen, also von Maßnahmen, die darauf abzielten, sich in gestaltungsmissbräuchlicher Weise in die Inanspruchnahme von Vorteilen eines bilateralen Abkommens einzukaufen.

14

Der vorlegende Senat wolle der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, die im unilateralen "Bruch" des völkervertraglich Vereinbarten - dem so genannten Treaty Overriding - keinen verfassungsrelevanten Vorgang sähen, im Einklang mit Teilen der Literatur sowie der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr folgen. Das Bundesverfassungsgericht habe im Görgülü- (BVerfGE 111, 307) und im Alteigentümer-Beschluss (BVerfGE 112, 1) sowie in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326) die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verpflichtung aller staatlichen Organe zur Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestätigt, die kraft Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ebenso wie Doppelbesteuerungsabkommen in den Rang eines Bundesgesetzes überführt worden sei. Es habe sich im Görgülü-Beschluss dahingehend geäußert, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorlägen, von denen das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit einer Abweichung abhängig mache. Darauf aufbauend ergebe sich aus dem Alteigentümer-Beschluss die Verpflichtung aller Staatsorgane, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen - durch das Rechtsstaatsgebot in Art. 20 Abs. 3 GG - in die Pflicht genommen werde, Völkervertragsrecht zu beachten. Die prinzipielle Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sei vorrangig und wirke für den Gesetzgeber als materiell-rechtliche Sperre, die ihm die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand in dem Maße nehme, das der völkerrechtliche Vertrag vorgebe. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht diese Frage in der Entscheidung zum Reichskonkordat (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>) noch anders beantwortet. Aus dem Alteigentümer-Beschluss ergebe sich jedoch, dass Abweichungen von völkervertraglichen Vereinbarungen einer besonderen Rechtfertigung bedürften, deren Voraussetzungen eng seien. Rechtfertigungsgrund sei die Beachtung der Menschenwürde und der Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht habe damit methodisch den Weg zu einer Prüfung der Erforderlichkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) gewiesen. Für den Ausgleich der hier widerstreitenden Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie komme es entscheidend darauf an, ob dem Gesetzgeber gegenüber dem Vertragsbruch ein milderes Mittel zur Verfügung stehe.

15

Im vorliegenden Fall sei eine Rechtfertigung für den Verstoß gegen das Völkerrecht nicht zu erkennen. Zwar orientiere sich § 50d Abs. 8 EStG am Leistungsfähigkeitsprinzip, verhindere eine sogenannte Keinmalbesteuerung und stelle eine gleichheitsgerechte Besteuerung (wieder) her, indem es dem Steuerpflichtigen den Vorteil, dass seine im Ausland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dort unbesteuert blieben, wieder nehme und ihn im Ergebnis mit anderen Steuerpflichtigen gleichbehandele, die entsprechende Einkünfte im Inland erzielten. Dem Gesetzgeber sei es jedoch nicht in erster Linie um die Verhinderung einer sogenannten Keinmalbesteuerung gegangen, sondern - ausweislich der Gesetzesbegründung - um die Förderung der Steuerehrlichkeit. Da die so erhobenen Steuern aber nicht an den anderen Staat weitergeleitet würden, sei § 50d Abs. 8 EStG wohl von fiskalischen Überlegungen geleitet. Diese seien ebenso wenig wie mangelnde Steuerehrlichkeit ein rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Freistellungsmethode. Unabhängig davon sei die Möglichkeit der Keinmalbesteuerung für die Freistellungsmethode kennzeichnend, so dass es systemfremd wäre, daraus einen Rechtfertigungsgrund für den einseitig angeordneten Besteuerungsrückfall abzuleiten. Eine Rechtfertigung der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) ergebe sich auch nicht daraus, dass Deutschland gezwungen gewesen sei, mittels § 50d Abs. 8 EStG schnell auf einen besonderen Missstand oder einen besonders kurzfristig zutage tretenden Steuerausfall bei im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu reagieren. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte mit der Kündigung des Abkommens - wie mit Wirkung zum 1. Januar 2011 geschehen - ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden.

16

b) § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil er den Steuerpflichtigen mit im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, der den Nachweis gemäß § 50d Abs. 8 EStG erbringe, anders behandle als den Steuerpflichtigen, dem dieser Nachweis nicht gelinge. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liege auch darin, dass das Nachweiserfordernis allein Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit treffe, nicht dagegen solche mit anderen Einkünften.

17

3. Zu dem Vorlagebeschluss haben namens der Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen sowie alle Senate des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen.

18

Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unbegründet. Die nachträgliche Abweichung von einer durch Vertragsgesetz innerstaatlich in Geltung gesetzten völkerrechtlichen Vereinbarung sei nicht verfassungswidrig. Nach dem sich klar im Wortlaut des Grundgesetzes widerspiegelnden Modell sei zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) und völkervertragsrechtlichen Bindungen (Art. 59 Abs. 2 GG) zu unterscheiden. Daraus ergebe sich für Völkervertragsrecht eindeutig der Rang einfachen Rechts, weshalb der demokratisch legitimierte Gesetzgeber durch leges posteriores wirksam von völkervertraglichen Vorgaben abweichen könne. Die abstrakte Berufung auf den Gedanken der Völkerrechtsfreundlichkeit sei nicht geeignet, Rechtsfolgen zu begründen, die Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG widersprächen. Unabhängig davon verstoße § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auch in den Fällen, in denen ein Doppelbesteuerungsabkommen keinesubject-to-tax-Klausel enthalte, schon deshalb nicht gegen Völkervertragsrecht, weil er lediglich einen allgemeinen, ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt, unter dem alle Doppelbesteuerungsabkommen stünden, konkretisiere. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der geforderte Nachweis diene der Missbrauchsverhinderung und sei insofern sachlich geboten. Die Beschränkung auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sei dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber gerade hier besonderen Handlungsbedarf erkannt habe, weil nichtselbständige Tätigkeiten, beispielsweise von Piloten, Berufskraftfahrern oder Seeleuten, für die Steuerbehörden erheblich schwerer zu erfassen seien als selbständige oder unternehmerische Tätigkeiten.

19

Die Senate des Bundesverwaltungsgerichts teilen überwiegend die Ansicht, dass das Grundgesetz keine Vorrangregelung für völkerrechtliche Verträge enthalte, diese innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hätten und der Gesetzgeber daher von ihnen abweichen dürfe. Weder die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes noch das Rechtsstaatsgebot nivellierten die differenzierten Regelungen über die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtlicher Bestimmungen gemäß Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG.

III.

20

Der Senat hat dem Bundesfinanzhof Gelegenheit gegeben, den Vorlagebeschluss zu ergänzen. Dem ist der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 10. Juni 2015 nachgekommen.

B.

21

Die Vorlage ist zulässig.

I.

22

Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Die Begründung, die das Bundesverfassungsgericht entlasten soll (vgl. BVerfGE 37, 328 <333 f.>; 65, 265 <277>), muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 79, 240 <243>; 105, 61 <67>; 121, 108 <117>; 133, 1 <11>; 135, 1 <10 f., Rn. 28>; 136, 127 <142, Rn. 44>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Das vorlegende Gericht muss dabei den Sachverhalt darstellen (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>), sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verpflichtet das vorlegende Gericht jedoch nicht, auf jede denkbare Rechtsauffassung einzugehen. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f., 193>; 88, 187 <194>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11, Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).

23

Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage, insbesondere der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).

II.

24

Die Vorlage genügt diesen Anforderungen.

25

Der Bundesfinanzhof legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG und die dafür maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar dar und setzt sich jedenfalls im Hinblick auf die aus der angenommenen Völkerrechtswidrigkeit abgeleitete Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG hinreichend mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinander (1.). Ob auch die Ausführungen zur Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann deshalb dahinstehen (2.).

26

1.a) Aus der Begründung der Vorlage ergibt sich, dass der Bundesfinanzhof von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG unter anderem wegen seines Widerspruchs zu den Regelungen des DBA-Türkei 1985 überzeugt ist. In diesem Zusammenhang geht er - wie geboten (vgl. BVerfGE 136, 127 <145 ff., Rn. 53 ff.>) - auch auf die beiden in seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung vertretenen Ansätze zur Verfassungsmäßigkeit von abkommensüberschreibenden Gesetzen ein. Er erläutert ausführlich, aus welchen Gründen nach seiner jetzigen Überzeugung die von ihm bislang angenommene Befugnis des nationalen Gesetzgebers, ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag durch ein hiervon abweichendes Gesetz ändern oder aufheben zu können (vgl. BFHE 175, 351 <352>; 178, 59 <61 f.>; 198, 514 <521>; BFH, Beschluss vom 28. November 2001 - I B 169/00 -, juris, Rn. 10 f.), nicht besteht. Auch setzt er sich damit auseinander, dass er in früheren Entscheidungen einen ungeschriebenen allgemeinen Umgehungsvorbehalt in Doppelbesteuerungsabkommen anerkannt hat, so dass sich bei einer einen derartigen Vorbehalt konkretisierenden Regelung die Frage ihrer Völkerrechts- und damit auch ihrer dadurch bedingten Verfassungswidrigkeit nicht stellt (vgl. BFHE 198, 514 <518>; 210, 117 <121 f.>; 220, 244 <246>; 220, 392 <395>). Er bringt dabei nachvollziehbar zum Ausdruck, dass und weshalb die Wertungen dieser (bisherigen) Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Umgehungsvorbehalten § 50d Abs. 8 EStG nicht beträfen und auch nicht auf diese Regelung übertragen werden könnten. Zudem legt er schlüssig dar, weshalb die vorgelegte Norm nach seiner Auffassung als Abkommensüberschreibung (Treaty Override) anzusehen ist.

27

b) Auch die Erläuterung der für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG maßgeblichen Erwägungen genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Der Bundesfinanzhof benennt insoweit den seiner Ansicht nach maßgeblichen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab - Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG - und legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG jedenfalls unter dem Aspekt der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG nachvollziehbar dar.

28

aa) Unter dem Blickwinkel der Völkerrechtswidrigkeit bezieht sich der Bundesfinanzhof zur Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auf jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 111, 307; 112, 1; 128, 326) zum Verhältnis von Völker- und Verfassungsrecht. Unter Einbeziehung vor allem steuerrechtlicher Fachliteratur erläutert er, dass und in welchem Umfang der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und das Rechtsstaatsprinzip die Befugnisse des Gesetzgebers seiner Auffassung nach beschränken.

29

Die Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird in Auseinandersetzung mit dessen Rechtsprechung begründet (vgl. BVerfGE 80, 182 <186>; BVerfGK 4, 184 <196>). Auch soweit der Bundesfinanzhof den in Bezug genommenen jüngeren Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnimmt, dass völkerrechtswidrige Gesetze regelmäßig nichtig sind, genügt die Vorlage - entgegen insoweit geäußerten Zweifeln (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <230>; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 ff.>) - den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt vom vorlegenden Gericht lediglich die Darlegung, aus welchen Erwägungen es eine Norm für verfassungswidrig "hält", und stellt insofern ausschließlich auf dessen Rechtsansicht ab; ob diese zutrifft oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht in der Sachprüfung oder - bei offensichtlich unzutreffender Rechtsauffassung - im vereinfachten Verfahren nach § 24 BVerfGG (vgl. Müller-Terpitz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn. 244 ). Die vom Bundesfinanzhof unter Bezugnahme auf die jüngere Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene Auffassung, dass abkommensüberschreibende Gesetze regelmäßig verfassungswidrig sind, ist jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend. Sie entspricht einer in der Literatur vertretenen (vgl. Gosch, IStR 2008, S. 413 <418 ff.>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 137 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 ff.; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, JZ 1997, S. 161 ff.; ders., in: Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 193 ff., 205; Weigell, IStR 2009, S. 636 <637 ff.>) Ansicht.

30

bb) Dass sich der Bundesfinanzhof bei der Darlegung der Verfassungswidrigkeit von Abkommensüberschreibungen nicht mit einer Kammerentscheidung vom 22. Dezember 2006 (BVerfGK 10, 116) auseinandergesetzt hat, in der die 1. Kammer des Zweiten Senats unter Bezugnahme auf eine Passage des Alteigentümer-Beschlusses (BVerfGE 112, 1 <25>) ausgeführt hat, dass eine verfassungsunmittelbare Pflicht der staatlichen Organe zur Berücksichtigung des Völkerrechts nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen sei, sondern nur, soweit dies dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG sowie in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes entspreche (vgl. BVerfGK 10, 116 <124>), steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt zwar eine Darstellung der aus Sicht des vorlegenden Gerichts für die Verfassungswidrigkeit der Norm sprechenden Erwägungen und in diesem Zusammenhang auch eine Auseinandersetzung mit der die Vorlagefrage betreffenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Gebot, auch sämtliche Kammerentscheidungen auszuwerten, ist damit jedoch nicht verbunden. In der Sache hat die 1. Kammer zudem lediglich die Alteigentümer-Entscheidung wiedergegeben, die der Bundesfinanzhof in seine Argumentation einbezogen hat.

31

2. Da die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit Blick auf den Gesichtspunkt der möglichen Völkerrechtswidrigkeit den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof auch die von ihm angenommene Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ausreichend begründet hat. Ist eine Richtervorlage zumindest unter einem Gesichtspunkt zulässig, hat das Bundesverfassungsgericht die vorgelegte Norm unter allen in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. BVerfGE 26, 44 <58>; 90, 145 <168>; 120, 125 <144>; 126, 77 <98>; 133, 1 <12, Rn. 41>), unabhängig davon, ob sie im Vorlagebeschluss angesprochen worden sind oder nicht (vgl. BVerfGE 90, 145 <168>).

C.

32

Die Vorlage ist unbegründet. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Er ist weder aufgrund seines (möglichen) Widerspruchs zu völkerrechtlichen Verträgen (I.) noch wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG (II.) verfassungswidrig.

I.

33

1. In der Ordnung des Grundgesetzes haben völkerrechtliche Verträge in der Regel den Rang einfacher Bundesgesetze. Sie können daher durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (a-c). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (d) noch aus dem Rechtsstaatsprinzip (e).

34

a) Rang und Einordnung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der deutschen Rechtsordnung werden durch das Grundgesetz bestimmt, das das Verhältnis von internationalem und nationalem Recht an verschiedenen Stellen regelt. So bekennt es sich in Art. 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Diese unveräußerlichen Rechte liegen ihm voraus und sind selbst der Disposition des Verfassungsgebers entzogen (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27>; 128, 326 <369>). In Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Abs. 1a GG ermöglicht das Grundgesetz dem Gesetzgeber, Hoheitsrechte auf die Europäische Union, andere zwischenstaatliche und grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen und dem von diesen Organisationen gesetzten Recht einen Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht einzuräumen (vgl. BVerfGE 37, 271 <280>; 73, 339 <374 f.>), in Art. 24 Abs. 2 GG, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen und in eine entsprechende Beschränkung der Hoheitsrechte einzuwilligen (vgl. BVerfGE 90, 286 <345 ff.>). In Art. 25 GG bestimmt es, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen (vgl. BVerfGE 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>). Gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließlich bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes.

35

Aus der Existenz dieser Öffnungsklauseln ergibt sich, dass das Grundgesetz nicht nur über die Wirksamkeit, sondern auch über den Rang von internationalem Recht innerhalb der nationalen Rechtsordnung entscheidet. In ihrem Geltungsbereich bestimmt die Verfassung insofern auch über Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht sowie über die Auflösung von Kollisionen. Sie kann dabei grundsätzlich auch dem staatlichen Recht Vorrang einräumen.

36

Hängen Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht innerhalb der deutschen Rechtsordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes ab, so können sie durch die Verfassung auch begrenzt werden, mit der Folge, dass es zu einem Auseinanderfallen von innerstaatlich wirksamem Recht und völkerrechtlichen Verpflichtungen kommen kann.

37

b) Während die allgemeinen Regeln des Völkerrechts kraft unmittelbar in der Verfassung erteilten Vollzugsbefehls innerstaatlich wirksam sind und im Rang über dem Gesetz stehen (Art. 25 GG) (aa), bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eines Zustimmungsgesetzes und haben grundsätzlich nur den Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes (bb).

38

aa) Art. 25 Satz 1 GG verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben gemäß Art. 25 Satz 2 GG innerhalb der nationalen Rechtsordnung einen Rang über den (einfachen) Gesetzen, aber unterhalb der Verfassung (2). Völkerrechtliche Verträge nehmen in der Regel nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG bestimmten Vorrang vor den (einfachen) Gesetzen teil (3).

39

(1) Art. 25 Satz 1 GG bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Er verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar, das heißt, ohne dass ein sonstiger (einfachrechtlicher) Rechtsakt hinzukommen müsste, Wirksamkeit innerhalb der deutschen Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>).

40

(2) Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vor. Er räumt diesen Regeln damit Vorrang vor den Gesetzen ein. Ein Gesetz, das mit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts kollidiert, verstößt daher gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>).

41

Gleichzeitig ist Art. 25 GG jedoch dahingehend zu verstehen, dass er - dem Wortlaut von Satz 2 entsprechend - den allgemeinen Regeln des Völkerrechts einen Rang oberhalb der (einfachen) Gesetze, aber unterhalb der Verfassung einräumt (Zwischenrang) (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 37, 271 <279>; 111, 307 <318>; 112, 1 <24, 26>; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 42 ; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 11; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 25 Rn. 55). Dies korrespondiert mit Art. 100 Abs. 2 GG, der dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung zuweist, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, nicht jedoch die Prüfung, ob das Grundgesetz mit dem (vorrangigen) Völkerrecht vereinbar ist.

42

(3) Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (vgl. BVerfGE 15, 25 <32 f., 34 f.>; 23, 288 <317>; 31, 145 <177>; 94, 315 <328>; 95, 96 <129>; 96, 68 <86>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134>), das heißt diejenigen Normen des Völkerrechts, die unabhängig von vertraglicher Zustimmung für alle oder doch die meisten Staaten gelten (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 1 ; vgl. auch BVerfGE 15, 25 <34>; 16, 27 <33>; 118, 124 <164 ff.>). Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nehmen daher grundsätzlich nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG vorgesehenen Vorrang teil (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 31, 145 <178>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134 f.>). Anders als andere Rechtsordnungen - etwa die französische (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl. 1989, S. 113 f.; Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 51; Oellers-Frahm, in: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, S. 865 <868 f.>) oder die luxemburgische (vgl. Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 204) - sieht das Grundgesetz einen generellen Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor dem einfachen Gesetzesrecht nicht vor.

43

bb) Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erlangen völkerrechtliche Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, erst durch das dort vorgesehene Zustimmungsgesetz innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben den Rang einfacher Bundesgesetze (2). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz pacta sunt servanda (3) noch - auch nicht für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - aus § 2 Abs. 1 AO (4).

44

(1) Der Zustimmungsvorbehalt gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hat unterschiedliche Funktionen. Er dient - neben der Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse im Bereich des auswärtigen Handelns (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) - der Ermöglichung einer rechtzeitigen und damit effektiven Kontrolle der Exekutive durch die Legislative vor Eintritt der völkerrechtlichen Verbindlichkeit eines Vertrags (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 118, 244 <258>; 131, 152 <195 f.>). Zudem sichert er den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, da aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hervorgeht, dass die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltenen Regelungen nur unter der Voraussetzung Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen, abändern oder aufheben können, dass ihnen der Gesetzgeber zugestimmt hat (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 65 ff.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 26). Im Interesse der Funktionsfähigkeit völkerrechtlicher Beziehungen soll der Zustimmungsvorbehalt darüber hinaus verhindern, dass (wichtige) Verträge mit auswärtigen Staaten geschlossen werden, die später - mangels notwendiger Billigung durch den Gesetzgeber - nicht erfüllt werden können (Zweck der Vollzugssicherung) (vgl. BVerfGE 1, 372 <389 f.>; 118, 244 <258>). Damit dient der Zustimmungsvorbehalt zugleich der Wahrung der Entscheidungsfreiheit der Legislative, denn er verhindert, dass das Parlament durch völkerrechtliche Verpflichtungen, die innerstaatlich ein gesetzgeberisches Tätigwerden verlangen, präjudiziert wird (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21).

45

(2) Aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgt zudem, dass völkerrechtlichen Verträgen, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel - insbesondere Art. 23 bis Art. 25 GG - fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt und sie insofern keinen Übergesetzes- oder gar Verfassungsrang besitzen (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>).

46

Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt nicht nur die Methodik, durch die völkervertragliche Regelungen in der nationalen Rechtsordnung wirksam werden, sondern auch den Rang, der dem für anwendbar erklärten Völkervertragsrecht innerhalb der nationalen Rechtsordnung zukommt. Das (einfache) Gesetz kann - ohne eine dahingehende grundgesetzliche Ermächtigung - dem völkervertraglich Vereinbarten keinen höheren Rang verleihen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht stets betont, dass der Rechtsanwendungsbefehl im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einem völkerrechtlichen Vertrag innerhalb der Normenhierarchie keinen Rang über den Gesetzen einräumt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367>).

47

(3) Aus dem Grundsatz pacta sunt servanda, der seinerseits eine allgemeine Regel des Völkerrechts ist (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 92), ergibt sich nichts anderes. Der Grundsatz beschreibt zwar eine besondere (völkerrechtliche) Pflichtenstellung des Staates gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner, sagt jedoch nichts über die innerstaatliche Geltung und den Rang völkerrechtlicher Verträge (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ). Er bewirkt insbesondere nicht, dass alle Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG werden (vgl. BVerfGE 31, 145 <178>; vgl. auch BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 1983 - 2 BvR 1193/83 -, NVwZ 1984, S. 165 <165>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, VIZ 2001, S. 114 <114>).

48

(4) An diesem Ergebnis vermag § 2 Abs. 1 AO - auch für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - nichts zu ändern (vgl. Lehner, IStR 2012, S. 389 <400>). Nach dieser Vorschrift gehen zwar Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG über die Besteuerung, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vor. Da es sich bei § 2 AO um eine einfachgesetzliche Regelung handelt, kann er den von ihm geregelten völkerrechtlichen Verträgen keinen höheren Rang in der Normenhierarchie vermitteln (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2226>). Allenfalls könnte er die Subsidiarität der nationalen Steuergesetze gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen und anderen völkerrechtlichen Verträgen im Steuerrecht anordnen.

49

c) Haben völkerrechtliche Verträge den Rang (einfacher) Bundesgesetze, können sie entsprechend dem lex-posterior-Grundsatz durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (aa). Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließt dies nicht aus (bb). Auch aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass eine solche Verdrängung an besondere Voraussetzungen gebunden wäre (cc). Das Völkerrecht steht der innerstaatlichen Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht entgegen (dd).

50

aa) Für ranggleiches innerstaatliches Recht gilt im Fall der Kollision der Grundsatz lex posterior derogat legi priori, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere oder die Geltung des lex-posterior-Grundsatzes wird abbedungen. Sind die Regelungen eines völkerrechtlichen Vertrags in der innerstaatlichen Rechtsordnung wirksam und kommt ihnen dabei der Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes zu, so können auch sie durch ein späteres, gegenläufiges Bundesgesetz im Umfang des Widerspruchs außer Kraft gesetzt werden (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 118 f.; a.A. Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>).

51

bb) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schränkt die Geltung deslex-posterior-Grundsatzes für völkerrechtliche Verträge nicht ein. Da der Gesetzgeber einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig nur insgesamt zustimmen oder nicht zustimmen kann (vgl. BVerfGE 90, 286 <358>), wird zwar mitunter angenommen, dass Zustimmungsgesetz und völkerrechtlicher Vertrag derart untrennbar miteinander verbunden seien, dass das Zustimmungsgesetz - abgesehen von seiner Aufhebung im Ganzen - durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gegen inhaltliche Abänderungen geschützt sei (vgl. Wohlschlegel, FR 1993, S. 48 <49>) oder sich der Gesetzgeber von einem völkerrechtlichen Vertrag nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht lösen könne (vgl. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, HStR XI, 3. Aufl. 2013, § 236 Rn. 33).

52

Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen.

53

Sie widerspricht insbesondere dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität. Demokratie ist Herrschaft auf Zeit (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20 Rn. 79). Dies impliziert, dass spätere Gesetzgeber - entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes - innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 174; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren, weil dadurch politische Auffassungen auf Dauer festgeschrieben würden (vgl. Hofmann, DVBl. 2013, S. 215 <219>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 184 ; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll einem innerstaatlich anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag zudem ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau vermitteln (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 21), nicht dieses absenken. Es soll die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 37; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 65; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21). Dem widerspräche es, aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen (vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S. 261).

54

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Unterschied zu Exekutive und Judikative gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht jedoch an einfachrechtliche Regelungen gebunden ist. Diese soll er - innerhalb der verfassungsrechtlichen Bindungen - durchaus ändern und neu gestalten können. Für ihn sollen daher gerade keine einfachgesetzlichen Bindungen bestehen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 173). Würde der Gesetzgeber seine Normsetzungsbefugnis in dem Umfang verlieren, in dem er in der Form eines Bundesgesetzes völkerrechtliche Vereinbarungen gebilligt hat, führte dies im Ergebnis zu einer Art. 20 Abs. 3 GG widersprechenden Bindung (vgl. Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>).

55

Auch ist der Gesetzgeber nicht für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Bestünde tatsächlich eine entsprechende Selbstbindung nach der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, würde er dauerhaft auf seine Gesetzgebungsbefugnis verzichten (vgl. BVerfGE 68, 1 <83, 85 f.>). Wenn aber das Demokratieprinzip eine dauerhafte Bindung des Gesetzgebers an Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber verbietet und ihm gleichzeitig die Befugnis fehlt, völkerrechtliche Verträge, mit deren Inhalt er nicht mehr einverstanden ist, zu beenden, muss er zumindest in der Lage sein, innerhalb seines Kompetenzbereichs vom völkerrechtlich Vereinbarten abweichende Gesetze zu erlassen.

56

Schließlich hat das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag für die Beteiligten am Rechtsverkehr ebenso wenig wie ein sonstiges innerstaatliches Gesetz eine Garantiefunktion dahingehend, dass kein abweichendes Gesetz erlassen wird (vgl. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 212 ff.; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <289>).

57

cc) Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass völkervertragliche Regelungen nicht durch spätere, ihnen widersprechende (Bundes-)Gesetze verdrängt werden können.

58

So hat der Zweite Senat in seiner Entscheidung zur C-Waffen-Stationierung ausgeführt, dass der Verfassung schwerlich unterlegt werden könne, dass sie es der Bundesrepublik Deutschland verwehre, sich völkerrechtswidrig zu verhalten (vgl. BVerfGE 77, 170 <233 f.>; vgl. auch BVerfGE 68, 1 <107>). In der Entscheidung zur Unschuldsvermutung hat er zwar festgestellt, dass Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands auszulegen und anzuwenden seien, selbst wenn sie zeitlich später wirksam geworden seien als ein völkerrechtlicher Vertrag, da nicht anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet habe, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Pflichten ermöglichen wolle (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>). Daher sei davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber grundsätzlich nicht in Widerspruch zu völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands setzen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 515; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <488>); er ist dazu jedoch in der Lage (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>).

59

Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 518; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 4a; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 109 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <848>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 205; ders., IStR 2005, S. 29 <30>; Weigell, IStR 2009, S. 636 <639 f.>) hat das Bundesverfassungsgericht auch im Görgülü-Beschluss (BVerfGE 111, 307) nicht entschieden, dass der Gesetzgeber nur zur Wahrung tragender Verfassungsgrundsätze von völkerrechtlichen Vereinbarungen abweichen dürfe. Zwar hat der Senat dort festgehalten, dass es dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht widerspreche, wenn der Gesetzgeber Völkervertragsrecht ausnahmsweise nicht beachte, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden sei (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>). Er hat zudem festgestellt, dass das Zustimmungsgesetz eine Pflicht der zuständigen Stellen zur Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs für Menschenrechte begründe und dass diese die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis nehmen und in ihren Willensbildungsprozess einfließen lassen müssten (vgl. BVerfGE 111, 307 <324>). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig zu dessen Verfassungswidrigkeit führt. Der Görgülü-Beschluss verhält sich zu den Folgen eines Verstoßes des Gesetzgebers gegen Völker(vertrags)recht nicht, sondern betrifft ausschließlich die Rechtsfolgen einer unzureichenden Beachtung von Völkerrecht durch die Fachgerichte (vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).

60

dd) Das Völkerrecht verbietet die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte grundsätzlich nicht (1); unbeachtlich ist ein Verstoß gegen Völkerrecht gleichwohl nicht (2).

61

(1) Das Völkerrecht schließt die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht aus. Allgemeine Regeln des Völkerrechts zur innerstaatlichen Erfüllung von Vertragspflichten existieren nicht (vgl. BVerfGE 73, 339 <375>; vgl. auch BVerfGE 111, 307 <322>; 123, 267 <398>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384, Rn. 26>; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 704; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 64; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>). Das Völkerrecht überlässt es vielmehr den Staaten, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Regelungen genügen (so in Bezug auf die EMRK jedenfalls BVerfGE 111, 307 <316> m.w.N.; 128, 326 <370>). Zwar fordert es von den Staaten die Erfüllung der zwischen ihnen geschlossenen Verträge nach Treu und Glauben (Art. 26 WVRK). Es schließt allerdings nur aus, dass ein Staat unter Berufung auf innerstaatliches Recht die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht auf völkerrechtlicher Ebene rechtfertigen kann (Art. 27 Satz 1 WVRK).

62

Insoweit überlässt es das Völkerrecht den Staaten, die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer Kollision zwischen einem völkerrechtlichen Vertrag und einem Gesetz nach den entsprechenden Rang- und Kollisionsregeln des nationalen Rechts zu regeln und dem nationalen Recht den Vorrang einzuräumen (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 30; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 183 ). Innerstaatliche Regelungen betreffen andere Rechtsverhältnisse als die völkerrechtlichen Vorschriften, zu denen sie im Widerspruch stehen.

63

(2) Auch wenn das Völkerrecht die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht ausschließt, ist der damit verbundene Verstoß nicht unbeachtlich. Verletzt ein Staat seine Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag, haben der oder die Vertragspartner verschiedene Möglichkeiten, auf den Vertragsbruch zu reagieren. Bei weniger gravierenden Vertragsverletzungen kommen regelmäßig nur ein Recht zur ordentlichen Kündigung (Art. 56 WVRK), ein Anspruch auf Herstellung des vertragsmäßigen Zustands oder - subsidiär - eine Schadensersatzforderung in Betracht (vgl. Art. 34 ff. der ILC, Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 370 mit Fn. 82, Rn. 371 ff. mit Fn. 86). Bei erheblichen Verletzungen (material breach) kann der andere Teil berechtigt sein, den Vertrag unabhängig von der Vereinbarung eines Kündigungsrechts zu beenden oder ihn zu suspendieren (Art. 60 Abs. 1 WVRK; vgl. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 371). Eine erhebliche Verletzung liegt gemäß Art. 60 Abs. 3 WVRK bei Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder -zwecks wesentlichen Bestimmung vor (vgl. Art. 2b i.V.m. Art. 12 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ).

64

d) Die Verfassungswidrigkeit völkerrechtswidriger Gesetze lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen (a.A. Vogel, JZ 1997, S. 161 <165 ff.>; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>; Richter, in: Giegerich , Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <846>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>). Der Grundsatz hat zwar Verfassungsrang (aa), beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. Er dient vielmehr vor allem als Auslegungshilfe (bb). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann insbesondere die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen und ihre Systematik nicht unterlaufen (cc).

65

aa) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit hat Verfassungsrang. Er ergibt sich aus einer Zusammenschau der verfassungsrechtlichen Vorschriften, die das Verhältnis Deutschlands zur internationalen Staatengemeinschaft zum Gegenstand haben (vgl. Herdegen, Völkerrecht, 13. Aufl. 2014, § 22 Rn. 9 f.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <470 ff.>). Das Grundgesetz hat die deutsche öffentliche Gewalt auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG) festgelegt. Es hat das Völkerrecht jedenfalls in seinen allgemeinen Regeln besonders hervorgehoben (Art. 25 GG), das Völkervertragsrecht durch Art. 59 Abs. 2 GG in das System der Gewaltenteilung eingeordnet, die Einfügung Deutschlands in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugelassen (Art. 24 Abs. 2 GG), den Auftrag zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit erteilt (Art. 24 Abs. 3 GG) und den Angriffskrieg für verfassungswidrig erklärt (Art. 26 GG) (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>). Mit diesen Regelungen zielt es, auch ausweislich der Präambel, darauf, die Bundesrepublik Deutschland als friedliches und gleichberechtigtes Glied in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft einzufügen (vgl. BVerfGE 63, 343 <370>; 111, 307 <318>). Die Bestimmungen enthalten eine Verfassungsentscheidung für eine auf die Achtung und Stärkung des Völkerrechts aufbauende zwischenstaatliche Zusammenarbeit (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 112, 1 <25>; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 1992, § 175 Rn. 1 ff.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <481>) und verpflichten daher die gesamte öffentliche Gewalt dazu, einem Auseinanderfallen von völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtslage entgegenzuwirken und im Außenverhältnis eine mit einer Verletzung des Völkerrechts verbundene Haftung Deutschlands zu vermeiden (vgl. BVerfGE 58, 1 <34>; 59, 63 <89>; 109, 13 <23 f.>; 109, 38 <49 f.>; 111, 307 <316, 318, 328>; 112, 1 <25>; 128, 326 <368 f.>).

66

Der daraus abgeleitete Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes wird in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vor allem im Verhältnis zu Menschenrechtspakten und dabei insbesondere im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention - hervorgehoben (vgl. BVerfGE 92, 26 <48>; 111, 307 <317 ff.>; 112, 1 <26>; 113, 273 <296>; 123, 267 <344, 347>; 128, 326 <365, 366, 369>; BVerfGK 9, 174 <186, 190, 191, 192>; 17, 390 <397 f.>), ist aber auch schon in der älteren Rechtsprechung des Gerichts nachweisbar (vgl. BVerfGE 6, 309 <362>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75>; 41, 88 <120 f.>). Während zunächst vor allem die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit thematisiert wurden (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75 f.>; 41, 88 <120 f.>), betont die Rechtsprechung heute, dass das Grundgesetz die Staatsorgane in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts stellt und dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts mindert (vgl. BVerfGE 109, 38 <50>; 111, 307 <328>; 112, 1 <25>).

67

bb) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Verträge (1-2). Er dient vor allem als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (3).

68

(1) Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität.

69

(2) Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes folgt keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung jeder Bestimmung des Völkerrechts. Eine solche widerspräche, wie der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss erläutert hat, dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG, in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und in Art. 59 Abs. 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes und damit den differenzierten Regelungen über den innerstaatlichen Rang völkerrechtlicher Normen (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), aus denen der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit abgeleitet wird und die daher auch bei der näheren Bestimmung seines Inhalts zu beachten sind. Das Grundgesetz hat nicht die uneingeschränkte Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Vorrang von Völkerrecht auch vor dem Verfassungsrecht angeordnet, sondern will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit (nur) in den Formen einer kontrollierten Bindung (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), das heißt so, wie sie in den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsordnungen vorgesehen ist. Diese beinhalten für die Regelungen völkerrechtlicher Verträge jedoch gerade keine Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung.

70

(3) Die sich aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergebende Pflicht, das Völkerrecht zur respektieren, besitzt vielmehr drei Dimensionen: Erstens sind die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens hat der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können. Drittens können die deutschen Staatsorgane - unter hier nicht näher zu bestimmenden Voraussetzungen - auch verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).

71

(4) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ferner als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (vgl. zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <315 f., 317, 324, 325, 329>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <365, 367 f.>; BVerfGK 3, 4 <8>; 9, 174 <190>; 10, 66 <77>; 10, 234 <239>; 11, 153 <159 ff.>; 20, 234 <247>). Er gebietet, die nationalen Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317 f.>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>; BVerfGK 9, 174 <190>). In der Kammerrechtsprechung ist dies dahingehend konkretisiert worden, dass im Rahmen geltender methodischer Grundsätze von mehreren möglichen Auslegungen eines Gesetzes grundsätzlich eine völkerrechtsfreundliche zu wählen ist (vgl. BVerfGK 10, 116 <123>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11 -, NVwZ 2015, S. 361 <364>; so auch Proelß, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Bd. 1, 2009, S. 553 <556 ff.>).

72

Das aus dem Grundgesetz abgeleitete Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung gilt jedoch nicht absolut und ungeachtet der methodischen Grenzen der Gesetzesauslegung. Es verlangt keine schematische Parallelisierung der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Völkerrecht, sondern eine möglichst vollständige Übernahme der materiellen Wertungen - soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist (vgl. BVerfGE 111, 307 <323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>; BVerfGK 20, 234 <247>; bezogen auf die EMRK vgl. Thym, JZ 2015, S. 53 <54>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 <318, 323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>) und lässt etwa den Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung unangetastet (vgl. BVerfGE 123, 267 <344>). Zwar ist grundsätzlich nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; BVerfGK 10, 116 <123>). Eine Auslegung entgegen eindeutig entgegenstehendem Gesetzes- oder Verfassungsrecht ist jedoch methodisch nicht vertretbar (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; vgl. auch Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <425 f.>).

73

cc) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann daher nicht völkerrechtsfreundlich dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen, in denen allein auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist, über völkervertragliche Bindungen hinwegsetzen dürfte. Eine Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach völkerrechtlichen Verträgen zumindest im Regelfall ein Rang über den (einfachen) Gesetzen zukäme, ist methodisch nicht vertretbar. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann die Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen (1) und die damit verbundene Systematik nicht unterlaufen (2).

74

(1) Das Grundgesetz hat sich in Art. 59 Abs. 2 GG dafür entschieden, völkerrechtliche Verträge innerstaatlich (nur) mit dem Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes auszustatten (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <367>; BVerfGK 10, 116 <124>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - der seinerseits keine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, juris, Rn. 11) und unter anderem aus Art. 59 Abs. 2 GG abgeleitet wird - vermag an dieser Einordnung und an der daran anknüpfenden Geltung des lex-posterior-Grundsatzes nichts zu ändern. In diesem Sinne hat der Senat bereits in seiner Entscheidung zum Reichskonkordat festgestellt, dass das Grundgesetz in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit gehe, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>). Der aus ihm abgeleitete ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann das Grundgesetz konkretisieren oder ergänzen. Er kann das geschriebene Verfassungsrecht jedoch nicht entgegen der in Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG vorgesehenen Zuständigkeit und Methodik ändern oder außer Kraft setzen (vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 251).

75

(2) Die hier in Rede stehende Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG, die sich auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit beruft, führte im Ergebnis dazu, dass die Unterschiede in der Bindungswirkung der verschiedenen Quellen des Völkerrechts, die durch ihren jeweiligen grundgesetzlich bestimmten Rang bedingt sind, eingeebnet würden und damit die grundgesetzliche Systematik hinsichtlich des Rangs von Völkerrecht unterlaufen würde (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <231 f.>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.I.). Dies wird, nimmt man Doppelbesteuerungsabkommen in den Blick, sehr deutlich: Da Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig nicht gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen (vgl. Fehrenbacher/Traut, in: Festschrift für Kay Hailbronner, 2013, S. 569 <580>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, IStR 2005, S. 29 <30>), hätten sie de facto - wie die allgemeinen Regeln des Völkerrechts - regelmäßig einen Rang über den Gesetzen. Eine solche Gleichsetzung widerspräche jedoch der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG getroffenen Unterscheidung. Darüber kann sich die Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG nicht hinwegsetzen.

76

Die Forderung nach einer völkerrechtskonformen Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG verkennt zudem, dass das Grundgesetz nicht nur zwischen Völkervertragsrecht und allgemeinen Regeln des Völkerrechts unterscheidet, sondern auch zwischen zwingenden, der Disposition des Verfassungsgebers entzogenen Regelungen, insbesondere den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG), und sonstigem Völkerrecht (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27 f.>; 128, 326 <369>). Daher können die vom Bundesfinanzhof und Teilen des Schrifttums zur Begründung einer grundsätzlichen Bindung des Gesetzgebers an Völkervertragsrecht herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich durchgängig auf grund- und menschenrechtliche Fragestellungen (vgl. BVerfGE 111, 307 <308 ff.>; 112, 1 <13 ff.>; 128, 326 <359 ff.>) beziehen, nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen werden (zur fehlenden Übertragbarkeit der Entscheidungen aufgrund des unterschiedlichen normativen Gesamtgefüges vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Musil, IStR 2014, S. 192 <194>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).

77

e) Entgegen einer vor allem in der steuerrechtlichen Literatur vertretenen und vom Bundesfinanzhof nun aufgegriffenen Ansicht (z.B. Frotscher, IStR 2009, S. 593 <599>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 <1381>; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 105 ff.; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; Stein, IStR 2006, S. 505 <509>; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>), ist die einseitige Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schließlich nicht wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig.Die Auslegung des grundgesetzlichen Rechtsstaatsgebots muss den Anforderungen einer systematischen Interpretation des Verfassungstextes genügen. Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung findet jedenfalls an ausdrücklichen Vorgaben des Grundgesetzes und am Demokratieprinzip ihre Grenze (aa). Daher kann aus dem Rechtsstaatsprinzip ein insbesondere den Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG widersprechender (begrenzter) Vorrang des Völkervertragsrechts vor dem (einfachen) Gesetz oder eine Einschränkung des lex-posterior-Grundsatzes nicht abgeleitet werden (bb).

78

aa) Das Verfassungsrecht besteht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung, sondern darüber hinaus aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 80 ff., 84 f.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 399 ff.). Zu diesen Grundsätzen gehört das Rechtsstaatsprinzip, das sich aus einer Zusammenschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG über die Bindung der einzelnen Gewalten und der Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes ergibt (vgl. BVerfGE 2, 380 <403>). Seine vornehmliche Verankerung findet das Rechtsstaatsprinzip allerdings in den in Art. 20 Abs. 3 GG ausgesprochenen Bindungen der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 35, 41 <47>; 39, 128 <143>; 48, 210 <221>; 51, 356 <362>; 56, 110 <128>; 58, 81 <97>; 101, 397 <404>; 108, 186 <234>; 133, 143 <157 f., Rn. 40>; 134, 33 <89, Rn. 129>; stRspr).

79

Das Rechtsstaatsprinzip enthält keine bis in alle Einzelheiten gehenden, eindeutig bestimmten Ge- oder Verbote, sondern ist entsprechend den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Angesichts dieser Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist bei der Ableitung konkreter Bindungen mit Behutsamkeit vorzugehen (vgl. BVerfGE 90, 60 <86>; vgl. auch BVerfGE 57, 250 <276>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung des Grundgesetzes findet jedenfalls an anderen Vorgaben des Grundgesetzes ihre Grenze. Sie darf der geschriebenen Verfassung nicht widersprechen (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 85, 87). Das Rechtsstaatsprinzip ist daher auch kein Einfallstor für eine den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Regelungen widersprechende schematische "Vollstreckung" von Völkerrecht (vgl. bezogen auf die Durchführung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte BVerfGE 111, 307 ).

80

bb) Wollte man die Verfassungswidrigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) aus ihrer Rechtsstaatswidrigkeit abzuleiten versuchen, liefe dies darauf hinaus, dem Völkervertragsrecht entgegen dem insbesondere Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG zu entnehmenden Konzept des Grundgesetzes zumindest einen begrenzten Vorrang vor dem (einfachen) Gesetz einzuräumen. Ein verfassungsrechtliches Verbot der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) würde bedeuten, dass nicht nur das Abkommen selbst, das mitunter erst nach Ablauf mehrerer Jahre (vgl. Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA-Türkei 1985) und nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 1 GG nicht vom Gesetzgeber (vgl. oben Rn. 55) gekündigt werden kann, sondern auch seine Auslegung durch die Fachgerichte korrigierenden Eingriffen des Gesetzgebers entzogen wäre (vgl. BVerfGE 135, 1 <15, Rn. 45>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>). Das widerspräche nicht nur der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Entscheidung gegen eine Unterwerfung der Verfassung unter das Völkerrecht und für den einfachgesetzlichen Rang des Völkervertragsrechts, sondern auch dem Demokratieprinzip.

81

Aus dem Urteil des Zweiten Senats zur Verpackungsteuer ergibt sich nichts anderes. Dort ging es um sich widersprechende Regeln des Steuergesetzgebers (Land) und des Sachgesetzgebers (Bund), also um den - vom Senat allerdings nicht erwähnten - Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG und die Kohärenz der (einheitlichen) nationalen Rechtsordnung. Auf sie bezieht sich der dort entwickelte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 98, 106 <118 f.>), der verhindern soll, dass der Bürger einander widersprechenden Normbefehlen unterschiedlicher Gesetzgeber ausgesetzt wird. Demgegenüber geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) um die Kollision zweier gleichrangiger Normen desselben Gesetzgebers. Derartige Kollisionen sind - wie der Senat in dem Verpackungsteuerbeschluss ausgeführt hat - grundsätzlich "nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen" aufzulösen (BVerfGE 98, 106 <119>).

82

2. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) darstellt. Das Grundgesetz verbietet eine Überschreibung der dort genannten völkervertraglichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht (a). Das verstößt weder gegen die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (b) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (c). Auch sonstige Erwägungen stehen ihr nicht entgegen (d).

83

a) Das DBA-Türkei 1985 ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Da er nicht allgemeine Regeln des Völkerrechts klarstellend wiederholt und die allgemeine Regel des Völkerrechts pacta sunt servanda die einzelnen Normen eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht in allgemeine Regeln des Völkerrechts verwandelt, scheidet Art. 25 GG als Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung der hier in Rede stehenden Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schon tatbestandlich aus.

84

Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung einer Überschreibung des DBA-Türkei 1985 ist allein Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Demnach bedürfen Doppelbesteuerungsabkommen wie andere völkerrechtliche Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit eines ihnen den Anwendungsbefehl innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung erteilenden Bundesgesetzes. Durch diesen erhalten sie innerstaatlich den Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes.

85

Da der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG und in Übereinstimmung mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an einfache Gesetze gebunden ist, kann er das Zustimmungsgesetz zu dem DBA-Türkei 1985 ungeachtet der fortbestehenden völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch den Erlass von Gesetzen, die dem im Doppelbesteuerungsabkommen Vereinbarten inhaltlich widersprechen, aufheben oder ändern.

86

b) Nichts anderes ergibt sich - wie dargelegt - aus dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit. Dieser ist ein die Verfassungs- und Gesetzesauslegung leitender Grundsatz, verleiht jedoch auch Doppelbesteuerungsabkommen wie dem DBA-Türkei 1985 keinen Rang über dem einfachen Gesetzesrecht und insofern auch keine die Befugnisse des Gesetzgebers beschränkende Bindung.

87

c) Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Einheit der Rechtsordnung, könnte nicht die Verfassungswidrigkeit einer etwaigen Abkommensüberschreibung (Treaty Override) durch § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG abgeleitet werden.

88

Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegendem Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat ("ungeachtet des Abkommens"), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgesetzen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <390>).

89

d) Selbst wenn man davon ausginge, dass es für die Zulässigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) entscheidend auf die Möglichkeit des Gesetzgebers ankommt, sich im Einklang mit dem Völkerrecht von einem (teilweise) nicht mehr gewollten Vertrag zu lösen, führte dies nicht zur Unzulässigkeit einer Überschreibung. Denn der Gesetzgeber ist unabhängig davon, ob eine Kündigung völkerrechtlich zulässig ist, nach den Regelungen des Grundgesetzes zur Kündigung eines völkerrechtlichen Abkommens nicht befugt (Art. 59 Abs. 1 GG) (vgl. BVerfGE 68, 1 <82>). Die Kündigung eines Doppelbesteuerungsabkommens zum Zweck der Neuverhandlung und vertraglichen Durchsetzung eigener Absichten ist insoweit, verglichen mit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) und entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs, kein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel, um dem Demokratieprinzip gerecht zu werden, und deshalb auch nicht vorzugswürdig (vgl. Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>).

90

Hinzu kommt, dass die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrags auch aus Sicht des Vertragspartners nicht unbedingt ein milderes Mittel ist, sich vom völkerrechtlich Vereinbarten zu lösen, weil das Abkommen infolge der Kündigung regelmäßig insgesamt wegfällt (vgl. Art. 44 WVRK). Dies nähme ihm die völkerrechtlich vorgesehene Möglichkeit, den Inhalt oder zumindest die Auslegung eines Abkommens durch die Praxis seiner Anwendung in Übereinstimmung mit der anderen Vertragspartei in ganz bestimmten Punkten (konkludent) zu ändern (vgl. Art. 31 Abs. 3 Buchstabe b, Art. 39 WVRK).

91

Schließlich kann die Kündigung des Doppelbesteuerungsabkommens auch aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht als milderes Mittel angesehen werden (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2225>). Denn ohne Doppelbesteuerungsabkommen ist er - vorbehaltlich der Anrechnung entsprechend § 34c EStG - der Gefahr einer Doppelbesteuerung ausgesetzt.

II.

92

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

93

1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>; 130, 240 <252>). Er verbietet ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 122, 210 <230>; 126, 400 <416>; 130, 240 <252 f.>; 135, 126 <143, Rn. 51>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>; stRspr). Verboten ist daher ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Differenzierungen sind damit nicht ausgeschlossen, bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; 129, 49 <68>; 130, 240 <253>; 132, 179 <188, Rn. 30>; 133, 59 <86, Rn. 72>; 135, 126 <143, Rn. 52>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 107, 218 <244>; 115, 381 <389>). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416>; 129, 49 <69>; 132, 179 <188, Rn. 30>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund, die von auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 88, 5 <12>; 88, 87 <96>; 105, 73 <110>; 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29>; 122, 1 <23>; 122, 210 <230>; 123, 111 <119>; 126, 400 <416>; 127, 224 <244>; 129, 49 <68>; 130, 52 <66>; 130, 240 <254>; 131, 239 <255 f.>; 135, 126 <143 f., Rn. 52>; stRspr).

94

Das Willkürverbot ist verletzt, wenn die (un)gleiche Behandlung zweier Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt (vgl. BVerfGE 76, 256 <329>; 84, 239 <268>; 85, 176 <187>; 90, 145 <196>; 101, 275 <291>; 115, 381 <389>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den neben Art. 3 GG betroffenen Freiheitsrechten (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; 122, 210 <230>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) und aus der Ungleichbehandlung von Personengruppen ergeben (vgl. BVerfGE 101, 54 <101>; 103, 310 <319>; 110, 274 <291>; 131, 239 <256>; 133, 377 <407 f., Rn. 75>). Zudem verschärfen sich die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; 129, 49 <69>; 130, 240 <254>; 132, 179 <188 f., Rn. 31>).

95

b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 ff.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Die Steuerpflichtigen müssen entsprechend diesem Grundsatz durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und so als rechtlich gleich qualifiziert (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), wird, insbesondere für den Bereich des Einkommensteuerrechts (vgl. BVerfGE 82, 60 <86>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), daher vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 105, 73 <125>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 122, 210 <231>).

96

Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 82, 60 <89>; 99, 246 <260>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Bei der Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands muss zudem die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden (vgl. BVerfGE 84, 239 <271>; 93, 121 <136>; 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 101, 132 <138>; 101, 151 <155>; 105, 73 <125 f.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Demgemäß müssen sich Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands; vgl. BVerfGE 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>; 137, 350 <366, Rn. 41>) und bedürfen folglich eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 105, 73 <125 f.>; 107, 27 <47>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <29>; 121, 108 <119 f.>; 122, 210 <231>; 126, 400 <417>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>; 137, 350 <366, Rn. 41>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als besonderer sachlicher Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen anzuerkennen (vgl. BVerfGE 116, 164 <182>; 105, 17 <45>; 122, 210 <233>).

97

2.§ 50d Abs. 8 EStG enthält zwar eine Ungleichbehandlung (a). Diese weist jedoch nur eine geringe Eingriffsintensität auf (b) und ist durch vernünftige, einleuchtende Gründe gerechtfertigt (c).

98

a) Bei der Prüfung der Frage, ob mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Ungleichbehandlung verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen beschränkter (§ 1 Abs. 4, § 49 EStG) und unbeschränkter (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 3, § 2 EStG) Steuerpflicht als sachgerecht und die damit verbundene unterschiedliche Behandlung der entsprechenden Personengruppen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig als gerechtfertigt anzusehen ist (vgl. BVerfGE 43, 1 <10>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Februar 2010 - 2 BvR 1178/07 -, NJW 2010, S. 2419 <2420>). Daher bildet die Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen ebenso wie die Gruppe der beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich die maßgebliche Obergruppe, innerhalb derer Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung bedürfen. Innerhalb der Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen hat der Gesetzgeber mit der Berücksichtigung einer Doppelbesteuerung bei ausländischen Einkünften, die auf unterschiedlichen Wegen (Anrechnung, Freistellung, Abzug) erfolgen kann (vgl. § 34c EStG), eine eigenständige Untergruppe geschaffen. Differenzierungen innerhalb dieser Untergruppe müssen ihrerseits nach Maßgabe des Gebots der horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG genügen.

99

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freigestellt sind, für den Fall (doch) der Besteuerung in Deutschland unterwirft, dass der geforderte Nachweis nicht erbracht wird, behandelt unbeschränkt Steuerpflichtige im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften von der deutschen Steuer ungleich. So werden Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen eines Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Steuer befreit sind, im Fall der Nichterbringung des von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderten Nachweises genauso behandelt wie Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger, die nicht aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer befreit sind, so dass die mit der Freistellung von der deutschen Steuer verbundene Begünstigung aufgehoben wird, während sie für diejenigen, die den Nachweis erbringen, bestehen bleibt. Darüber hinaus verlangt § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als zusätzliche Voraussetzung für die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von der deutschen Steuer einen Nachweis über einen Besteuerungsverzicht des Vertragsstaates beziehungsweise über die Entrichtung der von diesem Staat festgesetzten Steuer. Bei anderen Einkunftsarten, die ebenso wie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nach den Regelungen von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellt sein können, so zum Beispiel Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 DBA-Türkei 1985) oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Art. 14 Abs. 1 DBA-Türkei 1985), wird dagegen kein derartiger Nachweis verlangt.

100

b) Die Vereinbarkeit der mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundenen Ungleichbehandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG setzt einen hinreichend tragfähigen Differenzierungsgrund voraus. Dafür genügt hier ein vernünftiger, einleuchtender Grund im Sinne des Willkürverbots. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine intensivere gerichtliche Kontrolle stattfinden müsste, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist der mit der Nachweisobliegenheit verbundene Eingriff in andere Grundrechte so gering, dass die in der Rechtsprechung anerkannten Fälle einer intensivierten verfassungsgerichtlichen Kontrolle von mit Freiheitseingriffen einhergehenden Ungleichbehandlungen (vgl. BVerfGE 37, 342 <353 f.>; 62, 256 <274 f.>; 79, 212 <218 f.>; 88, 87 <96 ff.>; 98, 365 <385>; 99, 341 <355 f.>; 111, 160 <169 ff.>; 112, 50 <67 ff.>; 116, 243 <259 ff.>) hier nicht Platz greifen.

101

c) Die mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundene Ungleichbehandlung unbeschränkt Steuerpflichtiger im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

102

Dafür, dass § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für die Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, nicht jedoch für die Freistellung von sonstigen, nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellten Einkünften eine Nachweisobliegenheit vorsieht, gibt es - ebenso wie für die Nachweisobliegenheit als solche - einen hinreichenden sachlichen Grund. Der Gesetzgeber wollte damit - wie aus der Stellungnahme der Bundesregierung im vorliegenden Verfahren hervorgeht und der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist - der im Vergleich zu sonstigen Einkunftsarten erhöhten Gefahr des Missbrauchs der in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer entgegenwirken.

103

Dass die missbräuchliche Ausnutzung von Freistellungsregelungen in Doppelbesteuerungsabkommen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aufgrund ihrer im Vergleich zu unternehmerischer Tätigkeit verringerten Wahrnehmbarkeit besonders einfach ist und daher insoweit besonderer Bedarf für eine Gegensteuerung besteht, ist nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr als Auslöser für den Erlass von § 50d Abs. 8 EStG die Tätigkeit von Piloten, Seeleuten und Berufskraftfahrern war, bei denen in der Regel nicht erkennbar ist, in welchem Land sie ihre Einkünfte erzielen, und die zudem oftmals zwischen mehreren Ländern unterwegs und behördlich daher nur schwer zu erfassen sind.

Abw. Meinung

1

Die Entscheidung der Senatsmehrheit kann ich weder in der Argumentation noch im Ergebnis mittragen. Denn sie lässt dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen freie Hand, sich nach dem lex-posterior-Grundsatz mit einem späteren Gesetz bewusst und gewollt über Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen (bei denen es sich nicht um Menschenrechtsverträge handelt) hinwegzusetzen.

I.

2

1. Die Senatsmehrheit stützt ihre Auffassung in erster Linie auf das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Diskontinuität. Da Demokratie Herrschaft auf Zeit sei, müssten spätere Gesetzgeber innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können. Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG solle die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen; dem widerspräche es, aus dieser Norm eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen. Etwas anderes lasse sich weder unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit noch auf das Rechtsstaatsprinzip begründen. Diese beiden Verfassungsprinzipien könnten nicht dazu herangezogen werden, um die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Normen zu unterlaufen. Damit bestätigt die Senatsmehrheit im Wesentlichen die Auffassung, die der Zweite Senat bereits in seinem Urteil zum Reichskonkordat aus dem Jahr 1957 (BVerfGE 6, 309 <362 f.>) vertreten hat.

3

2. a) Diese Rechtsauffassung halte ich - in einer globalisierten Welt, in der die Staaten durch eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge in einem weiten Spektrum von Regelungsbereichen miteinander verflochten sind - für nicht (mehr) überzeugend. Um den Entwicklungen dieser umfangreichen internationalen Zusammenarbeit auf der Grundlage bi- und multilateraler völkerrechtlicher Verträge und dem in der modernen Völkerrechtsordnung geltenden Grundsatz der "rule of law" (vgl. Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 [2006], S. 235 <243 f.>; Wittinger, JöR 57 [2009], S. 427 <444 ff.>; Kotzur, in: Festschrift für Eckart Klein, 2013, S. 797 <797 f., 804 ff.>) Rechnung zu tragen, muss vielmehr zwischen dem Demokratieprinzip einerseits und dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit andererseits ein angemessener Ausgleich hergestellt werden.

4

In Anlehnung an die von Robert Alexy verwandte Begrifflichkeit (Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.) geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) nur vordergründig um einen Konflikt zweier Regeln, die einfachen Gesetzesrang haben. Dieser Konflikt wird von der Senatsmehrheit nach der lex-posterior-Regel zugunsten des späteren völkerrechtswidrigen Gesetzes aufgelöst. Jedoch wird der Konflikt einer völkerrechtsdeterminierten lex prior mit einer den völkerrechtlichen Vertrag überschreibenden lex posterior auf der Ebene des Verfassungsrechts nicht durch eine abschließende Regel aufgelöst. Allein der Verweis auf den Rang, der Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zukommen soll und aus dem ohne Weiteres die uneingeschränkte Anwendung der lex-posterior-Regel abgeleitet wird (kritisch zur Anwendung der lex-posterior-Regel Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 220 ff.; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 65), vermag nicht zu überzeugen. Ein solcher Lösungsansatz lässt die hinter der Rangfrage stehende Kollision zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip außer Acht (zum Rekurs auf die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien auch im Hinblick auf objektiv-rechtliche Rechtsgüter vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 100 f. m.w.N.; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 91 f.).

5

b) Hinter den miteinander kollidierenden Gesetzesbestimmungen stehen die genannten Verfassungsprinzipien, die in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten. Das Rechtsstaatsprinzip ist - ebenso wie das Demokratieprinzip - ein grundlegendes Strukturprinzip und als solches Teil der verfassungsmäßigen Ordnung, an die auch der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Der Rechtsstaatsbegriff gehört - wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde so treffend ausgedrückt hat - "zu jenen vom Wortsinn her vagen und nicht ausdeutbaren Schleusenbegriffen, die sich 'objektiv', aus sich heraus, niemals abschließend definieren lassen, vielmehr offen sind für das Einströmen sich wandelnder staats- und verfassungstheoretischer Vorstellungen und damit auch für verschiedenartige Konkretisierungen, …" (Böckenförde, in: Festschrift für Adolf Arndt, 1969, S. 53 <53>). Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips bedarf mithin der Konkretisierung in Bezug auf den jeweils zu entscheidenden Sachverhalt (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 259 ff.), wobei es für neuere Entwicklungen offen ist. Damit kann, ja muss das Rechtsstaatsprinzip bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Treaty Override in dem offenen Verfassungsstaat des Grundgesetzes (Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 33, 35 f.; ders., JZ 1997, S. 161 <162 f.>; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 137 ff., 380 ff.; Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 134 ff., 220 ff.; Sommermann, in: v. Bogdandy/Cruz Villalón/Huber: Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. II, 2008, § 14) unter Beachtung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit konkretisiert werden (Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <291>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; die völkerrechtskonforme Auslegung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls bejahend Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 254; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 62 f.; Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>). Aus dem letztgenannten Grundsatz hat der Zweite Senat in der Alteigentümer-Entscheidung aus dem Jahr 2004 die Pflicht hergeleitet, das Völkerrecht zu respektieren. Diese habe drei Elemente: Erstens seien die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens habe der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden könnten. Und drittens könnten die deutschen Staatsorgane verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzten (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).

6

c) Legt man das Rechtsstaatsprinzip, dessen Kernbestandteil die Rechtstreue beziehungsweise die Einhaltung rechtlicher Bindungen ist (zur Bindung aller staatlichen Gewalt an die Verfassung: Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 248 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 17 ff. [Dezember 2007]), im Lichte dieser Aussagen aus, so ergibt sich auch für den Gesetzgeber grundsätzlich die Verpflichtung, die von ihm durch das Zustimmungsgesetz legitimierte Bindung an völkerrechtliche Verträge zu respektieren und sich von diesen nicht bewusst - und damit treuwidrig - einseitig zu lösen. Klaus Vogel hat denn auch in seiner Münchener Abschiedsvorlesung 1996 plastisch von einem "Wortbruch" gesprochen, zu dem der Gesetzgeber nicht legitimiert sei (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <167>; ähnlich Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>, wo es heißt: "Der Wortbruch ist keine Verhaltensoption des Verfassungsstaats; …"). Streitet mithin das völkerrechtsfreundlich ausgelegte Rechtsstaatsprinzip für eine vollständige Bindung auch späterer Gesetzgeber an den völkerrechtlichen Vertrag in der Form des Zustimmungsgesetzes, so ist allerdings zu berücksichtigen, dass dadurch deren durch das Demokratieprinzip gewährleistete Entscheidungsfreiheit vollständig eingeschränkt würde. Die Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip führte nämlich dazu, dass dem Zustimmungsgesetz faktisch die Wirkung einer "Änderungssperre" für spätere Gesetzgeber zukäme. Das Rechtsstaatsprinzip, das für eine vollständige Bindung, und das Demokratieprinzip, das für eine völlige Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers spricht, werden zu gegenläufigen Sollensgeboten. Diese zwischen den beiden Prinzipien bestehende Konfliktlage muss zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden, bei dem das Ziel kein "Alles oder nichts", sondern ein "Sowohl als auch" ist (vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.).

7

3. Die Entscheidung der Senatsmehrheit gibt dem Demokratieprinzip - unter Hintanstellung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Auslegung nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - uneingeschränkt den Vorzug. Im Ergebnis ist der spätere Gesetzgeber frei, bewusst von den Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags - ungeachtet des damit verbundenen Völkerrechtsbruchs - abzuweichen. Besonderer Voraussetzungen oder einer Rechtfertigung bedarf es hierfür nicht. Demgegenüber verlangt der hier vertretene Ansatz die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in einer Weise, die beiden Prinzipien möglichst weitreichende Wirkung belässt.

8

a) Als Kriterien, die bei der Abwägung heranzuziehen sind, kommen insbesondere die folgenden in Betracht: das mit dem späteren Gesetzverfolgte Regelungsziel und dessen Bedeutung für das Gemeinwohl, die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Individuen, die Dringlichkeit der abweichenden Regelung, die Möglichkeit des Rückgriffs auf zumutbare völkerrechtsgemäße Mittel zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung, wie etwa Abgabe einer interpretativen Erklärung, Kündigung oder Modifizierung des Vertrags, und die bei einem Völkerrechtsbruch im Raume stehenden Rechtsfolgen.

9

b) Überwiegt das Gewicht der Kriterien, die für eine einseitige Abkehr von dem konkret in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrag sprechen, nicht das Gewicht derjenigen Gesichtspunkte, die gegen eine Abkommensüberschreibung streiten, so muss dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit ausgelegten Rechtsstaatsprinzip der Vorrang vor dem Demokratieprinzip zukommen. Eine solche Abwägung muss in jedem Einzelfall getroffen werden, um Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847 ff.>; Richter, Völkerrechtsfreundlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - Die unfreundliche Erlaubnis zum Bruch völkerrechtlicher Verträge, in: Giegerich, Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; im Ergebnis wohl auch Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 242 f.; weitgehender Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>).

10

c) Diesem Lösungsansatz kann nicht entgegengehalten werden, dass er eine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller Normen des Völkerrechts begründe (aa) oder die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts verdränge oder ihre Systematik unterlaufe (bb).

11

aa) Die vorgeschlagene Lösung führt weder zu einer uneingeschränkten Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung noch zu einem unbedingten Vorrang des Völkerrechts auch vor dem Verfassungsrecht. Vielmehr bleibt es bei einer kontrollierten Bindung, und sie lässt Raum dafür, "die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt [nicht] aus der Hand zu geben" (BVerfGE 112, 1<25 f.> unter Verweis auf BVerfGE 111, 307 <328 f.>). Der (spätere) Gesetzgeber wird allerdings verpflichtet, vor einer bewussten Abweichung von einem völkerrechtlichen Vertrag sorgfältig die einzelnen oben aufgeführten Aspekte gegeneinander abzuwägen und insbesondere zu prüfen, ob eine völkerrechtsgemäße Lösung von der völkerrechtlichen Bindung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens möglich ist. Ist dies der Fall, so muss zunächst der Versuch unternommen werden, im Einklang mit dem Völkerrecht zu handeln. Richtig ist zwar, dass das Parlament selbst einen völkerrechtlichen Vertrag nicht kündigen oder suspendieren kann. Es hat jedoch die Möglichkeit, seinen politischen Willen kundzutun und die Regierung zu entsprechenden Schritten im Außenverhältnis aufzufordern. Erst wenn diese sich weigert oder keine entsprechenden Aktivitäten entfaltet oder wenn im konkreten Fall keine Möglichkeit besteht, sich in angemessener Zeit mit völkerrechtsgemäßen Mitteln von dem Vertrag zu lösen, kann der Gesetzgeber einseitig von dem Vertragsinhalt abweichen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft Abwägungsvorgang und -ergebnis, wobei dem Gesetzgeber - wie sonst auch - ein Einschätzungsspielraum zugebilligt wird (vgl. BVerfGE 7, 377 <403>; 50, 290 <332 ff.>; 77, 170 <171>; 102, 197 <218>; 110, 177 <194>; 129, 124 <182 f.>; stRspr).

12

bb) Die in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Systematik wird nicht unterlaufen, weil die vorgeschlagene Lösung nicht zu einer generellen"Sperrwirkung" führt. Der Gesetzgeber behält die aus dem Demokratieprinzip folgende Kompetenz, völkerrechtliche Verträge zu überschreiben; aus dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ausgelegten Rechtsstaatsprinzipergeben sich allerdings Einschränkungen in Bezug auf ihre Ausübung. Durch diese Einschränkungen wird sichergestellt, dass, wie es der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss formuliert hat, die deutschen Staatsorgane - und dazu gehört auch der Gesetzgeber - die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit unterlassen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>). Nur so kommt dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dessen wichtigste Funktion es ist, möglichst einen Gleichlauf zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung herzustellen oder aufrechtzuerhalten und damit Konflikte zu vermeiden (vgl. zur Funktion des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit als Konfliktvermeidungsregel Payandeh, JöR 57 [2009] S. 465 <481>; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 201 ff. <238>), im Verhältnis zum Demokratieprinzip hinreichende Beachtung zu.

II.

13

Nach diesen Maßstäben wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

14

1. Das vorlegende Gericht hat ausführlich dargelegt, dass die in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. enthaltene Regelung von den Bestimmungen des Abkommens vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867 [im Folgenden: DBA-Türkei 1985]) abweicht. Insbesondere verstößt sie dadurch, dass die Freistellung der Auslandseinkünfte eines Arbeitnehmers von dem Nachweis der tatsächlichen Entrichtung der Steuer an den anderen Vertragsstaat oder dessen Besteuerungsverzicht abhängig gemacht wird, gegen die in Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der so genannten virtuellen Doppelbesteuerung im Ausland(hier in der Türkei). Diese Rechtsauffassung ist sorgfältig begründet und gut vertretbar, so dass sie der verfassungsrechtlichen Prüfung zugrunde gelegt werden kann.

15

Die von dem Inhalt des DBA-Türkei 1985 abweichende Regelung ist überdies nicht durch einen dem Abkommen innewohnenden ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt gedeckt. Das Bestehen derartiger Vorbehalte ist generell umstritten (vgl. nur die Darstellung bei Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <229 f.>). Gegen einen solchen Vorbehalt im konkreten Fall spricht insbesondere, dass die Bundesrepublik Deutschland - anders als in dem Protokoll zum DBA-Türkei 1985 - in dem Protokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 19. September 2011 (BGBl II 2012 S. 527 [im Folgenden: DBA-Türkei 2011]) ausdrücklich eine Vereinbarung zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften getroffen hat (vgl. Ziffer 10 des Protokolls zum DBA-Türkei 2011, BTDrucks 17/8841 S. 29, und die Erläuterung in der Denkschrift, S. 34). Ein derartiges Vorgehen wäre beim Vorliegen eines allgemeinen ungeschriebenen Vorbehalts entbehrlich gewesen.

16

Es ist mithin von einer völkerrechtswidrigen Abkommensüberschreibung auszugehen.

17

2. Bei der Abwägung der für und gegen diese mit dem DBA Türkei 1985 nicht vereinbare Gesetzesbestimmung sind die oben genannten Kriterien (siehe unter Punkt I.3.a) heranzuziehen.

18

a) Laut Gesetzesbegründung verfolgt der Gesetzgeber mit der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. das Ziel, zu verhindern, "dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, …" (BTDrucks 15/1562 S. 39 f.). Damit geht es dem Gesetzgeber bei der Nachweispflicht, wie auch der Bundesfinanzhof festgestellt hat, in erster Linie um die Herstellung von "Steuerehrlichkeit". Jedenfalls in den Fällen, in denen der andere Vertragsstaat nicht vollständig auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat, soll zudem die so genannte Keinmalbesteuerung verhindert werden. Hierbei handelt es sich um legitime Ziele von erheblicher Bedeutung für das Gemeinwohl, weil verhindert werden soll, dass Steuerpflichtige, die ihre Einkünfte im Tätigkeitsstaat nicht erklären, im Vergleich zu "steuerehrlichen" Steuerpflichtigen von ihrem pflichtwidrigen Verhalten profitieren. An dieser Bewertung ändert sich auch nichts, wenn man - wie das vorlegende Gericht - davon ausgeht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 50d Abs. 8 EStG n.F. eher von fiskalischen Überlegungen geleitet gewesen sein dürfte (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 27).

19

b) Die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Personen können, je nach den konkreten Umständen, sehr unterschiedlich ausfallen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die im DBA-Türkei 1985 ohne Rückfallklausel vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der virtuellen Doppelbesteuerung in erster Linie im Interesse der beiden Vertragsstaaten liegt, die nicht auf die Regelungslage und Besteuerungspraxis des jeweils anderen Staates oder deren Kenntnis angewiesen sein sollen (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 28). Demgegenüber liegt es nicht in der Absicht der Vertragsstaaten, dem von der Freistellung betroffenen Steuerpflichtigen eine Rechtsposition zu verschaffen, die es ihm ermöglicht, in keinem der beiden Staaten Steuern zu entrichten, auch wenn sich die völkerrechtliche Vereinbarung so auswirken kann. Damit stellt sich die mit einer "Keinmalbesteuerung" der im anderen Vertragsstaat erzielten Einkünfte verbundene finanzielle Begünstigung des Steuerpflichtigen eher als begünstigender Rechtsreflex dar, der bei der Abwägung nicht erheblich ins Gewicht fällt.

20

c) Nach dem DBA-Türkei 1985 standen mit dem Völkerrecht vereinbare Mittel zur Verfügung, um sich von dem Vertrag zu lösen. Gemäß Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA Türkei 1985 kann jeder Vertragsstaat vom 1. Januar des dritten Jahres an, welches auf das Jahr der Ratifikation des Abkommens folgt, jeweils während der ersten sechs Monate eines Kalenderjahres das Abkommen kündigen. Es besteht also nach Ablauf von rund drei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags ein Kündigungsrecht, das jeweils in den ersten sechs Monaten des Jahres, in dem gekündigt werden soll, ausgeübt werden muss. Besonderer Gründe für die Kündigung bedarf es nicht.Damit hätte die Bundesrepublik Deutschland das DBA-Türkei 1985 bereits im Jahr 2003, als das Steueränderungsgesetz beraten wurde, oder im ersten Halbjahr 2004 kündigen und ein neues, verbessertes Abkommen aushandeln können. Dass dieser Weg grundsätzlich gangbar war, zeigt sich, wie auch das vorlegende Gericht hervorhebt, daran, dass das Abkommen von deutscher Seite am 27. Juli 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt worden ist. Das daraufhin neu verhandelte Doppelbesteuerungsabkommen vom 19. September 2011, welches das DBA-Türkei 1985 mit Wirkung vom 1. Januar 2011 ersetzt, sieht nach wie vor die Freistellungsmethode vor (vgl. Art. 22 Abs. 2Buchstabe a), enthält aber insbesondere in Art. 22 Abs. 2 Buchstabe e eine so genannte Umschwenk- oder Rückfallklausel, die es der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode zu wechseln. Zweck dieser Klausel ist es, dass es zu keinem deutschen Steuerverzicht kommt, wenn Einkünfte in keinem der beiden Vertragsstaaten besteuert werden (BTDrucks 17/8841 S. 33). Zudem ist, wie bereits erwähnt, im Protokoll zum DBA-Türkei 2011 ausdrücklich eine Klausel zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften vereinbart worden.

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d) Für eine besondere Dringlichkeit der Regelung in § 50d Abs. 8 EStG n.F., etwa zur Abwehr erheblicher Nachteile für den deutschen Fiskus, ist nichts ersichtlich. Die zeitliche Verzögerung, die mit der Ergreifung völkerrechtsgemäßer Handlungsoptionen zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung an das DBA-Türkei 1985 verbunden gewesen wäre, fällt daher nicht ins Gewicht.

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e) Schließlich müssen die möglichen Rechtsfolgen eines Völkerrechtsbruchs in die Abwägung einfließen. Bei einem erheblichen Vertragsbruch (material breach) kann der damit konfrontierte andere Staat nicht nur seinerseits den Vertrag kündigen oder suspendieren (vgl. Art. 60, 65 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl II 1985 S. 927). Vielmehr kann er in jedem Fall - unabhängig von der Schwere der Rechtsverletzung - die Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und - im Wege der Naturalrestitution - die Wiederherstellung eines vertragsgemäßen Zustands einfordern (vgl. Art. 30, 34 und 35 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 [im Folgenden: ILC-Entwurf]). Daraus ergibt sich zuvörderst die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, seine innerstaatliche Rechtslage mit dem Inhalt des betroffenen Vertrags (wieder) in Einklang zu bringen. Erst wenn dies tatsächlich unmöglich ist, kann der verletzte Staat - subsidiär - Schadensersatz in Geld verlangen (vgl. Art. 36 Abs. 1 des ILC-Entwurfs).

23

Selbst wenn der verletzte Staat, wie in diesem Fall, keine konkreten Schritte zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Wiedergutmachung einleitet, steht bei jedem bewusst herbeigeführten Vertragsbruch die Verlässlichkeit Deutschlands als Partner im internationalen Rechtsverkehr auf dem Spiel. Genauso wie Deutschland von seinen Vertragspartnern auf europäischer und internationaler Ebene Vertrags- beziehungsweise Rechtstreue erwartet, muss es bereit sein, seinerseits seine vertraglichen Pflichten einzuhalten und die vertragliche Bindung nicht einseitig durch ein späteres entgegenstehendes Gesetz "abzuschütteln".

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f) Wägt man die genannten Kriterien gegeneinander ab, so überwiegen die Gesichtspunkte, die gegen die Abkommensüberschreibung sprechen. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Erlass der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. zwar einen legitimen, für das Gemeinwohl auch erheblichen Zweck, indem er die Steuerpflichtigen durch die Nachweispflicht zu mehr "Steuerehrlichkeit" anhalten will. Zudem sind die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der von der Anwendung des Abkommens begünstigten Steuerpflichtigen von geringem Gewicht. Für die Neuregelung bestand allerdings keine besondere Dringlichkeit, die es erfordert hätte, das abweichende Gesetz ohne vorherige Aufforderung der Bundesregierung, auf völkerrechtsgemäße Mittelzurückzugreifen, zu erlassen. Nach dem DBA-Türkei 1985 bestand auch die Möglichkeit, das Abkommen ohne weitere Begründung zeitnah zu kündigen. Hätte man eine Kündigung wegen der weitreichenden Folgewirkungen vermeiden wollen, so hätte die Bundesregierung - auf Aufforderung durch den Bundestag oder von sich aus - zumindest versuchen können, sich mit der Türkei auf eine nachträgliche Auslegung der einschlägigen Vertragsbestimmungen zu verständigen, der zufolge die Anwendung der Freistellungsmethode von einer Nachweispflicht abhängig gemacht werden darf. Schließlich schlägt der mit der Abkommensüberschreibung zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, sich trotz Vorhandenseins völkerrechtsgemäßer Mittel einseitig vom DBA-Türkei 1985 zu lösen und damit bewusst und ohne Not über die völkerrechtliche Bindung hinwegzusetzen, wegen der damit verbundenen Signalwirkung negativ zu Buche.

III.

25

In der Folge wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) verfassungswidrig und nichtig (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 BVerfGG).

IV.

26

Nach meiner Auffassung wäre es an der Zeit gewesen, den "Mentalitätenwandel", den Klaus Vogel für das Grundgesetz in Bezug auf die Öffnung des deutschen Staates für die internationale Zusammenarbeit und die Einbindung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft im Vergleich zu früheren deutschen Verfassungen festgestellt hat (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <163>), auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtswidrigen späteren Gesetzen zu vollziehen. Zu meinem Bedauern hat sich die Senatsmehrheit hierzu nicht entschließen können.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entscheidet im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen über die Zulassung und Schließung von Grenzübergangsstellen. Es gibt diese Entscheidungen im Bundesanzeiger bekannt.

(2) Die Bundespolizei setzt im Benehmen mit dem Hauptzollamt die Verkehrsstunden für die einzelnen Grenzübergangsstellen entsprechend dem Verkehrsbedürfnis fest und machen sie durch Aushang an der Grenzübergangsstelle bekannt.

(3) Die Bundespolizei kann Personen oder Personengruppen die Erlaubnis erteilen, die Grenze außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen, außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden oder mit anderen als den zugelassenen Verkehrsarten zu überschreiten, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Grenzerlaubnis kann unter Bedingungen erteilt und auch nachträglich mit Auflagen versehen und befristet werden; sie kann jederzeit widerrufen werden.

(4) Soweit ein Land im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnimmt, kann in der Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 3 bestimmt werden, daß Behörden oder Dienststellen der Polizei des Landes anstelle der Bundespolizei nach den Absätzen 2 und 3 tätig werden.

(5) Soweit der Zollverwaltung Aufgaben nach § 2 durch Rechtsverordnung nach § 68 Satz 1 zur Ausübung übertragen sind, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, daß Behörden der Zollverwaltung anstelle der Bundespolizei nach Absatz 3 tätig werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.