Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 30. Apr. 2014 - 11 S 244/14

bei uns veröffentlicht am30.04.2014

Tenor

Auf die Berufungen des Klägers werden die Urteile des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 07.01.2014 - 6 K 4400/13 - und - 6 K 3244/13 - geändert. Die Abschiebungsandrohung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.07.2013 in der Fassung vom 30.04.2014 wird aufgehoben. Das beklagte Land wird unter Aufhebung der Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung (Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt) vom 21.10.1999 auf den 31.01.2012 zu befristen.

Das beklagte Land trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, der am 15.05.1968 in ... geboren wurde, wehrt sich gegen eine Abschiebungsandrohung des Regierungspräsidiums Karlsruhe und die Befristung der Wirkungen seiner mit Bescheid vom 21.10.1999 erfolgten Ausweisung erst auf den 31.12.2016 durch das Regierungspräsidium Stuttgart.
Der Kläger reiste erstmals im August 1981 mit seiner Mutter und drei Geschwistern ins Bundesgebiet ein, wo sein Vater bereits seit mehreren Jahre als Bauarbeiter arbeitete. Er wurde mit 15 Jahren aus der 8. Klasse der Hauptschule entlassen und erreichte den Hauptschulabschluss nicht. Den anschließend aufgenommenen Berufsschulbesuch und die Tätigkeit als Gärtner brach er mit 18 Jahren ab. 1986 musste er sich einer Herzoperation unterziehen. Nachdem er zunächst arbeitslos war, war er anschließend in verschiedenen Berufen als Arbeiter beschäftigt. Im März 1990 heiratete er eine griechische Staatsangehörige, mit der er die am 05.02.1990 geborene Tochter ... hat. Die Ehe wurde geschieden.
Ab 1997 lebte er mit der italienischen Staatsangehörigen ... in ..., die nun in ... wohnt, zusammen, der Mutter der beiden in ... am 18.10.1991 bzw. am 03.03.1983 geborenen Brüder ... und ..., von denen Letzterer im Jahre 2012 zusammen mit dem Kläger vor dem Landgericht Stuttgart angeklagt wurde.
Mit Verfügung vom 21.10.1999 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und lehnte seine Anträge auf unbefristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis-EG, auf befristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis-EG und auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab.
Der Ausweisung lagen folgende strafrechtliche Verurteilungen zugrunde:
Inzwischen gelöscht:
Strafbefehl des Amtsgerichtes Ludwigsburg vom 05.10.1993, rechtskräftig seit 26.07.1993, Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 60 DM wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
In der Auskunft aus dem Zentralregister vom 14.02.2014 sind folgende Verurteilungen weiterhin enthalten:
1. Mit Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 29.06.1994 (1 Ls 1795/93) wurde der Kläger wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in 3 Fällen (Datum der letzten Tat: 07.10.1993) zu der Gesamtstrafe von 7 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafvollstreckung war durch Anrechnung von Freiheitsentzug erledigt.
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2. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 07.09.1995 (B4 Cs 1581/95) wurde der Kläger wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz (Tatzeit: 18.07.1995) zu der Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30,00 DM verurteilt. Die Geldstrafe ist bezahlt.
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3. Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.11.1996 (17 KLs 183/96) wurde der Kläger wegen Beihilfe zum unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tatzeit: 29.04.1996) zu der Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Die Strafvollstreckung war erledigt am 29.06.1997.
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4. Mit Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 16.05.1997 (1 Ls 221 Js 68847/96) wurde der Kläger wegen Geldfälschung, gemeinschaftlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstentladewaffe mit einer Länge von nicht mehr als 60 cm sowie unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Datum der letzten Tat: 25.08.1996) unter Einbeziehung der Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 29.11.1996 (17 KLs 183/96) zu der Gesamtstrafe von 2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafvollstreckung war erledigt durch Verjährung am 22.04.2009.
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5. Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 03.05.1999 (7 KLs 115 Js 77338/98) wurde der Kläger wegen schweren Raubes und unerlaubten Führens einer halbautomatischen Selbstentladewaffe mit einer Länge von nicht mehr als 60 cm (Datum der letzten Tat: 10.09.1998) zu der Gesamtstrafe von 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafvollstreckung war erledigt durch Verjährung am 02.05.2009.
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Zur Begründung der Ausweisung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die zusätzlichen Voraussetzungen des § 12 Aufenthaltsgesetz/EWG seien erfüllt und der Ausweisung stehe Europäisches Gemeinschaftsrecht nicht entgegen. Die nationalen Ausweisungsvorschriften seien anwendbar und die Ausweisung richte sich nach den §§ 45 ff. AuslG. Neben den zusätzlichen Ausweisungsvoraussetzungen des § 12 Aufenthaltsgesetz/EWG sei zu prüfen, ob der Kläger als grundsätzlich freizügigkeitsberechtigter EG-Staatsangehöriger einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 AuslG oder § 12 Abs. 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz/EWG genieße (vgl. §§ 47 Abs. 3, 48 Abs. 1 AuslG, § 12 Abs. 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz/EWG). Dies sei nicht der Fall Damit wandele sich die Ist-Ausweisung über § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG nicht in eine Regel-Ausweisung und es müsse deshalb nicht geprüft werden, ob außergewöhnliche Umstände gegeben seien, die es geböten, von der Ausweisung abzusehen. Vielmehr sei dem Regierungspräsidium Stuttgart als zuständiger Ausländerbehörde keinerlei Ermessen dahingehend eingeräumt, ob er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werde oder nicht.
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Der Kläger verbüßte zum Zeitpunkt der Ausweisung eine Haftstrafe in der JVA ..., wo er am 01.07.2000 eine vorsätzliche Körperverletzung beging. Mit Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 26.01.2001 (44 Ds 15 Js 18949/00) wurde der Kläger wegen dieser vorsätzlichen Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Am 01.02.2002 wurde er aus der Haft in sein Heimatland abgeschoben. Die Strafvollstreckung war erledigt durch Verjährung am 01.02.2007.
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Bis zur Wiedereinreise im April 2011 ist über ihn nichts bekannt geworden. Insbesondere enthält die Mitteilung aus dem italienischen Strafregister vom 27.08.2013 keine weitere Verurteilung. Der Kläger selbst gab an, in Italien zunächst als Maurer und auch als Hilfsarbeiter in der Gastronomie beschäftigt gewesen zu sein. Danach habe er sich mit einem Maurerbetrieb selbständig gemacht und bis zu sechs Mitarbeiter beschäftigt. In Folge der Insolvenz dieses Betriebs sei er in das Bundesgebiet zurückgekehrt. Während seiner Aufenthalte im Bundesgebiet habe er von der Unterstützung seiner Verlobten gelebt. Er sei jeweils zur Herstellung der persönlichen Lebensgemeinschaft mit seiner Verlobten und zur Kontaktpflege mit seiner volljährigen Tochter in das Bundesgebiet eingereist. Eine abschließende Klärung, zu welchen Zeitpunkten er in das Bundesgebiet jeweils eingereist sei, sei aufgrund des Zeitablaufes nicht möglich.
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Feststeht, dass der Kläger zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vor dem 21.04.2011 ins Bundesgebiet eingereist ist. Am 22.04.2011 beging er eine gefährliche Körperverletzung. Nach seinen Angaben ist er dann im Mai zunächst wieder nach Italien zurückgekehrt und im Juli 2011 erneut ins Bundesgebiet eingereist. Er beantragte mit Anwaltsschreiben vom 12.07.2011, eingegangen beim Regierungspräsidium Stuttgart am 13.07.2011, das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu befristen. Nach seinen Angaben kehrte er zunächst nochmals nach Italien zurück und reiste zuletzt Anfang 2012 erneut ein. Seither befindet er sich im Bundesgebiet.
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Am 30.05.2012 beging er eine versuchte räuberische Erpressung. Am 05.06.2012 wurde der Kläger festgenommen und inhaftiert und befindet sich seither in Untersuchungs- und anschließend Strafhaft.
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Wegen der am 22.04.2011 und am 30.5.2012 begangenen Straftaten verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn am 30.01.2013 (rechtskräftig seit dem 08.06.2013) wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 2 Monaten, die er derzeit in der JVA ... verbüßt.
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Das Urteil enthält zu den Tathergängen folgende Feststellungen, die sich der Senat zu eigen macht:
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Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen dem späten Abend des 21.04.2011 und dem Vormittag des 22.04.2011 kamen die Angeklagten ... und ... darin überein, ... aufzusuchen und ihn körperlich anzugehen, nachdem ..., ein jüngerer Bruder des Angeklagten ..., am Abend des 21.04.2011 mit ... im Streit aneinandergeraten war und es zu wechselseitigen Schlägen mit der flachen Hand in das Gesicht des jeweiligen Kontrahenten gekommen war. Hierfür sollte ... nun nach dem Willen der beiden Angeklagten schmerzhaft büßen. Die Angeklagten beschlossen, an ... Rache zu nehmen und ihn körperlich für sein angebliches Fehlverhalten zum Nachteil von ... zu bestrafen. Sie beabsichtigten, ... zumindest mehrere heftige Schläge mit ihren Händen und Fäusten gegen seinen Kopf und seinen Körper zu versetzen und ihn mit ihren Füßen zu traktieren, wodurch sie ihm erhebliche Schmerzen zufügen wollten und hierdurch eintretende Verletzungen jedenfalls billigend in Kauf nahmen.
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In Ausführung ihres Tatentschlusses fuhren die Angeklagten am 22.04.2011 mit dem Pkw des Angeklagten ... zum Gebäude ... in ..., dem Wohnhaus von ..., dem damaligen Arbeitgeber des ... Dort betraten sie gegen 12:35 Uhr den Garten des Hausgrundstückes, wo sie, wie von ihnen beabsichtigt, auf ... trafen. In bewusstem und gewollten Zusammenwirken und für ... völlig unvermittelt begannen die Angeklagten sogleich, entsprechend ihrem Tatentschluss ohne rechtfertigenden Grund auf ... einzuschlagen und einzutreten. So versetzte der Angeklagte ... zunächst dem ... mit der flachen Hand einen Schlag in das Gesicht, woraufhin dieser zu Boden ging. Danach trat der Angeklagte ... mit seinen Füßen, an denen er sportschuhähnliche Halbschuhe trug, mindestens drei Mal fest gegen den Oberkörper des am Boden liegenden ... Hierbei nahm der Angeklagte ... Verletzungen des ... auch im Bereich der inneren Organe jedenfalls billigend in Kauf. Anschließend beugte sich der Angeklagte ... zu dem am Boden liegenden ... hinunter und schlug ihm mindestens einmal kräftig mit seiner Faust gegen dessen rechte Wange, wobei auch er Verletzungen des ... insbesondere im Kopf- und Gesichtsbereich jedenfalls billigend in Kauf nahm. Danach gelang es ..., dem Verlobten der Schwester des Angeklagten ..., der auf Bitte von dessen Mutter ebenfalls in den ... gefahren war, sich zwischen die Angeklagten und ... zu stellen und den Angeklagten ... von ... wegzuziehen, damit nicht noch Schlimmeres passiert. Erst daraufhin ließen die Angeklagten von ihrem Opfer ab und machten sich mit dem Pkw des Angeklagten ... davon.
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... wurde anschließend mit dem Krankenwagen in das Krankenhaus verbracht, musste dort jedoch nicht stationär behandelt werden. Durch die Schläge und Tritte der Angeklagten erlitt ... eine Risswunde hinter dem rechten Ohr, multiple Prellungen am Rücken und Kopf sowie eine leichte Gehirnerschütterung und litt in den folgenden zwei Tagen an Schmerzen im Bereich des Kopfes und des Oberkörpers, was die Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen hatten.
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Nach dem Vorfall hatte ... so erhebliche Angst vor weiteren gewalttätigen Übergriffen der beiden Angeklagten, dass er gegenüber den ermittelnden Beamten der Polizeidirektion ... wahrheitswidrig angab, die Täter nicht erkannt bzw. gekannt zu haben, obwohl er die beiden ihm zuvor vom Sehen bekannten Angeklagten tatsächlich erkannt hatte.
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Ende April 2012 sah sich der Angeklagte ... einem finanziellen Engpass gegenüber und erinnerte sich in dieser Lage an ... Ihm war bekannt, dass ... seit Anfang April 2012 gemeinsam mit ... die Gaststätte „..." in ... betrieb und dort anzutreffen sein würde. Nachdem die Polizei wegen des gewaltsamen Übergriffes vom 22.04.2011 (Tat Nr. 1) bislang nicht an den Angeklagten ... herangetreten war und ihm insoweit polizeiliche Ermittlungen auch nicht bekannt geworden waren, ging der Angeklagte ... zunächst zutreffend davon aus, dass ... aus Furcht vor den beiden Angeklagten nach wie vor sein Wissen um die Täter dieses Vorfalls (Tat Nr. 1) - nämlich die Angeklagten ... und ... - vor den Ermittlungsbehörden geheim gehalten und beide nicht gegenüber der Polizei benannt hatte. Der Angeklagte ... nahm - zunächst zutreffend - weiter an, dass ... nach wie vor erhebliche Angst vor weiteren gewaltsamen Übergriffen durch die Angeklagten hatte.
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Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Ende April 2012 beschloss der Angeklagte ..., aus diesem Umstand Kapital zu schlagen und von ... mittels Drohungen mit schwerwiegenden nachteiligen Folgen für dessen Leben und dessen Gesundheit einen Geldbetrag in Höhe von 2.000,00 Euro zu fordern, auf den er - wie der Angeklagte ... wusste - keinen Anspruch hatte. Dabei ging der Angeklagte ... zunächst zutreffend davon aus, dass ... unter dem Eindruck des aggressiven Auftretens und der Schläge und Fußtritte, die er durch die beiden Angeklagten im Rahmen des gewaltsamen Übergriffes vom 22.03.2011 (Tat Nr. 1 - richtig 22.04.2011) erlitten hatte, den geforderten Geldbetrag anstandslos an ihn bezahlen und diesen später auch nicht zurückfordern würde.
27 
In Ausführung seines Tatentschlusses suchte der Angeklagte ... am 30.05.2012 ... in dessen Pizzeria „...“ in der ... in ... auf. Dort traf er auf ... Zuerst fragte er diesen im Barbereich, ob dies sein Lokal sei und ob die Geschäfte „gut laufen" würden. Anschließend ging er mit ... zum Eingangsbereich des Lokals, wo der Angeklagte ... - wie von ihm beabsichtigt - von ... die Zahlung eines Bargeldbetrages in Höhe von 2.000,00 Euro forderte („ich brauche 2.000,00 Euro morgen"), was nach den Worten des Angeklagten ... einen „Freundschaftsdienst" des ... darstellen sollte und er diesem das Geld in sechs Wochen „zurückgeben" wolle. Der Angeklagte ... indes hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, eine Rückzahlung an ... zu leisten; er wusste auch, dass ... - der große Angst vor ihm hatte und ihm in keiner Weise freundschaftlich verbunden war - erkannt hatte, dass er im Falle einer Geldzahlung an den Angeklagten ... nicht auch nur einen Teil eines dem Angeklagten ... ausgehändigten Bargeldbetrages jemals wieder zurückerhalten werde. Der Angeklagte ... wusste auch, dass er auf die Zahlung eines Bargeldbetrages durch ... keinen Anspruch hatte. Nachdem ... erwidert hatte, er habe kein Geld, da er sein gesamtes Vermögen in das Restaurant investiert habe, kam der Angeklagte ... mit seinem Gesicht ganz nahe an das von ... heran und äußerte dabei, dass - falls ... das Geld nicht bezahle - ... wisse, mit wem er es zu tun habe und was passiere, wenn er nicht zahle. Hierdurch rief er - wie von ihm beabsichtigt - bei ... die Erinnerung an den gewaltsamen Übergriff vom 22.04.2011 (Tat Nr. 1) wach und stellte ihm in naher Zukunft jedenfalls eine gleichartige körperliche Behandlung, die erneut jedenfalls zu erheblichen körperlichen Verletzungen des ... führen würde, in Aussicht, würde dieser der Forderung nicht alsbald nachkommen. Durch diese nachhaltige Drohung suchte der Angeklagte ... den ... zu der geforderten Zahlung des Geldbetrages in Höhe von 2.000,00 Euro zu veranlassen. Nachdem der Angeklagte ... angekündigt hatte, er hole den Bargeldbetrag am Freitag, dem 01.06.2012 ab, verließ er das Lokal. Wie von dem Angeklagten ... beabsichtigt, nahm ... das von dem Angeklagten ... aufgebaute Bedrohungsszenario überaus ernst und bekam hierdurch derartige Angst, dass er zunächst sein wenige Wochen zuvor eröffnetes Lokal aufgeben und die Bundesrepublik Deutschland verlassen wollte. Er rief die Lieferanten des Betriebes an, mit der Bitte, ihre bereits gelieferten Waren wieder abzuholen und bat seinen Steuerberater, die Abmeldung des Gewerbes vorzubereiten. Bereits am nächsten Tag schloss er die Gaststätte.
28 
Dem Angeklagten ... gelang es jedoch nicht, den geforderten Geldbetrag von ... zu erlangen, da es zu einer Zahlung durch ... nicht kam, nachdem sich ... einem ihm bekannten Polizeibeamten anvertraut und diesen über die Geldforderung des Angeklagten ... informiert hatte. Trotz seiner Angstzustände kooperierte ... daraufhin mit der Polizei und versprach dem Angeklagten ..., der in der Folgezeit mehrfach versucht hatte, ... telefonisch zu erreichen, im Rahmen eines telefonischen Rückrufes am 05.06.2012 zum Schein die Zahlung des geforderten Geldbetrages. Noch bevor eine Geldübergabe stattfinden konnte, wurde der Angeklagte ... festgenommen.
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Den aufgrund des Vorfalles für die Dauer von vier Tagen geschlossenen Gaststättenbetrieb führte ... daraufhin mit seinem Partner weiter. Durch die vorübergehende Schließung der Gaststätte hatte er einen Umsatzausfall in Höhe von ca. 400,00 Euro zu verzeichnen, außerdem mussten verdorbene Lebensmittel entsorgt werden.
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Zur Strafzumessung wird im Urteil des Landgerichts Stuttgart ausgeführt, zwar habe die Strafkammer zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass er in der Hauptverhandlung hinsichtlich der Tat Nr. 1 seinen eigenen Tatbeitrag betreffend umfassend und hinsichtlich der Tat Nr. 2 umfassend geständig gewesen sei und die Beweisaufnahme dadurch habe abgekürzt werden können. Die Tat Nr. 1 habe er nicht zuletzt aus einem familiären Anlass (wegen des Sohnes seiner Lebensgefährtin, ...) heraus begangen, was sie menschlich nachvollziehbarer erscheinen lasse. Die Tat Nr. 2 sei in ihrem späteren Verlauf unter polizeilicher Beobachtung erfolgt, was deren Gefährlichkeit für den Geschädigten ... deutlich herabgesetzt habe. Auch habe sich der Kläger inzwischen bei dem Geschädigten ... entschuldigt. Zu seinen Gunsten sei auch beachtet worden, dass er sich bereits fast sechs Monate in Untersuchungshaft befinde, was ihn durch die Trennung von seiner Tochter und seiner Lebensgefährtin besonders haftempfindlich mache. Auch sehe er sich infolge der Verurteilung im Hinblick auf seinen Aufenthaltsstatus möglichen nachteiligen ausländerrechtlichen Konsequenzen gegenüber. Auf der anderen Seite habe zu Lasten des Klägers bei beiden Taten gesprochen, dass er zweifach vorbestraft sei. Hierbei habe die Strafkammer nicht verkannt, dass die Taten jeweils schon sehr lange zurücklägen und die Strafvollstreckung jeweils erledigt sei. Ferner habe zu Lasten des Klägers gesprochen, dass der Geschädigte ... nicht zuletzt auch durch dessen Taten nicht unerheblich verängstigt worden sei, berufliche Konsequenzen aufgrund der von ihm als äußert bedrohlich empfundenen Vorfälle gezogen habe und auch heute noch ganz erheblich unter Verfolgungsängsten leide. Die Strafkammer habe hinsichtlich der Tat Nr. 2 von der fakultativen Milderung gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht. Für die am 22.04.2011 begangene Tat wurden 1 Jahr 4 Monate Freiheitsstrafe und für die am 30.05.2012 begangene 1 Jahr 6 Monate Freiheitsstrafe verhängt, woraus eine Gesamtstrafe von 2 Jahren 2 Monaten Freiheitsstrafe gebildet worden sei.
31 
Mit Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.07.2013 wurde dem Kläger - unter Hinweis auf § 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG ohne Anhörung - die Abschiebung nach Italien, frühestens einen Monat nach Zustellung der Verfügung, angedroht. Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werden sollte, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Zustellung der Verfügung zu verlassen und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in den genannten Zielstaat angedroht. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Übernahme verpflichtet sei. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Ausreisepflicht sei vollziehbar, da der Kläger entgegen dem bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) ins Bundesgebiet eingereist sei. Da er sich auf richterliche Anordnung in Haft befinde, bedürfe seine Ausreise einer Überwachung. Gemäß § 59 AufenthG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 3 und 4 FreizügG/EU werde ihm die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist von 1 Monat eingeräumt. Die notwendigen Vorkehrungen könne er auch aus der Haft treffen.
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In der Verfügung wird u.a. darauf hingewiesen, dass nach einem längeren Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ohne weitere Straftaten beim Regierungspräsidium Karlsruhe ein Antrag gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU auf nachträgliche Befristung der Wirkungen des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt und/oder Abschiebung gestellt werden könne.
33 
Gegen die Abschiebungsandrohung erhob der Kläger am 06.08.2013 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart (6 K 3244/13) und stellte einen Eilantrag, der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10.10.2013 (6 K 2721/13) abgelehnt wurde. Der Senat änderte diese Entscheidung mit Beschluss vom 05.11.2013 (11 S 2236/13) und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage an.
34 
Mit Verfügung vom 14.10.2013 hatte das Regierungspräsidium Stuttgart auf den Antrag vom 12.07.2011 die Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (Ausweisung) auf den 31.12.2016 und die Wirkungen der Abschiebungen auf den Tag nach erneut erfolgter Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ausweisungsverfügung vom 21.10.1999 gelte seit Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetz/EU zum 01.01.2005 als Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt fort, weshalb bei der Befristungsentscheidung § 7 Abs. 2 FreizügG/EU anzuwenden sei. Bei der - nunmehr gebundenen - Befristungsentscheidung müsse eine Prognose darüber getroffen werden, wann der spezialpräventive Ausweisungszweck voraussichtlich erreicht sei, also keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Dabei seien insbesondere seit der Ausweisung vom 21.10.1999 bzw. Abschiebung am 01.02.2002 neu eingetretene positive oder negative Umstände zu beachten. Neue positive Umstände seien nicht ersichtlich. Zwar gehe das Regierungspräsidium Stuttgart davon aus, dass noch bis zur erneuten Inhaftierung des Klägers im Falle einer nachgewiesenen Straffreiheit seit erfolgter Abschiebung eine sofortige Befristung hätte erfolgen müssen. Denn in diesem Fall wäre der spezialpräventive Ausweisungs- bzw. Feststellungszweck erreicht gewesen, auch wenn der Kläger das Einreiseverbot missachtet habe, als er vor April 2011 und auch vor Stellung des Befristungsantrages in das Bundesgebiet eingereist sei. Doch sei er am 05.06.2012 erneut festgenommen und inhaftiert worden. Das Landgericht Stuttgart habe ihn am 30.01.2013 rechtskräftig zu der Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 2 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung verurteilt. Die Tattage lägen im April 2011 und April 2012. Das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck wögen hier wegen der erneuten Straftaten nach Rückkehr in das Bundesgebiet ausgesprochen schwer. Im Fall des Klägers als Wiederholungstäter sei daher im ersten Schritt eine Frist von 5 Jahren ab heute angemessen, aber auch erforderlich, um den spezialpräventiven Ausweisungs- bzw. Feststellungszweck nicht zu gefährden. Dabei verkenne das Regierungspräsidium Stuttgart nicht, dass damit die Frist seit der am 01.02.2002 erfolgten Abschiebung 10 Jahre deutlich überschreite und das BVerwG im Urteil vom 13.12.2012 (1 C 20.11) u.a. ausführe, „ …. dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann.“ Hier aber werde ein Zeitraum von 11 ½ Jahren im Rückblick betrachtet, der keine Prognose darstelle. Die Prognose beziehe sich vielmehr nur auf den Zeitraum von 5 Jahren ab heute. Damit seine Bindungen zu seiner Partnerin und im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen ausreichend berücksichtigt würden, könne diese Frist um 1 Jahr, 10 Monate und 2 Wochen verkürzt werden. Insoweit sei darauf hingewiesen, dass seine Tochter volljährig und nicht auf eine väterliche Lebenshilfe angewiesen sei. Dies ergebe ein Einreise- und Aufenthaltsverbot bis 31.12.2016.
35 
Der Kläger sei am 01.02.2002 erstmals nach Italien abgeschoben worden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe beabsichtige, ihn erneut abzuschieben. Das mit den Abschiebungen verbundene Einreiseverbot werde aufgehoben, wenn auch § 7 Abs. 2 FreizügG/EU nur für die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (Ausweisung) gelte. Diese Befristungsentscheidung diene damit der Klarstellung. Im Hinblick auf die Rückführungsrichtlinie werde das mit den Abschiebungen verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den Tag nach demnächst erfolgter Abschiebung befristet.
36 
Der Kläger erhob auch insoweit Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart (6 K 4400/13) und beantragte, die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Wirkung der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (Ausweisung), auf einen Tag vor dem 01.02.2012 zu befristen. Diese Klage wurde mit Urteil vom 07.01.2014 im Wesentlichen aus den Gründen der Behördenentscheidung abgewiesen. Mit weiterem Urteil vom 07.01.2014 (6 K 3244/13) wies das Verwaltungsgericht auch die Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Regierungspräsidiums Karlsruhe ab und führte im Wesentlichen aus, Rechtsgrundlage für die verfügte Abschiebungsandrohung seien die §§ 58, 59 AufenthG. Der Kläger sei durch seine unerlaubte Einreise (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 AufenthG) vollziehbar ausreisepflichtig. Zu Recht weise der Beklagten-Vertreter insoweit darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Altausweisungen von Unionsbürgern und die daran anknüpfende Sperrwirkung auch nach dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes am 01.01.2005 (i.F. FreizügG/EU) wirksam blieben und als Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gem. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU gewertet würden. Der Kläger habe auch keine Gründe vorgetragen, warum in seinem Fall ausnahmsweise von einem Vollzug der Ausreiseverpflichtung abzusehen wäre. Seine Ausreisepflicht knüpfe an seine rechtskräftige Ausweisung bzw. die Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit an. Das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) sei zwar auf Antrag zu befristen. Über den vom Kläger am 12.07.2011 gestellten Antrag sei vom zuständigen Regierungspräsidium Stuttgart mit Verfügung vom 14.10.2013 entschieden und die Wirkung der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (Ausweisung) auf den 31.12.2016 und die Wirkungen der Abschiebungen auf den Tag nach erneut erfolgter Abschiebung befristet worden. Damit aber bestehe die an die rechtskräftige Ausweisung bzw. die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts anknüpfende Ausreiseverpflichtung fort. Gegen die Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung bestünden keine Bedenken. Das Gericht habe im Verfahren 6 K 4400/13 die gegen diese Verfügung erhobene Klage mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen. Auf die dortigen Ausführungen werde insoweit Bezug genommen. Sonstige Gründe, die der verfügten Abschiebungsandrohung entgegenstehen könnten, seien nicht geltend gemacht oder ersichtlich. Die Ausreisefrist wie auch der festgesetzte Zielstaat der Abschiebung seien nicht zu beanstanden (§ 59 Abs. 1, 2 AufenthG).
37 
Der Kläger hat gegen die ihm am 08.01.2014 zugestellten Urteile am 03.02.2014 Berufungen eingelegt, die der Senat mit Beschluss vom 30.04.2014 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Zur Begründung dieser vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufungen hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, das Verwaltungsgericht gehe davon aus, dass er aufgrund seiner unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet vollziehbar ausreisepflichtig sei. Dem stehe allerdings die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Zusammenhang mit Drittstaatsangehörigen in der Rechtssache C - 297/12 (Filev und Osmani) vom 19.09.2013 zur Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115) entgegen. Diese Entscheidung betreffe zwar zwei Fälle, in denen Drittstaatsangehörige betroffen gewesen seien, allerdings dürften Unionsangehörige wie er als italienischer Staatsangehöriger nicht schlechter gestellt werden. Da es sich bei der Ausweisung und Abschiebung um einen sogenannten Altfall handele, habe er fünf Jahre nach Durchführung seiner Abschiebung ohne rechtliche Konsequenzen wieder in das Bundesgebiet einreisen dürfen. Dementsprechend sei auch eine Abschiebungsandrohung, die sich auf eine unerlaubte Einreise stütze, rechtswidrig. § 7 Abs. 2 FreizügigG/EU stehe dem bereits entgegen, nachdem die Behörde innerhalb der Sechsmonatsfrist keine Entscheidung über den vom Kläger gestellten Befristungsantrag gefällt habe. Jedenfalls hätte keine Befristungsdauer über einen Zeitraum von länger als 10 Jahren nach seiner Abschiebung festgesetzt werden dürfen. Er sei zwar vom Landgericht Stuttgart am 30.01.2013 wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden. Bereits das Strafmaß, das sich jeweils am unteren Ende des Strafrahmens für eine gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB und eine räuberische Erpressung gemäß den §§ 255, 249 StGB befinde, lasse erkennen, dass das Landgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 30.01.2013 nicht von einer schwerwiegenden Gefahr ausgegangen sei.
38 
In der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2014 hat die Vertreterin des Regierungspräsidiums Karlsruhe die Abschiebungsandrohung wie folgt geändert:
39 
Satz 1 wird durch folgenden Text ersetzt:
40 
Für den Fall, dass die Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 bestandskräftig wird, wird Ihnen hiermit die Abschiebung nach Italien angedroht.
41 
In Satz 2 wird das Wort „Zustellung“ ersetzt durch „Bestandskraft“
42 
In Satz 4 wird der Ausdruck „nach Zustellung“ ersetzt mit „nach Haftentlassung“.
43 
Satz 5 wird neu gefasst:
44 
Für den Fall, dass die Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 bestandskräftig wird und Sie nicht fristgerecht ausreisen, wird Ihnen die Abschiebung in den o.g. Zielstaat angedroht.
45 
Der Kläger beantragt,
46 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 07.01.2014 - 6 K 3244/13 zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.07.2013 in der Fassung vom heutigen Tage aufzuheben und
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 07.01.2014 - 6 K 4400/13 - zu ändern, die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Wirkung der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (Ausweisung) auf den 31.01.2012 zu befristen.
47 
Das beklagte Land beantragt,
48 
die Berufungen zurückzuweisen.
49 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe tritt der Berufung, mit der der Kläger sein Anfechtungsbegehren gegen die Abschiebungsandrohung weiterverfolgt, entgegen.
50 
Soweit der Kläger sein Verpflichtungsbegehren hinsichtlich der Befristung weiterverfolgt, macht das Regierungspräsidium Stuttgart geltend, dass, auch wenn der Kläger bereits am 12.07.2011 einen Antrag auf Befristung gestellt habe, über den erst am 14.10.2013 entschieden worden sei, dies nicht dazu führen könne, dass die nunmehr verfügte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtswidrig wäre. Der Kläger sei selbst damit einverstanden gewesen, dass die Entscheidung noch nicht ergehe. Entscheidend sei zudem, dass auch zu einem früheren Zeitpunkt eine Entscheidung hätte ergehen müssen, die sich an den vom Kläger ausgehenden Gefahren und dem öffentlichen Interesse der Gefahrenabwehr hätte orientieren müssen. Aus der ex ante-Sicht könne sich dabei zwar, aufgrund der damals noch fehlenden Tatsachengrundlagen, ergeben, dass eine für den Kläger positive Prognose hätte getroffen werden müssen. Aus der ex post-Sicht werde aber deutlich, dass zu jedem Zeitpunkt, also auch zum Zeitpunkt der Antragstellung, eine erhebliche Gefahr vom Kläger ausgegangen sei, die sich schließlich sogar in der vom Kläger begangenen Straftaten realisiert habe. Eine Argumentation, die darauf abziele, dass der Kläger einen Anspruch auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zum Zeitpunkt der Antragstellung gehabt hätte, gehe deshalb ebenfalls fehl. Zudem sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 26 Abs. 2 LVwVfG gehabt habe, der er nicht nachgekommen sei. Im Übrigen habe der Kläger mit seiner unerlaubten Einreise gegen Art. 32 Abs. 2 RL 2004/38/EG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU verstoßen. Die Befristungsentscheidung sei umfassend begründet worden. Insbesondere habe das Regierungspräsidium Stuttgart die Wiederholungsgefahr und die fortbestehenden spezialpräventive Gründe dargelegt. Die Prognose beziehe sich dabei lediglich auf eine Dauer von 5 Jahren. Schließlich seien auch die Bindungen des Klägers angemessen und ausreichend berücksichtigt worden. Das Regierungspräsidium erkenne auch an, dass Unionsbürger gegenüber Drittstaatsangehörigen nicht benachteiligt werden dürften. Insoweit gelte, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot so lange bestehen könne wie noch Gefahren vom Ausländer ausgingen und das öffentliche Interesse an der Abwehr dieser Gefahren überwiege (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - sowie Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -). Dabei gehe das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass sogar eine einmal festgesetzte Frist jederzeit verändert werden könne, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen änderten (vgl. Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -). In der Kommentar-Literatur sei auch anerkannt, dass im Rahmen der nach § 11 AufenthG bestehenden Sperrfristen auch eine Verlängerung in Betracht komme. Dies müsse dann aber gleichermaßen für die Bemessung der Frist nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gelten. Demnach gehe der vom Kläger vorgebrachte Einwand, das gegen ihn bestehende Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehe mittlerweile seit mehr als zehn Jahren, ins Leere.
51 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Berufungsakte, den Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie den Verwaltungsakten der Regierungspräsidien Karlsruhe und Stuttgart sowie des Landratsamts Ludwigsburg. Dem Senat liegen des Weiteren die Strafakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (17 KLs 213 Js 48340/12) und die Gefangenenpersonalakten der JVA ..., die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, vor.

Entscheidungsgründe

 
52 
Die zulässigen, insbesondere rechtzeitig erfolgten und rechtzeitig innerhalb der Begründungsfrist unter Stellung eines Antrags begründeten Berufungen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, S. 1420 m.w.N.) des Klägers haben Erfolg.
A.
53 
Die Berufung, mit der der Kläger sein Verpflichtungsbegehren auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung weiterverfolgt, ist zulässig und begründet.
I.
54 
Die Verpflichtungsklage ist zulässig.
55 
Der Antrag des Klägers vom 13.07.2011, der sinngemäß auf sofortige Aufhebung/Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aufgrund der Ausweisung vom 21.10.1999 („auf einen Tag vor heute“) gerichtet war, ist insoweit mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 abgelehnt worden, als eine Befristung erst mit Wirkung zum 31.12.2016 erfolgt ist. Mit der Klage verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren teilweise weiter, indem er die rückwirkende Aufhebung/Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung vom 21.10.1999 nun zum 31.01.2012 begehrt. Dem Kläger fehlt nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für dieses Begehren. Denn die Wirkungen der Ausweisung/Verlustfeststellung dauern ohne Aufhebung/Befristung weiterhin an und können dem Kläger entgegengehalten werden. Auch für bereits vergangene Zeiträume fehlt dem Kläger, der zuletzt Anfang 2012 eingereist ist, nicht das Rechtsschutzbedürfnis, unabhängig davon, ob diese ihm in Hinblick auf eine Daueraufenthaltsberechtigung angesichts der nachfolgenden Strafhaft nützen könnten (vgl. EuGH, Urteil vom 16.01.2014 - C-378/12 - juris). Denn, soweit es für die Vergangenheit bei dem Einreise- und Aufenthaltsverbot bleiben würde, könnten sich hieraus nach § 9 FreizügG/EU strafrechtliche Konsequenzen ergeben, für die dann auch die Dauer des Verstoßes von Bedeutung wäre.
56 
Der Senat schließt sich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris) an, wonach Unionsbürger, die bei Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes bereits bestandskräftig ausgewiesen waren, im Bundesgebiet aufgrund der Fortwirkung des Aufenthaltsverbots nicht mehr freizügigkeitsberechtigt sind.
57 
Die Alt-Ausweisung wirkt als Verlustfeststellung im Sinne des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU fort und hat sich nicht durch die Änderung der Rechtslage erledigt. Gegenstand der Ausweisung war - ungeachtet der Folgen, die sich aus §§ 8 Abs. 2, 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ergaben - die für den Ausgewiesenen verbindliche Regelung seines Aufenthaltsstatus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht intertemporal der Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU der auf einer vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes (01.01.2005), wie hier, bestandskräftig gewordenen Ausweisung beruhende Verlust des Freizügigkeitsrechts gleich, da sich die Rechtswirkungen der beiden Rechtsakte entsprechen (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - m.w.N., juris). Hiervon ausgehend findet das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund einer nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG i.V.m. Ausländergesetz verfügten Ausweisung eines Unionsbürgers (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl., § 7 Rn. 20) nun ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Es ist weder mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes vom 30.07.2004 zum 01.01.2005 noch, soweit die Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie hierin nicht ausreichend erfolgt sein sollte, mit deren unmittelbaren Geltung ab dem 01.05.2006 entfallen. Denn sowohl die Richtlinie als auch das Freizügigkeitsgesetz sehen vor, dass es solange weiterbesteht, bis eine Aufhebung/Befristung erfolgt ist.
58 
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot der als Verlustfeststellung fortgeltenden Ausweisung vom 21.10.1999 wurde auch nicht durch das Inkrafttreten der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - berührt. Die Rückführungsrichtlinie ist - ebenso wie die hierzu vom Europäischen Gerichtshof ergangene Rechtsprechung - auf den Kläger nicht anwendbar. Gemäß Art. 2 findet diese Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Nach Art. 3 Ziff. 1 der Richtlinie 2008/115/EG sind „Drittstaatsangehörige“ alle Personen, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 EG-Vertrag sind und die nicht das Unionsrecht auf freien Personenverkehr nach Artikel 2 Absatz 5 des Schengener Grenzkodex genießen. Damit findet die Richtlinie auf den Kläger als Unionsbürger, unabhängig davon, ob seine Freizügigkeit hinsichtlich der Einreise- und des Aufenthalts im Bundesgebiet eingeschränkt ist, keine Anwendung.
59 
Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht aus dem unionsrechtlichen Diskriminierungsgebot. Hieraus lässt sich insbesondere nicht unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Rückkehrentscheidungen ableiten, dass die Wirkungen der als Verlustfeststellung fortwirkenden Alt-Ausweisung des Klägers bereits, ohne dass es einer Aufhebung/Befristung bedürfte, beendet sind. Der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 19.09.2013 - C-297/12, Filev u. Osmani - juris) hat in Bezug auf Rückkehrentscheidungen im Sinne Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie zwar entschieden, dass es für die Erreichung des Ziels von Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG nicht genüge, wenn die Befristung eines aufgrund einer solchen Entscheidung bestehenden Einreiseverbots im innerstaatlichen Recht von einem Antrag des betreffenden Drittstaatsangehörigen abhängig gemacht wird. Dieses Ziel bestehe nämlich u.a. darin zu gewährleisten, dass die Dauer eines Einreiseverbots fünf Jahre nicht überschreite, es sei denn, die betreffende Person stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar. Einem Drittstaatsangehörigen, der sich unmittelbar auf die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG habe berufen können, dürfe nicht mehr entgegenhalten werden, dass später von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden sei, da dies eine Verschlechterung seiner Situation zur Folge hätte. Damit enden im Ergebnis Einreiseverbote aus einer früheren Rück-kehrentscheidung für Drittstaatsangehörige, wenn sie vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 bereits mehr als fünf Jahre bestanden, außer sie wurden gegen Drittstaatsangehörige verhängt, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen.
60 
Diese Grundsätze finden aber schon deshalb auf Einreiseverbote, die aufgrund von Ausweisungen nach dem Ausländergesetz oder Aufenthaltsgesetz bestehen, keine Anwendung, weil diese Ausweisungen als solche auch gegenüber Drittstaatsangehörigen keine Rückkehrentscheidungen im Sinne i.S.d. Art. 3 Nr. 4 Richtlinie 2008/115/EG sind (std. Rspr. des Senats, vgl. u.a. Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -; vgl. auch OLG München, Urteil vom 16.07.2012 - 4 StRR 107/12 - juris). Daran hält der Senat auch nach Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19.09.2013 (- C-297/12, Filev u. Osmani -) fest (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 - juris). Unabhängig davon scheidet eine Schlechterstellung des Klägers gegenüber Drittstaatsangehörigen aber schon deswegen aus, weil hier ein Fall gegeben ist, in dem auch bei diesen das Einreiseverbot aufgrund einer Rückkehrentscheidung nicht nach fünf Jahren geendet hätte, da vom Kläger angesichts der der Ausweisung/Verlustfeststellung zugrundeliegenden Straftaten weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt hätte. Ein Verstoß des Fortwirkens der Alt-Ausweisung/Verlustfeststellung gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsgebot lässt sich insoweit schließlich auch aus § 11 Abs. 1 AufenthG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht herleiten, da danach unbefristete Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen nach Ablauf von zehn Jahren ihre Wirkung nicht automatisch verlieren.
61 
Damit lässt sich weder dem nationalen Recht noch Unionsrecht entnehmen, dass die Wirkungen der Ausweisung/Verlustfeststellung gegenüber dem Kläger nicht grundsätzlich so lange fortdauern, bis sie aufgehoben bzw. befristet worden sind.
II.
62 
Die Verpflichtungsklage ist auch begründet. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
63 
Das Regierungspräsidium Stuttgart ist für die Befristungsentscheidung nach § 9 Abs. 1 AAZuVO zuständig, da die Ausweisungsverfügung von diesem erlassen worden war. Dem Kläger steht gegenüber der zuständigen Behörde auf der Grundlage des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU der geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots/Befristung der Wirkungen der Ausweisung vom 21.10.1999 auf den 31.01.2012 zu.
64 
1. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU wird das durch die Ausweisung/Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Aufenthaltsverbot auf Antrag befristet. Nach § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU ist über einen nach angemessener Frist oder drei Jahren gestellten Antrag auf Aufhebung innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden. § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU setzen Art. 32 Abs. 1 UnionsRL um. Zwar heißt es in der Begründung zur Einfügung des Satz 4 durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19.08.2007 (BGBl. I, 1970), der neue Absatz 2 Satz 4 setze Artikel 32 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie um (BT-Drucks. 16/5065, zu Nummer 8 b) cc), S. 212). Dass hiermit aber nicht neben einer in den Sätzen 2 und 3 der Vorschrift geregelten nationalen Befristung zur Umsetzung des Art. 31 Abs. 1 UnionsRL ein zusätzliches unionsrechtliches Aufhebungsverfahren geschaffen werden sollte, auch wenn im Satz 2 weiterhin von der Befristung die Rede ist, während in Satz 4 mit dem Begriff der Aufhebung die Terminologie der Richtlinie übernommen wird, ergibt sich ebenfalls aus der Begründung zur Änderung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007. Denn dort heißt es zu Absatz 2 Satz 2 (BT-Drucks. 16/5065, zu Nummer 8 b) bb), S. 212): „Die bisherige Regelung, wonach eine Einreisesperre von Amts wegen zu befristen ist, geht über die Richtlinie hinaus. Die Sperre soll auf Antrag befristet werden.“ Der Gesetzgeber wollte somit das eingeführte Antragserfordernis für das Befristungsverfahren mit der Anfügung des Satzes 4 den Vorgaben des Art. 31 Abs. 1 UnionsRL anpassen. Dementsprechend regeln die Sätze 2 und 4 ein einheitliches Verfahren. Hiervon ausgehend lässt sich die Befristung ohne sofortige Wirkung auch als Aufhebung für die Zukunft verstehen. Die in Satz 4 eingefügte Regelung geht allerdings insofern in zulässiger Weise über die Richtlinie hinaus, als sie die Höchstfrist von drei Jahren nicht an eine erfolgte Vollstreckung knüpft.
65 
Nach § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU hat ein Unionsbürger damit nach nationalem Recht spätestens drei Jahre nach Erlass der Ausweisung/Verlustfeststellung auf Antrag einen Anspruch auf eine Aufhebungs-/Befristungsentscheidung, wobei die Befristung auf sofort oder einen zukünftigen Zeitpunkt erfolgen kann. Gegen diese Entscheidung kann er einen Rechtsbehelf einlegen, wobei einer Überprüfung des neuen Antrags nicht entgegensteht, wenn er im Rahmen einer früheren Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat (EuGH, Urteil vom 17.06.1997, Shingara und Radiom - C-65/95 und C-111/95, Slg. 1997, I-3343 Rn. 41, 42). Auf Antrag ist eine Aufhebung/Befristung zwingend vorzunehmen, was der für Drittstaatsangehörige grundsätzlich geltenden Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (Ausnahme: § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG) entspricht (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris).
66 
2. Weiterhin besteht bezüglich der Festsetzung der Dauer der Frist/des Umfangs der Aufhebung auch bei der Aufhebung/Befristung von Ausweisungen/Verlustfeststellungen kein Ermessen. Zur Regelung des § 11 AufenthG hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollständig zu überprüfen ist. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). Der Senat geht davon aus, dass auch bei der Aufhebung/Befristung auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 FreizügG/EU die Bestimmung der Fristdauer bzw. des Umfangs der Aufhebung nun ebenfalls als gebundene Entscheidung anzusehen und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2007 (- 1 C 21.07 -), nach der über die Länge der Frist im Ermessen zu entscheiden war, insoweit überholt ist.
67 
3. Maßgeblich für die Entscheidung über die Aufhebung bzw. die Befristung sind ausschließlich Änderungen der tatsächlichen Umstände nach Erlass der Ausweisung/Verlustfeststellung.
68 
Die Durchbrechung der Bestandskraft der Ausweisung/Verlustfeststellung im Wege der Aufhebung/Befristung ist ausgeschlossen. Diese regelt von der rechtsgestaltenden Wirkung der Verfügung und den bereits eingetretenen Folgen ausgehend den Wegfall bzw. die Dauer ihrer Rechtsfolgen für die Zukunft, wobei ihr die Berücksichtigung von Änderungen der Sachlage vorbehalten ist. Dementsprechend kann die ursprüngliche Rechtswidrigkeit einer Alt-Ausweisung, die auf einer unrichtigen Tatsachen- oder Rechtsgrundlage oder fehlerhaften Beurteilung der Sach- bzw. Rechtslage beruht, für die Frage der Rücknahme einer Ausweisung/Verlustfeststellung Bedeutung haben. Auch können Änderungen der Rechtslage oder der Rechtsprechung im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Widerruf berücksichtigt werden (BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris). Bei der Aufhebung/Befristung bleiben diese Fragen außer Betracht.
69 
a) Dabei kann hier offenbleiben, ob eine Rechtsänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 LVwVfG durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU eingetreten ist oder sich die Neuregelungen aufgrund von § 102 Abs. 1 AufenthG nicht auswirken, der insoweit anordnet, dass die Ausweisung und ihre Folgewirkungen - allerdings nicht die ihr zugrundeliegenden Regelungen - fortgelten, da Ausweisungen/Verlustfeststellungen auch nach dem neuen Recht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU Aufenthaltsverbote auslösen (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris). Denn unabhängig davon, ob diese Rechtsänderung ein Wiederaufgreifen eröffnet, sind die durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zugunsten von Unionsbürgern geänderten Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisung/Verlustfeststellung bei der Entscheidung über den Umfang der Aufhebung bzw. die Ermittlung der festzusetzenden Frist für die Wirkungen der Alt-Ausweisung nicht zu berücksichtigen.
70 
Entsprechendes gilt für die Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie. Auch unionsrechtlich ist es nicht geboten, nach Ablauf der Umsetzungsfrist den mit der Unionsbürgerrichtlinie eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern nachträglich im Rahmen einer Aufhebungs-/Befristungsentscheidung zugutekommen zu lassen. Etwas anderes ergibt sich nicht aus Art. 32 Abs. 1 UnionsRL, wonach Unionsbürger die Aufhebung eines Aufenthaltsverbots unter Hinweis darauf beantragen können, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“, da mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ ebenfalls nur Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint sind (vgl. Urteil des Senats vom 23.07.2008 - 11 S 2889/07 - juris m.w.N.).
71 
b) Ausgehend von der obigen Abgrenzung ist schließlich auch die mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (1 C 30.02 - juris) erfolgte Änderung der bis dahin geltenden Rechtsprechung, mit der Folge, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger nach § 12 Aufenthaltsgesetz/EWG i.V.m. §§ 45, 46 AuslG nur noch auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden durften und § 47 AuslG als Rechtsgrundlage ausschied, im Rahmen der hier zu beurteilenden Befristungsentscheidung ohne Bedeutung.
72 
c) Bei Änderungen der Sachlage ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts demgegenüber ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 49 LVwVfG auch schon vor der Ausreise grundsätzlich oder jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - und vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris zu § 11 AufenthG). Solche Änderungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteile vom 06.03.2014 - 1 C 2.13 - und - 1 C 5.13 - juris, m.w.N.) im Ergebnis auch dann ausschließlich bei der Befristung zu berücksichtigen, wenn sie grundsätzlich einen Widerruf der bestandskräftigen Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit mit sofortiger Wirkung rechtfertigen würden (vgl. § 51 Abs. 5 und § 49 Abs. 1 LVwVfG).
73 
Die damit allein zu stellende Frage, ob der damalige - sich hier aus den der Ausweisung zugrunde liegenden Straftaten ergebende - Ausweisungszweck unter Berücksichtigung der seit Erlass der Ausweisung eingetretenen tatsächlichen Änderungen die Fortdauer des Aufenthaltsverbots weiterhin bis zum 31.12.2016 rechtfertigt oder, wie der Kläger meint, nur noch bis zum 31.01.2012 gerechtfertigt hat, ist allerdings mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU, Art. 27 ff. UnionsRL (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris; Urteil des Senats vom 23.07.2008 - 11 S 2889/07 - juris) zu beantworten.
74 
4. Weiterhin ergibt sich aus der Frist des § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU i.V.m. Art. 32 Abs. 1 Unterabsatz 2 UnionsRL, wonach die Behörde verpflichtet ist, über den Anspruch auf Aufhebung/Befristung spätestens nach Ablauf von sechs Monaten zu entscheiden, u.a., dass spätere Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu Lasten des Unionsbürgers berücksichtigt werden dürfen. Schon die Formulierung der verschiedenen Sprachfassungen (muss binnen … eine Entscheidung treffen, shall reach a decision … within, se prononcer … dans) lässt erkennen, dass es dem Richtliniengeber darum ging, die Dauer des Verfahrens ausnahmslos auf sechs Monate zu begrenzen, so dass danach das Aufenthaltsverbot entweder beendet ist oder aber auf der Grundlage einer aktuellen Prüfung zunächst weitergilt, wobei die Behörde es nicht in der Hand haben soll, die Realisierung dieses Anspruchs durch eine Verzögerung der Bescheidung des Antrags zumindest zu erschweren (vgl. auch unten B.).
75 
Art. 32 Abs. 1 UnionsRL dient entsprechend dem Erwägungsgrund 27 u.a. dazu, dass die Mitgliedstaaten gegen Unionsbürger kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit verhängen bzw. aufrechterhalten. Nachdem Art. 30 Abs. 1 des Vorschlags der Kommission mit dem Verbot der Ausweisung auf Lebenszeit entfallen und inhaltlich in den Erwägungsgrund 27 des Gemeinsamen Standpunkts übernommen worden war, sollte der jetzige Art. 32 Abs. 1 die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltsverbots gewährleisten. Erwägungsgrund 27 lautet: „Im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Mitgliedstaaten gegen die Begünstigten dieser Richtlinie kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit verhängen dürfen, sollte bestätigt werden, dass ein Unionsbürger oder einer seiner Familienangehörigen, gegen den ein Mitgliedstaat ein Aufenthaltsverbot verhängt hat, nach einem angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber nach Ablauf von drei Jahren nach Vollstreckung des endgültigen Aufenthaltsverbots, einen neuen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots stellen kann“. In diesem Sinne stellt nun der Aufhebungs-/Befristungsanspruch sicher, dass das an eine Ausweisung/Verlustfeststellung anknüpfende Aufenthaltsverbot als Ausnahme vom Grundprinzip der Freizügigkeit jedenfalls auf Antrag nicht ohne erneute Prüfung unbegrenzt weiterwirkt. Die in Unterabsatz 2 dieser Vorschrift bestimmte Entscheidungsfrist ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Sie garantiert, dass diese Prüfung nicht zu Lasten des Unionsbürgers verzögert wird. Damit dient die Entscheidungsfrist der effektiven Durchsetzung des Anspruchs auf Aufhebung/Befristung eines anfänglich unbefristeten Aufenthaltsverbots und stellt nicht lediglich eine verfahrensrechtliche Ordnungsfrist dar. Da der Unionsbürger dementsprechend einen uneingeschränkten subjektiven Anspruch auf Aufhebung/Befristung eines noch unbefristeten Aufenthaltsverbots innerhalb von sechs Monaten hat, darf ihm eine in diesem Zeitpunkt zustehende materielle Rechtsposition nicht mehr genommen werden, wenn die Behörde unter Missachtung dieser Frist erst verspätet entscheidet.
76 
5. a) Bei der Entscheidung über den Umfang der Aufhebung bzw. der Länge der Frist sind das Gewicht des Grundes für die Ausweisung/Verlustfeststellung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris unter Hinweis auf BT-Drucks. 15/420 S. 105). Die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierte äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers, z.B. familiäre Belange des Betroffenen, die nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen haben, in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris).
77 
b) Weiterhin ist das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot bei der Entscheidung über den Umfang der Aufhebung bzw. der Länge der Frist zu beachten. Für Drittstaatsangehörige gilt nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, dass die Frist fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Vorschrift stellt bei der im ersten Schritt vorzunehmenden prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont dar, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris). Die Dauer dieser bereits bei Erlass der Ausweisung zu bestimmenden Frist darf damit nach nationalem Recht für Drittstaatsangehörige in der Regel nicht länger als fünf Jahre und nach den Darlegungen des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht länger als 10 Jahre sein, wobei diese Fristen nach der Ausreise - ohne dass es darauf ankommt, ob der Ausweisungszweck noch fortbesteht und vorbehaltlich der Möglichkeit einer Verkürzung - ablaufen (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.11.2013 - 1 B 11.13 -, juris).
78 
aa) Um eine Benachteiligung von Unionsbürgern zu vermeiden, müssen zumindest diese Höchstgrenzen auch für die auf Antrag (zum Anspruch Drittstaatsangehöriger auf anfängliche Befristung vgl. unten B.) erfolgende nachträgliche Aufhebung/Befristung der Wirkungen von Ausweisungen/Verlustfeststellungen beachtet werden. Der Senat verkennt nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht die allgemeine Höchstgrenze von 10 Jahren damit begründet, dass keine weiter in die Zukunft gehende Prognose getroffen werden kann und diese Überlegung bei der Entscheidung über einen neun Jahre nach der Abschiebung erfolgten Aufhebungs-/Befristungsantrag nicht greift. Diese Rechtsprechung hat aber u.a. zur Folge, dass nach Erlass einer anfänglich aufgrund einer Prognose rechtmäßig befristeten Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen begangene - ggf. auch einschlägige - weitere Straftaten oder unerlaubte Einreisen den Ablauf der Frist nicht unterbrechen oder hemmen.
79 
(1) Auch wenn in der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums des Innern zum Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Stand: 07.04.2014, Zu Nummer 8) zum dort vorgesehenen Absatz 8 der Neuregelung des § 11 AufenthG, der eine Unterbrechung des Fristablaufs durch eine unerlaubte Einreise vorsieht, ausgeführt wird, die Regelung stelle klar, dass der Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach einer unerlaubten Wiedereinreise nicht im Bundesgebiet abgewartet werden könne, entspricht dies nicht der jetzigen Rechtslage, da § 11 AufenthG in der derzeitigen Fassung keinen Hinweis auf eine solche Unterbrechung der Frist enthält, so dass die Frist nach der ersten maßgeblichen Ausreise oder Abschiebung allein durch den anschließenden Zeitablauf endet (vgl. Urteil des Senats vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 - juris Rn. 73 m.w.N), ohne dass es auf danach eintretende Ereignisse ankommt.
80 
(2) Eine behördliche Bestimmung der Hemmung des Fristablaufs stünde zwar - anders als die Bestimmung des Neubeginns (früher: Unterbrechung) - nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, dass die Frist mit der Ausreise beginnt. Denn sie berührt den Fristbeginn nicht, sondern modifiziert ausschließlich den im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Ablauf der von der Behörde zu setzenden Frist. Dennoch ist auch die Regelung einer Hemmung aber derzeit nicht im Rahmen und als Teil der Bestimmung der Fristdauer möglich, sondern bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Auch dies entnimmt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung nach § 11 AufenthG (vgl. Urteil des Senats vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -). Darin hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nur betont, dass es sich bei der Befristung um eine gerichtlich vollständig überprüfbare Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sondern es hat selbst in Fallkonstellationen, in denen besonders gefahrbringende Gewohnheiten oder persönliche Eigenschaften vorlagen, dem jeweiligen Kläger einen Anspruch auf unbedingte Befristung unter zehn Jahren zugesprochen, ohne bei der Festsetzung dieser Fristdauer eine solch naheliegende Bestimmung zum Fristablauf wie die Hemmung z.B. im Falle der unerlaubten Einreise bis zur erneuten Ausreise überhaupt in Betracht zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris, vgl. hierzu unten).
81 
(3) Entsprechendes gilt für die Frage, ob die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG mit Bedingungen versehen werden kann (so BayVGH, Beschluss vom 21.11.2013 - 19 C 13.1206 -; a.A. OVG Niedersachsen, Urteil vom 07.03.2013 - 11 LB 167/12 - juris). Insofern verkennt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so dass § 36 Abs. 2 LVwVfG nicht anwendbar ist, und dass das Bundesverwaltungsgericht durchaus auch in Fallkonstellationen, in denen es keine Anhaltspunkte dafür gab, dass der Ausweisungszweck vor Ablauf von 10 Jahren entfallen könnte, dem jeweiligen Drittstaatsangehörigen einen Anspruch auf unbedingte Befristung unter zehn Jahren zugesprochen hat.
82 
(4) Schließlich kommt auch die Verlängerung einer prognostisch auf zehn Jahre festgesetzten Frist gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG schon deswegen nicht in Betracht, weil diese Fristbestimmung, wie dargelegt, unabhängig von nachträglich eintretenden Tatsachen erfolgt und erfolgen muss und eine erneute Straffälligkeit zudem Grundlage des Erlasses einer weiteren Ausweisung auch noch vor Ablauf der Frist sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.11.1985 - 1 C 40.82 - juris; vgl. jetzt den Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, Stand 07.04.2014, S. 35 f., dort § 11 Abs. 4 Satz 2). Weiterhin ist auch eine nachträgliche Verlängerung vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht in die Betrachtung einbezogen worden, das die Möglichkeit der Verkürzung der Frist auf erneuten Antrag regelmäßig betont und im Übrigen lediglich unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG darlegt, dass der Ablauf der Frist nicht dazu führe, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 - 1 C 14.12 - und - 1 C 20.11 - juris).
83 
Ist es aber grundsätzlich so, dass eine Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen nach nationalem Recht auf höchstens 10 Jahre zu befristen ist und läuft diese Frist unabhängig davon ab, ob der Ausweisungszweck fortbesteht und/oder neue Ausweisungsgründe verwirklicht werden, so dass ihm deren Wirkungen spätestens nach Ablauf von 10 Jahren ab Ausreise nicht mehr entgegen gehalten werden können, hat dies zur Folge, dass auch eine auf Antrag nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU vorzunehmende Aufhebung/Befristung jedenfalls nach erfolgter Ausreise über diese Zeitspanne regelmäßig nicht hinausgehen darf. Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht daraus, dass der Drittstaatsangehörige auch nach Ablauf der Befristungsdauer für die Einreise einen Aufenthaltstitel benötigt, der u.U. versagt werden kann, wenn weiterhin oder erneut Ausweisungsgründe vorliegen. Denn diesem Aspekt steht das besondere Gewicht der Freizügigkeit des Unionsbürgers gegenüber, in die das Aufenthaltsverbot bei diesem eingreift.
84 
bb) Im Übrigen zeigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung, dass es sich auch in der Sache um eine, sich nicht nur aus der begrenzten Vorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen ergebende, sondern jedenfalls grundsätzlich maßgebliche Höchstgrenze handelt (vgl. hierzu Referentenentwurf § 11 Abs. 3 Satz 2). Denn das Bundesverwaltungsgericht reduziert diese 10-Jahresfrist auch bei Fehlen von Anhaltspunkten für einen früheren Wegfall des Ausweisungszwecks regelmäßig aus prognoseunabhängigen bzw. prognoseindifferenten Gründen der Verhältnismäßigkeit und ausgehend von den aktuellen persönlichen Verhältnissen des Drittstaatsangehörigen. Es verweist sie selbst dann, wenn der für den Fristlauf maßgebliche Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris; Beschluss vom 11.11.2013 - 1 B 11.13 - juris; sowie dazu im Folgenden) und die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden persönlichen Verhältnisse (z.B. Alter der Kinder, Fortbestand der Ehe, Erwerbstätigkeit etc.) noch in keiner Weise abschätzbar sind, nicht unter Ausschöpfung der 10-Jahresfrist auf die Möglichkeit einer nachträglichen Fristverkürzung. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren, in dem der Kläger wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden war, ausgeführt, vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds sei nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf von sieben Jahren unterschreiten werde (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). In einem anderen Verfahren, in dem der Kläger wegen un-erlaubten Handeltreibens sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt worden war, hat das Bundesverwaltungsgericht eine Frist von neun Jahren für angemessen gehalten. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der fortbestehenden Verbindungen des Klägers zu einzelnen Mitgliedern seiner früheren Drogenhändlerbande sowie seines Alters sei eine Befristung für einen Zeitraum von zehn Jahren erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in seiner Person Rechnung zu tragen. Diese Frist habe der Senat um ein Jahr reduziert und damit den persönlichen Bindungen des Klägers an Deutschland als Land, in dem er geboren und aufgewachsen sei und in dem seine Familie lebe, Rechnung getragen (BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris). Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht in einem weiteren Fall einen Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots eines aus familiären Gründen bis auf Weiteres geduldeten Klägers auf fünf Jahre nach Ausreise angenommen und hierzu dargelegt, es bestehe nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der Person des Klägers, der keinerlei Neigung zeige, von seiner Unterstützung der PKK abzusehen, weiterhin die Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus (§ 54 Nr. 5 AufenthG) und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Der Senat gehe davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstelle, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden könne. Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass der Kläger durch Erwerbstätigkeit seine Familie unterhalte und mit ihr in familiärer Lebensgemeinschaft lebe und dass mehrere seiner Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, so dass er über starke familiäre Bindungen in Deutschland verfüge. Die Festsetzung einer Sperrfrist von fünf Jahren sei daher verhältnismäßig (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
85 
Von dieser Rechtsprechung ausgehend ist es nicht gerechtfertigt, bei einer auf Antrag nachträglich vorzunehmenden Aufhebung/Befristung von gegenüber Unionsbürgern ergangenen Ausweisungen/Verlustfeststellungen über die Zehnjahresgrenze hinauszugehen, selbst wenn sich die Rückfallgefahr inzwischen realisiert hat, da dies auch bei prognostischen Befristungsentscheidungen gegenüber Drittstaatsangehörigen in Kauf genommen bzw. zugrunde gelegt wird und diese nicht etwa darauf verwiesen werden, nach fünf, sieben bzw. neun Jahren - ohne weitere einschlägige Taten bzw. Handlungen - eine Fristverkürzung zu beantragen.
86 
b) Nach diesem Maßstab hatte der Kläger Anspruch auf die beantragte Aufhebung/Befristung zum 31.01.2012. Zunächst ist das Regierungspräsidium Stuttgart selbst davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls vor der erneuten Inhaftierung am 05.06.2012 und damit bis zum Ablauf der sechsmonatigen Entscheidungsfrist am 13.01.2012 einen Anspruch auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots gehabt hätte. Soweit die Behörde ihre dargelegte Einschätzung dahingehend eingeschränkt hat, dass der Anspruch auf sofortige Befristung nur bei nachgewiesener Straffreiheit seit erfolgter Abschiebung bestanden hätte, verkennt sie jedenfalls, dass sie wegen der strikten Entscheidungsfrist nicht berechtigt war, die Verurteilung - und die Begehung der weiteren Straftat - abzuwarten. Soweit hierzu vorgetragen wird, dass der Kläger-Vertreter im Befristungsverfahren mit dem Zuwarten einverstanden gewesen sei, kann offenbleiben, welche Rechtswirkungen ein solches Einverständnis haben könnte. Denn im vorliegenden Fall hat der Kläger nicht auf seine verfahrensrechtliche Position (vgl. unten B.) aufgrund der Überschreitung der Entscheidungsfrist und auch nicht auf das damit verbundene Verwertungsverbot bezüglich später eingetretener nachteiliger Änderungen der Sachlage verzichtet. Das Schreiben vom 20.06.2012, auf das sich der Beklagte insoweit bezieht, stellt die Antwort auf ein Schreiben vom 16.06.2012 dar, in dem das Regierungspräsidium angeregt hatte, den Antrag wegen der neuerlichen Straftaten zurückzunehmen, und mitgeteilt hatte, dass der Ausgang des Strafverfahrens in jedem Fall abgewartet werden müsse, um eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können. Wenn der Kläger-Vertreter daraufhin bittet abzuwarten, weil im aktuellen Strafverfahren noch nichts entschieden sei, lässt sich hieraus nichts dafür herleiten, dass er sich mit der Einbeziehung auch der Straftat vom April 2012 in die Aufhebungs-/Befristungsentscheidung einverstanden erklären wollte, zumal er mitgeteilt hat, dass der - ursprünglich gestellte - Antrag aufrecht erhalten bleibt.
87 
Die Frist durfte in dem danach maßgeblichen Zeitpunkt 10 Jahre nicht überschreiten. Insbesondere konnte den Wertungen und Belangen nach § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU nicht durch die Verkürzung einer Frist von weiteren fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der - verspäteten - Aufhebungs-/Befristungsent-scheidung Rechnung getragen werden. Vielmehr musste über die Gesamtdauer des unbefristeten Aufenthaltsverbots aus der Entscheidung vom 21.10.1999 befunden werden, das mit der das Einreiseverbot auslösenden Abschiebung am 01.02.2002 vollzogen worden war. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bis zum 31.12.2016 entspricht damit einer Befristung auf dreizehn Jahre und elf Monaten ab dem Zeitpunkt der Abschiebung, die hier ausgehend von der maßgeblichen Situation bei Ablauf der Sechs-Monats-Frist auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist.
88 
Damit ist die Verpflichtungsklage des Klägers uneingeschränkt begründet, weil eine Frist, die länger als 10 Jahre nach Ausreise liefe, hier nicht gerechtfertigt ist, so dass er nach § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU einen Anspruch auf die von ihm begehrte Aufhebung des Aufenthaltsverbots mit Wirkung zum 31.01.2012 hat.
B.
89 
Die Berufung, mit der der Kläger sein Anfechtungsbegehren gegen die Abschiebungsandrohung weiterverfolgt, ist ebenfalls zulässig und begründet.
I.
90 
Die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe für den Erlass der Abschiebungsandrohung folgt aus § 71 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung Baden-Württemberg vom 02.12.2008, nachdem die vom Regierungspräsidium Stuttgart erlassene Ausweisung bestandskräftig ist. Denn das FreizügG/EU enthält keine spezifischen Zuständigkeitsbestimmungen, sondern bestimmt lediglich, dass die Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts sowie die daran anknüpfenden Maßnahmen gemäß § 7 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FreizügG/EU „die Ausländerbehörde“ trifft (BVerwG, Urteil vom 28.06.2011 - 1 C 18.10 - juris).
II.
91 
Die Abschiebungsandrohung ist bereits deswegen aufzuheben, weil sie verfahrensfehlerhaft ist. Denn der Kläger ist vor Erlass der Abschiebungsandrohung nicht angehört worden, ohne dass von einer Anhörung ermessenfehlerfrei hätte abgesehen werden können.
92 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat eine Anhörung vor Erlass der Abschiebungsandrohung nicht durchgeführt und insoweit ausgeführt, nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG sei die vorherige Anhörung entbehrlich. § 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG ermöglicht es zwar, Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung - wozu nach nationalem Recht der Erlass einer Abschiebungsandrohung gehört - ohne eine grundsätzlich gebotene vorherige Anhörung zu erlassen. Diese Verfahrensermächtigung setzt aber eine Ermessensentscheidung der Behörde voraus, die hier weder ersichtlich ist noch von der Behörde behauptet wird.
93 
Zudem waren hier besondere Umstände des konkreten Falles erkennbar, die eine Anhörung erforderten. Die Behörde hat der Abschiebungsandrohung zugrunde gelegt, der Kläger sei ausreisepflichtig, weil er entgegen dem bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) ins Bundesgebiet eingereist sei. Das Einreiseverbot hat sie dabei der vor vielen Jahren (1999) ergangenen Ausweisungsverfügung entnommen. Es liegt auf der Hand, dass in der Zwischenzeit wesentliche Änderungen der Verhältnisse eingetreten sein konnten und die Behörde daher nicht ohne Anhörung des Klägers beurteilen durfte, ob hieraus - mittelbar oder unmittelbar - noch aktuell vollstreckungsrechtliche Konsequenzen und ggf. in welcher Weise gezogen werden können. Dafür, dass aus Gründen der Effektivität der Vollstreckung hier ein Verzicht auf Anhörung geboten gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Der Kläger verbüßte eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren. Dass im Falle einer vorherigen Anhörung eine - vorzeitige - Haftentlassung noch vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu befürchten gewesen wäre, gibt es keine Anhaltspunkte. Solche fehlen auch dafür, dass er in diesem Fall innerhalb des Bundesgebiets untergetaucht wäre.
94 
Der Anhörungsmangel ist auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LVwVfG geheilt worden. Eine Heilung setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Ein Vorverfahren hat nicht stattgefunden. Im Berufungsverfahren hat das Regierungspräsidium Karlsruhe die Berufung bereits als unzulässig angesehen. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen nicht (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 3 C 16.11 - juris m.w.N.). Die Äußerung des Klägers im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes konnte mithin eine Heilung nicht bewirken. Entsprechendes gilt für die bloße Nachfrage der Behörden-Vertreterin bei der Kläger-Vertreterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, ob sie nun auf ihre ausdrückliche Frage hin noch etwas zur Abschiebung sagen wolle. Auch liegt kein Anwendungsfall des § 46 LVwVfG vor. Denn es ist nicht jeglicher Zweifel daran ausgeschlossen, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe, das nach Angaben seiner Sitzungsvertreterin hinsichtlich der zu erwartenden Auswirkungen der Befristungsentscheidung auf den Zeitpunkt der erneuten Freizügigkeitsberechtigung des Klägers Auskünfte vom Regierungspräsidium Stuttgart eingeholt hat, auch im Falle der vorherigen Anhörung des Klägers eine Abschiebungsandrohung erlassen hätte, die nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU im Falle der Ausreisepflicht nicht zwingend zu ergehen hat, und eine Ausreisefrist von nur einem Monat bestimmt hätte.
95 
Damit kann offenbleiben, ob Unionsrecht grundsätzlich eine Anhörung vor dem Erlass einer isolierten Abschiebungsandrohung fordert (vgl. Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal administratif de Pau vom 06.05.2013 - ABl. EU 2013, Nr. C 189, 13 -, anhängig unter Az.: C-249/13, und des Tribunal administratif de Melun vom 03.04.2013 - ABl. EU 2013, Nr. C 164, 11 -, anhängig unter Az.: C-166/13, zur Auslegung von Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Bezug auf ausschließlich Drittstaatsangehörige betreffende Rückkehrentscheidungen).
III.
96 
Unabhängig davon ist die Abschiebungsandrohung auch aufzuheben, weil sie materiell rechtswidrig ist.
97 
Der gerichtlichen Beurteilung einer Abschiebungsandrohung ist, wenn - wie hier - der Ausländer aufgrund der Androhung noch nicht abgeschoben wurde oder noch nicht freiwillig ausgereist ist, grundsätzlich, d.h., soweit sich aus der materiellen Rechtslage nichts anderes ergibt, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 1 C 3.11 - m.w.N., juris).
98 
1. Rechtsgrundlage für den Erlass der Abschiebungsandrohung ist § 7 Abs.1 Satz 2 FreizügG. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann sie nicht auf die §§ 58, 59 AufenthG gestützt werden; insbesondere ergibt sich die vollziehbare Ausreisepflicht des Klägers nicht aus einer unerlaubten Einreise (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 AufenthG).
99 
§ 11 Abs. 2 FreizügG/EU bestimmt zwar, dass für Unionsbürger, gegenüber denen die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat, das Aufenthaltsgesetz Anwendung findet, sofern dieses Gesetz keine besonderen Regelungen trifft. Im Übrigen sind nach § 11 Abs. 1 FreizügG/EU hinsichtlich dieser Feststellungen ergänzend nur § 11 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 6, § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG entsprechend anwendbar. Diese Bestimmungen setzen allerdings die Ausreisepflicht voraus (vgl. auch BR-Drucks. 210/11, S. 86 zu Artikel 6), so dass sie in Bezug auf Unionsbürger im Sinne des Absatzes 1, die nach § 2 Abs. 1 das Recht auf Einreise und Aufenthalt gerade haben, leerlaufen. Wenn für Unionsbürger im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG, gegenüber denen die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat, § 11 und § 50 sowie die §§ 58 ff. AufenthG ohnehin uneingeschränkt anzuwenden wären, hätte der Verweis auf §§ 11 Abs. 2, 50 Abs. 3 bis 6, 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG überhaupt keine Bedeutung mehr.
100 
Damit dürfte die Erwähnung dieser Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in Absatz 1 der Vorschrift ein redaktionelles Versehen sein, aus dem sich entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass § 7 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU die Feststellung des Nichtbestehens bzw. des Verlusts des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU einschließlich deren Folgen, insbesondere das Einreise- und Aufenthaltsverbot (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), die Ausreisepflicht und die Ausreisefrist (vgl. § 50 Abs. 1 und Abs. 2, § 59 Abs. 1, 5, 7 AufenthG) sowie die Ermächtigung für den Erlass einer Abschiebungsandrohung und die Wirkung der gegen diese eingelegten Rechtsmittel (vgl. § 59 Abs. 1 bis 5 AufenthG) für Unionsbürger abschließend regeln und ergänzend insoweit lediglich § 11 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 6, § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG entsprechend anzuwenden sind.
101 
Ferner folgt schon aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, dass sich die Ausreisepflicht eines Unionsbürgers in Übereinstimmung mit der Unionsbürgerrichtlinie ausschließlich aus einer gegenüber diesem erfolgten Feststellung, dass das Recht auf Aufenthalt nicht (mehr) besteht, ergeben kann (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.10.2005 - 8 S 39.05 - juris; vgl. auch GK-AufenthG, § 7 FreizügG/EU Rn. 17; Renner/Berg-mann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl., § 7 Rn. 11 ff.), und damit auch ihre Vollziehbarkeit allein von der Vollziehbarkeit dieser Feststellung abhängt. Auch dies spricht gegen einen Rückgriff auf §§ 50 Abs. 1 und 2, 58 ff. AufenthG (a.A. HessVGH, Beschluss vom 14.12.2007 - 11 TG 2475/07 - juris). § 7 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU sind damit jedenfalls besondere Regelungen im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG, so dass sie insoweit die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes mit Ausnahme der in Absatz 1 genannten Vorschriften verdrängen.
102 
2. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU liegen insoweit vor, als die Ausweisung aus dem Jahr 1999 einer Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU gleichsteht und als solche fortwirkt. Eine erneute Abschiebungsandrohung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU zur Durchsetzung der auf dieser beruhenden Ausreisepflicht hätte jedenfalls nach Ablauf der Sechs-Monatsfrist aber nicht mehr ohne Prüfung des geltend gemachten Anspruchs ergehen dürfen.
103 
a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger (und ihre Familienangehörigen) ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Diese Feststellung enthält hier die Ausweisungsverfügung vom 21.10.1999, die als Verlustfeststellung gem. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU weiterwirkt (vgl. oben A. I.). Dementsprechend kann eine solche Alt-Ausweisung, die als Verlustfeststellung weiterwirkt, auch Grundlage für eine Abschiebungsandrohung sein (verneinend GK-AufenthG, § 7 FreizügG/EU Rn. 18). Dies gilt grundsätzlich auch für eine, wie hier, erst viele Jahre nach Erlass der Ausweisung/Verlust-fest-stellung und nach erneuter Einreise ergangene isolierte Abschiebungsandrohung. Auch diese dient der Vollstreckung der bestandskräftigen, als Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU fortwirkenden Alt-Ausweisung. Dem steht die Soll-Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU nicht entgegen, nach der die erstmalige Abschiebungsandrohung in der Regel mit der Verlustfeststellung verbunden wird. Sie lässt Raum für Ausnahmen, wenn sich der erstmalige Vollzug der Ausreisepflicht z.B. wegen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe (vgl. dazu auch Art. 33 Abs. 2 UnionsRL sowie unten) verzögert, oder wenn nach Ausreise oder auch bereits erfolgter Abschiebung eine erneute Einreise ohne vorherige Aufhebung/Befristung des Aufenthaltsverbots erfolgt.
104 
b) Grundsätzlich setzen aber die nachträgliche Vollstreckung einer unbefristeten Ausweisung/Verlustfeststellung und damit auch der Erlass einer isolierten Abschiebungsandrohung auf Antrag eine vorherige Überprüfung der Aktualität des Ausweisungszwecks innerhalb von sechs Monaten voraus.
105 
Im Regelfall soll nach § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FreizügG/EU die Abschiebung im Feststellungsbescheid angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden. In diesem Regelfall ist die Aktualität der Feststellung und der darauf beruhenden Ausreisepflicht sowie ggf. auch die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes im Falle des Vollzugs gewährleistet (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 4 FreizügG/EU). Für den hier vorliegenden Ausnahmefall, dass eine Abschiebungsandrohung später isoliert ergeht, enthält das Freizügigkeitsgesetz keine näheren Bestimmungen.
106 
aa) Der Unionsbürger, dessen Ausweisung/Verlustfeststellung nachträglich vollstreckt werden soll, darf nicht schlechter gestellt werden als ein Drittstaatsangehöriger in einer entsprechenden Situation.
107 
(1) Ein Unionsbürger hat nach nationalem Recht nach einem angemessenen Zeitraum, spätestens nach drei Jahren einen Anspruch auf Überprüfung und Befristung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots (vgl. dazu oben A.). Aufgrund des Verbots der Benachteiligung von Unionsbürgern gegenüber Drittstaatsangehörigen dürfen Unionsbürger, auch wenn sie im Bundesgebiet aufgrund einer Entscheidung nach § 6 FreizügG/EU nicht freizügigkeitsberechtigt sind, jedenfalls nicht schlechter gestellt werden als ausgewiesene Drittstaatsangehörige. Für diese bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 3 und 6 AufenthG - den Regelungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU entsprechend -, dass die Wirkungen u.a. der Ausweisung auf Antrag befristet werden und die Frist mit der Ausreise beginnt. Allerdings müssen Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (std. Rspr. des BVerwG seit Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 14.12 - juris) seit Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22.11.2011 (BGBl. I S. 2258) im Sinne eines einheitlichen Verständnisses dieser Norm unmittelbar mit Erlass der Verfügung befristet werden. Demgegenüber haben Unionsbürger einen Anspruch auf Aufhebung/Be-fristung auf einen zulässigen Antrag innerhalb von sechs Monaten (§ 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU, Art. 32 Abs. 1 2. Unterabsatz UnionsRL). Zudem ergibt sich aus der Unionsbürgerrichtlinie, dass der Fristbeginn nicht von einer vorherigen Ausreise abhängig gemacht werden darf (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 07.12.1999 - 1 C 13.99 - zu § 8 Abs. 2 AuslG).
108 
(2) Ob sich daraus entnehmen lässt, dass nun auch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU gleichzeitig von Amts wegen zu befristen ist, oder die nachträgliche Befristung nur auf Antrag im Hinblick darauf, dass der Antrag innerhalb von sechs Monaten beschieden werden muss und der Fristbeginn bei Unionsbürgern - entgegen der nationalen Regelung - nicht von der Ausreise abhängig ist, gerechtfertigt werden kann, kann hier offenbleiben. Denn jedenfalls darf es sich im Ergebnis für Unionsbürger nicht nachteilig auswirken, dass der Anspruch auf Aufhebung/Befristung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots aufgrund von Ausweisungen/Verlustfeststellungen nach § 6 FreizügG/EU erst nachträglich und erst auf Antrag besteht. Im vorliegenden Zusammenhang ist dabei allein maßgeblich, dass § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch für den nachträglichen Vollzug von ursprünglich unbefristeten Alt-Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen, die bereits vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 bestandskräftig geworden sind, jedenfalls auf Antrag zunächst die Nachholung der Befristungsentscheidung voraussetzt.
109 
Denn § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der heutigen Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011, der, wie dargelegt, den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie entsprechend auszulegen ist, findet mangels Übergangsvorschrift auch Anwendung auf die Befristung der Wirkungen bereits vor seinem Inkrafttreten bestandskräftig gewordener Ausweisungen und erfolgter Abschiebungen von Drittstaatsangehörigen. Mit Blick auf die Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie ist es bei einem Drittstaatsangehörigen, gegenüber dem eine bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung ohne Befristung der Wirkungen der beabsichtigten Abschiebung ergangen ist (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 19.12.2012 - 11 S 2303/12 - juris, m.w.N.) oder der kraft Gesetzes aufgrund einer erfolgten Abschiebung einem unbefristeten Einreiseverbot unterliegt, geboten, sofern hieran anknüpfende belastende Maßnahmen, insbesondere zur Vollstreckung getroffen werden sollen, zunächst über eine beantragte erstmalige Befristung zu entscheiden. Hiervon ausgehend hat der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 08.01.2014 - V ZB 137/12, juris) entschieden, dass eine Haft zur Sicherung einer Abschiebung aufgrund einer unerlaubten Einreise nur dann angeordnet werden darf, wenn im Zuge der angestrebten Aufenthaltsbeendigung über die ursprünglich nicht erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise danach weiterhin unerlaubt war und der Betroffene Rechtsmittel im Bundesgebiet in Anspruch nehmen konnte. In dem zugrundeliegenden Fall ging es zwar um die Fortwirkung eines Einreiseverbots aus einer früheren Abschiebung. Wie dargelegt hat das Bundesverwaltungsgericht aber eine differenzierende Auslegung von § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abgelehnt (vgl. oben), weshalb diese Grundsätze auch für die nachträgliche Befristung von Altausweisungen von Drittstaatsangehörigen anzuwenden sind.
110 
Der in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geregelte Anspruch auf anfängliche Befristung, der nun grundsätzlich dazu führt, dass die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen nicht vor einer ersten Entscheidung über die Dauer ihrer Wirkungen vollstreckt wird, ist damit in Bezug auf Altfälle so zu verstehen, dass unbefristete Alt-Ausweisungen vor einer nachträglichen Vollstreckung jedenfalls auf Antrag zu befristen sind. Damit würde aber ein Unionsbürger, auch wenn er, wie der Kläger unter Verstoß gegen das Einreiseverbot wieder eingereist ist, jedenfalls dann in unzulässiger Weise gegenüber einem unerlaubt eingereisten Drittstaatsangehörigen deutlich schlechter gestellt, wenn eine Ausweisung/Verlustfeststellung ohne eine erstmalige Befristung des Aufenthaltsverbots selbst dann noch vollzogen werden dürfte, wenn über seinen Aufhebungs-/Befristungsantrag nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist entschieden worden ist und ihm der Aufhebungs-/Befristungsanspruch bereits bezogen auf diesen oder einen früheren Zeitpunkt zusteht.
111 
bb) (1) Für die nachträgliche Vollstreckung des Aufenthaltsverbots aus einer Verlustfeststellung/Ausweisung gebietet zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass diese nur erfolgen darf, wenn die zugrundeliegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dieses Verbots, das nicht lebenslang gelten darf (vgl. oben A. II.), weiterhin rechtfertigt. Dem muss bei der nachträglichen Vollstreckung in einem Aufhebungs-/Befristungsverfahren des § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU Rechnung getragen werden. Denn die Aufhebungs-/Befristungsentscheidung ist bei Unionsbürgern grundsätzlich für die Frage der Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Abschiebungsandrohung zur - erneuten - Durchsetzung des Aufenthaltsverbots vorgreiflich, da von dieser der Fortbestand der Ausreisepflicht abhängig ist, die nur durch eine Ausweisung/Verlustfeststellung begründet werden kann (vgl. oben). Mit Aufhebung bzw. nach Ablauf der Befristung kann der Unionsbürger - anders als der Drittstaatsangehörige, bei dem eine Ausreisepflicht meist weiterhin gegeben sein wird und der, soweit er nicht Positivstaater ist, bereits für einen Besuchsaufenthalt zunächst eines Aufenthaltstitels bedarf - damit wieder uneingeschränkt von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen. Dementsprechend wird mit der nachträglichen Vollstreckung eines aus einer Ausweisung/Verlustfeststellung resultierenden unbefristeten Aufenthaltsverbots jedenfalls nach Antragstellung in Kauf genommen, dass nicht nur in einen bestehenden Aufhebungsanspruch, sondern letztlich auch in das Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgers eingegriffen wird. Dies ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedenfalls dann nicht mehr vereinbar, wenn die Entscheidungsfrist von sechs Monaten abgelaufen ist und der materielle Anspruch auf Aufhebung zu diesem Zeitpunkt besteht (vgl. auch oben A.).
112 
(2) Auch Art. 32 Abs. 1, 33 Abs. 2 UnionsRL und der Erwägungsgrund 27 sprechen für ein solches Verständnis des Aufhebungs-/Befristungsverfahrens. Die Unionsbürgerrichtlinie enthält, wie das Freizügigkeitsgesetz, keine ausdrückliche Regelung dazu, auf welche Weise dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Falle der nachträglichen Vollstreckung einer behördlich verfügten Ausweisung Rechnung zu tragen ist. Sie regelt in Art. 33 Abs. 2 ausdrücklich lediglich den Fall der nachträglichen Vollstreckung einer als Strafe verhängten Ausweisung. Nach den Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie kann eine Ausweisung/Verlustfeststellung durch eine Behörde erlassen oder als (Neben-)Strafe verhängt werden. Im letzteren Fall muss der Mitgliedstaat, ohne dass es eines Aufhebungs-/Befristungsantrags bedarf, die Ausweisung vor einer Vollstreckung gemäß Art. 33 Abs. 2 UnionsRL überprüfen. Die Pflicht zur Überprüfung - im ursprünglichen Vorschlag der Kommission Absatz 2 des damaligen Art. 31 (Abschiebung als Strafe oder Nebenstrafe; KOM (2001) 257 endg.) - sollte nach der Vorstellung des Europäischen Parlaments (ABl. EG C 45 E/04, S. 48 [57]) allgemein gelten. Im dementsprechend geänderten Kommissionsvorschlag entfiel daher der Absatz 2 des damaligen Art. 31. Stattdessen wurde eine eigene Bestimmung (Art. 31a - Prüfung vor der Abschiebung) eingefügt, die lautete: „Bevor eine Abschiebung vollstreckt wird, ist der Mitgliedstaat gehalten, sich vom Vorliegen einer gegenwärtigen und tatsächlichen Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu überzeugen und die Änderungen zu beurteilen, die gegebenenfalls seit dem Zeitpunkt der Abschiebungsentscheidung eingetreten sind“. In den Gründen hierzu heißt es, der Wortlaut dieses neuen Artikels entspreche dem des ehemaligen Absatzes 2 von Artikel 31. Es sei in der Tat logischer, diesen Inhalt in einen separaten Artikel aufzunehmen (KOM (2003) 199 endg.). Im Gemeinsamen Standpunkt (EG Nr. 6/2004 - ABl. EG C 54E/02, S. 32) blieb es allerdings bei der auf die Vollstreckung einer Ausweisung als (Neben-)Strafe beschränkten Prüfungspflicht. Hierzu wird ausgeführt, der Rat habe es vorgezogen, an einem einzigen Artikel festzuhalten, da seines Erachtens in Absatz 2 lediglich auf die in Absatz 1 vorgesehenen Verfügungen Bezug genommen wird. Hieraus lässt sich nach Ansicht des Senats aber nicht schließen, dass die behördliche Ausweisung/Verlustfeststellung, die unter den gleichen Voraussetzungen wie die als Strafe verhängte Ausweisung ergeht und die gleichen Auswirkungen auf die Freizügigkeit des Unionsbürgers hat, ohne erneute Prüfung zeitlich unbegrenzt vollstreckbar sein sollte. Insoweit dürfte der Rat vielmehr für den Fall der Ausweisung durch eine Behörde davon ausgegangen sein, dass die Vollstreckung - anders als im Fall der Ausweisung als Strafe, in dem es naheliegt, dass die Ausweisung erst nach erfolgtem Strafvollzug vollstreckt wird - jeweils zeitnah erfolgt, und damit gewährleistet ist, dass die ihr zugrundeliegende Ausweisung den Eingriff in die Freizügigkeit noch aktuell rechtfertigt.
113 
Für die unbefristete, behördlich verfügte Ausweisung/Verlustfeststellung obliegt es damit aber auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben dem Aufhebungs-/Befristungsverfahren die Verhältnismäßigkeit einer nachträglichen Vollstreckung zu gewährleisten. Mit der Fassung des Art. 30 Abs. 2 UnionsRL (jetzt Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie) im geänderten Kommissionsvorschlag (KOM (2003) 199 endg.), die nicht mehr von einem neuen Antrag auf Einreise (new application for leave to enter, nouvelle demand d‘accès au territiore), der denknotwendig nur vom Ausland aus gestellt werden kann, sondern von einem Antrag auf Aufhebung des Zugangs- und Aufenthaltsverbots (application for lifting of the exclusion order, demande de levée de l'interdiction du territiore) spricht, wurde insoweit deutlich, dass ein Anspruch auf Überprüfung auf Antrag auch bei noch nicht erfolgter Vollstreckung oder Ausreise sowie im Falle der erneuten Einreise besteht. Wenn Art. 32 Abs. 2 UnionsRL betont, der Unionsbürger habe während des Überprüfungsverfahrens kein Einreiserecht (no right of entry, aucun droit d'accès) in den entsprechenden Mitgliedstaat, was einer ausdrücklichen Bestimmung nicht bedurft hätte, da es sich bereits aus dem Fortbestehen des Aufenthaltsverbots ergibt, lässt sich hieraus zwar schließen, dass derjenige, der seinen Überprüfungsantrag nur deshalb nicht von außen, sondern im Mitgliedstaat selbst stellt, weil er unter Missachtung des Zugangs- und Aufenthaltsverbots erneut eingereist ist, aufgrund der Antragstellung keine Rechtsposition und auch keine verfahrensrechtliche Sicherstellung des so geschaffenen „status quo“ beanspruchen können soll. Offen bleiben kann, ob damit in diesen Fällen auch eine Vollstreckung während des Aufhebungs-/Befristungsverfahrens zulässig ist. Denn anders ist dies jedenfalls zu bewerten, wenn die Behörde nicht innerhalb der vorgegebenen Frist des Art. 32 Abs. 1 Unterabsatz 2 UnionsRL über einen zulässigen Antrag entschieden hat.
114 
Von einem subjektiven Anspruch auf Entscheidung innerhalb dieser Frist ausgehend (vgl. oben A.) spricht der vom Europäischen Gerichtshof für die Interpretation europarechtlicher Vorschriften entwickelte Grundsatz des "effet utile“ dafür, dass der Unionsbürger nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist, auch nach erneuter Einreise unter Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot, die - ggf. erneute - Vollstreckung des Aufenthaltsverbots ohne die vorherige Aufhebung/Befristung, die gewährleisten soll, dass das Aufenthaltsverbot nicht auf Lebenszeit (vgl. oben A. II.) weiterbesteht, nicht mehr hinnehmen muss. Vielmehr kann der Unionsbürger, dem zur Durchsetzung seines materiellen Rechtsanspruchs auf Aufhebung/Befristung der Anspruch auf Entscheidung innerhalb dieser Frist zusteht, jedenfalls nach deren Ablauf der Vollstreckung den materiellen Anspruch entgegenhalten und muss sich nicht mehr auf die Möglichkeit der nachträglichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs verweisen lassen. Hätte die Missachtung der strikten Entscheidungsfrist auch dann keine Konsequenzen für die Vollstreckung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, wenn der materielle Anspruch auf deren Aufhebung bereits besteht, würde die Regelung dagegen leerlaufen.
115 
§ 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 4 FreizügG/EU sind daher dahingehend auszulegen, dass sich der Unionsbürger gegenüber Vollstreckungsmaßnahmen dann auf einen bereits entstandenen Anspruch auf Aufhebung/Befristung bezogen auf diesen oder einen früheren Zeitpunkt berufen kann, wenn über einen nach einer angemessenen Frist gestellten Aufhebungs-/Befristungs-antrag nach Ablauf von sechs Monaten noch nicht entschieden worden ist. Dies gilt auch, wenn der Unionsbürger in das Gebiet des Mitgliedsstaats unter Verstoß gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot erneut eingereist ist.
116 
3. Hiervon ausgehend unterlag der Kläger zwar zunächst weiterhin dem Aufenthaltsverbot aus der bestandskräftigen Alt-Ausweisung. Die Abschiebungsandrohung als Vollstreckungsmaßnahme hätte jedoch jedenfalls nach dem 13.01.2012 nicht mehr ergehen dürfen. Daran hat sich nach Erlass der Befristungsentscheidung am 14.10.2013 nichts mehr geändert, da dem Kläger zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt, dem 13.01.2012, nicht nur ein Anspruch auf eine entsprechende Entscheidung, sondern auch ein materieller Anspruch auf Aufhebung/Befristung bereits zustand (vgl. oben A).
117 
Nachdem die Alt-Ausweisung aus dem Jahre 1999 stammt (und am 01.02.2002 bereits vollstreckt worden ist), hatte der Kläger Anspruch auf eine aktuelle Überprüfung dieser bis dahin unbefristeten Entscheidung aufgrund seines bereits am 13.03.2011 gestellten Antrags gemäß § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU auf Aufhebung/Befristung dieser Alt-Ausweisung/Verlust-feststellung. Über diesen zulässigen Antrag auf Aufhebung/Befristung des Aufenthaltsverbots war am 29.07.2013, obwohl die Frist von sechs Monaten bereits am 13.01.2012 abgelaufen war, noch nicht entschieden worden.
118 
Es bedarf keiner Entscheidung, ob auf die Einhaltung dieser Frist wirksam verzichtet werden kann, da das Schreiben, auf das sich das Regierungspräsidium Stuttgart insoweit bezieht, erst am 20.06.2012 und damit deutlich nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist bei der Behörde eingegangen ist. Ob auf die damit bereits entstandene verfahrensrechtliche Position als solche verzichtet werden konnte, kann ebenfalls offenbleiben, da für einen solchen Verzicht - insbesondere ein ausdrückliches Einverständnis mit einer Vollstreckung ohne Prüfung des geltend gemachten Aufhebungs-/Befristungsanspruchs - nicht erkennbar ist. Damit hätte die Abschiebungsandrohung am 29.07.2013 nicht ergehen dürfen, weil dem Kläger bereits am 13.01.2012 ein Anspruch auf Befristung zum 31.01.2012 zustand (vgl. auch oben A. II.).
119 
Die Abschiebungsandrohung ist auch nicht durch den Erlass der Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013, mit der das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 31.12.2016 befristet worden ist, rechtmäßig geworden. Diese vom Kläger ebenfalls angegriffene Befristungsentscheidung hat keinen Bestand (vgl. oben A. II.). Denn der Kläger hatte, wie dargelegt, bereits am 13.01.2012 einen Anspruch auf Befristung bis zum 31.01.2012. Dieser steht Vollstreckungsmaßnahmen und damit auch der Abschiebungsandrohung weiterhin entgegen.
C.
120 
Ob gegenüber dem erneut straffällig gewordenen Kläger ggf. eine erneute Feststellung des Verlusts des Rechts gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU oder die Feststellung des Nichtbestehens des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU ergehen kann, auf deren Grundlage eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen werden könnte, bedurfte hier keiner Entscheidung.
D.
121 
Die die Abschiebungen betreffenden Befristungsentscheidungen in der angegriffenen Verfügung waren nicht Gegenstand des Klageverfahrens und sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Insoweit weist der Senat lediglich darauf hin, dass diese Befristungen ins Leere gehen. Aus § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU i.V.m. Art. 27 ff. UnionsRL ergibt sich, dass ausschließlich die Verlustfeststellung ein Aufenthaltsverbot zur Folge hat. Insoweit ist kein Raum für die Fortgeltung der Wirkung von Abschiebungen gegenüber Unionsbürgern.
E.
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
F.
123 
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
124 
Beschluss vom 30. April 2014
125 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt (§§ 39 Abs. 1, 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
126 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
52 
Die zulässigen, insbesondere rechtzeitig erfolgten und rechtzeitig innerhalb der Begründungsfrist unter Stellung eines Antrags begründeten Berufungen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, S. 1420 m.w.N.) des Klägers haben Erfolg.
A.
53 
Die Berufung, mit der der Kläger sein Verpflichtungsbegehren auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung weiterverfolgt, ist zulässig und begründet.
I.
54 
Die Verpflichtungsklage ist zulässig.
55 
Der Antrag des Klägers vom 13.07.2011, der sinngemäß auf sofortige Aufhebung/Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aufgrund der Ausweisung vom 21.10.1999 („auf einen Tag vor heute“) gerichtet war, ist insoweit mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 abgelehnt worden, als eine Befristung erst mit Wirkung zum 31.12.2016 erfolgt ist. Mit der Klage verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren teilweise weiter, indem er die rückwirkende Aufhebung/Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung vom 21.10.1999 nun zum 31.01.2012 begehrt. Dem Kläger fehlt nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für dieses Begehren. Denn die Wirkungen der Ausweisung/Verlustfeststellung dauern ohne Aufhebung/Befristung weiterhin an und können dem Kläger entgegengehalten werden. Auch für bereits vergangene Zeiträume fehlt dem Kläger, der zuletzt Anfang 2012 eingereist ist, nicht das Rechtsschutzbedürfnis, unabhängig davon, ob diese ihm in Hinblick auf eine Daueraufenthaltsberechtigung angesichts der nachfolgenden Strafhaft nützen könnten (vgl. EuGH, Urteil vom 16.01.2014 - C-378/12 - juris). Denn, soweit es für die Vergangenheit bei dem Einreise- und Aufenthaltsverbot bleiben würde, könnten sich hieraus nach § 9 FreizügG/EU strafrechtliche Konsequenzen ergeben, für die dann auch die Dauer des Verstoßes von Bedeutung wäre.
56 
Der Senat schließt sich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris) an, wonach Unionsbürger, die bei Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes bereits bestandskräftig ausgewiesen waren, im Bundesgebiet aufgrund der Fortwirkung des Aufenthaltsverbots nicht mehr freizügigkeitsberechtigt sind.
57 
Die Alt-Ausweisung wirkt als Verlustfeststellung im Sinne des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU fort und hat sich nicht durch die Änderung der Rechtslage erledigt. Gegenstand der Ausweisung war - ungeachtet der Folgen, die sich aus §§ 8 Abs. 2, 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ergaben - die für den Ausgewiesenen verbindliche Regelung seines Aufenthaltsstatus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht intertemporal der Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU der auf einer vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes (01.01.2005), wie hier, bestandskräftig gewordenen Ausweisung beruhende Verlust des Freizügigkeitsrechts gleich, da sich die Rechtswirkungen der beiden Rechtsakte entsprechen (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - m.w.N., juris). Hiervon ausgehend findet das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund einer nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG i.V.m. Ausländergesetz verfügten Ausweisung eines Unionsbürgers (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl., § 7 Rn. 20) nun ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Es ist weder mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes vom 30.07.2004 zum 01.01.2005 noch, soweit die Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie hierin nicht ausreichend erfolgt sein sollte, mit deren unmittelbaren Geltung ab dem 01.05.2006 entfallen. Denn sowohl die Richtlinie als auch das Freizügigkeitsgesetz sehen vor, dass es solange weiterbesteht, bis eine Aufhebung/Befristung erfolgt ist.
58 
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot der als Verlustfeststellung fortgeltenden Ausweisung vom 21.10.1999 wurde auch nicht durch das Inkrafttreten der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - berührt. Die Rückführungsrichtlinie ist - ebenso wie die hierzu vom Europäischen Gerichtshof ergangene Rechtsprechung - auf den Kläger nicht anwendbar. Gemäß Art. 2 findet diese Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Nach Art. 3 Ziff. 1 der Richtlinie 2008/115/EG sind „Drittstaatsangehörige“ alle Personen, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 EG-Vertrag sind und die nicht das Unionsrecht auf freien Personenverkehr nach Artikel 2 Absatz 5 des Schengener Grenzkodex genießen. Damit findet die Richtlinie auf den Kläger als Unionsbürger, unabhängig davon, ob seine Freizügigkeit hinsichtlich der Einreise- und des Aufenthalts im Bundesgebiet eingeschränkt ist, keine Anwendung.
59 
Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht aus dem unionsrechtlichen Diskriminierungsgebot. Hieraus lässt sich insbesondere nicht unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Rückkehrentscheidungen ableiten, dass die Wirkungen der als Verlustfeststellung fortwirkenden Alt-Ausweisung des Klägers bereits, ohne dass es einer Aufhebung/Befristung bedürfte, beendet sind. Der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 19.09.2013 - C-297/12, Filev u. Osmani - juris) hat in Bezug auf Rückkehrentscheidungen im Sinne Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie zwar entschieden, dass es für die Erreichung des Ziels von Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG nicht genüge, wenn die Befristung eines aufgrund einer solchen Entscheidung bestehenden Einreiseverbots im innerstaatlichen Recht von einem Antrag des betreffenden Drittstaatsangehörigen abhängig gemacht wird. Dieses Ziel bestehe nämlich u.a. darin zu gewährleisten, dass die Dauer eines Einreiseverbots fünf Jahre nicht überschreite, es sei denn, die betreffende Person stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar. Einem Drittstaatsangehörigen, der sich unmittelbar auf die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG habe berufen können, dürfe nicht mehr entgegenhalten werden, dass später von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden sei, da dies eine Verschlechterung seiner Situation zur Folge hätte. Damit enden im Ergebnis Einreiseverbote aus einer früheren Rück-kehrentscheidung für Drittstaatsangehörige, wenn sie vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 bereits mehr als fünf Jahre bestanden, außer sie wurden gegen Drittstaatsangehörige verhängt, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen.
60 
Diese Grundsätze finden aber schon deshalb auf Einreiseverbote, die aufgrund von Ausweisungen nach dem Ausländergesetz oder Aufenthaltsgesetz bestehen, keine Anwendung, weil diese Ausweisungen als solche auch gegenüber Drittstaatsangehörigen keine Rückkehrentscheidungen im Sinne i.S.d. Art. 3 Nr. 4 Richtlinie 2008/115/EG sind (std. Rspr. des Senats, vgl. u.a. Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -; vgl. auch OLG München, Urteil vom 16.07.2012 - 4 StRR 107/12 - juris). Daran hält der Senat auch nach Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19.09.2013 (- C-297/12, Filev u. Osmani -) fest (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 - juris). Unabhängig davon scheidet eine Schlechterstellung des Klägers gegenüber Drittstaatsangehörigen aber schon deswegen aus, weil hier ein Fall gegeben ist, in dem auch bei diesen das Einreiseverbot aufgrund einer Rückkehrentscheidung nicht nach fünf Jahren geendet hätte, da vom Kläger angesichts der der Ausweisung/Verlustfeststellung zugrundeliegenden Straftaten weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt hätte. Ein Verstoß des Fortwirkens der Alt-Ausweisung/Verlustfeststellung gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsgebot lässt sich insoweit schließlich auch aus § 11 Abs. 1 AufenthG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht herleiten, da danach unbefristete Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen nach Ablauf von zehn Jahren ihre Wirkung nicht automatisch verlieren.
61 
Damit lässt sich weder dem nationalen Recht noch Unionsrecht entnehmen, dass die Wirkungen der Ausweisung/Verlustfeststellung gegenüber dem Kläger nicht grundsätzlich so lange fortdauern, bis sie aufgehoben bzw. befristet worden sind.
II.
62 
Die Verpflichtungsklage ist auch begründet. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
63 
Das Regierungspräsidium Stuttgart ist für die Befristungsentscheidung nach § 9 Abs. 1 AAZuVO zuständig, da die Ausweisungsverfügung von diesem erlassen worden war. Dem Kläger steht gegenüber der zuständigen Behörde auf der Grundlage des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU der geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots/Befristung der Wirkungen der Ausweisung vom 21.10.1999 auf den 31.01.2012 zu.
64 
1. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU wird das durch die Ausweisung/Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Aufenthaltsverbot auf Antrag befristet. Nach § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU ist über einen nach angemessener Frist oder drei Jahren gestellten Antrag auf Aufhebung innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden. § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU setzen Art. 32 Abs. 1 UnionsRL um. Zwar heißt es in der Begründung zur Einfügung des Satz 4 durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19.08.2007 (BGBl. I, 1970), der neue Absatz 2 Satz 4 setze Artikel 32 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie um (BT-Drucks. 16/5065, zu Nummer 8 b) cc), S. 212). Dass hiermit aber nicht neben einer in den Sätzen 2 und 3 der Vorschrift geregelten nationalen Befristung zur Umsetzung des Art. 31 Abs. 1 UnionsRL ein zusätzliches unionsrechtliches Aufhebungsverfahren geschaffen werden sollte, auch wenn im Satz 2 weiterhin von der Befristung die Rede ist, während in Satz 4 mit dem Begriff der Aufhebung die Terminologie der Richtlinie übernommen wird, ergibt sich ebenfalls aus der Begründung zur Änderung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007. Denn dort heißt es zu Absatz 2 Satz 2 (BT-Drucks. 16/5065, zu Nummer 8 b) bb), S. 212): „Die bisherige Regelung, wonach eine Einreisesperre von Amts wegen zu befristen ist, geht über die Richtlinie hinaus. Die Sperre soll auf Antrag befristet werden.“ Der Gesetzgeber wollte somit das eingeführte Antragserfordernis für das Befristungsverfahren mit der Anfügung des Satzes 4 den Vorgaben des Art. 31 Abs. 1 UnionsRL anpassen. Dementsprechend regeln die Sätze 2 und 4 ein einheitliches Verfahren. Hiervon ausgehend lässt sich die Befristung ohne sofortige Wirkung auch als Aufhebung für die Zukunft verstehen. Die in Satz 4 eingefügte Regelung geht allerdings insofern in zulässiger Weise über die Richtlinie hinaus, als sie die Höchstfrist von drei Jahren nicht an eine erfolgte Vollstreckung knüpft.
65 
Nach § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU hat ein Unionsbürger damit nach nationalem Recht spätestens drei Jahre nach Erlass der Ausweisung/Verlustfeststellung auf Antrag einen Anspruch auf eine Aufhebungs-/Befristungsentscheidung, wobei die Befristung auf sofort oder einen zukünftigen Zeitpunkt erfolgen kann. Gegen diese Entscheidung kann er einen Rechtsbehelf einlegen, wobei einer Überprüfung des neuen Antrags nicht entgegensteht, wenn er im Rahmen einer früheren Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat (EuGH, Urteil vom 17.06.1997, Shingara und Radiom - C-65/95 und C-111/95, Slg. 1997, I-3343 Rn. 41, 42). Auf Antrag ist eine Aufhebung/Befristung zwingend vorzunehmen, was der für Drittstaatsangehörige grundsätzlich geltenden Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (Ausnahme: § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG) entspricht (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris).
66 
2. Weiterhin besteht bezüglich der Festsetzung der Dauer der Frist/des Umfangs der Aufhebung auch bei der Aufhebung/Befristung von Ausweisungen/Verlustfeststellungen kein Ermessen. Zur Regelung des § 11 AufenthG hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollständig zu überprüfen ist. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). Der Senat geht davon aus, dass auch bei der Aufhebung/Befristung auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 FreizügG/EU die Bestimmung der Fristdauer bzw. des Umfangs der Aufhebung nun ebenfalls als gebundene Entscheidung anzusehen und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2007 (- 1 C 21.07 -), nach der über die Länge der Frist im Ermessen zu entscheiden war, insoweit überholt ist.
67 
3. Maßgeblich für die Entscheidung über die Aufhebung bzw. die Befristung sind ausschließlich Änderungen der tatsächlichen Umstände nach Erlass der Ausweisung/Verlustfeststellung.
68 
Die Durchbrechung der Bestandskraft der Ausweisung/Verlustfeststellung im Wege der Aufhebung/Befristung ist ausgeschlossen. Diese regelt von der rechtsgestaltenden Wirkung der Verfügung und den bereits eingetretenen Folgen ausgehend den Wegfall bzw. die Dauer ihrer Rechtsfolgen für die Zukunft, wobei ihr die Berücksichtigung von Änderungen der Sachlage vorbehalten ist. Dementsprechend kann die ursprüngliche Rechtswidrigkeit einer Alt-Ausweisung, die auf einer unrichtigen Tatsachen- oder Rechtsgrundlage oder fehlerhaften Beurteilung der Sach- bzw. Rechtslage beruht, für die Frage der Rücknahme einer Ausweisung/Verlustfeststellung Bedeutung haben. Auch können Änderungen der Rechtslage oder der Rechtsprechung im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Widerruf berücksichtigt werden (BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris). Bei der Aufhebung/Befristung bleiben diese Fragen außer Betracht.
69 
a) Dabei kann hier offenbleiben, ob eine Rechtsänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 LVwVfG durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU eingetreten ist oder sich die Neuregelungen aufgrund von § 102 Abs. 1 AufenthG nicht auswirken, der insoweit anordnet, dass die Ausweisung und ihre Folgewirkungen - allerdings nicht die ihr zugrundeliegenden Regelungen - fortgelten, da Ausweisungen/Verlustfeststellungen auch nach dem neuen Recht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU Aufenthaltsverbote auslösen (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris). Denn unabhängig davon, ob diese Rechtsänderung ein Wiederaufgreifen eröffnet, sind die durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zugunsten von Unionsbürgern geänderten Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisung/Verlustfeststellung bei der Entscheidung über den Umfang der Aufhebung bzw. die Ermittlung der festzusetzenden Frist für die Wirkungen der Alt-Ausweisung nicht zu berücksichtigen.
70 
Entsprechendes gilt für die Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie. Auch unionsrechtlich ist es nicht geboten, nach Ablauf der Umsetzungsfrist den mit der Unionsbürgerrichtlinie eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern nachträglich im Rahmen einer Aufhebungs-/Befristungsentscheidung zugutekommen zu lassen. Etwas anderes ergibt sich nicht aus Art. 32 Abs. 1 UnionsRL, wonach Unionsbürger die Aufhebung eines Aufenthaltsverbots unter Hinweis darauf beantragen können, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“, da mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ ebenfalls nur Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint sind (vgl. Urteil des Senats vom 23.07.2008 - 11 S 2889/07 - juris m.w.N.).
71 
b) Ausgehend von der obigen Abgrenzung ist schließlich auch die mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (1 C 30.02 - juris) erfolgte Änderung der bis dahin geltenden Rechtsprechung, mit der Folge, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger nach § 12 Aufenthaltsgesetz/EWG i.V.m. §§ 45, 46 AuslG nur noch auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden durften und § 47 AuslG als Rechtsgrundlage ausschied, im Rahmen der hier zu beurteilenden Befristungsentscheidung ohne Bedeutung.
72 
c) Bei Änderungen der Sachlage ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts demgegenüber ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 49 LVwVfG auch schon vor der Ausreise grundsätzlich oder jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - und vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris zu § 11 AufenthG). Solche Änderungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteile vom 06.03.2014 - 1 C 2.13 - und - 1 C 5.13 - juris, m.w.N.) im Ergebnis auch dann ausschließlich bei der Befristung zu berücksichtigen, wenn sie grundsätzlich einen Widerruf der bestandskräftigen Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit mit sofortiger Wirkung rechtfertigen würden (vgl. § 51 Abs. 5 und § 49 Abs. 1 LVwVfG).
73 
Die damit allein zu stellende Frage, ob der damalige - sich hier aus den der Ausweisung zugrunde liegenden Straftaten ergebende - Ausweisungszweck unter Berücksichtigung der seit Erlass der Ausweisung eingetretenen tatsächlichen Änderungen die Fortdauer des Aufenthaltsverbots weiterhin bis zum 31.12.2016 rechtfertigt oder, wie der Kläger meint, nur noch bis zum 31.01.2012 gerechtfertigt hat, ist allerdings mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU, Art. 27 ff. UnionsRL (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris; Urteil des Senats vom 23.07.2008 - 11 S 2889/07 - juris) zu beantworten.
74 
4. Weiterhin ergibt sich aus der Frist des § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU i.V.m. Art. 32 Abs. 1 Unterabsatz 2 UnionsRL, wonach die Behörde verpflichtet ist, über den Anspruch auf Aufhebung/Befristung spätestens nach Ablauf von sechs Monaten zu entscheiden, u.a., dass spätere Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu Lasten des Unionsbürgers berücksichtigt werden dürfen. Schon die Formulierung der verschiedenen Sprachfassungen (muss binnen … eine Entscheidung treffen, shall reach a decision … within, se prononcer … dans) lässt erkennen, dass es dem Richtliniengeber darum ging, die Dauer des Verfahrens ausnahmslos auf sechs Monate zu begrenzen, so dass danach das Aufenthaltsverbot entweder beendet ist oder aber auf der Grundlage einer aktuellen Prüfung zunächst weitergilt, wobei die Behörde es nicht in der Hand haben soll, die Realisierung dieses Anspruchs durch eine Verzögerung der Bescheidung des Antrags zumindest zu erschweren (vgl. auch unten B.).
75 
Art. 32 Abs. 1 UnionsRL dient entsprechend dem Erwägungsgrund 27 u.a. dazu, dass die Mitgliedstaaten gegen Unionsbürger kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit verhängen bzw. aufrechterhalten. Nachdem Art. 30 Abs. 1 des Vorschlags der Kommission mit dem Verbot der Ausweisung auf Lebenszeit entfallen und inhaltlich in den Erwägungsgrund 27 des Gemeinsamen Standpunkts übernommen worden war, sollte der jetzige Art. 32 Abs. 1 die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltsverbots gewährleisten. Erwägungsgrund 27 lautet: „Im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Mitgliedstaaten gegen die Begünstigten dieser Richtlinie kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit verhängen dürfen, sollte bestätigt werden, dass ein Unionsbürger oder einer seiner Familienangehörigen, gegen den ein Mitgliedstaat ein Aufenthaltsverbot verhängt hat, nach einem angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber nach Ablauf von drei Jahren nach Vollstreckung des endgültigen Aufenthaltsverbots, einen neuen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots stellen kann“. In diesem Sinne stellt nun der Aufhebungs-/Befristungsanspruch sicher, dass das an eine Ausweisung/Verlustfeststellung anknüpfende Aufenthaltsverbot als Ausnahme vom Grundprinzip der Freizügigkeit jedenfalls auf Antrag nicht ohne erneute Prüfung unbegrenzt weiterwirkt. Die in Unterabsatz 2 dieser Vorschrift bestimmte Entscheidungsfrist ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Sie garantiert, dass diese Prüfung nicht zu Lasten des Unionsbürgers verzögert wird. Damit dient die Entscheidungsfrist der effektiven Durchsetzung des Anspruchs auf Aufhebung/Befristung eines anfänglich unbefristeten Aufenthaltsverbots und stellt nicht lediglich eine verfahrensrechtliche Ordnungsfrist dar. Da der Unionsbürger dementsprechend einen uneingeschränkten subjektiven Anspruch auf Aufhebung/Befristung eines noch unbefristeten Aufenthaltsverbots innerhalb von sechs Monaten hat, darf ihm eine in diesem Zeitpunkt zustehende materielle Rechtsposition nicht mehr genommen werden, wenn die Behörde unter Missachtung dieser Frist erst verspätet entscheidet.
76 
5. a) Bei der Entscheidung über den Umfang der Aufhebung bzw. der Länge der Frist sind das Gewicht des Grundes für die Ausweisung/Verlustfeststellung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris unter Hinweis auf BT-Drucks. 15/420 S. 105). Die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierte äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers, z.B. familiäre Belange des Betroffenen, die nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen haben, in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - juris).
77 
b) Weiterhin ist das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot bei der Entscheidung über den Umfang der Aufhebung bzw. der Länge der Frist zu beachten. Für Drittstaatsangehörige gilt nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, dass die Frist fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Vorschrift stellt bei der im ersten Schritt vorzunehmenden prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont dar, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris). Die Dauer dieser bereits bei Erlass der Ausweisung zu bestimmenden Frist darf damit nach nationalem Recht für Drittstaatsangehörige in der Regel nicht länger als fünf Jahre und nach den Darlegungen des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht länger als 10 Jahre sein, wobei diese Fristen nach der Ausreise - ohne dass es darauf ankommt, ob der Ausweisungszweck noch fortbesteht und vorbehaltlich der Möglichkeit einer Verkürzung - ablaufen (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.11.2013 - 1 B 11.13 -, juris).
78 
aa) Um eine Benachteiligung von Unionsbürgern zu vermeiden, müssen zumindest diese Höchstgrenzen auch für die auf Antrag (zum Anspruch Drittstaatsangehöriger auf anfängliche Befristung vgl. unten B.) erfolgende nachträgliche Aufhebung/Befristung der Wirkungen von Ausweisungen/Verlustfeststellungen beachtet werden. Der Senat verkennt nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht die allgemeine Höchstgrenze von 10 Jahren damit begründet, dass keine weiter in die Zukunft gehende Prognose getroffen werden kann und diese Überlegung bei der Entscheidung über einen neun Jahre nach der Abschiebung erfolgten Aufhebungs-/Befristungsantrag nicht greift. Diese Rechtsprechung hat aber u.a. zur Folge, dass nach Erlass einer anfänglich aufgrund einer Prognose rechtmäßig befristeten Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen begangene - ggf. auch einschlägige - weitere Straftaten oder unerlaubte Einreisen den Ablauf der Frist nicht unterbrechen oder hemmen.
79 
(1) Auch wenn in der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums des Innern zum Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Stand: 07.04.2014, Zu Nummer 8) zum dort vorgesehenen Absatz 8 der Neuregelung des § 11 AufenthG, der eine Unterbrechung des Fristablaufs durch eine unerlaubte Einreise vorsieht, ausgeführt wird, die Regelung stelle klar, dass der Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach einer unerlaubten Wiedereinreise nicht im Bundesgebiet abgewartet werden könne, entspricht dies nicht der jetzigen Rechtslage, da § 11 AufenthG in der derzeitigen Fassung keinen Hinweis auf eine solche Unterbrechung der Frist enthält, so dass die Frist nach der ersten maßgeblichen Ausreise oder Abschiebung allein durch den anschließenden Zeitablauf endet (vgl. Urteil des Senats vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 - juris Rn. 73 m.w.N), ohne dass es auf danach eintretende Ereignisse ankommt.
80 
(2) Eine behördliche Bestimmung der Hemmung des Fristablaufs stünde zwar - anders als die Bestimmung des Neubeginns (früher: Unterbrechung) - nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, dass die Frist mit der Ausreise beginnt. Denn sie berührt den Fristbeginn nicht, sondern modifiziert ausschließlich den im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Ablauf der von der Behörde zu setzenden Frist. Dennoch ist auch die Regelung einer Hemmung aber derzeit nicht im Rahmen und als Teil der Bestimmung der Fristdauer möglich, sondern bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Auch dies entnimmt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung nach § 11 AufenthG (vgl. Urteil des Senats vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -). Darin hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nur betont, dass es sich bei der Befristung um eine gerichtlich vollständig überprüfbare Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sondern es hat selbst in Fallkonstellationen, in denen besonders gefahrbringende Gewohnheiten oder persönliche Eigenschaften vorlagen, dem jeweiligen Kläger einen Anspruch auf unbedingte Befristung unter zehn Jahren zugesprochen, ohne bei der Festsetzung dieser Fristdauer eine solch naheliegende Bestimmung zum Fristablauf wie die Hemmung z.B. im Falle der unerlaubten Einreise bis zur erneuten Ausreise überhaupt in Betracht zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris, vgl. hierzu unten).
81 
(3) Entsprechendes gilt für die Frage, ob die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG mit Bedingungen versehen werden kann (so BayVGH, Beschluss vom 21.11.2013 - 19 C 13.1206 -; a.A. OVG Niedersachsen, Urteil vom 07.03.2013 - 11 LB 167/12 - juris). Insofern verkennt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so dass § 36 Abs. 2 LVwVfG nicht anwendbar ist, und dass das Bundesverwaltungsgericht durchaus auch in Fallkonstellationen, in denen es keine Anhaltspunkte dafür gab, dass der Ausweisungszweck vor Ablauf von 10 Jahren entfallen könnte, dem jeweiligen Drittstaatsangehörigen einen Anspruch auf unbedingte Befristung unter zehn Jahren zugesprochen hat.
82 
(4) Schließlich kommt auch die Verlängerung einer prognostisch auf zehn Jahre festgesetzten Frist gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG schon deswegen nicht in Betracht, weil diese Fristbestimmung, wie dargelegt, unabhängig von nachträglich eintretenden Tatsachen erfolgt und erfolgen muss und eine erneute Straffälligkeit zudem Grundlage des Erlasses einer weiteren Ausweisung auch noch vor Ablauf der Frist sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.11.1985 - 1 C 40.82 - juris; vgl. jetzt den Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, Stand 07.04.2014, S. 35 f., dort § 11 Abs. 4 Satz 2). Weiterhin ist auch eine nachträgliche Verlängerung vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht in die Betrachtung einbezogen worden, das die Möglichkeit der Verkürzung der Frist auf erneuten Antrag regelmäßig betont und im Übrigen lediglich unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG darlegt, dass der Ablauf der Frist nicht dazu führe, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 - 1 C 14.12 - und - 1 C 20.11 - juris).
83 
Ist es aber grundsätzlich so, dass eine Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen nach nationalem Recht auf höchstens 10 Jahre zu befristen ist und läuft diese Frist unabhängig davon ab, ob der Ausweisungszweck fortbesteht und/oder neue Ausweisungsgründe verwirklicht werden, so dass ihm deren Wirkungen spätestens nach Ablauf von 10 Jahren ab Ausreise nicht mehr entgegen gehalten werden können, hat dies zur Folge, dass auch eine auf Antrag nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU vorzunehmende Aufhebung/Befristung jedenfalls nach erfolgter Ausreise über diese Zeitspanne regelmäßig nicht hinausgehen darf. Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht daraus, dass der Drittstaatsangehörige auch nach Ablauf der Befristungsdauer für die Einreise einen Aufenthaltstitel benötigt, der u.U. versagt werden kann, wenn weiterhin oder erneut Ausweisungsgründe vorliegen. Denn diesem Aspekt steht das besondere Gewicht der Freizügigkeit des Unionsbürgers gegenüber, in die das Aufenthaltsverbot bei diesem eingreift.
84 
bb) Im Übrigen zeigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung, dass es sich auch in der Sache um eine, sich nicht nur aus der begrenzten Vorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen ergebende, sondern jedenfalls grundsätzlich maßgebliche Höchstgrenze handelt (vgl. hierzu Referentenentwurf § 11 Abs. 3 Satz 2). Denn das Bundesverwaltungsgericht reduziert diese 10-Jahresfrist auch bei Fehlen von Anhaltspunkten für einen früheren Wegfall des Ausweisungszwecks regelmäßig aus prognoseunabhängigen bzw. prognoseindifferenten Gründen der Verhältnismäßigkeit und ausgehend von den aktuellen persönlichen Verhältnissen des Drittstaatsangehörigen. Es verweist sie selbst dann, wenn der für den Fristlauf maßgebliche Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris; Beschluss vom 11.11.2013 - 1 B 11.13 - juris; sowie dazu im Folgenden) und die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden persönlichen Verhältnisse (z.B. Alter der Kinder, Fortbestand der Ehe, Erwerbstätigkeit etc.) noch in keiner Weise abschätzbar sind, nicht unter Ausschöpfung der 10-Jahresfrist auf die Möglichkeit einer nachträglichen Fristverkürzung. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren, in dem der Kläger wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden war, ausgeführt, vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds sei nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf von sieben Jahren unterschreiten werde (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). In einem anderen Verfahren, in dem der Kläger wegen un-erlaubten Handeltreibens sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt worden war, hat das Bundesverwaltungsgericht eine Frist von neun Jahren für angemessen gehalten. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der fortbestehenden Verbindungen des Klägers zu einzelnen Mitgliedern seiner früheren Drogenhändlerbande sowie seines Alters sei eine Befristung für einen Zeitraum von zehn Jahren erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in seiner Person Rechnung zu tragen. Diese Frist habe der Senat um ein Jahr reduziert und damit den persönlichen Bindungen des Klägers an Deutschland als Land, in dem er geboren und aufgewachsen sei und in dem seine Familie lebe, Rechnung getragen (BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris). Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht in einem weiteren Fall einen Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots eines aus familiären Gründen bis auf Weiteres geduldeten Klägers auf fünf Jahre nach Ausreise angenommen und hierzu dargelegt, es bestehe nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der Person des Klägers, der keinerlei Neigung zeige, von seiner Unterstützung der PKK abzusehen, weiterhin die Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus (§ 54 Nr. 5 AufenthG) und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Der Senat gehe davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstelle, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden könne. Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass der Kläger durch Erwerbstätigkeit seine Familie unterhalte und mit ihr in familiärer Lebensgemeinschaft lebe und dass mehrere seiner Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, so dass er über starke familiäre Bindungen in Deutschland verfüge. Die Festsetzung einer Sperrfrist von fünf Jahren sei daher verhältnismäßig (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
85 
Von dieser Rechtsprechung ausgehend ist es nicht gerechtfertigt, bei einer auf Antrag nachträglich vorzunehmenden Aufhebung/Befristung von gegenüber Unionsbürgern ergangenen Ausweisungen/Verlustfeststellungen über die Zehnjahresgrenze hinauszugehen, selbst wenn sich die Rückfallgefahr inzwischen realisiert hat, da dies auch bei prognostischen Befristungsentscheidungen gegenüber Drittstaatsangehörigen in Kauf genommen bzw. zugrunde gelegt wird und diese nicht etwa darauf verwiesen werden, nach fünf, sieben bzw. neun Jahren - ohne weitere einschlägige Taten bzw. Handlungen - eine Fristverkürzung zu beantragen.
86 
b) Nach diesem Maßstab hatte der Kläger Anspruch auf die beantragte Aufhebung/Befristung zum 31.01.2012. Zunächst ist das Regierungspräsidium Stuttgart selbst davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls vor der erneuten Inhaftierung am 05.06.2012 und damit bis zum Ablauf der sechsmonatigen Entscheidungsfrist am 13.01.2012 einen Anspruch auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots gehabt hätte. Soweit die Behörde ihre dargelegte Einschätzung dahingehend eingeschränkt hat, dass der Anspruch auf sofortige Befristung nur bei nachgewiesener Straffreiheit seit erfolgter Abschiebung bestanden hätte, verkennt sie jedenfalls, dass sie wegen der strikten Entscheidungsfrist nicht berechtigt war, die Verurteilung - und die Begehung der weiteren Straftat - abzuwarten. Soweit hierzu vorgetragen wird, dass der Kläger-Vertreter im Befristungsverfahren mit dem Zuwarten einverstanden gewesen sei, kann offenbleiben, welche Rechtswirkungen ein solches Einverständnis haben könnte. Denn im vorliegenden Fall hat der Kläger nicht auf seine verfahrensrechtliche Position (vgl. unten B.) aufgrund der Überschreitung der Entscheidungsfrist und auch nicht auf das damit verbundene Verwertungsverbot bezüglich später eingetretener nachteiliger Änderungen der Sachlage verzichtet. Das Schreiben vom 20.06.2012, auf das sich der Beklagte insoweit bezieht, stellt die Antwort auf ein Schreiben vom 16.06.2012 dar, in dem das Regierungspräsidium angeregt hatte, den Antrag wegen der neuerlichen Straftaten zurückzunehmen, und mitgeteilt hatte, dass der Ausgang des Strafverfahrens in jedem Fall abgewartet werden müsse, um eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können. Wenn der Kläger-Vertreter daraufhin bittet abzuwarten, weil im aktuellen Strafverfahren noch nichts entschieden sei, lässt sich hieraus nichts dafür herleiten, dass er sich mit der Einbeziehung auch der Straftat vom April 2012 in die Aufhebungs-/Befristungsentscheidung einverstanden erklären wollte, zumal er mitgeteilt hat, dass der - ursprünglich gestellte - Antrag aufrecht erhalten bleibt.
87 
Die Frist durfte in dem danach maßgeblichen Zeitpunkt 10 Jahre nicht überschreiten. Insbesondere konnte den Wertungen und Belangen nach § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU nicht durch die Verkürzung einer Frist von weiteren fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der - verspäteten - Aufhebungs-/Befristungsent-scheidung Rechnung getragen werden. Vielmehr musste über die Gesamtdauer des unbefristeten Aufenthaltsverbots aus der Entscheidung vom 21.10.1999 befunden werden, das mit der das Einreiseverbot auslösenden Abschiebung am 01.02.2002 vollzogen worden war. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bis zum 31.12.2016 entspricht damit einer Befristung auf dreizehn Jahre und elf Monaten ab dem Zeitpunkt der Abschiebung, die hier ausgehend von der maßgeblichen Situation bei Ablauf der Sechs-Monats-Frist auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist.
88 
Damit ist die Verpflichtungsklage des Klägers uneingeschränkt begründet, weil eine Frist, die länger als 10 Jahre nach Ausreise liefe, hier nicht gerechtfertigt ist, so dass er nach § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU einen Anspruch auf die von ihm begehrte Aufhebung des Aufenthaltsverbots mit Wirkung zum 31.01.2012 hat.
B.
89 
Die Berufung, mit der der Kläger sein Anfechtungsbegehren gegen die Abschiebungsandrohung weiterverfolgt, ist ebenfalls zulässig und begründet.
I.
90 
Die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe für den Erlass der Abschiebungsandrohung folgt aus § 71 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 der Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung Baden-Württemberg vom 02.12.2008, nachdem die vom Regierungspräsidium Stuttgart erlassene Ausweisung bestandskräftig ist. Denn das FreizügG/EU enthält keine spezifischen Zuständigkeitsbestimmungen, sondern bestimmt lediglich, dass die Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts sowie die daran anknüpfenden Maßnahmen gemäß § 7 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FreizügG/EU „die Ausländerbehörde“ trifft (BVerwG, Urteil vom 28.06.2011 - 1 C 18.10 - juris).
II.
91 
Die Abschiebungsandrohung ist bereits deswegen aufzuheben, weil sie verfahrensfehlerhaft ist. Denn der Kläger ist vor Erlass der Abschiebungsandrohung nicht angehört worden, ohne dass von einer Anhörung ermessenfehlerfrei hätte abgesehen werden können.
92 
Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat eine Anhörung vor Erlass der Abschiebungsandrohung nicht durchgeführt und insoweit ausgeführt, nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG sei die vorherige Anhörung entbehrlich. § 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG ermöglicht es zwar, Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung - wozu nach nationalem Recht der Erlass einer Abschiebungsandrohung gehört - ohne eine grundsätzlich gebotene vorherige Anhörung zu erlassen. Diese Verfahrensermächtigung setzt aber eine Ermessensentscheidung der Behörde voraus, die hier weder ersichtlich ist noch von der Behörde behauptet wird.
93 
Zudem waren hier besondere Umstände des konkreten Falles erkennbar, die eine Anhörung erforderten. Die Behörde hat der Abschiebungsandrohung zugrunde gelegt, der Kläger sei ausreisepflichtig, weil er entgegen dem bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) ins Bundesgebiet eingereist sei. Das Einreiseverbot hat sie dabei der vor vielen Jahren (1999) ergangenen Ausweisungsverfügung entnommen. Es liegt auf der Hand, dass in der Zwischenzeit wesentliche Änderungen der Verhältnisse eingetreten sein konnten und die Behörde daher nicht ohne Anhörung des Klägers beurteilen durfte, ob hieraus - mittelbar oder unmittelbar - noch aktuell vollstreckungsrechtliche Konsequenzen und ggf. in welcher Weise gezogen werden können. Dafür, dass aus Gründen der Effektivität der Vollstreckung hier ein Verzicht auf Anhörung geboten gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Der Kläger verbüßte eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren. Dass im Falle einer vorherigen Anhörung eine - vorzeitige - Haftentlassung noch vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu befürchten gewesen wäre, gibt es keine Anhaltspunkte. Solche fehlen auch dafür, dass er in diesem Fall innerhalb des Bundesgebiets untergetaucht wäre.
94 
Der Anhörungsmangel ist auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LVwVfG geheilt worden. Eine Heilung setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Ein Vorverfahren hat nicht stattgefunden. Im Berufungsverfahren hat das Regierungspräsidium Karlsruhe die Berufung bereits als unzulässig angesehen. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen nicht (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 3 C 16.11 - juris m.w.N.). Die Äußerung des Klägers im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes konnte mithin eine Heilung nicht bewirken. Entsprechendes gilt für die bloße Nachfrage der Behörden-Vertreterin bei der Kläger-Vertreterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, ob sie nun auf ihre ausdrückliche Frage hin noch etwas zur Abschiebung sagen wolle. Auch liegt kein Anwendungsfall des § 46 LVwVfG vor. Denn es ist nicht jeglicher Zweifel daran ausgeschlossen, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe, das nach Angaben seiner Sitzungsvertreterin hinsichtlich der zu erwartenden Auswirkungen der Befristungsentscheidung auf den Zeitpunkt der erneuten Freizügigkeitsberechtigung des Klägers Auskünfte vom Regierungspräsidium Stuttgart eingeholt hat, auch im Falle der vorherigen Anhörung des Klägers eine Abschiebungsandrohung erlassen hätte, die nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU im Falle der Ausreisepflicht nicht zwingend zu ergehen hat, und eine Ausreisefrist von nur einem Monat bestimmt hätte.
95 
Damit kann offenbleiben, ob Unionsrecht grundsätzlich eine Anhörung vor dem Erlass einer isolierten Abschiebungsandrohung fordert (vgl. Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal administratif de Pau vom 06.05.2013 - ABl. EU 2013, Nr. C 189, 13 -, anhängig unter Az.: C-249/13, und des Tribunal administratif de Melun vom 03.04.2013 - ABl. EU 2013, Nr. C 164, 11 -, anhängig unter Az.: C-166/13, zur Auslegung von Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Bezug auf ausschließlich Drittstaatsangehörige betreffende Rückkehrentscheidungen).
III.
96 
Unabhängig davon ist die Abschiebungsandrohung auch aufzuheben, weil sie materiell rechtswidrig ist.
97 
Der gerichtlichen Beurteilung einer Abschiebungsandrohung ist, wenn - wie hier - der Ausländer aufgrund der Androhung noch nicht abgeschoben wurde oder noch nicht freiwillig ausgereist ist, grundsätzlich, d.h., soweit sich aus der materiellen Rechtslage nichts anderes ergibt, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 1 C 3.11 - m.w.N., juris).
98 
1. Rechtsgrundlage für den Erlass der Abschiebungsandrohung ist § 7 Abs.1 Satz 2 FreizügG. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann sie nicht auf die §§ 58, 59 AufenthG gestützt werden; insbesondere ergibt sich die vollziehbare Ausreisepflicht des Klägers nicht aus einer unerlaubten Einreise (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 AufenthG).
99 
§ 11 Abs. 2 FreizügG/EU bestimmt zwar, dass für Unionsbürger, gegenüber denen die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat, das Aufenthaltsgesetz Anwendung findet, sofern dieses Gesetz keine besonderen Regelungen trifft. Im Übrigen sind nach § 11 Abs. 1 FreizügG/EU hinsichtlich dieser Feststellungen ergänzend nur § 11 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 6, § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG entsprechend anwendbar. Diese Bestimmungen setzen allerdings die Ausreisepflicht voraus (vgl. auch BR-Drucks. 210/11, S. 86 zu Artikel 6), so dass sie in Bezug auf Unionsbürger im Sinne des Absatzes 1, die nach § 2 Abs. 1 das Recht auf Einreise und Aufenthalt gerade haben, leerlaufen. Wenn für Unionsbürger im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG, gegenüber denen die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat, § 11 und § 50 sowie die §§ 58 ff. AufenthG ohnehin uneingeschränkt anzuwenden wären, hätte der Verweis auf §§ 11 Abs. 2, 50 Abs. 3 bis 6, 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG überhaupt keine Bedeutung mehr.
100 
Damit dürfte die Erwähnung dieser Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in Absatz 1 der Vorschrift ein redaktionelles Versehen sein, aus dem sich entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass § 7 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU die Feststellung des Nichtbestehens bzw. des Verlusts des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU einschließlich deren Folgen, insbesondere das Einreise- und Aufenthaltsverbot (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), die Ausreisepflicht und die Ausreisefrist (vgl. § 50 Abs. 1 und Abs. 2, § 59 Abs. 1, 5, 7 AufenthG) sowie die Ermächtigung für den Erlass einer Abschiebungsandrohung und die Wirkung der gegen diese eingelegten Rechtsmittel (vgl. § 59 Abs. 1 bis 5 AufenthG) für Unionsbürger abschließend regeln und ergänzend insoweit lediglich § 11 Abs. 2, § 50 Abs. 3 bis 6, § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG entsprechend anzuwenden sind.
101 
Ferner folgt schon aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, dass sich die Ausreisepflicht eines Unionsbürgers in Übereinstimmung mit der Unionsbürgerrichtlinie ausschließlich aus einer gegenüber diesem erfolgten Feststellung, dass das Recht auf Aufenthalt nicht (mehr) besteht, ergeben kann (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.10.2005 - 8 S 39.05 - juris; vgl. auch GK-AufenthG, § 7 FreizügG/EU Rn. 17; Renner/Berg-mann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl., § 7 Rn. 11 ff.), und damit auch ihre Vollziehbarkeit allein von der Vollziehbarkeit dieser Feststellung abhängt. Auch dies spricht gegen einen Rückgriff auf §§ 50 Abs. 1 und 2, 58 ff. AufenthG (a.A. HessVGH, Beschluss vom 14.12.2007 - 11 TG 2475/07 - juris). § 7 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU sind damit jedenfalls besondere Regelungen im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG, so dass sie insoweit die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes mit Ausnahme der in Absatz 1 genannten Vorschriften verdrängen.
102 
2. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU liegen insoweit vor, als die Ausweisung aus dem Jahr 1999 einer Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU gleichsteht und als solche fortwirkt. Eine erneute Abschiebungsandrohung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU zur Durchsetzung der auf dieser beruhenden Ausreisepflicht hätte jedenfalls nach Ablauf der Sechs-Monatsfrist aber nicht mehr ohne Prüfung des geltend gemachten Anspruchs ergehen dürfen.
103 
a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger (und ihre Familienangehörigen) ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Diese Feststellung enthält hier die Ausweisungsverfügung vom 21.10.1999, die als Verlustfeststellung gem. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU weiterwirkt (vgl. oben A. I.). Dementsprechend kann eine solche Alt-Ausweisung, die als Verlustfeststellung weiterwirkt, auch Grundlage für eine Abschiebungsandrohung sein (verneinend GK-AufenthG, § 7 FreizügG/EU Rn. 18). Dies gilt grundsätzlich auch für eine, wie hier, erst viele Jahre nach Erlass der Ausweisung/Verlust-fest-stellung und nach erneuter Einreise ergangene isolierte Abschiebungsandrohung. Auch diese dient der Vollstreckung der bestandskräftigen, als Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU fortwirkenden Alt-Ausweisung. Dem steht die Soll-Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU nicht entgegen, nach der die erstmalige Abschiebungsandrohung in der Regel mit der Verlustfeststellung verbunden wird. Sie lässt Raum für Ausnahmen, wenn sich der erstmalige Vollzug der Ausreisepflicht z.B. wegen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe (vgl. dazu auch Art. 33 Abs. 2 UnionsRL sowie unten) verzögert, oder wenn nach Ausreise oder auch bereits erfolgter Abschiebung eine erneute Einreise ohne vorherige Aufhebung/Befristung des Aufenthaltsverbots erfolgt.
104 
b) Grundsätzlich setzen aber die nachträgliche Vollstreckung einer unbefristeten Ausweisung/Verlustfeststellung und damit auch der Erlass einer isolierten Abschiebungsandrohung auf Antrag eine vorherige Überprüfung der Aktualität des Ausweisungszwecks innerhalb von sechs Monaten voraus.
105 
Im Regelfall soll nach § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FreizügG/EU die Abschiebung im Feststellungsbescheid angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden. In diesem Regelfall ist die Aktualität der Feststellung und der darauf beruhenden Ausreisepflicht sowie ggf. auch die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes im Falle des Vollzugs gewährleistet (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 4 FreizügG/EU). Für den hier vorliegenden Ausnahmefall, dass eine Abschiebungsandrohung später isoliert ergeht, enthält das Freizügigkeitsgesetz keine näheren Bestimmungen.
106 
aa) Der Unionsbürger, dessen Ausweisung/Verlustfeststellung nachträglich vollstreckt werden soll, darf nicht schlechter gestellt werden als ein Drittstaatsangehöriger in einer entsprechenden Situation.
107 
(1) Ein Unionsbürger hat nach nationalem Recht nach einem angemessenen Zeitraum, spätestens nach drei Jahren einen Anspruch auf Überprüfung und Befristung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots (vgl. dazu oben A.). Aufgrund des Verbots der Benachteiligung von Unionsbürgern gegenüber Drittstaatsangehörigen dürfen Unionsbürger, auch wenn sie im Bundesgebiet aufgrund einer Entscheidung nach § 6 FreizügG/EU nicht freizügigkeitsberechtigt sind, jedenfalls nicht schlechter gestellt werden als ausgewiesene Drittstaatsangehörige. Für diese bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 3 und 6 AufenthG - den Regelungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU entsprechend -, dass die Wirkungen u.a. der Ausweisung auf Antrag befristet werden und die Frist mit der Ausreise beginnt. Allerdings müssen Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (std. Rspr. des BVerwG seit Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 14.12 - juris) seit Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22.11.2011 (BGBl. I S. 2258) im Sinne eines einheitlichen Verständnisses dieser Norm unmittelbar mit Erlass der Verfügung befristet werden. Demgegenüber haben Unionsbürger einen Anspruch auf Aufhebung/Be-fristung auf einen zulässigen Antrag innerhalb von sechs Monaten (§ 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU, Art. 32 Abs. 1 2. Unterabsatz UnionsRL). Zudem ergibt sich aus der Unionsbürgerrichtlinie, dass der Fristbeginn nicht von einer vorherigen Ausreise abhängig gemacht werden darf (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 07.12.1999 - 1 C 13.99 - zu § 8 Abs. 2 AuslG).
108 
(2) Ob sich daraus entnehmen lässt, dass nun auch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU gleichzeitig von Amts wegen zu befristen ist, oder die nachträgliche Befristung nur auf Antrag im Hinblick darauf, dass der Antrag innerhalb von sechs Monaten beschieden werden muss und der Fristbeginn bei Unionsbürgern - entgegen der nationalen Regelung - nicht von der Ausreise abhängig ist, gerechtfertigt werden kann, kann hier offenbleiben. Denn jedenfalls darf es sich im Ergebnis für Unionsbürger nicht nachteilig auswirken, dass der Anspruch auf Aufhebung/Befristung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots aufgrund von Ausweisungen/Verlustfeststellungen nach § 6 FreizügG/EU erst nachträglich und erst auf Antrag besteht. Im vorliegenden Zusammenhang ist dabei allein maßgeblich, dass § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch für den nachträglichen Vollzug von ursprünglich unbefristeten Alt-Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen, die bereits vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 bestandskräftig geworden sind, jedenfalls auf Antrag zunächst die Nachholung der Befristungsentscheidung voraussetzt.
109 
Denn § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der heutigen Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011, der, wie dargelegt, den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie entsprechend auszulegen ist, findet mangels Übergangsvorschrift auch Anwendung auf die Befristung der Wirkungen bereits vor seinem Inkrafttreten bestandskräftig gewordener Ausweisungen und erfolgter Abschiebungen von Drittstaatsangehörigen. Mit Blick auf die Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie ist es bei einem Drittstaatsangehörigen, gegenüber dem eine bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung ohne Befristung der Wirkungen der beabsichtigten Abschiebung ergangen ist (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 19.12.2012 - 11 S 2303/12 - juris, m.w.N.) oder der kraft Gesetzes aufgrund einer erfolgten Abschiebung einem unbefristeten Einreiseverbot unterliegt, geboten, sofern hieran anknüpfende belastende Maßnahmen, insbesondere zur Vollstreckung getroffen werden sollen, zunächst über eine beantragte erstmalige Befristung zu entscheiden. Hiervon ausgehend hat der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 08.01.2014 - V ZB 137/12, juris) entschieden, dass eine Haft zur Sicherung einer Abschiebung aufgrund einer unerlaubten Einreise nur dann angeordnet werden darf, wenn im Zuge der angestrebten Aufenthaltsbeendigung über die ursprünglich nicht erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise danach weiterhin unerlaubt war und der Betroffene Rechtsmittel im Bundesgebiet in Anspruch nehmen konnte. In dem zugrundeliegenden Fall ging es zwar um die Fortwirkung eines Einreiseverbots aus einer früheren Abschiebung. Wie dargelegt hat das Bundesverwaltungsgericht aber eine differenzierende Auslegung von § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abgelehnt (vgl. oben), weshalb diese Grundsätze auch für die nachträgliche Befristung von Altausweisungen von Drittstaatsangehörigen anzuwenden sind.
110 
Der in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geregelte Anspruch auf anfängliche Befristung, der nun grundsätzlich dazu führt, dass die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen nicht vor einer ersten Entscheidung über die Dauer ihrer Wirkungen vollstreckt wird, ist damit in Bezug auf Altfälle so zu verstehen, dass unbefristete Alt-Ausweisungen vor einer nachträglichen Vollstreckung jedenfalls auf Antrag zu befristen sind. Damit würde aber ein Unionsbürger, auch wenn er, wie der Kläger unter Verstoß gegen das Einreiseverbot wieder eingereist ist, jedenfalls dann in unzulässiger Weise gegenüber einem unerlaubt eingereisten Drittstaatsangehörigen deutlich schlechter gestellt, wenn eine Ausweisung/Verlustfeststellung ohne eine erstmalige Befristung des Aufenthaltsverbots selbst dann noch vollzogen werden dürfte, wenn über seinen Aufhebungs-/Befristungsantrag nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist entschieden worden ist und ihm der Aufhebungs-/Befristungsanspruch bereits bezogen auf diesen oder einen früheren Zeitpunkt zusteht.
111 
bb) (1) Für die nachträgliche Vollstreckung des Aufenthaltsverbots aus einer Verlustfeststellung/Ausweisung gebietet zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass diese nur erfolgen darf, wenn die zugrundeliegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dieses Verbots, das nicht lebenslang gelten darf (vgl. oben A. II.), weiterhin rechtfertigt. Dem muss bei der nachträglichen Vollstreckung in einem Aufhebungs-/Befristungsverfahren des § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU Rechnung getragen werden. Denn die Aufhebungs-/Befristungsentscheidung ist bei Unionsbürgern grundsätzlich für die Frage der Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Abschiebungsandrohung zur - erneuten - Durchsetzung des Aufenthaltsverbots vorgreiflich, da von dieser der Fortbestand der Ausreisepflicht abhängig ist, die nur durch eine Ausweisung/Verlustfeststellung begründet werden kann (vgl. oben). Mit Aufhebung bzw. nach Ablauf der Befristung kann der Unionsbürger - anders als der Drittstaatsangehörige, bei dem eine Ausreisepflicht meist weiterhin gegeben sein wird und der, soweit er nicht Positivstaater ist, bereits für einen Besuchsaufenthalt zunächst eines Aufenthaltstitels bedarf - damit wieder uneingeschränkt von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen. Dementsprechend wird mit der nachträglichen Vollstreckung eines aus einer Ausweisung/Verlustfeststellung resultierenden unbefristeten Aufenthaltsverbots jedenfalls nach Antragstellung in Kauf genommen, dass nicht nur in einen bestehenden Aufhebungsanspruch, sondern letztlich auch in das Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgers eingegriffen wird. Dies ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedenfalls dann nicht mehr vereinbar, wenn die Entscheidungsfrist von sechs Monaten abgelaufen ist und der materielle Anspruch auf Aufhebung zu diesem Zeitpunkt besteht (vgl. auch oben A.).
112 
(2) Auch Art. 32 Abs. 1, 33 Abs. 2 UnionsRL und der Erwägungsgrund 27 sprechen für ein solches Verständnis des Aufhebungs-/Befristungsverfahrens. Die Unionsbürgerrichtlinie enthält, wie das Freizügigkeitsgesetz, keine ausdrückliche Regelung dazu, auf welche Weise dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Falle der nachträglichen Vollstreckung einer behördlich verfügten Ausweisung Rechnung zu tragen ist. Sie regelt in Art. 33 Abs. 2 ausdrücklich lediglich den Fall der nachträglichen Vollstreckung einer als Strafe verhängten Ausweisung. Nach den Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie kann eine Ausweisung/Verlustfeststellung durch eine Behörde erlassen oder als (Neben-)Strafe verhängt werden. Im letzteren Fall muss der Mitgliedstaat, ohne dass es eines Aufhebungs-/Befristungsantrags bedarf, die Ausweisung vor einer Vollstreckung gemäß Art. 33 Abs. 2 UnionsRL überprüfen. Die Pflicht zur Überprüfung - im ursprünglichen Vorschlag der Kommission Absatz 2 des damaligen Art. 31 (Abschiebung als Strafe oder Nebenstrafe; KOM (2001) 257 endg.) - sollte nach der Vorstellung des Europäischen Parlaments (ABl. EG C 45 E/04, S. 48 [57]) allgemein gelten. Im dementsprechend geänderten Kommissionsvorschlag entfiel daher der Absatz 2 des damaligen Art. 31. Stattdessen wurde eine eigene Bestimmung (Art. 31a - Prüfung vor der Abschiebung) eingefügt, die lautete: „Bevor eine Abschiebung vollstreckt wird, ist der Mitgliedstaat gehalten, sich vom Vorliegen einer gegenwärtigen und tatsächlichen Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu überzeugen und die Änderungen zu beurteilen, die gegebenenfalls seit dem Zeitpunkt der Abschiebungsentscheidung eingetreten sind“. In den Gründen hierzu heißt es, der Wortlaut dieses neuen Artikels entspreche dem des ehemaligen Absatzes 2 von Artikel 31. Es sei in der Tat logischer, diesen Inhalt in einen separaten Artikel aufzunehmen (KOM (2003) 199 endg.). Im Gemeinsamen Standpunkt (EG Nr. 6/2004 - ABl. EG C 54E/02, S. 32) blieb es allerdings bei der auf die Vollstreckung einer Ausweisung als (Neben-)Strafe beschränkten Prüfungspflicht. Hierzu wird ausgeführt, der Rat habe es vorgezogen, an einem einzigen Artikel festzuhalten, da seines Erachtens in Absatz 2 lediglich auf die in Absatz 1 vorgesehenen Verfügungen Bezug genommen wird. Hieraus lässt sich nach Ansicht des Senats aber nicht schließen, dass die behördliche Ausweisung/Verlustfeststellung, die unter den gleichen Voraussetzungen wie die als Strafe verhängte Ausweisung ergeht und die gleichen Auswirkungen auf die Freizügigkeit des Unionsbürgers hat, ohne erneute Prüfung zeitlich unbegrenzt vollstreckbar sein sollte. Insoweit dürfte der Rat vielmehr für den Fall der Ausweisung durch eine Behörde davon ausgegangen sein, dass die Vollstreckung - anders als im Fall der Ausweisung als Strafe, in dem es naheliegt, dass die Ausweisung erst nach erfolgtem Strafvollzug vollstreckt wird - jeweils zeitnah erfolgt, und damit gewährleistet ist, dass die ihr zugrundeliegende Ausweisung den Eingriff in die Freizügigkeit noch aktuell rechtfertigt.
113 
Für die unbefristete, behördlich verfügte Ausweisung/Verlustfeststellung obliegt es damit aber auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben dem Aufhebungs-/Befristungsverfahren die Verhältnismäßigkeit einer nachträglichen Vollstreckung zu gewährleisten. Mit der Fassung des Art. 30 Abs. 2 UnionsRL (jetzt Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie) im geänderten Kommissionsvorschlag (KOM (2003) 199 endg.), die nicht mehr von einem neuen Antrag auf Einreise (new application for leave to enter, nouvelle demand d‘accès au territiore), der denknotwendig nur vom Ausland aus gestellt werden kann, sondern von einem Antrag auf Aufhebung des Zugangs- und Aufenthaltsverbots (application for lifting of the exclusion order, demande de levée de l'interdiction du territiore) spricht, wurde insoweit deutlich, dass ein Anspruch auf Überprüfung auf Antrag auch bei noch nicht erfolgter Vollstreckung oder Ausreise sowie im Falle der erneuten Einreise besteht. Wenn Art. 32 Abs. 2 UnionsRL betont, der Unionsbürger habe während des Überprüfungsverfahrens kein Einreiserecht (no right of entry, aucun droit d'accès) in den entsprechenden Mitgliedstaat, was einer ausdrücklichen Bestimmung nicht bedurft hätte, da es sich bereits aus dem Fortbestehen des Aufenthaltsverbots ergibt, lässt sich hieraus zwar schließen, dass derjenige, der seinen Überprüfungsantrag nur deshalb nicht von außen, sondern im Mitgliedstaat selbst stellt, weil er unter Missachtung des Zugangs- und Aufenthaltsverbots erneut eingereist ist, aufgrund der Antragstellung keine Rechtsposition und auch keine verfahrensrechtliche Sicherstellung des so geschaffenen „status quo“ beanspruchen können soll. Offen bleiben kann, ob damit in diesen Fällen auch eine Vollstreckung während des Aufhebungs-/Befristungsverfahrens zulässig ist. Denn anders ist dies jedenfalls zu bewerten, wenn die Behörde nicht innerhalb der vorgegebenen Frist des Art. 32 Abs. 1 Unterabsatz 2 UnionsRL über einen zulässigen Antrag entschieden hat.
114 
Von einem subjektiven Anspruch auf Entscheidung innerhalb dieser Frist ausgehend (vgl. oben A.) spricht der vom Europäischen Gerichtshof für die Interpretation europarechtlicher Vorschriften entwickelte Grundsatz des "effet utile“ dafür, dass der Unionsbürger nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist, auch nach erneuter Einreise unter Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot, die - ggf. erneute - Vollstreckung des Aufenthaltsverbots ohne die vorherige Aufhebung/Befristung, die gewährleisten soll, dass das Aufenthaltsverbot nicht auf Lebenszeit (vgl. oben A. II.) weiterbesteht, nicht mehr hinnehmen muss. Vielmehr kann der Unionsbürger, dem zur Durchsetzung seines materiellen Rechtsanspruchs auf Aufhebung/Befristung der Anspruch auf Entscheidung innerhalb dieser Frist zusteht, jedenfalls nach deren Ablauf der Vollstreckung den materiellen Anspruch entgegenhalten und muss sich nicht mehr auf die Möglichkeit der nachträglichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs verweisen lassen. Hätte die Missachtung der strikten Entscheidungsfrist auch dann keine Konsequenzen für die Vollstreckung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, wenn der materielle Anspruch auf deren Aufhebung bereits besteht, würde die Regelung dagegen leerlaufen.
115 
§ 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 4 FreizügG/EU sind daher dahingehend auszulegen, dass sich der Unionsbürger gegenüber Vollstreckungsmaßnahmen dann auf einen bereits entstandenen Anspruch auf Aufhebung/Befristung bezogen auf diesen oder einen früheren Zeitpunkt berufen kann, wenn über einen nach einer angemessenen Frist gestellten Aufhebungs-/Befristungs-antrag nach Ablauf von sechs Monaten noch nicht entschieden worden ist. Dies gilt auch, wenn der Unionsbürger in das Gebiet des Mitgliedsstaats unter Verstoß gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot erneut eingereist ist.
116 
3. Hiervon ausgehend unterlag der Kläger zwar zunächst weiterhin dem Aufenthaltsverbot aus der bestandskräftigen Alt-Ausweisung. Die Abschiebungsandrohung als Vollstreckungsmaßnahme hätte jedoch jedenfalls nach dem 13.01.2012 nicht mehr ergehen dürfen. Daran hat sich nach Erlass der Befristungsentscheidung am 14.10.2013 nichts mehr geändert, da dem Kläger zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt, dem 13.01.2012, nicht nur ein Anspruch auf eine entsprechende Entscheidung, sondern auch ein materieller Anspruch auf Aufhebung/Befristung bereits zustand (vgl. oben A).
117 
Nachdem die Alt-Ausweisung aus dem Jahre 1999 stammt (und am 01.02.2002 bereits vollstreckt worden ist), hatte der Kläger Anspruch auf eine aktuelle Überprüfung dieser bis dahin unbefristeten Entscheidung aufgrund seines bereits am 13.03.2011 gestellten Antrags gemäß § 7 Abs. 2 Sätze 2 und 4 FreizügG/EU auf Aufhebung/Befristung dieser Alt-Ausweisung/Verlust-feststellung. Über diesen zulässigen Antrag auf Aufhebung/Befristung des Aufenthaltsverbots war am 29.07.2013, obwohl die Frist von sechs Monaten bereits am 13.01.2012 abgelaufen war, noch nicht entschieden worden.
118 
Es bedarf keiner Entscheidung, ob auf die Einhaltung dieser Frist wirksam verzichtet werden kann, da das Schreiben, auf das sich das Regierungspräsidium Stuttgart insoweit bezieht, erst am 20.06.2012 und damit deutlich nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist bei der Behörde eingegangen ist. Ob auf die damit bereits entstandene verfahrensrechtliche Position als solche verzichtet werden konnte, kann ebenfalls offenbleiben, da für einen solchen Verzicht - insbesondere ein ausdrückliches Einverständnis mit einer Vollstreckung ohne Prüfung des geltend gemachten Aufhebungs-/Befristungsanspruchs - nicht erkennbar ist. Damit hätte die Abschiebungsandrohung am 29.07.2013 nicht ergehen dürfen, weil dem Kläger bereits am 13.01.2012 ein Anspruch auf Befristung zum 31.01.2012 zustand (vgl. auch oben A. II.).
119 
Die Abschiebungsandrohung ist auch nicht durch den Erlass der Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14.10.2013, mit der das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 31.12.2016 befristet worden ist, rechtmäßig geworden. Diese vom Kläger ebenfalls angegriffene Befristungsentscheidung hat keinen Bestand (vgl. oben A. II.). Denn der Kläger hatte, wie dargelegt, bereits am 13.01.2012 einen Anspruch auf Befristung bis zum 31.01.2012. Dieser steht Vollstreckungsmaßnahmen und damit auch der Abschiebungsandrohung weiterhin entgegen.
C.
120 
Ob gegenüber dem erneut straffällig gewordenen Kläger ggf. eine erneute Feststellung des Verlusts des Rechts gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU oder die Feststellung des Nichtbestehens des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU ergehen kann, auf deren Grundlage eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen werden könnte, bedurfte hier keiner Entscheidung.
D.
121 
Die die Abschiebungen betreffenden Befristungsentscheidungen in der angegriffenen Verfügung waren nicht Gegenstand des Klageverfahrens und sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Insoweit weist der Senat lediglich darauf hin, dass diese Befristungen ins Leere gehen. Aus § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU i.V.m. Art. 27 ff. UnionsRL ergibt sich, dass ausschließlich die Verlustfeststellung ein Aufenthaltsverbot zur Folge hat. Insoweit ist kein Raum für die Fortgeltung der Wirkung von Abschiebungen gegenüber Unionsbürgern.
E.
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
F.
123 
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
124 
Beschluss vom 30. April 2014
125 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt (§§ 39 Abs. 1, 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
126 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 30. Apr. 2014 - 11 S 244/14

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 30. Apr. 2014 - 11 S 244/14

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 30. Apr. 2014 - 11 S 244/14 zitiert 17 §§.

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(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

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(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

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(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 30. Apr. 2014 - 11 S 244/14 zitiert oder wird zitiert von 15 Urteil(en).

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 30. Apr. 2014 - 11 S 244/14 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2014 - V ZB 137/12

bei uns veröffentlicht am 08.01.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 137/12 vom 8. Januar 2014 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja AufenthG § 11 Abs. 1 Richtlinie 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2 a) Bei Bestehen eines unbefristeten Einrei

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 14. Mai 2014 - 11 S 2224/13

bei uns veröffentlicht am 14.05.2014

Tenor Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.05.2013 - 11 K 563/12 - geändert.Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 24.02.2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 15. Okt. 2013 - 11 S 2114/13

bei uns veröffentlicht am 15.10.2013

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. September 2013 - 12 K 2316/13 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe  1 Die Beschwerde des

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 06. Nov. 2012 - 11 S 2307/11

bei uns veröffentlicht am 06.11.2012

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. April 2011 - 8 K 219/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das beklagte Land verpflichtet wird, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten ges

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 10. Feb. 2012 - 11 S 1361/11

bei uns veröffentlicht am 10.02.2012

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. März 2011 – 6 K 2480/10 – wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.Die Revision wird zugelassen. Tatbestand   1 Der am

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 23. Juli 2008 - 11 S 2889/07

bei uns veröffentlicht am 23.07.2008

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpf
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Verwaltungsgericht München Urteil, 16. Dez. 2014 - M 4 K 13.3733

bei uns veröffentlicht am 16.12.2014

Tenor I. Die Beklagte wird verpflichtet, die Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre ab Ausreise zu befristen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. III.

Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 28. Apr. 2015 - W 7 K 14.659

bei uns veröffentlicht am 28.04.2015

Tenor Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt. Gründe I. 1. Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung der Beklagten, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschl

Verwaltungsgericht Würzburg Gerichtsbescheid, 01. Sept. 2014 - 7 K 14.507

bei uns veröffentlicht am 01.09.2014

Tenor I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides Landratsamts Rhön-Grabfeld vom 29. April 2014 verpflichtet, die Wirkungen der am 25. Juli 2006 vollzogenen Abschiebung des Klägers nachträglich auf den Tag der Rechtskraft dies

Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Feb. 2015 - M 17 K 14.31195

bei uns veröffentlicht am 05.02.2015

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. November 2014 wird in Nr. 5 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger 4/5, di

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(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Wird die Erpressung durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen.

(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. März 2011 – 6 K 2480/10 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1986 in Leonberg geborene Kläger ist lediger und kinderloser türkischer Staatsangehöriger. Nach der Geburt lebte er zunächst einige Jahre bei seinen Eltern in Deutschland und wuchs dann bis zu seinem 9. Lebensjahr gemeinsam mit seinem älteren Bruder bei seiner Großmutter in der Türkei auf. In der Türkei besuchte er die 1. und 2. Klasse der Grundschule. Sein Vater, der ebenfalls türkischer Staatsangehöriger ist, hielt sich auch in dieser Zeit in Deutschland rechtmäßig als Arbeitnehmer auf. 1995 kehrte der Kläger dann zu seinen Eltern nach Sindelfingen zurück. Der Kläger besuchte in Deutschland zunächst eine Vorbereitungsklasse, dann die Grundschule und wechselte nach der 4. Klasse Grundschule auf das Gymnasium. Von dort musste er nach der 6. Klasse aufgrund unzureichender Leistungen auf die Realschule wechseln. Nachdem er dort die 6. Klasse wiederholt hatte, verließ er schließlich wegen Verhaltensauffälligkeiten und Fehlzeiten die Realschule ohne Abschluss. Im Jahre 2001 und nach dem Besuch verschiedener Schulen erreichte er den Hauptschulabschluss mit dem Notendurchschnitt von 2,3. Eine danach begonnene Lehre als Kfz-Mechaniker endete vorzeitig, weil ihm betriebsbedingt gekündigt worden war. Eine abgeschlossene Berufsausbildung kann der Kläger nicht vorweisen, da er einen Ausbildungsplatz als Industriemechaniker wegen eigenen Fehlverhaltens wieder verlor. Danach hielt er sich bis 2003 immer wieder vorübergehend in der Türkei auf. Nach seiner Rückkehr trennten sich seine Eltern; er lebte in der Folgezeit bei seiner Mutter. Er ging nach seiner Rückkehr auch nur gelegentlichen unselbständigen Erwerbstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit bzw. durch Inhaftierungen unterbrochen waren. Zuletzt arbeitete er von Juni 2008 bis März 2009 bei einer Zeitarbeitsfirma, jedoch wurde das Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsverweigerung fristlos gekündigt.
Ihm wurde am 21.05.1997 eine bis 22.02.2002 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach verlängert wurde, zuletzt gültig bis zum 28.05.2009. Einen Verlängerungsantrag stellte er nicht.
Bereits im Alter von 12 Jahren begann der Kläger mit regelmäßigem Alkoholkonsum, wenig später mit dem zusätzlichen Konsum von Haschisch und Ecstacy sowie Kokain und Heroin. In der Zeit von Oktober 2006 bis Sommer 2007 nahm er - im Zuge einer Bewährungsauflage - an Gesprächen der Drogenberatung Sindelfingen teil, räumte dort seinen Drogenkonsum aber nur teilweise ein. Nach dem Ergebnis eines vom Landgericht Stuttgart in Auftrag gegebenen forensisch-psychiatrischen Gutachtens vom 11.11.2009 ist beim Kläger zwar von einem anhaltenden, schädlichen politoxikomanen Alkohol-und Drogenmissbrauch mit im zeitlichen Verlauf wechselndem Ausmaß auszugehen, nicht hingegen von einer Suchterkrankung im engeren Sinne mit körperlicher und/oder psychischer Abhängigkeit. Im Übrigen diagnostizierte der Gutachter beim Kläger eine dissoziale Persönlichkeitsstörung.
Der Kläger ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:
Am 29.09.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu zwei Freizeitarresten und zur Erbringung von Arbeitsleistungen.
Am 17.01.2002 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen wegen gefährlicher Körperverletzung zu acht Monaten Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Am 12.03.2002 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der Verurteilung vom 17.01.2002 wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einem Jahr Jugendstrafe, die erneut zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Am 31.08.2004 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der beiden vorgenannten Verurteilungen wegen Diebstahls und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einem Jahr und vier Monaten Jugendstrafe, deren Vollstreckung im Berufungsverfahren (vgl. Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18.11.2004) zur Bewährung ausgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang war er bereits vorübergehend vom 10.10.2003 bis 21.11.2003 sowie vom 25.05.2004 bis 18.11.2004 in Untersuchungshaft genommen worden.
Am 25.10.2005 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der drei vorgenannten Verurteilungen wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten.
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Am 22.11.2005 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der vier vorgenannten Verurteilungen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Jugendstrafe von 2 Jahre und sechs Monaten. Der Rest der Strafe wurde bis zum 03.09.2009 zur Bewährung ausgesetzt.
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Von einer Ausweisung sahen die Ausländerbehörden zunächst ab, sprachen aber am 15.05.2002 (durch die Ausländerbehörde der Stadt Sindelfingen) sowie am 15.08.2006 (durch das Regierungspräsidium) eine ausländerrechtliche Verwarnung aus.
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Am 20.04.2009 wurde der Kläger aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart festgenommen und verbüßte während der U-Haft auch Ersatzfreiheitsstrafen aus vorangegangenen Verurteilungen.
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Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009, rechtskräftig seit dem 16.04.2010, wurde er wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass er in den Morgenstunden des 20.04.2009 zusammen mit einem Mittäter maskiert und mit einem Messer bewaffnet eine Spielothek betreten und den dort Angestellten mit einem auf ihn gerichteten Messer bedroht und zur Freigabe des Weges zur Kassenschublade veranlasst hatte. Dabei erbeuteten sie Bargeld in Höhe von mindestens 4.000,- EUR das sie allerdings auf der anschließenden Flucht größtenteils wieder verloren.
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Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger mit Verfügung vom 25.06.2010 aus dem Bundesgebiet aus, drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei auf seine Kosten an und wies ihn darauf hin, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf und der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass seine Abschiebung für den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt werde. Die Ausweisungsverfügung wurde als Ermessensausweisung auf § 55 Abs. 1 AufenthG gestützt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 bestehe, weil der Kläger eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 besitze. Seine Ausweisung setze daher außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstelle, eine tatsächliche, hinreichend schwere und gegenwärtige Gefährdung durch ein persönliches Verhalten voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Zudem setze die Ausweisung nach dem Urteil des EuGH vom 29.04.2004 einen Extremfall voraus, also die konkrete und hohe Wiederholungsgefahr weiterer schwerwiegender Straftaten. Mit ausführlicher Begründung bejahte das Regierungspräsidium eine solche Wiederholungsgefahr im Bereich der Gewaltkriminalität. Sie komme in der schweren und besonders häufigen Straffälligkeit, der hohen Rückfallgeschwindigkeit, der Ergebnislosigkeit der Hafterfahrung und der ausländerrechtlichen Verwarnungen zum Ausdruck und werde durch die fortbestehende Alkohol- und Drogenabhängigkeit verstärkt. Auch ein unterstellter beanstandungsfreier Haftvollzug lasse keinen Rückschluss auf eine fehlende Wiederholungsgefahr zu, zumal bereits eine vorherige Haftverbüßung keinerlei nachhaltige Wirkung auf sein Verhalten gehabt habe. Wegen der Schwere der von ihm begangenen Straftaten und der hohen konkreten Wiederholungsgefahr weiterer schwerer Straftaten stehe Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegen. Zu seinen Gunsten greife kein Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG ein, denn ein solcher gelte nur für Unionsbürger. Nationaler Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG greife nicht, weil der Kläger nicht im Besitz der dafür erforderlichen Aufenthaltserlaubnis sei. Unter Würdigung und Abwägung der für und gegen eine Ausweisung sprechenden Gründe und auch im Hinblick auf den Schutz nach Art. 8 EMRK und Art. 6 GG kam das Regierungspräsidium Stuttgart zu dem Ergebnis, dass eine Ausweisung wegen der durch den Kläger wiederholt begangenen schwerwiegenden Verstöße und der Wiederholungsgefahr verhältnismäßig sei.
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Der Kläger erhob am 06.07.2010 zum Verwaltungsgericht Stuttgart Klage und machte geltend: Er lebe seit 1 1/2 Jahrzehnten im Bundesgebiet. Sein Aufenthaltsrecht stütze sich auf Art. 7 Satz 1 ARB 1/80. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) RL 2004/38/EG. Der Umstand, dass der Kläger gutachterlich als dissoziale Persönlichkeit eingeordnet worden sei, rechtfertige seine Ausweisung nicht. Die Anpassungsschwierigkeiten in der Türkei wären für ihn unlösbar. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Ausweisung wäre eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Sicherheit des Staates. Eine solche Gefahr stelle der Kläger nicht dar. In der Sache verdeutliche auch EuGH, Urt. v. 23.11.2010 - Rs C-145/09 , dass nach dem Maßstab des Art. 28 Abs. 3 lit. a) 2004/38/EG eine Ausweisung des Klägers ausscheide. Seine Straftat gefährde die Sicherheit des Staates nicht.
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Der Beklagte trat unter Berufung auf die Ausführungen in der angegriffenen Verfügung der Klage entgegen.
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Mit Urteil vom 28.03.2011 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Das Regierungspräsidium habe die Ausweisung zutreffend auf § 55 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 7 Satz 1 und 14 ARB 1/80 gestützt und den Kläger ermessensfehlerfrei aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Das Regierungspräsidium sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 besitze, denn er sei in Deutschland geboren worden und habe über fünf Jahre bei seinem Vater, der als türkischer Arbeitnehmer dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehört habe, gelebt. Das Aufenthaltsrecht gelte unabhängig davon, ob der Familienangehörige selbst eine Beschäftigung ausübe oder nicht. Aufgrund dieser Rechtsstellung bestehe für den Kläger der besondere Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80, und er könne, selbst wenn er nach nationalem Recht einen Ist-Ausweisungstatbestand (§ 53 AufenthG) verwirklicht habe, nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägervertreters finde Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Unionsbürgerrichtlinie auf den Status des Klägers weder Anwendung noch sonst Berücksichtigung. Das Regierungspräsidium Stuttgart sei weiter mit Recht davon ausgegangen, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Ausweisung des Klägers nicht entgegenstehe. Eine Ausweisung des Klägers komme lediglich aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Das sei der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bestehe, der sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergebe, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohe und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut gegeben sei. Das Regierungspräsidium Stuttgart habe diese Voraussetzungen zutreffend bejaht. Es bestehe nach der Verurteilung vom 04.12.2009 eine erhebliche Gefahr, dass der Kläger wieder ähnlich gelagerte schwerwiegende Straftaten begehen werde. Im angefochtenen Bescheid habe das Regierungspräsidium eine umfassende Gesamtwürdigung vorgenommen und beim Kläger eine konkrete Wiederholungsgefahr ähnlich gelagerter Straftaten der Beschaffungs- und Gewaltkriminalität festgestellt. Dabei habe es sich auf die Vielzahl der seit 2000 begangenen Delikte, auf die hohe Rückfallgeschwindigkeit, auf seine Unbelehrbarkeit auch nach entsprechenden Verwarnungen und Inhaftierungen gestützt. Selbst die Tatsache, dass einer seiner Brüder im Jahre 2004 bereits wegen schwerer Straftaten aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben worden und ihm damit die ausländerrechtlichen Folgen von delinquentem Verhalten ganz konkret vor Augen geführt worden seien, habe ihn nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können. Die angesichts des strafrechtlichen Werdegangs große Gefahr weiterer Gewaltkriminalität werde auch durch die vom Gutachter festgestellte dissoziale Persönlichkeitsstruktur verstärkt. Da der Kläger keine Aufenthaltserlaubnis besitze, genieße er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG keinen besonderen Ausweisungsschutz. Das Regierungspräsidium habe das Ermessen nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG fehlerfrei ausgeübt. Danach seien bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. In seiner Entscheidung habe das Regierungspräsidium zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren sei und sich seit rund 1 1/2 Jahrzehnten, bis auf kurze Unterbrechung, ununterbrochen rechtmäßig hier aufgehalten habe. Das Regierungspräsidium habe ferner die Entwicklung der Lebensverhältnisse des Klägers während seines lang andauernden Aufenthalts berücksichtigt, insbesondere die Tatsache, dass er zwar den Hauptschulabschluss erreicht, aber keine Berufsausbildung abgeschlossen habe und nur gelegentlich unselbständigen Erwerbstätigkeiten nachgegangen, überwiegend aber beschäftigungslos gewesen sei. Er habe sich im Bundesgebiet keine sichere wirtschaftliche Lebensgrundlage aufgebaut. Seine fehlende Integration komme auch in beharrlichen Verstößen gegen die deutsche (Straf-) Rechtsordnung zum Ausdruck. Das Regierungspräsidium habe zutreffend die wirtschaftliche Bindung des Klägers im Bundesgebiet durch sein freies Zugangsrecht zum deutschen Arbeitsmarkt berücksichtigt. Es habe ferner das Ermessen auch im Hinblick auf die persönlichen Bindungen des Klägers, nämlich seine Beziehung zu seiner noch lebenden Mutter und seinem Onkel, pflichtgemäß ausgeübt. Die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten und mit dem Kläger in einer familiären Lebensgemeinschaft lebten, seien gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG hinreichend berücksichtigt worden. Zutreffend sei erkannt worden, dass die Ausweisung mit der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG den Kläger künftig daran hindere, die Familieneinheit in der Bundesrepublik Deutschland zu leben und dass damit ein Eingriff in Art. 6 GG vorliege. Allerdings verbiete Art. 6 GG auch einen für die Beteiligten schwerwiegenden Eingriff nicht schlechthin. Im vorliegenden Fall beruhe die Ausweisung auf einem wiederholten, schweren kriminellen Fehlverhalten des Klägers. Der staatliche Schutz der Gesellschaft vor etwaigen weiteren Beeinträchtigungen habe ebenfalls Verfassungsrang und müsse in diesem Fall wegen der konkreten Wiederholungsgefahr Vorrang genießen. Der Kläger habe die zu einem Eingriff in Art. 6 GG führenden Gründe selbst geschaffen. Die Bindung zu seinen Familienangehörigen habe ihn in der Vergangenheit nicht davon abhalten können, eine Vielzahl von Straftaten zu begehen. Die Bindung eines volljährigen erwachsenen Menschen zu seinen Verwandten sei ferner durch eine fortschreitende „Abnabelung" geprägt. Dem Kläger könne daher eine eigenverantwortliche Lebensführung zugemutet werden. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt. Angesichts der Schwere der vom Kläger zuletzt begangenen Straftaten sei der Allgemeinheit das Risiko einer erneuten einschlägigen Straffälligkeit des Klägers unter dem Gesichtspunkt des vorrangigen Schutzes der Bevölkerung vor Gewaltdelikten nicht zuzumuten. Die Ausweisung sei zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erforderlich und angemessen. Ein milderes Mittel zur Abwendung der Gefahr weiterer Beeinträchtigungen durch schwerwiegende Straftaten sei nicht ersichtlich. Die Rückkehr in seine Heimat sei dem Kläger auch zuzumuten. Zwar sei er in Deutschland geboren und aufgewachsen; trotzdem sei davon auszugehen, dass er als Sohn türkischer Staatsangehöriger die türkische Sprache mindestens in den Grundzügen beherrsche. Dafür sprächen auch sein mehrmonatiger Schulaufenthalt in der Türkei und seine kurzzeitigen Aufenthalte dort. Auch einer seiner Brüder, der bereits 2004 dorthin abgeschoben worden sei, lebe in seinem Heimatland. Die Ausweisung sei auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil sie vom Regierungspräsidium nicht bereits bei Erlass befristet worden sei. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei die Frage der Befristung eines Aufenthaltsverbotes nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Ausweisung am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Auch das Bundesverwaltungsgericht stelle insofern auf die Umstände des Einzelfalls ab. Angesichts des hier mit der Ausweisung verfolgten gewichtigen öffentlichen Interesses und der demgegenüber geringer wiegenden Belange des Klägers sei es nicht ermessensfehlerhaft, ihn zunächst unbefristet auszuweisen, die Frage der Befristung aber von seiner künftigen persönlichen Entwicklung abhängig zu machen und in einem gesonderten Verfahren zu prüfen. Die Ausweisung verstoße ferner nicht gegen völker- und europarechtlichen Vorschriften. Einer Ausweisung des Klägers stehe nicht das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 13.12.1955 entgegen, denn der hier überwundene Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sei weitergehend als derjenige aus Art. 3 Abs. 3 ENA. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen das durch Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Zwar stelle die Ausweisung einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK dar. Dieser sei jedoch nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, denn die Ausweisung sei, wie dargelegt, in § 55 AufenthG gesetzlich vorgesehen, und sie stelle eine Maßnahme dar, die in einer demokratischen Grundordnung unter anderem für die öffentliche Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig sei. Die gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Klage habe ebenfalls keinen Erfolg.
18 
Am 01.04.2011 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Er berief sich zunächst auf den besonderen Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie und darauf, dass nach den vom Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Tsakouridis aufgestellten Grundsätzen im Falle der Ausweisung die Resozialisierung des Klägers gefährdet wäre. Nach Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 08.12.2011 in der Sache Ziebell macht der Kläger nunmehr geltend, die angegriffene Verfügung sei schon wegen der Verletzung des sog. Vier-Augen-Prinzips des Art. 9 RL 64/221/EWG aufzuheben, das mit Rücksicht auf die Standstill-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei.
19 
Der Kläger beantragt,
20 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28.03.2011 - 6 K 2480/10 - zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.06.2010 aufzuheben.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
die Berufung zurückzuweisen.
23 
Er macht sich die Ausführungen im angegriffenen Urteil zu eigen und stellt insbesondere ein subjektives Recht des Klägers auf Resozialisierung infrage. Ein derartiger Rechtsanspruch würde dazu führen, dass nahezu jede Ausweisung eines straffälligen Ausländers ausgeschlossen sei. Im Übrigen seien die Überlegungen des EuGH in der Rechtssache Tsakouridis ungeachtet der nicht möglichen Anwendung der Unionsbürgerrichtlinie nicht übertragbar, weil türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition nach dem ARB 1/80 inne hätten, keine Freizügigkeit innerhalb der Union genössen. Das sog. Vier-Augen-Prinzip gelte entgegen der Auffassung des Klägers nicht mehr weiter. Denn zum einen wäre die Fortgeltung mit Art. 59 ZP unvereinbar. Ungeachtet dessen sei dieses auch nicht durch die Standstill-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 aufrechterhalten, weil diese sich nur an die Mitgliedstaaten wende.
24 
Der Senat hat eine Stellungnahme der JVA Heilbronn über die Entwicklungen des Klägers im Vollzug eingeholt. Insoweit wird auf das Schreiben der JVA Heilbronn vom 23.01.2012 verwiesen.
25 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
26 
Dem Senat lagen die Ausländerakten, die Akten des Regierungspräsidiums sowie die Gefangenenpersonalakten vor.

Entscheidungsgründe

 
27 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.06.2010 zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
I.
28 
Die mit Bescheid vom 25.06.2010 verfügte Ausweisung leidet nicht deshalb an einem unheilbaren Verfahrensfehler, weil das nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vom 25.02.1964 (ABl. 56 vom 04.04.1964, S. 850) vorgesehene „Vier-Augen-Prinzip“ nicht beachtet wurde. Wie sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08.12.2011 in der Rechtssache C-371/08 - hinreichend ersehen lässt, entfaltet diese zum 30.04.2006 aufgehobene Bestimmung keine Wirkungen mehr für den verfahrensrechtlichen Ausweisungsschutz assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger (1.). Auch aus geltenden unionsrechtlichen Verfahrensgarantien folgt nicht die Notwendigkeit, ein Vorverfahren durchzuführen (2.). Die Stillhalteklauseln gebieten keine andere Betrachtung (3.). Die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens ergibt sich schließlich nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens (4.).
29 
1. Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG war bei einer ausländerrechtlichen Entscheidung über die Ausweisung ein weiteres Verwaltungsverfahren durchzuführen, sofern nicht ausnahmsweise ein dringender Fall vorlag und sofern nicht im gerichtlichen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsprüfung vorgesehen war. Diese für Angehörige der Mitgliedstaaten (vgl. zum personellen Anwendungsbereich Art. 1 dieser Richtlinie) geltende Regelung erstreckte der Europäische Gerichtshof auf die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger (Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 65 ff.). Fehlte es an der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, so war die Ausweisung unheilbar rechtswidrig (BVerwG, Urteil vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - Rn. 12 ff., BVerwGE 124, 217, vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - Rn. 14 ff., BVerwGE 124, 243 und vom 09.08.2007 - 1 C 47.06 - Rn. 23 ff., BVerwGE 129, 162).
30 
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EGV (später Art. 39, 40, 41 EG und nunmehr Art. 45 ff. AEUV) geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer zu übertragen sind, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen. Dies beruht auf den Erwägungen, dass in Art. 12 des Assoziierungsabkommens die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des „Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft“ leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen, dass Art. 36 ZP die Fristen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (nunmehr und im Folgenden: Union) und der Türkei festlegt, dass der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln vorsieht und dass der Beschluss 1/80 bezweckt, im sozialen Bereich die Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu verbessern (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 04.10.2007- Rs. C-349/06 Rn. 29, vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 61 ff., vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 Rn. 42 ff. und vom 10.02.2000 - Rs. C-340/97 Rn. 42 f.). In der Rechtssache „Dörr und Ünal“ (Rn. 65 ff.) heißt es, es sei nach diesen Erwägungen geboten, die in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG niedergelegten Grundsätze als auf türkische Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragbar anzusehen, und weiter:
31 
„….Um effektiv zu sein, müssen die individuellen Rechte von den türkischen Arbeitnehmern vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Damit die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleistet ist, ist es unabdingbar, diesen Arbeitnehmern die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, und es muss ihnen somit ermöglicht werden, sich auf die in den Artikeln 8 und 9 der Richtlinie 64/221 vorgesehenen Garantien zu berufen. Diese Garantien sind nämlich, wie der Generalanwalt …ausführt, untrennbar mit den Rechten verbunden, auf die sie sich beziehen.“
32 
In der Entscheidung „Ziebell“ knüpft der Gerichtshof an die Ausführungen im Urteil „Dörr und Ünal“ an und legt dar (Rn. 58), dass
33 
„…die Grundsätze, die im Rahmen der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Bestimmungen des EG-Vertrags gelten, so weit wie möglich auf türkische Staatsangehörige übertragen werden, die Rechte aufgrund der Assoziation EWG-Türkei besitzen. Wie der Gerichtshof entschieden hat, muss eine solche Analogie nicht nur für die genannten Artikel des Vertrags gelten, sondern auch für die auf der Grundlage dieser Artikel erlassenen sekundärrechtlichen Vorschriften, mit denen die Artikel durchgeführt und konkretisiert werden sollen (vgl. zur Richtlinie 64/221 u.a. Urteil Dörr und Ünal)“.
34 
Durch den Terminus „Analogie“, der etwa auch in der französischen und englischen Fassung des Urteils verwendet wird, ist klargestellt, dass die Inhalte des - für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten - maßgeblichen Sekundärrechts nicht deshalb auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige angewandt werden, weil diese allgemeine Rechtsgrundsätze sind, die ggfs. auch losgelöst von der Wirksamkeit der jeweiligen Regelung noch Geltung beanspruchen können, sondern dass es sich um eine entsprechende Übertragung geltenden Rechts handelt. Eine Vorschrift kann jedoch nur solange analog angewandt werden, wie sie selbst Gültigkeit beansprucht. Mit der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG entfällt deshalb - wie der Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ darlegt - die Grundlage für ihre entsprechende Anwendung.
35 
Dass aufgrund dieser Aufhebung nicht mehr „traditionell auf die in der Richtlinie 64/221/EWG festgeschriebenen Grundsätze abgestellt“ werden kann (Rn. 76) und der Richtlinie insgesamt, d.h. in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht, keine Bedeutung mehr zukommt, ist nach den Ausführungen im Urteil „Ziebell“ (insb. Rn. 77 ff.) und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt hinreichend geklärt. Dem Europäischen Gerichtshof war aufgrund des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 und der beigefügten Akten bekannt, dass auf die dort streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 06.03.2007 das „Vier-Augen-Prinzip“ des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr angewandt, vielmehr gegen die Ausweisungsentscheidung direkt Klage erhoben worden ist. Das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.08.2009 (1 C 25.08 - AuAS 2009, 267) führt sogar ausdrücklich aus, dass - sollte der in Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG für Unionsbürger geregelte Ausweisungsschutz nicht auf assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige zu übertragen sein - sich die Frage stellt, ob Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG gleichwohl weiterhin anzuwenden ist oder stattdessen die Verfahrensgarantien des Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG Anwendung finden, die das „Vier-Augen-Prinzip“ abgelöst haben (BVerwG, a.a.O., Rn. 26). Hätte der Gerichtshof dem im Verfahren „Ziebell“ nicht eingehaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ - und sei es auch mit Blick auf besondere oder allgemeine unionsrechtliche Verfahrensgarantien, die Standstillklauseln oder das Assoziationsabkommen an sich - noch irgendeine rechtliche Relevanz zu Gunsten des Klägers beigemessen, so hätte es nahegelegen, unabhängig von der konkreten Vorlagefrage hierzu Ausführungen zu machen. Die Tatsache, dass der Gerichtshof die Aufhebung der Richtlinie insgesamt besonders hervorhebt, und der Umstand, dass er den Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige mit einer Rechtsposition nach dem ARB 1/80 zudem ausdrücklich auf einen anderen unionsrechtlichen Bezugsrahmen im geltenden Recht stützt, belegen, dass die Richtlinie 64/221/EWG nach Auffassung des Gerichtshofs in Gänze nicht mehr zur Konkretisierung des formellen und materiellen Ausweisungsschutzes des Klägers herangezogen werden kann. Hätte der Gerichtshof den Inhalten der Richtlinie 64/221/EWG noch irgendeine Bedeutung beigemessen, so hätte es sich im Übrigen auch aufgedrängt, für das materielle Ausweisungsrecht - etwa in Anknüpfung an die Rechtssachen „Cetinkaya“ (Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - Rn. 44 ff.) oder „Polat“ (Urteil vom 04.10.2007 -Rs. C-349/06 - Rn. 30 ff.) - den dort erwähnten Art. 3 der Richtlinie 64/221/ EWG ausdrücklich weiterhin fruchtbar zu machen. Diesen Weg hat der Gerichthof in der Rechtssache „Ziebell“ jedoch ebenfalls nicht beschritten. An dieser Sicht vermag – entgegen der Auffassung des Klägers – auch der Umstand nichts zu ändern, dass für die Anwendung des am 21.06.1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits geschlossenen Abkommen über die Freizügigkeit (ABl. 2002 L 114, S. 6) die Richtlinie 64/221/EWG nach wie vor vorübergehend Bedeutung hat (vgl. Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I).
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2. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob sich die Verfahrensgarantien für einen assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, der sich gegen seine Ausweisung wendet, nunmehr ebenfalls aus der Richtlinie 2003/109/EG (Art. 10, Art. 12 Abs. 4), aus Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG oder aus den auch im Unionsrecht allgemeinen anerkannten Grundsätzen eines effektiven Rechtsschutzes ergeben. Denn die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens ist in keinem dieser Fälle geboten.
37 
a) Art 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG sieht vor, dass einem langfristig Aufenthaltsberechtigten in dem betroffenen Mitgliedstaat der Rechtsweg gegen seine Ausweisung offen steht. Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie normiert, dass der langfristig Aufenthaltsberechtigte Rechtsbehelfe u.a. gegen den Entzug seiner Rechtsstellung einlegen kann. Welche Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, bestimmt sich jedoch allein nach dem nationalen Recht. Ein Vorverfahren als einzuräumender Rechtsbehelf ist nach der Richtlinie nicht vorgeschrieben.
38 
b) Auch soweit man für die einem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen einzuräumenden Verfahrensgarantien Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG heranziehen wollte, folgt hieraus nichts anderes. Die Erwägungen zu den Besonderheiten der Unionsbürgerschaft haben den Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ im Anschluss an die Ausführungen des Generalanwalts bewogen, den Schutz der Unionsbürger vor Ausweisung, wie in Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehen, nicht im Rahmen der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf die Garantien gegen die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger zu übertragen (vgl. im Einzelnen Rn. 60 ff. und Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - Rs. C-371/08 - Rn. 42 ff.). Selbst wenn man der Auffassung wäre, die Spezifika der Unionsbürgerschaft (vgl. zu deren Begriff und Inhalt auch Bergmann , Handlexikon der Europäischen Union, 4. Aufl. 2012, Stichwort „Unionsbürgerschaft“) stünden lediglich der Anwendung des materiellen Ausweisungsrechts der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige entgegen und nicht der Übertragung der im gleichen Kapitel enthaltenen Verfahrensgarantien nach Art. 30 f., leidet die Ausweisungsverfügung nicht an einem Verfahrensfehler. Der Gerichtshof hat sich im Urteil „Ziebell“ nicht dazu geäußert, ob diese Bestimmungen insoweit analogiefähig sind bzw. ihnen jedenfalls allgemein geltende Grundsätze zu entnehmen sind (vgl. auch Art. 15 der Richtlinie 2004/38/EG), die in Anknüpfung allein an die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Notwendigkeit deren verfahrensrechtlichen Schutzes ihre Berechtigung haben, oder ob auch diesen ein spezifisch unionsbürgerbezogener Inhalt zukommt. Für letzteres könnte etwa Art. 31 Abs. 3 S. 2 dieser Richtlinie angeführt werden, wonach das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 nicht unverhältnismäßig ist; auch die Bezugnahme in Art. 31 Abs. 2, letzter Spiegelstrich auf Art. 28 Abs. 3 könnte dafür sprechen. Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, denn die Verfahrensgarantien nach Art. 30 f. der Richtlinie 2004/38/EG schreiben die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bei der Ausweisung von Unionsbürgern nicht vor (diese Frage lediglich ansprechend BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.10.2011 - 2 BvR 1969/09 - juris Rn. 40), so dass der Kläger selbst bei ihrer Anwendbarkeit kein für ihn günstigeres Ergebnis herleiten könnte.
39 
Nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Aus dieser Bestimmung folgt aber nicht die Verpflichtung des Mitgliedstaates, außer dem gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Ausweisungsverfügung (zusätzlich) ein behördliches Rechtsbehelfsverfahren vorzuhalten und in diesem auch die Überprüfung der Zweckmäßigkeit einer Ausweisung zu ermöglichen. Wie sich schon aus dem Wortlaut ergibt („..und gegebenenfalls bei einer Behörde…“), trägt diese Bestimmung lediglich dem - heterogenen - System des Rechtsschutzes der Mitgliedstaaten Rechnung und lässt deren Berechtigung unberührt, ein Rechtsbehelfsverfahren auch noch bei einer Behörde zu eröffnen. Ein solches ist jedoch in Baden-Württemberg nicht mehr vorgesehen. Erlässt das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt - wie dies für die Ausweisung eines in Strafhaft befindlichen Ausländers zutrifft (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AAZuVO) -, so ist hiergegen unabhängig von dem zugrundeliegenden Rechtsgebiet im Anwendungsbereich des seit 22.10.2008 geltenden § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO (GBl. 2008, 343) i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO das Vorverfahren nicht statthaft. Aufgrund vergleichbarer, wenn auch regelungstechnisch teilweise von einem anderen Ansatz ausgehender Landesgesetze entspricht es einer bundesweit anzutreffenden Rechtspraxis, ein Widerspruchsverfahren vor Erhebung einer Klage nicht mehr vorzuschreiben (vgl. z.B. auch Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO, § 16a HessAGVwGO, § 8a NdsAGVwGO). Dass die Unionsbürgerrichtlinie nicht dazu zwingt, ein dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgeschaltetes Widerspruchsverfahren zu schaffen, folgt im Übrigen eindeutig aus ihrer Entstehungsgeschichte.
40 
Der Vorschlag der Kommission für die Unionsbürgerrichtlinie (KOM 2001/0257/endgültig, ABl. C 270 E vom 25.09.2001, S. 150) sah ursprünglich vor, dass u.a. bei der Ausweisung der Betreffende bei den Behörden oder den Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen kann; ist der behördliche Weg vorgesehen, entscheidet die Behörde außer bei Dringlichkeit erst nach Stellungnahme der zuständigen Stelle des Aufnahmemitgliedstaates, vor dem es dem Betreffenden möglich sein muss, auf seinen Antrag hin seine Verteidigung vorzubringen. Diese Stelle darf nicht die Behörde sein, die befugt ist, die Ausweisungsentscheidung zu treffen (vgl. im Einzelnen den - hier verkürzt wiedergegebenen - Wortlaut des Entwurfs zu Art. 29 Abs. 1 und 2). In der Begründung des Vorschlags zu Art. 29 heißt es ausdrücklich:
41 
„Ein lückenloser Rechtsschutz schließt nicht aus, dass ein Mitgliedstaat vorsieht, dass ein Rechtsbehelf bei einer Behörde eingelegt werden kann. In diesem Fall müssen die in Art. 9 der Richtlinie 63/221/EWG genannten Objektivitätsgarantien gegeben sein, insbesondere die vorherige Stellungnahme einer anderen Behörde, als die, die die Einreiseverweigerung oder die Ausweisung verfügen soll, sowie Garantie in Bezug auf die Rechte der Verteidigung.“
42 
In dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 vom 05.12.2003 (ABl. C 54 E vom 02.03.2004, S. 12) hat Art. 31 Abs. 1 bereits - mit Zustimmung der Kommission - die Fassung, wie sie in der Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 enthalten ist (a.a.O., S. 26). Schon in dem geänderten Vorschlag der Kommission vom 15.04.2003 (KOM(2003) 199 endgültig) erhielt der Entwurf zu Art. 29 Abs. 1 die Fassung, dass „….der Betroffene bei den Gerichten und gegebenenfalls bei den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen“ kann. Durch diese Abänderung sollte klargestellt werden,
43 
„dass der Rechtsbehelf stets bei einem Gericht eingelegt werden muss und ein Rechtsbehelf bei einer Behörde nur dann ebenfalls zulässig ist, wenn der Aufnahmemitgliedstaats dies vorsieht (zum Beispiel bevor ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann).“
44 
Diese Begründung der Kommission im geänderten Vorschlag vom 15.04.2003 (a.a.O., S. 10) zu Art. 29 Abs. 1 hat sich der „Gemeinsame Standpunkt“ vom 05.12.2003 zu Eigen gemacht (a.a.O., S 27) und ferner Art. 29 Abs. 2 des Kommissionsentwurfs mit dem dort enthaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ komplett gestrichen. Dieser ist mit Blick auf die von den Mitgliedstaaten stets vorzusehende Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts und der dort zu gewährenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung und der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung über die Ausweisung beruht, für überflüssig erachtet worden (vgl. die Begründung des Rates, a.a.O., S. 29, 32).
45 
Das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene „Vier-Augen-Prinzip“, das defizitäre gerichtliche Kontrollmechanismen und eine in den Mitgliedstaaten zum Teil vorherrschende geringe Kontrolldichte der gerichtlichen Entscheidungen kompensieren sollte, wurde somit in Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG durch eine Verbesserung des gerichtlichen Rechtsschutzes ersetzt (vgl. zur bewussten Abkehr von den in Art. 8 f der Richtlinie 64/221/ EWG vorgesehenen Verfahrensregelungen auch Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/38/EG). Der in Deutschland dem Kläger zur Verfügung stehende gerichtliche Rechtsschutz erfüllt die Vorgaben des Art. 31 der Richtlinie.
46 
Es bleibt daher der Verfahrensautonomie des Mitgliedstaats überlassen, ob er bei einer Ausweisung eines Unionsbürgers zusätzlich zum gerichtlichen Rechtsschutz noch ein Widerspruchsverfahren vorsieht. Dass die in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltene Formulierung „..und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen zu können“ bei diesem Verständnis nur noch eine unionsrechtliche Selbstverständlichkeit wiedergibt, erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
47 
c) Auch die allgemeine unionsrechtliche Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs fordert nicht die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens. Selbst wenn man entgegen den Ausführungen oben unter 1.) der Auffassung wäre, der Gerichtshof habe sich im Urteil „Ziebell“ hierzu nicht der Sache nach geäußert, ist dies eindeutig.
48 
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshof hat ein türkischer Arbeitnehmer, der die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzt, einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, um diese Rechte wirksam geltend machen zu können (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn.67). Es entspricht einem allgemein anerkannten unionsrechtlichen Grundsatz, der sich aus der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten ergibt und der in Art. 6 und 13 EMRK verankert ist, dass bei einem Eingriff in die Rechte des Betroffenen (hier: Eingriff in die Freizügigkeit des Arbeitnehmers) durch eine Behörde des Mitgliedstaats der Betroffene das Recht hat, seine Rechte vor Gericht geltend zu machen; den Mitgliedstaaten obliegt es, eine effektive richterliche Kontrolle der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des innerstaatlichen Rechts sicherzustellen, das der Verwirklichung der eingeräumten Rechte dient (vgl. schon EuGH, Urteil vom 03.12.1992 - Rs. C-97/91 Rn.14, vom 15.10.1987 - Rs. C-222/86 Rn. 12 ff. und vom 15.05.1986 - Rs. C-222/84 Rn. 17 ff.). Zum Effektivitätsgrundsatz gehört, dass die gerichtliche Kontrolle die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung umfasst (EuGH, Urteil vom 15.10.1987 - Rs. C-222/84 Rn.15). Auch dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH, Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-279/09 Rn. 28, vom 15.04.2008 - Rs. C-268/06 Rn. 46, vom 13.03.2007 - Rs. C-432/05 Rn. 43 und vom 16.12.1976 - 33/76 Rn.5). Ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, ist unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen sowie des Ablaufs und der Besonderheiten dieses Verfahrens zu prüfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2002 - Rs. C-473/00 Rn. 37 und vom 14.12.1995 - Rs. C-312/93 Rn.14).
49 
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Grundsätze ist es nicht geboten, ein behördliches Vorverfahren mit einer diesem immanenten Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorzuschalten, das die Vorgaben des effektiven Rechtschutzes in jeder Hinsicht erfüllt. Auch Art. 19 Abs. 4 GG fordert dies übrigens gerade nicht (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 24.04.1985 - 2 BvF 2/83 u.a. - juris Rn. 105 m.w.N.). Ein Anspruch des Einzelnen auf ein „Maximum“ an Verfahrensrechten und den unveränderten Fortbestand einer einmal eingeräumten verfahrensrechtlichen Möglichkeit besteht nicht - zumal wenn diese wie das „Vier-Augen-Prinzip“ aus einer bestimmten historischen Situation als Kompensation für eine früher weit verbreitete zu geringe gerichtliche Kontrolldichte erfolgte.
50 
d) Aus dem in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und dem „Recht auf gute Verwaltung“ nach Art. 41 GRCh (vgl. zu den dort eingeräumten Rechten Jarass, GRCh-Kommentar, 2010, Art. 41 Rn. 21 ff.) ergibt sich für den Kläger ebenfalls kein Recht auf Durchführung eines Vorverfahrens.
51 
3. Ein Widerspruchsverfahren ist ferner nicht mit Blick auf die assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln nach Art. 7 ARB 2/76, Art. 13 ARB 1/80 oder Art. 41 Abs. 1 ZP einzuräumen. Selbst wenn man die Ansicht nicht teilen würde, schon aus dem Urteil „Ziebell“ ergebe sich hinreichend deutlich, der Gerichtshof halte das Fehlen eines Vorverfahrens auch unter dem Aspekt der Stillhalteklauseln nicht für problematisch, lässt sich feststellen, dass dessen Abschaffung keinen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln darstellt.
52 
a) Der Kläger kann sich als im Bundesgebiet geborener Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers auf Art. 13 ARB 1/80 berufen. Nach dieser am 01.12.1980 in Kraft getretenen Regelung dürfen die Mitgliedstaaten für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß ist, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Diese Stillhalteklausel, die unmittelbar wirkt (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62, vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 58 f. und vom 20.09.1990 - Rs. C-192/89 Rn. 26), verbietet allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in dem entsprechenden Mitgliedstaat galten (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62), wobei den Mitgliedstaaten auch untersagt ist, nach dem Stichtag eingeführte günstigere Regelungen wieder zurückzunehmen, selbst wenn der nunmehr geltende Zustand nicht strenger ist als der am Stichtag geltende (siehe zu dieser „zeitlichen Meistbegünstigungsklausel“ EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 49 ff ). Die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 verfolgt das Ziel, günstigere Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu schaffen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 und vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 72 ff.). Normadressat ist ausschließlich der einzelne Mitgliedstaat mit Blick auf dessen nationales Recht, nicht die Europäische Union als Vertragspartner des Assoziationsabkommens EWG/Türkei. Deren Befugnisse werden durch diese Stillhalteklausel nicht beschränkt. Vom Wortlaut her schützt das Unterlassungsgebot der Standstillklausel zwar ausschließlich den unveränderten Zugang zum Arbeitsmarkt, es entfaltet gleichwohl mittelbare aufenthaltsrechtliche Wirkungen, soweit ausländerrechtliche Maßnahmen zur Beeinträchtigung des Arbeitsmarktzugangs führen, die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels erschwert wird (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62 ff. und vom 29.04.2010 - Rs. C-92/09 Rn. 44 ff.) oder der Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet beendet werden soll (vgl. auch Renner, 9. Aufl., 2011, § 4 Rn. 197). Bei der Bestimmung, wann eine Maßnahme eine „neue Beschränkung“ darstellt, orientiert sich der Gerichtshof gleichermaßen an den mit Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 ZP verfolgten Zielen und erstreckt die Tragweite der Stillhalteverpflichtung auf sämtliche neuen Hindernisse für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die eine Verschärfung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Bedingungen darstellen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 ff.), wobei eine solche materieller und/oder verfahrensrechtlicher Art sein kann (EuGH, Urteil vom 21.07.2011 - Rs. C-186/10 Rn. 22, vom 29.04.2010 - Rs. C-92/07 Rn. 49, vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 64 und vom 20.09.2007 - Rs. C-16/05 Rn. 69). Nach diesen Grundsätzen stellt die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens keine „neue Beschränkung“ dar.
53 
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von Art. 13 ARB 1/80 war nach dem damals geltenden § 68 VwGO und dem baden-württembergischen Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22.03.1960 (GBl. 1960, 94) in der Fassung des Gesetzes vom 12.12.1979 (GBl. 1979, 549) auch bei der Ausweisung eines türkischen Staatsangehöriger ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Die in der vorliegenden Fallkonstellation nunmehr vorgesehene Zuständigkeit einer Mittelbehörde für den Erlass der Ausweisungsverfügung (§ 6 Nr. 1 AAZuVO) und das gesetzlich deswegen angeordnete Entfallen des Vorverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO BW vom 14.10.2008; vgl. auch die Vorgängervorschrift § 6a AGVwGO BW vom 01.07.1999) ist keine Änderung, die geeignet wäre, die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu erschweren oder die einem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten materiellen Rechte zu beeinträchtigen. Unabhängig davon, ob das Widerspruchsverfahrens nur als Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens angesehen wird (vgl. hierzu Bader, u.a. VwGO, 5. Aufl. 2011, Vor §§ 68 ff. Rn. 49), oder ob es auch als Teil des Prozessrechts begriffen wird (i.S.e. Doppelcharakters Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, Vorb § 68 Rn. 14), ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dessen Wegfall zu einer merklichen Verschlechterung der Rechtsposition türkischer Staatsangehöriger führt. Eine rechtliche Beeinträchtigung des Betroffenen durch die Abschaffung des Vorverfahrens wird im Übrigen auch nicht in anderen rechtlichen Konstellationen außerhalb des Aufenthaltsrechts angenommen.
54 
Grund für den letztlich allein rechtspolitisch gewählten Weg eines weitgehenden Ausschluss des Vorverfahrens in Baden-Württemberg war die Erkenntnis gewesen, dass entsprechend einer evaluierten Verwaltungspraxis jedenfalls in den Fällen, in denen das Regierungspräsidium die Ausgangsentscheidung getroffen hat, die Sach- und Rechtslage vor der ersten Verwaltungsentscheidung so umfassend geprüft wird, dass sich während des Vorverfahrens regelmäßig keine neuen Aspekte ergeben. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens in den Fällen der Ausgangszuständigkeit der Mittelbehörden dient nicht nur deren Entlastung, sondern vor allem auch der Verfahrensbeschleunigung (vgl. näher die Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf der Landesregierung, LT Drs. 12/3862 vom 16.03.1999 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 22.04.1999, LT Drs. 12/3976). Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens kann daher allenfalls als ambivalent begriffen werden. Die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens kommt in besonderem Maße dem Interesse des von einer Ausweisung betroffenen Ausländers entgegen, eine möglichst rasche gerichtliche Klärung zu erhalten. Zwar können etwa Mängel in der Ausweisungsentscheidung leichter behoben werden, wenn die Verwaltung „einen zweiten Blick“ hierauf wirft. Der Ausländer wird jedoch nicht belastet, wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht. Vielmehr verbessert dies unter Umständen sogar seine Erfolgschancen bei Gericht. Als Kläger kann er auch all das bei Gericht geltend machen, was er in einem Widerspruchsverfahren vortragen könnte; das Verwaltungsgericht unterzieht die Ausweisung einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle, die insbesondere auch eine volle Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit einschließt. Lediglich die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung kann durch das Verwaltungsgericht nicht geprüft werden, was aber bei einer Gesamtbetrachtung der Wirkungen der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens nicht negativ ins Gewicht fällt. Im Übrigen kam es nach den Angaben des Vertreters des Beklagten zu Zeiten des noch bestehenden Widerspruchsverfahrens jedenfalls auf dem Gebiet des Ausländer- bzw. Aufenthaltsrechts praktisch nicht vor, dass allein aus Zweckmäßigkeitserwägungen von einer Ausweisung Abstand genommen wurde - gerade in den Fällen der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger und den hohen Anforderungen des Art. 14 ARB 1/80 spielte dieser Gesichtspunkt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Rolle, da er insoweit ausschließlich Rechtsvoraussetzungen und Rechtsgrenzen formuliert. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass das Unionsrecht wie auch das Assoziationsrecht für Beschränkungen der Freizügigkeit nicht zwingend eine Ermessensentscheidung verlange. Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung, die das deutsche System von Ist- und Regelausweisung aber nicht zulasse. Nicht erforderlich sei eine behördliche Wahl zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten, ein Handlungsermessen der Ausländerbehörde. Die Ausweisung unterliege hinsichtlich der qualifizierten Gefahrenschwelle und des Verhältnismäßigkeitsprinzips voller gerichtlicher Kontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Lediglich deshalb, weil das nationale Recht neben der Ist- und Regelausweisung nur die Ermessensausweisung kennt, ist im Rahmen dieses Instrumentariums dann, wenn die Eingriffsschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht ist, gleichwohl eine Ermessensentscheidung zu treffen. National-rechtlich ist die Frage einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit in einem weiteren Behördenverfahren gleichfalls weder in § 10 AuslG 1965 noch in den späteren Änderungen im Ausweisungsrecht vorgegeben.
55 
Abgesehen davon bedeutet die Stillhalteverpflichtung auch nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens- und -prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (EuGH, Urteil vom 18.10.2011 -Rs. C-128/09 - Rn. 52). Lässt eine Änderung des Verfahrens aber - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor, zumal wenn man gebührend in Rechnung stellt, dass im Widerspruchsverfahren auch formelle wie materielle Fehler der Ausgangsbehörde zu Lasten des Betroffenen behoben werden können (Bader, VwGO, a.a.O., § 68 Rn. 4, 7, 10; § 79 Rn. 2 ff.).
56 
b) Geht man davon aus, dass der Kläger seine Eigenschaft als Arbeitnehmer nicht verloren hat und hält daher auch den am 20.12.1976 in Kraft getretenen Art. 7 ARB 2/76 für anwendbar, so gilt nichts anderes (vgl. zur Anwendbarkeit von Art. 7 ARB 2/76 neben Art. 13 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 20.09.1990 -Rs. C-192/89 Rn. 18 ff.). Nach dieser Bestimmung dürfen die Mitgliedstaaten der Union und die Türkei für Arbeitnehmer, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Mit Art. 7 ARB 2/76 wird gegenüber Art. 13 ARB 1/80 insoweit nur der zeitliche Bezugspunkt für neue Beschränkungen verändert, ohne dass diese jedoch inhaltlich anders zu bestimmen wären.
57 
c) Ein Verstoß gegen die seit 01.01.1973 geltende Stillhalteklausel nach 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963 zur Gründung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger zu keinem Zeitpunkt selbstständig erwerbstätig war.
58 
4. Eine Fortgeltung des „Vier-Augen-Prinzips“ nach der Richtlinie 64/221/ EWG folgt auch nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens.
59 
Die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme vom 15.12.2006 (JURM(2006)12099) in der Rechtssache „Polat“ (C-349/06) die Auffassung vertreten, bei der Auslegung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen des Assoziationsabkommens oder darauf gestützter Rechtsakte wie Art. 14 ARB 1/80 sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Union) seinerzeit verwirklicht worden sei. Hieraus folge, dass die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und der aufgrund dessen erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben könne. Der Inhalt völkerrechtlicher Verträge könne sich nämlich nicht automatisch durch eine spätere Änderung der Rechtslage eines Vertragspartners ändern. Das Wesen des Völkerrechts bestehe gerade darin, dass sich die souveränen Vertragsparteien nur selbst verpflichten können, heteronome Normsetzung komme in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Eine solche heteronome Normsetzung läge aber vor, wenn sich die Änderung der internen Rechtslage der Gemeinschaft unmittelbar auf die Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger, die durch völkerrechtlichen Regelungen festgelegt sei, auswirken könnte (vgl. im Einzelnen die Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 Rn. 57 ff., beziehbar unter www.migrationsrecht.net). Diese Ausführungen sind nahezu wortgleich auch in der Stellungnahme enthalten, die die Kommission am 02.12.2008 in der Rechtssache „Ziebell“ abgegeben hat (JURM(08)12077 - Rn. 32 ff.)
60 
Diese Auffassung beruht jedoch allein auf einer eigenen Interpretation des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ vom 02.06.2005 (Rs. C-136/03 - Rn.61 bis 64) durch die Kommission (vgl. insoweit Rn. 57 der Stellungnahme im Verfahren C-349/06 und Rn. 33 der Äußerung in der Rechtssache C-371/08: „Die Kommission versteht diese Rechtsprechung wie folgt:“). Der Gerichtshof hat diese Interpretation allerdings weder im Urteil „Polat“ noch in späteren Entscheidungen aufgegriffen. Aus dem Urteil in der Rechtssache „Ziebell“ und dem dort eingeschlagenen Lösungsweg (siehe hierzu oben 1.) ergibt sich sogar mit aller Deutlichkeit, dass der Gerichtshof, der für sich die Kompetenz zur Auslegung des Assoziationsrechts in Anspruch nimmt, diese Auffassung nicht teilt. Die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 14.04.2011 im Verfahren „Ziebell“ (vgl. insb. Rn. 57) lassen ebenfalls ersehen, dass auch von dieser Seite dem dogmatischen Ansatz der Kommission insoweit keine Bedeutung beigemessen wird. Die von der Kommission befürwortete Auslegung des Urteils in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ überzeugt den Senat auch deshalb nicht, weil die Ansicht der Kommission zu dem Ergebnis führen könnte, dass in dieser Regelungsmaterie unter Umständen notwendig werdende Änderungen des Unionsrechts zum Nachteil von Unionsbürgern überhaupt nicht mehr oder nur noch um den Preis einer Diskriminierung möglich wären.
61 
Im Übrigen heißt es in der Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 ebenso wie in derjenigen vom 02.12.2008, dass „in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklicht werden sollte, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft seinerzeit verwirklicht worden sei.“ Dieses Schutzniveau für die türkischen Staatsangehörigen wird jedoch durch die Abschaffung des „Vier-Augen-Prinzips“ bei gleichzeitig verbessertem Rechtsschutz gewahrt.
62 
Nach alledem liegt im Fall des Klägers durch die Nichtbeachtung des „Vier-Augen-Prinzips“ kein unheilbarer Verfahrensfehler vor.
II.
63 
Da der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 genießt, kann gem. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthalt nur beendet werden, wenn dieses aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist.
64 
1. Nach der ständigen und mittlerweile gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs ist in diesem Zusammenhang zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Begrifflichkeiten auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. zuletzt Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 52, insbesondere auch Rn. 67 m.w.N.). Allerdings scheidet ein Rückgriff auf die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 wegen der grundsätzlich unterschiedlichen durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers aus (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 73).
65 
Der Europäische Gerichtshof ist hiernach der Auffassung, dass der Ausweisungsschutz nach der Aufhebung der bisher für seine Rechtsprechung zum Ausweisungsschutz von assoziationsrechtlich geschützten türkischen Staatsangehörigen sinngemäß bzw. analog (vgl. hierzu nunmehr EuGH, Urteil vom 08.12.2010 - Rs. C-317/08 Rn. 58) berücksichtigten Richtlinie 64/221 entsprechend den Grundsätzen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach Art. 12 der Richtlinie 2003/109, der sog. Daueraufenthaltsrichtlinie zu bestimmen ist. Diejenigen Drittstaatsangehörigen, die die Rechtsstellung eines Daueraufenthaltsberechtigten genießen, können hiernach nur dann ausgewiesen werden, wenn sie eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen (Urteil vom 08.12.2011 – Rs C-371/08 Rn. 79). Wie sich unschwer aus den weiteren Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil in der Sache Ziebell ablesen lässt (vgl. Rn. 80 ff.), folgt hieraus aber kein andersartiges Schutzniveau, als es bis zum Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union galt (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74 ; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81 ; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86 ; vom 19.01.1999 - Rs C-348/96 ). Soweit der Gerichtshof die Tatsache anspricht, dass Herr Ziebell sich mehr als zehn Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält (vgl. Rn. 79, auch Rn. 46), wird damit kein eigenständiges erhöhtes materielles Schutzniveau eingeführt, sondern lediglich eine dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegende Tatsache wiedergegeben. Diese Schlussfolgerung ist auch deshalb unausweichlich, weil der Daueraufenthaltsrichtlinie, anders als der Unionsbürgerrichtlinie eine Zehnjahresschwelle fremd ist. Vielmehr setzt der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur einen fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und darüber hinaus nach Art. 7 der Richtlinie die ausdrückliche Verleihung der Rechtsstellung voraus.
66 
Kann ein assoziationsrechtlich geschützter türkischer Staatsangehöriger nur dann ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, so steht dem auch entgegen, dass die Ausweisungsverfügung auf wirtschaftliche Überlegungen gestützt wird.
67 
Weiter haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 80).
68 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Ausnahmen und Abweichungen von der Grundfreiheit der Arbeitnehmer eng auszulegen, wobei deren Umfang nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (vgl. Rn. 81 mit dem Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
69 
Somit dürfen Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. Rn. 82 wiederum mit Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 57 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).
70 
Eine Ausweisung darf daher nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder zum Zweck der Generalprävention, um andere Ausländer vor der Begehung von Straftaten abzuschrecken, angeordnet werden (Rn. 83 Urteil vom 22.12.2010, Bozkurt, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
71 
Der Gerichtshof betont im Urteil vom 08.12.2011 (Rn. 85) zudem ausdrücklich, dass die nationalen Gerichte und Behörden anhand der gegenwärtigen Situation des Betroffenen die Notwendigkeit des beabsichtigten Eingriffs in dessen Aufenthaltsrecht zum Schutz des vom Aufnahmemitgliedstaat verfolgten berechtigten Ziels gegen alle tatsächlich vorliegenden Integrationsfaktoren abwägen müssen, die die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats ermöglichen. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob das Verhalten des türkischen Staatsangehörigen gegenwärtig eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Sämtliche konkreten Umstände sind angemessen zu berücksichtigen, die für seine Situation kennzeichnend sind, wie namentlich besonders enge Bindungen des betroffenen Ausländers zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in deren Hoheitsgebiet er geboren oder auch nur aufgewachsen ist.
72 
Demzufolge sind für die Feststellung der Gegenwärtigkeit der konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auch alle nach der letzten Behördenentscheidung eingetretenen Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse darstellen soll (Rn. 84; vgl. u. a. Urteil vom 11.11.2004 - Rs C-467/02 Rn. 47).
73 
Wenn der Gerichtshof schließlich in der konkreten Antwort auf die Vorlagefrage (Rn. 86) noch davon spricht, dass die jeweilige Maßnahme für die Wahrung des Grundinteresses „unerlässlich“ sein muss, ohne dass dieses in den vorangegangenen Ausführungen näher angesprochen und erörtert worden wäre, so kann dies nicht dahingehend verstanden werden, dass die Ausweisungsentscheidung gewissermaßen die „ultima ratio“ sein muss und dem Mitgliedstaat keinerlei Handlungsalternative mehr offen stehen darf. Denn bei einem solchen Verständnis ginge der Schutz der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen weiter als der von Unionsbürgern, was mit Art. 59 ZP nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr wird mit dieser Formel mit anderen Worten nur der in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelte Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie insbesondere nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. etwa Urteil vom 26.11.2002 - Rs C-100/01 Rn. 43; vom 30.11.1995 - Rs C-55/94, Rn. 37; vom 28.10.1975 - Rs 36/75 ), wobei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen ist.
74 
Der vom Gerichtshof entwickelte Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich auf „ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss“. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann eine Ausweisung rechtfertigen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erwarten lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs C-482 und 493/01 ). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, was eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59). Wenn der Umstand, dass eine oder mehrere frühere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, für sich genommen ohne Bedeutung für die Rechtfertigung einer Ausweisung ist, die einem türkischen Staatsangehörigen Rechte nimmt, die er unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB 1/80 ableitet (vgl. auch Urteil vom 04.10.2007 - C-349/06 Rn. 36), so muss das Gleiche erst recht für eine Maßnahme gelten, die im Wesentlichen nur auf die Dauer der Inhaftierung des Betroffenen gestützt wird.
75 
Der Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes gesellschaftliches „Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
76 
Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Dieser Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartige weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in der dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit unter dem strikten Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit steht, lassen ein solches Verständnis nicht zu. Es wäre auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unions- bzw. assoziationsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet (so schon Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
77 
Dem restriktiven, vom Verhältnismäßigkeitsprinzip und „effet utile“ geprägten Verständnis des Gerichtshofs liegt abgesehen davon die Vorstellung einer die gesamte Union in den Blick nehmenden Sichtweise zugrunde. Alle Mitgliedstaaten haben nämlich auch eine Verantwortung für die gesamte Union (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Mit dieser wäre es schwerlich vereinbar, dass ein Mitgliedstaat ein zunächst einmal genuin auf seinem Territorium aufgetretenes und entstandenes Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch die Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs für sich so aus der Welt schafft, dass er sich des Verursachers dieses Risiko gewissermaßen zu Lasten aller anderen Mitgliedstaaten räumlich entledigt. Denn zunächst einmal bewirkt die Beendigung der Freizügigkeit und die Außer-Landes-Schaffung des früheren Straftäters durch einen EU-Mitgliedstaat im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten nichts und hätte keine Auswirkungen auf dessen Freizügigkeit in allen anderen Mitgliedstaaten. Allerdings wäre es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, wenn der Betreffende dort gerade auch für diesen Mitgliedstaat eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellte, seinerseits die Freizügigkeit zu beschränken. Dennoch widerspricht diese Art von „Gefahrenexport“ zu Lasten anderer Mitgliedstaaten dem Geist des EU-Vertrags. Auch wenn diese Überlegungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei nicht unmittelbar tragfähig sind, weil diese keine Freizügigkeit innerhalb der Union gewährleistet, so ändert dies angesichts des vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung praktizierten Übernahme der unionsrechtlichen Grundsätze nichts an der Gültigkeit der Annahme, dass ein „gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ auch nach Assoziationsrecht einer tragfähigen Grundlage entbehrt.
78 
Andererseits ist nach Auffassung des Senats das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise mehr dafür spricht, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird.
79 
2. Ausgehend hiervon erweist sich die angegriffene Ausweisungsverfügung als ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
80 
Aufgrund der langjährigen kriminellen Karriere, nach dem im letzten Strafverfahren erstellten Gutachten Dr. W... vom 11.11.2009 sowie der vom Senat eingeholten Stellungnahme der JVA Heilbronn vom 23.01.2012 (Frau G...), in der im Einzelnen dargestellt wird, dass der Kläger kaum Interesse an der Aufarbeitung seiner Vergangenheit an den Tag gelegt hat, besteht für den Senat kein Zweifel, das vom Kläger nach wie vor eine erhebliche konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher und schwerer Straftaten ausgeht, wodurch das für eine Ausweisung erforderliche Grundinteresse der Gesellschaft unmittelbar berührt ist. Es ist namentlich nach der Stellungnahme der JVA Heilbronn nichts dafür ersichtlich, dass sich beim Kläger etwas Grundsätzliches gebessert haben könnte. Es fehlt hiernach jeder greifbare und glaubhafte, geschweige denn Erfolg versprechende Ansatz dafür, dass der Kläger bereit sein könnte, sich seiner kriminellen Vergangenheit zu stellen und hieran aktiv zu arbeiten. Im Gegenteil: Aus der Stellungnahme wird hinreichend deutlich, dass der Kläger - von guten Arbeitsleistungen abgesehen -sich einer Aufarbeitung der grundlegenden Problematik konsequent verweigert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die vom Beklagten angesprochene und verneinte Frage, ob ihm eine Resozialisierung im dem Land, in dem er geboren und überwiegend aufgewachsen ist, um deren Erfolg willen ermöglicht werden muss, nicht. Der Senat ist sich mit dem Regierungspräsidium Stuttgart der Tatsache bewusst, dass der Kläger, der nie wirklich längere Zeit in der Türkei gelebt hat, mit ganz erheblichen Problemen im Falle der Rückkehr konfrontiert sein wird. Andererseits geht der Senat davon aus, dass er mit Rücksicht auf seinen mehrjährigen Aufenthalt in der Türkei im Kindesalter über die nötige Sprachkompetenz verfügt, um in der Türkei eine neue Basis für sein Leben finden zu können. Angesichts des von ihm ausgehenden erheblichen Gefährdungspotential für bedeutende Rechtsgüter erweist sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er - nicht zuletzt bedingt durch seine häufige Straffälligkeit - zu keinem Zeitpunkt über eine gesicherte und gewachsene eigenständige wirtschaftliche Grundlage verfügt hat, die Ausweisung als verhältnismäßig: Sie stellt namentlich keinen unzulässigen Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschützte Privatleben dar. Der Umstand, dass im Bundesgebiet noch nahe Angehörige des immerhin bereits knapp 26 Jahre alten Klägers leben, gebietet keine andere Sicht der Dinge.
81 
Auch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine neuen Aspekte ergeben. Vielmehr wurde die Stellungnahme vom 23.01.2012 bestätigt. Insbesondere konnte der Kläger keine plausible Erklärung dafür geben, weshalb er die verschiedenen Angebote im Strafvollzug zur Aufarbeitung seiner Taten nicht wahrgenommen hatte.
III.
82 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist schon keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
83 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 - juris) in diesem Zusammenhang u.a. ausgeführt:
84 
„Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
85 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
86 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
87 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).“
88 
Ergänzend und vertiefend ist noch auszuführen: Gegen die Annahme, die Ausweisung sei keine Rückkehrentscheidung, kann auch nicht die Legaldefinition des „illegalen Aufenthalts“ in Art. 3 Nr. 2 RFRL eingewandt werden. Zwar erweckt der pauschale und undifferenzierte Verweis auf Art. 5 SDK auf den ersten Blick den Eindruck, es könnten auch Fälle gemeint sein, in denen materielle Einreise- bzw. Aufenthaltsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sind und somit auch in einem solchen Fall ein illegaler Aufenthalt vorläge. Dagegen sprechen aber bereits das in Art. 6 Abs. 6 RFRL vorausgesetzte Verständnis des „legalen Aufenthalts“ und der dort vorgenommenen ausdrücklichen Abgrenzung zur „Rückkehrentscheidung“. Entscheidend für ein Verständnis im Sinne eines allein formell zu verstehenden illegalen Aufenthalts spricht die Begründung des Kommissionsentwurfs (vgl. KOM/2005/ 0391endg vom 1.9.2005). Hiernach ist der Befund eindeutig. Unter I 3 Ziffer 12 wird ausdrücklich ausgeführt, dass Regelungsgegenstand der Richtlinie nicht die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung/Sicherheit sei. Unter I 4 wird zu „Kapitel II“ weiter dargelegt, die Vorschriften der Richtlinie seien auf jede Art von illegalem Aufenthalt anwendbar (z.B. Ablauf eines Visums, Ablauf eines Aufenthaltstitels, Widerruf oder Rücknahme eines Aufenthaltstitels, endgültige Ablehnung eines Asylantrags, Aberkennung des Flüchtlingsstatus, illegale Einreise). Nicht Gegenstand seien die Gründe und Verfahren für die Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts. Für dieses Verständnis spricht auch die in Anspruch genommene Rechtsgrundlage des Art. 63 Abs. 3 lit. b) EG. Im Übrigen entspricht der im Gesetzgebungsverfahren neu eingefügte Verweis auf Art. 5 SDK sachlich dem früheren Verweis auf Art. 5 SDÜ, der auch materielle Regelungen enthielt. Demzufolge stellen auch Widerruf, Rücknahme oder nachträgliche Befristung keine Rückkehrentscheidung dar.
89 
Ausgehend hiervon war der Beklagte unionsrechtlich nicht gehalten, von vornherein von Amts wegen eine Befristung der Ausweisung auszusprechen.
90 
Eine Befristung war auch nicht aus sonstigen Gründen der Verhältnismäßigkeit auszusprechen, namentlich um dem Kläger eine Rückkehrperspektive zu eröffnen. Zum einen bestünde eine solche im Falle des ledigen Klägers nach Erlöschen des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts ohnehin nicht. Zum anderen besteht gegenwärtig keine tatsächlich ausreichend gesicherte Grundlage für eine solche Entscheidung, da eine sachgerechte Prognose, dass überhaupt und ggf. wann der Ausweisungsanlass entfallen sein wird, nicht angestellt werden kann. Es wäre unauflöslich widersprüchlich, im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen der (hohen) Ausweisungsvoraussetzungen anzunehmen und gleichzeitig eine sachgerechte Prognose anstellen zu wollen, dass diese mit hinreichender Sicherheit bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt entfallen sein werden. Daher hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch fehlerfrei vorsorglich eine Befristung abgelehnt. Wenn die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG für den Fall einer auf einer strafgerichtlichen Verurteilung beruhenden Ausweisung eine Überschreitung der Fünfjahresfrist zulässt, ohne dass dieses von bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig gemacht wird, so ist dem die Option immanent, ausnahmsweise von der Setzung einer Frist abzusehen, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine Frist sachgerecht und willkürfrei überhaupt nicht bestimmt werden kann. Zur Klarstellung weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass diese nationale Vorgabe, da es sich bei der Ausweisung schon keine Rückkehrentscheidung handelt, keine Umsetzung des Unionsrechts darstellt, weshalb insoweit auch keine Entscheidung von Amts wegen getroffen werden muss (anders für eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung nunmehr BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11).
91 
Wollte man entgegen der hier vertretenen Auffassung die Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie qualifizieren, so hätte der nationale Gesetzgeber hier von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht und die formellen wie materiellen Befristungsvorgaben des Art. 11 Abs. 2 RFRL ohne Verstoß gegen Unionsrecht nicht in nationales Recht umgesetzt. Die Tatsache, dass er gleichwohl das nationale Recht insoweit gegenüber der früheren Rechtslage modifiziert und auch dem Grundsatz nach bei strafgerichtlichen Verurteilungen eine Fünfjahresfrist vorgegeben hätte, die im Einzelfall überschritten werden darf, stellt kein unzulässiges teilweises Gebrauchmachen von der Opt-Out-Klausel dar, sondern nur die Wahrnehmung eines eigenständigen nationalen Gestaltungsspielraums (a.A. wohl OVGNW, Urteil vom 13.12.2011 - 12 B 19.11 - juris).
92 
Abgesehen davon könnte, wenn wie hier eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RFRL vorliegt – nicht anders als im nationalen Recht – im Ausnahmefall die Bestimmung einer Frist vorläufig unterbleiben, sofern, wie bereits oben ausgeführt, eine solche gegenwärtig nicht bestimmt werden kann. Der Beklagte hätte daher, wie dargelegt, zu Recht von einer Bestimmung abgesehen, wenn man die vom Senat nicht geteilten Auffassung verträte, dass hier Art. 11 Abs. 2 RFRL uneingeschränkt anzuwenden wäre.
IV.
93 
Die vom Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 und 5 AufenthG. Bereits aus deren Begründung ergibt sich hinreichend deutlich, dass sie nur für den Fall des Eintritts der Unanfechtbarkeit Geltung beanspruchen soll. Im Übrigen hat der Beklagte dies in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich klargestellt.
94 
Im Zusammenhang mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung war auch im Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben keine Entscheidung über die Befristung eines mit einer späteren Abschiebung einhergehenden Einreiseverbots zu treffen.
95 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11) hierzu ausgeführt:
96 
„Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
97 
Zur Klarstellung seiner Ausführungen im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 – juris Rn. 83) weist der Senat auch darauf hin, dass die oben (vgl. III.) dargestellte Einschränkung hinsichtlich strafgerichtlicher Verurteilungen auch in Bezug auf die nach einer Ausweisung ergehende Rückkehrentscheidung und das mit ihr einhergehende Einreiseverbot selbst gilt, weil die Bundesrepublik Deutschland nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AufenthG nicht nur hinsichtlich der Folgewirkungen der Ausweisung, sondern auch hinsichtlich derer einer späteren Abschiebung insoweit von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hat, die allgemein alle Fälle einer aufgrund bzw. infolge einer strafgerichtlichen Entscheidung eintretenden Rückehrpflicht betrifft.
98 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
99 
Die Revision wird zugelassen, weil die unter III. und IV. aufgeworfenen Fragen der Anwendung und Auslegung der Rückführungsrichtlinie Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
100 
Beschluss vom 10. Februar 2012
101 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
102 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
27 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.06.2010 zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
I.
28 
Die mit Bescheid vom 25.06.2010 verfügte Ausweisung leidet nicht deshalb an einem unheilbaren Verfahrensfehler, weil das nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vom 25.02.1964 (ABl. 56 vom 04.04.1964, S. 850) vorgesehene „Vier-Augen-Prinzip“ nicht beachtet wurde. Wie sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08.12.2011 in der Rechtssache C-371/08 - hinreichend ersehen lässt, entfaltet diese zum 30.04.2006 aufgehobene Bestimmung keine Wirkungen mehr für den verfahrensrechtlichen Ausweisungsschutz assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger (1.). Auch aus geltenden unionsrechtlichen Verfahrensgarantien folgt nicht die Notwendigkeit, ein Vorverfahren durchzuführen (2.). Die Stillhalteklauseln gebieten keine andere Betrachtung (3.). Die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens ergibt sich schließlich nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens (4.).
29 
1. Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG war bei einer ausländerrechtlichen Entscheidung über die Ausweisung ein weiteres Verwaltungsverfahren durchzuführen, sofern nicht ausnahmsweise ein dringender Fall vorlag und sofern nicht im gerichtlichen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsprüfung vorgesehen war. Diese für Angehörige der Mitgliedstaaten (vgl. zum personellen Anwendungsbereich Art. 1 dieser Richtlinie) geltende Regelung erstreckte der Europäische Gerichtshof auf die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger (Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 65 ff.). Fehlte es an der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, so war die Ausweisung unheilbar rechtswidrig (BVerwG, Urteil vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - Rn. 12 ff., BVerwGE 124, 217, vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - Rn. 14 ff., BVerwGE 124, 243 und vom 09.08.2007 - 1 C 47.06 - Rn. 23 ff., BVerwGE 129, 162).
30 
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EGV (später Art. 39, 40, 41 EG und nunmehr Art. 45 ff. AEUV) geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer zu übertragen sind, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen. Dies beruht auf den Erwägungen, dass in Art. 12 des Assoziierungsabkommens die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des „Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft“ leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen, dass Art. 36 ZP die Fristen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (nunmehr und im Folgenden: Union) und der Türkei festlegt, dass der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln vorsieht und dass der Beschluss 1/80 bezweckt, im sozialen Bereich die Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu verbessern (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 04.10.2007- Rs. C-349/06 Rn. 29, vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 61 ff., vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 Rn. 42 ff. und vom 10.02.2000 - Rs. C-340/97 Rn. 42 f.). In der Rechtssache „Dörr und Ünal“ (Rn. 65 ff.) heißt es, es sei nach diesen Erwägungen geboten, die in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG niedergelegten Grundsätze als auf türkische Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragbar anzusehen, und weiter:
31 
„….Um effektiv zu sein, müssen die individuellen Rechte von den türkischen Arbeitnehmern vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Damit die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleistet ist, ist es unabdingbar, diesen Arbeitnehmern die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, und es muss ihnen somit ermöglicht werden, sich auf die in den Artikeln 8 und 9 der Richtlinie 64/221 vorgesehenen Garantien zu berufen. Diese Garantien sind nämlich, wie der Generalanwalt …ausführt, untrennbar mit den Rechten verbunden, auf die sie sich beziehen.“
32 
In der Entscheidung „Ziebell“ knüpft der Gerichtshof an die Ausführungen im Urteil „Dörr und Ünal“ an und legt dar (Rn. 58), dass
33 
„…die Grundsätze, die im Rahmen der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Bestimmungen des EG-Vertrags gelten, so weit wie möglich auf türkische Staatsangehörige übertragen werden, die Rechte aufgrund der Assoziation EWG-Türkei besitzen. Wie der Gerichtshof entschieden hat, muss eine solche Analogie nicht nur für die genannten Artikel des Vertrags gelten, sondern auch für die auf der Grundlage dieser Artikel erlassenen sekundärrechtlichen Vorschriften, mit denen die Artikel durchgeführt und konkretisiert werden sollen (vgl. zur Richtlinie 64/221 u.a. Urteil Dörr und Ünal)“.
34 
Durch den Terminus „Analogie“, der etwa auch in der französischen und englischen Fassung des Urteils verwendet wird, ist klargestellt, dass die Inhalte des - für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten - maßgeblichen Sekundärrechts nicht deshalb auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige angewandt werden, weil diese allgemeine Rechtsgrundsätze sind, die ggfs. auch losgelöst von der Wirksamkeit der jeweiligen Regelung noch Geltung beanspruchen können, sondern dass es sich um eine entsprechende Übertragung geltenden Rechts handelt. Eine Vorschrift kann jedoch nur solange analog angewandt werden, wie sie selbst Gültigkeit beansprucht. Mit der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG entfällt deshalb - wie der Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ darlegt - die Grundlage für ihre entsprechende Anwendung.
35 
Dass aufgrund dieser Aufhebung nicht mehr „traditionell auf die in der Richtlinie 64/221/EWG festgeschriebenen Grundsätze abgestellt“ werden kann (Rn. 76) und der Richtlinie insgesamt, d.h. in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht, keine Bedeutung mehr zukommt, ist nach den Ausführungen im Urteil „Ziebell“ (insb. Rn. 77 ff.) und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt hinreichend geklärt. Dem Europäischen Gerichtshof war aufgrund des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 und der beigefügten Akten bekannt, dass auf die dort streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 06.03.2007 das „Vier-Augen-Prinzip“ des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr angewandt, vielmehr gegen die Ausweisungsentscheidung direkt Klage erhoben worden ist. Das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.08.2009 (1 C 25.08 - AuAS 2009, 267) führt sogar ausdrücklich aus, dass - sollte der in Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG für Unionsbürger geregelte Ausweisungsschutz nicht auf assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige zu übertragen sein - sich die Frage stellt, ob Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG gleichwohl weiterhin anzuwenden ist oder stattdessen die Verfahrensgarantien des Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG Anwendung finden, die das „Vier-Augen-Prinzip“ abgelöst haben (BVerwG, a.a.O., Rn. 26). Hätte der Gerichtshof dem im Verfahren „Ziebell“ nicht eingehaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ - und sei es auch mit Blick auf besondere oder allgemeine unionsrechtliche Verfahrensgarantien, die Standstillklauseln oder das Assoziationsabkommen an sich - noch irgendeine rechtliche Relevanz zu Gunsten des Klägers beigemessen, so hätte es nahegelegen, unabhängig von der konkreten Vorlagefrage hierzu Ausführungen zu machen. Die Tatsache, dass der Gerichtshof die Aufhebung der Richtlinie insgesamt besonders hervorhebt, und der Umstand, dass er den Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige mit einer Rechtsposition nach dem ARB 1/80 zudem ausdrücklich auf einen anderen unionsrechtlichen Bezugsrahmen im geltenden Recht stützt, belegen, dass die Richtlinie 64/221/EWG nach Auffassung des Gerichtshofs in Gänze nicht mehr zur Konkretisierung des formellen und materiellen Ausweisungsschutzes des Klägers herangezogen werden kann. Hätte der Gerichtshof den Inhalten der Richtlinie 64/221/EWG noch irgendeine Bedeutung beigemessen, so hätte es sich im Übrigen auch aufgedrängt, für das materielle Ausweisungsrecht - etwa in Anknüpfung an die Rechtssachen „Cetinkaya“ (Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - Rn. 44 ff.) oder „Polat“ (Urteil vom 04.10.2007 -Rs. C-349/06 - Rn. 30 ff.) - den dort erwähnten Art. 3 der Richtlinie 64/221/ EWG ausdrücklich weiterhin fruchtbar zu machen. Diesen Weg hat der Gerichthof in der Rechtssache „Ziebell“ jedoch ebenfalls nicht beschritten. An dieser Sicht vermag – entgegen der Auffassung des Klägers – auch der Umstand nichts zu ändern, dass für die Anwendung des am 21.06.1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits geschlossenen Abkommen über die Freizügigkeit (ABl. 2002 L 114, S. 6) die Richtlinie 64/221/EWG nach wie vor vorübergehend Bedeutung hat (vgl. Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I).
36 
2. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob sich die Verfahrensgarantien für einen assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, der sich gegen seine Ausweisung wendet, nunmehr ebenfalls aus der Richtlinie 2003/109/EG (Art. 10, Art. 12 Abs. 4), aus Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG oder aus den auch im Unionsrecht allgemeinen anerkannten Grundsätzen eines effektiven Rechtsschutzes ergeben. Denn die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens ist in keinem dieser Fälle geboten.
37 
a) Art 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG sieht vor, dass einem langfristig Aufenthaltsberechtigten in dem betroffenen Mitgliedstaat der Rechtsweg gegen seine Ausweisung offen steht. Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie normiert, dass der langfristig Aufenthaltsberechtigte Rechtsbehelfe u.a. gegen den Entzug seiner Rechtsstellung einlegen kann. Welche Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, bestimmt sich jedoch allein nach dem nationalen Recht. Ein Vorverfahren als einzuräumender Rechtsbehelf ist nach der Richtlinie nicht vorgeschrieben.
38 
b) Auch soweit man für die einem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen einzuräumenden Verfahrensgarantien Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG heranziehen wollte, folgt hieraus nichts anderes. Die Erwägungen zu den Besonderheiten der Unionsbürgerschaft haben den Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ im Anschluss an die Ausführungen des Generalanwalts bewogen, den Schutz der Unionsbürger vor Ausweisung, wie in Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehen, nicht im Rahmen der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf die Garantien gegen die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger zu übertragen (vgl. im Einzelnen Rn. 60 ff. und Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - Rs. C-371/08 - Rn. 42 ff.). Selbst wenn man der Auffassung wäre, die Spezifika der Unionsbürgerschaft (vgl. zu deren Begriff und Inhalt auch Bergmann , Handlexikon der Europäischen Union, 4. Aufl. 2012, Stichwort „Unionsbürgerschaft“) stünden lediglich der Anwendung des materiellen Ausweisungsrechts der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige entgegen und nicht der Übertragung der im gleichen Kapitel enthaltenen Verfahrensgarantien nach Art. 30 f., leidet die Ausweisungsverfügung nicht an einem Verfahrensfehler. Der Gerichtshof hat sich im Urteil „Ziebell“ nicht dazu geäußert, ob diese Bestimmungen insoweit analogiefähig sind bzw. ihnen jedenfalls allgemein geltende Grundsätze zu entnehmen sind (vgl. auch Art. 15 der Richtlinie 2004/38/EG), die in Anknüpfung allein an die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Notwendigkeit deren verfahrensrechtlichen Schutzes ihre Berechtigung haben, oder ob auch diesen ein spezifisch unionsbürgerbezogener Inhalt zukommt. Für letzteres könnte etwa Art. 31 Abs. 3 S. 2 dieser Richtlinie angeführt werden, wonach das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 nicht unverhältnismäßig ist; auch die Bezugnahme in Art. 31 Abs. 2, letzter Spiegelstrich auf Art. 28 Abs. 3 könnte dafür sprechen. Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, denn die Verfahrensgarantien nach Art. 30 f. der Richtlinie 2004/38/EG schreiben die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bei der Ausweisung von Unionsbürgern nicht vor (diese Frage lediglich ansprechend BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.10.2011 - 2 BvR 1969/09 - juris Rn. 40), so dass der Kläger selbst bei ihrer Anwendbarkeit kein für ihn günstigeres Ergebnis herleiten könnte.
39 
Nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Aus dieser Bestimmung folgt aber nicht die Verpflichtung des Mitgliedstaates, außer dem gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Ausweisungsverfügung (zusätzlich) ein behördliches Rechtsbehelfsverfahren vorzuhalten und in diesem auch die Überprüfung der Zweckmäßigkeit einer Ausweisung zu ermöglichen. Wie sich schon aus dem Wortlaut ergibt („..und gegebenenfalls bei einer Behörde…“), trägt diese Bestimmung lediglich dem - heterogenen - System des Rechtsschutzes der Mitgliedstaaten Rechnung und lässt deren Berechtigung unberührt, ein Rechtsbehelfsverfahren auch noch bei einer Behörde zu eröffnen. Ein solches ist jedoch in Baden-Württemberg nicht mehr vorgesehen. Erlässt das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt - wie dies für die Ausweisung eines in Strafhaft befindlichen Ausländers zutrifft (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AAZuVO) -, so ist hiergegen unabhängig von dem zugrundeliegenden Rechtsgebiet im Anwendungsbereich des seit 22.10.2008 geltenden § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO (GBl. 2008, 343) i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO das Vorverfahren nicht statthaft. Aufgrund vergleichbarer, wenn auch regelungstechnisch teilweise von einem anderen Ansatz ausgehender Landesgesetze entspricht es einer bundesweit anzutreffenden Rechtspraxis, ein Widerspruchsverfahren vor Erhebung einer Klage nicht mehr vorzuschreiben (vgl. z.B. auch Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO, § 16a HessAGVwGO, § 8a NdsAGVwGO). Dass die Unionsbürgerrichtlinie nicht dazu zwingt, ein dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgeschaltetes Widerspruchsverfahren zu schaffen, folgt im Übrigen eindeutig aus ihrer Entstehungsgeschichte.
40 
Der Vorschlag der Kommission für die Unionsbürgerrichtlinie (KOM 2001/0257/endgültig, ABl. C 270 E vom 25.09.2001, S. 150) sah ursprünglich vor, dass u.a. bei der Ausweisung der Betreffende bei den Behörden oder den Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen kann; ist der behördliche Weg vorgesehen, entscheidet die Behörde außer bei Dringlichkeit erst nach Stellungnahme der zuständigen Stelle des Aufnahmemitgliedstaates, vor dem es dem Betreffenden möglich sein muss, auf seinen Antrag hin seine Verteidigung vorzubringen. Diese Stelle darf nicht die Behörde sein, die befugt ist, die Ausweisungsentscheidung zu treffen (vgl. im Einzelnen den - hier verkürzt wiedergegebenen - Wortlaut des Entwurfs zu Art. 29 Abs. 1 und 2). In der Begründung des Vorschlags zu Art. 29 heißt es ausdrücklich:
41 
„Ein lückenloser Rechtsschutz schließt nicht aus, dass ein Mitgliedstaat vorsieht, dass ein Rechtsbehelf bei einer Behörde eingelegt werden kann. In diesem Fall müssen die in Art. 9 der Richtlinie 63/221/EWG genannten Objektivitätsgarantien gegeben sein, insbesondere die vorherige Stellungnahme einer anderen Behörde, als die, die die Einreiseverweigerung oder die Ausweisung verfügen soll, sowie Garantie in Bezug auf die Rechte der Verteidigung.“
42 
In dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 vom 05.12.2003 (ABl. C 54 E vom 02.03.2004, S. 12) hat Art. 31 Abs. 1 bereits - mit Zustimmung der Kommission - die Fassung, wie sie in der Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 enthalten ist (a.a.O., S. 26). Schon in dem geänderten Vorschlag der Kommission vom 15.04.2003 (KOM(2003) 199 endgültig) erhielt der Entwurf zu Art. 29 Abs. 1 die Fassung, dass „….der Betroffene bei den Gerichten und gegebenenfalls bei den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen“ kann. Durch diese Abänderung sollte klargestellt werden,
43 
„dass der Rechtsbehelf stets bei einem Gericht eingelegt werden muss und ein Rechtsbehelf bei einer Behörde nur dann ebenfalls zulässig ist, wenn der Aufnahmemitgliedstaats dies vorsieht (zum Beispiel bevor ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann).“
44 
Diese Begründung der Kommission im geänderten Vorschlag vom 15.04.2003 (a.a.O., S. 10) zu Art. 29 Abs. 1 hat sich der „Gemeinsame Standpunkt“ vom 05.12.2003 zu Eigen gemacht (a.a.O., S 27) und ferner Art. 29 Abs. 2 des Kommissionsentwurfs mit dem dort enthaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ komplett gestrichen. Dieser ist mit Blick auf die von den Mitgliedstaaten stets vorzusehende Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts und der dort zu gewährenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung und der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung über die Ausweisung beruht, für überflüssig erachtet worden (vgl. die Begründung des Rates, a.a.O., S. 29, 32).
45 
Das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene „Vier-Augen-Prinzip“, das defizitäre gerichtliche Kontrollmechanismen und eine in den Mitgliedstaaten zum Teil vorherrschende geringe Kontrolldichte der gerichtlichen Entscheidungen kompensieren sollte, wurde somit in Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG durch eine Verbesserung des gerichtlichen Rechtsschutzes ersetzt (vgl. zur bewussten Abkehr von den in Art. 8 f der Richtlinie 64/221/ EWG vorgesehenen Verfahrensregelungen auch Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/38/EG). Der in Deutschland dem Kläger zur Verfügung stehende gerichtliche Rechtsschutz erfüllt die Vorgaben des Art. 31 der Richtlinie.
46 
Es bleibt daher der Verfahrensautonomie des Mitgliedstaats überlassen, ob er bei einer Ausweisung eines Unionsbürgers zusätzlich zum gerichtlichen Rechtsschutz noch ein Widerspruchsverfahren vorsieht. Dass die in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltene Formulierung „..und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen zu können“ bei diesem Verständnis nur noch eine unionsrechtliche Selbstverständlichkeit wiedergibt, erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
47 
c) Auch die allgemeine unionsrechtliche Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs fordert nicht die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens. Selbst wenn man entgegen den Ausführungen oben unter 1.) der Auffassung wäre, der Gerichtshof habe sich im Urteil „Ziebell“ hierzu nicht der Sache nach geäußert, ist dies eindeutig.
48 
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshof hat ein türkischer Arbeitnehmer, der die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzt, einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, um diese Rechte wirksam geltend machen zu können (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn.67). Es entspricht einem allgemein anerkannten unionsrechtlichen Grundsatz, der sich aus der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten ergibt und der in Art. 6 und 13 EMRK verankert ist, dass bei einem Eingriff in die Rechte des Betroffenen (hier: Eingriff in die Freizügigkeit des Arbeitnehmers) durch eine Behörde des Mitgliedstaats der Betroffene das Recht hat, seine Rechte vor Gericht geltend zu machen; den Mitgliedstaaten obliegt es, eine effektive richterliche Kontrolle der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des innerstaatlichen Rechts sicherzustellen, das der Verwirklichung der eingeräumten Rechte dient (vgl. schon EuGH, Urteil vom 03.12.1992 - Rs. C-97/91 Rn.14, vom 15.10.1987 - Rs. C-222/86 Rn. 12 ff. und vom 15.05.1986 - Rs. C-222/84 Rn. 17 ff.). Zum Effektivitätsgrundsatz gehört, dass die gerichtliche Kontrolle die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung umfasst (EuGH, Urteil vom 15.10.1987 - Rs. C-222/84 Rn.15). Auch dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH, Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-279/09 Rn. 28, vom 15.04.2008 - Rs. C-268/06 Rn. 46, vom 13.03.2007 - Rs. C-432/05 Rn. 43 und vom 16.12.1976 - 33/76 Rn.5). Ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, ist unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen sowie des Ablaufs und der Besonderheiten dieses Verfahrens zu prüfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2002 - Rs. C-473/00 Rn. 37 und vom 14.12.1995 - Rs. C-312/93 Rn.14).
49 
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Grundsätze ist es nicht geboten, ein behördliches Vorverfahren mit einer diesem immanenten Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorzuschalten, das die Vorgaben des effektiven Rechtschutzes in jeder Hinsicht erfüllt. Auch Art. 19 Abs. 4 GG fordert dies übrigens gerade nicht (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 24.04.1985 - 2 BvF 2/83 u.a. - juris Rn. 105 m.w.N.). Ein Anspruch des Einzelnen auf ein „Maximum“ an Verfahrensrechten und den unveränderten Fortbestand einer einmal eingeräumten verfahrensrechtlichen Möglichkeit besteht nicht - zumal wenn diese wie das „Vier-Augen-Prinzip“ aus einer bestimmten historischen Situation als Kompensation für eine früher weit verbreitete zu geringe gerichtliche Kontrolldichte erfolgte.
50 
d) Aus dem in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und dem „Recht auf gute Verwaltung“ nach Art. 41 GRCh (vgl. zu den dort eingeräumten Rechten Jarass, GRCh-Kommentar, 2010, Art. 41 Rn. 21 ff.) ergibt sich für den Kläger ebenfalls kein Recht auf Durchführung eines Vorverfahrens.
51 
3. Ein Widerspruchsverfahren ist ferner nicht mit Blick auf die assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln nach Art. 7 ARB 2/76, Art. 13 ARB 1/80 oder Art. 41 Abs. 1 ZP einzuräumen. Selbst wenn man die Ansicht nicht teilen würde, schon aus dem Urteil „Ziebell“ ergebe sich hinreichend deutlich, der Gerichtshof halte das Fehlen eines Vorverfahrens auch unter dem Aspekt der Stillhalteklauseln nicht für problematisch, lässt sich feststellen, dass dessen Abschaffung keinen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln darstellt.
52 
a) Der Kläger kann sich als im Bundesgebiet geborener Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers auf Art. 13 ARB 1/80 berufen. Nach dieser am 01.12.1980 in Kraft getretenen Regelung dürfen die Mitgliedstaaten für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß ist, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Diese Stillhalteklausel, die unmittelbar wirkt (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62, vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 58 f. und vom 20.09.1990 - Rs. C-192/89 Rn. 26), verbietet allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in dem entsprechenden Mitgliedstaat galten (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62), wobei den Mitgliedstaaten auch untersagt ist, nach dem Stichtag eingeführte günstigere Regelungen wieder zurückzunehmen, selbst wenn der nunmehr geltende Zustand nicht strenger ist als der am Stichtag geltende (siehe zu dieser „zeitlichen Meistbegünstigungsklausel“ EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 49 ff ). Die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 verfolgt das Ziel, günstigere Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu schaffen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 und vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 72 ff.). Normadressat ist ausschließlich der einzelne Mitgliedstaat mit Blick auf dessen nationales Recht, nicht die Europäische Union als Vertragspartner des Assoziationsabkommens EWG/Türkei. Deren Befugnisse werden durch diese Stillhalteklausel nicht beschränkt. Vom Wortlaut her schützt das Unterlassungsgebot der Standstillklausel zwar ausschließlich den unveränderten Zugang zum Arbeitsmarkt, es entfaltet gleichwohl mittelbare aufenthaltsrechtliche Wirkungen, soweit ausländerrechtliche Maßnahmen zur Beeinträchtigung des Arbeitsmarktzugangs führen, die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels erschwert wird (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62 ff. und vom 29.04.2010 - Rs. C-92/09 Rn. 44 ff.) oder der Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet beendet werden soll (vgl. auch Renner, 9. Aufl., 2011, § 4 Rn. 197). Bei der Bestimmung, wann eine Maßnahme eine „neue Beschränkung“ darstellt, orientiert sich der Gerichtshof gleichermaßen an den mit Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 ZP verfolgten Zielen und erstreckt die Tragweite der Stillhalteverpflichtung auf sämtliche neuen Hindernisse für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die eine Verschärfung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Bedingungen darstellen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 ff.), wobei eine solche materieller und/oder verfahrensrechtlicher Art sein kann (EuGH, Urteil vom 21.07.2011 - Rs. C-186/10 Rn. 22, vom 29.04.2010 - Rs. C-92/07 Rn. 49, vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 64 und vom 20.09.2007 - Rs. C-16/05 Rn. 69). Nach diesen Grundsätzen stellt die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens keine „neue Beschränkung“ dar.
53 
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von Art. 13 ARB 1/80 war nach dem damals geltenden § 68 VwGO und dem baden-württembergischen Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22.03.1960 (GBl. 1960, 94) in der Fassung des Gesetzes vom 12.12.1979 (GBl. 1979, 549) auch bei der Ausweisung eines türkischen Staatsangehöriger ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Die in der vorliegenden Fallkonstellation nunmehr vorgesehene Zuständigkeit einer Mittelbehörde für den Erlass der Ausweisungsverfügung (§ 6 Nr. 1 AAZuVO) und das gesetzlich deswegen angeordnete Entfallen des Vorverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO BW vom 14.10.2008; vgl. auch die Vorgängervorschrift § 6a AGVwGO BW vom 01.07.1999) ist keine Änderung, die geeignet wäre, die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu erschweren oder die einem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten materiellen Rechte zu beeinträchtigen. Unabhängig davon, ob das Widerspruchsverfahrens nur als Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens angesehen wird (vgl. hierzu Bader, u.a. VwGO, 5. Aufl. 2011, Vor §§ 68 ff. Rn. 49), oder ob es auch als Teil des Prozessrechts begriffen wird (i.S.e. Doppelcharakters Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, Vorb § 68 Rn. 14), ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dessen Wegfall zu einer merklichen Verschlechterung der Rechtsposition türkischer Staatsangehöriger führt. Eine rechtliche Beeinträchtigung des Betroffenen durch die Abschaffung des Vorverfahrens wird im Übrigen auch nicht in anderen rechtlichen Konstellationen außerhalb des Aufenthaltsrechts angenommen.
54 
Grund für den letztlich allein rechtspolitisch gewählten Weg eines weitgehenden Ausschluss des Vorverfahrens in Baden-Württemberg war die Erkenntnis gewesen, dass entsprechend einer evaluierten Verwaltungspraxis jedenfalls in den Fällen, in denen das Regierungspräsidium die Ausgangsentscheidung getroffen hat, die Sach- und Rechtslage vor der ersten Verwaltungsentscheidung so umfassend geprüft wird, dass sich während des Vorverfahrens regelmäßig keine neuen Aspekte ergeben. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens in den Fällen der Ausgangszuständigkeit der Mittelbehörden dient nicht nur deren Entlastung, sondern vor allem auch der Verfahrensbeschleunigung (vgl. näher die Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf der Landesregierung, LT Drs. 12/3862 vom 16.03.1999 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 22.04.1999, LT Drs. 12/3976). Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens kann daher allenfalls als ambivalent begriffen werden. Die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens kommt in besonderem Maße dem Interesse des von einer Ausweisung betroffenen Ausländers entgegen, eine möglichst rasche gerichtliche Klärung zu erhalten. Zwar können etwa Mängel in der Ausweisungsentscheidung leichter behoben werden, wenn die Verwaltung „einen zweiten Blick“ hierauf wirft. Der Ausländer wird jedoch nicht belastet, wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht. Vielmehr verbessert dies unter Umständen sogar seine Erfolgschancen bei Gericht. Als Kläger kann er auch all das bei Gericht geltend machen, was er in einem Widerspruchsverfahren vortragen könnte; das Verwaltungsgericht unterzieht die Ausweisung einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle, die insbesondere auch eine volle Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit einschließt. Lediglich die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung kann durch das Verwaltungsgericht nicht geprüft werden, was aber bei einer Gesamtbetrachtung der Wirkungen der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens nicht negativ ins Gewicht fällt. Im Übrigen kam es nach den Angaben des Vertreters des Beklagten zu Zeiten des noch bestehenden Widerspruchsverfahrens jedenfalls auf dem Gebiet des Ausländer- bzw. Aufenthaltsrechts praktisch nicht vor, dass allein aus Zweckmäßigkeitserwägungen von einer Ausweisung Abstand genommen wurde - gerade in den Fällen der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger und den hohen Anforderungen des Art. 14 ARB 1/80 spielte dieser Gesichtspunkt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Rolle, da er insoweit ausschließlich Rechtsvoraussetzungen und Rechtsgrenzen formuliert. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass das Unionsrecht wie auch das Assoziationsrecht für Beschränkungen der Freizügigkeit nicht zwingend eine Ermessensentscheidung verlange. Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung, die das deutsche System von Ist- und Regelausweisung aber nicht zulasse. Nicht erforderlich sei eine behördliche Wahl zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten, ein Handlungsermessen der Ausländerbehörde. Die Ausweisung unterliege hinsichtlich der qualifizierten Gefahrenschwelle und des Verhältnismäßigkeitsprinzips voller gerichtlicher Kontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Lediglich deshalb, weil das nationale Recht neben der Ist- und Regelausweisung nur die Ermessensausweisung kennt, ist im Rahmen dieses Instrumentariums dann, wenn die Eingriffsschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht ist, gleichwohl eine Ermessensentscheidung zu treffen. National-rechtlich ist die Frage einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit in einem weiteren Behördenverfahren gleichfalls weder in § 10 AuslG 1965 noch in den späteren Änderungen im Ausweisungsrecht vorgegeben.
55 
Abgesehen davon bedeutet die Stillhalteverpflichtung auch nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens- und -prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (EuGH, Urteil vom 18.10.2011 -Rs. C-128/09 - Rn. 52). Lässt eine Änderung des Verfahrens aber - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor, zumal wenn man gebührend in Rechnung stellt, dass im Widerspruchsverfahren auch formelle wie materielle Fehler der Ausgangsbehörde zu Lasten des Betroffenen behoben werden können (Bader, VwGO, a.a.O., § 68 Rn. 4, 7, 10; § 79 Rn. 2 ff.).
56 
b) Geht man davon aus, dass der Kläger seine Eigenschaft als Arbeitnehmer nicht verloren hat und hält daher auch den am 20.12.1976 in Kraft getretenen Art. 7 ARB 2/76 für anwendbar, so gilt nichts anderes (vgl. zur Anwendbarkeit von Art. 7 ARB 2/76 neben Art. 13 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 20.09.1990 -Rs. C-192/89 Rn. 18 ff.). Nach dieser Bestimmung dürfen die Mitgliedstaaten der Union und die Türkei für Arbeitnehmer, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Mit Art. 7 ARB 2/76 wird gegenüber Art. 13 ARB 1/80 insoweit nur der zeitliche Bezugspunkt für neue Beschränkungen verändert, ohne dass diese jedoch inhaltlich anders zu bestimmen wären.
57 
c) Ein Verstoß gegen die seit 01.01.1973 geltende Stillhalteklausel nach 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963 zur Gründung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger zu keinem Zeitpunkt selbstständig erwerbstätig war.
58 
4. Eine Fortgeltung des „Vier-Augen-Prinzips“ nach der Richtlinie 64/221/ EWG folgt auch nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens.
59 
Die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme vom 15.12.2006 (JURM(2006)12099) in der Rechtssache „Polat“ (C-349/06) die Auffassung vertreten, bei der Auslegung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen des Assoziationsabkommens oder darauf gestützter Rechtsakte wie Art. 14 ARB 1/80 sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Union) seinerzeit verwirklicht worden sei. Hieraus folge, dass die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und der aufgrund dessen erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben könne. Der Inhalt völkerrechtlicher Verträge könne sich nämlich nicht automatisch durch eine spätere Änderung der Rechtslage eines Vertragspartners ändern. Das Wesen des Völkerrechts bestehe gerade darin, dass sich die souveränen Vertragsparteien nur selbst verpflichten können, heteronome Normsetzung komme in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Eine solche heteronome Normsetzung läge aber vor, wenn sich die Änderung der internen Rechtslage der Gemeinschaft unmittelbar auf die Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger, die durch völkerrechtlichen Regelungen festgelegt sei, auswirken könnte (vgl. im Einzelnen die Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 Rn. 57 ff., beziehbar unter www.migrationsrecht.net). Diese Ausführungen sind nahezu wortgleich auch in der Stellungnahme enthalten, die die Kommission am 02.12.2008 in der Rechtssache „Ziebell“ abgegeben hat (JURM(08)12077 - Rn. 32 ff.)
60 
Diese Auffassung beruht jedoch allein auf einer eigenen Interpretation des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ vom 02.06.2005 (Rs. C-136/03 - Rn.61 bis 64) durch die Kommission (vgl. insoweit Rn. 57 der Stellungnahme im Verfahren C-349/06 und Rn. 33 der Äußerung in der Rechtssache C-371/08: „Die Kommission versteht diese Rechtsprechung wie folgt:“). Der Gerichtshof hat diese Interpretation allerdings weder im Urteil „Polat“ noch in späteren Entscheidungen aufgegriffen. Aus dem Urteil in der Rechtssache „Ziebell“ und dem dort eingeschlagenen Lösungsweg (siehe hierzu oben 1.) ergibt sich sogar mit aller Deutlichkeit, dass der Gerichtshof, der für sich die Kompetenz zur Auslegung des Assoziationsrechts in Anspruch nimmt, diese Auffassung nicht teilt. Die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 14.04.2011 im Verfahren „Ziebell“ (vgl. insb. Rn. 57) lassen ebenfalls ersehen, dass auch von dieser Seite dem dogmatischen Ansatz der Kommission insoweit keine Bedeutung beigemessen wird. Die von der Kommission befürwortete Auslegung des Urteils in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ überzeugt den Senat auch deshalb nicht, weil die Ansicht der Kommission zu dem Ergebnis führen könnte, dass in dieser Regelungsmaterie unter Umständen notwendig werdende Änderungen des Unionsrechts zum Nachteil von Unionsbürgern überhaupt nicht mehr oder nur noch um den Preis einer Diskriminierung möglich wären.
61 
Im Übrigen heißt es in der Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 ebenso wie in derjenigen vom 02.12.2008, dass „in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklicht werden sollte, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft seinerzeit verwirklicht worden sei.“ Dieses Schutzniveau für die türkischen Staatsangehörigen wird jedoch durch die Abschaffung des „Vier-Augen-Prinzips“ bei gleichzeitig verbessertem Rechtsschutz gewahrt.
62 
Nach alledem liegt im Fall des Klägers durch die Nichtbeachtung des „Vier-Augen-Prinzips“ kein unheilbarer Verfahrensfehler vor.
II.
63 
Da der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 genießt, kann gem. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthalt nur beendet werden, wenn dieses aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist.
64 
1. Nach der ständigen und mittlerweile gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs ist in diesem Zusammenhang zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Begrifflichkeiten auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. zuletzt Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 52, insbesondere auch Rn. 67 m.w.N.). Allerdings scheidet ein Rückgriff auf die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 wegen der grundsätzlich unterschiedlichen durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers aus (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 73).
65 
Der Europäische Gerichtshof ist hiernach der Auffassung, dass der Ausweisungsschutz nach der Aufhebung der bisher für seine Rechtsprechung zum Ausweisungsschutz von assoziationsrechtlich geschützten türkischen Staatsangehörigen sinngemäß bzw. analog (vgl. hierzu nunmehr EuGH, Urteil vom 08.12.2010 - Rs. C-317/08 Rn. 58) berücksichtigten Richtlinie 64/221 entsprechend den Grundsätzen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach Art. 12 der Richtlinie 2003/109, der sog. Daueraufenthaltsrichtlinie zu bestimmen ist. Diejenigen Drittstaatsangehörigen, die die Rechtsstellung eines Daueraufenthaltsberechtigten genießen, können hiernach nur dann ausgewiesen werden, wenn sie eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen (Urteil vom 08.12.2011 – Rs C-371/08 Rn. 79). Wie sich unschwer aus den weiteren Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil in der Sache Ziebell ablesen lässt (vgl. Rn. 80 ff.), folgt hieraus aber kein andersartiges Schutzniveau, als es bis zum Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union galt (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74 ; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81 ; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86 ; vom 19.01.1999 - Rs C-348/96 ). Soweit der Gerichtshof die Tatsache anspricht, dass Herr Ziebell sich mehr als zehn Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält (vgl. Rn. 79, auch Rn. 46), wird damit kein eigenständiges erhöhtes materielles Schutzniveau eingeführt, sondern lediglich eine dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegende Tatsache wiedergegeben. Diese Schlussfolgerung ist auch deshalb unausweichlich, weil der Daueraufenthaltsrichtlinie, anders als der Unionsbürgerrichtlinie eine Zehnjahresschwelle fremd ist. Vielmehr setzt der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur einen fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und darüber hinaus nach Art. 7 der Richtlinie die ausdrückliche Verleihung der Rechtsstellung voraus.
66 
Kann ein assoziationsrechtlich geschützter türkischer Staatsangehöriger nur dann ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, so steht dem auch entgegen, dass die Ausweisungsverfügung auf wirtschaftliche Überlegungen gestützt wird.
67 
Weiter haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 80).
68 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Ausnahmen und Abweichungen von der Grundfreiheit der Arbeitnehmer eng auszulegen, wobei deren Umfang nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (vgl. Rn. 81 mit dem Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
69 
Somit dürfen Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. Rn. 82 wiederum mit Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 57 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).
70 
Eine Ausweisung darf daher nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder zum Zweck der Generalprävention, um andere Ausländer vor der Begehung von Straftaten abzuschrecken, angeordnet werden (Rn. 83 Urteil vom 22.12.2010, Bozkurt, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
71 
Der Gerichtshof betont im Urteil vom 08.12.2011 (Rn. 85) zudem ausdrücklich, dass die nationalen Gerichte und Behörden anhand der gegenwärtigen Situation des Betroffenen die Notwendigkeit des beabsichtigten Eingriffs in dessen Aufenthaltsrecht zum Schutz des vom Aufnahmemitgliedstaat verfolgten berechtigten Ziels gegen alle tatsächlich vorliegenden Integrationsfaktoren abwägen müssen, die die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats ermöglichen. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob das Verhalten des türkischen Staatsangehörigen gegenwärtig eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Sämtliche konkreten Umstände sind angemessen zu berücksichtigen, die für seine Situation kennzeichnend sind, wie namentlich besonders enge Bindungen des betroffenen Ausländers zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in deren Hoheitsgebiet er geboren oder auch nur aufgewachsen ist.
72 
Demzufolge sind für die Feststellung der Gegenwärtigkeit der konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auch alle nach der letzten Behördenentscheidung eingetretenen Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse darstellen soll (Rn. 84; vgl. u. a. Urteil vom 11.11.2004 - Rs C-467/02 Rn. 47).
73 
Wenn der Gerichtshof schließlich in der konkreten Antwort auf die Vorlagefrage (Rn. 86) noch davon spricht, dass die jeweilige Maßnahme für die Wahrung des Grundinteresses „unerlässlich“ sein muss, ohne dass dieses in den vorangegangenen Ausführungen näher angesprochen und erörtert worden wäre, so kann dies nicht dahingehend verstanden werden, dass die Ausweisungsentscheidung gewissermaßen die „ultima ratio“ sein muss und dem Mitgliedstaat keinerlei Handlungsalternative mehr offen stehen darf. Denn bei einem solchen Verständnis ginge der Schutz der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen weiter als der von Unionsbürgern, was mit Art. 59 ZP nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr wird mit dieser Formel mit anderen Worten nur der in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelte Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie insbesondere nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. etwa Urteil vom 26.11.2002 - Rs C-100/01 Rn. 43; vom 30.11.1995 - Rs C-55/94, Rn. 37; vom 28.10.1975 - Rs 36/75 ), wobei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen ist.
74 
Der vom Gerichtshof entwickelte Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich auf „ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss“. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann eine Ausweisung rechtfertigen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erwarten lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs C-482 und 493/01 ). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, was eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59). Wenn der Umstand, dass eine oder mehrere frühere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, für sich genommen ohne Bedeutung für die Rechtfertigung einer Ausweisung ist, die einem türkischen Staatsangehörigen Rechte nimmt, die er unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB 1/80 ableitet (vgl. auch Urteil vom 04.10.2007 - C-349/06 Rn. 36), so muss das Gleiche erst recht für eine Maßnahme gelten, die im Wesentlichen nur auf die Dauer der Inhaftierung des Betroffenen gestützt wird.
75 
Der Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes gesellschaftliches „Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
76 
Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Dieser Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartige weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in der dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit unter dem strikten Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit steht, lassen ein solches Verständnis nicht zu. Es wäre auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unions- bzw. assoziationsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet (so schon Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
77 
Dem restriktiven, vom Verhältnismäßigkeitsprinzip und „effet utile“ geprägten Verständnis des Gerichtshofs liegt abgesehen davon die Vorstellung einer die gesamte Union in den Blick nehmenden Sichtweise zugrunde. Alle Mitgliedstaaten haben nämlich auch eine Verantwortung für die gesamte Union (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Mit dieser wäre es schwerlich vereinbar, dass ein Mitgliedstaat ein zunächst einmal genuin auf seinem Territorium aufgetretenes und entstandenes Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch die Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs für sich so aus der Welt schafft, dass er sich des Verursachers dieses Risiko gewissermaßen zu Lasten aller anderen Mitgliedstaaten räumlich entledigt. Denn zunächst einmal bewirkt die Beendigung der Freizügigkeit und die Außer-Landes-Schaffung des früheren Straftäters durch einen EU-Mitgliedstaat im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten nichts und hätte keine Auswirkungen auf dessen Freizügigkeit in allen anderen Mitgliedstaaten. Allerdings wäre es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, wenn der Betreffende dort gerade auch für diesen Mitgliedstaat eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellte, seinerseits die Freizügigkeit zu beschränken. Dennoch widerspricht diese Art von „Gefahrenexport“ zu Lasten anderer Mitgliedstaaten dem Geist des EU-Vertrags. Auch wenn diese Überlegungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei nicht unmittelbar tragfähig sind, weil diese keine Freizügigkeit innerhalb der Union gewährleistet, so ändert dies angesichts des vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung praktizierten Übernahme der unionsrechtlichen Grundsätze nichts an der Gültigkeit der Annahme, dass ein „gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ auch nach Assoziationsrecht einer tragfähigen Grundlage entbehrt.
78 
Andererseits ist nach Auffassung des Senats das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise mehr dafür spricht, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird.
79 
2. Ausgehend hiervon erweist sich die angegriffene Ausweisungsverfügung als ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
80 
Aufgrund der langjährigen kriminellen Karriere, nach dem im letzten Strafverfahren erstellten Gutachten Dr. W... vom 11.11.2009 sowie der vom Senat eingeholten Stellungnahme der JVA Heilbronn vom 23.01.2012 (Frau G...), in der im Einzelnen dargestellt wird, dass der Kläger kaum Interesse an der Aufarbeitung seiner Vergangenheit an den Tag gelegt hat, besteht für den Senat kein Zweifel, das vom Kläger nach wie vor eine erhebliche konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher und schwerer Straftaten ausgeht, wodurch das für eine Ausweisung erforderliche Grundinteresse der Gesellschaft unmittelbar berührt ist. Es ist namentlich nach der Stellungnahme der JVA Heilbronn nichts dafür ersichtlich, dass sich beim Kläger etwas Grundsätzliches gebessert haben könnte. Es fehlt hiernach jeder greifbare und glaubhafte, geschweige denn Erfolg versprechende Ansatz dafür, dass der Kläger bereit sein könnte, sich seiner kriminellen Vergangenheit zu stellen und hieran aktiv zu arbeiten. Im Gegenteil: Aus der Stellungnahme wird hinreichend deutlich, dass der Kläger - von guten Arbeitsleistungen abgesehen -sich einer Aufarbeitung der grundlegenden Problematik konsequent verweigert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die vom Beklagten angesprochene und verneinte Frage, ob ihm eine Resozialisierung im dem Land, in dem er geboren und überwiegend aufgewachsen ist, um deren Erfolg willen ermöglicht werden muss, nicht. Der Senat ist sich mit dem Regierungspräsidium Stuttgart der Tatsache bewusst, dass der Kläger, der nie wirklich längere Zeit in der Türkei gelebt hat, mit ganz erheblichen Problemen im Falle der Rückkehr konfrontiert sein wird. Andererseits geht der Senat davon aus, dass er mit Rücksicht auf seinen mehrjährigen Aufenthalt in der Türkei im Kindesalter über die nötige Sprachkompetenz verfügt, um in der Türkei eine neue Basis für sein Leben finden zu können. Angesichts des von ihm ausgehenden erheblichen Gefährdungspotential für bedeutende Rechtsgüter erweist sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er - nicht zuletzt bedingt durch seine häufige Straffälligkeit - zu keinem Zeitpunkt über eine gesicherte und gewachsene eigenständige wirtschaftliche Grundlage verfügt hat, die Ausweisung als verhältnismäßig: Sie stellt namentlich keinen unzulässigen Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschützte Privatleben dar. Der Umstand, dass im Bundesgebiet noch nahe Angehörige des immerhin bereits knapp 26 Jahre alten Klägers leben, gebietet keine andere Sicht der Dinge.
81 
Auch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine neuen Aspekte ergeben. Vielmehr wurde die Stellungnahme vom 23.01.2012 bestätigt. Insbesondere konnte der Kläger keine plausible Erklärung dafür geben, weshalb er die verschiedenen Angebote im Strafvollzug zur Aufarbeitung seiner Taten nicht wahrgenommen hatte.
III.
82 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist schon keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
83 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 - juris) in diesem Zusammenhang u.a. ausgeführt:
84 
„Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
85 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
86 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
87 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).“
88 
Ergänzend und vertiefend ist noch auszuführen: Gegen die Annahme, die Ausweisung sei keine Rückkehrentscheidung, kann auch nicht die Legaldefinition des „illegalen Aufenthalts“ in Art. 3 Nr. 2 RFRL eingewandt werden. Zwar erweckt der pauschale und undifferenzierte Verweis auf Art. 5 SDK auf den ersten Blick den Eindruck, es könnten auch Fälle gemeint sein, in denen materielle Einreise- bzw. Aufenthaltsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sind und somit auch in einem solchen Fall ein illegaler Aufenthalt vorläge. Dagegen sprechen aber bereits das in Art. 6 Abs. 6 RFRL vorausgesetzte Verständnis des „legalen Aufenthalts“ und der dort vorgenommenen ausdrücklichen Abgrenzung zur „Rückkehrentscheidung“. Entscheidend für ein Verständnis im Sinne eines allein formell zu verstehenden illegalen Aufenthalts spricht die Begründung des Kommissionsentwurfs (vgl. KOM/2005/ 0391endg vom 1.9.2005). Hiernach ist der Befund eindeutig. Unter I 3 Ziffer 12 wird ausdrücklich ausgeführt, dass Regelungsgegenstand der Richtlinie nicht die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung/Sicherheit sei. Unter I 4 wird zu „Kapitel II“ weiter dargelegt, die Vorschriften der Richtlinie seien auf jede Art von illegalem Aufenthalt anwendbar (z.B. Ablauf eines Visums, Ablauf eines Aufenthaltstitels, Widerruf oder Rücknahme eines Aufenthaltstitels, endgültige Ablehnung eines Asylantrags, Aberkennung des Flüchtlingsstatus, illegale Einreise). Nicht Gegenstand seien die Gründe und Verfahren für die Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts. Für dieses Verständnis spricht auch die in Anspruch genommene Rechtsgrundlage des Art. 63 Abs. 3 lit. b) EG. Im Übrigen entspricht der im Gesetzgebungsverfahren neu eingefügte Verweis auf Art. 5 SDK sachlich dem früheren Verweis auf Art. 5 SDÜ, der auch materielle Regelungen enthielt. Demzufolge stellen auch Widerruf, Rücknahme oder nachträgliche Befristung keine Rückkehrentscheidung dar.
89 
Ausgehend hiervon war der Beklagte unionsrechtlich nicht gehalten, von vornherein von Amts wegen eine Befristung der Ausweisung auszusprechen.
90 
Eine Befristung war auch nicht aus sonstigen Gründen der Verhältnismäßigkeit auszusprechen, namentlich um dem Kläger eine Rückkehrperspektive zu eröffnen. Zum einen bestünde eine solche im Falle des ledigen Klägers nach Erlöschen des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts ohnehin nicht. Zum anderen besteht gegenwärtig keine tatsächlich ausreichend gesicherte Grundlage für eine solche Entscheidung, da eine sachgerechte Prognose, dass überhaupt und ggf. wann der Ausweisungsanlass entfallen sein wird, nicht angestellt werden kann. Es wäre unauflöslich widersprüchlich, im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen der (hohen) Ausweisungsvoraussetzungen anzunehmen und gleichzeitig eine sachgerechte Prognose anstellen zu wollen, dass diese mit hinreichender Sicherheit bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt entfallen sein werden. Daher hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch fehlerfrei vorsorglich eine Befristung abgelehnt. Wenn die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG für den Fall einer auf einer strafgerichtlichen Verurteilung beruhenden Ausweisung eine Überschreitung der Fünfjahresfrist zulässt, ohne dass dieses von bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig gemacht wird, so ist dem die Option immanent, ausnahmsweise von der Setzung einer Frist abzusehen, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine Frist sachgerecht und willkürfrei überhaupt nicht bestimmt werden kann. Zur Klarstellung weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass diese nationale Vorgabe, da es sich bei der Ausweisung schon keine Rückkehrentscheidung handelt, keine Umsetzung des Unionsrechts darstellt, weshalb insoweit auch keine Entscheidung von Amts wegen getroffen werden muss (anders für eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung nunmehr BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11).
91 
Wollte man entgegen der hier vertretenen Auffassung die Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie qualifizieren, so hätte der nationale Gesetzgeber hier von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht und die formellen wie materiellen Befristungsvorgaben des Art. 11 Abs. 2 RFRL ohne Verstoß gegen Unionsrecht nicht in nationales Recht umgesetzt. Die Tatsache, dass er gleichwohl das nationale Recht insoweit gegenüber der früheren Rechtslage modifiziert und auch dem Grundsatz nach bei strafgerichtlichen Verurteilungen eine Fünfjahresfrist vorgegeben hätte, die im Einzelfall überschritten werden darf, stellt kein unzulässiges teilweises Gebrauchmachen von der Opt-Out-Klausel dar, sondern nur die Wahrnehmung eines eigenständigen nationalen Gestaltungsspielraums (a.A. wohl OVGNW, Urteil vom 13.12.2011 - 12 B 19.11 - juris).
92 
Abgesehen davon könnte, wenn wie hier eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RFRL vorliegt – nicht anders als im nationalen Recht – im Ausnahmefall die Bestimmung einer Frist vorläufig unterbleiben, sofern, wie bereits oben ausgeführt, eine solche gegenwärtig nicht bestimmt werden kann. Der Beklagte hätte daher, wie dargelegt, zu Recht von einer Bestimmung abgesehen, wenn man die vom Senat nicht geteilten Auffassung verträte, dass hier Art. 11 Abs. 2 RFRL uneingeschränkt anzuwenden wäre.
IV.
93 
Die vom Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 und 5 AufenthG. Bereits aus deren Begründung ergibt sich hinreichend deutlich, dass sie nur für den Fall des Eintritts der Unanfechtbarkeit Geltung beanspruchen soll. Im Übrigen hat der Beklagte dies in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich klargestellt.
94 
Im Zusammenhang mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung war auch im Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben keine Entscheidung über die Befristung eines mit einer späteren Abschiebung einhergehenden Einreiseverbots zu treffen.
95 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11) hierzu ausgeführt:
96 
„Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
97 
Zur Klarstellung seiner Ausführungen im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 – juris Rn. 83) weist der Senat auch darauf hin, dass die oben (vgl. III.) dargestellte Einschränkung hinsichtlich strafgerichtlicher Verurteilungen auch in Bezug auf die nach einer Ausweisung ergehende Rückkehrentscheidung und das mit ihr einhergehende Einreiseverbot selbst gilt, weil die Bundesrepublik Deutschland nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AufenthG nicht nur hinsichtlich der Folgewirkungen der Ausweisung, sondern auch hinsichtlich derer einer späteren Abschiebung insoweit von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hat, die allgemein alle Fälle einer aufgrund bzw. infolge einer strafgerichtlichen Entscheidung eintretenden Rückehrpflicht betrifft.
98 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
99 
Die Revision wird zugelassen, weil die unter III. und IV. aufgeworfenen Fragen der Anwendung und Auslegung der Rückführungsrichtlinie Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
100 
Beschluss vom 10. Februar 2012
101 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
102 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. September 2013 - 12 K 2316/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
Die Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe und der Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18.09.2013 ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Rechtsverfolgung des Klägers keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren. Erforderlich ist zudem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen erfolgt nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nicht erforderlich, dass der Prozesserfolg (annähernd) gewiss ist. Vielmehr besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht schon dann, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen, der Prozessausgang also offen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 07.04.2000 - 1 BvR 81/00 - NJW 2000, 1938, vom 13.07.2005 - 1 BvR 1041/05 - NVwZ 2005, 1418 und vom 14.06.2006 - 2 BvR 626/06 - InfAuslR 2006, 377). Weder dürfen Beweiswürdigungen vorweggenommen noch sollen schwierige Rechtsfragen geklärt werden, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können. Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern (BVerfG, Beschlüsse vom 05.02.2003 - 1 BvR 1526/02 - NJW 2003, 1857 und vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976).
Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags durch das Verwaltungsgericht auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens keine Bedenken.
Nach rein nationalem Recht bestehen auch aus Sicht des Senats keine Bedenken gegen die Befristung auf drei Jahre. Zwar ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Kläger Vater von zwei 2006 und 2009 geborenen deutschen Kindern ist. Allerdings kann dies nicht dazu führen, dass ein ausgewiesener Ausländer unabhängig von der Intensität und Schwere der Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung grundsätzlich nicht abgeschoben werden darf und/oder vom Einreiseverbot – weitgehend – zu verschonen ist. Angesichts der von der Behörde zutreffend dargestellten Schwere der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftaten und insbesondere der Tatsache, dass der Kläger selbst nach der erfolgten Ausweisung weiterhin erhebliche Delikte begangen hat, scheidet die vom Kläger begehrte Frist aus. In Anbetracht der erst nach Ausweisung begründeten familiären Lebensgemeinschaft, die ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten, insbesondere auch Gewaltdelikten abgehalten hat, ist die Behörde deutlich unterhalb Regelfrist geblieben. Die Frist begegnet insoweit keinen Bedenken. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt einen Aufenthaltstitel innehatte und bereits aufgrund des negativen Ausgangs seines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig war.
Auch ein Verstoß gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht gegeben. Die Ausweisung als solche ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG (vgl. Urteil des Senats vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris). Diese Frage war von dem in dem Verfahren C-297/12 vorlegenden Gericht nicht problematisiert worden, weshalb der EuGH diese Auslegung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht nicht infrage gestellt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2013 - C-297/12) und daher keine Veranlassung besteht, die Senatsrechtsprechung zu ändern.
Aber auch wenn man unterstellen wollte, dass die Ausweisung eine Rückkehrentscheidung ist, ist ein Verstoß der Befristungsentscheidung gegen die Rückführungsrichtlinie hier nicht erkennbar. Die hier zugrunde liegende, nicht streitgegenständliche Ausweisungsentscheidung ist seit dem 21.01.2003 bestandskräftig. Sie kann damit als solche nicht mehr später ergangenem Recht unterworfen werden. Etwas anderes gilt im vorliegenden Fall nicht für das aus dieser Entscheidung folgende Einreiseverbot. Zwar betreffen Regelungen zur Dauer des Einreiseverbots zukünftige Auswirkungen eines noch andauernden Sachverhalts. Anders als in den vom EuGH in dem Urteil vom 19.09.2013 (C-297/12) entschiedenen Fällen bestand hier bei Ablauf der Umsetzungsfrist aber noch kein – unbefristet – fortdauerndes Einreiseverbot, da dieses erst mit der Ausreise entstehen kann. Der Kläger hat im vorliegenden Fall das Bundesgebiet aufgrund der Ausweisung und Abschiebungsandrohung noch nicht verlassen. Ein Ablauf der Frist des Einreiseverbots kommt damit nach der Rückführungsrichtlinie nicht in Betracht. Nach der Definition in Art. 3 Nr. 6 der Rückführungsrichtlinie wird mit dem Einreiseverbot die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt. Eine Geltung des Einreiseverbots setzt denknotwendig eine - freiwillige oder zwangsweise durchgeführte - Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten voraus. Solange ein – länger als fünf Jahre bzw. unbefristetes – Einreiseverbot mangels der hierfür erforderlichen Ausreise nicht eingetreten ist, kann es auch nicht durch die Änderung der Rechtslage entfallen. Eine Befristung, die nicht an die Ausreise anknüpft, widerspricht dem Sinn und Zweck des Einreiseverbots, da andernfalls auf die Betroffenen kein Druck ausgeübt würde, ihrer Ausreisepflicht nachzukommen.
Die Kläger in dem vom EuGH entschiedenen Fall waren bereits zuletzt 1995 bzw. 2004 unbefristet abgeschoben worden, so dass bei Ablauf der Umsetzungsfrist die Zeit von fünf Jahren bereits abgelaufen und das mit der Ausreise in Lauf gesetzte Einreiseverbot nach der Entscheidung des EuGH damit bereits beendet war. Die Festsetzung einer längeren Frist zu Lasten der dortigen Kläger nach Umsetzung der Richtlinie kam damit nach der Entscheidung des EuGH nicht mehr in Frage. So liegt der Fall, wie dargelegt, hier schon wegen des Fehlens der Ausreise nicht.
Aber selbst wenn man nicht nur davon ausgehen wollte, dass Ausweisungen Rückkehrentscheidungen sind, sondern auch dass zudem bestandskräftig verfügte Rückkehrentscheidungen von der Richtlinie hinsichtlich des Erfordernisses einer gleichzeitigen Befristungsentscheidung erfasst würden, mit der Folge, dass diese nach Ablauf der Umsetzungspflicht regelmäßig als auf fünf Jahre nach Ausreise befristet anzusehen und Verschlechterungen – jedenfalls allein aufgrund der mit Umsetzung der Richtlinie eingetretenen neuen Rechtslage - ausgeschlossen wären, könnte dies schon deshalb keine Rechtswidrigkeit der angegriffenen Befristungsentscheidung begründen, weil der Kläger hiervon ausgehend durch die hier vorgenommene Befristung auf drei Jahre nach Ausreise insoweit besser gestellt würde.
10 
Auch dass diese Bemessung den Grundsätzen der Richtlinie widersprechen könnte, ist Anbetracht des Erwägungsgrunds Nr. 14 nicht ersichtlich. Danach sollte die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen durch die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, europäischen Zuschnitt erhalten. Die Dauer des Einreiseverbots sollte in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden und im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten. In diesem Zusammenhang sollte der Umstand, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen bereits Gegenstand von mehr als einer Rückkehrentscheidung oder - wie hier - Abschiebungsanordnung gewesen oder während eines Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist sind, besonders berücksichtigt werden.
11 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen, weil infolge der Zurückweisung der Beschwerde nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz nur eine Festgebühr angefallen ist. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
12 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere zeitliche und räumliche Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen, Verbote und Beschränkungen der politischen Betätigung sowie Ausweisungen, Abschiebungsandrohungen, Aussetzungen der Abschiebung und Abschiebungen einschließlich ihrer Rechtsfolgen und der Befristung ihrer Wirkungen sowie begünstigende Maßnahmen, die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren und Befreiungen von der Passpflicht, Entscheidungen über Kosten und Gebühren, bleiben wirksam. Ebenso bleiben Maßnahmen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit Sicherheitsleistungen wirksam, auch wenn sie sich ganz oder teilweise auf Zeiträume nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beziehen. Entsprechendes gilt für die kraft Gesetzes eingetretenen Wirkungen der Antragstellung nach § 69 des Ausländergesetzes.

(2) Auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 wird die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 angerechnet.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel, der Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner 1999 verfügten Ausweisung auf den heutigen Zeitpunkt.
Der 1981 in ... geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Nach der Trennung der Eltern im Juli 1986 wuchs er zusammen mit seiner 1984 geborenen Schwester bei seiner Mutter auf, die seit 1998 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Er ist mit einer in ... lebenden Deutschen verlobt.
Der Kläger besuchte für zwei Jahre die Grundschule und im Anschluss daran verschiedene Förderschulen. Seit der Mitte der 6. Klasse hat er überhaupt keine Schule mehr besucht. Einen Schulabschluss hat er nicht erlangt. Als Jugendlicher war er wiederholt stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht.
Ab August 1999 war der Kläger für ein halbes Jahr als Helfer in der Landschaftspflege bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt. Im Anschluss daran arbeitete er acht Monate für die Spedition S. in .... Wegen Unstimmigkeiten mit dem Arbeitgeber beendete er dieses Arbeitsverhältnis. Nach einem Jahr als ungelernter Arbeiter bei einer Dachdeckerei kehrte er zur Spedition S. zurück. Dort arbeitete er bis Ende 2002 als Möbelpacker. Danach lebte er - unterbrochen von einer einmonatigen Beschäftigung bei der Fa. H. W. GmbH im Dezember 2004 - bis zu seiner Festnahme am 11.04.2005 von Arbeitslosenunterstützung.
Bereits im Alter von 10 Jahren begann der Kläger damit, Haschisch zu rauchen. Sein Cannabiskonsum steigerte sich stetig. Im Alter von 14 Jahren kam er auch in Kontakt mit anderen Drogen wie Speed, LSD und Ecstasy. 1996 begann er zudem damit, Kokain zu konsumieren. Sein anfänglich seltener Kokainkonsum steigerte sich kontinuierlich. Ab 2002 nahm er wöchentlich und in dem Zeitraum vor seiner letzten Verhaftung im April 2005 täglich Kokain zu sich. Nach einem kalten Entzug in der Untersuchungshaft nahm er Kontakt mit der Drogenberatung auf. Trotz Therapiebereitschaft konnte der Kläger keine Therapie antreten, weil die Staatsanwaltschaft ... es mit Bescheid vom 29.03.2007 - 1 VRs 11 Js 1640/05 - abgelehnt hatte, die weitere Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückzustellen.
Ein Aufenthaltstitel wurde dem Kläger nie erteilt oder ausgestellt. Ein am 17.11.1999 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG wurde nicht beschieden.
Strafrechtlich trat der Kläger als Jugendlicher insbesondere mit einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten in Erscheinung. Zuletzt wurde er als Jugendlicher mit Urteil des Amtsgerichts ... - Bezirksjugendschöffengericht II - vom 08.10.1998 - 12 Ls 34 Js 2490/98 AK 115/98 - wegen Diebstahls in drei Fällen sowie versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung vorangegangener Urteile des Amtsgerichts ... - Jugendschöffengericht - vom 20.03.1997 und vom 27.11.1997 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Kläger war in dieser Sache seit dem 26.01.1998 in Untersuchungshaft. Die Vollstreckung der Restjugendstrafe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 30.06.1999 gemäß § 88 JGG mit Wirkung ab dem 20.07.1999 zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 16.03.1999, bezüglich der Abschiebungsandrohung ergänzt durch Verfügung vom 10.08.1999, wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle. Besonderen Ausweisungsschutz genieße er nicht, da ihm bisher noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Es liege auch kein atypischer Sachverhalt vor, der es rechtfertige, von der Regelausweisung abzusehen. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Auch die Anforderungen des § 12 AufenthG/EWG seien erfüllt.
Den gegen diese Verfügung eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 zurück.
10 
Mit Urteil vom 16.08.1999 - 12 K 1791/99 - hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.03. und vom 10.08.1999 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 auf. Es führte aus, die Ausweisung genüge nicht den erhöhten Anforderungen, die bei der Ausweisung eines Unionsbürgers und faktischen Inländers zu beachten seien. Sie verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG/EWG, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung von einer lediglich geringen Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
11 
Mit Urteil vom 17.08.2000 - Ls 23 Js 7950/99 Hw. AK 72/00 Hw. - verurteilte das Amtsgericht ... den Kläger wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Kläger hatte am 08.02.1999 als Heranwachsender im Alter von 18 Jahren in der Vollzugsanstalt ... zusammen mit drei Mittätern einen Mithäftling zusammengeschlagen. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen war Anlass der Tat, dass einer der Mittäter drei Tage zuvor von dem Geschädigten und einem weiteren Jugendstrafgefangenen zum Oralverkehr gezwungen worden war.
12 
Nach Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 16.08.1999 schlossen der Kläger und der Beklagte am 20.02.2002 vor dem erkennenden Senat einen Vergleich (11 S 253/01): Der Kläger nahm die Klage gegen die Ausweisungsverfügung zurück. Der Beklagte verpflichtete sich, der Erteilung einer Duldung und deren Verlängerung für jeweils drei Monate bis längstens 20.02.2004 zuzustimmen. Diese Zustimmung galt nur unter der Bedingung, dass der Kläger nicht erneut straffällig werde, keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG erfülle und sein Arbeitsverhältnis nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen beende. Ferner verpflichtete sich der Beklagte, bei ordnungsgemäßem und beanstandungsfreiem Ablauf der Duldungszeit auf Antrag des Klägers die Wirkungen der Ausweisung auf den 20.02.2004 zu befristen.
13 
In der Folgezeit wurde der Kläger erneut straffällig:
14 
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 02.12.2002 - 5 Cs 12 Js 9542/02 - wurde gegen ihn eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Diebstahls verhängt. Der Kläger hatte in den Geschäftsräumen der Volksbank Geldscheine im Wert von 100 EUR an sich genommen, die eine andere Bankkundin am Automaten angefordert, aber versehentlich nicht entnommen hatte.
15 
- Mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.10.2005 - 1 KLs 11 Js 1640/05 - wurde er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Haschisch, Marihuana, Kokain) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. In dem Zeitraum vom 04.06.2004 bis 22.03.2005 beging der Kläger zusammen mit einem Mittäter, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war, aufgrund eines zuvor gefassten Tatentschlusses 17 Einbrüche in Autohäuser, Kfz-Werkstätten und TÜV-Niederlassungen in den Landkreisen ..., ... und .... In allen Fällen stiegen der Kläger und sein Mittäter in die Räumlichkeiten ein oder brachen Fenster oder Türen auf, suchten in den Räumen gezielt nach Bargeld, nach dem Tresor oder sonstigen Wertsachenbehältnissen und entwendeten diese entweder ganz oder öffneten den Tresor mittels eines Winkelschleifers vor Ort. Neben dem entwendeten Bargeld nahmen sie in zahlreichen Fällen Wertgegenstände wie Notebooks, Digitalkameras und Mobiltelefone an sich, um diese für sich zu behalten oder später gegen Geld abzusetzen. Der Gesamtwert des entwendeten Bargelds sowie der Vermögensgegenstände belief sich auf ca. 70.000,-- EUR. Der Kläger gab seinen Beuteanteil im Wesentlichen für den Kauf von Drogen aus. Hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hielt es die Strafkammer aufgrund des lediglich geringfügig überschrittenen Grenzwerts zur nicht geringen Menge und der Abhängigkeit des Klägers für angemessen, insoweit nur die Mindeststrafe zu verhängen. Die Kammer stimmte der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu. Die beantragte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt wurde vom Landgericht ... - Strafvollstreckungskammer - mit Beschluss vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 - als unbegründet verworfen: Zwar habe der Kläger im Strafvollzug eine gewisse Nachreifung erfahren. Doch bestehe derzeit keine ausreichende Chance dahin, dass er in Zukunft keine weiteren Straftaten begehen werde. Insbesondere die nicht aufgearbeitete Drogenproblematik wirke sich als ungünstiger destabilisierender Faktor aus.
16 
Bereits am 09.08.2004 hatte der Kläger die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung beantragt.
17 
Mit Bescheid vom 26.07.2006, zugestellt am 27.07.2006, befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe - ohne den Kläger zuvor anzuhören - die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf vier Jahre nach der Ausreise und verfügte ferner, dass die Befristung unter der Bedingung erfolge, dass der Kläger im Befristungszeitraum nicht erneut straffällig werde und polizeiliche Führungszeugnisse, lückenlose Wohnsitznachweise sowie einen Nachweis über die erfolgreiche Durchführung einer Drogentherapie vorlege. Rechtsgrundlage für die Befristung sei § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Die Dauer der Sperrwirkung orientiere sich daran, wann der Ausweisungszweck voraussichtlich erfüllt sein werde. Art. 6 GG gebiete keine kürzere Befristung. Bei der Fristbemessung sei die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - VwV Befristung - berücksichtigt worden. Diese sehe bei EU-Bürgern einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und fünf Jahren zuzüglich des festgesetzten Strafmaßes vor, wobei das Freizügigkeitsrecht des EU-Bürgers angemessen zu berücksichtigen sei. Der Ausweisung habe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zugrunde gelegen. Die Festsetzung der Wiedereinreisefrist am unteren Ende des zeitlichen Rahmens komme nicht in Betracht, weil der Kläger inzwischen erneut zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden sei. Die Befristung der Sperrwirkung auf vier Jahre nach Ausreise erscheine damit unter Würdigung aller Umstände als geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig.
18 
Am 28.08.2006 (Montag) hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 26.07.2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu befristen. Er äußert Zweifel daran, ob die Ausweisung überhaupt noch wirksam sei. Aufgrund der Nichtdurchführung eines Vorverfahrens und des damit vorliegenden Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sei die Verfügung rechtswidrig. Die vom Beklagten aufgestellten Bedingungen seien mit § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nicht vereinbar und führten ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der Verfügung. Es sei davon auszugehen, dass seine Ausweisung aufgrund der geänderten Rechtslage, insbesondere Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie -, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Betracht komme und die Sperrfrist von vier Jahren deshalb unverhältnismäßig sei. Auch gemessen an Art. 8 EMRK sei die Sperrfrist unverhältnismäßig. Er sei faktischer Inländer und spreche nur sehr rudimentär italienisch. Abgesehen von einem kurzen Urlaubsaufenthalt sei er nie in Italien gewesen. Nachdem seine in ... lebende Großmutter vor mehreren Jahren verstorben sei, bestünden nicht einmal familiäre Bande nach Italien. Zudem sei er mit einer Deutschen verlobt und beabsichtige, diese zu heiraten.
19 
Mit Urteil vom 16.04.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für eine formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 26.07.2006 aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 9 der RL 64/221/EG sei schon deshalb nichts ersichtlich, weil diese Richtlinie mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei. Die Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Die Ausweisung, die nach wie vor wirksam sei, habe zum Entfallen der Freizügigkeitsberechtigung des Klägers geführt. Entsprechend Nr. 1.5 der - über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfaltenden - VwV Befristung stehe Unionsbürgern ein Anspruch auf sofortige Befristung zu, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Befristungsantrag keine Gründe mehr vorlägen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigten. Im Fall des Klägers seien solche Gründe indes unverändert gegeben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er nach seiner Entlassung aus der Haft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten, schwere Straftaten eingeschlossen, begehen werde. Da gegen den Kläger Haftstrafen von zusammen sechs Jahren und drei Monaten verhängt worden seien, lägen auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG vor. Auch die Dauer der Sperrfrist sowie die im Bescheid vom 26.07.2006 formulierten Bedingungen seien nicht zu beanstanden.
20 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Bezüglich der Frage, ob er einen Anspruch auf sofortige Befristung der Wirkung der Ausweisung habe, sei auf das aktuell maßgebliche Recht, d.h. auf das FreizügG/EU in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007, abzustellen. Danach habe er einen Rechtsanspruch auf Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt. Weder der Beklagte noch das Erstgericht hätten eine aktualisierte Prüfung vorgenommen, ob die Sperrfrist von vier Jahren für einen in Deutschland geborenen Unionsbürger, einen faktischen Inländer, der alle familiären und sonstigen Bindungen in Deutschland habe und mit einer in Waldshut lebenden deutschen Frau verlobt sei, noch angemessen sei. Der Beklagte habe einseitig die Straftaten in den Vordergrund seiner Ermessensentscheidung gestellt und damit das Abwägungsmaterial falsch zusammengestellt. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Klägers, insbesondere dessen Stellung als faktischer Inländer, seien nicht ausreichend gewürdigt worden. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU und Art. 8 EMRK geböten eine Befristung auf Null.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 auf den 23. Juli 2008 zu befristen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er erwidert, maßgeblicher Gesichtspunkt für die Dauer der Befristung sei die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr. Dass zum jetzigen Zeitpunkt nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung nicht mehr verfügt werden könnte, könne bei der Bestimmung des Befristungszeitpunkts nicht die entscheidende Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Ausweisung sei die RL 2004/38/EG noch nicht in Kraft gewesen und die Bundesrepublik habe noch keine zwingenden Ausweisungsgründe definiert. Die VwV Befristung vom 25.01.2002 werde bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt. Die Neuregelungen des § 5 FreizügG/EU (gemeint: § 6 FreizügG/EU) hätten erheblichen Einfluss auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens. Bei Durchschnittsfällen ohne weitere negative Aspekte sei es kaum möglich, den Ablauf der Frist auf einen deutlich späteren Zeitpunkt festzusetzen. Beim Kläger handele es sich aber gerade nicht um einen Durchschnittsfall. Er sei wiederholt straffällig geworden, sein gesamter Lebensweg sei durch fehlende Konstanz und Stabilität gekennzeichnet und auch die Justiz gehe von einer ungünstigen Sozialprognose aus.
26 
Ausweislich des unter dem 10.07.2008 vorgelegten Vollzugsberichts der Justizvollzugsanstalt ... wurde der Vollzugsplan vom 19.12.2007, der die Gewährung von Vollzugslockerungen vorgesehen hatte, mit Verfügung vom 25.02.2008 widerrufen, nachdem der Kläger die Abgabe einer Urinkontrolle verweigert habe. Mit Schreiben vom 20.04.2008 habe der Kläger mitgeteilt, auf Lockerungen bzw. eine Verlegung in den offenen Vollzug zu verzichten. Ansonsten sei der Vollzug, bis auf einen Verstoß gegen das Rauchverbot am 07.02.2008, unauffällig verlaufen.
27 
Der Kläger ist in der Berufungsverhandlung angehört worden und hat ergänzend angegeben: Er kenne seine Verlobte seit 15 Jahren; seit 5 ½ Jahren seien sie verlobt. Sie besuche ihn regelmäßig in der Haft; nach seiner Haftentlassung wollten sie heiraten. Er wolle nicht nach ... zurückkehren, sondern in ..., wo er einen Arbeitsplatz in einer Pizzeria in Aussicht habe, eine Wohnung suchen. Seine Verlobte sei bereit, nach ... umzuziehen. Im Vollzug habe er in der Schneiderei gearbeitet. Daneben habe er einen Deutschkurs belegt. Einen Italienischkurs habe er nach fünf Monaten aufgegeben, weil er damals damit gerechnet habe, eine Drogentherapie antreten zu dürfen. Als Kind sei er zwei- oder dreimal mit seinen Großeltern bei der Urgroßmutter in ... gewesen, die inzwischen verstorben sei. Zu Verwandten väterlicherseits habe er überhaupt keinen Kontakt. Eine längerfristige Ausreise nach Italien könne er sich nicht vorstellen. Seine Verlobte sei nicht bereit, ihn zu begleiten. Der Vorwurf, er habe die Abgabe einer Urinprobe verweigert, sei unzutreffend. Er habe zu dem fraglichen Zeitpunkt kein Wasser lassen können und eine Nachholung der Urinkontrolle sei ihm verwehrt worden. Nach seiner Haftentlassung wolle er eine ambulante Drogentherapie durchführen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten, der unteren Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
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3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
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3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
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Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
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(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel, der Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner 1999 verfügten Ausweisung auf den heutigen Zeitpunkt.
Der 1981 in ... geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Nach der Trennung der Eltern im Juli 1986 wuchs er zusammen mit seiner 1984 geborenen Schwester bei seiner Mutter auf, die seit 1998 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Er ist mit einer in ... lebenden Deutschen verlobt.
Der Kläger besuchte für zwei Jahre die Grundschule und im Anschluss daran verschiedene Förderschulen. Seit der Mitte der 6. Klasse hat er überhaupt keine Schule mehr besucht. Einen Schulabschluss hat er nicht erlangt. Als Jugendlicher war er wiederholt stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht.
Ab August 1999 war der Kläger für ein halbes Jahr als Helfer in der Landschaftspflege bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt. Im Anschluss daran arbeitete er acht Monate für die Spedition S. in .... Wegen Unstimmigkeiten mit dem Arbeitgeber beendete er dieses Arbeitsverhältnis. Nach einem Jahr als ungelernter Arbeiter bei einer Dachdeckerei kehrte er zur Spedition S. zurück. Dort arbeitete er bis Ende 2002 als Möbelpacker. Danach lebte er - unterbrochen von einer einmonatigen Beschäftigung bei der Fa. H. W. GmbH im Dezember 2004 - bis zu seiner Festnahme am 11.04.2005 von Arbeitslosenunterstützung.
Bereits im Alter von 10 Jahren begann der Kläger damit, Haschisch zu rauchen. Sein Cannabiskonsum steigerte sich stetig. Im Alter von 14 Jahren kam er auch in Kontakt mit anderen Drogen wie Speed, LSD und Ecstasy. 1996 begann er zudem damit, Kokain zu konsumieren. Sein anfänglich seltener Kokainkonsum steigerte sich kontinuierlich. Ab 2002 nahm er wöchentlich und in dem Zeitraum vor seiner letzten Verhaftung im April 2005 täglich Kokain zu sich. Nach einem kalten Entzug in der Untersuchungshaft nahm er Kontakt mit der Drogenberatung auf. Trotz Therapiebereitschaft konnte der Kläger keine Therapie antreten, weil die Staatsanwaltschaft ... es mit Bescheid vom 29.03.2007 - 1 VRs 11 Js 1640/05 - abgelehnt hatte, die weitere Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückzustellen.
Ein Aufenthaltstitel wurde dem Kläger nie erteilt oder ausgestellt. Ein am 17.11.1999 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG wurde nicht beschieden.
Strafrechtlich trat der Kläger als Jugendlicher insbesondere mit einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten in Erscheinung. Zuletzt wurde er als Jugendlicher mit Urteil des Amtsgerichts ... - Bezirksjugendschöffengericht II - vom 08.10.1998 - 12 Ls 34 Js 2490/98 AK 115/98 - wegen Diebstahls in drei Fällen sowie versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung vorangegangener Urteile des Amtsgerichts ... - Jugendschöffengericht - vom 20.03.1997 und vom 27.11.1997 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Kläger war in dieser Sache seit dem 26.01.1998 in Untersuchungshaft. Die Vollstreckung der Restjugendstrafe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 30.06.1999 gemäß § 88 JGG mit Wirkung ab dem 20.07.1999 zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 16.03.1999, bezüglich der Abschiebungsandrohung ergänzt durch Verfügung vom 10.08.1999, wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle. Besonderen Ausweisungsschutz genieße er nicht, da ihm bisher noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Es liege auch kein atypischer Sachverhalt vor, der es rechtfertige, von der Regelausweisung abzusehen. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Auch die Anforderungen des § 12 AufenthG/EWG seien erfüllt.
Den gegen diese Verfügung eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 zurück.
10 
Mit Urteil vom 16.08.1999 - 12 K 1791/99 - hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.03. und vom 10.08.1999 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 auf. Es führte aus, die Ausweisung genüge nicht den erhöhten Anforderungen, die bei der Ausweisung eines Unionsbürgers und faktischen Inländers zu beachten seien. Sie verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG/EWG, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung von einer lediglich geringen Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
11 
Mit Urteil vom 17.08.2000 - Ls 23 Js 7950/99 Hw. AK 72/00 Hw. - verurteilte das Amtsgericht ... den Kläger wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Kläger hatte am 08.02.1999 als Heranwachsender im Alter von 18 Jahren in der Vollzugsanstalt ... zusammen mit drei Mittätern einen Mithäftling zusammengeschlagen. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen war Anlass der Tat, dass einer der Mittäter drei Tage zuvor von dem Geschädigten und einem weiteren Jugendstrafgefangenen zum Oralverkehr gezwungen worden war.
12 
Nach Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 16.08.1999 schlossen der Kläger und der Beklagte am 20.02.2002 vor dem erkennenden Senat einen Vergleich (11 S 253/01): Der Kläger nahm die Klage gegen die Ausweisungsverfügung zurück. Der Beklagte verpflichtete sich, der Erteilung einer Duldung und deren Verlängerung für jeweils drei Monate bis längstens 20.02.2004 zuzustimmen. Diese Zustimmung galt nur unter der Bedingung, dass der Kläger nicht erneut straffällig werde, keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG erfülle und sein Arbeitsverhältnis nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen beende. Ferner verpflichtete sich der Beklagte, bei ordnungsgemäßem und beanstandungsfreiem Ablauf der Duldungszeit auf Antrag des Klägers die Wirkungen der Ausweisung auf den 20.02.2004 zu befristen.
13 
In der Folgezeit wurde der Kläger erneut straffällig:
14 
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 02.12.2002 - 5 Cs 12 Js 9542/02 - wurde gegen ihn eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Diebstahls verhängt. Der Kläger hatte in den Geschäftsräumen der Volksbank Geldscheine im Wert von 100 EUR an sich genommen, die eine andere Bankkundin am Automaten angefordert, aber versehentlich nicht entnommen hatte.
15 
- Mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.10.2005 - 1 KLs 11 Js 1640/05 - wurde er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Haschisch, Marihuana, Kokain) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. In dem Zeitraum vom 04.06.2004 bis 22.03.2005 beging der Kläger zusammen mit einem Mittäter, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war, aufgrund eines zuvor gefassten Tatentschlusses 17 Einbrüche in Autohäuser, Kfz-Werkstätten und TÜV-Niederlassungen in den Landkreisen ..., ... und .... In allen Fällen stiegen der Kläger und sein Mittäter in die Räumlichkeiten ein oder brachen Fenster oder Türen auf, suchten in den Räumen gezielt nach Bargeld, nach dem Tresor oder sonstigen Wertsachenbehältnissen und entwendeten diese entweder ganz oder öffneten den Tresor mittels eines Winkelschleifers vor Ort. Neben dem entwendeten Bargeld nahmen sie in zahlreichen Fällen Wertgegenstände wie Notebooks, Digitalkameras und Mobiltelefone an sich, um diese für sich zu behalten oder später gegen Geld abzusetzen. Der Gesamtwert des entwendeten Bargelds sowie der Vermögensgegenstände belief sich auf ca. 70.000,-- EUR. Der Kläger gab seinen Beuteanteil im Wesentlichen für den Kauf von Drogen aus. Hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hielt es die Strafkammer aufgrund des lediglich geringfügig überschrittenen Grenzwerts zur nicht geringen Menge und der Abhängigkeit des Klägers für angemessen, insoweit nur die Mindeststrafe zu verhängen. Die Kammer stimmte der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu. Die beantragte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt wurde vom Landgericht ... - Strafvollstreckungskammer - mit Beschluss vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 - als unbegründet verworfen: Zwar habe der Kläger im Strafvollzug eine gewisse Nachreifung erfahren. Doch bestehe derzeit keine ausreichende Chance dahin, dass er in Zukunft keine weiteren Straftaten begehen werde. Insbesondere die nicht aufgearbeitete Drogenproblematik wirke sich als ungünstiger destabilisierender Faktor aus.
16 
Bereits am 09.08.2004 hatte der Kläger die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung beantragt.
17 
Mit Bescheid vom 26.07.2006, zugestellt am 27.07.2006, befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe - ohne den Kläger zuvor anzuhören - die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf vier Jahre nach der Ausreise und verfügte ferner, dass die Befristung unter der Bedingung erfolge, dass der Kläger im Befristungszeitraum nicht erneut straffällig werde und polizeiliche Führungszeugnisse, lückenlose Wohnsitznachweise sowie einen Nachweis über die erfolgreiche Durchführung einer Drogentherapie vorlege. Rechtsgrundlage für die Befristung sei § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Die Dauer der Sperrwirkung orientiere sich daran, wann der Ausweisungszweck voraussichtlich erfüllt sein werde. Art. 6 GG gebiete keine kürzere Befristung. Bei der Fristbemessung sei die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - VwV Befristung - berücksichtigt worden. Diese sehe bei EU-Bürgern einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und fünf Jahren zuzüglich des festgesetzten Strafmaßes vor, wobei das Freizügigkeitsrecht des EU-Bürgers angemessen zu berücksichtigen sei. Der Ausweisung habe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zugrunde gelegen. Die Festsetzung der Wiedereinreisefrist am unteren Ende des zeitlichen Rahmens komme nicht in Betracht, weil der Kläger inzwischen erneut zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden sei. Die Befristung der Sperrwirkung auf vier Jahre nach Ausreise erscheine damit unter Würdigung aller Umstände als geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig.
18 
Am 28.08.2006 (Montag) hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 26.07.2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu befristen. Er äußert Zweifel daran, ob die Ausweisung überhaupt noch wirksam sei. Aufgrund der Nichtdurchführung eines Vorverfahrens und des damit vorliegenden Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sei die Verfügung rechtswidrig. Die vom Beklagten aufgestellten Bedingungen seien mit § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nicht vereinbar und führten ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der Verfügung. Es sei davon auszugehen, dass seine Ausweisung aufgrund der geänderten Rechtslage, insbesondere Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie -, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Betracht komme und die Sperrfrist von vier Jahren deshalb unverhältnismäßig sei. Auch gemessen an Art. 8 EMRK sei die Sperrfrist unverhältnismäßig. Er sei faktischer Inländer und spreche nur sehr rudimentär italienisch. Abgesehen von einem kurzen Urlaubsaufenthalt sei er nie in Italien gewesen. Nachdem seine in ... lebende Großmutter vor mehreren Jahren verstorben sei, bestünden nicht einmal familiäre Bande nach Italien. Zudem sei er mit einer Deutschen verlobt und beabsichtige, diese zu heiraten.
19 
Mit Urteil vom 16.04.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für eine formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 26.07.2006 aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 9 der RL 64/221/EG sei schon deshalb nichts ersichtlich, weil diese Richtlinie mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei. Die Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Die Ausweisung, die nach wie vor wirksam sei, habe zum Entfallen der Freizügigkeitsberechtigung des Klägers geführt. Entsprechend Nr. 1.5 der - über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfaltenden - VwV Befristung stehe Unionsbürgern ein Anspruch auf sofortige Befristung zu, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Befristungsantrag keine Gründe mehr vorlägen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigten. Im Fall des Klägers seien solche Gründe indes unverändert gegeben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er nach seiner Entlassung aus der Haft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten, schwere Straftaten eingeschlossen, begehen werde. Da gegen den Kläger Haftstrafen von zusammen sechs Jahren und drei Monaten verhängt worden seien, lägen auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG vor. Auch die Dauer der Sperrfrist sowie die im Bescheid vom 26.07.2006 formulierten Bedingungen seien nicht zu beanstanden.
20 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Bezüglich der Frage, ob er einen Anspruch auf sofortige Befristung der Wirkung der Ausweisung habe, sei auf das aktuell maßgebliche Recht, d.h. auf das FreizügG/EU in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007, abzustellen. Danach habe er einen Rechtsanspruch auf Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt. Weder der Beklagte noch das Erstgericht hätten eine aktualisierte Prüfung vorgenommen, ob die Sperrfrist von vier Jahren für einen in Deutschland geborenen Unionsbürger, einen faktischen Inländer, der alle familiären und sonstigen Bindungen in Deutschland habe und mit einer in Waldshut lebenden deutschen Frau verlobt sei, noch angemessen sei. Der Beklagte habe einseitig die Straftaten in den Vordergrund seiner Ermessensentscheidung gestellt und damit das Abwägungsmaterial falsch zusammengestellt. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Klägers, insbesondere dessen Stellung als faktischer Inländer, seien nicht ausreichend gewürdigt worden. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU und Art. 8 EMRK geböten eine Befristung auf Null.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 auf den 23. Juli 2008 zu befristen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er erwidert, maßgeblicher Gesichtspunkt für die Dauer der Befristung sei die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr. Dass zum jetzigen Zeitpunkt nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung nicht mehr verfügt werden könnte, könne bei der Bestimmung des Befristungszeitpunkts nicht die entscheidende Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Ausweisung sei die RL 2004/38/EG noch nicht in Kraft gewesen und die Bundesrepublik habe noch keine zwingenden Ausweisungsgründe definiert. Die VwV Befristung vom 25.01.2002 werde bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt. Die Neuregelungen des § 5 FreizügG/EU (gemeint: § 6 FreizügG/EU) hätten erheblichen Einfluss auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens. Bei Durchschnittsfällen ohne weitere negative Aspekte sei es kaum möglich, den Ablauf der Frist auf einen deutlich späteren Zeitpunkt festzusetzen. Beim Kläger handele es sich aber gerade nicht um einen Durchschnittsfall. Er sei wiederholt straffällig geworden, sein gesamter Lebensweg sei durch fehlende Konstanz und Stabilität gekennzeichnet und auch die Justiz gehe von einer ungünstigen Sozialprognose aus.
26 
Ausweislich des unter dem 10.07.2008 vorgelegten Vollzugsberichts der Justizvollzugsanstalt ... wurde der Vollzugsplan vom 19.12.2007, der die Gewährung von Vollzugslockerungen vorgesehen hatte, mit Verfügung vom 25.02.2008 widerrufen, nachdem der Kläger die Abgabe einer Urinkontrolle verweigert habe. Mit Schreiben vom 20.04.2008 habe der Kläger mitgeteilt, auf Lockerungen bzw. eine Verlegung in den offenen Vollzug zu verzichten. Ansonsten sei der Vollzug, bis auf einen Verstoß gegen das Rauchverbot am 07.02.2008, unauffällig verlaufen.
27 
Der Kläger ist in der Berufungsverhandlung angehört worden und hat ergänzend angegeben: Er kenne seine Verlobte seit 15 Jahren; seit 5 ½ Jahren seien sie verlobt. Sie besuche ihn regelmäßig in der Haft; nach seiner Haftentlassung wollten sie heiraten. Er wolle nicht nach ... zurückkehren, sondern in ..., wo er einen Arbeitsplatz in einer Pizzeria in Aussicht habe, eine Wohnung suchen. Seine Verlobte sei bereit, nach ... umzuziehen. Im Vollzug habe er in der Schneiderei gearbeitet. Daneben habe er einen Deutschkurs belegt. Einen Italienischkurs habe er nach fünf Monaten aufgegeben, weil er damals damit gerechnet habe, eine Drogentherapie antreten zu dürfen. Als Kind sei er zwei- oder dreimal mit seinen Großeltern bei der Urgroßmutter in ... gewesen, die inzwischen verstorben sei. Zu Verwandten väterlicherseits habe er überhaupt keinen Kontakt. Eine längerfristige Ausreise nach Italien könne er sich nicht vorstellen. Seine Verlobte sei nicht bereit, ihn zu begleiten. Der Vorwurf, er habe die Abgabe einer Urinprobe verweigert, sei unzutreffend. Er habe zu dem fraglichen Zeitpunkt kein Wasser lassen können und eine Nachholung der Urinkontrolle sei ihm verwehrt worden. Nach seiner Haftentlassung wolle er eine ambulante Drogentherapie durchführen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten, der unteren Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
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In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. April 2011 - 8 K 219/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das beklagte Land verpflichtet wird, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von vier Jahren und sechs Monaten ab dem 27. Juli 2012 zu befristen. Der Bescheid vom 27. Juli 2012 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am ...1985 in Skopje/Mazedonien geboren und mazedonischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Roma. Seine Eltern hielten sich mit ihm erstmals ab dem 28.08.1989 in der Bundesrepublik Deutschland auf und führten erfolglos ein Asylverfahren durch. Nachdem sie zwischendurch unbekannten Aufenthalts waren, reisten der Kläger und seine Eltern sowie sein am 15.01.1991 in Mazedonien geborener Bruder im Oktober 1992 erneut ein und stellten Asyl- bzw. Asylfolgeanträge, welche abgelehnt wurden. Im Dezember 1994 verließ die Familie das Bundesgebiet. Nach der Wiedereinreise am 30.11.1998 gestellte Asylfolgeanträge wurden mit - seit 19.06.1999 bestandskräftigem - Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.12.1998 abgelehnt.
In der Folge erhielt der Kläger zunächst Duldungen. Die Ehe seiner Eltern wurde 1999 geschieden. Sein Vater ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, seine Mutter und sein Bruder erhielten Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen.
Der Kläger hat die Hauptschule abgeschlossen und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Nach Ausbildung zum Bäcker in den Jahren 2004 bis 2006 war er bis zu einer Inhaftierung im Juni 2009 als Bäcker angestellt.
Am 24.11.2003 erkannte der Kläger die Vaterschaft für den am 15.11.2003 in Ostfildern geborenen deutschen Staatsangehörigen A.R. an. Daraufhin wurde ihm am 07.06.2004 eine - zunächst bis 06.09.2004 befristete - Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn erteilt, zum 28.06.2004 meldete er sich unter der Adresse seines Sohnes und dessen Mutter Annett R. an. In der Folge wurde die Aufenthaltserlaubnis mehrmals verlängert, zuletzt mit Geltung bis zum 02.09.2008.
Am 23.07.2008 beantragte der Kläger die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass er bereits zum 29.06.2006 zu seinem Vater gezogen war und damit die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn und dessen Mutter beendet hatte, beschränkte er auf Vorschlag der Ausländerbehörde am 02.06.2009 seinen Antrag auf eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Seit 1999 ist der Kläger immer wieder im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln und wegen Straftaten wie Diebstahl, Erschleichen von Leistungen, Körperverletzung u.a. aufgefallen. Das Bundeszentralregister enthält (Stand: 06.08.2012) noch Eintragungen ab dem Jahr 2005:
- Verurteilung vom 22.07.2005 durch das Amtsgericht Esslingen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 31.05.2007 durch das Amtsgericht Stuttgart wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 13.09.2007 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 10.06.2008 durch das Amtsgericht Stuttgart wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten; die Vollstreckung der Strafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt, die Aussetzung später aber widerrufen; die Strafvollstreckung ist erledigt seit dem 24.09.2009;
- Verurteilung vom 02.02.2009 durch das Amtsgericht Waiblingen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 11.02.2009 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 13.02.2009 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen Erschleichens von Leistungen mit geringwertigem Schaden in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;
- nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durch Beschluss des Amtsgericht Waiblingen vom 23.04.2009 von einer Geldstrafe von 125 Tagessätzen (unter Einbeziehung der Entscheidungen des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 13.02.2009 und vom 11.02.2009 sowie des Amtsgerichts Waiblingen vom 02.02.2009);
- Verurteilung vom 15.10.2009 durch das Amtsgericht Stuttgart wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten; die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt;
- nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 10.02.2010 von einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen (unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Waiblingen vom 02.02.2009, des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 13.02.2009 und vom 11.02.2009 und des Amtsgerichts Stuttgart vom 15.10.2009); die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt; die Strafaussetzung später aber widerrufen;
- Verurteilung vom 26.02.2010 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten.
Vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009 verbüßte der Kläger die im Urteil des Amtsgericht Stuttgart vom 10.06.2008 verhängte Freiheitsstrafe, vom 18.08.2010 bis zum 26.11.2010 die im Urteil des Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 festgesetzte Strafe.
10 
Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Kläger mit Schreiben vom 10.11.2010 darauf hin, dass seine Ausweisung und Abschiebung geprüft werde. Er erklärte dazu mit Schreiben vom 20.12.2010: Er wolle sein Leben wieder in den Griff bekommen und sei deshalb auch auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Er bitte um eine nochmalige Chance.
11 
Die frühere Lebensgefährtin des Klägers schilderte auf Anfrage des Regierungspräsidiums in einem Schreiben vom 21.11.2010, der Kläger habe seinen Sohn vor etwa drei Jahren das letzte Mal gesehen. Er habe noch nie Interesse an einem Kontakt zu seinem Sohn gehabt. Sie vermute, dass er diesen nur benutzt habe, um eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu haben. Mit einem Umgang des Klägers mit seinem Sohn sei sie nicht einverstanden, weil ein Kontakt für ihren Sohn eher schädlich wäre. Der Kläger habe insgesamt nur etwa ein halbes Jahr lang Unterhalt für seinen Sohn gezahlt; danach habe sie keinerlei Unterstützung mehr von ihm erhalten.
12 
Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 wurde der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziff. 2) und er wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 10.02.2011 zu verlassen; für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Nr. 1 AufenthG für eine Regelausweisung lägen vor, weil der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, welche nicht zur Bewährung ausgesetzt worden sei, verurteilt worden sei. Er genieße keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Insbesondere sei er nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Selbst wenn dem Kläger der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zur Seite stehen würde, würde dies die Ausweisung nicht hindern. Er könnte dann zwar nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche lägen aber vor, weil die von ihm begangenen zahlreichen Straftaten allein wegen deren Häufigkeit schwer wögen. Dies gelte auch - sozusagen isoliert betrachtet - für die letzte Verurteilung, bei welcher die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden sei. In seinem Fall bestehe auch eine konkrete Wiederholungsgefahr ähnlich gelagerter schwerer Straftaten. Dabei sei zunächst die hohe Zahl der Verurteilungen sowie der eingestellten Strafverfahren auffallend. Sämtliche Vorverurteilungen hätten ihm nicht zur Warnung dienen können. Die Rückfallgeschwindigkeit sei hoch. Beispielsweise sei er nur wenige Wochen nach der Verurteilung am 15.10.2009 erneut straffällig geworden. Die zuletzt abgeurteilte Straftat habe er innerhalb einer Bewährungszeit begangen. Selbst eine drohende Strafvollstreckung habe ihn nicht von einer weiteren kriminellen Handlung abhalten können. Er sei vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009 inhaftiert gewesen und nur drei Monate später erneut straffällig geworden. Eine echte Einsicht und Reue sei nicht erkennbar. Hinzutrete, dass er offensichtlich ein ungelöstes Drogenproblem habe. Ihm könne heute keinesfalls eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Aus all diesen Gründen habe das herausragende öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem dem Kläger zur Seite stehenden - hilfsweise unterstellten - Schutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ein deutliches Übergewicht. Im Übrigen sei in der Rechtsprechung geklärt, dass nach einer strafgerichtlichen Verurteilung generalpräventive Ausweisungsgründe schwer wögen, wenn sehr häufiges straffälliges Verhalten vorliege und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von ähnlichen Straftaten abzuhalten. Davon sei hier auszugehen. Für den Fall des Vorliegens des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei außerdem über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden. Eine Ermessensentscheidung müsste unabhängig davon ohnehin getroffen werden, weil die Ausweisung in das Grundrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG und in das Achtungsgebot aus Art. 8 EMRK eingreife. Dabei seien die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger habe sich insgesamt etwas mehr als zwölf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten. Seit Juni 2004 sei sein Aufenthalt rechtmäßig. Die von ihm begangenen Straftaten ließen jedoch eine hohe Missachtung der Rechtsordnung erkennen, die eine hohe und konkrete Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten begründe. Damit habe das herausragende öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zur Dauer seines Aufenthalts deutliches Übergewicht. Der Kläger habe zwar erfolgreich eine Ausbildung zum Bäcker abgeschlossen und auch als solcher gearbeitet, doch weitere Integrationsleistungen wie Aufbau einer eigenen Existenzgrundlage, eigener Wohnraum oder ähnliches seien nicht erkennbar. Ganz entscheidend gegen eine abgeschlossene Integration sprächen die ausgesprochen häufigen Straftaten. Er habe sich auch nicht derart lange in der Bundesrepublik aufgehalten, dass von einer Verwurzelung in Deutschland und einer damit einhergehenden Entwurzelung in seinem Heimatstaat auszugehen sei, zumal er als Kind insgesamt etwa neun Jahre im heutigen Mazedonien gelebt habe und die Kindeszeit prägend sei. Dabei werde nicht übersehen, dass er sicherlich nach erfolgter Abschiebung in Mazedonien zunächst Schwierigkeiten haben werde, sich an die dortigen Lebensverhältnisse zu gewöhnen; doch seien diese Schwierigkeiten nicht unüberwindbar. Insbesondere sei davon auszugehen, dass er seine Muttersprache noch beherrsche. Persönliche schutzwürdige Bindungen im Bundesgebiet lägen zwar vor, denn seine Eltern, ein Bruder sowie sein Sohn lebten hier. Seit März 2006 lebe er mit seinem Vater in Stuttgart zusammen. Diese hinderten jedoch eine Ausweisung hier nicht. Bezüglich des Verhältnisses zu seinem Sohn sei zu berücksichtigen, dass er zu diesem seit drei Jahren keinen Kontakt mehr gehabt und lediglich für die Dauer von sechs Monaten Unterhalt geleistet habe. Ein Sorgerecht besitze er nicht. Die Ausweisung stehe auch im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verstoße nicht gegen Art. 8 EMRK. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei abzulehnen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 AufenthG.
13 
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 21.01.2011 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage; das beklagte Land trat der Klage entgegen.
14 
Anträge des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren wurden vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 11.02.2011 - 8 K 222/11 - abgelehnt; die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Senatsbeschlüssen vom 15.03.2011 - 11 S 547/11 - und - 11 S 548/11 - zurückgewiesen. Mit weiterem Senatsbeschluss vom 15.03.2011 - 11 S 549/11 - wurde die Beschwerde des Klägers gegen die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.02.2011 - 8 K 219/11 - erfolgte Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zurückgewiesen.
15 
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011 - 8 K 219/11 -wurde die Klage des Klägers abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Zur Begründung wird auf die vorangegangenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Senats in den Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren verwiesen.
16 
Auf einen entsprechenden Antrag des Klägers hin wurde diesem mit Beschluss des Amtsgerichts Esslingen - Familiengericht - vom 06.05.2011 betreuter Umgang mit seinem Sohn eingeräumt, bestimmt, dass zur Anbahnung des Umgangs am 29.06.2011 beim örtlichen Kinderschutzbund ein Eltern-Erstgespräch und dass ab Mitte Juli alle 14 Tage ein vom Kinderschutzbund betreuter Umgang für zwei Stunden stattfinde. Die Beschwerde der Mutter des Kindes gegen diesen Beschluss wurde vom Oberlandesgerichts Stuttgart am 19.08.2011 zurückgewiesen. Mit Schreiben an das Regierungspräsidium vom 05.10.2011 teilte der Kinderschutzbund Esslingen mit, dass der Kläger zum Eltern-Erstgespräch gekommen sei, weitere Gespräche hätten nicht stattgefunden.
17 
Gegen das am 29.04.2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011 hat der Kläger am 27.05.2011 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Mit Senatsbeschluss vom 16.08.2011 - 11 S 1656/11 -, zugestellt am 29.08.2011, ist die Berufung zugelassen worden, soweit mit dem Urteil die Klage des Klägers gegen die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 verfügte Ausweisung abgewiesen worden ist. Im Übrigen ist der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden. Mit am 22. und 23.09.2012 eingegangenen Schriftsätzen hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet.
18 
Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29.03.2011 die in dessen Gesamtstrafenbeschluss vom 10.02.2010 gewährte Aussetzung der Freiheitstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen zur Bewährung widerrufen worden war, wurde der Kläger am 27.09.2011 in Haft genommen.
19 
Zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Erschleichens von Leistungen (am 03.04.2010 und am 05.02.2011) wurden von der Staatsanwaltschaft Stuttgart nach § 154 StPO, ein weiteres Verfahren wegen Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Wohnungseinbruchdiebstahls u.a. (am 07.08.2011 und am 08.08.2011) nach §§ 153b ff. StPO eingestellt. Ein Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010, mit welchem der Kläger wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war, wurde nach Rücknahme der zunächst sowohl vom Kläger als auch von der Staatsanwaltschaft Heilbronn eingelegten Berufungen am 09.10.2012 rechtskräftig.
20 
Ein am 24.11.2011 gestellter Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der bevorstehenden Abschiebung nach § 123 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.11.2011 - 8 K 4179/11 - abgelehnt; die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Senatsbeschluss vom 08.12.2011 - 11 S 3155/11 - zurückgewiesen.
21 
Am 15.12.2011 wurde der Kläger aus der Haft nach Mazedonien abgeschoben. Nach seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 26.06.2012 - mit gefälschten bulgarischen Papieren - wurde er wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung u.a. festgenommen. Mit - seit dem 31.08.2012 rechtskräftigem -Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 wurde er wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Abschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt ohne Pass in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Tateinheit mit Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Bis zum 06.09.2012 verbüßte er die Reststrafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 10.02.2010, am 07.09.2012 begann der Vollzug der vom Amtsgericht Rosenheim verhängten viermonatigen Freiheitsstrafe.
22 
Bereits mit Bescheid vom 27.07.2012 ergänzte das Regierungspräsidium Stuttgart die Ausweisung vom 03.01.2011 dahingehend, dass deren Wirkungen auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung befristet wurden, wobei der Bezugspunkt für die Berechnung der Frist eine zukünftige Ausreise bzw. Abschiebung nach der Wiedereinreise sei (Ziff. 1). Zudem wurden die Wirkungen der bereits durchgeführten Abschiebung auf den 01.08.2012 befristet (Ziff. 2). Zur Begründung wurde unter anderem dargelegt: Der Kläger sei seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen, weshalb er am 15.12.2011 abgeschoben worden sei. Am 26.06.2012 sei er wieder eingereist. Die ursprünglich beabsichtigte Eheschließung sei bislang nicht realisiert worden. Soweit das Verhältnis zu seinem heute achtjährigen deutschen Kind betroffen sei, habe das Familiengericht Esslingen am 06.05.2011 die Durchführung eines betreuten Umgangs angeordnet. Ein Umgang zwischen Vater und Kind habe aber - auch wegen des Widerstands der Kindesmutter - nicht stattgefunden. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 AufenthG für eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der durchgeführten Abschiebung lägen vor. Zwar fordere diese nationale Vorschrift, dass eine Befristung nur auf Antrag erfolge, welcher bis heute nicht gestellt worden sei, doch gehe das Bundesverwaltungsgericht inzwischen davon aus, dass ein solcher nicht erforderlich sei. Da die Abschiebung aus der Haft erfolgt sei, habe der Kläger zumindest nach der Inhaftierung ab dem 27.09.2011 auch keine Möglichkeit mehr gehabt, die Abschiebung zu vermeiden. Dieser Gesichtspunkt rechtfertige die kurze Frist bezüglich der Wirkungen der Abschiebung bis zum 01.08.2012. Soweit dagegen die Ausweisung betroffen sei, müsse bei dieser eine Prognose darüber getroffen werden, wann der spezialpräventive Ausweisungszweck voraussichtlich erreicht sei, also keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Gleichfalls sei insbesondere der generalpräventive Ausweisungszweck zu würdigen. Auch die Befristungsentscheidung sei insoweit eine ordnungsrechtliche Maßnahme. Dieser ordnungsrechtliche Gesichtspunkt müsse mit dem privaten Interesse des Klägers an einer baldigen erlaubten Wiedereinreisemöglichkeit nach erfolgter Abschiebung abgewogen werden. Dabei seien insbesondere neu eingetretene positive oder negative Umstände zu beachten. Das Regierungspräsidium orientiere sich an Art. 11 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie (RFRL), nach welcher die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werde und grundsätzlich nicht fünf Jahre überschreite. Sie könne jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstelle. Die vom Regierungspräsidium in Ziffer 1 des Bescheids verfügte Frist betrage mit der erzwungenen Abwesenheit vom Bundesgebiet vom 15.12.2011 bis zum 27.06.2012 ziemlich genau die fünf Jahre, die in Art. 11 Abs. 2 RFRL genannt seien. Diese Orientierung sei hier insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil sich das Regierungspräsidium im Fall des Klägers in einem „unauflösbaren Dilemma“ befinde. Denn nach wie vor bestehe eine aktuelle hohe und konkrete Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten und der Zeitpunkt, ab welchem diese Wiederholungsgefahr nicht mehr vorliege, könne nur schwer prognostiziert und bestimmt werden. Besonders zu berücksichtigen sei der Umstand, dass der Kläger ausgesprochen häufig und selbst nach erfolgter Ausweisung straffällig geworden sei. Auch handle es sich bei der anlässlich der Wiedereinreise begangenen unerlaubten Einreise sowie der Urkundenfälschung um nicht unerhebliche Straftaten. Daraus sei ersichtlich, dass mit der Frist von vier Jahren und sechs Monaten nach zukünftiger Ausreise sogar ein gewisses Risiko in Kauf genommen werde. Deshalb fordere das Achtungsgebot aus Art. 8 EMRK nicht, die Frist kürzer zu bestimmen.
23 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger unter anderem vor: Bei der Ausweisung sei die Beziehung zu seinem Sohn nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zwar sei zutreffend, dass er aufgrund seiner Abschiebung nach Mazedonien das Umgangsrecht mit seinem deutschen Kind zunächst nicht optimal habe wahrnehmen können. Er wolle aber den Kontakt zu diesem herstellen. Auch beabsichtige er weiter, seine Verlobte zu heiraten. Die Eheschließung sei vom beklagten Land vor seiner Abschiebung im Dezember 2011 allein dadurch verhindert worden, dass keine Duldung erteilt worden sei. In Mazedonien habe er ausschließlich von dem Geld gelebt, welches sein Vater und sein Bruder ihm geschickt hätten. Er habe dort keinen festen Wohnsitz gehabt; er sei nur "notdürftig" bei seiner Tante und bei seinem Onkel untergekommen. Später habe er keinerlei finanzielle Unterstützung mehr erhalten. Er wolle jetzt mit seinem Sohn in Deutschland zusammenleben. Mit der vom Regierungspräsidium im Bescheid vom 27.07.2012 verfügten Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung sei er daher nicht einverstanden, vielmehr begehre er hilfsweise eine Befristung "auf null Tage".
24 
Der Kläger beantragt zuletzt,
25 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011 - 8 K 219/11 - zu ändern und die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 verfügte Ausweisung in der Fassung des Bescheids vom 27.07.2012 aufzuheben,
26 
hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG angeführten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
27 
Das beklagte Land beantragt,
28 
die Berufung zurückzuweisen
29 
Es verweist zur Begründung auf die Bescheide vom 03.01.2011 und vom 27.07.2012. Das Kindeswohl gebiete es hier nicht, trotz der im Falle des Klägers gegebenen hohen Gefahr der Wiederholung von Straftaten von einer Ausweisung abzusehen. Bei der Ausübung des Ermessens seien alle denkbaren Gesichtspunkte und Umstände wie Dauer des Aufenthalts usw. in den Blick genommen, eingestellt und gewürdigt worden.
30 
In einem am 25.07.2012 durchgeführten Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin ist der Kläger angehört worden. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
31 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Ausweisungsverfahren (insgesamt zwei Hefte), die ausländerrechtlichen Akten der Landeshauptstadt Stuttgart (vier Hefte) und die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart bezüglich des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 8 K 222/11 - und bezüglich des Klageverfahrens - 8 K 219/11 - vor. Diese sind ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg über das Berufungsverfahren - 11 S 2307/11 - sowie über die Beschwerdeverfahren - 11 S 547/11, 11 S 548/11, 11 S 549/11 und 11 S 3155/11 - Gegenstand der Entscheidung; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
32 
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
33 
Die - nach teilweiser Zulassung durch den Senat - statthafte Berufung des Klägers richtet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011, soweit damit (auch) seine Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 abgewiesen worden ist. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründet worden (vgl. § 124a Abs. 6 und Abs. 3 VwGO). Aufgrund der im Berufungsverfahren - mit dem hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrag - erfolgten, zulässigen Einbeziehung der unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 verfügten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist diese ebenfalls Gegenstand des Verfahrens. Darin liegt insbesondere keine Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). Abgesehen davon hat das beklagte Land in diesem Ergänzungsbescheid explizit darauf hingewiesen, dass die Befristungsentscheidung in dem anhängigen Berufungsverfahren wegen Ausweisung rechtlich überprüft werde, und sich in der Folge sachlich darauf eingelassen. Sollte von einer Klageänderung auszugehen sein, wäre diese daher wegen Einwilligung des beklagten Landes als zulässig anzusehen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 VwGO).
34 
Die Berufung ist aber nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Umfang begründet. Die Klage des Klägers gegen die Ausweisung ist vom Verwaltungsgericht zu Recht abgewiesen worden (dazu unter I.). Denn diese Verfügung - in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 -ist auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156 und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sein - hilfsweise - gestellter Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" hat zu einem geringen Teil Erfolg (II.). Die unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 erfolgte Befristung auf vier Jahre und sechs Monate ist insoweit rechtswidrig als der Beginn der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. Er hat aber keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
35 
Die Ausweisung ist rechtsfehlerfrei. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 1 AufenthG liegen vor (1.). Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG (2.). Die Entscheidung des Regierungspräsidiums, den Kläger auszuweisen, ist verhältnismäßig und lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (3.). Auch verstößt die Ausweisung nicht gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (4.).
36 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 54 Nr. 1 AufenthG. Diese Regelung ist hier uneingeschränkt anwendbar. Insbesondere folgt nicht etwa allein aus dem Umstand, dass der Kläger Vater eines deutschen Staatsangehörigen - des am 15.11.2003 geborenen A.R. - ist, dass besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten wären (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09 InfAuslR 2011, 268 und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11 InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -NVwZ-RR 2012, 412).
37 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 1 AufenthG sind unstreitig erfüllt. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das ist hier allein schon wegen der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten der Fall. Inzwischen ist zudem das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010, mit welchem er wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war, rechtskräftig. Außerdem erfolgte mit dem Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 - wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung u.a. - eine weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.
38 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu.
39 
Auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann er sich nicht berufen, weil er bereits seit dem 03.09.2008 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Sein Antrag auf Verlängerung der zuvor bestehenden Aufenthaltserlaubnis ist unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart 03.01.2011 abgelehnt worden; diese Entscheidung ist inzwischen bestandskräftig. Die zunächst gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG (in der damals geltenden Fassung, welche § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG n.F. entspricht) eingetretene Fiktionswirkung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats jedenfalls bereits beendet. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können, wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.).
40 
Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger lebt nicht mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft. Zwar kann regelmäßiger Umgang mit einem deutschen Kind für die Annahme dieses Ausweisungsschutzes ausreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 - NVwZ 2009, 387 ff.). Einen solchen hat der Kläger mit seinem Sohn jedoch seit vielen Jahren nicht mehr.
41 
3. Danach ist der Kläger gemäß § 54 Nr. 1 AufenthG "in der Regel auszuweisen". Selbst wenn man - mit dem Regierungspräsidium - zugunsten des Klägers annimmt, dass wegen der zumindest noch bis zur Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 bestehenden Bindungen in bzw. an Deutschland mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK von einer Ausnahme vom Regelfall auszugehen ist und daher die Ausweisung im Ermessen steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116), erweist sich diese als rechtmäßig. Die Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums im Bescheid vom 03.01.2011, welche in der Folge mehrmals, unter anderem im Bescheid über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung vom 27.07.2012, ergänzt und aktualisiert worden sind, lassen sich rechtlich nicht beanstanden.
42 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien Menschenrechte (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03 InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 juris).
43 
Nach diesen Grundsätzen ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig. Sie ist in Ansehung der von diesem ausgehenden Gefahr der Begehung erneuter Straftaten (a) trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein Privatleben als gerechtfertigt bzw. als verhältnismäßig zu beurteilen (b) und auch im Übrigen ermessensfehlerfrei erfolgt (c).
44 
a) Zunächst ist das Regierungspräsidium in den Bescheiden vom 03.01.2011 und vom 27.07.2012 zu Recht davon ausgegangen, dass weiterhin die erhebliche Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger besteht, welche ein öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründet.
45 
Der Kläger hat sich über einen langen Zeitraum hinweg unter anderem wegen Betäubungsmitteldelikten immer wieder strafbar gemacht. Ausweislich der vom Senat zum Verfahren eingeholten Auskunft des Bundesamts für Justiz aus dem Zentralregister enthielt dieses am 06.08.2012 insgesamt neun Eintragungen über strafgerichtliche Verurteilungen. Die älteste betrifft das Urteil des Amtsgerichts Esslingen vom 22.07.2005 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Danach folgen Verurteilungen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 31.05.2007, unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen vom 13.09.2007, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 10.06.2008, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 02.02.2009, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 11.02.2009, Erschleichens von Leistungen mit geringwertigem Schaden in drei Fällen vom 13.02.2009, gefährlicher Körperverletzung vom 15.10.2009 und wegen Diebstahls vom 26.02.2010.
46 
In Anbetracht dieser im Zeitraum zwischen Juli 2005 und Februar 2010 erfolgten Verurteilungen kann hier offen bleiben, ob - und gegebenenfalls inwieweit - frühere strafgerichtliche Entscheidungen, die nicht im Bundeszentral-, sondern lediglich im Erziehungsregister eingetragen sind, bei der Ausweisung zu berücksichtigen wären (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 23.09.2009 - 1 B 16.09 - InfAuslR 2009, 447; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.05.2009 - 13 S 116/09 - VBlBW 2010, 77; Saarl. OVG, Urteil vom 12.10.2011 - 1 A 246/11 -juris). Denn bereits die im Bundeszentralregister aufgeführten strafgerichtlichen Entscheidungen begründen die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an einer Ausweisung des Klägers.
47 
Zwar handelt es sich bei den zugrundeliegenden Straftaten nicht um außerordentlich gravierende Delikte. Bei der gefährlichen Körperverletzung ist das Amtsgericht von einem minder schweren Fall ausgegangen. Die Hartnäckigkeit, mit der der Kläger allein zwischen 2005 und Februar 2010 immer wieder straffällig geworden ist, belegt aber eine besonders hohe Wiederholungsgefahr. Zu den angeführten und im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten kommt zudem noch eine Vielzahl von nach §§ 153b ff. StPO bzw. §§ 31a, 37, 38 BtMG eingestellten Verfahren, zuletzt wegen Erschleichens von Leistungen (am 03.04.2010 und am 05.02.2011) und wegen Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Wohnungseinbruchdiebstahls (am 07.08.2011 und am 08.08.2011). Mit - erst seit dem 09.10.2012 rechtskräftigem - Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 wurde der Kläger zudem wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009, vom 18.08.2010 bis zum 26.11.2010 und zuletzt vom 27.09.2011 bis zu seiner Abschiebung nach Mazedonien am 15.12.2011 verbüßte er Freiheitsstrafen. Weder diese Freiheitsstrafen noch andere Vorverurteilungen, laufende Ermittlungsverfahren oder der drohende Widerruf von Aussetzungen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen zur Bewährung hielten ihn von der Begehung weiterer Straftaten ab. Auch die möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen waren ihm offensichtlich keine Warnung. Selbst nach Bekanntgabe des Bescheids vom 03.01.2011, mit welchem der Kläger nicht nur ausgewiesen, sondern auch sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht worden war, wurden gegen ihn die angeführten weiteren Ermittlungsverfahren - wegen einer am 05.02.2011 begangenen "Beförderungserschleichung" und wegen des Verdachts des Wohnungseinbruchdiebstahls, der Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs u.a. am 07. bzw. 08.08.2011 - eingeleitet. Die "Rückfallgeschwindigkeit" war danach außerordentlich hoch. In den Jahren 2009 bis 2011 gelang es dem Kläger letztlich nur in Zeiten, in welchen er sich in Haft befand, mehrere Monate lang strafrechtlich unauffällig zu bleiben.
48 
Vor diesem Hintergrund war bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung und ist auch weiter jederzeit mit der Begehung erneuter Straftaten zu rechnen. Davon gehen auch die Strafgerichte aus. Bereits im Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010, mit welchem der Kläger wegen des Diebstahls von drei Flaschen Parfum zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde, wurde die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, weil dem Kläger keine positive Sozialprognose gestellt werden könne. Im Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29.03.2011 - mit welchem die Aussetzung der im Beschluss vom 10.02.2010 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen widerrufen wurde - wird dargelegt, die Freiheitsstrafe sei zur Einwirkung auf den Kläger und zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich. Auch in den erst nach Wiedereinreise des Klägers ergangenen bzw. rechtskräftig gewordenen Urteilen des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 und des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 wurde keine Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung gewährt.
49 
Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einstellung des Klägers inzwischen maßgeblich geändert haben könnte und die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten gesunken wäre, bestehen nicht. Der Kläger hat sich weder mit seinen Straftaten auseinandergesetzt noch mit seinem (früheren) Drogenkonsum. Ernsthafte Reue oder Einsicht sind weder vorgetragen noch erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, dass allein die erfolgte Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 zu einer solchen Zäsur geführt haben könnte, dass die Wiederholungsgefahr jetzt anders zu beurteilen wäre. Dagegen spricht schon der Umstand, dass er inzwischen weitere Straftaten begangen hat. Er ist am 26.06.2012 unerlaubt und mit gefälschten bulgarischen Personalpapieren wieder nach Deutschland eingereist, weshalb er mit dem bereits angeführten Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde. Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Wunsch des Klägers, Kontakt zu seinem Sohn zu bekommen und zu halten sowie die Beziehung zu seiner Verlobten wieder aufzunehmen, ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten würde. Schließlich hatten in der Vergangenheit weder die Beziehung zu seiner Verlobten noch die Vaterschaft entsprechende Auswirkungen.
50 
Bei dieser Sachlage - vor allem in Anbetracht von Anzahl sowie Art und Gewicht der vom Kläger begangenen Straftaten, seines früheren Drogenkonsums, der außerordentlich hohen "Rückfallgeschwindigkeit", der bislang gezeigten Uneinsichtigkeit und der bis heute fehlenden Tataufarbeitung - ist auch der Senat der Überzeugung, dass vom Kläger weiter eine erhebliche Gefahr der Begehung von diversen Straftaten, darunter Eigentums-, Betäubungsmittel- und auch Gewaltdelikten ausgeht. Das Regierungspräsidium hat daher zu Recht ein erhebliches öffentliches Interesse an seiner Ausweisung angenommen.
51 
b) Mit Blick auf das danach vom Kläger immer noch ausgehende Gefahrenpotential stellt die Ausweisung hier trotz seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland und seiner in dieser Zeit gewachsenen persönlichen Bindungen eine verhältnismäßige und insbesondere mit Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG vereinbare Maßnahme dar.
52 
Allerdings hat die Ausweisung gravierende Folgen für den Kläger. Dieser besitzt zwar nach rechtskräftiger Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Ziffer 2 des Bescheids vom 03.01.2011 ohnehin kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr. Die Ausweisung führt aber - ebenso wie eine Zurück- oder Abschiebung - gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258 - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011) zu einer Wiedereinreisesperre sowie einem Aufenthaltsverbot und sie steht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - in der Regel - der Erteilung eines neuen Titels entgegen (vgl. zum ganzen Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, Vor §§ 53-56 Rn 1 ff.). Die entsprechenden, durch die am 15.12.2011 erfolgte Abschiebung des Klägers nach Mazedonien ebenfalls nach § 11 Satz 1 und 2 AufenthG eingetretenen Wirkungen sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 bereits auf den 01.08.2012 befristet worden und damit beendet. Hingegen ist die Frist bezüglich der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monaten festgesetzt worden (Ziffer 1 des Bescheids, vgl. zum Beginn der Frist unten II.). Dies bedeutet für den Kläger, dass er - jedenfalls bei unveränderter Sachlage - in den nächsten Jahren nicht mehr ohne Weiteres nach Deutschland einreisen und sich hier aufhalten kann. Die Ausweisung hat daher noch weitgehendere Folgen für seine familiären und sozialen Bindungen zu in Deutschland lebenden Personen - insbesondere zu Eltern und Bruder, zu seiner Verlobten und zu seinem am 15.11.2003 geborenen Sohn - als es allein der fehlende Aufenthaltstitel und die erfolgte Abschiebung haben.
53 
Der Kläger hat sich bereits - wenn auch nicht ununterbrochen - von 1989 bis 1994 und erneut von 1998 bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 in Deutschland aufgehalten. Vom 07.06.2004 bis zum 02.09.2008 war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, im Anschluss galt sein Aufenthalt bis zur Ablehnung seines Verlängerungsantrags mit Bescheid vom 03.01.2011 als erlaubt. Er hat eine Lehre als Bäcker abschlossen und war bis Juni 2009 als Bäcker tätig. Die Eltern des Klägers und sein Bruder leben in Deutschland. Zuletzt wohnte er bei seinem Vater. Der Kläger ist - oder war jedenfalls - außerdem mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt; beide wollten noch vor der Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 heiraten. Nach der Abschiebung bestand offensichtlich kein enger Kontakt mehr; der Kläger hat aber im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 erläutert, dass er vor allem deshalb Ende Juni 2012 erneut eingereist sei, um die Beziehung wieder aufzunehmen. Seinen Sohn hat der Kläger zwar nach seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit der Mutter des Sohnes offensichtlich jahrelang nicht mehr gesehen; er hat aber kurz vor seiner erneuten Inhaftierung am 27.09.2011 ein (betreutes) Umgangsrecht erstritten, zu dessen Anbahnung beim Kinderschutzbund bereits ein Eltern-Erstgespräch stattgefunden hatte. Im Erörterungstermin am 25.07.2012 hat er dargelegt, dass ihm an einer Beziehung zu seinem Sohn gelegen sei. Er habe die Mutter angeschrieben und gebeten, einen normalen Kontakt zu ermöglichen.
54 
Da der Kläger danach nicht in einer familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn lebt und er auch seit Jahren keinen unmittelbaren Kontakt zu seinem Sohn mehr hatte, kann er sich nicht mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen und auch nicht auf das in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Familienlebens (vgl. dazu ausführlich Senatsbeschluss vom 16.08.2011 im Verfahren auf Zulassung der Berufung - 11 S 1656/11 - m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; EGMR, Urteil vom 11.07.2000 - 29192/95 InfAuslR 2000, 473). Die Ausweisung greift aber in sein Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK und in sein durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Da der Kläger inzwischen über kein Aufenthaltsrecht mehr verfügt und bereits abgeschoben wurde, kann seinen Bindungen nicht mehr dasselbe Gewicht beigemessen werden wie zu Zeiten, in denen er sich rechtmäßig hier aufgehalten hat. Selbst wenn man insoweit aber zu seinen Gunsten auf den Zeitpunkt der Ausweisung abstellen würde, ist der Eingriff in sein Privatleben hier auch in Ansehung der früheren Bindungen in Deutschland und der für ihn mit einem Leben in Mazedonien verbundenen Schwierigkeiten wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als - mit Blick auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG - verfassungsrechtlich gerechtfertigt bzw. als gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und insbesondere als verhältnismäßig anzusehen.
55 
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger offensichtlich nur in den ersten drei bis vier Lebensjahren näheren Kontakt zu seinem Kind A.R. hatte. Im Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 06.05.2011, mit welchem ihm ein betreuter Umgang eingeräumt wurde, wird ausgeführt, dass die Mutter des Kindes und der Kläger sich getrennt hätten, als A.R. drei Jahre alt gewesen sei. Eine kurze Zeit danach habe die Kindsmutter noch die Eltern des Klägers und den Kläger besucht. Danach hätten keinerlei Kontakte mehr stattgefunden. Der Kläger habe auch nach eigenen Angaben seinen Sohn nicht mehr besucht, keinen telefonischen Kontakt zu ihm gehabt, ihm keine Karten geschickt und auch keine Geschenke gemacht. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen hat der Kläger zudem viele Jahre keinen - oder zu wenig - Unterhalt geleistet. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Mutter des Kindes schon früher gegen einen Umgang des Klägers mit A.R. gewesen sein und diesen verhindert haben sollte, fällt doch auf, dass der Kläger sich erstmals nach Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und Ausweisung im Bescheid vom 03.01.2011 ernsthaft um einen Umgang mit seinem Sohn bemüht hat. Im dem danach von ihm angestrengten gerichtlichen Verfahren wegen Umgangs wurde davon ausgegangen, dass der Sohn den Kläger erst kennenlernen müsse; er sei "neugierig" auf ihn. Tatsächlich ist es dann offensichtlich nicht mehr zu einem Treffen gekommen.
56 
Soweit sich der Kläger auf sein Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen beruft, kann offen bleiben, ob diese Beziehung noch besteht. Allerdings hat er nach seiner Abschiebung im Dezember 2011 offensichtlich kaum mehr Kontakt zu seiner Verlobten gehabt; insbesondere ist es nicht zu der zunächst für Februar 2012 angekündigten Heirat gekommen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass beide weiterhin die Absicht haben, einander zu heiraten, steht dies einer Ausweisung hier in Ansehung der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ebenso wenig entgegen wie die Beziehung des Klägers zu seinen Eltern, seinem Bruder und zu in Deutschland lebenden Freunden und Bekannten.
57 
Dem Kläger ist ein Leben in Mazedonien auch zuzumuten. Er lebte nicht seit seiner Geburt, sondern erst seit November 1998 - also seit seinem 14. Lebensjahr - bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 durchgehend in Deutschland. Obwohl er sich mit seinen Eltern bereits zuvor - mit Unterbrechungen vom 28.08.1989 bis November 1994 - in Deutschland aufgehalten hat, hat er jedenfalls einen wesentlichen Teil seiner Kindheit noch im heutigen Mazedonien verbracht. Von Dezember 2011 bis zu seiner unerlaubten Wiedereinreise am 26.06.2012 hat er sich wieder dort aufgehalten. Er hat in Mazedonien Verwandte. Zwar hat er vorgetragen, er habe nicht mehr länger bei seiner Tante wohnen dürften, bei der er nach seiner Abschiebung zunächst drei Monate lang gelebt habe. Er habe dann ohne Papiere, welche man ihm beim Versuch einer Ausreise nach Serbien abgenommen habe, und in ständiger Angst vor willkürlichen Verhaftungen wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma "auf der Straße leben" müssen. Tatsächlich haben Roma in Mazedonien mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch kann zwangsweise zurückgeführten mazedonischen Straftätern oder Asylbewerbern für die Dauer von einem Jahr der Pass entzogen werden. Dies kann unter anderem zur Verweigerung einer Ausreise des Betreffenden aus Mazedonien führen (vgl. AA an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 06.08.2012). Ohne Papiere kann es außerdem zu Problemen beim Zugang zu Sozialhilfe- und Gesundheitsfürsorgeleistungen kommen (vgl. a.i. Mazedonien-Report 2012). Im Falle des 27-jährigen Klägers ist aber nicht zu erwarten, dass er ein Leben unterhalb des Existenzminimums führen müsste. Zudem könnte er sich gegebenenfalls zumindest vorübergehend von seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern und seinem Bruder unterstützen lassen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere nicht vom Bestehen eines Abschiebungsverbots auszugehen.
58 
c) Die Ausweisung ist ermessensfehlerfrei erfolgt.
59 
Das Regierungspräsidium hat die im Bescheid vom 03.01.2011 angeführten Ermessenserwägungen in mehreren Schriftsätzen, im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 und im Bescheid vom 27.07.2012 ergänzt und alle nach Erlass der Ausweisungsverfügung eingetretenen Tatsachen und Umstände, insbesondere auch das dem Kläger eingeräumte Umgangsrecht mit seinem Sohn und das Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen berücksichtigt. Bei der umfassenden Abwägung wurden alle für die Ausweisungsentscheidung relevanten Umstände eingestellt und rechtsfehlerfrei abgewogen.
60 
Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 03.01.2011, im Falle des Klägers liege keine "abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse" vor, begründen hier keinen Ermessensfehler. Allerdings kann diese - mehrfach verwendete - Formulierung Anlass zu Missverständnissen sein. Schließlich ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK unter anderem bei Ausländern eröffnet, die - wie der Kläger jedenfalls früher - wegen ihres langjährigen (rechtmäßigen) Aufenthalts in Deutschland und einer erfolgreichen Schul- sowie Berufsausbildung als "verwurzelt" anzusehen sind. Allein der Umstand, dass der Betreffende Straftaten begangen hat, bedeutet nicht, dass er sich nicht mehr auf den Schutz des Privatlebens berufen könnte. Vielmehr sind die Straftaten gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten (vgl. dazu Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.). Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid aber auch ausgegangen.
61 
Ein Ermessensfehler folgt hier auch nicht daraus, dass das Regierungspräsidium im Bescheid vom 03.01.2011 zudem darauf verwiesen hat, dass bei sehr häufigem straffälligen Verhalten ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, durch die Ausweisung andere Ausländer von ähnlichen Straftaten abzuhalten. Denn es durfte die Ausweisung des Klägers ergänzend auch mit dem Aspekt der Generalprävention begründen. Dabei kommt es hier nicht auf die Frage an, ob eine Ausweisung von in Deutschland "nachhaltig verwurzelten“ Ausländern noch (allein) tragend generalpräventiv begründet werden kann (einschränkend Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - InfAuslR 2011, 293; a.A. im Revisionsverfahren bezüglich dieses Urteils: BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Denn jedenfalls ist hier der Aspekt der Abschreckung anderer potentieller Straftäter vom Regierungspräsidium lediglich ergänzend - neben der bestehenden großen Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger - herangezogen worden. Dies lässt sich nicht beanstanden.
62 
4. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der Abschiebung im Dezember 2011 - 11 S 3155/11 - weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Regelung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG der Ausweisung hier nicht entgegensteht. Danach darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Diese Vorschrift dient der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses und nicht dem Schutz des Betreffenden vor einer Ausweisung oder Abschiebung (vgl. im Einzelnen Senatsbeschluss vom 08.12.2011 - 11 S 3155/11 - AuAS 2012, 38). Auf die Frage, ob sich der Kläger gegenüber seiner Ausweisung mit Erfolg auf das Fehlen eines nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmens berufen könnte, kommt es hier schon deshalb nicht an, weil derzeit keine entsprechenden Verfahren mehr offen sind. Soweit strafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht eingestellt worden sind, haben sie zu Anklagen geführt, über welche inzwischen in allen Fällen rechtskräftig entschieden worden ist.
II.
63 
Der Hilfsantrag des Klägers, mit welchem dieser die Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf sofort begehrt, hat lediglich teilweise Erfolg. Die vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach (erneuter) Ausreise bzw. Abschiebung ist insoweit rechtswidrig, als danach die Frist erst mit einer erneuten Ausreise oder Abschiebung und nicht bereits mit dem Erlass des Bescheids zu laufen beginnt. Der Kläger hat einen Anspruch auf entsprechende Änderung der Befristungsentscheidung; er hat jedoch keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung oder gar auf die von ihm begehrte Fristsetzung "auf sofort".
64 
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG - in der hier maßgeblichen Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 - darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (Satz 1). Ihm wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt (Satz 2). Die in den Sätzen 1 und 2 (des § 11 Abs. 1 AufenthG) bezeichneten Wirkungen werden gemäß Satz 3 auf Antrag befristet. Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Satz 4). Bei der Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt mit der Ausreise (Satz 6). Nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.
65 
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) hat - infolge der Änderung von § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - ein Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannte Wirkungen befristet. Dabei genügt für den nach dem Wortlaut des § 11 Absatz 1 Satz 3 AufenthG erforderlichen Antrag jede Willensbekundung des Antragstellers, mit welcher sich dieser gegen eine Ausweisung wendet. Der Betreffende kann dann gegebenenfalls zugleich mit Anfechtung der Ausweisung - hilfsweise - seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung gerichtlich durchsetzen (so schon BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat es über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung zu verpflichten (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, a.a.O., m.w.N.).
66 
Zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit folgt der Senat unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung (vgl. zum Antragserfordernis Senatsurteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170; vgl. auch Urteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412) dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach ist auch hier davon auszugehen, dass es für die an sich nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erforderliche Stellung eines Antrags auf Befristung genügt, dass sich der Kläger gegen die Ausweisung selbst gewandt hat.
67 
2. Die im vorliegenden Fall mit Blick auf das angeführte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2012 (- 1 C 19.11 - juris) vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 erfolgte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung ist lediglich hinsichtlich des Fristbeginns rechtswidrig.
68 
Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, m.w.N.).
69 
Nach diesen Grundsätzen lässt sich die vom Regierungspräsidium verfügte Frist im Grundsatz rechtlich nicht beanstanden. Auch der Senat erachtet eine Frist von vier Jahren und sechs Monaten - allerdings gerechnet ab dem 27.07.2012 - als angemessen.
70 
Dabei kann hier letztlich offen bleiben, ob bei der Bemessung der Frist zwingend die Zeiten "anzurechnen" sind, die der Kläger bereits nach seiner Abschiebung am 15.12.2011 bis zu seiner Wiedereinreise am 27.06.2012 außerhalb des Bundesgebiets verbracht hat. Zwar wäre dann insgesamt die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren um 12 Tage überschritten; von dieser kann hier aber abgewichen werden.
71 
Entgegen der Auffassung des Regierungspräsidiums kann die Zulässigkeit einer Überschreitung der Frist von fünf Jahren im Fall des Klägers allerdings nicht damit begründet werden, dass von diesem eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. AufenthG, vgl., auch Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie -, ABl EU Nr. L 348 vom 24.12.2008 S. 98). Denn eine solche kann wohl nur bei gravierenderen Straftaten angenommen werden. Die Grenze von fünf Jahren ist hier aber jedenfalls deshalb nicht zwingend, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 1. Alt. AufenthG). Eine andere Beurteilung folgt nicht aus der Rückführungsrichtlinie. Nach deren Art. 11 Abs. 1 gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher. Gemäß Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Zum einen stellt eine Ausweisung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170 und vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, jew. m.w.N.) aber keine Rückkehrentscheidung in diesem Sinne dar, so dass die Rückführungsrichtlinie schon deshalb insoweit nicht anzuwenden ist. Zum anderen bestimmt Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten beschließen können, diese unter anderem nicht auf solche Drittstaatsangehörigen anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind. Von dieser "opt-out-Möglichkeit" hat der Gesetzgeber bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit Gebrauch gemacht. In der Begründung zum Entwurf des Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 (Bundestags-Drucks. 17/2740, S. 4, 21) wird zur Änderung von § 11 AufenthG ausgeführt: "Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b – gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt – und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrundeliegen schwerwiegender Straftaten."
72 
Insbesondere in Anbetracht der hohen Wiederholungsgefahr, der "Rückfallgeschwindigkeit" und der erneuten Straffälligkeit des Klägers erachtet der Senat die Frist von vier Jahren und sechs Monaten ab dem 27.07.2012 auch unter Berücksichtigung des nach seiner Abschiebung bereits außerhalb des Bundesgebiets verbrachen Zeitraums und im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet für erforderlich, aber auch ausreichend. Es bleibt dem Kläger unbenommen, bei einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Sachlage, etwa seiner persönlichen Verhältnisse, einen Antrag auf weitergehende Befristung zu stellen.
73 
Die Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums ist jedoch rechtswidrig, soweit der Lauf der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG bestimmt zwar ausdrücklich, dass die Frist (erst) mit der Ausreise beginnt - wobei darunter sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Ausreise fallen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.01.2012 - 1 C 1.11 - InfAuslR 2012, 173). Eine solche liegt hier aber schon in der am 15.12.2011 durchgeführten Abschiebung des Klägers nach Mazedonien. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass diese aufgrund der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der mit dieser verbundenen Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 03.01.2011 erfolgte und keinen Vollzug der Ausweisung bzw. einer von dieser abhängigen Abschiebungsandrohung darstellte. Denn der Kläger ist damit jedenfalls unter Geltung der Ausweisungsentscheidung vom 03.01.2011 ausgereist im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG. Die Ausweisung entfaltete zu diesem Zeitpunkt bereits die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG. Dann kann der Beginn der Frist auch nach (unerlaubter) Wiedereinreise nicht mehr von einer vorhergehenden - zweiten - Ausreise abhängig gemacht werden (vgl. auch Renner, a.a.O., § 11 Rn. 25; Hamb.OVG, Beschluss vom 15.08.1991 - Bs VII 67/91 -InfAuslR 1992, 250). Es ist Sache des beklagten Landes, durch einen zeitnahen Vollzug der Ausreisepflicht das mit der Ausweisung verbundene Einreiseverbot effektiv durchzusetzen.
74 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag teilweise Erfolg hat, handelt es sich um ein geringfügiges Obsiegen, so dass ihm trotzdem die Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
75 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
76 
Beschluss vom 6. November 2012
77 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 20. April 2011 – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
78 
Gründe
79 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 03.01.2011 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (vgl. Ziff. 2) und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung (Ziff. 3). Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -juris).
80 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
32 
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
33 
Die - nach teilweiser Zulassung durch den Senat - statthafte Berufung des Klägers richtet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011, soweit damit (auch) seine Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 abgewiesen worden ist. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründet worden (vgl. § 124a Abs. 6 und Abs. 3 VwGO). Aufgrund der im Berufungsverfahren - mit dem hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrag - erfolgten, zulässigen Einbeziehung der unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 verfügten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist diese ebenfalls Gegenstand des Verfahrens. Darin liegt insbesondere keine Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). Abgesehen davon hat das beklagte Land in diesem Ergänzungsbescheid explizit darauf hingewiesen, dass die Befristungsentscheidung in dem anhängigen Berufungsverfahren wegen Ausweisung rechtlich überprüft werde, und sich in der Folge sachlich darauf eingelassen. Sollte von einer Klageänderung auszugehen sein, wäre diese daher wegen Einwilligung des beklagten Landes als zulässig anzusehen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 VwGO).
34 
Die Berufung ist aber nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Umfang begründet. Die Klage des Klägers gegen die Ausweisung ist vom Verwaltungsgericht zu Recht abgewiesen worden (dazu unter I.). Denn diese Verfügung - in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 -ist auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156 und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sein - hilfsweise - gestellter Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" hat zu einem geringen Teil Erfolg (II.). Die unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 erfolgte Befristung auf vier Jahre und sechs Monate ist insoweit rechtswidrig als der Beginn der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. Er hat aber keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
35 
Die Ausweisung ist rechtsfehlerfrei. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 1 AufenthG liegen vor (1.). Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG (2.). Die Entscheidung des Regierungspräsidiums, den Kläger auszuweisen, ist verhältnismäßig und lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (3.). Auch verstößt die Ausweisung nicht gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (4.).
36 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 54 Nr. 1 AufenthG. Diese Regelung ist hier uneingeschränkt anwendbar. Insbesondere folgt nicht etwa allein aus dem Umstand, dass der Kläger Vater eines deutschen Staatsangehörigen - des am 15.11.2003 geborenen A.R. - ist, dass besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten wären (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09 InfAuslR 2011, 268 und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11 InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -NVwZ-RR 2012, 412).
37 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 1 AufenthG sind unstreitig erfüllt. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das ist hier allein schon wegen der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten der Fall. Inzwischen ist zudem das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010, mit welchem er wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war, rechtskräftig. Außerdem erfolgte mit dem Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 - wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung u.a. - eine weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.
38 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu.
39 
Auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann er sich nicht berufen, weil er bereits seit dem 03.09.2008 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Sein Antrag auf Verlängerung der zuvor bestehenden Aufenthaltserlaubnis ist unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart 03.01.2011 abgelehnt worden; diese Entscheidung ist inzwischen bestandskräftig. Die zunächst gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG (in der damals geltenden Fassung, welche § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG n.F. entspricht) eingetretene Fiktionswirkung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats jedenfalls bereits beendet. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können, wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.).
40 
Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger lebt nicht mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft. Zwar kann regelmäßiger Umgang mit einem deutschen Kind für die Annahme dieses Ausweisungsschutzes ausreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 - NVwZ 2009, 387 ff.). Einen solchen hat der Kläger mit seinem Sohn jedoch seit vielen Jahren nicht mehr.
41 
3. Danach ist der Kläger gemäß § 54 Nr. 1 AufenthG "in der Regel auszuweisen". Selbst wenn man - mit dem Regierungspräsidium - zugunsten des Klägers annimmt, dass wegen der zumindest noch bis zur Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 bestehenden Bindungen in bzw. an Deutschland mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK von einer Ausnahme vom Regelfall auszugehen ist und daher die Ausweisung im Ermessen steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116), erweist sich diese als rechtmäßig. Die Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums im Bescheid vom 03.01.2011, welche in der Folge mehrmals, unter anderem im Bescheid über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung vom 27.07.2012, ergänzt und aktualisiert worden sind, lassen sich rechtlich nicht beanstanden.
42 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien Menschenrechte (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03 InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 juris).
43 
Nach diesen Grundsätzen ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig. Sie ist in Ansehung der von diesem ausgehenden Gefahr der Begehung erneuter Straftaten (a) trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein Privatleben als gerechtfertigt bzw. als verhältnismäßig zu beurteilen (b) und auch im Übrigen ermessensfehlerfrei erfolgt (c).
44 
a) Zunächst ist das Regierungspräsidium in den Bescheiden vom 03.01.2011 und vom 27.07.2012 zu Recht davon ausgegangen, dass weiterhin die erhebliche Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger besteht, welche ein öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründet.
45 
Der Kläger hat sich über einen langen Zeitraum hinweg unter anderem wegen Betäubungsmitteldelikten immer wieder strafbar gemacht. Ausweislich der vom Senat zum Verfahren eingeholten Auskunft des Bundesamts für Justiz aus dem Zentralregister enthielt dieses am 06.08.2012 insgesamt neun Eintragungen über strafgerichtliche Verurteilungen. Die älteste betrifft das Urteil des Amtsgerichts Esslingen vom 22.07.2005 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Danach folgen Verurteilungen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 31.05.2007, unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen vom 13.09.2007, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 10.06.2008, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 02.02.2009, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 11.02.2009, Erschleichens von Leistungen mit geringwertigem Schaden in drei Fällen vom 13.02.2009, gefährlicher Körperverletzung vom 15.10.2009 und wegen Diebstahls vom 26.02.2010.
46 
In Anbetracht dieser im Zeitraum zwischen Juli 2005 und Februar 2010 erfolgten Verurteilungen kann hier offen bleiben, ob - und gegebenenfalls inwieweit - frühere strafgerichtliche Entscheidungen, die nicht im Bundeszentral-, sondern lediglich im Erziehungsregister eingetragen sind, bei der Ausweisung zu berücksichtigen wären (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 23.09.2009 - 1 B 16.09 - InfAuslR 2009, 447; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.05.2009 - 13 S 116/09 - VBlBW 2010, 77; Saarl. OVG, Urteil vom 12.10.2011 - 1 A 246/11 -juris). Denn bereits die im Bundeszentralregister aufgeführten strafgerichtlichen Entscheidungen begründen die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an einer Ausweisung des Klägers.
47 
Zwar handelt es sich bei den zugrundeliegenden Straftaten nicht um außerordentlich gravierende Delikte. Bei der gefährlichen Körperverletzung ist das Amtsgericht von einem minder schweren Fall ausgegangen. Die Hartnäckigkeit, mit der der Kläger allein zwischen 2005 und Februar 2010 immer wieder straffällig geworden ist, belegt aber eine besonders hohe Wiederholungsgefahr. Zu den angeführten und im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten kommt zudem noch eine Vielzahl von nach §§ 153b ff. StPO bzw. §§ 31a, 37, 38 BtMG eingestellten Verfahren, zuletzt wegen Erschleichens von Leistungen (am 03.04.2010 und am 05.02.2011) und wegen Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Wohnungseinbruchdiebstahls (am 07.08.2011 und am 08.08.2011). Mit - erst seit dem 09.10.2012 rechtskräftigem - Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 wurde der Kläger zudem wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009, vom 18.08.2010 bis zum 26.11.2010 und zuletzt vom 27.09.2011 bis zu seiner Abschiebung nach Mazedonien am 15.12.2011 verbüßte er Freiheitsstrafen. Weder diese Freiheitsstrafen noch andere Vorverurteilungen, laufende Ermittlungsverfahren oder der drohende Widerruf von Aussetzungen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen zur Bewährung hielten ihn von der Begehung weiterer Straftaten ab. Auch die möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen waren ihm offensichtlich keine Warnung. Selbst nach Bekanntgabe des Bescheids vom 03.01.2011, mit welchem der Kläger nicht nur ausgewiesen, sondern auch sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht worden war, wurden gegen ihn die angeführten weiteren Ermittlungsverfahren - wegen einer am 05.02.2011 begangenen "Beförderungserschleichung" und wegen des Verdachts des Wohnungseinbruchdiebstahls, der Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs u.a. am 07. bzw. 08.08.2011 - eingeleitet. Die "Rückfallgeschwindigkeit" war danach außerordentlich hoch. In den Jahren 2009 bis 2011 gelang es dem Kläger letztlich nur in Zeiten, in welchen er sich in Haft befand, mehrere Monate lang strafrechtlich unauffällig zu bleiben.
48 
Vor diesem Hintergrund war bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung und ist auch weiter jederzeit mit der Begehung erneuter Straftaten zu rechnen. Davon gehen auch die Strafgerichte aus. Bereits im Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010, mit welchem der Kläger wegen des Diebstahls von drei Flaschen Parfum zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde, wurde die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, weil dem Kläger keine positive Sozialprognose gestellt werden könne. Im Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29.03.2011 - mit welchem die Aussetzung der im Beschluss vom 10.02.2010 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen widerrufen wurde - wird dargelegt, die Freiheitsstrafe sei zur Einwirkung auf den Kläger und zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich. Auch in den erst nach Wiedereinreise des Klägers ergangenen bzw. rechtskräftig gewordenen Urteilen des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 und des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 wurde keine Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung gewährt.
49 
Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einstellung des Klägers inzwischen maßgeblich geändert haben könnte und die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten gesunken wäre, bestehen nicht. Der Kläger hat sich weder mit seinen Straftaten auseinandergesetzt noch mit seinem (früheren) Drogenkonsum. Ernsthafte Reue oder Einsicht sind weder vorgetragen noch erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, dass allein die erfolgte Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 zu einer solchen Zäsur geführt haben könnte, dass die Wiederholungsgefahr jetzt anders zu beurteilen wäre. Dagegen spricht schon der Umstand, dass er inzwischen weitere Straftaten begangen hat. Er ist am 26.06.2012 unerlaubt und mit gefälschten bulgarischen Personalpapieren wieder nach Deutschland eingereist, weshalb er mit dem bereits angeführten Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde. Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Wunsch des Klägers, Kontakt zu seinem Sohn zu bekommen und zu halten sowie die Beziehung zu seiner Verlobten wieder aufzunehmen, ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten würde. Schließlich hatten in der Vergangenheit weder die Beziehung zu seiner Verlobten noch die Vaterschaft entsprechende Auswirkungen.
50 
Bei dieser Sachlage - vor allem in Anbetracht von Anzahl sowie Art und Gewicht der vom Kläger begangenen Straftaten, seines früheren Drogenkonsums, der außerordentlich hohen "Rückfallgeschwindigkeit", der bislang gezeigten Uneinsichtigkeit und der bis heute fehlenden Tataufarbeitung - ist auch der Senat der Überzeugung, dass vom Kläger weiter eine erhebliche Gefahr der Begehung von diversen Straftaten, darunter Eigentums-, Betäubungsmittel- und auch Gewaltdelikten ausgeht. Das Regierungspräsidium hat daher zu Recht ein erhebliches öffentliches Interesse an seiner Ausweisung angenommen.
51 
b) Mit Blick auf das danach vom Kläger immer noch ausgehende Gefahrenpotential stellt die Ausweisung hier trotz seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland und seiner in dieser Zeit gewachsenen persönlichen Bindungen eine verhältnismäßige und insbesondere mit Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG vereinbare Maßnahme dar.
52 
Allerdings hat die Ausweisung gravierende Folgen für den Kläger. Dieser besitzt zwar nach rechtskräftiger Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Ziffer 2 des Bescheids vom 03.01.2011 ohnehin kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr. Die Ausweisung führt aber - ebenso wie eine Zurück- oder Abschiebung - gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258 - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011) zu einer Wiedereinreisesperre sowie einem Aufenthaltsverbot und sie steht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - in der Regel - der Erteilung eines neuen Titels entgegen (vgl. zum ganzen Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, Vor §§ 53-56 Rn 1 ff.). Die entsprechenden, durch die am 15.12.2011 erfolgte Abschiebung des Klägers nach Mazedonien ebenfalls nach § 11 Satz 1 und 2 AufenthG eingetretenen Wirkungen sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 bereits auf den 01.08.2012 befristet worden und damit beendet. Hingegen ist die Frist bezüglich der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monaten festgesetzt worden (Ziffer 1 des Bescheids, vgl. zum Beginn der Frist unten II.). Dies bedeutet für den Kläger, dass er - jedenfalls bei unveränderter Sachlage - in den nächsten Jahren nicht mehr ohne Weiteres nach Deutschland einreisen und sich hier aufhalten kann. Die Ausweisung hat daher noch weitgehendere Folgen für seine familiären und sozialen Bindungen zu in Deutschland lebenden Personen - insbesondere zu Eltern und Bruder, zu seiner Verlobten und zu seinem am 15.11.2003 geborenen Sohn - als es allein der fehlende Aufenthaltstitel und die erfolgte Abschiebung haben.
53 
Der Kläger hat sich bereits - wenn auch nicht ununterbrochen - von 1989 bis 1994 und erneut von 1998 bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 in Deutschland aufgehalten. Vom 07.06.2004 bis zum 02.09.2008 war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, im Anschluss galt sein Aufenthalt bis zur Ablehnung seines Verlängerungsantrags mit Bescheid vom 03.01.2011 als erlaubt. Er hat eine Lehre als Bäcker abschlossen und war bis Juni 2009 als Bäcker tätig. Die Eltern des Klägers und sein Bruder leben in Deutschland. Zuletzt wohnte er bei seinem Vater. Der Kläger ist - oder war jedenfalls - außerdem mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt; beide wollten noch vor der Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 heiraten. Nach der Abschiebung bestand offensichtlich kein enger Kontakt mehr; der Kläger hat aber im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 erläutert, dass er vor allem deshalb Ende Juni 2012 erneut eingereist sei, um die Beziehung wieder aufzunehmen. Seinen Sohn hat der Kläger zwar nach seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit der Mutter des Sohnes offensichtlich jahrelang nicht mehr gesehen; er hat aber kurz vor seiner erneuten Inhaftierung am 27.09.2011 ein (betreutes) Umgangsrecht erstritten, zu dessen Anbahnung beim Kinderschutzbund bereits ein Eltern-Erstgespräch stattgefunden hatte. Im Erörterungstermin am 25.07.2012 hat er dargelegt, dass ihm an einer Beziehung zu seinem Sohn gelegen sei. Er habe die Mutter angeschrieben und gebeten, einen normalen Kontakt zu ermöglichen.
54 
Da der Kläger danach nicht in einer familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn lebt und er auch seit Jahren keinen unmittelbaren Kontakt zu seinem Sohn mehr hatte, kann er sich nicht mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen und auch nicht auf das in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Familienlebens (vgl. dazu ausführlich Senatsbeschluss vom 16.08.2011 im Verfahren auf Zulassung der Berufung - 11 S 1656/11 - m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; EGMR, Urteil vom 11.07.2000 - 29192/95 InfAuslR 2000, 473). Die Ausweisung greift aber in sein Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK und in sein durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Da der Kläger inzwischen über kein Aufenthaltsrecht mehr verfügt und bereits abgeschoben wurde, kann seinen Bindungen nicht mehr dasselbe Gewicht beigemessen werden wie zu Zeiten, in denen er sich rechtmäßig hier aufgehalten hat. Selbst wenn man insoweit aber zu seinen Gunsten auf den Zeitpunkt der Ausweisung abstellen würde, ist der Eingriff in sein Privatleben hier auch in Ansehung der früheren Bindungen in Deutschland und der für ihn mit einem Leben in Mazedonien verbundenen Schwierigkeiten wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als - mit Blick auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG - verfassungsrechtlich gerechtfertigt bzw. als gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und insbesondere als verhältnismäßig anzusehen.
55 
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger offensichtlich nur in den ersten drei bis vier Lebensjahren näheren Kontakt zu seinem Kind A.R. hatte. Im Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 06.05.2011, mit welchem ihm ein betreuter Umgang eingeräumt wurde, wird ausgeführt, dass die Mutter des Kindes und der Kläger sich getrennt hätten, als A.R. drei Jahre alt gewesen sei. Eine kurze Zeit danach habe die Kindsmutter noch die Eltern des Klägers und den Kläger besucht. Danach hätten keinerlei Kontakte mehr stattgefunden. Der Kläger habe auch nach eigenen Angaben seinen Sohn nicht mehr besucht, keinen telefonischen Kontakt zu ihm gehabt, ihm keine Karten geschickt und auch keine Geschenke gemacht. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen hat der Kläger zudem viele Jahre keinen - oder zu wenig - Unterhalt geleistet. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Mutter des Kindes schon früher gegen einen Umgang des Klägers mit A.R. gewesen sein und diesen verhindert haben sollte, fällt doch auf, dass der Kläger sich erstmals nach Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und Ausweisung im Bescheid vom 03.01.2011 ernsthaft um einen Umgang mit seinem Sohn bemüht hat. Im dem danach von ihm angestrengten gerichtlichen Verfahren wegen Umgangs wurde davon ausgegangen, dass der Sohn den Kläger erst kennenlernen müsse; er sei "neugierig" auf ihn. Tatsächlich ist es dann offensichtlich nicht mehr zu einem Treffen gekommen.
56 
Soweit sich der Kläger auf sein Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen beruft, kann offen bleiben, ob diese Beziehung noch besteht. Allerdings hat er nach seiner Abschiebung im Dezember 2011 offensichtlich kaum mehr Kontakt zu seiner Verlobten gehabt; insbesondere ist es nicht zu der zunächst für Februar 2012 angekündigten Heirat gekommen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass beide weiterhin die Absicht haben, einander zu heiraten, steht dies einer Ausweisung hier in Ansehung der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ebenso wenig entgegen wie die Beziehung des Klägers zu seinen Eltern, seinem Bruder und zu in Deutschland lebenden Freunden und Bekannten.
57 
Dem Kläger ist ein Leben in Mazedonien auch zuzumuten. Er lebte nicht seit seiner Geburt, sondern erst seit November 1998 - also seit seinem 14. Lebensjahr - bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 durchgehend in Deutschland. Obwohl er sich mit seinen Eltern bereits zuvor - mit Unterbrechungen vom 28.08.1989 bis November 1994 - in Deutschland aufgehalten hat, hat er jedenfalls einen wesentlichen Teil seiner Kindheit noch im heutigen Mazedonien verbracht. Von Dezember 2011 bis zu seiner unerlaubten Wiedereinreise am 26.06.2012 hat er sich wieder dort aufgehalten. Er hat in Mazedonien Verwandte. Zwar hat er vorgetragen, er habe nicht mehr länger bei seiner Tante wohnen dürften, bei der er nach seiner Abschiebung zunächst drei Monate lang gelebt habe. Er habe dann ohne Papiere, welche man ihm beim Versuch einer Ausreise nach Serbien abgenommen habe, und in ständiger Angst vor willkürlichen Verhaftungen wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma "auf der Straße leben" müssen. Tatsächlich haben Roma in Mazedonien mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch kann zwangsweise zurückgeführten mazedonischen Straftätern oder Asylbewerbern für die Dauer von einem Jahr der Pass entzogen werden. Dies kann unter anderem zur Verweigerung einer Ausreise des Betreffenden aus Mazedonien führen (vgl. AA an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 06.08.2012). Ohne Papiere kann es außerdem zu Problemen beim Zugang zu Sozialhilfe- und Gesundheitsfürsorgeleistungen kommen (vgl. a.i. Mazedonien-Report 2012). Im Falle des 27-jährigen Klägers ist aber nicht zu erwarten, dass er ein Leben unterhalb des Existenzminimums führen müsste. Zudem könnte er sich gegebenenfalls zumindest vorübergehend von seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern und seinem Bruder unterstützen lassen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere nicht vom Bestehen eines Abschiebungsverbots auszugehen.
58 
c) Die Ausweisung ist ermessensfehlerfrei erfolgt.
59 
Das Regierungspräsidium hat die im Bescheid vom 03.01.2011 angeführten Ermessenserwägungen in mehreren Schriftsätzen, im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 und im Bescheid vom 27.07.2012 ergänzt und alle nach Erlass der Ausweisungsverfügung eingetretenen Tatsachen und Umstände, insbesondere auch das dem Kläger eingeräumte Umgangsrecht mit seinem Sohn und das Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen berücksichtigt. Bei der umfassenden Abwägung wurden alle für die Ausweisungsentscheidung relevanten Umstände eingestellt und rechtsfehlerfrei abgewogen.
60 
Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 03.01.2011, im Falle des Klägers liege keine "abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse" vor, begründen hier keinen Ermessensfehler. Allerdings kann diese - mehrfach verwendete - Formulierung Anlass zu Missverständnissen sein. Schließlich ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK unter anderem bei Ausländern eröffnet, die - wie der Kläger jedenfalls früher - wegen ihres langjährigen (rechtmäßigen) Aufenthalts in Deutschland und einer erfolgreichen Schul- sowie Berufsausbildung als "verwurzelt" anzusehen sind. Allein der Umstand, dass der Betreffende Straftaten begangen hat, bedeutet nicht, dass er sich nicht mehr auf den Schutz des Privatlebens berufen könnte. Vielmehr sind die Straftaten gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten (vgl. dazu Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.). Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid aber auch ausgegangen.
61 
Ein Ermessensfehler folgt hier auch nicht daraus, dass das Regierungspräsidium im Bescheid vom 03.01.2011 zudem darauf verwiesen hat, dass bei sehr häufigem straffälligen Verhalten ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, durch die Ausweisung andere Ausländer von ähnlichen Straftaten abzuhalten. Denn es durfte die Ausweisung des Klägers ergänzend auch mit dem Aspekt der Generalprävention begründen. Dabei kommt es hier nicht auf die Frage an, ob eine Ausweisung von in Deutschland "nachhaltig verwurzelten“ Ausländern noch (allein) tragend generalpräventiv begründet werden kann (einschränkend Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - InfAuslR 2011, 293; a.A. im Revisionsverfahren bezüglich dieses Urteils: BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Denn jedenfalls ist hier der Aspekt der Abschreckung anderer potentieller Straftäter vom Regierungspräsidium lediglich ergänzend - neben der bestehenden großen Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger - herangezogen worden. Dies lässt sich nicht beanstanden.
62 
4. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der Abschiebung im Dezember 2011 - 11 S 3155/11 - weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Regelung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG der Ausweisung hier nicht entgegensteht. Danach darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Diese Vorschrift dient der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses und nicht dem Schutz des Betreffenden vor einer Ausweisung oder Abschiebung (vgl. im Einzelnen Senatsbeschluss vom 08.12.2011 - 11 S 3155/11 - AuAS 2012, 38). Auf die Frage, ob sich der Kläger gegenüber seiner Ausweisung mit Erfolg auf das Fehlen eines nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmens berufen könnte, kommt es hier schon deshalb nicht an, weil derzeit keine entsprechenden Verfahren mehr offen sind. Soweit strafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht eingestellt worden sind, haben sie zu Anklagen geführt, über welche inzwischen in allen Fällen rechtskräftig entschieden worden ist.
II.
63 
Der Hilfsantrag des Klägers, mit welchem dieser die Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf sofort begehrt, hat lediglich teilweise Erfolg. Die vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach (erneuter) Ausreise bzw. Abschiebung ist insoweit rechtswidrig, als danach die Frist erst mit einer erneuten Ausreise oder Abschiebung und nicht bereits mit dem Erlass des Bescheids zu laufen beginnt. Der Kläger hat einen Anspruch auf entsprechende Änderung der Befristungsentscheidung; er hat jedoch keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung oder gar auf die von ihm begehrte Fristsetzung "auf sofort".
64 
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG - in der hier maßgeblichen Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 - darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (Satz 1). Ihm wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt (Satz 2). Die in den Sätzen 1 und 2 (des § 11 Abs. 1 AufenthG) bezeichneten Wirkungen werden gemäß Satz 3 auf Antrag befristet. Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Satz 4). Bei der Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt mit der Ausreise (Satz 6). Nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.
65 
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) hat - infolge der Änderung von § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - ein Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannte Wirkungen befristet. Dabei genügt für den nach dem Wortlaut des § 11 Absatz 1 Satz 3 AufenthG erforderlichen Antrag jede Willensbekundung des Antragstellers, mit welcher sich dieser gegen eine Ausweisung wendet. Der Betreffende kann dann gegebenenfalls zugleich mit Anfechtung der Ausweisung - hilfsweise - seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung gerichtlich durchsetzen (so schon BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat es über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung zu verpflichten (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, a.a.O., m.w.N.).
66 
Zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit folgt der Senat unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung (vgl. zum Antragserfordernis Senatsurteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170; vgl. auch Urteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412) dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach ist auch hier davon auszugehen, dass es für die an sich nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erforderliche Stellung eines Antrags auf Befristung genügt, dass sich der Kläger gegen die Ausweisung selbst gewandt hat.
67 
2. Die im vorliegenden Fall mit Blick auf das angeführte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2012 (- 1 C 19.11 - juris) vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 erfolgte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung ist lediglich hinsichtlich des Fristbeginns rechtswidrig.
68 
Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, m.w.N.).
69 
Nach diesen Grundsätzen lässt sich die vom Regierungspräsidium verfügte Frist im Grundsatz rechtlich nicht beanstanden. Auch der Senat erachtet eine Frist von vier Jahren und sechs Monaten - allerdings gerechnet ab dem 27.07.2012 - als angemessen.
70 
Dabei kann hier letztlich offen bleiben, ob bei der Bemessung der Frist zwingend die Zeiten "anzurechnen" sind, die der Kläger bereits nach seiner Abschiebung am 15.12.2011 bis zu seiner Wiedereinreise am 27.06.2012 außerhalb des Bundesgebiets verbracht hat. Zwar wäre dann insgesamt die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren um 12 Tage überschritten; von dieser kann hier aber abgewichen werden.
71 
Entgegen der Auffassung des Regierungspräsidiums kann die Zulässigkeit einer Überschreitung der Frist von fünf Jahren im Fall des Klägers allerdings nicht damit begründet werden, dass von diesem eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. AufenthG, vgl., auch Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie -, ABl EU Nr. L 348 vom 24.12.2008 S. 98). Denn eine solche kann wohl nur bei gravierenderen Straftaten angenommen werden. Die Grenze von fünf Jahren ist hier aber jedenfalls deshalb nicht zwingend, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 1. Alt. AufenthG). Eine andere Beurteilung folgt nicht aus der Rückführungsrichtlinie. Nach deren Art. 11 Abs. 1 gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher. Gemäß Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Zum einen stellt eine Ausweisung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170 und vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, jew. m.w.N.) aber keine Rückkehrentscheidung in diesem Sinne dar, so dass die Rückführungsrichtlinie schon deshalb insoweit nicht anzuwenden ist. Zum anderen bestimmt Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten beschließen können, diese unter anderem nicht auf solche Drittstaatsangehörigen anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind. Von dieser "opt-out-Möglichkeit" hat der Gesetzgeber bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit Gebrauch gemacht. In der Begründung zum Entwurf des Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 (Bundestags-Drucks. 17/2740, S. 4, 21) wird zur Änderung von § 11 AufenthG ausgeführt: "Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b – gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt – und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrundeliegen schwerwiegender Straftaten."
72 
Insbesondere in Anbetracht der hohen Wiederholungsgefahr, der "Rückfallgeschwindigkeit" und der erneuten Straffälligkeit des Klägers erachtet der Senat die Frist von vier Jahren und sechs Monaten ab dem 27.07.2012 auch unter Berücksichtigung des nach seiner Abschiebung bereits außerhalb des Bundesgebiets verbrachen Zeitraums und im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet für erforderlich, aber auch ausreichend. Es bleibt dem Kläger unbenommen, bei einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Sachlage, etwa seiner persönlichen Verhältnisse, einen Antrag auf weitergehende Befristung zu stellen.
73 
Die Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums ist jedoch rechtswidrig, soweit der Lauf der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG bestimmt zwar ausdrücklich, dass die Frist (erst) mit der Ausreise beginnt - wobei darunter sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Ausreise fallen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.01.2012 - 1 C 1.11 - InfAuslR 2012, 173). Eine solche liegt hier aber schon in der am 15.12.2011 durchgeführten Abschiebung des Klägers nach Mazedonien. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass diese aufgrund der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der mit dieser verbundenen Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 03.01.2011 erfolgte und keinen Vollzug der Ausweisung bzw. einer von dieser abhängigen Abschiebungsandrohung darstellte. Denn der Kläger ist damit jedenfalls unter Geltung der Ausweisungsentscheidung vom 03.01.2011 ausgereist im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG. Die Ausweisung entfaltete zu diesem Zeitpunkt bereits die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG. Dann kann der Beginn der Frist auch nach (unerlaubter) Wiedereinreise nicht mehr von einer vorhergehenden - zweiten - Ausreise abhängig gemacht werden (vgl. auch Renner, a.a.O., § 11 Rn. 25; Hamb.OVG, Beschluss vom 15.08.1991 - Bs VII 67/91 -InfAuslR 1992, 250). Es ist Sache des beklagten Landes, durch einen zeitnahen Vollzug der Ausreisepflicht das mit der Ausweisung verbundene Einreiseverbot effektiv durchzusetzen.
74 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag teilweise Erfolg hat, handelt es sich um ein geringfügiges Obsiegen, so dass ihm trotzdem die Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
75 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
76 
Beschluss vom 6. November 2012
77 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 20. April 2011 – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
78 
Gründe
79 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 03.01.2011 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (vgl. Ziff. 2) und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung (Ziff. 3). Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -juris).
80 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.05.2013 - 11 K 563/12 - geändert.

Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 24.02.2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage gegen die Verfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.01.2012 und vom 24.02.2014 abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Das beklagte Land wendet sich mit seiner Berufung gegen die Aufhebung der Verfügung, mit der das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger ausgewiesen und die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG abgelehnt hat, durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Der Kläger, der der Berufung entgegentritt, begehrt hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten zur Befristung der Ausweisung auf Null.
Der am ...1964 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist ledig und kinderlos. Sein Vater ist inzwischen verstorben, die Mutter wohnt noch in der Türkei.
Der Kläger besuchte die 5-jährige Primärschule und das Gymnasium. Ab 1988 studierte er an der Universität A... Soziologie. Im Jahre 1989 wurde er in der Türkei unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der Revolutionären Linken inhaftiert. Nach etwa einem Jahr wurde er während des laufenden Strafverfahrens zunächst entlassen und setzte sein Studium fort. Zwei Jahre später wurde er zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, worauf er sich weitere etwa drei Jahre in Haft befand, bis er aufgrund einer Amnestie der türkischen Regierung entlassen wurde. Als er erfuhr, dass er erneut wegen Strafverfolgung gesucht wurde, nämlich aufgrund des Inhalts seiner Verteidigungsrede im vorherigen Strafverfahren, befürchtete er, auch den Rest der Freiheitsstrafe von 15 Jahren verbüßen zu müssen, und floh unter Verwendung eines falschen Passes Ende 1995 nach Deutschland.
Am 20.11.1995 stellte er einen Asylantrag, der vom Bundesamt abgelehnt wurde. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11.05.2000 - 5 K 10696/96 - wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (1990) hinsichtlich der Türkei vorliegen.
Der Kläger erhielt am 29.09.2000 eine Aufenthaltsbefugnis, die bis zum 19.09.2006 verlängert wurde. Nachdem er die Verlängerung beantragt hatte, erhielt er zunächst Fiktionsbescheinigungen.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 09.10.2008 wurde die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen. Mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18.02.2009 - A 11 K 4050/08 - wurde dieser Widerrufsbescheid aufgehoben.
Die von den türkischen Behörden im Jahre 2008 beantragte Auslieferung des Klägers unterblieb, weil das Bundesministerium der Justiz dieser nicht zugestimmt hatte.
Der Kläger ist rechtskräftig wegen Urkundenfälschung, mehreren Verstößen gegen das Asylverfahrensgesetz sowie Beleidigung in zwei Fällen und versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden. Zuletzt wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009 - 18 KLs 6 Js 39617/08 - wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot nach dem Vereinsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten auf Bewährung verurteilt. Nach den dortigen Feststellungen hat der Kläger das über die DHKP-C verhängte Organisationsverbot gekannt und sich spätestens ab Juli 2006 bis 21.03.2007 als Aktivist dieser Vereinigung betätigt. Aufgrund seiner langjährigen Affinität zur „Revolutionären Linken" und der festgestellten Nähebeziehung des Klägers zum Gebietsverantwortlichen Süd der DHKP-C in Deutschland und seiner engen Verbindung zum DHKP-C Aktivisten E... G..., für den er in seiner Wohnung wichtige Unterlagen verwahrt und der ersichtlich beim Druck und Vertrieb der „Yürüyüs" eine entscheidende Rolle gespielt hat, erschien es dem Landgericht ausgeschlossen, dass der Kläger das DHKP-C-Verbot nicht gekannt hat oder dass ihm die Eigenschaft der „Yürüyüs" als Publikationsorgan der verbotenen Organisation verborgen geblieben ist, deren Vertrieb er vereinsbezogen unterstützt hat. Zugunsten des Klägers wurde davon ausgegangen, dass er persönlich die gewalttätige Komponente der Ideologie der DHKP-C nicht befürwortet und die Organisation in den letzten Jahren nicht durch Gewalttaten in Deutschland aufgefallen ist.
Der Kläger arbeitete - meist geringfügig oder untervollschichtig - für verschiedene Unternehmen im Reinigungsgewerbe. Zuletzt wurde ihm am 17.01.2007 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG befristet bis zum 16.01.2010 erteilt. Auf seine Vorsprache bei der zuständigen Ausländerbehörde erhielt der Kläger am 15.01.2010 eine Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, die letztmalig am 19.07.2011 bis zum 23.01.2012 verlängert wurde.
10 
Mit Schreiben des Beklagten vom 31.10.2011 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Ablehnung seines Antrags und zur beabsichtigten Ausweisung angehört.
11 
Mit Bescheid vom 20.01.2012, zugestellt am 23.01.2012, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt (Ziffer 2). Weiterhin wurde er verpflichtet, sich einmal wöchentlich bei dem Polizeirevier 8 in S...-... zu melden; sein Aufenthalt wurde auf das Stadtgebiet S... beschränkt (Ziffer 3). Der sofortige Vollzug der Verfügungen zu Ziffer 1 und 3 wurde angeordnet.
12 
Die Ausweisungsentscheidung wurde auf § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG gestützt. Die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 seien nicht gegeben, weil der Kläger nicht Arbeitnehmer in diesem Sinne sei, weshalb ihm eine Privilegierung nach § 14 ARB 1/80 nicht zu Gute komme. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG lägen vor, weil der Kläger die DHKP-C, eine terroristische Organisation, unterstütze. Auch die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG lägen vor. Der Ausweisung des Klägers stehe auch nicht der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG entgegen, weil die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten sei. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK stünden der Ausweisung schon deshalb nicht entgegen, weil der Kläger in keiner familiären Gemeinschaft lebe. Nach dem Grundsatz der Herabstufung sei über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden gewesen. Die danach vorzunehmende Abwägung gehe zu Lasten des Klägers aus. Die Ausweisung des Klägers verfolge general- und spezialpräventive Zwecke. Auch wenn er aufgrund seines Abschiebeschutzes zu dulden sei, sei der Erlass der Ausweisungsverfügung auf der Grundlage des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG bereits deshalb erforderlich und sinnvoll, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Der Erteilung eines Aufenthaltstitels stehe bereits die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG entgegen. Darüber hinaus sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 5 Abs. 4 AufenthG zwingend zu versagen, da die Ausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG erfüllt seien. Auch lägen keine Anhaltspunkte für eine tätige Reue nach § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vor. Die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen nach § 54a AufenthG sei aus Gründen der inneren Sicherheit erforderlich.
13 
Mit dem am 22.02.2012 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Eilantrag - 11 K 582/12 - beantragte der Kläger, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung vom 20.01.2012 wiederherzustellen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23.05.2012 wurde diesem Antrag hinsichtlich der Ziffern 1 und 3 entsprochen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Beklagten wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28.01.2013 - 11 S 1187/12 - zurückgewiesen.
14 
Der Kläger hat am 21.02.2012 „Anfechtungsklage gegen die Ausweisung“ erhoben, beantragt, den Bescheid vom 20.01.2012 aufzuheben und im Wesentlichen geltend gemacht, ihm würden Sachverhalte vorgehalten, die lange zurücklägen. Im Übrigen habe er immer bestritten und bestreite dies unverändert, zu irgendeinem Zeitpunkt die DHKP-C tatsächlich unterstützt zu haben. Er habe immer die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland respektiert und beachtet.
15 
Das beklagte Land ist der Klage entgegengetreten.
16 
Mit Urteil vom 17.05.2013 - 11 K 563/12 - hat das Verwaltungsgericht den angegriffenen Bescheid insgesamt aufgehoben. Ob der Beklagte zu Recht davon ausgegangen sei, dass dem Kläger kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen mit der Türkei zukomme, könne dahinstehen, weil jedenfalls die tatbestandlichen Voraussetzungen der vom Beklagten geltend gemachten Ausweisungsgründe gemäß § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG nicht vorlägen. Zudem habe der Beklagte von dem ihm eingeräumten Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht. Habe die Ausweisung keinen Bestand, erwiesen sich die unter Ziffer 2 und 3 des Bescheids vom 20.01.2012 getroffenen Regelungen ebenfalls als rechtswidrig.
17 
Das beklagte Land hat gegen dieses ihm am 24.05.2013 zugestellte Urteil am 07.06.2013 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Dazu hat es u.a. ausgeführt, dass es an seinen generalpräventiven Ermessenserwägungen (vgl. Ausweisungsverfügung S. 46) nicht festhalte und die Ausweisung des Klägers allein tragend auf spezialpräventive Gründe stütze. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.12.2011 (1 C 14.10) hat es die entsprechenden Ausführungen in seinem Bescheid ersetzt.
18 
Mit Beschluss vom 22.10.2013, dem Beklagten zugestellt am 28.10.2013, hat der Senat die Berufung des Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassen.
19 
Das beklagte Land hat die zugelassene Berufung am 25.11.2013 begründet und im Wesentlichen geltend gemacht, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger durch sein Verhalten die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG erfüllt. Er habe seit 1998 bis in die Gegenwart die Terrororganisation DHKP-C in qualifizierter Weise unterstützt, er sei DHKP-C-Funktionär und er gefährde die Sicherheit und die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, da
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- er 1998 und 2001 bei Polizeikontrollen zahlreiche DHKP-C-Publikationen und DHKP-C-Propagandamaterial mit sich geführt,
- 2002 an einer DHKP-C-Schulung teilgenommen habe,
- zumindest im Jahr 2006 zusammen mit dem hohen DHKP-C-Funktionär A... D... Y... für die Terrororganisation tätig gewesen sei und den A... D... Y... auch beherbergt habe und
- 2006 und 2007 am entgeltlichen Vertrieb der DHKP-C-Zeitschrift „Yürüyüs" auch überregional und ins benachbarte Ausland umfassend beteiligt gewesen sei,
- bei Durchsuchungen seiner Wohnung 2006 und 2007 sowie einer Polizeikontrolle 2007 wiederum zahlreiche Exemplare der „Yürüyüs", Lieferscheine, Adressen und Quittungen, ein Block Eintrittskarten für das DHKP-C-Europatreffen April 2007 und zwei DHKP-C-Propaganda-CD's zum DHKP-C-Todesfasten bei ihm vorgefunden worden seien,
- er regelmäßiger Besucher des DHKP-C-Tarnvereins „Anatolisches Kunst- und Kulturhaus e.V." in S... gewesen sei und an dessen Veranstaltungen teilgenommen habe und
- mit DHKP-C-Aktivisten wie E... D... und E... G... für die Terrororganisation tätig gewesen sowie
- an den DHKP-C-Parteiveranstaltungen am 10.04.2010 in Wuppertal, am 16.04.2011 in Lüttich/Belgien und am 18.12.2011 in Stuttgart teilgenommen habe.
21 
Diese Aktivitäten seien zudem vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Kläger bereits in der Türkei seit Ende der 80-er Jahre der Vorläuferorganisation Devrimci Sol angehört und diese unterstützt habe. Zu den Aktivitäten des Klägers im Einzelnen werde auf die Ausweisungsverfügung, das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und die Begründung des Zulassungsantrags verwiesen. Die dort genannten nachgewiesenen Tatsachen rechtfertigten die Schlussfolgerung, dass der Kläger die DHKP-C in qualifizierter Weise unterstütze und ihr durch strukturelle Einbindung als Funktionär angehöre. Der Kläger sei bis in die Gegenwart einvernehmlich als Funktionär mit eigenem Verantwortungsbereich in die Strukturen der DHKP-C eingebunden gewesen und fördere damit den inneren Zusammenhalt und die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele und damit deren Gefährlichkeit nicht nur in der Türkei, sondern durch Stärkung der hier befindlichen DHKP-C-Rückfront auch in der Bundesrepublik Deutschland. Dies alles sei dem Kläger nicht nur ohne weiteres erkennbar gewesen, sondern er habe auch angesichts seiner langjährigen Einbindung in die DHKP-C und ihre Vorläuferorganisation Devrimci Sol diese Terrororganisation wissentlich und willentlich unterstützt und gehöre ihr ebenso wissentlich und willentlich in gehobener Funktion an, so dass neben dem objektiven auch der subjektive Tatbestand der Art. 21 und 24 QRL i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt sei.
22 
Hinzu kämen weitere Tatsachen und Erkenntnisse aus dem strafgerichtlichen Verfahren und dem darauf beruhenden Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 -) betreffend den DHKP-C-Aktivisten und -Funktionär E... D..., die durch die dortigen Beweismittel belegt seien. So werde nach dem Strafurteil beispielhaft für eine DHKP-C-Massenschulung „eine in der Zeit vom 19. bis 30. August 2002 in Neuhausen-Schellbronn (Enzkreis) durchgeführte, als „Familientreffen" bezeichnete Veranstaltung" angeführt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 30). Weiter werde seine Mitwirkung am entgeltlichen Vertrieb der DHKP-C-Zeitschrift „Yürüyüs" zusammen mit dem DHKP-C-Funktionär A... D... Y... und den DHKP-C-Aktivisten E... D... und E... G... im Frühjahr/Sommer 2006 detailliert dargelegt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 38 und 94 ff.) und zudem darauf hingewiesen, dass es „gerichtsbekannt sei", dass es sich bei der „Yürüyüs" „um eine von der DHKP-C zur propagandistischen Verbreitung ihrer Zielsetzungen und Aktivitäten genutzte Publikation handelt", wobei das OLG Stuttgart „auch auf die überzeugenden Ausführungen im (dortigen) Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz" Bezug nehme (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 81). Zu Lasten des Klägers gingen auch die weiteren Feststellungen des Strafurteils, wonach neben E... D...-... am 28.11.2006 „- der ebenfalls im Gebiet S... für die DHKP-C agierende 'Aktivist'“ - auch der Kläger von der Polizei - schlafend in den Räumlichkeiten des Tarnvereins der Organisation in S... (S... ...) angetroffen worden sei und im Rahmen der damit einhergehenden Durchsuchungsmaßnahmen u.a. „ein USB-Stick und ein blaues Ringbuch“ aufgefunden und sichergestellt worden seien, welche „Aufzeichnungen über Abrechnungen aus dem Verkauf der Zeitschrift Yürüyüs, den Zeitraum Mai 2005 bis November 2006 betreffend" enthalten hätten, wobei im Ringbuch überdies (handschriftlich) Vermerke zu Spendengeldsammlungen in Süddeutschland eingetragen gewesen seien (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 39). Auch führe das Strafurteil aus, dass E... D... und O... zusammen mit dem seinerzeit (ebenfalls) im Gebiet S... für die DHKP-C tätigen Kläger und einer weiteren (männlichen) Person - in einem PKW von S... aus – in die Niederlande gefahren sei, nachdem der frühere Generalsekretär der DHKP-C, Dursun Karatas, dort am selben Tag (11. August 2008) verstorben gewesen sei (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 41). Von Bedeutung seien auch die Ausführungen in dem Strafurteil, „dass E... D... - u.a. zusammen mit A... T... - der Gruppierung um den (früheren) Verantwortlichen der DHKP-C im Gebiet S..., Ö... A..., angehörte" und dass „diese Einschätzung durch die nachweislichen Kontakte zwischen" E... D... „und A... T..." gestützt werde (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 99 f.). Zudem lege das Strafurteil dar, dass E... D... „auch in Unterredungen mit dem (früheren) Deutschlandverantwortlichen Ö... im November 2009 (andauernden) Kontakt mit 'A...' bestätigt und im Zuge der Berichterstattung über (vormalige organisationsinterne) Gegebenheiten im Gebiet S... ergänzende Ausführungen zu 'A...' gemacht habe, wobei aus dem Sinnzusammenhang deutlich werde, dass es sich um den Kläger handele (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 100). Wichtige Hinweise enthalte das Strafurteil auch insofern, als das Parteifest der DHKP-C in Wuppertal am 10.04.2010 erwähnt werde, „auf dem (u.a.) eine Verlautbarung der Partei bekannt gegeben wurde, in der (auch) die 'Fortsetzung des Kampfes für Sozialismus und Revolution durch die DHKP-C' thematisiert wurde" (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 45). Dies gelte entsprechend für die gerichtlichen Ausführungen zu dem am 16.04.2011 „aus Anlass des Parteigründungstags veranstalteten Jahrestreffen der DHKP-C in Lüttich/Belgien" und die am 18.12.2011 „in Stuttgart durchgeführte(n) 'Gedenkveranstaltung der DHKP-C' zum Jahrestag der 'Gefängniserstürmung' in der Türkei" (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 45; zur Bedeutung des jährlichen Parteifestes zum Gründungstag und Gedenken an die „Gefallenen der Revolution" sowie als kommerzielle Veranstaltung vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 24 f.). In dem Strafurteil wurden weiterhin neben den bis 2012 von der DHKP-C verübten Attentaten auch die DHKP-C-Anschläge seit 2012 bis in die Gegenwart sowie eine von der Terrororganisation durchgeführte interne „Bestrafungsaktion" an einer DHKP-C-Zugehörigen am 25.10.2012 angeführt. Weiter werde durch das Strafurteil der konspirative politisch-terroristische Charakter der DHKP-C-Schulung vom 19.08.2002 bis 30.08.2002 in Neuhausen, an welcher der Kläger teilgenommen habe, nachdrücklich bestätigt. Zudem belege das Strafurteil auch die bewusste und gewollte umfassende und eigenverantwortliche Beteiligung des Klägers am entgeltlichen Vertrieb in Deutschland und Europa der von der DHKP-C zur massenhaften Propagierung und Weiterverbreitung ihrer Ideologie und Aktivitäten genutzten Zeitschrift „Yürüyüs" in Zusammenarbeit mit dem hohen DHKP-C-Funktionär ...-... D... Y... und weiteren DHKP-C-Aktivisten und -Funktionären. Durch die Zugehörigkeit des Klägers zu der Gruppierung um den früheren Gebietsleiter für S... Ö... A... werde zum Ausdruck gebracht, dass seinerzeit eine strukturierte und gehobene Eingliederung des Klägers in die DHKP-C bestanden habe. Die Wichtigkeit des Klägers belege auch die Tatsache, dass der DHKP-C-Aktivist E... D... in Unterredungen mit dem früheren DHKP-C-Deutschlandverantwortlichen Ö... im November 2009 über die andauernde Verbindung zu dem Kläger berichtet und ergänzende Ausführungen zu ihm gemacht habe.
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Mit Schriftsatz vom 03.03.2014 hat das beklagte Land seine Berufungsbegründung ergänzt und weitere Tatsachen und Erkenntnisse zur qualifizierten Unterstützung und Funktionärsstellung des Klägers in das Verfahren eingebracht. Diese gingen insbesondere aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 (6 OJs 1/11) betreffend den DHKP-C-Aktivisten und -Funktionär E... D... und aus der auszugsweise beigefügten Anklageschrift des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 28.01.2014 - 2 BJs 37/11.7, 2 StE 1/14-7 - hervor und seien durch die dort erlangten Beweismittel belegt. So ergebe sich im Hinblick auf eine frühzeitige Einbindung des Klägers in das organisationsinterne Geldbeschaffungssystem bzw. den Vertrieb von Publikationen und die Befassung des Klägers mit dem Finanzwesen der DHKP-C als wichtige innerorganisatorischer Aufgabe aus einer organisationsinternen Notiz der DHKP-C-„Rückfront" in Deutschland (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 4) vom 15.12.2002, dass er bei Spendengeldsammlungen - organisationsintern konspirativ mit den Begriffen „Kampagne(n)"/„Kassette(n)" umschrieben - eingesetzt worden sei. Aus den in der OLG-Entscheidung zitierten organisationsinternen DHKP-C-Berichten vom 15.02.2002 und vom 01.02.2003 gehe hervor, dass er bereits Anfang 2002 und 2003 durch Spendengeldsammlungen zur Finanzierung der DHKP-C und deren „Rückfront" im Bundesgebiet eingebunden gewesen sei, was seinen Aktivisten- und Funktionärsrang bestätige. Hinzukomme, dass auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung bzw. Durchführung kommerzieller Veranstaltungen der DHKP-C und bereits durchgeführter oder noch durchzuführender Maßnahmen wie z. B. Reservierung von Flugtickets, Versand von Einladungen, Kauf/Versand von (Flug-)Tickets im Hinblick auf anstehende (Bühnen- bzw. Saal-) „Abende" (der „Yorum-Leute" bzw. „Kubat", „Haluk Levent") vom Kläger die Rede sei. Er sei danach im Zeitraum von Anfang 2002 bis Anfang 2003 im Gebiet S... zusätzlich mit der Vorbereitung und Durchführung kommerzieller DHKP-C-Veranstaltungen betraut gewesen, wobei die von ihm geleistete Arbeit zur Finanzierung der Terrororganisation offenbar erfolgreich verlaufen sei, da die relativ hohe Geldsumme alleine im Stadtgebiet S... in Höhe von 6043 Euro erzielt worden sei und die gute Atmosphäre sowie der gut laufende Ticketverkauf in seinem Gebiet organisationsintern gelobt worden seien. Außerdem werde der Verkauf von Tickets für der DHKP-C zuzurechnende kommerzielle Veranstaltungen zusätzlich durch die Tatsache untermauert, dass er auch einen Block Eintrittskarten für das Europatreffen der DHKP-C im April 2007 bei einer Polizeikontrolle am 21.03.2007 in Verkaufsabsicht bei sich getragen habe.
24 
Zudem habe der Kläger im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit auch Delegationen der Organisation angehört, die zu Veranstaltungen im (europäischen) Ausland entsandt worden seien, wie aus einem organisationsinternen Bericht vom 15.12.2002 hervorgehe. So habe der Kläger einer DHKP-C-Delegation angehört, die von S... aus nach Kopenhagen entsandt worden sei, wobei es sich dort wohl um eine Großveranstaltung gehandelt habe. Dieses Agieren bestätige die Einbindung des Klägers in das organisationsinterne Weisungssystem, da seine Entsendung in einer DHKP-C-Delegation von insgesamt 35 Personen nach Kopenhagen naturgemäß aufgrund einer Anordnung ihm übergeordneter DHKP-C-Führungsmitglieder stattgefunden haben müsse. Dass er weisungsgebunden für die Terrororganisation tätig gewesen sei, stehe seinem eigenen Funktionärsstatus nicht entgegen.
25 
Mit Verfügung vom 24.02.2014 hat das Regierungspräsidium die Wirkungen der Ausweisung auf 10 Jahre nach erfolgter Ausreise befristet (Ziffer 1). Hierzu hat es in Ziffer 2 bestimmt, dass, sollte der Kläger vor Fristablauf unerlaubt wieder in das Bundesgebiet einreisen, der Lauf der Frist nach Ziffer 1 während seines Aufenthalts gehemmt werde mit der Folge, dass sich das Fristende um die Zeitdauer des unerlaubten Aufenthalts verschiebe.
26 
Das beklagte Land beantragt,
27 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.05.2013 - 11 K 563/12 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
28 
Der Kläger beantragt,
29 
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise: die Wirkungen der Ausweisung auf Null zu befristen.
30 
Er erwidert auf die ihm am 02.12.2013 zugestellte Berufungsbegründung im Wesentlichen, dass es unzutreffend sei, dass er seit 1998 bis in die Gegenwart die DHKP-C in qualifizierter Weise unterstützt habe oder gar Funktionär dieser Organisation sei. Er habe eingeräumt, vor vielen Jahren an untergeordneter Stelle an der Verbreitung der in der Türkei frei erhältlichen Zeitung „Yürüyüs" beteiligt gewesen zu sein. Ansonsten werde ihm lediglich der Besuch politischer Veranstaltungen sowie die Bekanntschaft bestimmter Personen vorgehalten. Nichts anderes ergebe sich aus den Gründen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.6.2013 gegen Herrn E... D... Die vom Beklagten mitgeteilten Tatsachen ließen auch nicht die Schlussfolgerung zu, dass er die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG erfülle.
31 
Gegen die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage gegen Ziff. 2 der Verfügung bestünden keine Bedenken. Die Meldeauflage in Ziff. 3 der Verfügung sei mit Art. 33 QRL nicht vereinbar.
32 
Zur beantragten Befristung trägt der Kläger vor, aufgrund seiner Flüchtlingsanerkennung sowie der besonderen Umstände des Einzelfalles sei die Wirkung der Ausweisung „auf Null" zu befristen. Das Bundesverwaltungsgericht habe mehrfach entschieden, dass in Ausnahmefällen die Befristung der Sperrwirkung auch ohne vorherige Ausreise möglich sei. So müsse die Sperrwirkung mit sofortiger Wirkung und ohne Ausreise beendet werden, wenn die Gründe für die Freizügigkeitsbeschränkungen nicht mehr vorlägen. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG könne im Einzelfall die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung nach § 11 Absatz 1 Satz 2 AufenthG gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet sei. Der gleiche Rechtsgedanke gebiete bei einem Flüchtling, der in sein Verfolgerland nicht zurückkehren und somit auch nicht ausreisen könne, eine verkürzte Befristung, da er ansonsten lebenslänglich an die Aufenthaltsbeschränkung gebunden wäre.
33 
In den mündlichen Verhandlungen vom 06.03.2014 und vom 14.05.2014 wurde der Kläger befragt. Insoweit wird auf die Niederschriften verwiesen. In der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 erhielt der Beklagte Schriftsatzfrist zur Ergänzung und Aktualisierung seiner Ermessenserwägungen, worauf das Regierungspräsidium mit Schriftsatz vom 20.03.2014 zunächst nochmals darauf hinwies, dass die Ausweisung des Klägers aus rein spezialpräventiven Gründen erfolgt sei (vgl. RPS-Schriftsatz vom 19.07.2013, S. 17 ff., und vom 10.02.2014, S. 1), und auf die Ausweisungsverfügung sowie seine bisherigen Schriftsätze Bezug nahm, mit denen weitere sicherheitsrelevante Erkenntnisse über den Kläger ausdrücklich in das laufende Verfahren eingebracht worden seien. Zudem seien im Verlauf der mündlichen Verhandlung am 06.03.2014 zusätzliche Erkenntnisse über den Kläger bekannt geworden, da sich aus den vom Senat beigezogenen Gefangenenpersonalakten ergeben habe, dass der Kläger in der JVA R... Ende 2000 selbst an einem Hungerstreik teilgenommen habe, der maßgeblich von der DHKP-C gesteuert worden sei, und er außerdem nach den Auszügen des Vereinsregisters des Anatolischen Kunst- und Kulturhauses als einer von drei Versammlungsleitern das Protokoll über die satzungsändernde Versammlung im Jahr 2007 unterschrieben habe. Diese neuen Erkenntnisse würden ebenfalls in das hiesige Verfahren einbezogen und der Ausweisung zugrunde gelegt. An der Verwirklichung der Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG werde nicht festgehalten. Auch könne nach den vorliegenden Fakten zu den beruflichen Tätigkeiten davon ausgegangen werden, dass der Kläger keine Rechtsposition nach Art. 6 ARB 1/80 besitze (vgl. Ausweisungsverfügung S. 4 ff. und 16 ff.). Aber selbst wenn er Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte, stünde Art. 14 ARB 1/80 seiner Ausweisung nicht entgegen. In Anbetracht dieser Sachlage und der Bezugnahme in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2013 auf den Schriftsatz vom 03.03.2014 letzter Absatz Ziffer 4 (vgl. Niederschrift S. 5 und 6) ergänzte das Regierungspräsidium seine Ermessenserwägungen. Hinsichtlich des Inhalts dieser Ergänzung wird Bezug auf den Schriftsatz vom 20.03.2014 genommen. Das Regierungspräsidium hat nicht mehr daran festgehalten, dass die Ausweisung erforderlich sei, um die Überwachungsmaßnahmen des § 54a AufenthG auszulösen. Sie sei jedoch weiterhin bereits deshalb sinnvoll, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Diese zwingenden gesetzlichen Rechtsfolgen entsprächen eher als diejenigen der §§ 12 und 61 AufenthG dem Charakter der schwerwiegenden Ausweisungsgründe des § 54 Nr. 5 AufenthG. Art. 33 QRL 2011/95/EU stehe der Verhängung von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen gemäß § 54a AufenthG gegenüber Personen mit internationalem Schutz nicht entgegen. Aber selbst wenn § 54a AufenthG aufgrund des Art. 33 QRL nicht zur Anwendung gelangen könnte, bestünde doch eine wesentliche Funktion der Ausweisung darin, ein mögliches Recht aus Art. 6 ARB 1/80 zu beseitigen. Weiterhin wäre die Ausweisung auch dann nicht unverhältnismäßig, wenn das Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG dauernden Bestand hätte, da die Frage, welches Gewicht den Gefahrenlagen zukomme, maßgeblich von den Ausweisungsgründen abhänge. Schließlich ergebe sich selbst bei Außerachtlassung der Veranstaltungsteilnahme vom 18.12.2011 aus der Teilnahme des Klägers an der DHKP-C-Parteiveranstaltung vom 16.04.2011 ein vergleichbarer Gegenwartsbezug.
34 
In Erwiderung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, von seiner Person gehe keine "schwerwiegende" Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von Art. 11 Abs. 2 S. 2 RFRL aus. Hieran ändere auch nichts die Tatsache, dass er in der Justizvollzugsanstalt R... Ende 2000 an einem dreitägigen Hungerstreik wegen der Haftbedingungen für politische Gefangene in der Türkei teilgenommen habe. Er habe sich für den Hungerstreik aus einer persönlichen Entscheidung heraus entschlossen und sich aus humanitärer Solidarität gegenüber den politischen Gefangenen aus unterschiedlichen politischen Gruppierungen in der Türkei an dem Hungerstreik beteiligt. Auch seine Unterschrift unter einem Protokoll über die satzungsändernde Versammlung im Jahr 2007 hinsichtlich des anatolischen Kunst- und Kulturhauses ergebe insofern keine weiteren Anhaltspunkte. Der betreffende Verein sei niemals verboten worden.
35 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Klageakte und Berufungsakte, den Akten zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (VG Stuttgart 11 K 582/12 und den Beschwerdeakten des Senats 11 S 1187/12), den Verwaltungsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart, den Akten des Bundesamts (E 2048283-163, 5263257-163), den Gefangenen-Personalakten der JVA R... (00/02252/0), den Ermittlungsakten der StA München (6 Js 39617/08) und den Strafakten des Landgerichts Stuttgart (18 KLs 6 Js 39617/08). Weiterhin wurden in das Verfahren eingeführt die Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15.07.2010 - 6 - 2 StE 8/07 - a - und vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 -, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.02.2012 - 3 StR 243/11 -, die Bundesverfassungsschutzberichte 2010, 2011, 2012, die Verfassungsschutzberichte Nordrhein-Westfalen 2010, 2011, 2012, die Verfassungsschutzberichte Baden-Württemberg 2010, 2011, 2012 und die Search Results aus der Global Terrorism Database zu den Anschlägen der DHKP-C, Dev Sol und Dev Genc vom 21.04.1992 bis 11.12.2012 sowie der Auszug aus dem Vereinsregister zur Registernummer VR 7184 des Amtsgerichts Stuttgart - Registergericht - vom 05.03.2014. Die beigezogenen Akten und die in das Verfahren eingeführten Urteile und sonstigen Erkenntnismittel waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
36 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des beklagten Landes hat Erfolg.
A.
37 
Soweit sich die Berufung des Beklagten gegen die Aufhebung der Ziffer 2 ihrer Verfügung vom 20.01.2012 richtet, hat sie bereits deswegen Erfolg, weil - soweit die Ziffer 2 der Verfügung überhaupt Gegenstand des Klageverfahrens war (I.) - die erhobene Anfechtungsklage insoweit unzulässig ist (II.).
I.
38 
Der Kläger hat am 21.02.2012 „Anfechtungsklage wegen Ausweisung“ erhoben, ohne den angegriffenen Bescheid vorzulegen. Die Begründung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Sachverhaltswiedergabe und die Würdigung, dass die Verfügung rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze. Der schriftsätzliche Klageantrag war gerichtet auf die Aufhebung der Verfügung vom 20.01.2012. Die hierzu vorgelegte Vollmacht war wegen „Ausweisung“ erteilt worden. Späteres Klagevorbringen befasst sich ausschließlich mit den angeschuldigten Aktivitäten für die DHKP-C. Hiervon ausgehend, ist nicht erkennbar, dass die erhobene Klage auch die Ziffer 2 der Verfügung erfassen sollte. Der Kläger hat auch nicht dazu vorgetragen, dass ihm von der Wirkung der Ausweisung abgesehen der abgelehnte Aufenthaltstitel zustünde und hätte erteilt werden müssen. Unerheblich ist, ob der Kläger die Ablehnung der Verlängerung ausdrücklich - anders als die Ausweisung - hinnehmen wollte oder diese weitere Entscheidung in der Verfügung aus den Augen verloren bzw. ihre selbständige Bedeutung verkannt hat. War das Klagebegehren damit - aus welchen Gründen auch immer - lediglich auf die Aufhebung der Ausweisung gerichtet, kann die Anfechtungsklage auch im Wege der sachdienlichen Auslegung nicht zugleich als Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten Verlängerung behandelt werden. Denn nach § 88 VwGO ist das Gericht nicht an die Formulierung des Klageantrags gebunden, wohl aber an das Klagebegehren, das sich aus dem gesamten Klagevorbringen ergibt.
II.
39 
Geht man ungeachtet dessen zugunsten des Klägers davon aus, dass der auf Aufhebung der Verfügung gerichtete Antrag auch die Ziffer 2 der Verfügung betroffen hatte, wäre das Klageziel vom Verwaltungsgericht falsch bestimmt worden. Denn dieses hatte den Klageantrag nicht nur in der mündlichen Verhandlung und dementsprechend im Tatbestand ausschließlich als Anfechtungsantrag aufgenommen, sondern auch, wie sich aus der bloßen Aufhebung der Ziffer 2 ergibt, nicht im Sinne eines rechtlich gebotenen Verpflichtungsbegehrens beschieden. Denn es hat offenbar in der Annahme, dass der Kläger durch den mit Klageerhebung angekündigten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten Aufhebungsantrag ein solches Klageziel festgelegt hat, auch zu Ziffer 2 der Verfügung ein Aufhebungsurteil erlassen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40 
Soweit das wahre Klageziel damit teilweise verkannt worden sein sollte, weil der Kläger trotz des als Anfechtungsantrag schriftsätzlich formulierten und protokollierten Klageantrags hinsichtlich der Ziffer 2 eigentlich ein Verpflichtungsbegehren verfolgen wollte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1966 - VIII C 30.66 - juris), stellt das Urteil kein Teilurteil dar, sondern leidet an einem Verfahrensfehler, weil das Gericht gem. § 88 VwGO an das Klagebegehren gebunden war. Wurde der Verpflichtungsanspruch dabei rechtsirrtümlich nicht beschieden, weil er nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht rechtshängig war, liegt kein Übergehen im Sinne des § 120 VwGO vor, so dass dieser Verfahrensfehler mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen innerhalb der gegebenen Frist geltend zu machen gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - und Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - jeweils juris). Mit Ablauf der Frist des hierfür gegebenen Rechtsmittels endet die Rechtshängigkeit in Bezug auf das rechtsirrtümlich nicht beschiedene Begehren (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - a.a.O.). Übergeht ein Gericht einen gestellten Antrag versehentlich, so erlischt die Rechtshängigkeit insoweit mit Ablauf der Ergänzungsantragsfrist des § 120 Abs. 2 VwGO. Im Ergebnis wäre die Rechtsfolge hier in beiden Fällen die gleiche, weil die Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO längst abgelaufen ist und der Kläger die Entscheidung weder mit dem Zulassungsbegehren angegriffen hat, das beklagte Land auch zur Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG zu verpflichten, noch, nachdem auf den Antrag des Beklagten die Berufung zugelassen worden war, innerhalb eines Monats (§ 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO) nach der am 02.12.2013 erfolgten Zustellung der Berufungsbegründung Anschlussberufung eingelegt hat. Damit ist auch dann, wenn das Klageziel des Klägers ursprünglich ein Verpflichtungsbegehren auf Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG umfasst hat, dieses jedenfalls nicht mehr anhängig und damit nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Es bleibt hinsichtlich der Ziffer 2 der Verfügung damit im Berufungsverfahren, in dem allein der Beklagte Berufungsführer ist und deshalb eine Klageänderung mit dem Ziel der Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zugunsten des Klägers nach Ablauf der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2006 - VII ZR 73/04 - juris zu § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO), bei der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten und beschiedenen isolierten Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der beantragten Verlängerung. Diese Klage ist unzulässig.
41 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich (nur) durch eine Verpflichtungsklage ("Versagungsgegenklage") zu erstreiten ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Die Rechtsprechung erkennt dabei an, dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so überhaupt oder besser abgewendet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 09.03.1982 - 9 B 360.82 - DÖV 1982, S. 744 und Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171). In derartigen Fällen besteht ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine (isolierte) Anfechtungsklage. Dazu zählt etwa die isolierte Anfechtung der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn die beklagte Ausländerbehörde zwischenzeitlich nicht mehr zuständig ist, oder die isolierte Anfechtung der Einstellung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt wegen angeblichen Nichtbetreibens des Verfahrens (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - m.w.N., juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.08.2009 - 1 C 30.08 - BVerwGE 134, 335 und vom 05.09.2013 - 10 C 1.13 - juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die Ausnahmefälle zutreffend zusammengefasst dahin umschrieben werden können, dass eine isolierte Anfechtung stets dann nicht am Vorrang der Verpflichtungsklage scheitert, wenn sich das Verpflichtungsbegehren erledigt hat oder der Kläger jedenfalls den Verwaltungsakt nicht mehr erstrebt, die Ablehnung aber eine selbständige Beschwer enthält. Es sei aber in jedem Fall zu beachten, dass die Zulassung einer isolierten Anfechtung nicht zu einer Umgehung von spezifisch für die Verpflichtungsklage geltendem Verfahrensrecht führen dürfe wie beispielsweise der Unanwendbarkeit des § 113 Abs. 3 VwGO und zudem zu berücksichtigen sei, dass die Beschränkung auf eine isolierte Anfechtung - bei Abweisung der Klage - zu einem endgültigen Rechtsverlust ohne gerichtliche Sachprüfung führen kann. Das ergebe sich notwendig daraus, dass eine isolierte Anfechtung nur Sinn hat und den Vorrang der Verpflichtungsklage wahre, wenn auch die gerichtliche Prüfung auf die geltend gemachten isolierten Anfechtungsgründe beschränkt bleibe. Die noch weitergehende allgemeine Zulassung der isolierten Anfechtungsklage anstelle der Verpflichtungsklage, die zugleich mit einer Vollprüfung auch aller materiellen Anspruchsvoraussetzungen verbunden sein solle, widerspräche dem gesetzlichen Rechtsschutzsystem und wäre im Hinblick auf die Wiedereröffnung des Rechtswegs - nach einer Stattgabe der Klage, die das Verpflichtungsbegehren praktisch in die Verwaltung zurückverweise - mit dem Grundsatz der Prozessökonomie schwerlich zu vereinbaren (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - juris).
42 
Nach diesen Grundsätzen ist die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 2 der Verfügung unzulässig. Hier konnte die Klage nicht auf isoliert geltend gemachte Anfechtungsgründe beschränkt werden. Eine Aufhebung wäre vielmehr nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn alle Voraussetzungen für die Titelerteilung geprüft und bejaht worden wären, was prozessual zur Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung hätte führen müssen. Die vorliegende Aufhebung stellt damit eine unzulässige Zurückverweisung an die Verwaltung dar. Vor diesem Hintergrund könnte auch eine selbständige Beschwer der Ablehnungsentscheidung die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage nicht begründen. Zudem kann eine solche nicht in der hierdurch bedingten Beendigung der Fiktionswirkung gesehen werden. Hieraus lässt sich, entgegen der Ansicht des Klägers, kein schützenswertes Interesse an der isolierten Aufhebung einer Ablehnungsentscheidung ableiten. Vielmehr spricht schon die gesetzliche Begrenzung der Fiktionswirkung auf die Zeit bis zur Entscheidung der Ausgangsbehörde, die auch im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht verlängert wird, dagegen, deren Wegfall nach Abschluss des Verfahrens als eigenständige Beschwer einer Ablehnungsentscheidung anzusehen. Die Fiktionswirkung vermittelt auch bis zu diesem Zeitpunkt eine nur vorläufige und rein verfahrensrechtliche Position (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris), die die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO bis zum Ergehen des Bescheids erübrigt und die sicherstellt, dass der Antragsteller durch die verspätete Entscheidung über seinen Antrag nicht schlechter gestellt, wird, als wenn die Behörde alsbald entschieden hätte (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris). Diese Funktion der Fiktionswirkung schließt aber nicht nur die Verfestigung des Aufenthalts aufgrund dieser verfahrensrechtlichen Position aus, sondern auch ein rechtlich schützenswertes Interesse daran, eine endgültige Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens des Anspruchs auf den erstrebten Aufenthaltstitel hinauszuzögern, um diese lediglich den status quo während des Verwaltungsverfahrens sichernde Position möglichst lange aufrecht zu erhalten. Vielmehr besteht bei Verfahren zur Klärung des Aufenthaltsstatus - ebenso wie bei sonstigen Statusverfahren - das schützenswerte private Interesse allein an einer zügigen abschließenden Klärung und der Beendigung eines Schwebezustands.
B.
43 
Die Berufung des Beklagten ist auch bezüglich der Aufhebung von Ziffer 1 und Ziffer 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.01.2012 begründet. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung (I.), der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung (II.) sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten kürzeren Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf Null (C.) ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
I.
44 
Die unter Ziffer 1 des Bescheids vom 20.01.2012 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig.
45 
Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 54 Nr. 5, 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 55 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Nach dieser Vorschrift liegt ein Ausweisungsgrund vor, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Dabei gilt sowohl für das Tatbestandsmerkmal "Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt" als auch für das Vorliegen von Indiztatsachen, die den Schluss auf eine Zugehörigkeit des Ausländers zu der Vereinigung oder ihre Unterstützung rechtfertigen, der normale Beweismaßstab der vollen gerichtlichen Überzeugung. Der reduzierte Beweismaßstab, wonach diese Tatsachen eine entsprechende Schlussfolgerung lediglich rechtfertigen, nicht aber zur vollen gerichtlichen Überzeugung beweisen müssen, bezieht sich nur auf die Frage, ob der betroffene Ausländer der Vereinigung tatsächlich angehört oder sie individuell unterstützt (hat) (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris).
46 
1. Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus in diesem Sinne, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da § 54 Nr. 5 AufenthG der präventiven Gefahrenabwehr dient und die Eingriffsmöglichkeiten des Aufenthaltsrechts auch die Vorfeldunterstützung durch so genannte Sympathiewerbung erfasst (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 a.a.O.).
47 
Die DHKP-C ist eine Vereinigung in diesem Sinne. Die DHKP-C ist eine Nachfolgeorganisation der 1970 gegründeten THKP-C, aus der im Jahre 1978 die Devrimci Sol (deutsch: Revolutionäre Linke, kurz: Dev Sol) entstand, die darauf ausgerichtet war, in der Türkei durch Anwendung revolutionärer Gewalt einen politischen Umsturz herbeizuführen und eine Gesellschaftsordnung nach marxistisch-leninistischem Muster zu errichten. Im Jahre 1980 wurde die Dev Sol in der Türkei verboten. Mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 27.01.1983 wurde die Dev Sol nebst zugehöriger Teilorganisationen auch in Deutschland bestandskräftig verboten. Die DHKP-C wurde am 13.08.1998 in das Verbot einbezogen. Nach der ab 1992 infolge innerorganisatorischer Meinungsverschiedenheiten und persönlicher Auseinandersetzungen einsetzenden (Auf-)Spaltung der Dev Sol in zwei konkurrierende und sich gegenseitig bekämpfende Gruppierungen (sog. „Karatas-/Yagan-Flügel“) konstituierten sich die Anhänger des „Karatas-Flügels“ auf einem vom 30.03.1994 bis 09.05.1994 abgehaltenen Parteigründungskongress in Damaskus zur DHKP-C als Zusammenschluss der Revolutionären Volksbefreiungspartei (DHKP) und der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKC). Es wurden ein Parteiprogramm und Satzungen für die DHKP bzw. DHKC sowie Grundsatzbeschlüsse, in denen die Leitlinien der DHKP-C verbindlich festgelegt wurden, verabschiedet. Als Gründungstag wurde das Datum der (Partei-)Kongresseröffnung (30.03.1994) festgelegt (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Ihre Zielsetzung ist die Herbeiführung einer Weltrevolution und der Sturz des Imperialismus, wobei nach der Parteiprogrammatik der DHKP-C Aktivitäten und bewaffneter Kampf nicht nur in der Türkei, sondern grundsätzlich auch in anderen Staaten zu erfolgen haben (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
48 
Außerhalb der Türkei hat sich die DHKP-C insbesondere in zahlreichen westeuropäischen Ländern sowie in Südosteuropa, organisationsintern als „Rückfront“ bezeichnet, strukturell verfestigt. Die an der „Rückfront“ in Europa für die DHKP-C Agierenden sind den Führungsorganen unterstellt, die sich ebenfalls überwiegend im europäischen Ausland aufhalten, und in die hierarchischen Strukturen der (Gesamt-)Organisation eingebunden sind. Ziel und Aufgabe der in den genannten Staaten errichteten Organisationseinheiten ist es, die Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes in der Türkei zu fördern. Die „Rückfront“ der DHKP-C ist für die Verwirklichung der Zielsetzungen dieser Vereinigung von herausragender, zentraler Bedeutung und unverzichtbar. Innerhalb der „Rückfront“ ist Deutschland aufgrund der hohen Anzahl der hier lebenden türkischstämmigen Personen, deren finanzieller Möglichkeiten und des daraus resultierenden Potentials zur personellen und materiellen Unterstützung von Aktivitäten der DHKP-C in der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet dieser Organisation. Diese ist bestrebt, die im Bundesgebiet ansässigen Personen mit türkischem Migrationshintergrund zur aktiven Mitarbeit in der DHKP-C, mindestens aber zur finanziellen Förderung ihrer Partei- und Frontarbeit zu veranlassen. Im Jahre 2008 waren der DHKP-C bundesweit etwa 650 Personen zuzurechnen, die sich in unterschiedlicher Weise und Funktion an der Rückfront für diese Organisation betätigten (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Diese Zahl ist stabil und weiterhin gültig (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
49 
Die DHKP-C führt ihren bewaffneten Kampf auch unter Einsatz terroristischer Anschläge und Attentate. Unter Zugrundelegung der Einträge und des unten dargestellten Diagramms aus der Global Terrorism Database des National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism, einem Center of Excellence of the U.S. Department of Homeland Security, University of Maryland waren die terroristischen Aktivitäten der Dev Sol und ihrer Nachfolgeorganisation der DHKP-C in der Türkei in den Jahren von 1988 bis 1995 besonders hoch. 1995 übten sie auch terroristische Anschläge in Wien und in Köln aus und 1996 auch in den in den Niederlanden. Seit 1999 agiert die DHKP-C in Europa gewaltfrei. Auch in der Türkei ebbten bis 2003 zunächst die Aktivitäten ab. Jedoch kam es dort weiterhin bis 2001 zu ein bis drei terroristischen Anschlägen pro Jahr.
50 
2001 wurden drei Anschläge auf die Istanbuler Polizei verübt. Beim letzten am 10.09.2001 handelte es sich um einen Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in Istanbul(-Taksim) durch das Frontmitglied U. Bülbül, bei dem zwei Polizeibeamte und ein Tourist getötet sowie mehrere Personen verletzt wurden.
51 
Am 20.05.2003 explodierte in einem Café in Ankara-Cankaya eine Bombe, welche Sengülül Akkurt bei der Vorbereitung einer so genannten Aufopferungsaktion in einem Gürtel an ihrem Körper befestigt hatte, um einen Anschlag auf das türkische Justizministerium durchzuführen. Bevor die Selbstmordattentäterin ihr Ziel erreicht hatte, kam es zur vorzeitigen Detonation der Sprengvorrichtung. Die 26-jährige Akkurt wurde dabei getötet. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden.
52 
Am 03.06.2003 verübte eine sogenannte Aufopferungseinheit der DHKP-C mittels einer ferngezündeten (Splitter-)Bombe in Istanbul einen Anschlag auf einen (Service-)Bus der türkischen Justizbehörden, in dem sich Richter und Staatsanwälte des Staatssicherheitsgerichts befanden. Durch die Explosion mit Schrapnell- und Druckwirkung wurden insgesamt sieben Fahrzeuginsassen leicht verletzt. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden an mehreren Kraftfahrzeugen. Der Explosionsort befand sich an einer stark frequentierten Küstenstraße, auf der zum Tatzeitpunkt sehr dichter Verkehr herrschte.
53 
Am 29.04.2009 kam es in der Rechtsfakultät der Bilkent Universität Ankara zu einem versuchten Selbstmordanschlag auf den ehemaligen türkischen Justizminister H. Sami Türk. Dieser blieb unverletzt, da es der 25-jährigen Attentäterin, Didem A., die vier Kilogramm TNT sowie eine Pistole nebst Munition mit sich führte, nicht gelang, den Sprengsatz zur Explosion zu bringen bzw. von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...).
54 
Bei diesen auch in dem genannten Register aufgenommenen Anschlägen der DHKP-C handelt es sich um dieser mit Sicherheit zurechenbare terroristische Anschläge. Es gab im Jahre 2003 und auch in den nachfolgenden Jahren bis 2007 weitere Aktionen, die dieser Organisation zugerechnet werden, wie sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - in Sachen E... D... (rechtskräftig seit dem 22.01.2014) ergibt. Maßgeblich ist aber, dass diese Organisation nie - und damit auch nicht in den Jahren 2004 bis 2008 - von dem Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele abgerückt ist, was auch in der erneuten Zunahme auch terroristischer Anschläge ab 2012 deutlichen Ausdruck findet.
55 
Das Oberlandesgerichts Stuttgart hat in seinem Urteil vom 18.06.2013 (6 OJs 1/11) ausgeführt:
56 
„Nachdem im Sommer 2011 die frühere Europaverantwortliche der DHKP-C, Gülaferit Ünsal („Gülsen“), in Griechenland festgenommen und drei Monate später in der Wohnung eines - bei der Herstellung einer unkonventionellen Spreng-/Brandvorrichtung (USBV) zu Tode gekommenen - „DHKP-C-Aktivisten“ in Thessaloniki von Sicherheitskräften ein umfangreiches Waffen-/Sprengstofflager sichergestellt worden war, wurde im Mai 2012 organisationsintern (in der Zeitschrift Devrimci Sol - hierzu mehr bei C. II. 3. -) zu einer intensivierten Fortsetzung des bewaffneten Kampfs aufgerufen. Ab Mitte Juni 2012 kam es daraufhin in der Türkei im Zuge einer „Anschlagsoffensive“ zu - in dichter Folge verübten - Anschlägen, Selbstmordattentaten durch „Kämpfer“ der DHKP-C sowie einer (organisationsinternen) „Bestrafungsaktion“. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Vorgänge:
57 
- Am 12. Juni 2012 verübten zwei Angehörige der DHKP-C einen Sprengstoffanschlag auf eine Istanbuler Polizeidienststelle; einer der (beiden) Täter (Erdal Dalgic) wurde verletzt festgenommen und verstarb kurze Zeit später;
- am 15. Juni 2012 schoss ein Organisationsmitglied in Istanbul - (u. a.) in der Absicht, den Tod Dalgics zu „rächen“ - auf einen Polizeibeamten (M... S. Y...); dieser erlitt mehrere Schussverletzungen, darüber hinaus wurde bei dem Vorgang eine weitere Person (durch einen Querschläger) getroffen und (leicht) verletzt;
- am 16. Juni 2012 überfielen bewaffnete „Kämpfer“ der DHKP-C in Istanbul auf offener Straße ein „Polizeiteam“; ein Polizeibeamter (Z... Y...) wurde erschossen; ein weiterer Polizist sowie ein Zivilist erlitten jeweils Verletzungen;
- am 20. Juli 2012 erschossen der Kommandant einer Kampfeinheit, Hasan S. Gönen, und die ihn begleitende Sultan Isikli in Istanbul bei einer Fahrzeugkontrolle zwei (Polizei-)Beamte; Gönen konnte (schwer verletzt) festgenommen werden und verstarb tags darauf;
- am 11. September 2012 verübte Ibrahim Cuhadar, ein „Selbstmordkämpfer“ der DHKC, ein Attentat auf eine Polizeiwache in Istanbul (-Gazi); neben dem Attentäter wurde ein Polizist getötet; sieben weitere Personen erlitten Verletzungen;
- am 25. Oktober 2012 verletzten „Kämpfer“ der DHKP-C das (frühere) Organisationsmitglied A... A..., die des Verrats bezichtigt worden war, mittels eines Kopfschusses im Rahmen einer Bestrafungsaktion;
- am 8. Dezember 2012 kam es durch zwei „Kämpferinnen“ der Organisation zu einem, mittels Handgranaten durchgeführten, Anschlag auf ein Polizeirevier in Istanbul; zwei Polizeibeamte wurden verletzt; eine Täterin (N... A...) konnte festgenommen werden;
- am 11. Dezember 2012 töteten Mitglieder der DHKP-C in Istanbul einen uniformierten Polizeibeamten. Im Zuge der Ausführung dieses Anschlags wurden überdies drei Passanten verletzt, die versucht hatten, die Tatausführung zu verhindern;
- am 1. Februar 2013 verübte Ecevit (Alisan) Sanli, ein vormals unter dem Decknamen „Yücel“ als Gebietsverantwortlicher der DHKP-C in Berlin agierender „Märtyrerkämpfer“, einen Selbstmordanschlag auf das Gebäude der US-Botschaft in Ankara. Neben dem Attentäter wurde ein türkischer Sicherheitsbeamter (Mustafa Akarsu) getötet; zwei weitere Personen wurden verletzt;
- am 19. März 2013 führten „Kämpfer“ der Organisation Anschläge auf das türkische Justizministerium sowie die (General-) Zentrale der AK-Partei in Ankara aus und brachten im Zuge dessen neben zwei Handgranaten auch eine Panzerfaust („LAW/LAV“) zur Explosion. Eine Person wurde leicht verletzt“.
58 
Die hier genannten terroristischen Anschläge und Selbstmordattentate vom 12.06., 11.09., 08.12. und 11.12.2012 werden ebenfalls in der GT-Datenbank aufgeführt, aus der für die Folgejahre 2013 und 2014 noch keine Daten abrufbar sind.
59 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse war die DHKP-C (sowie ihre Vorgängerorganisation Dev Sol) als eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG anzusehen und ist dies auch weiterhin, weil sie seit Gründung ihrer Vorgängerorganisation der Dev Sol im Jahr 1978 ihre Ziele jedenfalls auch mit terroristischen Mitteln verfolgt. Dies steht für den Senat in Übereinstimmung mit der strafrechtlichen Beurteilung des Bundesgerichtshofs fest, wonach es sich um eine Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris), handelt.
60 
Diese Einschätzung wird auch dadurch bestätigt, dass die DHKP-C bereits seit 2002 in der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste terroristischer Organisationen (Ratsbeschluss 2002/460/EG vom 17.06.2002) aufgeführt wird (vgl. zuletzt Ziff. 2.23 des Anhangs zum Beschluss 2014/72/GASP des Rates vom 10.02.2014).
61 
2. Der Kläger ist seit vielen Jahren Anhänger der DHKP-C und fördert diese, nachdem er bereits für die Dev Sol tätig war, zumindest als ein in dieser Organisation seit ihrer Gründung verwurzelter Aktivist.
62 
a) Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen DHKP-C - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (siehe BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris jeweils m.w.N.).
63 
b) Nach diesen Maßstäben sind hier die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere der strafgerichtlichen Urteile, liegen jedenfalls Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger, der schon 1989 für die 1978 gegründete Dev Sol aktiv war, seit seiner Einreise ins Bundesgebiet Ende 1995 die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation unterstützt (siehe zum reduzierten Beweismaß für das Unterstützen der Vereinigung durch den Ausländer BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris Rn. 15). Es spricht sogar viel dafür, dass der Kläger seit ihrer Gründung im Frühjahr 1994 in Damaskus Mitglied der DHKP-C und damit Mitglied einer Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist, worauf es jedoch nicht entscheidend ankommt.
64 
Hintergrund für seine Ausreise aus der Türkei im Jahre 1995 und sein Asylgesuch im Bundesgebiet war u.a., dass der Kläger am 31.08.1993 zusammen mit E... Ö... in der Türkei vor Gericht gestanden hatte. Sie hatten dort ihre linken Hände erhoben und gerufen: „Die Strafe kann uns nicht erschüttern, wir sind im Recht und werden gewinnen, Kurdistan wird dem Faschismus zum Grabe“ (bestätigt durch die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 24.03.2000 an das Verwaltungsgericht Stuttgart im Verfahren A 5 K 10696/96). Deshalb war er nach seinen Angaben zu einem Jahr Haft verurteilt worden, die er nicht angetreten hat.
65 
Nach den Erkenntnissen in den Behördenakten wurde er 1998 in Begleitung des M... B..., des damaligen Vereinsvorsitzenden des Anatolischen Kunst- und Kulturhauses, mit DHKP-C-Zeitschriften angetroffen.
66 
Ab 04.12.2000 trat der Kläger ausweislich der Gefangenenakte in der JVA R... in Hungerstreik. Der Kläger hat hierzu in seiner schriftlichen Erklärung vom 01.12.2000 angegeben, dass er in Hungerstreik trete, um den Bau der Typ-F-Gefängnisse zu stoppen und aus Solidarität mit 12 Gefangenen, die 1996 bei einem Hungerstreik gestorben, und 10 politischen Gefangenen, die 1999 in der JVA Ankara zu Tode gefoltert worden seien. In der Türkei seien mehr als 1000 Gefangene in Hungerstreik getreten, in diesem Jahr seien mehrere Gefängnisse beteiligt; um diese zu unterstützen, trete er ab 04.12.2000 in Hungerstreik. Die Aktion hatte in der Türkei am 20.10.2000 unter Beteiligung der DHKP-C, TKP(ML) und TKIP begonnen.
67 
2001 wurde bei ihm nach den Erkenntnissen in den Behördenakten zahlreiches Propagandamaterial für die DHKP-C aufgefunden. Dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009 liegen folgende Feststellungen zugrunde, die sich der Senat zu eigen macht:
68 
„Der Kläger hat z.B. den ihm übergeordneten DHKP-C-Funktionär A... Y...-... - Gebietsverantwortlicher für Süddeutschland mit den Decknamen „Emmi", „Kamil" und „Rüstern" - als Besucher aufgenommen, den Kontakt zwischen diesem führenden DHKP-C-Funktionär und anderen Anhängern der Organisation gehalten und den E... G..., einen wichtigen Aktivisten der verbotenen Vereinigung, im Interesse der DHKP-C-Organisation beim regionalen, aber auch beim überregionalen Vertrieb der Zeitung „Yürüyüs", auch in Bezug auf das nähere europäischen Ausland unterstützt. Der Kläger vereinbarte mit A... Y..., mit dem er jedenfalls seit 05.07.2006 per Mobiltelefon in Verbindung stand, Treffen in der S... ... x in S... im dortigen Anatolischen Kultur- und Kunsthaus, von A... Y... wurde er über sein Mobiltelefon zu verschiedenen Veranstaltungen bzw. Versammlungen eingeladen, wurde von ihm beauftragt, andere Personen zu Treffen und Versammlungen hinzuziehen und erhielt überdies weitere Anweisungen und Hinweise auf von diesem für wichtig erachtete Medienereignisse. Im Übrigen kündigte A... Y... per Handy auch seinen Besuch beim Kläger an. Mehrmals - mindestens 3 mal - holte der Kläger - abwechselnd mit anderen Aktivisten der Vereinigung - zwischen August 2006 und 19. März 2007 bei der Offsetdruckerei ... in ... bei ..., ...-...-... x, jeweils mindestens 150 Exemplare (insgesamt also wenigstens 450 Stück) der DHKP-C-Wochenzeitschrift „Yürüyüs" ab, um sie im Interesse der verbotenen Vereinigung der Weiterverbreitung im regionalen Bereich zuzuführen oder sie selbst zu verteilen. Die Druckerei ... hatte im fraglichen Zeitraum bis zur Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 die Ausgaben 63 bis 95 (also insgesamt 33 Ausgaben) der weiterhin wöchentlich erscheinenden Zeitschrift nach der Kontaktierung und Auftragsvergabe durch A... Y... gemeinsam mit E... G... im Mai 2006 ab August 2006 in einer Auflage von jeweils ca. 2500 bis etwa 2700 Stück gedruckt. A... Y... trat bei der Auftragsvergabe als der eigentliche Verhandlungspartner auf, während E... G... seiner besseren Kenntnisse der deutschen Sprache wegen dabei im Wesentlichen nur als Dolmetscher fungierte. Anfangs 2300 Exemplare, gegen Ende nur noch 2230 Exemplare einer jeden Ausgabe wurden jeweils direkt von der Druckerei ... anhand eines dieser zur Verfügung stehenden Verteilers überregional - auch in das nähere europäische Ausland - verschickt. Es gab jeweils auch Ausschussware, die in den erwähnten ca. 2500 bis rund 2700 Auflage freilich nicht enthalten war und nicht berechnet wurde. Mindestens 150 Exemplare einer jeden Auflage (gelegentlich auch bis zu 390 Stück) wurden jeweils von wechselnden DHKP-C-Aktivisten, davon zu etwa 50 % durch E... G... selbst, der nach der Erteilung des Auftrags der Ansprechpartner des Betreibers der Druckerei, des Zeugen ..., auf Seiten seiner Auftraggeber war, und in mindestens drei Fällen auch durch den Kläger abgeholt. Dieses Abholen der wenigstens 150 Exemplare erfolgte jeweils zum Zwecke der Weiterverbreitung im regionalen Bereich und auf einen Anruf des Zeugen ... bei der ihm von jenem DHKP-C-Aktivisten genannten Telefonnummer des E... G... hin, der sich bei diesen Telefonaten stets selbst am Apparat meldete. In der Wohnung des Klägers in S..., ... ..., hielt dieser aus den für die Verteilung im regionalen Bereich bestimmten Mengen der Zeitschrift am 28.11.2006 insgesamt 60 Exemplare zur Weiterverbreitung in Interesse der DHKP-C vorrätig, nämlich 2 Pakete zu je 30 Stück der Ausgabe 78 vom 12.11.2006, am 19.03.2007, ebenfalls in dieser Wohnung, 7 Exemplare der Ausgabe vom 4. März 2007 und am 21.03.2007 in seinem Rucksack im Fahrzeug Renault, amtliches Kennzeichen ...-... ..., das kurz zuvor von E... G... unweit der Offsetdruckerei ... abgestellt worden war, um den Zeugen ... aufzusuchen, 23 Exemplare der Auflage 95 von Mitte März 2007. Der Kläger wurde am 21.03.2007 in dem beschriebenen Fahrzeug auf dem Beifahrersitz auf E... G... wartend von der Polizei angetroffen und führte dabei auch einen Block Eintrittskarten für das Europatreffen der DHKP-C im April 2007 zur Verbreitung im Interesse des verbotenen Vereins mit sich. Überdies bewahrte der Kläger am 28.11.2006 in seiner Wohnung in Stuttgart für den E... G..., für den er unter seinem Sofa auch für diesen bestimmte Gerichts- und Anwaltsschreiben verwahrte, 10 vom 01.08.2006 datierende Lieferscheine der Druckerei ..., über die Lieferung von insgesamt 2300 Exemplare der DHKP-C Wochenzeitschrift „Yürüyüs" an überregionale Empfänger, auch im benachbarten europäischen Ausland, Adressaufkleber mit entsprechenden Anschriften und Originalquittungen über Druckkosten des auf den Lieferscheinen jeweils als Auftraggeber des Druckauftrags genannten Yurtdisi Büros V... E..., ... ... ... ... in ... ... R...-... / Niederlande auf. Tatsächlich waren die Druckkosten freilich jeweils von E... G... beim Zeugen ... in bar bezahlt worden. Die letzten 5 Ausgaben waren allerdings zur Zeit der Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 noch unbezahlt. Weitere vom Kläger am 28.11.2006 verwahrte Notizen betrafen „Yürüyüs" - Ausgaben aus der Zeit vor Beginn der Druckaufnahme durch die Fa. ... im August 2006.“
69 
Der Kläger hat die einzelnen Tatsachenfeststellungen in diesem Urteil des Landgerichts, gegen das er Rechtsmittel nicht eingelegt hat, im angegriffenen Bescheid und auch in den Schriftsätzen des Beklagten - mit Ausnahme der Teilnahme an der Veranstaltung am 18.12.2011 in Stuttgart - nicht substantiiert bestritten. Soweit er im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung geltend macht, er habe nur wenige Exemplare der Wochenzeitung Yürüyüs selbst verteilt, der weit überwiegende Teil sei von Dritten bei ihm abgeholt und weiterverteilt worden, führt dies zu keiner günstigeren Beurteilung dieser Unterstützungshandlung, sondern bestätigt, dass er hierarchisch zwar gemeinsam mit E... G... dem A... Y... als für den Druck und die Verbreitung in der Region Verantwortlichen untergeordnet gewesen ist, aber, wie sich bereits aus dem persönlichen Kontakt zu diesem und auch unmittelbar zur Druckerei ergibt, in diese Organisationsstruktur deutlich über den reinen „Zeitungsausträgern“ hinaus eingebunden war. A... Y... war damals bis zu seiner Festnahme Ende November 2006 der für die „Region Süd“ verantwortliche (Führungs-)Funktionär und Rechtsberater der DHKP-C (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11). Der Kläger kannte diesen bereits aus der Türkei, wo er nach seinen Angaben sein Rechtsanwalt gewesen war.
70 
Weiterhin war er am 14.01.2007, wie sich aus in den Gerichtsakten befindlichen Kopien des Vereinsregisters ergibt, einer der Leiter der satzungsändernden Versammlung des Vereins „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“, eines Tarnvereins der DHKP-C, zu dessen neuen Sekretär E... D... am 03.06.2007 gewählt wurde (vgl. hierzu unten). Auch fuhr er mit Funktionären noch am Tag des Todes von Dursun Karatas am 11.08.2008 in die Niederlande.
71 
Zutreffend hat das Regierungspräsidium mit Schriftsätzen vom 03.03.2014 und 20.03.2014 auf der Grundlage der Feststellungen der ins Verfahren eingeführten Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - (Verurteilung von E... D...) und vom 15.07.2010 - 6 - 2 StE 8/07 - a - (Verurteilung von A... D. Y... und E... G...) zudem dargelegt, dass der Kläger im Zeitraum von 2002 bis 2007 in vielfältiger Weise nicht nur in den Vertrieb von Publikationen, sondern auch - u.a. zusammen mit Y... und G... - in den Vertrieb von Tickets für Veranstaltungen der DHKP-C und in die Sammlung von Spendengeldern involviert und damit maßgeblich an der Geldbeschaffung als eine der wichtigsten Aufgaben der Rückfront dieser terroristischen Vereinigung beteiligt war. Er nahm im Jahr 2002 nicht nur an einer politischen Schulung der DHKP-C im August 2002 in Neuhausen-Schellbronn, sondern auch als Mitglied einer Delegation der DHKP-C an einer Großveranstaltung in Kopenhagen teil.
72 
Schließlich hat der Kläger auch noch nach seiner Verurteilung jedenfalls an den beiden Kundgebungen der DHKP-C am 10.04.2010 in Wuppertal mit mehreren hundert Teilnehmern und am 16.04.2011 in Lüttich teilgenommen. Hierbei hat es sich jeweils um traditionelle Parteifeste zum Jahrestag ihrer Gründung gehandelt, wobei die lediglich von etwa 200 Personen besuchte Veranstaltung in Lüttich nur Mitgliedern zugänglich gewesen sein soll (vgl. Bundesverfassungsschutzberichte 2010, S. 310 und 2011, S. 349; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2010, S. 166; Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 30.04.2013). Darauf, ob er auch die Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 zum Jahrestag der Gefängniserstürmung am 19.12.2000, die nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 als - vorhersehbare - Folge des am 20.10.2000 aufgenommenen Hungerstreiks türkischer Gefangener maßgeblicher Grund für seine damalige Beteiligung an dieser Aktion in der JVA R... gewesen ist, besucht hat, kommt es nicht an. Nachdem er erklärt hat, er würde sich jederzeit in einer solchen Situation wieder solidarisch zeigen und im Übrigen weiterhin an zahlreichen Demonstrationen in S... teilnehmen, insbesondere kurdischer und PKK-naher Organisationen, ist davon auszugehen, dass er, soweit er ausgerechnet an dieser Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 nicht teilgenommen hat, aus persönlichen Gründen verhindert gewesen ist. Jedenfalls hat er selbst nicht behauptet, dass er die Kontakte zur DHKP-C abgebrochen habe und nun auch keine Veranstaltungen dieser Organisation mehr besuchen werde.
73 
Eine Distanzierung von seinen Unterstützungshandlungen für die DHKP-C und eine Abkehr von seinen früheren Aktivitäten ist auch sonst in keiner Weise erkennbar. Aus dem Umstand, dass der Kläger sich von zurückliegenden Aktivitäten nicht distanziert, sondern sie ohne erkennbare Unterbrechung fortgeführt hat, folgt, dass auch die in der Vergangenheit liegenden Tätigkeiten auf die gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers im Sinne von § 54 Nr. 5 Halbs. 2 AufenthG schließen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - juris).
74 
Der Kläger wehrt sich gegen die in der Begründung der angegriffenen Verfügung und den Schriftsätzen des Beklagten genannten sowie gegen die weiteren in die Verhandlung eingeführten Tatsachen, denen er nicht im Einzelnen entgegentritt, im Wesentlichen mit dem Vorbringen, dass er kein Mitglied der DHKP-C sei, sondern lediglich ein politisch denkender Mensch und jedenfalls nicht bewusst etwas Verbotenes - insbesondere seien die Versammlungen genehmigt und der Kulturverein zu keinem Zeitpunkt verboten worden - getan habe. Hierauf kommt es aber nicht an.
75 
Daran, dass der Kläger die DHKP-C in Kenntnis von deren Zielen, Programmatik und Methoden unterstützt hat, kann nach Ansicht des Senats aufgrund seiner langjährigen Beteiligung und vor dem Hintergrund seiner Unterstützung bereits der Vorgängerorganisation Dev-Sol und - noch in der Türkei - der Jugendorganisation Dev-Genc sowie seines mit hieran anknüpfender politischer Verfolgung begründeten Asylgesuchs kein ernsthafter Zweifel bestehen. Hierbei ist hervorzuheben, dass der Kläger, der in der Türkei Soziologie studiert hat, sich bereits als Student politisch engagiert hat. Bereits seit dieser Zeit steht er in Verbindung zu A... Y..., der nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 in der Türkei sein Rechtsanwalt war. Weiterhin hat er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 Karatas bereits aus Zeiten seiner türkischen Haft gekannt und mit diesem jedenfalls damals in brieflichen Kontakt gestanden. Auch hat er zusammen mit dem wegen seiner Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilten E... D... eines der „Vereinsblätter“ vertrieben und dem Tarnverein „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“ angehört, dessen Vorstand dieses DHKP-C-Mitglied seit 2007 nach der unter Mitwirkung des Klägers erfolgten Satzungsänderung angehörte.
76 
Nach Ansicht des Senats ist dementsprechend davon auszugehen, dass der Kläger - entgegen seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 - sowohl die Ziele der DHKP-C als auch deren terroristischen Aktionen zu deren Erreichung kannte bzw. kennt. In der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 hat er schließlich selbst erklärt, dass er Sympathisant dieser Organisation sei und deren Meinung und Ideologie teile. Ob er persönlich die gewalttätige Komponente der Ideologie der DHKP-C ausdrücklich befürwortet, ist nicht ausschlaggebend. Es fällt aber auf, dass er sich auch insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 nicht von dieser Organisation distanziert, sondern vielmehr die Ansicht vertreten hat, die DHKP-C beeinträchtige Deutschland nicht, da sie außerhalb der Türkei Gewalt grundsätzlich ablehne.
77 
Der Kläger hat mit den oben dargestellten jahrelangen kontinuierlichen Tätigkeiten diese Organisation mitgetragen. Dass er seit seiner Einreise ins Bundesgebiet die Bestrebungen dieser verbotenen Vereinigung bzw. ihrer Vorgängerorganisation unabhängig von einer Mitgliedschaft jedenfalls fördern und deren Strukturen, die ihm einschließlich der Tarnorganisationen bekannt waren, erhalten wollte, steht für den Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des Landgerichts Stuttgart fest. Für die Unterstützung der DHKP-C im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist es insoweit nicht maßgeblich, welcher Hierarchieebene innerhalb der Struktur dieser Vereinigung der Kläger angehört hat. Der Senat schließt sich im Übrigen der Beurteilung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris) an, wonach in Ansehung der Struktur der Vereinigung Anhaltspunkte dafür, hinsichtlich der Qualifizierung der DHKP-C als terroristische Vereinigung zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre und mit Anschlägen befasster Kader einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren, nicht gegeben sind. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der DHKP-C dieser anschließt und in ihr betätigt, deshalb nicht als Mitglied oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre oder den mit den Anschlägen der Organisation befassten Kadern angehört.
78 
Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die Unterstützung jedes Einzelnen gerade für den Erhalt und die Handlungsfähigkeit einer relativ kleinen Organisation (ca. 650, davon 65 in Baden-Württemberg hauptsächlich im Großraum S... und in der R...-N...-Region, vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126) von besonderer Bedeutung ist und die fördernde Tätigkeit jedes in diese Eingebundenen eine unmittelbare Nähe nicht nur zu den Zielen, sondern auch zu den terroristischen Aktionen zur Durchsetzung dieser Ziele hat. Dementsprechend kam und kommt auch dem Kläger, der nach dem Dargelegten jedenfalls Aufgaben für die aus lediglich etwa 65 Mitgliedern bestehenden baden-württembergischen Organisationseinheit der DHKP-C eigenständig u.a. in Zusammenarbeit mit einem inzwischen verurteilten Mitglied (G...) und in - zum Teil auch unmittelbarer - Abstimmung mit inzwischen verurteilten maßgeblichen Funktionären (Y... und D...) auf Gebietsebene wahrgenommen hat, Verantwortung für die terroristischen Aktionen der DHKP-C und deren Opfer zu.
79 
Schließlich fehlt dieser Unterstützung der DHKP-C auch nicht deswegen, weil diese Organisation nur relativ wenige Mitglieder im Bundesgebiet hat, das in § 54 Nr. 5 AufenthG vorausgesetzte Gewicht. Maßgeblich ist, dass sie, wie dargelegt, entschlossen und fähig war und ist, Terroranschläge in nicht unerheblichem Umfang und Ausmaß durchzuführen (vgl. dazu oben) und die Organisation im Bundesgebiet eine Rückfront für diese derzeit auf die Türkei konzentrierten Anschläge bildet, ohne deren Rückzugsräume und finanzielle Unterstützung die DHKP-C kaum fortbestehen könnte (vgl. oben). Schließlich ist die Rückfront auch nicht aufgrund der erfolgten Verurteilungen von Funktionären und Mitgliedern nachhaltig geschwächt. Insoweit macht sich der Senat die Einschätzung des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen und des Verfassungsschutzberichts des Bundes jeweils über das Jahr 2012 zu eigen, wonach die sich im Jahr 2012 häufenden Anschläge der Organisation in der Türkei - insbesondere die tödlichen Schüsse auf Polizeibeamte - zu einem Motivationsschub bei den Anhängern in Europa geführt haben und es der DHKP-C vermehrt gelinge, ihre Anhänger zu mobilisieren und neue, vor allem junge Unterstützer zu rekrutieren. Gleichzeitig schaffe sie es, strukturelle Schwächen zu beseitigen (Bund, S. 358). Die DHKP-C sei weiterhin in der Lage, zumindest auf niedrigem Niveau Aktivitäten zu entfalten, wozu auch weiterhin von Deutschland aus unterstützte terroristische Aktionen gegen Ziele in der Türkei gehören können (NRW, S. 90).
80 
Nicht entscheidend ist schließlich, ob die Organisation im Bundesgebiet in den letzten Jahren durch Gewalttaten aufgefallen ist und ob bzw. in welchem Umfang sie in den Jahren 2004 bis 2008 Terrorakte durchgeführt hat, da sie zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat, was insbesondere auch in der aktuellen „Anschlagoffensive“ 2012 (vgl. oben) sichtbar wird, und weil der Kläger, wie dargelegt, durchgehend in die Organisation eingebunden war und ist.
81 
3. Als anerkannter Flüchtling darf der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 5 und Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die auch eine Ausweisung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 bis 5 AufenthG besonderen Schutz genießender Ausländer rechtfertigen können, in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 vor.
82 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2013, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Qualität und jahrelangen Dauer der Aktivitäten, die jederzeit ihre Fortsetzung finden können, liegt ein solcher Fall nicht vor.
83 
Im Ergebnis sind damit die Voraussetzungen geben, bei deren Vorliegen über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden ist (§ 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
84 
4. Die Ausweisung des Klägers ist nicht am Maßstab von Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu messen, da der Kläger eine assoziationsrechtliche Rechtsposition nicht erworben hat. Ausgehend von dem durch den Kläger vorgelegten Versicherungsverlauf vom 03.02.2014 und der Auskunft der AOK Ludwigsburg vom 12.02.2014 konnten seine Beschäftigungszeiten ihm - ungeachtet der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen einer Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt und einer ordnungsgemäßen Beschäftigung vorgelegen haben - bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung am 20.01.2012 keine Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vermitteln. Der Erwerb des Rechts aus dem 2. Spiegelstrich Art. 6 ARB 1/80 scheitert an der Beschäftigungslücke in der Zeit vom 17.06.2008 bis 14.08.2008. Ab September 2009 erfolgten regelmäßig vor Ablauf von drei Jahren Arbeitgeberwechsel. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung war er nicht beschäftigt.
85 
Aber selbst wenn der Maßstab des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hier zur Anwendung käme, stünde er der Ausweisung nicht entgegen, weil sie aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt ist. Nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt der Abschnitt 1 des Beschlusses (nur) vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Bei der Prüfung des daraus für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige abzuleitenden besonderen Ausweisungsschutzes ist nach der ständigen Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08, Ziebell - InfAuslR 2012, 43, m.w.N.). Allerdings sind die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie wegen der grundsätzlichen Unterschiede der durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers zu der eines Assoziationsberechtigten nicht anzuwenden. Vielmehr ist der Ausweisungsschutz - nach Aufhebung der bisher insoweit sinngemäß bzw. analog auch auf assoziationsrechtlich geschützte türkische Staatsangehörige angewandten Richtlinie 64/221/EWG - nach Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG vom 25.11.2003 (Daueraufenthaltsrichtlinie) zu bestimmen (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 08.12.2011, a.a.O.; Senatsurteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris).
86 
Gemäß Art. 12 Daueraufenthaltsrichtlinie darf ein langfristig Aufenthaltsberechtigter nur ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt (Abs. 1). Außerdem darf die Ausweisungsverfügung nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen (Abs. 2). Schließlich haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Abs. 3). Die entsprechende Anwendung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welchen eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung zukommt, bedeutet für diese der Sache nach einen Ausweisungsschutz, der dem bislang geltenden entspricht (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 26.10.2012 - 11 S 278/12 - juris, m.w.N.).
87 
Dieser Schutz steht der Ausweisung hier nicht entgegen. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass der Kläger eine ausländische terroristische Vereinigung im Bundesgebiet aktiv unterstützt hat und auch weiterhin als überzeugter Anhänger im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt. Damit stellt er aber eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit dar. Die Ausweisung beruht auch nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen.
88 
Somit liegen nach nationalem Recht sowie auch nach ARB 1/80 die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ermessensausweisung vor.
89 
5. Die Ausübung dieses Ermessens ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht insbesondere auch den Anforderungen von Art. 14 ARB 1/80 bzw. Art. 12 Abs. 3 der Daueraufenthaltsrichtlinie.
90 
Die Behörde ist von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dies gilt sowohl für die Gefährlichkeit der Organisation und Art, Umfang und Bedeutung der Unterstützungshandlungen des Klägers als auch hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse (vgl. unten). Ihre Einschätzung, dass der Kläger die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation und damit eine terroristische Organisation bereits seit 1998 nachhaltig und in subjektiv zurechenbarer Weise unterstützt und in diese eingebunden war, ist, wie dargelegt, auch im heutigen Zeitpunkt weiterhin zutreffend, wobei es auch nach Ansicht des Senats nicht darauf ankommt, ob der Kläger auch die Veranstaltung in Stuttgart oder nur die Veranstaltungen in Wuppertal und Lüttich besucht hat (vgl. oben).
91 
Die Verfügung weist auch im Übrigen mit den im Zulassungsantrag und im letzten Schriftsatz des Regierungspräsidiums vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen keine Ermessensfehler auf. Die Änderungen und Ergänzungen sind hier einzubeziehen. Denn sie entsprechen den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen an die Änderung der Begründung eines Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren.
92 
In seiner Entscheidung vom 13.12.2011 (1 C 14.10 - juris) hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden dürfe. Daraus folge, dass die Behörde klar und eindeutig zu erkennen geben müsse, mit welcher "neuen" Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibe, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen könnten. Insbesondere müsse sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung beträfen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidige. Stütze die Behörde ihre Entscheidung während des gerichtlichen Verfahrens auf neue Ermessenserwägungen, habe das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass auch der Betroffene hinreichend Gelegenheit erhalte, seine Rechtsverteidigung hierauf einzustellen.
93 
Diese Anforderungen sind hier eingehalten worden. Das Regierungspräsidium hat zunächst bereits im Zulassungsantrag die Begründung der angegriffenen Verfügung geändert und deutlich gemacht, dass sie diese nur noch auf den spezialpräventiven Zweck stützt. Es hat dabei eindeutig zu erkennen gegeben, mit welchem Text sie die Verfügung ergänzt und welche ursprüngliche Passage dafür entfällt. Es hat noch im letzten Schriftsatz erklärt, dass es an dieser Änderung festhält. Zusätzlich hat es die Verfügung mit einem eindeutig benannten Einschub dahingehend ergänzt, dass es, auch soweit der Kläger ein Recht aus Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte, seine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen für gerechtfertigt halte und das öffentliche Sicherheitsinteresse weiterhin gegenüber den schutzwürdigen Interessen des Klägers auch hiervon ausgehend als überwiegend ansehe. Weiterhin hat es eine Ergänzung dahingehend vorgenommen, dass es die Ausweisungsverfügung bereits deshalb als sinnvoll erachte, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Schließlich hat die Behörde die Ausführungen zu § 54 Nr. 5a AufenthG gestrichen. Der Kläger hatte Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
94 
Die danach im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden. Bereits in der ursprünglichen Begründung der Ermessensentscheidung ist ausgeführt, aufgrund seines gesamten und mangels Distanzierung auch gegenwärtigen Verhaltens, der Häufigkeit und Kontinuität seiner Unterstützungs- und Mitgliedschaftshandlungen und seiner gefestigten Befürwortung der militant-extremistischen Ziele der DHKP-C gehe vom Kläger eine konkrete Gefahr aus, die ein großes öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründe, das gegenüber den privaten Interessen des Klägers höher zu gewichten sei. Dieser halte sich seit November 1995 im Bundesgebiet auf, sei während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik zunächst zehn Jahre lang keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen, sondern habe staatliche Sozialleistungen in Anspruch genommen. Erst ab Ende 2005 habe er mit geringfügigen und unqualifizierten Gelegenheitsarbeiten einen - bis 2010 allerdings lediglich geringen - Teil seines Lebensunterhaltes selbst bestritten. Er habe zwar zwei im Bundesgebiet lebende Brüder, aber die meisten Familienmitglieder lebten noch in der Türkei. Es sei kein Interesse etwa an deutscher Tradition oder Kultur und es sei kein Aufbau von allgemein sozialen und gesellschaftlichen Kontakten zu deutschen Staatsangehörigen erkennbar, vielmehr fielen umgekehrt die zahlreichen intensiven Verbindungen zu - gleichgesinnten - Landsleuten deutlich ins Gewicht. Dies gelte vor allem auch in politischer Hinsicht, da sein gesamtes Verhalten zeige, dass es ihm offenbar in erster Linie darum gehe, seine Zugehörigkeit zur DHKP-C und deren Mitglieder und Unterstützer auch auf deutschem Staatsgebiet zu bewahren.
95 
In nicht zu beanstandender Weise davon ausgehend, dass der Kläger - in dem von der Beklagten-Vertreterin erklärten Sinne - als Funktionär der DHKP-C anzusehen ist, d.h., diese qualifiziert unterstützt, indem er konkrete, ihm zugewiesene Funktionen wahrnimmt und hierdurch in diese eingebunden ist, ist das Regierungspräsidium rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die erheblichen Sicherheitsinteressen an der Ausweisung die gegenläufigen privaten Interessen des trotz langjährigen Aufenthalts nur in Ansätzen in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integrierten Klägers überwiegen. Mit der Zulassungsbegründung hat die Behörde dargelegt, dass sie an dieser Einschätzung festhält, auch wenn der Kläger aufgrund der bekannten beruflichen Tätigkeiten einen Anspruch nach Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte. Die so ergänzten bzw. geänderten Ermessenserwägungen tragen auch den Anforderungen des Art. 12 Abs. 3 Daueraufenthaltsrichtlinie ausreichend Rechnung.
96 
Weiterhin hat die Behörde die Flüchtlingseigenschaft und die Folge, dass der Kläger auf derzeit nicht absehbare Zeit zu dulden sein wird, berücksichtigt, und die Ausweisung hiervon unabhängig u.a. wegen der beabsichtigten Beschränkungen ausgesprochen. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, nachdem sie jedenfalls nicht mehr davon ausgeht, dass diese Beschränkungen ohne Ausweisung überhaupt nicht möglich gewesen wären.
97 
Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger, wie von dem Beklagten angenommen, nicht nur den Tatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG, sondern auch den des § 54 Nr. 5a AufenthG verwirklicht hat. Denn insoweit handelt es sich lediglich um eine im Hinblick auf das Ermessen nicht maßgebliche Würdigung ein- und desgleichen zutreffend zugrunde gelegten Sachverhalts unter zwei verschiedene Normen. Zudem hat das Regierungspräsidium mit der entsprechenden Streichung ihre Verfügung nicht mehr auf diese Norm gestützt.
98 
6. Der dargestellte nationale Maßstab der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ als tatbestandliche Voraussetzung der Ausweisung wird hier nicht durch die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig nationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004 (ABl. L 304, S. 12) bzw. die Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie (- QRL - ABl. L 337, S. 9) modifiziert.
99 
Auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung sind diese Grundsätze trotz der dem Kläger zuerkannten Flüchtlingseigenschaft und des ihm daraufhin ursprünglich erteilten Titels ausnahmsweise nicht anwendbar. Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger bereits vor Inkrafttreten der ursprünglichen Qualifikationsrichtlinie erfolgte. Art. 21 und Art. 24 QRL enthalten - etwa im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 1 QRL - keine Sonderregelungen, aus denen geschlossen werden könnte, dass deren Anwendbarkeit bei Altanerkennungen ausgeschlossen wäre (Urteil des Senats vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - juris, unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 - juris Rn. 21 f. und vom 01.03.2012 - 10 C 10.11 - juris Rn. 11 ff.). Nach deutschem Recht ist die Ausweisung auch, soweit sie zum Erlöschen eines statusbedingten Titels im Sinne der Richtlinie (Art. 24 QRL) führt, eine Entscheidung im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL (a). Im hier vorliegenden besonderen Fall ist aber die bereits bestandskräftig gewordene und auch ausweisungsunabhängig erfolgte Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG die in Bezug auf Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL maßgebliche Entscheidung (b).
100 
a) Art. 24 Abs. 1 QRL regelt den sich aus der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Absatz 1) ergebenden Anspruch auf einen Aufenthaltstitel und die Voraussetzungen, unter denen trotz der Zuerkennung internationalen Schutzes der Titel verweigert werden darf. Art. 21 QRL regelt in Absatz 2 die Voraussetzungen für die Zurückweisung eines Flüchtlings und macht in Absatz 3 deutlich, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen auch ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel oder ein bereits erteilter und fortbestehender Aufenthaltstitel keinen weitergehenden Schutz bietet.
101 
Entscheidungen im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL sind damit - bezogen auf eine Person, der, wie dem Kläger, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde - alle Maßnahmen, die dieser entweder den statusbedingten Aufenthaltstitel entziehen und/oder deren Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung dieses Aufenthaltstitels ablehnen.
102 
Das Bundesverwaltungsgericht hat für den Fall der Ablehnung der Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG entschieden, dass die Voraussetzungen des insoweit allein in Betracht kommenden (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG an Art. 21, 24 QRL gemessen werden müssen (BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - Rn. 24). Nicht entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. auch Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 - juris), ob auch eine Ausweisung eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ist und die sich hieraus ergebenden erhöhten Anforderungen damit auch bei einer Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, die - anders als die Ablehnung - nicht auf die Gründe des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG beschränkt ist, zu stellen sind.
103 
Der Senat hat bereits ausgeführt (vgl. zuletzt Vorlage-Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), dass eine Ausweisung, die einen aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilten Aufenthaltstitel zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 oder Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL entsprechen muss. Hieran ist festzuhalten.
104 
Die Ausweisung beendet grundsätzlich nicht nur einen bestimmten, sondern alle bereits erteilten Titel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Sie trifft dabei - anders als die Rücknahme und die Ablehnung der Neuerteilung oder Verlängerung - keine unmittelbare Entscheidung über das Bestehen von Titelerteilungsansprüchen (auch nicht auf die erneute Erteilung der erloschenen Aufenthaltstitel). Dem entspricht es, dass auch der besondere Ausweisungsschutz nach nationalem Recht grundsätzlich nicht an das Bestehen oder Nichtbestehen von Titelerteilungsansprüchen anknüpft. In Bezug auf solche Ansprüche entfaltet die Ausweisung aber gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG u.a. ein in der Regel zu befristendes Titelerteilungsverbot, die sog. Sperrwirkung. Die Sperrwirkung wird durch gleichzeitige oder nachfolgende hierauf gestützte Ablehnungsentscheidungen titelbezogen umgesetzt und konkretisiert.
105 
Dieses deutsche Institut der Ausweisung als solches kennt die Qualifikationsrichtlinie, die auch mit Art. 21, 24 QRL nicht tatbestandlich an einzelne nationale Bestimmungen anknüpft, nicht. Aus Art. 21, 24 QRL lässt sich dementsprechend zwar kein unmittelbarer Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 AufenthG - weder anknüpfend an einen Titel noch an einen Status - entnehmen. Es wird insoweit grundsätzlich vom Gesetzgeber zu entscheiden sein, ob er den Schutz der Art. 21, 24 QRL im nationalen Recht als besonderen, an den Status oder den Titelbesitz anknüpfenden Ausweisungsschutz für Ausländer, denen internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt ist, ausgestaltet, mit der Folge, dass hierdurch auch mittelbar bereits erteilte schutzunabhängige nationale Titel vor dem Erlöschen und Ansprüche auf Erteilung von schutzunabhängigen nationalen Titeln vor dem Eingreifen der Sperrwirkung geschützt werden. Ein solcher besonderer über die Vorgaben der Art. 21, 24 QRL hinausgehender Ausweisungsschutz ist dabei nicht die einzig mögliche Umsetzung. Alternativ wäre denkbar, dass der Gesetzgeber den zur Aufnahme des Flüchtlings zu erteilenden nationalen Titel von den Wirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch Änderung dieser Bestimmungen, durch Änderung des § 25 AufenthG oder auch durch Normierung dieser Titel außerhalb des Aufenthaltsgesetzes ausnimmt (vgl. zur Aufenthaltsgestattung des Schutzsuchenden vgl. § 67 AsylVfG, §§ 56 Abs. 4, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sowie Art. 9 RL 2013/32/EU). Bisher hat der nationale Gesetzgeber die sich aus Art. 21, 24 QRL ergebenden Anforderungen aber nicht umgesetzt, was zur Folge hat, dass Art. 21, 24 QRL unmittelbar Anwendung finden und die Ausweisung damit jedenfalls soweit sie die dort genannten Wirkungen bezüglich des zur Aufnahme als Flüchtling (zum Begriff vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) bzw. aufgrund der Zuerkennung von internationalem Schutz erteilten Titels entfaltet, an deren Vorgaben zu messen ist.
106 
Daher finden nach Ansicht des Senats auch auf eine Ausweisung, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht wie die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt, die Regelungen der Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 2 QRL über die Aufhebung bzw. Beendigung von Aufenthaltstiteln Anwendung (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Dabei kann es im vorliegenden Fall weiterhin offen bleiben, an welchem Maßstab eine Ausweisung zu messen ist, die die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG nicht ersatzlos zum Erlöschen bringt, weil gleichzeitig eine auf mindestens drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG erteilt wird, so dass im Ergebnis nur eine „Herabstufung“ erfolgt (offen gelassen im Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris und im Beschluss des Senats vom 15.08.2013 - 11 S 1711/12 - für den Fall des Verstoßes der ersatzlosen Rücknahme einer Niederlassungserlaubnis gegen Art. 6 ARB 1/80).
107 
b) aa) Weiterhin ist die Ausweisung grundsätzlich immer dann eine an Art. 21, 24 QRL zu messende Beendigung eines statusbedingten Aufenthaltstitels eines Flüchtlings, wenn sie ein befristetes Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 2 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt. Allerdings wird eine solche Ausweisung meist verbunden mit einer in die Zukunft gerichteten Ablehnung der - erneuten - Erteilung bzw. Verlängerung dieses befristeten Titels. Diese Ablehnung ist, ebenfalls eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL. Wenn eine solche Ausweisung hinsichtlich der - vorzeitigen - Beendigung des befristeten Aufenthaltstitels den Anforderungen der Qualifikationsrichtlinie gerecht wird, ergibt sich regelmäßig schon hieraus die Rechtmäßigkeit der anspruchsverneinenden Ablehnungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 25 Abs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch in unionsrechtlicher Hinsicht. Damit wird sich die Prüfung auf die Vereinbarkeit der titelvernichtenden Ausweisung mit den Vorgaben der Richtlinie konzentrieren.
108 
Anders ist dies dann, wenn eine Ausweisung erst ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist. Dann ist zunächst diese Ablehnung an den Vorgaben der Art. 21, 24 QRL zu messen. Behält diese Bestand, weil Rechtsbehelfe nicht eingelegt werden oder erfolglos bleiben, greift eine nachfolgende Ausweisung in keinen entsprechenden Titel mehr ein. Ist der Anspruch auf Erteilung eines Titels gemäß §§ 25 Abs. 2, 26 Abs. 3 AufenthG bereits ausweisungsunabhängig (zurückgenommen oder) abgelehnt, geht schließlich auch das - zu befristende - Titelerteilungsverbot insoweit ins Leere.
109 
Dem Fall, dass eine Ausweisung gegenüber einem anerkannten Flüchtling ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des bereits abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist, ist der Fall gleichzusetzen, in dem eine Ausweisung nach Ablauf der Geltungsdauer des befristeten Aufenthaltstitels zwar gleichzeitig mit einer - zumindest auch - ausweisungsunabhängigen Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung des befristeten Titels als weitere Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ergeht, letztere aber bereits bestandskräftig ist (vgl. zur Prüfung von Art. 8 EMRK in einer entsprechenden Konstellation vgl. BayVGH, Beschluss vom 24.02.2011 - 10 ZB 10.243 - juris). Dann ist die Ausweisung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung ebenfalls nicht mehr an der Qualifikationsrichtlinie zu messen.
110 
bb) Nach diesen Grundsätzen ist die hier allein maßgebliche Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL die Ablehnungsentscheidung in Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung mit der Folge, dass im vorliegenden Fall nicht auch die Ausweisungsverfügung an den Anforderungen der Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL zu messen ist.
111 
Der Kläger war nach Ablauf seiner letzten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht mehr im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Dieser galt zwar nach rechtzeitiger Stellung des Verlängerungsantrags als fortbestehend. Die Fortgeltung endete aber bereits mit dem Wirksamwerden der auch auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützten Ablehnung (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Für diese Ablehnungsentscheidung waren die Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL einschlägig. Ob die Ablehnungsentscheidung, die nach nationalem Recht aufgrund des Vorliegens des Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG zwingend erfolgen musste, diesen Anforderungen gerecht wird, ist hier nicht zu prüfen, weil die Klage, wie dargelegt, insoweit bereits unzulässig war und diese Entscheidung damit bestandskräftig ist. Zur Nichtigkeit würde nach dem insoweit maßgeblichen nationalen Verfahrensrecht ein solcher nicht offensichtlicher Verstoß gegen höherrangige Regelungen nicht führen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Nicht zu entscheiden ist hier, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Ablehnungsverfügung im Falle ihres Verstoßes gegen Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL wiederaufgegriffen werden müsste (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Die bloße grundsätzlich bestehende Möglichkeit des Wiederaufgreifens erfordert weder die Inzidentprüfung einer bestandskräftigen Verfügung noch lässt sie eine Abweichung von der durch diese geschaffenen Sachlage zu.
112 
Somit hat der Kläger schon aufgrund dieser Entscheidung keinen fortbestehenden Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG mehr inne, so dass die Ausweisung in diesen Titel nicht mehr eingreifen kann. Auch hinsichtlich der Sperrwirkung ist in solchen Fällen die Ablehnungsentscheidung (oder ggf. Rücknahme) in Bezug auf den abgelehnten Titel jedenfalls dann, wenn die Ablehnung - wie hier - nicht nur wegen der Sperrwirkung der Ausweisung, sondern zusätzlich selbständig tragend wegen des Vorliegens des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG erfolgt ist, die bezogen auf Art. 21, 24 QRL maßgebliche Entscheidung. Denn mit bestandskräftiger Ablehnung der Erteilung des Aufenthaltstitels steht auch bindend fest, dass ein Anspruch auf diesen Titel nicht besteht. Die Bestandskraft dieser Ablehnungsentscheidung wird weder von der hier mit der Berufung angegriffenen Kassation der Ausweisungsverfügung noch von deren Befristung berührt.
113 
7. Unabhängig davon ist die Ausweisung schließlich aber auch dann rechtmäßig, wenn sie im vorliegenden Fall - neben der hier nicht streitgegenständlichen Ablehnungsentscheidung ebenfalls - an Art. 21, 24 QRL zu messen ist.
114 
Dabei kommt es hier auf die dem Europäischen Gerichtshof vom Senat (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) vorgelegte streitige Frage nicht an, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels, die sich aus Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL ergeben, geringer sind, als die aus Art. 24 Abs. 1 QRL (so BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris; a.A. zuletzt Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), so dass weder eine weitere Vorlage noch eine Aussetzung des Verfahrens angezeigt war. Vom Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts ausgehend, ist es für eine Maßnahme im Sinne der Art. 21 Abs. 3 QRL und auch eine Ablehnung eines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL jedenfalls ausreichend, dass die niedrigen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL erfüllt sind; dementsprechend können auch an eine Ausweisung, wenn sie an diesen Vorschriften zu messen ist, nicht die nach diesem Ansatz höheren Anforderungen des Art. 24 QRL gestellt werden. Nach Überzeugung des Senats sind hier aber die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht aus Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL herleitet, erfüllt.
115 
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts es - mit Blick auf die in Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL enthaltene erhöhte Gefahrenschwelle - gebietet, bei anerkannten Flüchtlingen den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen nur in Fällen vorliegen, in denen der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Anders als das nationale Aufenthaltsrecht, das in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel auch in Fällen des § 54 Nr. 5 AufenthG als gegeben ansehe, enthalte das Unionsrecht insoweit keine Regelvermutung, sondern verlange eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Dabei reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG für sich genommen noch nicht aus; vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Schwerwiegende Gründe lägen regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Betreffende sich für die Organisation etwa durch Teilnahme an deren Aktivitäten oder durch einzelne finanzielle Zuwendungen einsetze. Vielmehr müssten bei einer am Gewicht des Ausschlussgrundes ausgerichteten Wertung die vom Ausländer ausgehenden Gefahren so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das sei typischerweise erst dann der Fall, wenn der Flüchtling eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, in qualifizierter Weise, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als Funktionär, unterstütze. Das könne sich daraus ergeben, dass er durch eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder -bereitschaft für die Ziele der Organisation eintrete oder dass er durch seine strukturelle Einbindung in die Organisation, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, deren Gefährdungspotential mittrage. Welche Art der Einbindung des Ausländers in die Organisation erforderlich und ausreichend sei, um in seiner Person die erhöhte Gefahrenschwelle zu erreichen, lasse sich nicht abstrakt beantworten, sondern hänge von einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles ab, u.a. auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und Gewaltbereitschaft bestimmt werde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris).
116 
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die DHKP-C verfolgt, wie dargelegt, die Herbeiführung einer Weltrevolution und den Sturz des Imperialismus. Die DHKP-C strebt eine kommunistische Gesellschaftsordnung an, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Darüber hinaus gefährdet sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126). Die Organisation versteht es als „heilige Pflicht", gegen die „Tyrannei und Ausbeutung" in der Türkei zu kämpfen. Zur Erreichung ihrer Ziele führt sie den bewaffneten Kampf. Angriffsziele sind nicht nur der türkische Staat und dessen Organe, sondern auch weitere „Feinde des Volkes", zu denen die DHKP-C in erster Linie den „US-Imperialismus" zählt (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 127 f.). Ebenso wie diese Zielsetzung sind auch ihre Aktivitäten und ihr bewaffneter Kampf, der auch mit Mitteln terroristischer Anschläge geführt wird (vgl. oben), nicht - grundsätzlich - auf die Türkei beschränkt. Am 12.02.1999 verfügte Dursun Karatas zwar einen Gewaltverzicht der DHKP-C für Westeuropa. In Deutschland waren seitdem auch keine gewaltsamen Aktionen mehr festzustellen. Der Organisation der DHKP-C in Deutschland kommt aber weiterhin eine bedeutende Rolle als „Rückfront“ zu, die insbesondere für finanzielle Förderung zur Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes der DHKP-C in der Türkei erforderlich ist (vgl. oben), die zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat (vgl. oben).
117 
Die hohe Gewaltbereitschaft zeigt sich vor allem im Einsatz von eindeutig terroristischen (Selbstmord-)Anschlägen mit Sprengsätzen, Handgranaten u.ä., aber auch in der Bewaffnung mit und dem Gebrauch von Schusswaffen. Dass der Einsatz dieser Mittel derzeit auf die Türkei beschränkt ist, ändert an dem hohem Grad der Gewaltbereitschaft und Gefährlichkeit nichts, da der Verzicht auf Gewalt in anderen europäischen Ländern und insbesondere auch in Deutschland erkennbar aus taktischen Gründen erfolgt ist, um hier die Rückfront möglichst von strafrechtlicher Verfolgung ungestört aufzubauen und wirken zu lassen. Der Grad der Gefährlichkeit ist, wie ebenfalls bereits dargelegt, auch nicht deswegen als niedriger anzusehen, weil es sich um eine Organisation mit einer eher geringen Mitgliederzahl handelt. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese Organisation sich auch in der Struktur von großen Organisationen, wie beispielsweise der PKK, u.a. dadurch unterscheidet, dass eine klare Unterscheidung in herausgehobene Funktionäre und mit Anschlägen befasste Kader und sonstige Angehörige nicht geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris und s. oben). Jedem einzelnen ihrer Anhänger, der, wie der Kläger, durch arbeitsteilige Aufgabenwahrnehmung in diese und in deren Kontrolle eingebunden ist, kommt insoweit regelmäßig unmittelbare Bedeutung für die Förderung und den Erhalt der nach Überzeugung des Senats hochgradig gefährlichen Organisation zu. Dementsprechend verhalten sich nicht nur die Funktionäre, sondern auch die „einfachen“ Anhänger der DHKP-C ausgesprochen konspirativ (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128).
118 
Ihre aktuelle Gefährlichkeit und Gewaltbereitschaft hat die Organisation mit der „Anschlagoffensive“ ab Mitte 2012 demonstriert (vgl. oben), die ebenfalls belegt, dass auch die Festnahmen und Verurteilungen einzelner auch überregional verantwortlicher Funktionäre und die Sicherstellungen von Waffen und Sprengstoff den Gefährdungsgrad der Organisation bisher nicht nachhaltig beeinträchtigen konnten.
119 
Zur Führung in der Bundesrepublik zählen neben dem Deutschlandverantwortlichen und dessen Vertretern mehrere Regions- und Gebietsverantwortliche sowie weitere, mit Sonderaufgaben betraute Funktionäre, etwa die Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit. Als örtliche oder regionale Basis dienen DHKP-C-nahe Tarn-Vereine. Die Tätigkeitsschwerpunkte in Baden-Württemberg liegen im Großraum S... sowie in der R...-N...-Region (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128), wo auch der Kläger, wie dargelegt, nach Überzeugung des Senats als Aktivist strukturell in die Organisation der DHKP-C, deren Gefährdungspotential er auch weiterhin mitträgt, eingebunden war und ist. Er hat die DHKP-C durch die oben dargestellten Tätigkeiten jahrelang planmäßig in Abstimmung und Zusammenarbeit mit anderen Anhängern, Mitgliedern und Funktionären unterstützt und damit, insbesondere durch Verbreitung ihrer Ideologie und Beschaffung von finanziellen Mitteln, maßgeblich dazu beigetragen, dass die DHKP-C, deren Aktionen die Rückfront durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf ihrer Schriften, durch Einnahmen aus Spendengeldsammlungen und aus Musik- und anderen Veranstaltungen finanziert, in der Türkei Terroranschläge in erheblichem Umfang und Ausmaß durchführen konnte (vgl. dazu oben).
120 
Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, die das Bundesverwaltungsgericht zu Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und 1 QRL aufgestellt hat, hier gegeben.
121 
Nach der Ansicht des Senats liegen hier ohne weiteres "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 QRL vor und rechtfertigen die Ausweisung auch unionsrechtlich (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Ob daneben auch die nach Ansicht des Senats im Vergleich zu Art. 24 Abs. 1 QRL strengeren Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 QRL (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) erfüllt sind, ist hiervon ausgehend aber unerheblich, weil die Ausweisung weder eine Entscheidung über die Zurückweisung darstellt noch den - nach deutschem Recht titelunabhängigen - Schutz davor (vgl. § 60 Abs. 1 AufenthG) entzieht.
122 
8. In die übrigen, sich aus der Richtlinie ergebenden Rechte des international Schutzberechtigten, von denen der Anspruch auf den befristeten Aufenthaltstitel nur eines ist (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris), greift eine Ausweisung hier nicht ein.
123 
Dies gilt unabhängig davon, dass im deutschen Recht zum Teil, insbesondere im Bereich der Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, bestimmte durch die Richtlinie garantierte Rechte über den Aufenthaltstitel vermittelt werden (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 a.a.O.). Denn soweit die dem Statusinhaber in der Qualifikationsrichtlinie gewährten Rechte weder vom Fortbestehen des aufgrund des Status ausgestellten Aufenthaltstitels abhängig sind bzw. gemacht werden können, hat der Eingriff in den - Anspruch auf einen - Aufenthaltstitel auf diese ohnehin keinen Einfluss. Insoweit können dem Ausländer, dem internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt worden ist, die hierauf beruhenden Rechte nur mit der Zuerkennung als solcher entzogen werden.
124 
Es kann offenbleiben, ob und inwieweit einzelne Rechte noch nach der erfolgten Aufnahme durch Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Flüchtlingseigenschaft (vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) vom Fortbestand des vermittelten Aufenthaltsstatus bzw. von der Verlängerung des Aufenthaltstitels abhängig gemacht werden können und ob das nationale Recht die Voraussetzungen hierfür erfüllt (vgl. Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Denn im hier vorliegenden Fall hat, wie dargelegt, schon die bestandskräftige Ablehnung und nicht erst die streitgegenständliche Ausweisung zum Verlust des Titels und damit ggf. auch hiervon abhängiger Rechte geführt.
II.
125 
Die Anordnung der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54a AufenthG durch Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids sind ebenfalls rechtmäßig.
126 
Nach § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den eine vollziehbare Ausweisungsverfügung u.a. nach § 54 Nr. 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Nach Absatz 2 der Vorschrift ist sein Aufenthalt auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit diese keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Gesetz eingefügten Vorschriften (BT-Drucks. 15/3479 S. 9) dienen der Gefahrenabwehr. Sie sollen die von den nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG ausgewiesenen Ausländern ausgehende Gefahr einer Weiterführung von Handlungen im Vorfeld des Terrorismus eindämmen, gerade auch in Fällen, in denen mit einer baldigen Aufenthaltsbeendigung nicht zu rechnen ist (BR, Plenarprotokoll 802 vom 09.07.2004, S. 338 ff.). Die Ausländerbehörde hat die Möglichkeit, die gesetzliche Ausgestaltung der Überwachungsmaßnahmen je nach dem Gewicht der konkreten Gefahr zu modifizieren; dabei hat sie den mit einer Meldepflicht und einer Aufenthaltsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriff unter Wahrung des Gebots der Verhältnismäßigkeit zu beschränken und - insbesondere bei länger andauernder Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung - unter Kontrolle zu halten (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
127 
Der angegriffene Bescheid konkretisiert die gesetzlichen Verhaltenspflichten durch die Regelung, ohne von der gesetzlich im Normalfall vorgesehenen Meldehäufigkeit oder von der Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde abzuweichen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass vom Kläger eine geringere Gefahr ausgeht als von anderen Ausländern, die auf der Grundlage von § 54 Nr. 5 AufenthG ausgewiesen werden, so dass die gesetzlichen Verhaltenspflichten des § 54a Abs. 1 und 2 AufenthG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abzuschwächen wären, sind weder festgestellt noch vorgetragen. Nach nationalem Recht sind die Auflagen damit nicht zu beanstanden.
128 
Den auf der Grundlage von § 54a AufenthG verfügten Auflagen steht auch nicht der Anspruch des anerkannten Flüchtlings auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit innerhalb des jeweiligen Hoheitsgebiets nach Art. 33 QRL entgegen. Zwar gilt Art. 33 QRL unabhängig von der aufenthaltsrechtlichen Aufnahme im Mitgliedstaat und lässt eine Anknüpfung an den Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht zu (vgl. auch oben zu Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Ein anderes Verständnis lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zusammenhang mit Art. 26 GFK herleiten (so aber Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 939). Der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 33 QRL setzt eindeutig ausschließlich die Zuerkennung des internationalen Schutzstatus und nicht auch die erfolgte Aufnahme im Wege der Erteilung des Aufenthaltstitels voraus. Auch aus der englischen und französischen Fassung (Begünstigte des Status bzw. die, den Status genießen) ergibt sich nichts anderes. In der englischen Fassung lautet die Regelung:
129 
"Member States shall allow freedom of movement within their territory to beneficiaries of refugee or subsidiary protection status, under the same conditions and restrictions as those provided for other third country nationals legally resident in their territories."
Die französische Fassung lautet: "Les États membres permettent aux personnes bénéficiant du statut de réfugié ou du statut conféré par la protection subsidiaire de circuler librement à l'intérieur de leur territoire, dans les mêmes conditions et avec les mêmes restrictions que celles qui sont prévues pour les ressortissants d'autres pays tiers résidant légalement sur leur territoire."
130 
Dem entspricht es, dass die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Rechte, von denen der Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach Art. 24 QRL nur einer ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris), auch im Übrigen grundsätzlich nur an die Zuerkennung des jeweiligen Status anknüpfen (vgl. die unter Kapitel VII „Inhalt des nationalen Schutzes“ getroffenen Bestimmungen - Art. 22 ff., sowie die Erwägungsgründe 38 ff.). Das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit wird im jeweiligen Aufenthaltsstaat garantiert. Dabei fordert das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit nicht die Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, sondern, wie beim Zugang zu Wohnraum (Art. 32), mit Drittausländern, die sich rechtmäßig im jeweiligen Hoheitsgebiet aufhalten.
131 
Etwas anderes lässt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm nicht herleiten. Nach Art. 30 des Entwurfs der Kommission sollten Personen, die internationalen Schutz genießen, unbeschränkte Freizügigkeit in den jeweiligen Mitgliedstaaten erhalten (Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen, Schutz benötigen KOM(2001) 510 endgültig vom 12.9.2001: „Member States shall not limit the freedom of movement within their territory of persons enjoying international protection“). Der Kreis der Berechtigten wurde im Laufe des Normgebungsverfahrens nicht eingeschränkt. Allerdings wurde der Umfang der Freizügigkeit, die ihnen zu gewähren ist, aufgrund von Forderungen einzelner Mitgliedstaaten nach Ergänzung von Ausnahmen (z.B. aus Gründen der nationalen Sicherheit, öffentlichen Ordnung, Strafverfahren) eingeschränkt (EL/E/IRL/I/UK – Deutschland hatte einen Prüfungsvorbehalt geltend gemacht, vgl. Council doc. No. 10596/02, p. 36 und Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1198). Auch wenn die Gestaltung dieser Einschränkung mit Blick auf Art. 26 GFK erfolgt sein dürfte (vgl. Hailbronner, a.a.O.), der in der deutschen Fassung bestimmt, dass jeder vertragsschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewähren wird, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden (vgl. dazu unten), ergibt sich hieraus nicht, dass auch der Kreis der Berechtigten auf diejenigen anerkannten Schutzberechtigten, die sich rechtmäßig im Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, beschränkt werden sollte, und sich ausgewiesene Schutzberechtigte deshalb nicht darauf berufen können (so aber Marx a.a.O.). Denn zwar wird auch anerkannten Schutzberechtigten mit der erfolgten Einschränkung nicht mehr - wie zunächst vorgesehen - uneingeschränkte Freizügigkeit (wie den jeweiligen Staatsangehörigen), sondern nur noch in dem Umfang, wie diese auch anderen Drittstaatsangehörigen zusteht, die sich rechtmäßig im jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, gewährt. Die in Art. 26 GFK enthaltene Einschränkung auf sich „rechtmäßig“ im Hoheitsgebiet aufhaltende Schutzberechtigte wurde aber nicht übernommen. Offenbleiben kann damit, ob die nicht verbindliche deutsche Übersetzung der Genfer Flüchtlingskonvention überhaupt korrekt ist (vgl. die verbindliche englische und französische Fassung: Each Contracting State shall accord to refugees lawfully in its territory the Right … und Tout Etat Contractant accordera aux réfugiés se trouvant régulièrement sur son territoire le droit …) bzw. welche Bedeutung der Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts in dieser Bestimmung hat (vgl. zu diesem Begriff in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GFK vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 1.03 - juris) und insbesondere, ob damit ein rechtmäßiger, über den gewährten Schutz vor Zurückweisung hinausgehender Aufenthaltsstatus gemeint ist.
132 
Im Bereich der Freizügigkeit muss damit ein Ausländer, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist, auch wenn er ausgewiesen und/oder ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 3 QRL versagt werden kann bzw., wie im Falle des Klägers, versagt worden ist, einem sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer gleichgestellt werden.
133 
Für die Frage, welche sich mit oder ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer dabei als Vergleichsgruppe heranzuziehen sind, erscheint eine Auslegung unter der Berücksichtigung der in Art. 26 GFK naheliegend. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 15.01.2008 - 1 C 17.07 - juris) hat zu Art. 26 GFK entschieden, dass diese Vorschrift die Anwendung der Bestimmungen erlaubt, die allgemein für Ausländer unter den „gleichen Umständen“ gelten. Der Begriff der „gleichen Umstände“ wird in Art. 6 GFK näher definiert. Danach sind Differenzierungen, die sich „auf die Dauer und die Bedingungen des vorübergehenden oder dauernden Aufenthalts beziehen“, zulässig, wenn sie die betroffenen Personen auch erfüllen müssten, falls sie nicht Flüchtlinge wären, wenn sie also auch für andere Ausländer gelten würden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus geschlossen, dass etwa zwischen Ausländern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht und solchen, die nur einen befristeten Aufenthaltstitel haben, differenziert werden darf, aber auch nach den Aufenthaltszwecken, für die Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2008 a.a.O.).
134 
Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat in seiner Entscheidung offen gelassen, ob sich aus Art. 32 QRL 2004 (jetzt Art. 33 QRL 2011) engere Vorgaben für das Erfordernis der Ausländergleichbehandlung ergeben als aus Art. 26 GFK, aber darauf hingewiesen, dass Art. 33 QRL als Vergleichsgruppe der Gleichbehandlung die anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Aufnahmestaat aufhalten, wählt und keine Präzisierung wie Art. 6 GFK enthält. Der Senat kann ebenfalls offenlassen, ob die Einschränkung der Freizügigkeit in Art. 33 QRL mit der in Art. 26 GFK gleichbedeutend ist. Denn im vorliegenden Fall findet die Aufenthalts- und Meldeauflage ihre Grundlage in der in Art. 33 QRL vorgesehenen Einschränkung, auch wenn die Vergleichsgruppe alle sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörige sind, unabhängig von dem ihrem Aufenthalt jeweils zugrunde liegenden Zweck. Vor dem Hintergrund, dass sich allein aus dem Schutzstatus nach der Qualifikationsrichtlinie grundsätzlich kein Anspruch auf ein Daueraufenthaltsrecht ergibt, scheidet demgegenüber eine Gleichstellung mit Inhabern einer Niederlassungserlaubnis oder eines Daueraufenthalts-EU aus.
135 
Ausgehend von dieser Vergleichsgruppe sind die verfügten Auflagen rechtmäßig. Zwar können sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Drittausländer den hier verfügten Beschränkungen nicht auf der Grundlage des § 54a AufenthG unterworfen werden. Absatz 1 der Regelung sieht Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkungen für Ausländer, gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5, 5a oder Nr. 5b oder eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, zwingend vor (Satz 1). Ist ein Ausländer auf Grund anderer Ausweisungsgründe vollziehbar ausreisepflichtig, kann eine entsprechende Meldepflicht angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist (Satz 2). Auch die Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde gemäß Absatz 2 erfasst ausschließlich Ausländer im Sinne des Satzes 1 (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar, AuslR, Stand: 01.09.2013, § 54a Rn. 5; a.A. Hailbronner, a.a.O., § 54a Rn. 11). Aus dem systematischen Zusammenhang von Satz 1 und 2 des Absatzes 1 lässt sich bereits entnehmen, dass auch im Falle des Satzes 1 grundsätzlich eine vollziehbare Ausreisepflicht vorliegen muss, so dass auch ein Ausländer, der sich trotz vollziehbarer Ausweisung aufgrund eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht auf dieser Grundlage entsprechenden Beschränkungen unterworfen werden kann.
136 
Entsprechendes gilt für die gesetzliche Beschränkung des Aufenthalts vollziehbar Ausreisepflichtiger gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf das Gebiet des Landes. Auch sie enthält keine Grundlage für die räumliche Beschränkung sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltender Ausländer.
137 
Dagegen sieht aber § 12 AufenthG allgemein Nebenbestimmungen - auch unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltszweck - für Visa, Aufenthaltserlaubnisse oder im Falle des erlaubnisfreien Aufenthalts vor (für Niederlassungserlaubnisse bedarf es einer speziellen gesetzlichen Regelung vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 12 Abs. 2 AufenthG können das Visum und die Aufenthaltserlaubnis mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können - auch nachträglich - mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Auch der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann nach Absatz 4 der Bestimmung zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden. Eine solche Auflage muss ihre Rechtfertigung im Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden; sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen. In diesem Rahmen darf die Ausländerbehörde durch Auflagen öffentliche Interessen schützen, die durch die Anwesenheit des Ausländers nachteilig berührt werden können (BVerwG, Urteil vom 15.12.1981 - 1 C 145.80 - juris zu § 7 Abs. 4 AuslG), insbesondere Beschränkungen verfügen, die die Verhinderung von Straftaten und/oder verfassungsgefährdendem Verhalten im Sinne des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG bezwecken (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar a.a.O., AuslR, § 12 Rn. 12). Damit kann grundsätzlich gemäß § 12 Abs. 2 und 4 AufenthG - z.B. als gegenüber der Ausweisung milderes Mittel oder einziges Mittel, weil von einer Ausweisung aufgrund besonderer Umstände abgesehen wird oder abgesehen werden muss - eine fortbestehende Aufenthaltserlaubnis, unabhängig davon zu welchem Zweck sie erteilt worden ist, sowie ein erlaubnisfreier Aufenthalt auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt werden. Entsprechendes gilt für die Verhängung von der Überwachung dienenden Meldeauflagen, ohne die die räumliche Aufenthaltsbeschränkung in solchen Fällen nicht sicherzustellen ist (vgl. dagegen zur Unvereinbarkeit von Wohnsitzauflagen zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten mit Art. 28 Abs. 1 und 32 QRL vgl. OVG NRW, Urteil vom 21.11.2013 - 18 A 1291/13 - juris m.w.N.).
138 
Wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, steht auch Art. 26 GFK bei sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Flüchtlingen entsprechenden Auflagen nicht entgegen. Eine räumliche Beschränkung ihres Aufenthaltstitels auf dieser Grundlage verstößt schließlich auch nicht gegen das Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16.09.1963 (BGBl. 1968 II S. 423, 1109). Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Protokolls hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. Der Aufenthalt wäre aber nur insoweit rechtmäßig im Sinne des Art. 2 Abs. 1 des Protokolls, als sich der Ausländer in den Grenzen aufhält, die sein Aufenthaltstitel vorsieht, der den rechtmäßigen Aufenthalt räumlich beschränkt (BVerwG, Urteil vom 19.03.1996 - 1 C 34.93 - juris).
139 
Für den Senat besteht nach diesem Maßstab kein Zweifel daran, dass gegenüber jedem sich im Bundesgebiet mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis oder erlaubnisfrei aufhaltenden (Dritt-)Ausländer bei dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt auf der Grundlage des § 12 AufenthG die unter Ziff. 3 verfügten Beschränkungen hätten erlassen werden können. Im Hinblick darauf, dass der Kläger einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund durch die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verwirklicht hat, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sein Verhalten seit seiner Ausweisung grundlegend geändert hat oder in Zukunft ändern wird, erscheinen Beschränkungen seiner Freizügigkeit, um ihm weitere Aktivitäten zugunsten der DHKP-C zumindest zu erschweren, notwendig, geeignet und ihm Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers auch verhältnismäßig. Somit sind diese Beschränkungen auch mit Art. 33 QRL vereinbar.
140 
Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, dass derartige Beschränkungen gegenüber nicht vollziehbar Ausreisepflichtigen auf der Grundlage von § 12 AufenthG im Ermessen der Behörde stehen und auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG nicht - in einem Mindestumfang - zwingend vorgegeben sind. Denn der nach Art. 33 QRL vorzunehmende Vergleich dürfte ohnehin nur auf die grundsätzliche Zulässigkeit der Verhängung der beabsichtigten bzw. erfolgten Beschränkung auch gegenüber anderen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländern bei Zugrundelegung des gleichen Sachverhalts zielen. Unabhängig davon schließt es die gesetzgeberische Bewertung der Tatbestände der § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG als Regelausweisungsgründe und zwingende Versagungsgründe - auch in Bezug auf humanitäre Aufenthaltstitel - aus, bei deren Erfüllung von Beschränkungen, wie sie § 54a AufenthG vorsieht, ganz abzusehen, wenn im Einzelfall weder eine Ausweisung erfolgen noch der befristete Titel widerrufen oder zurückgenommen werden kann und deswegen eine Aufenthaltsbeendigung vorerst ausscheidet. Art und Umfang der Beschränkungen stehen auch nach § 54a AufenthG unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit, der vom Beklagten beachtet worden ist.
141 
Auch im Übrigen begegnen diese Auflagen keinen rechtlichen Bedenken. Das Regierungspräsidium hat die angegriffene Verfügung in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 insbesondere insoweit geändert, dass die Auflagen nun erst mit Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung wirksam werden sollen (vgl. im Übrigen Urteil des Senats vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - juris).
C.
142 
Schließlich ist auch die vom Beklagten mit Verfügung vom 24.02.2014 getroffene Befristungsentscheidung, die der Senat aufgrund des Hilfsantrags des Klägers, mit dem er die Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung auf Null begehrt, zu prüfen hat, überwiegend nicht zu beanstanden.
143 
Dieser Hilfsantrag des Klägers ist zulässig. Denn in der Anfechtung der Ausweisung war bereits erstinstanzlich zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 39 und vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 24; Beschluss vom 14.03.2013 - 1 B 17.12 - NVwZ-RR 2013, S. 574 Rn. 9 ff.). Nachdem das Verwaltungsgericht die Ausweisungsverfügung auf den Hauptantrag des Klägers hin aufgehoben hatte, hatte es über diesen Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden. In diesen Fällen fällt der Hilfsantrag im Berufungsverfahren an, wenn - wie hier - die Berufung zur Abweisung des Hauptantrags führt.
I.
144 
Nachdem der Beklagte während des Berufungsverfahrens eine Befristung für die Dauer von zehn Jahren ausgesprochen hat, ist vom Senat insoweit zunächst zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist, insbesondere, wie vom Kläger beantragt, auf Null hat. Dies ist nicht der Fall.
145 
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
146 
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf eine Dauer unter zehn Jahren. Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht bereits daran, dass der Kläger derzeit noch keinen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung hätte. Zwar knüpft in Fällen, wie dem vorliegenden, in dem die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG) ebenso ungewiss ist, wie die der freiwilligen Ausreise, der Fristbeginn nicht an ein gewisses bzw. von den Beteiligten herbeiführbares Ereignis an. Eine in dieser Weise bedingte Befristung verfehlt ihre eigentliche Aufgabe. Weder verschafft sie dem Ausgewiesenen eine zeitliche Perspektive noch trägt sie zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der zu folgen sich der Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung gehalten sieht, ist die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aber einheitlich so auszulegen, dass auch die Wirkungen der Ausweisung bereits mit Erlass der Ausweisungsverfügung zu befristen sind.
147 
Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre grundsätzlich überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn es besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus (§ 54 Nr. 5 AufenthG) und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Das Bundesverwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung durch die dem Kläger erteilte Duldung möglicherweise weit in die Zukunft verschoben ist, so dass die Fristbestimmung auf typisierende Annahmen zurückgreifen muss. Danach ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger keinerlei Neigung zeigt, von seiner Unterstützung der DHKP-C, die bereits auf das Jahr 1989 zurückgeht, abzusehen, so dass mit einer grundlegenden Änderung seines Verhaltens auch in ferner Zukunft nicht ernsthaft gerechnet werden kann.
148 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist - wohl ausgehend von der aktuellen Situation - an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, messen lassen. Dieses normative Korrektiv biete der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 a.a.O. jeweils Rn. 42 m.w.N.). Dabei seien insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
149 
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung muss hierzu die nach der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermittelte Frist zunächst wohl auch immer dann unmittelbar in einem zweiten Schritt relativiert werden, wenn, wie hier, noch ungewiss ist, ob überhaupt und ggf. bei Vorliegen welcher persönlichen Verhältnisse die gesetzte Frist, die auch nachträglich verkürzt werden kann, in Lauf gesetzt wird. Auch nach diesen Grundsätzen ist hier allerdings die Frist von 10 Jahren nicht zu verkürzen. Im vorliegenden Fall ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar durch Erwerbstätigkeit seinen Unterhalt sichert, aber eine besondere berufliche Integration liegt dem nicht zugrunde. Er ist als Reinigungskraft für häufig wechselnde (Leih-)Arbeitgeber tätig. Er ist erst im Alter von 31 Jahren nach Deutschland gekommen, verfügt über keine starken familiären Bindungen in Deutschland und es ist auch eine Verwurzelung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht zu erkennen. Sein politisches Denken ist maßgeblich auf die Türkei ausgerichtet und sein soziales Umfeld bilden gleichgesinnte Landsleute. Die Festsetzung einer Sperrfrist von zehn Jahren ist damit auch unter Zugrundelegung der vom Bundesverwaltungsgericht (vgl. oben) entwickelten Kriterien verhältnismäßig.
150 
Der Senat verkennt nicht, dass sich aus dem oben Dargelegten auch ergibt, dass die Wirkungen der Ausweisung (weitgehendes Titelerteilungsverbot, Verfestigungssperre, Ausreisepflicht), die nicht erst mit der Ausreise des Klägers eintreten, sondern bereits mit Wirksamkeit oder Vollziehbarkeit der Verfügung, trotz der Befristung auf 10 Jahre letztlich unbefristet fortwirken. Dies beruht aber unabhängig davon, welche Frist festgesetzt wird, auf der Art der Bedingtheit des Fristbeginns (vgl. oben) in Fällen, wie dem vorliegenden, und führt nicht dazu, dass diese oder alle Wirkungen der Ausweisung unabhängig von einer Ausreise oder gar auf Null zu befristen sind. Denn nach dem eindeutigen und damit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG beginnt die nach Satz 3 bis 5 festzusetzende Frist mit Ausreise.
151 
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht hiervon abweichend einen Anspruch auf eine Befristung auf Null in Ausnahmefällen angenommen (vgl. zuletzt BVerwG, Urteile vom 06.03.2014 - 1 C 2.13 - und - 1 C 5.13 - juris, m.w.N.). Es handelte sich dabei aber um Fallgestaltungen, in denen aufgrund von Änderungen der Sachlage grundsätzlich ein Widerruf der bestandskräftigen Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit mit sofortiger Wirkung in Betracht gekommen wäre (vgl. § 51 Abs. 5 und § 49 Abs. 1 LVwVfG). Da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 49 LVwVfG auch schon vor Ausreise grundsätzlich oder jedenfalls dann ausscheidet, wenn es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - und vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris zu nach § 11 AufenthG), muss in solchen Fällen nun statt eines Widerrufs eine gesetzlich nicht vorgesehene Befristung auf Null erfolgen. Aus dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich nach Ansicht des Senats aber nichts dafür herleiten, dass ein (Hilfs-)Anspruch auf Befristung ohne Ausreise oder sogar auf Null bereits bei der erstmaligen Befristung gleichzeitig mit Erlass einer rechtmäßigen Verfügung bestehen könnte. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich nichts anderes, da der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von dem Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung der Frist maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten und insoweit auch einen nachträglich entstandenen Anspruch auf Befristung auf Null geltend machen kann.
152 
Im Übrigen gibt es derzeit auch keine Gründe dafür, dem Kläger die Verfestigung seines Aufenthalts bereits ab einem früheren Zeitpunkt wieder zu ermöglichen. Zudem sind die Auflagen und Beschränkungen, wie dargelegt, unabhängig hiervon unter Kontrolle zu halten und ggf. zu beschränken.
II.
153 
Allerdings gibt es für die von der Behörde unter Ziffer 2 der Befristungsentscheidung angeordnete Hemmung dieser Frist im Falle einer erneuten unerlaubten Einreise vor Fristablauf derzeit keine Rechtsgrundlage.
154 
Auch wenn in der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums des Innern zum Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Stand: 07.04.2014, Zu Nummer 8) zum dort vorgesehenen Absatz 8 der Neuregelung des § 11 AufenthG, der eine Unterbrechung des Fristablaufs durch eine unerlaubte Einreise vorsieht, ausgeführt wird, die Regelung stelle klar, dass der Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach einer unerlaubten Wiedereinreise nicht im Bundesgebiet abgewartet werden könne, entspricht dies nicht der jetzigen Rechtslage, da § 11 AufenthG in der derzeitigen Fassung keinen Hinweis auf einen solche Unterbrechung der Frist enthält, so dass die Frist nach der ersten maßgeblichen Ausreise oder Abschiebung allein durch den anschließenden Zeitablauf endet (vgl. Urteil des Senats vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 - juris Rn. 73 m.w.N), ohne dass es auf danach eintretende Ereignisse ankommt.
155 
Es besteht derzeit aber auch keine Rechtsgrundlage für die behördliche Bestimmung einer Fristhemmung oder -unterbrechung für die von ihr festzusetzende Frist. Dass es sich bei den Ausführungen unter Ziffer 2 der Befristungsregelung nicht um einen unverbindlichen - die Rechtslage verkennenden - Hinweis handelt, folgt zum einen daraus, dass diese Bestimmung eigenständiger Teil des Tenors der Verfügung ist und nicht ein lediglich ergänzender Text in Ziffer 1 der Verfügung. Zum anderen ist die Hemmung des Fristablaufs in der Verfügung auch selbständig begründet:
156 
„Der präventive Ausweisungszweck wird bis zu dem oben bestimmten Fristablauf nicht erreicht, wenn eine unerlaubte Einreise vor Fristablauf erfolgt. Einmal ist die unerlaubte Einreise und der unerlaubte Aufenthalt entgegen dem Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Straftat gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Zum anderen geht die Wirkung der Ausweisung, die u. a. gerade durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot gekennzeichnet ist, ins Leere, wenn sich Herr T... trotz des Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet aufhält. Dies rechtfertigt die Hemmung des Fristlaufes in der Zeit eines unerlaubten Aufenthaltes. Die Frist läuft damit erst dann weiter, wenn Herr T... das Land wieder verlassen hat. Insoweit soll die Regelung dazu beitragen, dass der präventive Ausweisungszweck nicht gefährdet wird. Zudem soll eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt vermieden werden. Auch an diesem Regelungszweck besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, wie die Strafvorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG unterstreicht.“
157 
Diese Begründung für die Anordnung der Fristhemmung im konkreten Fall lässt klar erkennen, dass es sich bei der Ziffer 2 der Verfügung auch nach der Vorstellung der Behörde um eine verbindliche, von ihr getroffene Regelung und nicht um eine sich - ihrer Meinung nach - bereits aus dem Gesetz ergebende regelmäßige Folge handelt.
158 
Die Bestimmung der Hemmung des Fristablaufs steht zwar - anders als die Bestimmung des Neubeginns (früher: Unterbrechung) - nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, dass die Frist mit der Ausreise beginnt. Denn sie berührt den Fristbeginn nicht, sondern modifiziert ausschließlich den im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Ablauf der von der Behörde zu setzenden Frist. Dennoch ist die Regelung zur Hemmung aber derzeit nicht im Rahmen und als Teil der Bestimmung der Fristdauer möglich, sondern bedarf einer gesetzlichen Grundlage, an der es im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlt. Auch dies entnimmt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung nach § 11 AufenthG, der er - wie dargelegt - aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung folgt. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nur betont, dass es sich bei der Befristung um eine gerichtlich vollständig überprüfbare Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sondern es hat selbst in Fallkonstellationen, in denen besonders gefahrbringende Gewohnheiten oder persönliche Eigenschaften vorlagen, dem jeweiligen Kläger einen Anspruch auf unbedingte Befristung jeweils unter zehn Jahren zugesprochen, ohne bei der Festsetzung dieser Fristdauer eine solch naheliegende Bestimmung zum Fristablauf wie die Hemmung im Falle der unerlaubten Einreise bis zur erneuten Ausreise überhaupt in Betracht zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
159 
Daraus, dass diese Bestimmung zur Hemmung des Fristablaufs damit nicht hätte ergehen dürfen, folgt nicht, dass die Befristungsverfügung insgesamt aufzuheben, und das beklagte Land zur erneuten Befristung auf zehn Jahre ohne die vorgesehene Hemmung zu verpflichten wäre, da das gleiche Ergebnis hier schon mit der Aufhebung der Verfügung zu Ziffer 2 in einfacherer Weise erreicht wird.
D.
160 
Der Senat misst diesem geringfügigen Obsiegen des Klägers keine Bedeutung für die Kostenfolge zu. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
E.
161 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
162 
Beschluss vom 14. Mai 2014
163 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt (§§ 39 Abs. 1, 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
164 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
36 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des beklagten Landes hat Erfolg.
A.
37 
Soweit sich die Berufung des Beklagten gegen die Aufhebung der Ziffer 2 ihrer Verfügung vom 20.01.2012 richtet, hat sie bereits deswegen Erfolg, weil - soweit die Ziffer 2 der Verfügung überhaupt Gegenstand des Klageverfahrens war (I.) - die erhobene Anfechtungsklage insoweit unzulässig ist (II.).
I.
38 
Der Kläger hat am 21.02.2012 „Anfechtungsklage wegen Ausweisung“ erhoben, ohne den angegriffenen Bescheid vorzulegen. Die Begründung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Sachverhaltswiedergabe und die Würdigung, dass die Verfügung rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze. Der schriftsätzliche Klageantrag war gerichtet auf die Aufhebung der Verfügung vom 20.01.2012. Die hierzu vorgelegte Vollmacht war wegen „Ausweisung“ erteilt worden. Späteres Klagevorbringen befasst sich ausschließlich mit den angeschuldigten Aktivitäten für die DHKP-C. Hiervon ausgehend, ist nicht erkennbar, dass die erhobene Klage auch die Ziffer 2 der Verfügung erfassen sollte. Der Kläger hat auch nicht dazu vorgetragen, dass ihm von der Wirkung der Ausweisung abgesehen der abgelehnte Aufenthaltstitel zustünde und hätte erteilt werden müssen. Unerheblich ist, ob der Kläger die Ablehnung der Verlängerung ausdrücklich - anders als die Ausweisung - hinnehmen wollte oder diese weitere Entscheidung in der Verfügung aus den Augen verloren bzw. ihre selbständige Bedeutung verkannt hat. War das Klagebegehren damit - aus welchen Gründen auch immer - lediglich auf die Aufhebung der Ausweisung gerichtet, kann die Anfechtungsklage auch im Wege der sachdienlichen Auslegung nicht zugleich als Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten Verlängerung behandelt werden. Denn nach § 88 VwGO ist das Gericht nicht an die Formulierung des Klageantrags gebunden, wohl aber an das Klagebegehren, das sich aus dem gesamten Klagevorbringen ergibt.
II.
39 
Geht man ungeachtet dessen zugunsten des Klägers davon aus, dass der auf Aufhebung der Verfügung gerichtete Antrag auch die Ziffer 2 der Verfügung betroffen hatte, wäre das Klageziel vom Verwaltungsgericht falsch bestimmt worden. Denn dieses hatte den Klageantrag nicht nur in der mündlichen Verhandlung und dementsprechend im Tatbestand ausschließlich als Anfechtungsantrag aufgenommen, sondern auch, wie sich aus der bloßen Aufhebung der Ziffer 2 ergibt, nicht im Sinne eines rechtlich gebotenen Verpflichtungsbegehrens beschieden. Denn es hat offenbar in der Annahme, dass der Kläger durch den mit Klageerhebung angekündigten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten Aufhebungsantrag ein solches Klageziel festgelegt hat, auch zu Ziffer 2 der Verfügung ein Aufhebungsurteil erlassen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40 
Soweit das wahre Klageziel damit teilweise verkannt worden sein sollte, weil der Kläger trotz des als Anfechtungsantrag schriftsätzlich formulierten und protokollierten Klageantrags hinsichtlich der Ziffer 2 eigentlich ein Verpflichtungsbegehren verfolgen wollte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1966 - VIII C 30.66 - juris), stellt das Urteil kein Teilurteil dar, sondern leidet an einem Verfahrensfehler, weil das Gericht gem. § 88 VwGO an das Klagebegehren gebunden war. Wurde der Verpflichtungsanspruch dabei rechtsirrtümlich nicht beschieden, weil er nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht rechtshängig war, liegt kein Übergehen im Sinne des § 120 VwGO vor, so dass dieser Verfahrensfehler mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen innerhalb der gegebenen Frist geltend zu machen gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - und Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - jeweils juris). Mit Ablauf der Frist des hierfür gegebenen Rechtsmittels endet die Rechtshängigkeit in Bezug auf das rechtsirrtümlich nicht beschiedene Begehren (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - a.a.O.). Übergeht ein Gericht einen gestellten Antrag versehentlich, so erlischt die Rechtshängigkeit insoweit mit Ablauf der Ergänzungsantragsfrist des § 120 Abs. 2 VwGO. Im Ergebnis wäre die Rechtsfolge hier in beiden Fällen die gleiche, weil die Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO längst abgelaufen ist und der Kläger die Entscheidung weder mit dem Zulassungsbegehren angegriffen hat, das beklagte Land auch zur Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG zu verpflichten, noch, nachdem auf den Antrag des Beklagten die Berufung zugelassen worden war, innerhalb eines Monats (§ 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO) nach der am 02.12.2013 erfolgten Zustellung der Berufungsbegründung Anschlussberufung eingelegt hat. Damit ist auch dann, wenn das Klageziel des Klägers ursprünglich ein Verpflichtungsbegehren auf Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG umfasst hat, dieses jedenfalls nicht mehr anhängig und damit nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Es bleibt hinsichtlich der Ziffer 2 der Verfügung damit im Berufungsverfahren, in dem allein der Beklagte Berufungsführer ist und deshalb eine Klageänderung mit dem Ziel der Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zugunsten des Klägers nach Ablauf der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2006 - VII ZR 73/04 - juris zu § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO), bei der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten und beschiedenen isolierten Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der beantragten Verlängerung. Diese Klage ist unzulässig.
41 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich (nur) durch eine Verpflichtungsklage ("Versagungsgegenklage") zu erstreiten ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Die Rechtsprechung erkennt dabei an, dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so überhaupt oder besser abgewendet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 09.03.1982 - 9 B 360.82 - DÖV 1982, S. 744 und Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171). In derartigen Fällen besteht ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine (isolierte) Anfechtungsklage. Dazu zählt etwa die isolierte Anfechtung der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn die beklagte Ausländerbehörde zwischenzeitlich nicht mehr zuständig ist, oder die isolierte Anfechtung der Einstellung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt wegen angeblichen Nichtbetreibens des Verfahrens (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - m.w.N., juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.08.2009 - 1 C 30.08 - BVerwGE 134, 335 und vom 05.09.2013 - 10 C 1.13 - juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die Ausnahmefälle zutreffend zusammengefasst dahin umschrieben werden können, dass eine isolierte Anfechtung stets dann nicht am Vorrang der Verpflichtungsklage scheitert, wenn sich das Verpflichtungsbegehren erledigt hat oder der Kläger jedenfalls den Verwaltungsakt nicht mehr erstrebt, die Ablehnung aber eine selbständige Beschwer enthält. Es sei aber in jedem Fall zu beachten, dass die Zulassung einer isolierten Anfechtung nicht zu einer Umgehung von spezifisch für die Verpflichtungsklage geltendem Verfahrensrecht führen dürfe wie beispielsweise der Unanwendbarkeit des § 113 Abs. 3 VwGO und zudem zu berücksichtigen sei, dass die Beschränkung auf eine isolierte Anfechtung - bei Abweisung der Klage - zu einem endgültigen Rechtsverlust ohne gerichtliche Sachprüfung führen kann. Das ergebe sich notwendig daraus, dass eine isolierte Anfechtung nur Sinn hat und den Vorrang der Verpflichtungsklage wahre, wenn auch die gerichtliche Prüfung auf die geltend gemachten isolierten Anfechtungsgründe beschränkt bleibe. Die noch weitergehende allgemeine Zulassung der isolierten Anfechtungsklage anstelle der Verpflichtungsklage, die zugleich mit einer Vollprüfung auch aller materiellen Anspruchsvoraussetzungen verbunden sein solle, widerspräche dem gesetzlichen Rechtsschutzsystem und wäre im Hinblick auf die Wiedereröffnung des Rechtswegs - nach einer Stattgabe der Klage, die das Verpflichtungsbegehren praktisch in die Verwaltung zurückverweise - mit dem Grundsatz der Prozessökonomie schwerlich zu vereinbaren (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - juris).
42 
Nach diesen Grundsätzen ist die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 2 der Verfügung unzulässig. Hier konnte die Klage nicht auf isoliert geltend gemachte Anfechtungsgründe beschränkt werden. Eine Aufhebung wäre vielmehr nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn alle Voraussetzungen für die Titelerteilung geprüft und bejaht worden wären, was prozessual zur Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung hätte führen müssen. Die vorliegende Aufhebung stellt damit eine unzulässige Zurückverweisung an die Verwaltung dar. Vor diesem Hintergrund könnte auch eine selbständige Beschwer der Ablehnungsentscheidung die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage nicht begründen. Zudem kann eine solche nicht in der hierdurch bedingten Beendigung der Fiktionswirkung gesehen werden. Hieraus lässt sich, entgegen der Ansicht des Klägers, kein schützenswertes Interesse an der isolierten Aufhebung einer Ablehnungsentscheidung ableiten. Vielmehr spricht schon die gesetzliche Begrenzung der Fiktionswirkung auf die Zeit bis zur Entscheidung der Ausgangsbehörde, die auch im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht verlängert wird, dagegen, deren Wegfall nach Abschluss des Verfahrens als eigenständige Beschwer einer Ablehnungsentscheidung anzusehen. Die Fiktionswirkung vermittelt auch bis zu diesem Zeitpunkt eine nur vorläufige und rein verfahrensrechtliche Position (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris), die die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO bis zum Ergehen des Bescheids erübrigt und die sicherstellt, dass der Antragsteller durch die verspätete Entscheidung über seinen Antrag nicht schlechter gestellt, wird, als wenn die Behörde alsbald entschieden hätte (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris). Diese Funktion der Fiktionswirkung schließt aber nicht nur die Verfestigung des Aufenthalts aufgrund dieser verfahrensrechtlichen Position aus, sondern auch ein rechtlich schützenswertes Interesse daran, eine endgültige Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens des Anspruchs auf den erstrebten Aufenthaltstitel hinauszuzögern, um diese lediglich den status quo während des Verwaltungsverfahrens sichernde Position möglichst lange aufrecht zu erhalten. Vielmehr besteht bei Verfahren zur Klärung des Aufenthaltsstatus - ebenso wie bei sonstigen Statusverfahren - das schützenswerte private Interesse allein an einer zügigen abschließenden Klärung und der Beendigung eines Schwebezustands.
B.
43 
Die Berufung des Beklagten ist auch bezüglich der Aufhebung von Ziffer 1 und Ziffer 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.01.2012 begründet. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung (I.), der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung (II.) sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten kürzeren Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf Null (C.) ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
I.
44 
Die unter Ziffer 1 des Bescheids vom 20.01.2012 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig.
45 
Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 54 Nr. 5, 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 55 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Nach dieser Vorschrift liegt ein Ausweisungsgrund vor, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Dabei gilt sowohl für das Tatbestandsmerkmal "Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt" als auch für das Vorliegen von Indiztatsachen, die den Schluss auf eine Zugehörigkeit des Ausländers zu der Vereinigung oder ihre Unterstützung rechtfertigen, der normale Beweismaßstab der vollen gerichtlichen Überzeugung. Der reduzierte Beweismaßstab, wonach diese Tatsachen eine entsprechende Schlussfolgerung lediglich rechtfertigen, nicht aber zur vollen gerichtlichen Überzeugung beweisen müssen, bezieht sich nur auf die Frage, ob der betroffene Ausländer der Vereinigung tatsächlich angehört oder sie individuell unterstützt (hat) (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris).
46 
1. Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus in diesem Sinne, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da § 54 Nr. 5 AufenthG der präventiven Gefahrenabwehr dient und die Eingriffsmöglichkeiten des Aufenthaltsrechts auch die Vorfeldunterstützung durch so genannte Sympathiewerbung erfasst (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 a.a.O.).
47 
Die DHKP-C ist eine Vereinigung in diesem Sinne. Die DHKP-C ist eine Nachfolgeorganisation der 1970 gegründeten THKP-C, aus der im Jahre 1978 die Devrimci Sol (deutsch: Revolutionäre Linke, kurz: Dev Sol) entstand, die darauf ausgerichtet war, in der Türkei durch Anwendung revolutionärer Gewalt einen politischen Umsturz herbeizuführen und eine Gesellschaftsordnung nach marxistisch-leninistischem Muster zu errichten. Im Jahre 1980 wurde die Dev Sol in der Türkei verboten. Mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 27.01.1983 wurde die Dev Sol nebst zugehöriger Teilorganisationen auch in Deutschland bestandskräftig verboten. Die DHKP-C wurde am 13.08.1998 in das Verbot einbezogen. Nach der ab 1992 infolge innerorganisatorischer Meinungsverschiedenheiten und persönlicher Auseinandersetzungen einsetzenden (Auf-)Spaltung der Dev Sol in zwei konkurrierende und sich gegenseitig bekämpfende Gruppierungen (sog. „Karatas-/Yagan-Flügel“) konstituierten sich die Anhänger des „Karatas-Flügels“ auf einem vom 30.03.1994 bis 09.05.1994 abgehaltenen Parteigründungskongress in Damaskus zur DHKP-C als Zusammenschluss der Revolutionären Volksbefreiungspartei (DHKP) und der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKC). Es wurden ein Parteiprogramm und Satzungen für die DHKP bzw. DHKC sowie Grundsatzbeschlüsse, in denen die Leitlinien der DHKP-C verbindlich festgelegt wurden, verabschiedet. Als Gründungstag wurde das Datum der (Partei-)Kongresseröffnung (30.03.1994) festgelegt (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Ihre Zielsetzung ist die Herbeiführung einer Weltrevolution und der Sturz des Imperialismus, wobei nach der Parteiprogrammatik der DHKP-C Aktivitäten und bewaffneter Kampf nicht nur in der Türkei, sondern grundsätzlich auch in anderen Staaten zu erfolgen haben (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
48 
Außerhalb der Türkei hat sich die DHKP-C insbesondere in zahlreichen westeuropäischen Ländern sowie in Südosteuropa, organisationsintern als „Rückfront“ bezeichnet, strukturell verfestigt. Die an der „Rückfront“ in Europa für die DHKP-C Agierenden sind den Führungsorganen unterstellt, die sich ebenfalls überwiegend im europäischen Ausland aufhalten, und in die hierarchischen Strukturen der (Gesamt-)Organisation eingebunden sind. Ziel und Aufgabe der in den genannten Staaten errichteten Organisationseinheiten ist es, die Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes in der Türkei zu fördern. Die „Rückfront“ der DHKP-C ist für die Verwirklichung der Zielsetzungen dieser Vereinigung von herausragender, zentraler Bedeutung und unverzichtbar. Innerhalb der „Rückfront“ ist Deutschland aufgrund der hohen Anzahl der hier lebenden türkischstämmigen Personen, deren finanzieller Möglichkeiten und des daraus resultierenden Potentials zur personellen und materiellen Unterstützung von Aktivitäten der DHKP-C in der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet dieser Organisation. Diese ist bestrebt, die im Bundesgebiet ansässigen Personen mit türkischem Migrationshintergrund zur aktiven Mitarbeit in der DHKP-C, mindestens aber zur finanziellen Förderung ihrer Partei- und Frontarbeit zu veranlassen. Im Jahre 2008 waren der DHKP-C bundesweit etwa 650 Personen zuzurechnen, die sich in unterschiedlicher Weise und Funktion an der Rückfront für diese Organisation betätigten (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Diese Zahl ist stabil und weiterhin gültig (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
49 
Die DHKP-C führt ihren bewaffneten Kampf auch unter Einsatz terroristischer Anschläge und Attentate. Unter Zugrundelegung der Einträge und des unten dargestellten Diagramms aus der Global Terrorism Database des National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism, einem Center of Excellence of the U.S. Department of Homeland Security, University of Maryland waren die terroristischen Aktivitäten der Dev Sol und ihrer Nachfolgeorganisation der DHKP-C in der Türkei in den Jahren von 1988 bis 1995 besonders hoch. 1995 übten sie auch terroristische Anschläge in Wien und in Köln aus und 1996 auch in den in den Niederlanden. Seit 1999 agiert die DHKP-C in Europa gewaltfrei. Auch in der Türkei ebbten bis 2003 zunächst die Aktivitäten ab. Jedoch kam es dort weiterhin bis 2001 zu ein bis drei terroristischen Anschlägen pro Jahr.
50 
2001 wurden drei Anschläge auf die Istanbuler Polizei verübt. Beim letzten am 10.09.2001 handelte es sich um einen Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in Istanbul(-Taksim) durch das Frontmitglied U. Bülbül, bei dem zwei Polizeibeamte und ein Tourist getötet sowie mehrere Personen verletzt wurden.
51 
Am 20.05.2003 explodierte in einem Café in Ankara-Cankaya eine Bombe, welche Sengülül Akkurt bei der Vorbereitung einer so genannten Aufopferungsaktion in einem Gürtel an ihrem Körper befestigt hatte, um einen Anschlag auf das türkische Justizministerium durchzuführen. Bevor die Selbstmordattentäterin ihr Ziel erreicht hatte, kam es zur vorzeitigen Detonation der Sprengvorrichtung. Die 26-jährige Akkurt wurde dabei getötet. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden.
52 
Am 03.06.2003 verübte eine sogenannte Aufopferungseinheit der DHKP-C mittels einer ferngezündeten (Splitter-)Bombe in Istanbul einen Anschlag auf einen (Service-)Bus der türkischen Justizbehörden, in dem sich Richter und Staatsanwälte des Staatssicherheitsgerichts befanden. Durch die Explosion mit Schrapnell- und Druckwirkung wurden insgesamt sieben Fahrzeuginsassen leicht verletzt. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden an mehreren Kraftfahrzeugen. Der Explosionsort befand sich an einer stark frequentierten Küstenstraße, auf der zum Tatzeitpunkt sehr dichter Verkehr herrschte.
53 
Am 29.04.2009 kam es in der Rechtsfakultät der Bilkent Universität Ankara zu einem versuchten Selbstmordanschlag auf den ehemaligen türkischen Justizminister H. Sami Türk. Dieser blieb unverletzt, da es der 25-jährigen Attentäterin, Didem A., die vier Kilogramm TNT sowie eine Pistole nebst Munition mit sich führte, nicht gelang, den Sprengsatz zur Explosion zu bringen bzw. von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...).
54 
Bei diesen auch in dem genannten Register aufgenommenen Anschlägen der DHKP-C handelt es sich um dieser mit Sicherheit zurechenbare terroristische Anschläge. Es gab im Jahre 2003 und auch in den nachfolgenden Jahren bis 2007 weitere Aktionen, die dieser Organisation zugerechnet werden, wie sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - in Sachen E... D... (rechtskräftig seit dem 22.01.2014) ergibt. Maßgeblich ist aber, dass diese Organisation nie - und damit auch nicht in den Jahren 2004 bis 2008 - von dem Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele abgerückt ist, was auch in der erneuten Zunahme auch terroristischer Anschläge ab 2012 deutlichen Ausdruck findet.
55 
Das Oberlandesgerichts Stuttgart hat in seinem Urteil vom 18.06.2013 (6 OJs 1/11) ausgeführt:
56 
„Nachdem im Sommer 2011 die frühere Europaverantwortliche der DHKP-C, Gülaferit Ünsal („Gülsen“), in Griechenland festgenommen und drei Monate später in der Wohnung eines - bei der Herstellung einer unkonventionellen Spreng-/Brandvorrichtung (USBV) zu Tode gekommenen - „DHKP-C-Aktivisten“ in Thessaloniki von Sicherheitskräften ein umfangreiches Waffen-/Sprengstofflager sichergestellt worden war, wurde im Mai 2012 organisationsintern (in der Zeitschrift Devrimci Sol - hierzu mehr bei C. II. 3. -) zu einer intensivierten Fortsetzung des bewaffneten Kampfs aufgerufen. Ab Mitte Juni 2012 kam es daraufhin in der Türkei im Zuge einer „Anschlagsoffensive“ zu - in dichter Folge verübten - Anschlägen, Selbstmordattentaten durch „Kämpfer“ der DHKP-C sowie einer (organisationsinternen) „Bestrafungsaktion“. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Vorgänge:
57 
- Am 12. Juni 2012 verübten zwei Angehörige der DHKP-C einen Sprengstoffanschlag auf eine Istanbuler Polizeidienststelle; einer der (beiden) Täter (Erdal Dalgic) wurde verletzt festgenommen und verstarb kurze Zeit später;
- am 15. Juni 2012 schoss ein Organisationsmitglied in Istanbul - (u. a.) in der Absicht, den Tod Dalgics zu „rächen“ - auf einen Polizeibeamten (M... S. Y...); dieser erlitt mehrere Schussverletzungen, darüber hinaus wurde bei dem Vorgang eine weitere Person (durch einen Querschläger) getroffen und (leicht) verletzt;
- am 16. Juni 2012 überfielen bewaffnete „Kämpfer“ der DHKP-C in Istanbul auf offener Straße ein „Polizeiteam“; ein Polizeibeamter (Z... Y...) wurde erschossen; ein weiterer Polizist sowie ein Zivilist erlitten jeweils Verletzungen;
- am 20. Juli 2012 erschossen der Kommandant einer Kampfeinheit, Hasan S. Gönen, und die ihn begleitende Sultan Isikli in Istanbul bei einer Fahrzeugkontrolle zwei (Polizei-)Beamte; Gönen konnte (schwer verletzt) festgenommen werden und verstarb tags darauf;
- am 11. September 2012 verübte Ibrahim Cuhadar, ein „Selbstmordkämpfer“ der DHKC, ein Attentat auf eine Polizeiwache in Istanbul (-Gazi); neben dem Attentäter wurde ein Polizist getötet; sieben weitere Personen erlitten Verletzungen;
- am 25. Oktober 2012 verletzten „Kämpfer“ der DHKP-C das (frühere) Organisationsmitglied A... A..., die des Verrats bezichtigt worden war, mittels eines Kopfschusses im Rahmen einer Bestrafungsaktion;
- am 8. Dezember 2012 kam es durch zwei „Kämpferinnen“ der Organisation zu einem, mittels Handgranaten durchgeführten, Anschlag auf ein Polizeirevier in Istanbul; zwei Polizeibeamte wurden verletzt; eine Täterin (N... A...) konnte festgenommen werden;
- am 11. Dezember 2012 töteten Mitglieder der DHKP-C in Istanbul einen uniformierten Polizeibeamten. Im Zuge der Ausführung dieses Anschlags wurden überdies drei Passanten verletzt, die versucht hatten, die Tatausführung zu verhindern;
- am 1. Februar 2013 verübte Ecevit (Alisan) Sanli, ein vormals unter dem Decknamen „Yücel“ als Gebietsverantwortlicher der DHKP-C in Berlin agierender „Märtyrerkämpfer“, einen Selbstmordanschlag auf das Gebäude der US-Botschaft in Ankara. Neben dem Attentäter wurde ein türkischer Sicherheitsbeamter (Mustafa Akarsu) getötet; zwei weitere Personen wurden verletzt;
- am 19. März 2013 führten „Kämpfer“ der Organisation Anschläge auf das türkische Justizministerium sowie die (General-) Zentrale der AK-Partei in Ankara aus und brachten im Zuge dessen neben zwei Handgranaten auch eine Panzerfaust („LAW/LAV“) zur Explosion. Eine Person wurde leicht verletzt“.
58 
Die hier genannten terroristischen Anschläge und Selbstmordattentate vom 12.06., 11.09., 08.12. und 11.12.2012 werden ebenfalls in der GT-Datenbank aufgeführt, aus der für die Folgejahre 2013 und 2014 noch keine Daten abrufbar sind.
59 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse war die DHKP-C (sowie ihre Vorgängerorganisation Dev Sol) als eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG anzusehen und ist dies auch weiterhin, weil sie seit Gründung ihrer Vorgängerorganisation der Dev Sol im Jahr 1978 ihre Ziele jedenfalls auch mit terroristischen Mitteln verfolgt. Dies steht für den Senat in Übereinstimmung mit der strafrechtlichen Beurteilung des Bundesgerichtshofs fest, wonach es sich um eine Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris), handelt.
60 
Diese Einschätzung wird auch dadurch bestätigt, dass die DHKP-C bereits seit 2002 in der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste terroristischer Organisationen (Ratsbeschluss 2002/460/EG vom 17.06.2002) aufgeführt wird (vgl. zuletzt Ziff. 2.23 des Anhangs zum Beschluss 2014/72/GASP des Rates vom 10.02.2014).
61 
2. Der Kläger ist seit vielen Jahren Anhänger der DHKP-C und fördert diese, nachdem er bereits für die Dev Sol tätig war, zumindest als ein in dieser Organisation seit ihrer Gründung verwurzelter Aktivist.
62 
a) Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen DHKP-C - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (siehe BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris jeweils m.w.N.).
63 
b) Nach diesen Maßstäben sind hier die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere der strafgerichtlichen Urteile, liegen jedenfalls Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger, der schon 1989 für die 1978 gegründete Dev Sol aktiv war, seit seiner Einreise ins Bundesgebiet Ende 1995 die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation unterstützt (siehe zum reduzierten Beweismaß für das Unterstützen der Vereinigung durch den Ausländer BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris Rn. 15). Es spricht sogar viel dafür, dass der Kläger seit ihrer Gründung im Frühjahr 1994 in Damaskus Mitglied der DHKP-C und damit Mitglied einer Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist, worauf es jedoch nicht entscheidend ankommt.
64 
Hintergrund für seine Ausreise aus der Türkei im Jahre 1995 und sein Asylgesuch im Bundesgebiet war u.a., dass der Kläger am 31.08.1993 zusammen mit E... Ö... in der Türkei vor Gericht gestanden hatte. Sie hatten dort ihre linken Hände erhoben und gerufen: „Die Strafe kann uns nicht erschüttern, wir sind im Recht und werden gewinnen, Kurdistan wird dem Faschismus zum Grabe“ (bestätigt durch die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 24.03.2000 an das Verwaltungsgericht Stuttgart im Verfahren A 5 K 10696/96). Deshalb war er nach seinen Angaben zu einem Jahr Haft verurteilt worden, die er nicht angetreten hat.
65 
Nach den Erkenntnissen in den Behördenakten wurde er 1998 in Begleitung des M... B..., des damaligen Vereinsvorsitzenden des Anatolischen Kunst- und Kulturhauses, mit DHKP-C-Zeitschriften angetroffen.
66 
Ab 04.12.2000 trat der Kläger ausweislich der Gefangenenakte in der JVA R... in Hungerstreik. Der Kläger hat hierzu in seiner schriftlichen Erklärung vom 01.12.2000 angegeben, dass er in Hungerstreik trete, um den Bau der Typ-F-Gefängnisse zu stoppen und aus Solidarität mit 12 Gefangenen, die 1996 bei einem Hungerstreik gestorben, und 10 politischen Gefangenen, die 1999 in der JVA Ankara zu Tode gefoltert worden seien. In der Türkei seien mehr als 1000 Gefangene in Hungerstreik getreten, in diesem Jahr seien mehrere Gefängnisse beteiligt; um diese zu unterstützen, trete er ab 04.12.2000 in Hungerstreik. Die Aktion hatte in der Türkei am 20.10.2000 unter Beteiligung der DHKP-C, TKP(ML) und TKIP begonnen.
67 
2001 wurde bei ihm nach den Erkenntnissen in den Behördenakten zahlreiches Propagandamaterial für die DHKP-C aufgefunden. Dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009 liegen folgende Feststellungen zugrunde, die sich der Senat zu eigen macht:
68 
„Der Kläger hat z.B. den ihm übergeordneten DHKP-C-Funktionär A... Y...-... - Gebietsverantwortlicher für Süddeutschland mit den Decknamen „Emmi", „Kamil" und „Rüstern" - als Besucher aufgenommen, den Kontakt zwischen diesem führenden DHKP-C-Funktionär und anderen Anhängern der Organisation gehalten und den E... G..., einen wichtigen Aktivisten der verbotenen Vereinigung, im Interesse der DHKP-C-Organisation beim regionalen, aber auch beim überregionalen Vertrieb der Zeitung „Yürüyüs", auch in Bezug auf das nähere europäischen Ausland unterstützt. Der Kläger vereinbarte mit A... Y..., mit dem er jedenfalls seit 05.07.2006 per Mobiltelefon in Verbindung stand, Treffen in der S... ... x in S... im dortigen Anatolischen Kultur- und Kunsthaus, von A... Y... wurde er über sein Mobiltelefon zu verschiedenen Veranstaltungen bzw. Versammlungen eingeladen, wurde von ihm beauftragt, andere Personen zu Treffen und Versammlungen hinzuziehen und erhielt überdies weitere Anweisungen und Hinweise auf von diesem für wichtig erachtete Medienereignisse. Im Übrigen kündigte A... Y... per Handy auch seinen Besuch beim Kläger an. Mehrmals - mindestens 3 mal - holte der Kläger - abwechselnd mit anderen Aktivisten der Vereinigung - zwischen August 2006 und 19. März 2007 bei der Offsetdruckerei ... in ... bei ..., ...-...-... x, jeweils mindestens 150 Exemplare (insgesamt also wenigstens 450 Stück) der DHKP-C-Wochenzeitschrift „Yürüyüs" ab, um sie im Interesse der verbotenen Vereinigung der Weiterverbreitung im regionalen Bereich zuzuführen oder sie selbst zu verteilen. Die Druckerei ... hatte im fraglichen Zeitraum bis zur Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 die Ausgaben 63 bis 95 (also insgesamt 33 Ausgaben) der weiterhin wöchentlich erscheinenden Zeitschrift nach der Kontaktierung und Auftragsvergabe durch A... Y... gemeinsam mit E... G... im Mai 2006 ab August 2006 in einer Auflage von jeweils ca. 2500 bis etwa 2700 Stück gedruckt. A... Y... trat bei der Auftragsvergabe als der eigentliche Verhandlungspartner auf, während E... G... seiner besseren Kenntnisse der deutschen Sprache wegen dabei im Wesentlichen nur als Dolmetscher fungierte. Anfangs 2300 Exemplare, gegen Ende nur noch 2230 Exemplare einer jeden Ausgabe wurden jeweils direkt von der Druckerei ... anhand eines dieser zur Verfügung stehenden Verteilers überregional - auch in das nähere europäische Ausland - verschickt. Es gab jeweils auch Ausschussware, die in den erwähnten ca. 2500 bis rund 2700 Auflage freilich nicht enthalten war und nicht berechnet wurde. Mindestens 150 Exemplare einer jeden Auflage (gelegentlich auch bis zu 390 Stück) wurden jeweils von wechselnden DHKP-C-Aktivisten, davon zu etwa 50 % durch E... G... selbst, der nach der Erteilung des Auftrags der Ansprechpartner des Betreibers der Druckerei, des Zeugen ..., auf Seiten seiner Auftraggeber war, und in mindestens drei Fällen auch durch den Kläger abgeholt. Dieses Abholen der wenigstens 150 Exemplare erfolgte jeweils zum Zwecke der Weiterverbreitung im regionalen Bereich und auf einen Anruf des Zeugen ... bei der ihm von jenem DHKP-C-Aktivisten genannten Telefonnummer des E... G... hin, der sich bei diesen Telefonaten stets selbst am Apparat meldete. In der Wohnung des Klägers in S..., ... ..., hielt dieser aus den für die Verteilung im regionalen Bereich bestimmten Mengen der Zeitschrift am 28.11.2006 insgesamt 60 Exemplare zur Weiterverbreitung in Interesse der DHKP-C vorrätig, nämlich 2 Pakete zu je 30 Stück der Ausgabe 78 vom 12.11.2006, am 19.03.2007, ebenfalls in dieser Wohnung, 7 Exemplare der Ausgabe vom 4. März 2007 und am 21.03.2007 in seinem Rucksack im Fahrzeug Renault, amtliches Kennzeichen ...-... ..., das kurz zuvor von E... G... unweit der Offsetdruckerei ... abgestellt worden war, um den Zeugen ... aufzusuchen, 23 Exemplare der Auflage 95 von Mitte März 2007. Der Kläger wurde am 21.03.2007 in dem beschriebenen Fahrzeug auf dem Beifahrersitz auf E... G... wartend von der Polizei angetroffen und führte dabei auch einen Block Eintrittskarten für das Europatreffen der DHKP-C im April 2007 zur Verbreitung im Interesse des verbotenen Vereins mit sich. Überdies bewahrte der Kläger am 28.11.2006 in seiner Wohnung in Stuttgart für den E... G..., für den er unter seinem Sofa auch für diesen bestimmte Gerichts- und Anwaltsschreiben verwahrte, 10 vom 01.08.2006 datierende Lieferscheine der Druckerei ..., über die Lieferung von insgesamt 2300 Exemplare der DHKP-C Wochenzeitschrift „Yürüyüs" an überregionale Empfänger, auch im benachbarten europäischen Ausland, Adressaufkleber mit entsprechenden Anschriften und Originalquittungen über Druckkosten des auf den Lieferscheinen jeweils als Auftraggeber des Druckauftrags genannten Yurtdisi Büros V... E..., ... ... ... ... in ... ... R...-... / Niederlande auf. Tatsächlich waren die Druckkosten freilich jeweils von E... G... beim Zeugen ... in bar bezahlt worden. Die letzten 5 Ausgaben waren allerdings zur Zeit der Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 noch unbezahlt. Weitere vom Kläger am 28.11.2006 verwahrte Notizen betrafen „Yürüyüs" - Ausgaben aus der Zeit vor Beginn der Druckaufnahme durch die Fa. ... im August 2006.“
69 
Der Kläger hat die einzelnen Tatsachenfeststellungen in diesem Urteil des Landgerichts, gegen das er Rechtsmittel nicht eingelegt hat, im angegriffenen Bescheid und auch in den Schriftsätzen des Beklagten - mit Ausnahme der Teilnahme an der Veranstaltung am 18.12.2011 in Stuttgart - nicht substantiiert bestritten. Soweit er im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung geltend macht, er habe nur wenige Exemplare der Wochenzeitung Yürüyüs selbst verteilt, der weit überwiegende Teil sei von Dritten bei ihm abgeholt und weiterverteilt worden, führt dies zu keiner günstigeren Beurteilung dieser Unterstützungshandlung, sondern bestätigt, dass er hierarchisch zwar gemeinsam mit E... G... dem A... Y... als für den Druck und die Verbreitung in der Region Verantwortlichen untergeordnet gewesen ist, aber, wie sich bereits aus dem persönlichen Kontakt zu diesem und auch unmittelbar zur Druckerei ergibt, in diese Organisationsstruktur deutlich über den reinen „Zeitungsausträgern“ hinaus eingebunden war. A... Y... war damals bis zu seiner Festnahme Ende November 2006 der für die „Region Süd“ verantwortliche (Führungs-)Funktionär und Rechtsberater der DHKP-C (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11). Der Kläger kannte diesen bereits aus der Türkei, wo er nach seinen Angaben sein Rechtsanwalt gewesen war.
70 
Weiterhin war er am 14.01.2007, wie sich aus in den Gerichtsakten befindlichen Kopien des Vereinsregisters ergibt, einer der Leiter der satzungsändernden Versammlung des Vereins „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“, eines Tarnvereins der DHKP-C, zu dessen neuen Sekretär E... D... am 03.06.2007 gewählt wurde (vgl. hierzu unten). Auch fuhr er mit Funktionären noch am Tag des Todes von Dursun Karatas am 11.08.2008 in die Niederlande.
71 
Zutreffend hat das Regierungspräsidium mit Schriftsätzen vom 03.03.2014 und 20.03.2014 auf der Grundlage der Feststellungen der ins Verfahren eingeführten Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - (Verurteilung von E... D...) und vom 15.07.2010 - 6 - 2 StE 8/07 - a - (Verurteilung von A... D. Y... und E... G...) zudem dargelegt, dass der Kläger im Zeitraum von 2002 bis 2007 in vielfältiger Weise nicht nur in den Vertrieb von Publikationen, sondern auch - u.a. zusammen mit Y... und G... - in den Vertrieb von Tickets für Veranstaltungen der DHKP-C und in die Sammlung von Spendengeldern involviert und damit maßgeblich an der Geldbeschaffung als eine der wichtigsten Aufgaben der Rückfront dieser terroristischen Vereinigung beteiligt war. Er nahm im Jahr 2002 nicht nur an einer politischen Schulung der DHKP-C im August 2002 in Neuhausen-Schellbronn, sondern auch als Mitglied einer Delegation der DHKP-C an einer Großveranstaltung in Kopenhagen teil.
72 
Schließlich hat der Kläger auch noch nach seiner Verurteilung jedenfalls an den beiden Kundgebungen der DHKP-C am 10.04.2010 in Wuppertal mit mehreren hundert Teilnehmern und am 16.04.2011 in Lüttich teilgenommen. Hierbei hat es sich jeweils um traditionelle Parteifeste zum Jahrestag ihrer Gründung gehandelt, wobei die lediglich von etwa 200 Personen besuchte Veranstaltung in Lüttich nur Mitgliedern zugänglich gewesen sein soll (vgl. Bundesverfassungsschutzberichte 2010, S. 310 und 2011, S. 349; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2010, S. 166; Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 30.04.2013). Darauf, ob er auch die Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 zum Jahrestag der Gefängniserstürmung am 19.12.2000, die nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 als - vorhersehbare - Folge des am 20.10.2000 aufgenommenen Hungerstreiks türkischer Gefangener maßgeblicher Grund für seine damalige Beteiligung an dieser Aktion in der JVA R... gewesen ist, besucht hat, kommt es nicht an. Nachdem er erklärt hat, er würde sich jederzeit in einer solchen Situation wieder solidarisch zeigen und im Übrigen weiterhin an zahlreichen Demonstrationen in S... teilnehmen, insbesondere kurdischer und PKK-naher Organisationen, ist davon auszugehen, dass er, soweit er ausgerechnet an dieser Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 nicht teilgenommen hat, aus persönlichen Gründen verhindert gewesen ist. Jedenfalls hat er selbst nicht behauptet, dass er die Kontakte zur DHKP-C abgebrochen habe und nun auch keine Veranstaltungen dieser Organisation mehr besuchen werde.
73 
Eine Distanzierung von seinen Unterstützungshandlungen für die DHKP-C und eine Abkehr von seinen früheren Aktivitäten ist auch sonst in keiner Weise erkennbar. Aus dem Umstand, dass der Kläger sich von zurückliegenden Aktivitäten nicht distanziert, sondern sie ohne erkennbare Unterbrechung fortgeführt hat, folgt, dass auch die in der Vergangenheit liegenden Tätigkeiten auf die gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers im Sinne von § 54 Nr. 5 Halbs. 2 AufenthG schließen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - juris).
74 
Der Kläger wehrt sich gegen die in der Begründung der angegriffenen Verfügung und den Schriftsätzen des Beklagten genannten sowie gegen die weiteren in die Verhandlung eingeführten Tatsachen, denen er nicht im Einzelnen entgegentritt, im Wesentlichen mit dem Vorbringen, dass er kein Mitglied der DHKP-C sei, sondern lediglich ein politisch denkender Mensch und jedenfalls nicht bewusst etwas Verbotenes - insbesondere seien die Versammlungen genehmigt und der Kulturverein zu keinem Zeitpunkt verboten worden - getan habe. Hierauf kommt es aber nicht an.
75 
Daran, dass der Kläger die DHKP-C in Kenntnis von deren Zielen, Programmatik und Methoden unterstützt hat, kann nach Ansicht des Senats aufgrund seiner langjährigen Beteiligung und vor dem Hintergrund seiner Unterstützung bereits der Vorgängerorganisation Dev-Sol und - noch in der Türkei - der Jugendorganisation Dev-Genc sowie seines mit hieran anknüpfender politischer Verfolgung begründeten Asylgesuchs kein ernsthafter Zweifel bestehen. Hierbei ist hervorzuheben, dass der Kläger, der in der Türkei Soziologie studiert hat, sich bereits als Student politisch engagiert hat. Bereits seit dieser Zeit steht er in Verbindung zu A... Y..., der nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 in der Türkei sein Rechtsanwalt war. Weiterhin hat er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 Karatas bereits aus Zeiten seiner türkischen Haft gekannt und mit diesem jedenfalls damals in brieflichen Kontakt gestanden. Auch hat er zusammen mit dem wegen seiner Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilten E... D... eines der „Vereinsblätter“ vertrieben und dem Tarnverein „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“ angehört, dessen Vorstand dieses DHKP-C-Mitglied seit 2007 nach der unter Mitwirkung des Klägers erfolgten Satzungsänderung angehörte.
76 
Nach Ansicht des Senats ist dementsprechend davon auszugehen, dass der Kläger - entgegen seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 - sowohl die Ziele der DHKP-C als auch deren terroristischen Aktionen zu deren Erreichung kannte bzw. kennt. In der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 hat er schließlich selbst erklärt, dass er Sympathisant dieser Organisation sei und deren Meinung und Ideologie teile. Ob er persönlich die gewalttätige Komponente der Ideologie der DHKP-C ausdrücklich befürwortet, ist nicht ausschlaggebend. Es fällt aber auf, dass er sich auch insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 nicht von dieser Organisation distanziert, sondern vielmehr die Ansicht vertreten hat, die DHKP-C beeinträchtige Deutschland nicht, da sie außerhalb der Türkei Gewalt grundsätzlich ablehne.
77 
Der Kläger hat mit den oben dargestellten jahrelangen kontinuierlichen Tätigkeiten diese Organisation mitgetragen. Dass er seit seiner Einreise ins Bundesgebiet die Bestrebungen dieser verbotenen Vereinigung bzw. ihrer Vorgängerorganisation unabhängig von einer Mitgliedschaft jedenfalls fördern und deren Strukturen, die ihm einschließlich der Tarnorganisationen bekannt waren, erhalten wollte, steht für den Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des Landgerichts Stuttgart fest. Für die Unterstützung der DHKP-C im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist es insoweit nicht maßgeblich, welcher Hierarchieebene innerhalb der Struktur dieser Vereinigung der Kläger angehört hat. Der Senat schließt sich im Übrigen der Beurteilung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris) an, wonach in Ansehung der Struktur der Vereinigung Anhaltspunkte dafür, hinsichtlich der Qualifizierung der DHKP-C als terroristische Vereinigung zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre und mit Anschlägen befasster Kader einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren, nicht gegeben sind. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der DHKP-C dieser anschließt und in ihr betätigt, deshalb nicht als Mitglied oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre oder den mit den Anschlägen der Organisation befassten Kadern angehört.
78 
Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die Unterstützung jedes Einzelnen gerade für den Erhalt und die Handlungsfähigkeit einer relativ kleinen Organisation (ca. 650, davon 65 in Baden-Württemberg hauptsächlich im Großraum S... und in der R...-N...-Region, vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126) von besonderer Bedeutung ist und die fördernde Tätigkeit jedes in diese Eingebundenen eine unmittelbare Nähe nicht nur zu den Zielen, sondern auch zu den terroristischen Aktionen zur Durchsetzung dieser Ziele hat. Dementsprechend kam und kommt auch dem Kläger, der nach dem Dargelegten jedenfalls Aufgaben für die aus lediglich etwa 65 Mitgliedern bestehenden baden-württembergischen Organisationseinheit der DHKP-C eigenständig u.a. in Zusammenarbeit mit einem inzwischen verurteilten Mitglied (G...) und in - zum Teil auch unmittelbarer - Abstimmung mit inzwischen verurteilten maßgeblichen Funktionären (Y... und D...) auf Gebietsebene wahrgenommen hat, Verantwortung für die terroristischen Aktionen der DHKP-C und deren Opfer zu.
79 
Schließlich fehlt dieser Unterstützung der DHKP-C auch nicht deswegen, weil diese Organisation nur relativ wenige Mitglieder im Bundesgebiet hat, das in § 54 Nr. 5 AufenthG vorausgesetzte Gewicht. Maßgeblich ist, dass sie, wie dargelegt, entschlossen und fähig war und ist, Terroranschläge in nicht unerheblichem Umfang und Ausmaß durchzuführen (vgl. dazu oben) und die Organisation im Bundesgebiet eine Rückfront für diese derzeit auf die Türkei konzentrierten Anschläge bildet, ohne deren Rückzugsräume und finanzielle Unterstützung die DHKP-C kaum fortbestehen könnte (vgl. oben). Schließlich ist die Rückfront auch nicht aufgrund der erfolgten Verurteilungen von Funktionären und Mitgliedern nachhaltig geschwächt. Insoweit macht sich der Senat die Einschätzung des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen und des Verfassungsschutzberichts des Bundes jeweils über das Jahr 2012 zu eigen, wonach die sich im Jahr 2012 häufenden Anschläge der Organisation in der Türkei - insbesondere die tödlichen Schüsse auf Polizeibeamte - zu einem Motivationsschub bei den Anhängern in Europa geführt haben und es der DHKP-C vermehrt gelinge, ihre Anhänger zu mobilisieren und neue, vor allem junge Unterstützer zu rekrutieren. Gleichzeitig schaffe sie es, strukturelle Schwächen zu beseitigen (Bund, S. 358). Die DHKP-C sei weiterhin in der Lage, zumindest auf niedrigem Niveau Aktivitäten zu entfalten, wozu auch weiterhin von Deutschland aus unterstützte terroristische Aktionen gegen Ziele in der Türkei gehören können (NRW, S. 90).
80 
Nicht entscheidend ist schließlich, ob die Organisation im Bundesgebiet in den letzten Jahren durch Gewalttaten aufgefallen ist und ob bzw. in welchem Umfang sie in den Jahren 2004 bis 2008 Terrorakte durchgeführt hat, da sie zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat, was insbesondere auch in der aktuellen „Anschlagoffensive“ 2012 (vgl. oben) sichtbar wird, und weil der Kläger, wie dargelegt, durchgehend in die Organisation eingebunden war und ist.
81 
3. Als anerkannter Flüchtling darf der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 5 und Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die auch eine Ausweisung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 bis 5 AufenthG besonderen Schutz genießender Ausländer rechtfertigen können, in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 vor.
82 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2013, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Qualität und jahrelangen Dauer der Aktivitäten, die jederzeit ihre Fortsetzung finden können, liegt ein solcher Fall nicht vor.
83 
Im Ergebnis sind damit die Voraussetzungen geben, bei deren Vorliegen über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden ist (§ 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
84 
4. Die Ausweisung des Klägers ist nicht am Maßstab von Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu messen, da der Kläger eine assoziationsrechtliche Rechtsposition nicht erworben hat. Ausgehend von dem durch den Kläger vorgelegten Versicherungsverlauf vom 03.02.2014 und der Auskunft der AOK Ludwigsburg vom 12.02.2014 konnten seine Beschäftigungszeiten ihm - ungeachtet der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen einer Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt und einer ordnungsgemäßen Beschäftigung vorgelegen haben - bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung am 20.01.2012 keine Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vermitteln. Der Erwerb des Rechts aus dem 2. Spiegelstrich Art. 6 ARB 1/80 scheitert an der Beschäftigungslücke in der Zeit vom 17.06.2008 bis 14.08.2008. Ab September 2009 erfolgten regelmäßig vor Ablauf von drei Jahren Arbeitgeberwechsel. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung war er nicht beschäftigt.
85 
Aber selbst wenn der Maßstab des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hier zur Anwendung käme, stünde er der Ausweisung nicht entgegen, weil sie aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt ist. Nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt der Abschnitt 1 des Beschlusses (nur) vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Bei der Prüfung des daraus für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige abzuleitenden besonderen Ausweisungsschutzes ist nach der ständigen Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08, Ziebell - InfAuslR 2012, 43, m.w.N.). Allerdings sind die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie wegen der grundsätzlichen Unterschiede der durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers zu der eines Assoziationsberechtigten nicht anzuwenden. Vielmehr ist der Ausweisungsschutz - nach Aufhebung der bisher insoweit sinngemäß bzw. analog auch auf assoziationsrechtlich geschützte türkische Staatsangehörige angewandten Richtlinie 64/221/EWG - nach Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG vom 25.11.2003 (Daueraufenthaltsrichtlinie) zu bestimmen (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 08.12.2011, a.a.O.; Senatsurteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris).
86 
Gemäß Art. 12 Daueraufenthaltsrichtlinie darf ein langfristig Aufenthaltsberechtigter nur ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt (Abs. 1). Außerdem darf die Ausweisungsverfügung nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen (Abs. 2). Schließlich haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Abs. 3). Die entsprechende Anwendung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welchen eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung zukommt, bedeutet für diese der Sache nach einen Ausweisungsschutz, der dem bislang geltenden entspricht (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 26.10.2012 - 11 S 278/12 - juris, m.w.N.).
87 
Dieser Schutz steht der Ausweisung hier nicht entgegen. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass der Kläger eine ausländische terroristische Vereinigung im Bundesgebiet aktiv unterstützt hat und auch weiterhin als überzeugter Anhänger im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt. Damit stellt er aber eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit dar. Die Ausweisung beruht auch nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen.
88 
Somit liegen nach nationalem Recht sowie auch nach ARB 1/80 die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ermessensausweisung vor.
89 
5. Die Ausübung dieses Ermessens ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht insbesondere auch den Anforderungen von Art. 14 ARB 1/80 bzw. Art. 12 Abs. 3 der Daueraufenthaltsrichtlinie.
90 
Die Behörde ist von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dies gilt sowohl für die Gefährlichkeit der Organisation und Art, Umfang und Bedeutung der Unterstützungshandlungen des Klägers als auch hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse (vgl. unten). Ihre Einschätzung, dass der Kläger die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation und damit eine terroristische Organisation bereits seit 1998 nachhaltig und in subjektiv zurechenbarer Weise unterstützt und in diese eingebunden war, ist, wie dargelegt, auch im heutigen Zeitpunkt weiterhin zutreffend, wobei es auch nach Ansicht des Senats nicht darauf ankommt, ob der Kläger auch die Veranstaltung in Stuttgart oder nur die Veranstaltungen in Wuppertal und Lüttich besucht hat (vgl. oben).
91 
Die Verfügung weist auch im Übrigen mit den im Zulassungsantrag und im letzten Schriftsatz des Regierungspräsidiums vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen keine Ermessensfehler auf. Die Änderungen und Ergänzungen sind hier einzubeziehen. Denn sie entsprechen den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen an die Änderung der Begründung eines Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren.
92 
In seiner Entscheidung vom 13.12.2011 (1 C 14.10 - juris) hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden dürfe. Daraus folge, dass die Behörde klar und eindeutig zu erkennen geben müsse, mit welcher "neuen" Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibe, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen könnten. Insbesondere müsse sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung beträfen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidige. Stütze die Behörde ihre Entscheidung während des gerichtlichen Verfahrens auf neue Ermessenserwägungen, habe das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass auch der Betroffene hinreichend Gelegenheit erhalte, seine Rechtsverteidigung hierauf einzustellen.
93 
Diese Anforderungen sind hier eingehalten worden. Das Regierungspräsidium hat zunächst bereits im Zulassungsantrag die Begründung der angegriffenen Verfügung geändert und deutlich gemacht, dass sie diese nur noch auf den spezialpräventiven Zweck stützt. Es hat dabei eindeutig zu erkennen gegeben, mit welchem Text sie die Verfügung ergänzt und welche ursprüngliche Passage dafür entfällt. Es hat noch im letzten Schriftsatz erklärt, dass es an dieser Änderung festhält. Zusätzlich hat es die Verfügung mit einem eindeutig benannten Einschub dahingehend ergänzt, dass es, auch soweit der Kläger ein Recht aus Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte, seine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen für gerechtfertigt halte und das öffentliche Sicherheitsinteresse weiterhin gegenüber den schutzwürdigen Interessen des Klägers auch hiervon ausgehend als überwiegend ansehe. Weiterhin hat es eine Ergänzung dahingehend vorgenommen, dass es die Ausweisungsverfügung bereits deshalb als sinnvoll erachte, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Schließlich hat die Behörde die Ausführungen zu § 54 Nr. 5a AufenthG gestrichen. Der Kläger hatte Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
94 
Die danach im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden. Bereits in der ursprünglichen Begründung der Ermessensentscheidung ist ausgeführt, aufgrund seines gesamten und mangels Distanzierung auch gegenwärtigen Verhaltens, der Häufigkeit und Kontinuität seiner Unterstützungs- und Mitgliedschaftshandlungen und seiner gefestigten Befürwortung der militant-extremistischen Ziele der DHKP-C gehe vom Kläger eine konkrete Gefahr aus, die ein großes öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründe, das gegenüber den privaten Interessen des Klägers höher zu gewichten sei. Dieser halte sich seit November 1995 im Bundesgebiet auf, sei während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik zunächst zehn Jahre lang keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen, sondern habe staatliche Sozialleistungen in Anspruch genommen. Erst ab Ende 2005 habe er mit geringfügigen und unqualifizierten Gelegenheitsarbeiten einen - bis 2010 allerdings lediglich geringen - Teil seines Lebensunterhaltes selbst bestritten. Er habe zwar zwei im Bundesgebiet lebende Brüder, aber die meisten Familienmitglieder lebten noch in der Türkei. Es sei kein Interesse etwa an deutscher Tradition oder Kultur und es sei kein Aufbau von allgemein sozialen und gesellschaftlichen Kontakten zu deutschen Staatsangehörigen erkennbar, vielmehr fielen umgekehrt die zahlreichen intensiven Verbindungen zu - gleichgesinnten - Landsleuten deutlich ins Gewicht. Dies gelte vor allem auch in politischer Hinsicht, da sein gesamtes Verhalten zeige, dass es ihm offenbar in erster Linie darum gehe, seine Zugehörigkeit zur DHKP-C und deren Mitglieder und Unterstützer auch auf deutschem Staatsgebiet zu bewahren.
95 
In nicht zu beanstandender Weise davon ausgehend, dass der Kläger - in dem von der Beklagten-Vertreterin erklärten Sinne - als Funktionär der DHKP-C anzusehen ist, d.h., diese qualifiziert unterstützt, indem er konkrete, ihm zugewiesene Funktionen wahrnimmt und hierdurch in diese eingebunden ist, ist das Regierungspräsidium rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die erheblichen Sicherheitsinteressen an der Ausweisung die gegenläufigen privaten Interessen des trotz langjährigen Aufenthalts nur in Ansätzen in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integrierten Klägers überwiegen. Mit der Zulassungsbegründung hat die Behörde dargelegt, dass sie an dieser Einschätzung festhält, auch wenn der Kläger aufgrund der bekannten beruflichen Tätigkeiten einen Anspruch nach Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte. Die so ergänzten bzw. geänderten Ermessenserwägungen tragen auch den Anforderungen des Art. 12 Abs. 3 Daueraufenthaltsrichtlinie ausreichend Rechnung.
96 
Weiterhin hat die Behörde die Flüchtlingseigenschaft und die Folge, dass der Kläger auf derzeit nicht absehbare Zeit zu dulden sein wird, berücksichtigt, und die Ausweisung hiervon unabhängig u.a. wegen der beabsichtigten Beschränkungen ausgesprochen. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, nachdem sie jedenfalls nicht mehr davon ausgeht, dass diese Beschränkungen ohne Ausweisung überhaupt nicht möglich gewesen wären.
97 
Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger, wie von dem Beklagten angenommen, nicht nur den Tatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG, sondern auch den des § 54 Nr. 5a AufenthG verwirklicht hat. Denn insoweit handelt es sich lediglich um eine im Hinblick auf das Ermessen nicht maßgebliche Würdigung ein- und desgleichen zutreffend zugrunde gelegten Sachverhalts unter zwei verschiedene Normen. Zudem hat das Regierungspräsidium mit der entsprechenden Streichung ihre Verfügung nicht mehr auf diese Norm gestützt.
98 
6. Der dargestellte nationale Maßstab der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ als tatbestandliche Voraussetzung der Ausweisung wird hier nicht durch die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig nationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004 (ABl. L 304, S. 12) bzw. die Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie (- QRL - ABl. L 337, S. 9) modifiziert.
99 
Auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung sind diese Grundsätze trotz der dem Kläger zuerkannten Flüchtlingseigenschaft und des ihm daraufhin ursprünglich erteilten Titels ausnahmsweise nicht anwendbar. Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger bereits vor Inkrafttreten der ursprünglichen Qualifikationsrichtlinie erfolgte. Art. 21 und Art. 24 QRL enthalten - etwa im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 1 QRL - keine Sonderregelungen, aus denen geschlossen werden könnte, dass deren Anwendbarkeit bei Altanerkennungen ausgeschlossen wäre (Urteil des Senats vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - juris, unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 - juris Rn. 21 f. und vom 01.03.2012 - 10 C 10.11 - juris Rn. 11 ff.). Nach deutschem Recht ist die Ausweisung auch, soweit sie zum Erlöschen eines statusbedingten Titels im Sinne der Richtlinie (Art. 24 QRL) führt, eine Entscheidung im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL (a). Im hier vorliegenden besonderen Fall ist aber die bereits bestandskräftig gewordene und auch ausweisungsunabhängig erfolgte Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG die in Bezug auf Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL maßgebliche Entscheidung (b).
100 
a) Art. 24 Abs. 1 QRL regelt den sich aus der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Absatz 1) ergebenden Anspruch auf einen Aufenthaltstitel und die Voraussetzungen, unter denen trotz der Zuerkennung internationalen Schutzes der Titel verweigert werden darf. Art. 21 QRL regelt in Absatz 2 die Voraussetzungen für die Zurückweisung eines Flüchtlings und macht in Absatz 3 deutlich, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen auch ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel oder ein bereits erteilter und fortbestehender Aufenthaltstitel keinen weitergehenden Schutz bietet.
101 
Entscheidungen im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL sind damit - bezogen auf eine Person, der, wie dem Kläger, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde - alle Maßnahmen, die dieser entweder den statusbedingten Aufenthaltstitel entziehen und/oder deren Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung dieses Aufenthaltstitels ablehnen.
102 
Das Bundesverwaltungsgericht hat für den Fall der Ablehnung der Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG entschieden, dass die Voraussetzungen des insoweit allein in Betracht kommenden (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG an Art. 21, 24 QRL gemessen werden müssen (BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - Rn. 24). Nicht entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. auch Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 - juris), ob auch eine Ausweisung eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ist und die sich hieraus ergebenden erhöhten Anforderungen damit auch bei einer Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, die - anders als die Ablehnung - nicht auf die Gründe des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG beschränkt ist, zu stellen sind.
103 
Der Senat hat bereits ausgeführt (vgl. zuletzt Vorlage-Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), dass eine Ausweisung, die einen aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilten Aufenthaltstitel zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 oder Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL entsprechen muss. Hieran ist festzuhalten.
104 
Die Ausweisung beendet grundsätzlich nicht nur einen bestimmten, sondern alle bereits erteilten Titel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Sie trifft dabei - anders als die Rücknahme und die Ablehnung der Neuerteilung oder Verlängerung - keine unmittelbare Entscheidung über das Bestehen von Titelerteilungsansprüchen (auch nicht auf die erneute Erteilung der erloschenen Aufenthaltstitel). Dem entspricht es, dass auch der besondere Ausweisungsschutz nach nationalem Recht grundsätzlich nicht an das Bestehen oder Nichtbestehen von Titelerteilungsansprüchen anknüpft. In Bezug auf solche Ansprüche entfaltet die Ausweisung aber gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG u.a. ein in der Regel zu befristendes Titelerteilungsverbot, die sog. Sperrwirkung. Die Sperrwirkung wird durch gleichzeitige oder nachfolgende hierauf gestützte Ablehnungsentscheidungen titelbezogen umgesetzt und konkretisiert.
105 
Dieses deutsche Institut der Ausweisung als solches kennt die Qualifikationsrichtlinie, die auch mit Art. 21, 24 QRL nicht tatbestandlich an einzelne nationale Bestimmungen anknüpft, nicht. Aus Art. 21, 24 QRL lässt sich dementsprechend zwar kein unmittelbarer Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 AufenthG - weder anknüpfend an einen Titel noch an einen Status - entnehmen. Es wird insoweit grundsätzlich vom Gesetzgeber zu entscheiden sein, ob er den Schutz der Art. 21, 24 QRL im nationalen Recht als besonderen, an den Status oder den Titelbesitz anknüpfenden Ausweisungsschutz für Ausländer, denen internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt ist, ausgestaltet, mit der Folge, dass hierdurch auch mittelbar bereits erteilte schutzunabhängige nationale Titel vor dem Erlöschen und Ansprüche auf Erteilung von schutzunabhängigen nationalen Titeln vor dem Eingreifen der Sperrwirkung geschützt werden. Ein solcher besonderer über die Vorgaben der Art. 21, 24 QRL hinausgehender Ausweisungsschutz ist dabei nicht die einzig mögliche Umsetzung. Alternativ wäre denkbar, dass der Gesetzgeber den zur Aufnahme des Flüchtlings zu erteilenden nationalen Titel von den Wirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch Änderung dieser Bestimmungen, durch Änderung des § 25 AufenthG oder auch durch Normierung dieser Titel außerhalb des Aufenthaltsgesetzes ausnimmt (vgl. zur Aufenthaltsgestattung des Schutzsuchenden vgl. § 67 AsylVfG, §§ 56 Abs. 4, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sowie Art. 9 RL 2013/32/EU). Bisher hat der nationale Gesetzgeber die sich aus Art. 21, 24 QRL ergebenden Anforderungen aber nicht umgesetzt, was zur Folge hat, dass Art. 21, 24 QRL unmittelbar Anwendung finden und die Ausweisung damit jedenfalls soweit sie die dort genannten Wirkungen bezüglich des zur Aufnahme als Flüchtling (zum Begriff vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) bzw. aufgrund der Zuerkennung von internationalem Schutz erteilten Titels entfaltet, an deren Vorgaben zu messen ist.
106 
Daher finden nach Ansicht des Senats auch auf eine Ausweisung, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht wie die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt, die Regelungen der Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 2 QRL über die Aufhebung bzw. Beendigung von Aufenthaltstiteln Anwendung (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Dabei kann es im vorliegenden Fall weiterhin offen bleiben, an welchem Maßstab eine Ausweisung zu messen ist, die die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG nicht ersatzlos zum Erlöschen bringt, weil gleichzeitig eine auf mindestens drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG erteilt wird, so dass im Ergebnis nur eine „Herabstufung“ erfolgt (offen gelassen im Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris und im Beschluss des Senats vom 15.08.2013 - 11 S 1711/12 - für den Fall des Verstoßes der ersatzlosen Rücknahme einer Niederlassungserlaubnis gegen Art. 6 ARB 1/80).
107 
b) aa) Weiterhin ist die Ausweisung grundsätzlich immer dann eine an Art. 21, 24 QRL zu messende Beendigung eines statusbedingten Aufenthaltstitels eines Flüchtlings, wenn sie ein befristetes Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 2 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt. Allerdings wird eine solche Ausweisung meist verbunden mit einer in die Zukunft gerichteten Ablehnung der - erneuten - Erteilung bzw. Verlängerung dieses befristeten Titels. Diese Ablehnung ist, ebenfalls eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL. Wenn eine solche Ausweisung hinsichtlich der - vorzeitigen - Beendigung des befristeten Aufenthaltstitels den Anforderungen der Qualifikationsrichtlinie gerecht wird, ergibt sich regelmäßig schon hieraus die Rechtmäßigkeit der anspruchsverneinenden Ablehnungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 25 Abs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch in unionsrechtlicher Hinsicht. Damit wird sich die Prüfung auf die Vereinbarkeit der titelvernichtenden Ausweisung mit den Vorgaben der Richtlinie konzentrieren.
108 
Anders ist dies dann, wenn eine Ausweisung erst ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist. Dann ist zunächst diese Ablehnung an den Vorgaben der Art. 21, 24 QRL zu messen. Behält diese Bestand, weil Rechtsbehelfe nicht eingelegt werden oder erfolglos bleiben, greift eine nachfolgende Ausweisung in keinen entsprechenden Titel mehr ein. Ist der Anspruch auf Erteilung eines Titels gemäß §§ 25 Abs. 2, 26 Abs. 3 AufenthG bereits ausweisungsunabhängig (zurückgenommen oder) abgelehnt, geht schließlich auch das - zu befristende - Titelerteilungsverbot insoweit ins Leere.
109 
Dem Fall, dass eine Ausweisung gegenüber einem anerkannten Flüchtling ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des bereits abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist, ist der Fall gleichzusetzen, in dem eine Ausweisung nach Ablauf der Geltungsdauer des befristeten Aufenthaltstitels zwar gleichzeitig mit einer - zumindest auch - ausweisungsunabhängigen Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung des befristeten Titels als weitere Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ergeht, letztere aber bereits bestandskräftig ist (vgl. zur Prüfung von Art. 8 EMRK in einer entsprechenden Konstellation vgl. BayVGH, Beschluss vom 24.02.2011 - 10 ZB 10.243 - juris). Dann ist die Ausweisung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung ebenfalls nicht mehr an der Qualifikationsrichtlinie zu messen.
110 
bb) Nach diesen Grundsätzen ist die hier allein maßgebliche Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL die Ablehnungsentscheidung in Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung mit der Folge, dass im vorliegenden Fall nicht auch die Ausweisungsverfügung an den Anforderungen der Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL zu messen ist.
111 
Der Kläger war nach Ablauf seiner letzten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht mehr im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Dieser galt zwar nach rechtzeitiger Stellung des Verlängerungsantrags als fortbestehend. Die Fortgeltung endete aber bereits mit dem Wirksamwerden der auch auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützten Ablehnung (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Für diese Ablehnungsentscheidung waren die Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL einschlägig. Ob die Ablehnungsentscheidung, die nach nationalem Recht aufgrund des Vorliegens des Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG zwingend erfolgen musste, diesen Anforderungen gerecht wird, ist hier nicht zu prüfen, weil die Klage, wie dargelegt, insoweit bereits unzulässig war und diese Entscheidung damit bestandskräftig ist. Zur Nichtigkeit würde nach dem insoweit maßgeblichen nationalen Verfahrensrecht ein solcher nicht offensichtlicher Verstoß gegen höherrangige Regelungen nicht führen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Nicht zu entscheiden ist hier, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Ablehnungsverfügung im Falle ihres Verstoßes gegen Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL wiederaufgegriffen werden müsste (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Die bloße grundsätzlich bestehende Möglichkeit des Wiederaufgreifens erfordert weder die Inzidentprüfung einer bestandskräftigen Verfügung noch lässt sie eine Abweichung von der durch diese geschaffenen Sachlage zu.
112 
Somit hat der Kläger schon aufgrund dieser Entscheidung keinen fortbestehenden Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG mehr inne, so dass die Ausweisung in diesen Titel nicht mehr eingreifen kann. Auch hinsichtlich der Sperrwirkung ist in solchen Fällen die Ablehnungsentscheidung (oder ggf. Rücknahme) in Bezug auf den abgelehnten Titel jedenfalls dann, wenn die Ablehnung - wie hier - nicht nur wegen der Sperrwirkung der Ausweisung, sondern zusätzlich selbständig tragend wegen des Vorliegens des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG erfolgt ist, die bezogen auf Art. 21, 24 QRL maßgebliche Entscheidung. Denn mit bestandskräftiger Ablehnung der Erteilung des Aufenthaltstitels steht auch bindend fest, dass ein Anspruch auf diesen Titel nicht besteht. Die Bestandskraft dieser Ablehnungsentscheidung wird weder von der hier mit der Berufung angegriffenen Kassation der Ausweisungsverfügung noch von deren Befristung berührt.
113 
7. Unabhängig davon ist die Ausweisung schließlich aber auch dann rechtmäßig, wenn sie im vorliegenden Fall - neben der hier nicht streitgegenständlichen Ablehnungsentscheidung ebenfalls - an Art. 21, 24 QRL zu messen ist.
114 
Dabei kommt es hier auf die dem Europäischen Gerichtshof vom Senat (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) vorgelegte streitige Frage nicht an, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels, die sich aus Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL ergeben, geringer sind, als die aus Art. 24 Abs. 1 QRL (so BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris; a.A. zuletzt Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), so dass weder eine weitere Vorlage noch eine Aussetzung des Verfahrens angezeigt war. Vom Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts ausgehend, ist es für eine Maßnahme im Sinne der Art. 21 Abs. 3 QRL und auch eine Ablehnung eines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL jedenfalls ausreichend, dass die niedrigen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL erfüllt sind; dementsprechend können auch an eine Ausweisung, wenn sie an diesen Vorschriften zu messen ist, nicht die nach diesem Ansatz höheren Anforderungen des Art. 24 QRL gestellt werden. Nach Überzeugung des Senats sind hier aber die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht aus Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL herleitet, erfüllt.
115 
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts es - mit Blick auf die in Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL enthaltene erhöhte Gefahrenschwelle - gebietet, bei anerkannten Flüchtlingen den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen nur in Fällen vorliegen, in denen der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Anders als das nationale Aufenthaltsrecht, das in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel auch in Fällen des § 54 Nr. 5 AufenthG als gegeben ansehe, enthalte das Unionsrecht insoweit keine Regelvermutung, sondern verlange eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Dabei reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG für sich genommen noch nicht aus; vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Schwerwiegende Gründe lägen regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Betreffende sich für die Organisation etwa durch Teilnahme an deren Aktivitäten oder durch einzelne finanzielle Zuwendungen einsetze. Vielmehr müssten bei einer am Gewicht des Ausschlussgrundes ausgerichteten Wertung die vom Ausländer ausgehenden Gefahren so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das sei typischerweise erst dann der Fall, wenn der Flüchtling eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, in qualifizierter Weise, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als Funktionär, unterstütze. Das könne sich daraus ergeben, dass er durch eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder -bereitschaft für die Ziele der Organisation eintrete oder dass er durch seine strukturelle Einbindung in die Organisation, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, deren Gefährdungspotential mittrage. Welche Art der Einbindung des Ausländers in die Organisation erforderlich und ausreichend sei, um in seiner Person die erhöhte Gefahrenschwelle zu erreichen, lasse sich nicht abstrakt beantworten, sondern hänge von einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles ab, u.a. auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und Gewaltbereitschaft bestimmt werde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris).
116 
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die DHKP-C verfolgt, wie dargelegt, die Herbeiführung einer Weltrevolution und den Sturz des Imperialismus. Die DHKP-C strebt eine kommunistische Gesellschaftsordnung an, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Darüber hinaus gefährdet sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126). Die Organisation versteht es als „heilige Pflicht", gegen die „Tyrannei und Ausbeutung" in der Türkei zu kämpfen. Zur Erreichung ihrer Ziele führt sie den bewaffneten Kampf. Angriffsziele sind nicht nur der türkische Staat und dessen Organe, sondern auch weitere „Feinde des Volkes", zu denen die DHKP-C in erster Linie den „US-Imperialismus" zählt (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 127 f.). Ebenso wie diese Zielsetzung sind auch ihre Aktivitäten und ihr bewaffneter Kampf, der auch mit Mitteln terroristischer Anschläge geführt wird (vgl. oben), nicht - grundsätzlich - auf die Türkei beschränkt. Am 12.02.1999 verfügte Dursun Karatas zwar einen Gewaltverzicht der DHKP-C für Westeuropa. In Deutschland waren seitdem auch keine gewaltsamen Aktionen mehr festzustellen. Der Organisation der DHKP-C in Deutschland kommt aber weiterhin eine bedeutende Rolle als „Rückfront“ zu, die insbesondere für finanzielle Förderung zur Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes der DHKP-C in der Türkei erforderlich ist (vgl. oben), die zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat (vgl. oben).
117 
Die hohe Gewaltbereitschaft zeigt sich vor allem im Einsatz von eindeutig terroristischen (Selbstmord-)Anschlägen mit Sprengsätzen, Handgranaten u.ä., aber auch in der Bewaffnung mit und dem Gebrauch von Schusswaffen. Dass der Einsatz dieser Mittel derzeit auf die Türkei beschränkt ist, ändert an dem hohem Grad der Gewaltbereitschaft und Gefährlichkeit nichts, da der Verzicht auf Gewalt in anderen europäischen Ländern und insbesondere auch in Deutschland erkennbar aus taktischen Gründen erfolgt ist, um hier die Rückfront möglichst von strafrechtlicher Verfolgung ungestört aufzubauen und wirken zu lassen. Der Grad der Gefährlichkeit ist, wie ebenfalls bereits dargelegt, auch nicht deswegen als niedriger anzusehen, weil es sich um eine Organisation mit einer eher geringen Mitgliederzahl handelt. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese Organisation sich auch in der Struktur von großen Organisationen, wie beispielsweise der PKK, u.a. dadurch unterscheidet, dass eine klare Unterscheidung in herausgehobene Funktionäre und mit Anschlägen befasste Kader und sonstige Angehörige nicht geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris und s. oben). Jedem einzelnen ihrer Anhänger, der, wie der Kläger, durch arbeitsteilige Aufgabenwahrnehmung in diese und in deren Kontrolle eingebunden ist, kommt insoweit regelmäßig unmittelbare Bedeutung für die Förderung und den Erhalt der nach Überzeugung des Senats hochgradig gefährlichen Organisation zu. Dementsprechend verhalten sich nicht nur die Funktionäre, sondern auch die „einfachen“ Anhänger der DHKP-C ausgesprochen konspirativ (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128).
118 
Ihre aktuelle Gefährlichkeit und Gewaltbereitschaft hat die Organisation mit der „Anschlagoffensive“ ab Mitte 2012 demonstriert (vgl. oben), die ebenfalls belegt, dass auch die Festnahmen und Verurteilungen einzelner auch überregional verantwortlicher Funktionäre und die Sicherstellungen von Waffen und Sprengstoff den Gefährdungsgrad der Organisation bisher nicht nachhaltig beeinträchtigen konnten.
119 
Zur Führung in der Bundesrepublik zählen neben dem Deutschlandverantwortlichen und dessen Vertretern mehrere Regions- und Gebietsverantwortliche sowie weitere, mit Sonderaufgaben betraute Funktionäre, etwa die Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit. Als örtliche oder regionale Basis dienen DHKP-C-nahe Tarn-Vereine. Die Tätigkeitsschwerpunkte in Baden-Württemberg liegen im Großraum S... sowie in der R...-N...-Region (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128), wo auch der Kläger, wie dargelegt, nach Überzeugung des Senats als Aktivist strukturell in die Organisation der DHKP-C, deren Gefährdungspotential er auch weiterhin mitträgt, eingebunden war und ist. Er hat die DHKP-C durch die oben dargestellten Tätigkeiten jahrelang planmäßig in Abstimmung und Zusammenarbeit mit anderen Anhängern, Mitgliedern und Funktionären unterstützt und damit, insbesondere durch Verbreitung ihrer Ideologie und Beschaffung von finanziellen Mitteln, maßgeblich dazu beigetragen, dass die DHKP-C, deren Aktionen die Rückfront durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf ihrer Schriften, durch Einnahmen aus Spendengeldsammlungen und aus Musik- und anderen Veranstaltungen finanziert, in der Türkei Terroranschläge in erheblichem Umfang und Ausmaß durchführen konnte (vgl. dazu oben).
120 
Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, die das Bundesverwaltungsgericht zu Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und 1 QRL aufgestellt hat, hier gegeben.
121 
Nach der Ansicht des Senats liegen hier ohne weiteres "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 QRL vor und rechtfertigen die Ausweisung auch unionsrechtlich (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Ob daneben auch die nach Ansicht des Senats im Vergleich zu Art. 24 Abs. 1 QRL strengeren Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 QRL (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) erfüllt sind, ist hiervon ausgehend aber unerheblich, weil die Ausweisung weder eine Entscheidung über die Zurückweisung darstellt noch den - nach deutschem Recht titelunabhängigen - Schutz davor (vgl. § 60 Abs. 1 AufenthG) entzieht.
122 
8. In die übrigen, sich aus der Richtlinie ergebenden Rechte des international Schutzberechtigten, von denen der Anspruch auf den befristeten Aufenthaltstitel nur eines ist (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris), greift eine Ausweisung hier nicht ein.
123 
Dies gilt unabhängig davon, dass im deutschen Recht zum Teil, insbesondere im Bereich der Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, bestimmte durch die Richtlinie garantierte Rechte über den Aufenthaltstitel vermittelt werden (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 a.a.O.). Denn soweit die dem Statusinhaber in der Qualifikationsrichtlinie gewährten Rechte weder vom Fortbestehen des aufgrund des Status ausgestellten Aufenthaltstitels abhängig sind bzw. gemacht werden können, hat der Eingriff in den - Anspruch auf einen - Aufenthaltstitel auf diese ohnehin keinen Einfluss. Insoweit können dem Ausländer, dem internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt worden ist, die hierauf beruhenden Rechte nur mit der Zuerkennung als solcher entzogen werden.
124 
Es kann offenbleiben, ob und inwieweit einzelne Rechte noch nach der erfolgten Aufnahme durch Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Flüchtlingseigenschaft (vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) vom Fortbestand des vermittelten Aufenthaltsstatus bzw. von der Verlängerung des Aufenthaltstitels abhängig gemacht werden können und ob das nationale Recht die Voraussetzungen hierfür erfüllt (vgl. Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Denn im hier vorliegenden Fall hat, wie dargelegt, schon die bestandskräftige Ablehnung und nicht erst die streitgegenständliche Ausweisung zum Verlust des Titels und damit ggf. auch hiervon abhängiger Rechte geführt.
II.
125 
Die Anordnung der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54a AufenthG durch Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids sind ebenfalls rechtmäßig.
126 
Nach § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den eine vollziehbare Ausweisungsverfügung u.a. nach § 54 Nr. 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Nach Absatz 2 der Vorschrift ist sein Aufenthalt auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit diese keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Gesetz eingefügten Vorschriften (BT-Drucks. 15/3479 S. 9) dienen der Gefahrenabwehr. Sie sollen die von den nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG ausgewiesenen Ausländern ausgehende Gefahr einer Weiterführung von Handlungen im Vorfeld des Terrorismus eindämmen, gerade auch in Fällen, in denen mit einer baldigen Aufenthaltsbeendigung nicht zu rechnen ist (BR, Plenarprotokoll 802 vom 09.07.2004, S. 338 ff.). Die Ausländerbehörde hat die Möglichkeit, die gesetzliche Ausgestaltung der Überwachungsmaßnahmen je nach dem Gewicht der konkreten Gefahr zu modifizieren; dabei hat sie den mit einer Meldepflicht und einer Aufenthaltsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriff unter Wahrung des Gebots der Verhältnismäßigkeit zu beschränken und - insbesondere bei länger andauernder Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung - unter Kontrolle zu halten (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
127 
Der angegriffene Bescheid konkretisiert die gesetzlichen Verhaltenspflichten durch die Regelung, ohne von der gesetzlich im Normalfall vorgesehenen Meldehäufigkeit oder von der Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde abzuweichen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass vom Kläger eine geringere Gefahr ausgeht als von anderen Ausländern, die auf der Grundlage von § 54 Nr. 5 AufenthG ausgewiesen werden, so dass die gesetzlichen Verhaltenspflichten des § 54a Abs. 1 und 2 AufenthG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abzuschwächen wären, sind weder festgestellt noch vorgetragen. Nach nationalem Recht sind die Auflagen damit nicht zu beanstanden.
128 
Den auf der Grundlage von § 54a AufenthG verfügten Auflagen steht auch nicht der Anspruch des anerkannten Flüchtlings auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit innerhalb des jeweiligen Hoheitsgebiets nach Art. 33 QRL entgegen. Zwar gilt Art. 33 QRL unabhängig von der aufenthaltsrechtlichen Aufnahme im Mitgliedstaat und lässt eine Anknüpfung an den Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht zu (vgl. auch oben zu Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Ein anderes Verständnis lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zusammenhang mit Art. 26 GFK herleiten (so aber Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 939). Der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 33 QRL setzt eindeutig ausschließlich die Zuerkennung des internationalen Schutzstatus und nicht auch die erfolgte Aufnahme im Wege der Erteilung des Aufenthaltstitels voraus. Auch aus der englischen und französischen Fassung (Begünstigte des Status bzw. die, den Status genießen) ergibt sich nichts anderes. In der englischen Fassung lautet die Regelung:
129 
"Member States shall allow freedom of movement within their territory to beneficiaries of refugee or subsidiary protection status, under the same conditions and restrictions as those provided for other third country nationals legally resident in their territories."
Die französische Fassung lautet: "Les États membres permettent aux personnes bénéficiant du statut de réfugié ou du statut conféré par la protection subsidiaire de circuler librement à l'intérieur de leur territoire, dans les mêmes conditions et avec les mêmes restrictions que celles qui sont prévues pour les ressortissants d'autres pays tiers résidant légalement sur leur territoire."
130 
Dem entspricht es, dass die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Rechte, von denen der Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach Art. 24 QRL nur einer ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris), auch im Übrigen grundsätzlich nur an die Zuerkennung des jeweiligen Status anknüpfen (vgl. die unter Kapitel VII „Inhalt des nationalen Schutzes“ getroffenen Bestimmungen - Art. 22 ff., sowie die Erwägungsgründe 38 ff.). Das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit wird im jeweiligen Aufenthaltsstaat garantiert. Dabei fordert das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit nicht die Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, sondern, wie beim Zugang zu Wohnraum (Art. 32), mit Drittausländern, die sich rechtmäßig im jeweiligen Hoheitsgebiet aufhalten.
131 
Etwas anderes lässt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm nicht herleiten. Nach Art. 30 des Entwurfs der Kommission sollten Personen, die internationalen Schutz genießen, unbeschränkte Freizügigkeit in den jeweiligen Mitgliedstaaten erhalten (Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen, Schutz benötigen KOM(2001) 510 endgültig vom 12.9.2001: „Member States shall not limit the freedom of movement within their territory of persons enjoying international protection“). Der Kreis der Berechtigten wurde im Laufe des Normgebungsverfahrens nicht eingeschränkt. Allerdings wurde der Umfang der Freizügigkeit, die ihnen zu gewähren ist, aufgrund von Forderungen einzelner Mitgliedstaaten nach Ergänzung von Ausnahmen (z.B. aus Gründen der nationalen Sicherheit, öffentlichen Ordnung, Strafverfahren) eingeschränkt (EL/E/IRL/I/UK – Deutschland hatte einen Prüfungsvorbehalt geltend gemacht, vgl. Council doc. No. 10596/02, p. 36 und Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1198). Auch wenn die Gestaltung dieser Einschränkung mit Blick auf Art. 26 GFK erfolgt sein dürfte (vgl. Hailbronner, a.a.O.), der in der deutschen Fassung bestimmt, dass jeder vertragsschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewähren wird, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden (vgl. dazu unten), ergibt sich hieraus nicht, dass auch der Kreis der Berechtigten auf diejenigen anerkannten Schutzberechtigten, die sich rechtmäßig im Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, beschränkt werden sollte, und sich ausgewiesene Schutzberechtigte deshalb nicht darauf berufen können (so aber Marx a.a.O.). Denn zwar wird auch anerkannten Schutzberechtigten mit der erfolgten Einschränkung nicht mehr - wie zunächst vorgesehen - uneingeschränkte Freizügigkeit (wie den jeweiligen Staatsangehörigen), sondern nur noch in dem Umfang, wie diese auch anderen Drittstaatsangehörigen zusteht, die sich rechtmäßig im jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, gewährt. Die in Art. 26 GFK enthaltene Einschränkung auf sich „rechtmäßig“ im Hoheitsgebiet aufhaltende Schutzberechtigte wurde aber nicht übernommen. Offenbleiben kann damit, ob die nicht verbindliche deutsche Übersetzung der Genfer Flüchtlingskonvention überhaupt korrekt ist (vgl. die verbindliche englische und französische Fassung: Each Contracting State shall accord to refugees lawfully in its territory the Right … und Tout Etat Contractant accordera aux réfugiés se trouvant régulièrement sur son territoire le droit …) bzw. welche Bedeutung der Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts in dieser Bestimmung hat (vgl. zu diesem Begriff in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GFK vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 1.03 - juris) und insbesondere, ob damit ein rechtmäßiger, über den gewährten Schutz vor Zurückweisung hinausgehender Aufenthaltsstatus gemeint ist.
132 
Im Bereich der Freizügigkeit muss damit ein Ausländer, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist, auch wenn er ausgewiesen und/oder ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 3 QRL versagt werden kann bzw., wie im Falle des Klägers, versagt worden ist, einem sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer gleichgestellt werden.
133 
Für die Frage, welche sich mit oder ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer dabei als Vergleichsgruppe heranzuziehen sind, erscheint eine Auslegung unter der Berücksichtigung der in Art. 26 GFK naheliegend. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 15.01.2008 - 1 C 17.07 - juris) hat zu Art. 26 GFK entschieden, dass diese Vorschrift die Anwendung der Bestimmungen erlaubt, die allgemein für Ausländer unter den „gleichen Umständen“ gelten. Der Begriff der „gleichen Umstände“ wird in Art. 6 GFK näher definiert. Danach sind Differenzierungen, die sich „auf die Dauer und die Bedingungen des vorübergehenden oder dauernden Aufenthalts beziehen“, zulässig, wenn sie die betroffenen Personen auch erfüllen müssten, falls sie nicht Flüchtlinge wären, wenn sie also auch für andere Ausländer gelten würden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus geschlossen, dass etwa zwischen Ausländern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht und solchen, die nur einen befristeten Aufenthaltstitel haben, differenziert werden darf, aber auch nach den Aufenthaltszwecken, für die Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2008 a.a.O.).
134 
Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat in seiner Entscheidung offen gelassen, ob sich aus Art. 32 QRL 2004 (jetzt Art. 33 QRL 2011) engere Vorgaben für das Erfordernis der Ausländergleichbehandlung ergeben als aus Art. 26 GFK, aber darauf hingewiesen, dass Art. 33 QRL als Vergleichsgruppe der Gleichbehandlung die anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Aufnahmestaat aufhalten, wählt und keine Präzisierung wie Art. 6 GFK enthält. Der Senat kann ebenfalls offenlassen, ob die Einschränkung der Freizügigkeit in Art. 33 QRL mit der in Art. 26 GFK gleichbedeutend ist. Denn im vorliegenden Fall findet die Aufenthalts- und Meldeauflage ihre Grundlage in der in Art. 33 QRL vorgesehenen Einschränkung, auch wenn die Vergleichsgruppe alle sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörige sind, unabhängig von dem ihrem Aufenthalt jeweils zugrunde liegenden Zweck. Vor dem Hintergrund, dass sich allein aus dem Schutzstatus nach der Qualifikationsrichtlinie grundsätzlich kein Anspruch auf ein Daueraufenthaltsrecht ergibt, scheidet demgegenüber eine Gleichstellung mit Inhabern einer Niederlassungserlaubnis oder eines Daueraufenthalts-EU aus.
135 
Ausgehend von dieser Vergleichsgruppe sind die verfügten Auflagen rechtmäßig. Zwar können sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Drittausländer den hier verfügten Beschränkungen nicht auf der Grundlage des § 54a AufenthG unterworfen werden. Absatz 1 der Regelung sieht Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkungen für Ausländer, gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5, 5a oder Nr. 5b oder eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, zwingend vor (Satz 1). Ist ein Ausländer auf Grund anderer Ausweisungsgründe vollziehbar ausreisepflichtig, kann eine entsprechende Meldepflicht angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist (Satz 2). Auch die Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde gemäß Absatz 2 erfasst ausschließlich Ausländer im Sinne des Satzes 1 (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar, AuslR, Stand: 01.09.2013, § 54a Rn. 5; a.A. Hailbronner, a.a.O., § 54a Rn. 11). Aus dem systematischen Zusammenhang von Satz 1 und 2 des Absatzes 1 lässt sich bereits entnehmen, dass auch im Falle des Satzes 1 grundsätzlich eine vollziehbare Ausreisepflicht vorliegen muss, so dass auch ein Ausländer, der sich trotz vollziehbarer Ausweisung aufgrund eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht auf dieser Grundlage entsprechenden Beschränkungen unterworfen werden kann.
136 
Entsprechendes gilt für die gesetzliche Beschränkung des Aufenthalts vollziehbar Ausreisepflichtiger gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf das Gebiet des Landes. Auch sie enthält keine Grundlage für die räumliche Beschränkung sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltender Ausländer.
137 
Dagegen sieht aber § 12 AufenthG allgemein Nebenbestimmungen - auch unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltszweck - für Visa, Aufenthaltserlaubnisse oder im Falle des erlaubnisfreien Aufenthalts vor (für Niederlassungserlaubnisse bedarf es einer speziellen gesetzlichen Regelung vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 12 Abs. 2 AufenthG können das Visum und die Aufenthaltserlaubnis mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können - auch nachträglich - mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Auch der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann nach Absatz 4 der Bestimmung zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden. Eine solche Auflage muss ihre Rechtfertigung im Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden; sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen. In diesem Rahmen darf die Ausländerbehörde durch Auflagen öffentliche Interessen schützen, die durch die Anwesenheit des Ausländers nachteilig berührt werden können (BVerwG, Urteil vom 15.12.1981 - 1 C 145.80 - juris zu § 7 Abs. 4 AuslG), insbesondere Beschränkungen verfügen, die die Verhinderung von Straftaten und/oder verfassungsgefährdendem Verhalten im Sinne des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG bezwecken (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar a.a.O., AuslR, § 12 Rn. 12). Damit kann grundsätzlich gemäß § 12 Abs. 2 und 4 AufenthG - z.B. als gegenüber der Ausweisung milderes Mittel oder einziges Mittel, weil von einer Ausweisung aufgrund besonderer Umstände abgesehen wird oder abgesehen werden muss - eine fortbestehende Aufenthaltserlaubnis, unabhängig davon zu welchem Zweck sie erteilt worden ist, sowie ein erlaubnisfreier Aufenthalt auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt werden. Entsprechendes gilt für die Verhängung von der Überwachung dienenden Meldeauflagen, ohne die die räumliche Aufenthaltsbeschränkung in solchen Fällen nicht sicherzustellen ist (vgl. dagegen zur Unvereinbarkeit von Wohnsitzauflagen zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten mit Art. 28 Abs. 1 und 32 QRL vgl. OVG NRW, Urteil vom 21.11.2013 - 18 A 1291/13 - juris m.w.N.).
138 
Wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, steht auch Art. 26 GFK bei sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Flüchtlingen entsprechenden Auflagen nicht entgegen. Eine räumliche Beschränkung ihres Aufenthaltstitels auf dieser Grundlage verstößt schließlich auch nicht gegen das Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16.09.1963 (BGBl. 1968 II S. 423, 1109). Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Protokolls hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. Der Aufenthalt wäre aber nur insoweit rechtmäßig im Sinne des Art. 2 Abs. 1 des Protokolls, als sich der Ausländer in den Grenzen aufhält, die sein Aufenthaltstitel vorsieht, der den rechtmäßigen Aufenthalt räumlich beschränkt (BVerwG, Urteil vom 19.03.1996 - 1 C 34.93 - juris).
139 
Für den Senat besteht nach diesem Maßstab kein Zweifel daran, dass gegenüber jedem sich im Bundesgebiet mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis oder erlaubnisfrei aufhaltenden (Dritt-)Ausländer bei dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt auf der Grundlage des § 12 AufenthG die unter Ziff. 3 verfügten Beschränkungen hätten erlassen werden können. Im Hinblick darauf, dass der Kläger einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund durch die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verwirklicht hat, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sein Verhalten seit seiner Ausweisung grundlegend geändert hat oder in Zukunft ändern wird, erscheinen Beschränkungen seiner Freizügigkeit, um ihm weitere Aktivitäten zugunsten der DHKP-C zumindest zu erschweren, notwendig, geeignet und ihm Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers auch verhältnismäßig. Somit sind diese Beschränkungen auch mit Art. 33 QRL vereinbar.
140 
Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, dass derartige Beschränkungen gegenüber nicht vollziehbar Ausreisepflichtigen auf der Grundlage von § 12 AufenthG im Ermessen der Behörde stehen und auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG nicht - in einem Mindestumfang - zwingend vorgegeben sind. Denn der nach Art. 33 QRL vorzunehmende Vergleich dürfte ohnehin nur auf die grundsätzliche Zulässigkeit der Verhängung der beabsichtigten bzw. erfolgten Beschränkung auch gegenüber anderen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländern bei Zugrundelegung des gleichen Sachverhalts zielen. Unabhängig davon schließt es die gesetzgeberische Bewertung der Tatbestände der § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG als Regelausweisungsgründe und zwingende Versagungsgründe - auch in Bezug auf humanitäre Aufenthaltstitel - aus, bei deren Erfüllung von Beschränkungen, wie sie § 54a AufenthG vorsieht, ganz abzusehen, wenn im Einzelfall weder eine Ausweisung erfolgen noch der befristete Titel widerrufen oder zurückgenommen werden kann und deswegen eine Aufenthaltsbeendigung vorerst ausscheidet. Art und Umfang der Beschränkungen stehen auch nach § 54a AufenthG unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit, der vom Beklagten beachtet worden ist.
141 
Auch im Übrigen begegnen diese Auflagen keinen rechtlichen Bedenken. Das Regierungspräsidium hat die angegriffene Verfügung in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 insbesondere insoweit geändert, dass die Auflagen nun erst mit Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung wirksam werden sollen (vgl. im Übrigen Urteil des Senats vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - juris).
C.
142 
Schließlich ist auch die vom Beklagten mit Verfügung vom 24.02.2014 getroffene Befristungsentscheidung, die der Senat aufgrund des Hilfsantrags des Klägers, mit dem er die Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung auf Null begehrt, zu prüfen hat, überwiegend nicht zu beanstanden.
143 
Dieser Hilfsantrag des Klägers ist zulässig. Denn in der Anfechtung der Ausweisung war bereits erstinstanzlich zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 39 und vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 24; Beschluss vom 14.03.2013 - 1 B 17.12 - NVwZ-RR 2013, S. 574 Rn. 9 ff.). Nachdem das Verwaltungsgericht die Ausweisungsverfügung auf den Hauptantrag des Klägers hin aufgehoben hatte, hatte es über diesen Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden. In diesen Fällen fällt der Hilfsantrag im Berufungsverfahren an, wenn - wie hier - die Berufung zur Abweisung des Hauptantrags führt.
I.
144 
Nachdem der Beklagte während des Berufungsverfahrens eine Befristung für die Dauer von zehn Jahren ausgesprochen hat, ist vom Senat insoweit zunächst zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist, insbesondere, wie vom Kläger beantragt, auf Null hat. Dies ist nicht der Fall.
145 
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
146 
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf eine Dauer unter zehn Jahren. Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht bereits daran, dass der Kläger derzeit noch keinen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung hätte. Zwar knüpft in Fällen, wie dem vorliegenden, in dem die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG) ebenso ungewiss ist, wie die der freiwilligen Ausreise, der Fristbeginn nicht an ein gewisses bzw. von den Beteiligten herbeiführbares Ereignis an. Eine in dieser Weise bedingte Befristung verfehlt ihre eigentliche Aufgabe. Weder verschafft sie dem Ausgewiesenen eine zeitliche Perspektive noch trägt sie zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der zu folgen sich der Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung gehalten sieht, ist die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aber einheitlich so auszulegen, dass auch die Wirkungen der Ausweisung bereits mit Erlass der Ausweisungsverfügung zu befristen sind.
147 
Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre grundsätzlich überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn es besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus (§ 54 Nr. 5 AufenthG) und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Das Bundesverwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung durch die dem Kläger erteilte Duldung möglicherweise weit in die Zukunft verschoben ist, so dass die Fristbestimmung auf typisierende Annahmen zurückgreifen muss. Danach ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger keinerlei Neigung zeigt, von seiner Unterstützung der DHKP-C, die bereits auf das Jahr 1989 zurückgeht, abzusehen, so dass mit einer grundlegenden Änderung seines Verhaltens auch in ferner Zukunft nicht ernsthaft gerechnet werden kann.
148 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist - wohl ausgehend von der aktuellen Situation - an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, messen lassen. Dieses normative Korrektiv biete der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 a.a.O. jeweils Rn. 42 m.w.N.). Dabei seien insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
149 
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung muss hierzu die nach der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermittelte Frist zunächst wohl auch immer dann unmittelbar in einem zweiten Schritt relativiert werden, wenn, wie hier, noch ungewiss ist, ob überhaupt und ggf. bei Vorliegen welcher persönlichen Verhältnisse die gesetzte Frist, die auch nachträglich verkürzt werden kann, in Lauf gesetzt wird. Auch nach diesen Grundsätzen ist hier allerdings die Frist von 10 Jahren nicht zu verkürzen. Im vorliegenden Fall ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar durch Erwerbstätigkeit seinen Unterhalt sichert, aber eine besondere berufliche Integration liegt dem nicht zugrunde. Er ist als Reinigungskraft für häufig wechselnde (Leih-)Arbeitgeber tätig. Er ist erst im Alter von 31 Jahren nach Deutschland gekommen, verfügt über keine starken familiären Bindungen in Deutschland und es ist auch eine Verwurzelung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht zu erkennen. Sein politisches Denken ist maßgeblich auf die Türkei ausgerichtet und sein soziales Umfeld bilden gleichgesinnte Landsleute. Die Festsetzung einer Sperrfrist von zehn Jahren ist damit auch unter Zugrundelegung der vom Bundesverwaltungsgericht (vgl. oben) entwickelten Kriterien verhältnismäßig.
150 
Der Senat verkennt nicht, dass sich aus dem oben Dargelegten auch ergibt, dass die Wirkungen der Ausweisung (weitgehendes Titelerteilungsverbot, Verfestigungssperre, Ausreisepflicht), die nicht erst mit der Ausreise des Klägers eintreten, sondern bereits mit Wirksamkeit oder Vollziehbarkeit der Verfügung, trotz der Befristung auf 10 Jahre letztlich unbefristet fortwirken. Dies beruht aber unabhängig davon, welche Frist festgesetzt wird, auf der Art der Bedingtheit des Fristbeginns (vgl. oben) in Fällen, wie dem vorliegenden, und führt nicht dazu, dass diese oder alle Wirkungen der Ausweisung unabhängig von einer Ausreise oder gar auf Null zu befristen sind. Denn nach dem eindeutigen und damit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG beginnt die nach Satz 3 bis 5 festzusetzende Frist mit Ausreise.
151 
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht hiervon abweichend einen Anspruch auf eine Befristung auf Null in Ausnahmefällen angenommen (vgl. zuletzt BVerwG, Urteile vom 06.03.2014 - 1 C 2.13 - und - 1 C 5.13 - juris, m.w.N.). Es handelte sich dabei aber um Fallgestaltungen, in denen aufgrund von Änderungen der Sachlage grundsätzlich ein Widerruf der bestandskräftigen Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit mit sofortiger Wirkung in Betracht gekommen wäre (vgl. § 51 Abs. 5 und § 49 Abs. 1 LVwVfG). Da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 49 LVwVfG auch schon vor Ausreise grundsätzlich oder jedenfalls dann ausscheidet, wenn es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - und vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris zu nach § 11 AufenthG), muss in solchen Fällen nun statt eines Widerrufs eine gesetzlich nicht vorgesehene Befristung auf Null erfolgen. Aus dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich nach Ansicht des Senats aber nichts dafür herleiten, dass ein (Hilfs-)Anspruch auf Befristung ohne Ausreise oder sogar auf Null bereits bei der erstmaligen Befristung gleichzeitig mit Erlass einer rechtmäßigen Verfügung bestehen könnte. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich nichts anderes, da der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von dem Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung der Frist maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten und insoweit auch einen nachträglich entstandenen Anspruch auf Befristung auf Null geltend machen kann.
152 
Im Übrigen gibt es derzeit auch keine Gründe dafür, dem Kläger die Verfestigung seines Aufenthalts bereits ab einem früheren Zeitpunkt wieder zu ermöglichen. Zudem sind die Auflagen und Beschränkungen, wie dargelegt, unabhängig hiervon unter Kontrolle zu halten und ggf. zu beschränken.
II.
153 
Allerdings gibt es für die von der Behörde unter Ziffer 2 der Befristungsentscheidung angeordnete Hemmung dieser Frist im Falle einer erneuten unerlaubten Einreise vor Fristablauf derzeit keine Rechtsgrundlage.
154 
Auch wenn in der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums des Innern zum Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Stand: 07.04.2014, Zu Nummer 8) zum dort vorgesehenen Absatz 8 der Neuregelung des § 11 AufenthG, der eine Unterbrechung des Fristablaufs durch eine unerlaubte Einreise vorsieht, ausgeführt wird, die Regelung stelle klar, dass der Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach einer unerlaubten Wiedereinreise nicht im Bundesgebiet abgewartet werden könne, entspricht dies nicht der jetzigen Rechtslage, da § 11 AufenthG in der derzeitigen Fassung keinen Hinweis auf einen solche Unterbrechung der Frist enthält, so dass die Frist nach der ersten maßgeblichen Ausreise oder Abschiebung allein durch den anschließenden Zeitablauf endet (vgl. Urteil des Senats vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 - juris Rn. 73 m.w.N), ohne dass es auf danach eintretende Ereignisse ankommt.
155 
Es besteht derzeit aber auch keine Rechtsgrundlage für die behördliche Bestimmung einer Fristhemmung oder -unterbrechung für die von ihr festzusetzende Frist. Dass es sich bei den Ausführungen unter Ziffer 2 der Befristungsregelung nicht um einen unverbindlichen - die Rechtslage verkennenden - Hinweis handelt, folgt zum einen daraus, dass diese Bestimmung eigenständiger Teil des Tenors der Verfügung ist und nicht ein lediglich ergänzender Text in Ziffer 1 der Verfügung. Zum anderen ist die Hemmung des Fristablaufs in der Verfügung auch selbständig begründet:
156 
„Der präventive Ausweisungszweck wird bis zu dem oben bestimmten Fristablauf nicht erreicht, wenn eine unerlaubte Einreise vor Fristablauf erfolgt. Einmal ist die unerlaubte Einreise und der unerlaubte Aufenthalt entgegen dem Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Straftat gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Zum anderen geht die Wirkung der Ausweisung, die u. a. gerade durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot gekennzeichnet ist, ins Leere, wenn sich Herr T... trotz des Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet aufhält. Dies rechtfertigt die Hemmung des Fristlaufes in der Zeit eines unerlaubten Aufenthaltes. Die Frist läuft damit erst dann weiter, wenn Herr T... das Land wieder verlassen hat. Insoweit soll die Regelung dazu beitragen, dass der präventive Ausweisungszweck nicht gefährdet wird. Zudem soll eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt vermieden werden. Auch an diesem Regelungszweck besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, wie die Strafvorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG unterstreicht.“
157 
Diese Begründung für die Anordnung der Fristhemmung im konkreten Fall lässt klar erkennen, dass es sich bei der Ziffer 2 der Verfügung auch nach der Vorstellung der Behörde um eine verbindliche, von ihr getroffene Regelung und nicht um eine sich - ihrer Meinung nach - bereits aus dem Gesetz ergebende regelmäßige Folge handelt.
158 
Die Bestimmung der Hemmung des Fristablaufs steht zwar - anders als die Bestimmung des Neubeginns (früher: Unterbrechung) - nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, dass die Frist mit der Ausreise beginnt. Denn sie berührt den Fristbeginn nicht, sondern modifiziert ausschließlich den im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Ablauf der von der Behörde zu setzenden Frist. Dennoch ist die Regelung zur Hemmung aber derzeit nicht im Rahmen und als Teil der Bestimmung der Fristdauer möglich, sondern bedarf einer gesetzlichen Grundlage, an der es im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlt. Auch dies entnimmt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung nach § 11 AufenthG, der er - wie dargelegt - aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung folgt. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nur betont, dass es sich bei der Befristung um eine gerichtlich vollständig überprüfbare Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sondern es hat selbst in Fallkonstellationen, in denen besonders gefahrbringende Gewohnheiten oder persönliche Eigenschaften vorlagen, dem jeweiligen Kläger einen Anspruch auf unbedingte Befristung jeweils unter zehn Jahren zugesprochen, ohne bei der Festsetzung dieser Fristdauer eine solch naheliegende Bestimmung zum Fristablauf wie die Hemmung im Falle der unerlaubten Einreise bis zur erneuten Ausreise überhaupt in Betracht zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
159 
Daraus, dass diese Bestimmung zur Hemmung des Fristablaufs damit nicht hätte ergehen dürfen, folgt nicht, dass die Befristungsverfügung insgesamt aufzuheben, und das beklagte Land zur erneuten Befristung auf zehn Jahre ohne die vorgesehene Hemmung zu verpflichten wäre, da das gleiche Ergebnis hier schon mit der Aufhebung der Verfügung zu Ziffer 2 in einfacherer Weise erreicht wird.
D.
160 
Der Senat misst diesem geringfügigen Obsiegen des Klägers keine Bedeutung für die Kostenfolge zu. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
E.
161 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
162 
Beschluss vom 14. Mai 2014
163 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt (§§ 39 Abs. 1, 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
164 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 137/12
vom
8. Januar 2014
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Richtlinie 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2

a) Bei Bestehen eines unbefristeten Einreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
aF muss nach § 11 Abs. 1 AufenthG nF nachträglich von Amts wegen einzelfallbezogen
über eine Befristung befunden werden, sofern an ein Einreiseverbot
anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen; ohne eine solche nachträgliche
Entscheidung darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (Umsetzung
von EuGH, Urteil vom 19. September 2013
- C-297/12 zu Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG).

b) Jedenfalls in Übergangsfällen darf Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet
werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung
über die erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die
Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum
verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie
2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen.
BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12 - LG Hannover
AG Hannover
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Czub und Dr. Roth, die
Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 2. Juli 2012 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 22. März 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Landeshauptstadt Hannover auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene, ein albanischer Staatsangehöriger, war am 8. April 2009 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Albanien abgeschoben worden. Nachdem er im Juli 2011 erfolglos versucht hatte, nach Italien einzureisen, und danach zu einem unbekannten Zeitpunkt erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, wurde er am 3. März 2012 von der Polizei in Gewahrsam genommen. Er war im Besitz eines gültigen albanischen Reisepasses. Mit Bescheid vom 9. März 2012 wurde der Betroffene - gestützt auf die Annahme einer unerlaubten Einreise - unter Androhung einer zwangsweisen Abschiebung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen am 22. März 2012 Sicherungshaft zum Zwecke der Abschiebung angeordnet. Gegen die Haftanordnung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Nach der am 27. März 2012 vollzogenen Abschiebung nach Albanien hat er seinen Antrag dahin umgestellt, es möge die Verletzung seiner Rechte durch die erstinstanzliche Haftanordnung festgestellt werden. Das Landgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung beantragt, durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

3
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu Recht angeordnet worden. Insbesondere sei der Betroffene aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Dem stehe nicht entgegen , dass der Betroffene mit einem gültigen biometrischen Reisepass eingereist sei. Aufgrund der früheren Abschiebung habe nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes ein Einreiseverbot bestanden, das nach Satz 3 der Bestimmung nur auf Antrag hätte befristet werden können. Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Richtlinie 2008/115/EG), weil die erste Abschiebung am 8. April 2009 und damit vor der erst am 24. Dezember 2010 abgelaufenen Umsetzungsfrist des Art. 20 Abs. 1 der Richt- linie 2008/115/EG durchgeführt worden sei. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG lägen vor.

III.

4
Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 184/10, juris Rn. 6) ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Hat - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG entschieden, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren zwar allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist jedoch inzident auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4; Beschluss vom 28. April 2011, aaO, Rn. 7 mwN). Den gestellten Antrag legt der Senat im Lichte der Rechtsbeschwerdebegründung entsprechend aus.

IV.

5
Das Rechtsmittel ist begründet. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung hätte nicht angeordnet werden dürfen. Jedenfalls aufgrund der übergangsrechtlichen Besonderheiten des Falles war der Betroffene nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies folgt aus den europarechtlichen Vorgaben von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG, wie sie von dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) - allerdings erst nach Erlass der Beschwerdeentscheidung - durch Auslegung konkretisiert worden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12, Rn. 35 ff.).
6
1. Noch zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass den Betroffenen infolge der ersten - am 8. April 2009 durchgeführten - Abschiebung kraft Gesetzes zunächst ein - nicht an eine Einzelfallprüfung anknüpfendes - unbefristetes Einreiseverbot traf (§ 11 Abs. 1 AufenthG aF). Der Gesetzgeber durfte die nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 bestehende Umsetzungsfrist ausschöpfen.
7
2. Verkannt hat es jedoch die Tragweite, die der Richtlinie 2008/115/EG bei der Anwendung des nationalen Rechts bei Entscheidungen zukommt, die zwar an ein vor Ablauf der Umsetzungsfrist kraft Gesetzes entstandenes unbefristetes Einreiseverbot anknüpfen, jedoch erst - wie hier die Haftanordnung - nach Ablauf der Frist getroffen werden.
8
a) Die Richtlinie 2008/115/EG enthält keine Übergangsbestimmung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt daraus, dass die Richtlinie unmittelbar auch auf „die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts“ anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Rechtslage entstanden ist (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, Filev u.a., C-297/12, Rn. 40; vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. März 2012, O'Brien, C-393/10 = EuZW 2012, 267, 269 Rn. 25). Mit Blick auf die Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG führt dies dazu, dass bei einem Betroffenen, der nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes einem unbefristeten Einreiseverbot unterlag, nachträglich über eine Befristung befunden werden muss, sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen. Ohne eine solche nachträgliche einzelfallbezogene Entscheidung, auf die der Betroffene abgesehen von den Ausnahmetatbeständen des § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG nF ein subjektives Recht hat (BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11), darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 40 f.). Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die die Befristung von einem entsprechenden Antrag des Betroffenen abhängig macht, und dass dies selbst dann gilt, wenn der Betroffene auf die Möglichkeit der Antragstellung hingewiesen wird (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 27 ff.). Über die Frage der (nachträglichen) Befristung ist daher antragsunabhängig zu befinden (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte nicht nur gebunden; sie haben ihm auch bei der Anwendung des nationalen Rechts im Wege der Auslegung und Rechtsfortbildung soweit wie möglich Rechnung zu tragen (ausführlich dazu BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ, 179, 27, 33 ff. mwN auch zur Rspr. des EuGH).
9
b) Vor diesem Hintergrund scheitert eine antragsunabhängige nachträgliche Befristung des ursprünglich kraft Gesetzes entstandenen Einreiseverbots nicht daran , dass der Betroffene keinen Antrag auf eine nachträgliche Befristung gestellt hat. Die innerstaatliche Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG nF lässt eine richtlinienkonforme Rechtsanwendung zu.
10
aa) Der Wortlaut der Bestimmung stellt kein Hindernis für die gebotene europarechtskonforme Rechtsanwendung dar. Nach der Formulierung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist das Einreiseverbot „auf Antrag“ zu befristen. Dass dies „nur“ auf Antrag geschehen darf, ist der sprachlichen Fassung der Norm nicht zuentnehmen (vgl. auch § 22 Nr. 2 VwVfG) und entspricht auch nicht der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33: Befristung in Ausnahmefällen von Amts wegen). Davon abgesehen markiert der Gesetzeswortlaut zwar eine Grenze für die Auslegung. Das steht jedoch einer davon abweichenden Inhaltsbestimmung nicht entgegen, sofern die Voraussetzungen für eine (Rechts-) Analogie bzw. für eine teleologischen Reduktion vorliegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 34 f.). Nichts anderes gilt, wenn verfassungs - oder europarechtliche Vorgaben eine bestimmte Deutung gebieten. Die Grenze zulässiger Auslegung / Rechtsfortbildung ist erst dann überschritten, wenn der Norm - entgegen einer eindeutigen und widerspruchsfreien Entscheidung des Gesetzgebers - ein bestimmter Sinngehalt beigelegt wird (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008, aaO, S. 34 f.). Der Richter darf eine Vorschrift nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfGE 82, 6, 12). So verhält es sich hier jedoch nicht.
11
bb) Das mit der Neufassung verfolgte gesetzgeberische Anliegen bestand vor allem darin, die Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG richtlinienkonform anzupassen. Hierzu sollte u.a. an dem bisherigen Modell der antragsgebundenen Befristung festgehalten werden (BT-Drucks. 17/5470, S. 21), das - entgegen im Gesetzgebungsverfahren vereinzelt geäußerter Kritik (vgl. BT-Drucks. 17/6497, S. 12) - für richtlinienkonform erachtet wurde (vgl. auch BT-Ausschussdrucks. 17 [4] 282 I, wonach das Antragserfordernis nach der Rechtsprechung des EuGH zur nationalen Verfahrensautonomie deshalb nicht den nationalen Umsetzungsspielraum überschreite, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass dadurch die Wirksamkeit der Befristungsregelung untergraben werde). Auf der Grundlage der nunmehr mit Bindungswirkung ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zu Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG beruht diese Rechtsauffassung auf einer Fehleinschätzung der europarechtlichen Vorgaben. Somit steht die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich einer antragsgebundenen Befristung nicht lediglich in Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen, sondern zur konkret geäußerten - von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen - Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber auch dann am Antragserfordernis festgehalten hätte, wenn bereits damals klar gewesen wäre, dass dies nicht in Einklang mit der Richtlinie steht. Bei einer solchen Sachlage begegnet die richtlinienkonforme Umsetzung in nationales Recht keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 36 f.; Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, 162 f.; Roth in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., § 14 Rn. 53b).
12
cc) Soweit das Bundesverwaltungsgericht auch mit Blick auf die Neufassung des § 11 Abs. 1 AufenthG bislang grundsätzlich am Antragserfordernis festgehalten und lediglich die Anforderungen hieran abgemildert hat (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14/12, InfAuslR 2013, 141-143 Rn. 11; vgl. aber BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33), nötigt dies schon deshalb nicht zu einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG, weil sich die maßgebende Rechtslage mit der nunmehr ergangenen - sämtliche Gerichte der Bundesrepublik Deutschland bindenden - Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 (C-297/12) wesentlich geändert hat. Das schließt eine Verpflichtung zur Vorlage jedenfalls aus (vgl. nur Senat, Urteil vom 30. September 2005 - V ZR 275/04, BGHZ 164, 190, 196 mwN).
13
3. Auf dieser Grundlage darf jedenfalls in Übergangsfällen der vorliegenden Art die Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung über die ursprünglich nicht erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen (zu Letzterem VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). Dabei ist es aus haftrechtlicher Sicht unerheblich, ob die erforderliche nachträgliche Befristung im Rahmen der für die Haftanordnung notwendigen Rückkehrentscheidung (dazu etwa Senat Beschluss vom 14. März 2013 - V ZB 135/12, NVwZ 2013, 1027, 1028 Rn. 7) oder durch einen eigenständigen Verwaltungsakt getroffen worden ist (zur gesetzlichen Systematik vgl. BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11 mwN). Für die haftrechtliche Prüfung kommt es nur darauf an, ob hierüber befunden worden ist oder nicht.
14
Dem steht nicht entgegen, dass der Haftrichter grundsätzlich nicht zuprüfen hat, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 728 Rn. 23 mwN); die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hier tritt jedoch die Besonderheit hinzu, dass erst seit der Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 und damit erst nach Erlass des Ausreisebescheids Klarheit darüber hergestellt wurde, dass das ursprünglich kraft Gesetzes bestehende Einreiseverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG aF nunmehr stets und unabhängig von einer Antragstellung auch einer nachträglichen einzelfallbezogenen Konkretisierung bedarf. Bei dieser Sachlage darf die grundsätzlich bestehende Funktionsteilung zwischen den Verwaltungs- und den Zivilgerichten nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (zu diesem Gesichtspunkt vgl. auch Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 12/10, juris Rn. 8). Jedenfalls im Zusammenhang mit Rückkehrentscheidungen, die auf eine unerlaubte Einreise gestützt werden, wäre es unverhältnismäßig, wenn auch in solchen Übergangsfällen das Fehlen einer Entscheidung über eine nachträgliche Befristung hingenommen würde. Eine gegenteilige Sichtweise würde auch der Bedeutung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 GG; vgl. BVerfGE 105, 239, 248; BVerfGK 7, 87, 98; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010, aaO), den Anforderungen , die von Verfassungs wegen an ein faires Verfahren zu stellen sind (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG), und dem Erfordernis einer effektiven Umsetzung europarechtlicher Vorgaben (vgl. dazu auch Schmidt-Räntsch in Riesenhuber, aaO, § 23 Rn.75) nicht gerecht.
15
4. Da die nach allem notwendige Entscheidung über eine nachträgliche Befristung nicht getroffen worden ist - insbesondere enthält der auf eine unerlaubte Einrei- se abhebende Bescheid vom 9. März 2012 keine solche Entscheidung - war die Haftanordnung rechtswidrig.

V.

16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann Czub Roth Brückner Kazele
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 22.03.2012 - 43 XIV 55/12 (B) -
LG Hannover, Entscheidung vom 02.07.2012 - 8 T 22/12 -

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. März 2011 – 6 K 2480/10 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1986 in Leonberg geborene Kläger ist lediger und kinderloser türkischer Staatsangehöriger. Nach der Geburt lebte er zunächst einige Jahre bei seinen Eltern in Deutschland und wuchs dann bis zu seinem 9. Lebensjahr gemeinsam mit seinem älteren Bruder bei seiner Großmutter in der Türkei auf. In der Türkei besuchte er die 1. und 2. Klasse der Grundschule. Sein Vater, der ebenfalls türkischer Staatsangehöriger ist, hielt sich auch in dieser Zeit in Deutschland rechtmäßig als Arbeitnehmer auf. 1995 kehrte der Kläger dann zu seinen Eltern nach Sindelfingen zurück. Der Kläger besuchte in Deutschland zunächst eine Vorbereitungsklasse, dann die Grundschule und wechselte nach der 4. Klasse Grundschule auf das Gymnasium. Von dort musste er nach der 6. Klasse aufgrund unzureichender Leistungen auf die Realschule wechseln. Nachdem er dort die 6. Klasse wiederholt hatte, verließ er schließlich wegen Verhaltensauffälligkeiten und Fehlzeiten die Realschule ohne Abschluss. Im Jahre 2001 und nach dem Besuch verschiedener Schulen erreichte er den Hauptschulabschluss mit dem Notendurchschnitt von 2,3. Eine danach begonnene Lehre als Kfz-Mechaniker endete vorzeitig, weil ihm betriebsbedingt gekündigt worden war. Eine abgeschlossene Berufsausbildung kann der Kläger nicht vorweisen, da er einen Ausbildungsplatz als Industriemechaniker wegen eigenen Fehlverhaltens wieder verlor. Danach hielt er sich bis 2003 immer wieder vorübergehend in der Türkei auf. Nach seiner Rückkehr trennten sich seine Eltern; er lebte in der Folgezeit bei seiner Mutter. Er ging nach seiner Rückkehr auch nur gelegentlichen unselbständigen Erwerbstätigkeiten nach, die immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit bzw. durch Inhaftierungen unterbrochen waren. Zuletzt arbeitete er von Juni 2008 bis März 2009 bei einer Zeitarbeitsfirma, jedoch wurde das Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsverweigerung fristlos gekündigt.
Ihm wurde am 21.05.1997 eine bis 22.02.2002 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach verlängert wurde, zuletzt gültig bis zum 28.05.2009. Einen Verlängerungsantrag stellte er nicht.
Bereits im Alter von 12 Jahren begann der Kläger mit regelmäßigem Alkoholkonsum, wenig später mit dem zusätzlichen Konsum von Haschisch und Ecstacy sowie Kokain und Heroin. In der Zeit von Oktober 2006 bis Sommer 2007 nahm er - im Zuge einer Bewährungsauflage - an Gesprächen der Drogenberatung Sindelfingen teil, räumte dort seinen Drogenkonsum aber nur teilweise ein. Nach dem Ergebnis eines vom Landgericht Stuttgart in Auftrag gegebenen forensisch-psychiatrischen Gutachtens vom 11.11.2009 ist beim Kläger zwar von einem anhaltenden, schädlichen politoxikomanen Alkohol-und Drogenmissbrauch mit im zeitlichen Verlauf wechselndem Ausmaß auszugehen, nicht hingegen von einer Suchterkrankung im engeren Sinne mit körperlicher und/oder psychischer Abhängigkeit. Im Übrigen diagnostizierte der Gutachter beim Kläger eine dissoziale Persönlichkeitsstörung.
Der Kläger ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:
Am 29.09.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu zwei Freizeitarresten und zur Erbringung von Arbeitsleistungen.
Am 17.01.2002 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen wegen gefährlicher Körperverletzung zu acht Monaten Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Am 12.03.2002 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der Verurteilung vom 17.01.2002 wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einem Jahr Jugendstrafe, die erneut zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Am 31.08.2004 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der beiden vorgenannten Verurteilungen wegen Diebstahls und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einem Jahr und vier Monaten Jugendstrafe, deren Vollstreckung im Berufungsverfahren (vgl. Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18.11.2004) zur Bewährung ausgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang war er bereits vorübergehend vom 10.10.2003 bis 21.11.2003 sowie vom 25.05.2004 bis 18.11.2004 in Untersuchungshaft genommen worden.
Am 25.10.2005 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der drei vorgenannten Verurteilungen wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten.
10 
Am 22.11.2005 verurteilte ihn das Amtsgericht Böblingen unter Einbeziehung der vier vorgenannten Verurteilungen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Jugendstrafe von 2 Jahre und sechs Monaten. Der Rest der Strafe wurde bis zum 03.09.2009 zur Bewährung ausgesetzt.
11 
Von einer Ausweisung sahen die Ausländerbehörden zunächst ab, sprachen aber am 15.05.2002 (durch die Ausländerbehörde der Stadt Sindelfingen) sowie am 15.08.2006 (durch das Regierungspräsidium) eine ausländerrechtliche Verwarnung aus.
12 
Am 20.04.2009 wurde der Kläger aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart festgenommen und verbüßte während der U-Haft auch Ersatzfreiheitsstrafen aus vorangegangenen Verurteilungen.
13 
Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009, rechtskräftig seit dem 16.04.2010, wurde er wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass er in den Morgenstunden des 20.04.2009 zusammen mit einem Mittäter maskiert und mit einem Messer bewaffnet eine Spielothek betreten und den dort Angestellten mit einem auf ihn gerichteten Messer bedroht und zur Freigabe des Weges zur Kassenschublade veranlasst hatte. Dabei erbeuteten sie Bargeld in Höhe von mindestens 4.000,- EUR das sie allerdings auf der anschließenden Flucht größtenteils wieder verloren.
14 
Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger mit Verfügung vom 25.06.2010 aus dem Bundesgebiet aus, drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei auf seine Kosten an und wies ihn darauf hin, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf und der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass seine Abschiebung für den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt werde. Die Ausweisungsverfügung wurde als Ermessensausweisung auf § 55 Abs. 1 AufenthG gestützt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 bestehe, weil der Kläger eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 besitze. Seine Ausweisung setze daher außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstelle, eine tatsächliche, hinreichend schwere und gegenwärtige Gefährdung durch ein persönliches Verhalten voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Zudem setze die Ausweisung nach dem Urteil des EuGH vom 29.04.2004 einen Extremfall voraus, also die konkrete und hohe Wiederholungsgefahr weiterer schwerwiegender Straftaten. Mit ausführlicher Begründung bejahte das Regierungspräsidium eine solche Wiederholungsgefahr im Bereich der Gewaltkriminalität. Sie komme in der schweren und besonders häufigen Straffälligkeit, der hohen Rückfallgeschwindigkeit, der Ergebnislosigkeit der Hafterfahrung und der ausländerrechtlichen Verwarnungen zum Ausdruck und werde durch die fortbestehende Alkohol- und Drogenabhängigkeit verstärkt. Auch ein unterstellter beanstandungsfreier Haftvollzug lasse keinen Rückschluss auf eine fehlende Wiederholungsgefahr zu, zumal bereits eine vorherige Haftverbüßung keinerlei nachhaltige Wirkung auf sein Verhalten gehabt habe. Wegen der Schwere der von ihm begangenen Straftaten und der hohen konkreten Wiederholungsgefahr weiterer schwerer Straftaten stehe Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegen. Zu seinen Gunsten greife kein Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG ein, denn ein solcher gelte nur für Unionsbürger. Nationaler Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG greife nicht, weil der Kläger nicht im Besitz der dafür erforderlichen Aufenthaltserlaubnis sei. Unter Würdigung und Abwägung der für und gegen eine Ausweisung sprechenden Gründe und auch im Hinblick auf den Schutz nach Art. 8 EMRK und Art. 6 GG kam das Regierungspräsidium Stuttgart zu dem Ergebnis, dass eine Ausweisung wegen der durch den Kläger wiederholt begangenen schwerwiegenden Verstöße und der Wiederholungsgefahr verhältnismäßig sei.
15 
Der Kläger erhob am 06.07.2010 zum Verwaltungsgericht Stuttgart Klage und machte geltend: Er lebe seit 1 1/2 Jahrzehnten im Bundesgebiet. Sein Aufenthaltsrecht stütze sich auf Art. 7 Satz 1 ARB 1/80. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) RL 2004/38/EG. Der Umstand, dass der Kläger gutachterlich als dissoziale Persönlichkeit eingeordnet worden sei, rechtfertige seine Ausweisung nicht. Die Anpassungsschwierigkeiten in der Türkei wären für ihn unlösbar. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Ausweisung wäre eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Sicherheit des Staates. Eine solche Gefahr stelle der Kläger nicht dar. In der Sache verdeutliche auch EuGH, Urt. v. 23.11.2010 - Rs C-145/09 , dass nach dem Maßstab des Art. 28 Abs. 3 lit. a) 2004/38/EG eine Ausweisung des Klägers ausscheide. Seine Straftat gefährde die Sicherheit des Staates nicht.
16 
Der Beklagte trat unter Berufung auf die Ausführungen in der angegriffenen Verfügung der Klage entgegen.
17 
Mit Urteil vom 28.03.2011 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Das Regierungspräsidium habe die Ausweisung zutreffend auf § 55 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 7 Satz 1 und 14 ARB 1/80 gestützt und den Kläger ermessensfehlerfrei aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Das Regierungspräsidium sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 besitze, denn er sei in Deutschland geboren worden und habe über fünf Jahre bei seinem Vater, der als türkischer Arbeitnehmer dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehört habe, gelebt. Das Aufenthaltsrecht gelte unabhängig davon, ob der Familienangehörige selbst eine Beschäftigung ausübe oder nicht. Aufgrund dieser Rechtsstellung bestehe für den Kläger der besondere Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80, und er könne, selbst wenn er nach nationalem Recht einen Ist-Ausweisungstatbestand (§ 53 AufenthG) verwirklicht habe, nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägervertreters finde Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Unionsbürgerrichtlinie auf den Status des Klägers weder Anwendung noch sonst Berücksichtigung. Das Regierungspräsidium Stuttgart sei weiter mit Recht davon ausgegangen, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Ausweisung des Klägers nicht entgegenstehe. Eine Ausweisung des Klägers komme lediglich aus spezialpräventiven Gründen in Betracht, wenn eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.v. Art. 14 ARB 1/80 vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Das sei der Fall, wenn ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bestehe, der sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergebe, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohe und damit eine gewichtige Gefahr für ein wichtiges Schutzgut gegeben sei. Das Regierungspräsidium Stuttgart habe diese Voraussetzungen zutreffend bejaht. Es bestehe nach der Verurteilung vom 04.12.2009 eine erhebliche Gefahr, dass der Kläger wieder ähnlich gelagerte schwerwiegende Straftaten begehen werde. Im angefochtenen Bescheid habe das Regierungspräsidium eine umfassende Gesamtwürdigung vorgenommen und beim Kläger eine konkrete Wiederholungsgefahr ähnlich gelagerter Straftaten der Beschaffungs- und Gewaltkriminalität festgestellt. Dabei habe es sich auf die Vielzahl der seit 2000 begangenen Delikte, auf die hohe Rückfallgeschwindigkeit, auf seine Unbelehrbarkeit auch nach entsprechenden Verwarnungen und Inhaftierungen gestützt. Selbst die Tatsache, dass einer seiner Brüder im Jahre 2004 bereits wegen schwerer Straftaten aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und abgeschoben worden und ihm damit die ausländerrechtlichen Folgen von delinquentem Verhalten ganz konkret vor Augen geführt worden seien, habe ihn nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können. Die angesichts des strafrechtlichen Werdegangs große Gefahr weiterer Gewaltkriminalität werde auch durch die vom Gutachter festgestellte dissoziale Persönlichkeitsstruktur verstärkt. Da der Kläger keine Aufenthaltserlaubnis besitze, genieße er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG keinen besonderen Ausweisungsschutz. Das Regierungspräsidium habe das Ermessen nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG fehlerfrei ausgeübt. Danach seien bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. In seiner Entscheidung habe das Regierungspräsidium zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren sei und sich seit rund 1 1/2 Jahrzehnten, bis auf kurze Unterbrechung, ununterbrochen rechtmäßig hier aufgehalten habe. Das Regierungspräsidium habe ferner die Entwicklung der Lebensverhältnisse des Klägers während seines lang andauernden Aufenthalts berücksichtigt, insbesondere die Tatsache, dass er zwar den Hauptschulabschluss erreicht, aber keine Berufsausbildung abgeschlossen habe und nur gelegentlich unselbständigen Erwerbstätigkeiten nachgegangen, überwiegend aber beschäftigungslos gewesen sei. Er habe sich im Bundesgebiet keine sichere wirtschaftliche Lebensgrundlage aufgebaut. Seine fehlende Integration komme auch in beharrlichen Verstößen gegen die deutsche (Straf-) Rechtsordnung zum Ausdruck. Das Regierungspräsidium habe zutreffend die wirtschaftliche Bindung des Klägers im Bundesgebiet durch sein freies Zugangsrecht zum deutschen Arbeitsmarkt berücksichtigt. Es habe ferner das Ermessen auch im Hinblick auf die persönlichen Bindungen des Klägers, nämlich seine Beziehung zu seiner noch lebenden Mutter und seinem Onkel, pflichtgemäß ausgeübt. Die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten und mit dem Kläger in einer familiären Lebensgemeinschaft lebten, seien gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG hinreichend berücksichtigt worden. Zutreffend sei erkannt worden, dass die Ausweisung mit der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG den Kläger künftig daran hindere, die Familieneinheit in der Bundesrepublik Deutschland zu leben und dass damit ein Eingriff in Art. 6 GG vorliege. Allerdings verbiete Art. 6 GG auch einen für die Beteiligten schwerwiegenden Eingriff nicht schlechthin. Im vorliegenden Fall beruhe die Ausweisung auf einem wiederholten, schweren kriminellen Fehlverhalten des Klägers. Der staatliche Schutz der Gesellschaft vor etwaigen weiteren Beeinträchtigungen habe ebenfalls Verfassungsrang und müsse in diesem Fall wegen der konkreten Wiederholungsgefahr Vorrang genießen. Der Kläger habe die zu einem Eingriff in Art. 6 GG führenden Gründe selbst geschaffen. Die Bindung zu seinen Familienangehörigen habe ihn in der Vergangenheit nicht davon abhalten können, eine Vielzahl von Straftaten zu begehen. Die Bindung eines volljährigen erwachsenen Menschen zu seinen Verwandten sei ferner durch eine fortschreitende „Abnabelung" geprägt. Dem Kläger könne daher eine eigenverantwortliche Lebensführung zugemutet werden. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt. Angesichts der Schwere der vom Kläger zuletzt begangenen Straftaten sei der Allgemeinheit das Risiko einer erneuten einschlägigen Straffälligkeit des Klägers unter dem Gesichtspunkt des vorrangigen Schutzes der Bevölkerung vor Gewaltdelikten nicht zuzumuten. Die Ausweisung sei zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erforderlich und angemessen. Ein milderes Mittel zur Abwendung der Gefahr weiterer Beeinträchtigungen durch schwerwiegende Straftaten sei nicht ersichtlich. Die Rückkehr in seine Heimat sei dem Kläger auch zuzumuten. Zwar sei er in Deutschland geboren und aufgewachsen; trotzdem sei davon auszugehen, dass er als Sohn türkischer Staatsangehöriger die türkische Sprache mindestens in den Grundzügen beherrsche. Dafür sprächen auch sein mehrmonatiger Schulaufenthalt in der Türkei und seine kurzzeitigen Aufenthalte dort. Auch einer seiner Brüder, der bereits 2004 dorthin abgeschoben worden sei, lebe in seinem Heimatland. Die Ausweisung sei auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil sie vom Regierungspräsidium nicht bereits bei Erlass befristet worden sei. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei die Frage der Befristung eines Aufenthaltsverbotes nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Ausweisung am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Auch das Bundesverwaltungsgericht stelle insofern auf die Umstände des Einzelfalls ab. Angesichts des hier mit der Ausweisung verfolgten gewichtigen öffentlichen Interesses und der demgegenüber geringer wiegenden Belange des Klägers sei es nicht ermessensfehlerhaft, ihn zunächst unbefristet auszuweisen, die Frage der Befristung aber von seiner künftigen persönlichen Entwicklung abhängig zu machen und in einem gesonderten Verfahren zu prüfen. Die Ausweisung verstoße ferner nicht gegen völker- und europarechtlichen Vorschriften. Einer Ausweisung des Klägers stehe nicht das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 13.12.1955 entgegen, denn der hier überwundene Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sei weitergehend als derjenige aus Art. 3 Abs. 3 ENA. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen das durch Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Zwar stelle die Ausweisung einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK dar. Dieser sei jedoch nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, denn die Ausweisung sei, wie dargelegt, in § 55 AufenthG gesetzlich vorgesehen, und sie stelle eine Maßnahme dar, die in einer demokratischen Grundordnung unter anderem für die öffentliche Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig sei. Die gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Klage habe ebenfalls keinen Erfolg.
18 
Am 01.04.2011 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Er berief sich zunächst auf den besonderen Ausweisungsschutz des Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie und darauf, dass nach den vom Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Tsakouridis aufgestellten Grundsätzen im Falle der Ausweisung die Resozialisierung des Klägers gefährdet wäre. Nach Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 08.12.2011 in der Sache Ziebell macht der Kläger nunmehr geltend, die angegriffene Verfügung sei schon wegen der Verletzung des sog. Vier-Augen-Prinzips des Art. 9 RL 64/221/EWG aufzuheben, das mit Rücksicht auf die Standstill-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei.
19 
Der Kläger beantragt,
20 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28.03.2011 - 6 K 2480/10 - zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.06.2010 aufzuheben.
21 
Der Beklagte beantragt,
22 
die Berufung zurückzuweisen.
23 
Er macht sich die Ausführungen im angegriffenen Urteil zu eigen und stellt insbesondere ein subjektives Recht des Klägers auf Resozialisierung infrage. Ein derartiger Rechtsanspruch würde dazu führen, dass nahezu jede Ausweisung eines straffälligen Ausländers ausgeschlossen sei. Im Übrigen seien die Überlegungen des EuGH in der Rechtssache Tsakouridis ungeachtet der nicht möglichen Anwendung der Unionsbürgerrichtlinie nicht übertragbar, weil türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition nach dem ARB 1/80 inne hätten, keine Freizügigkeit innerhalb der Union genössen. Das sog. Vier-Augen-Prinzip gelte entgegen der Auffassung des Klägers nicht mehr weiter. Denn zum einen wäre die Fortgeltung mit Art. 59 ZP unvereinbar. Ungeachtet dessen sei dieses auch nicht durch die Standstill-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 aufrechterhalten, weil diese sich nur an die Mitgliedstaaten wende.
24 
Der Senat hat eine Stellungnahme der JVA Heilbronn über die Entwicklungen des Klägers im Vollzug eingeholt. Insoweit wird auf das Schreiben der JVA Heilbronn vom 23.01.2012 verwiesen.
25 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
26 
Dem Senat lagen die Ausländerakten, die Akten des Regierungspräsidiums sowie die Gefangenenpersonalakten vor.

Entscheidungsgründe

 
27 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.06.2010 zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
I.
28 
Die mit Bescheid vom 25.06.2010 verfügte Ausweisung leidet nicht deshalb an einem unheilbaren Verfahrensfehler, weil das nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vom 25.02.1964 (ABl. 56 vom 04.04.1964, S. 850) vorgesehene „Vier-Augen-Prinzip“ nicht beachtet wurde. Wie sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08.12.2011 in der Rechtssache C-371/08 - hinreichend ersehen lässt, entfaltet diese zum 30.04.2006 aufgehobene Bestimmung keine Wirkungen mehr für den verfahrensrechtlichen Ausweisungsschutz assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger (1.). Auch aus geltenden unionsrechtlichen Verfahrensgarantien folgt nicht die Notwendigkeit, ein Vorverfahren durchzuführen (2.). Die Stillhalteklauseln gebieten keine andere Betrachtung (3.). Die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens ergibt sich schließlich nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens (4.).
29 
1. Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG war bei einer ausländerrechtlichen Entscheidung über die Ausweisung ein weiteres Verwaltungsverfahren durchzuführen, sofern nicht ausnahmsweise ein dringender Fall vorlag und sofern nicht im gerichtlichen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsprüfung vorgesehen war. Diese für Angehörige der Mitgliedstaaten (vgl. zum personellen Anwendungsbereich Art. 1 dieser Richtlinie) geltende Regelung erstreckte der Europäische Gerichtshof auf die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger (Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 65 ff.). Fehlte es an der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, so war die Ausweisung unheilbar rechtswidrig (BVerwG, Urteil vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - Rn. 12 ff., BVerwGE 124, 217, vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - Rn. 14 ff., BVerwGE 124, 243 und vom 09.08.2007 - 1 C 47.06 - Rn. 23 ff., BVerwGE 129, 162).
30 
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EGV (später Art. 39, 40, 41 EG und nunmehr Art. 45 ff. AEUV) geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer zu übertragen sind, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen. Dies beruht auf den Erwägungen, dass in Art. 12 des Assoziierungsabkommens die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des „Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft“ leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen, dass Art. 36 ZP die Fristen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (nunmehr und im Folgenden: Union) und der Türkei festlegt, dass der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln vorsieht und dass der Beschluss 1/80 bezweckt, im sozialen Bereich die Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu verbessern (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 04.10.2007- Rs. C-349/06 Rn. 29, vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 61 ff., vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 Rn. 42 ff. und vom 10.02.2000 - Rs. C-340/97 Rn. 42 f.). In der Rechtssache „Dörr und Ünal“ (Rn. 65 ff.) heißt es, es sei nach diesen Erwägungen geboten, die in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG niedergelegten Grundsätze als auf türkische Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragbar anzusehen, und weiter:
31 
„….Um effektiv zu sein, müssen die individuellen Rechte von den türkischen Arbeitnehmern vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Damit die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleistet ist, ist es unabdingbar, diesen Arbeitnehmern die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, und es muss ihnen somit ermöglicht werden, sich auf die in den Artikeln 8 und 9 der Richtlinie 64/221 vorgesehenen Garantien zu berufen. Diese Garantien sind nämlich, wie der Generalanwalt …ausführt, untrennbar mit den Rechten verbunden, auf die sie sich beziehen.“
32 
In der Entscheidung „Ziebell“ knüpft der Gerichtshof an die Ausführungen im Urteil „Dörr und Ünal“ an und legt dar (Rn. 58), dass
33 
„…die Grundsätze, die im Rahmen der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Bestimmungen des EG-Vertrags gelten, so weit wie möglich auf türkische Staatsangehörige übertragen werden, die Rechte aufgrund der Assoziation EWG-Türkei besitzen. Wie der Gerichtshof entschieden hat, muss eine solche Analogie nicht nur für die genannten Artikel des Vertrags gelten, sondern auch für die auf der Grundlage dieser Artikel erlassenen sekundärrechtlichen Vorschriften, mit denen die Artikel durchgeführt und konkretisiert werden sollen (vgl. zur Richtlinie 64/221 u.a. Urteil Dörr und Ünal)“.
34 
Durch den Terminus „Analogie“, der etwa auch in der französischen und englischen Fassung des Urteils verwendet wird, ist klargestellt, dass die Inhalte des - für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten - maßgeblichen Sekundärrechts nicht deshalb auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige angewandt werden, weil diese allgemeine Rechtsgrundsätze sind, die ggfs. auch losgelöst von der Wirksamkeit der jeweiligen Regelung noch Geltung beanspruchen können, sondern dass es sich um eine entsprechende Übertragung geltenden Rechts handelt. Eine Vorschrift kann jedoch nur solange analog angewandt werden, wie sie selbst Gültigkeit beansprucht. Mit der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG entfällt deshalb - wie der Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ darlegt - die Grundlage für ihre entsprechende Anwendung.
35 
Dass aufgrund dieser Aufhebung nicht mehr „traditionell auf die in der Richtlinie 64/221/EWG festgeschriebenen Grundsätze abgestellt“ werden kann (Rn. 76) und der Richtlinie insgesamt, d.h. in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht, keine Bedeutung mehr zukommt, ist nach den Ausführungen im Urteil „Ziebell“ (insb. Rn. 77 ff.) und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt hinreichend geklärt. Dem Europäischen Gerichtshof war aufgrund des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 und der beigefügten Akten bekannt, dass auf die dort streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 06.03.2007 das „Vier-Augen-Prinzip“ des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr angewandt, vielmehr gegen die Ausweisungsentscheidung direkt Klage erhoben worden ist. Das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.08.2009 (1 C 25.08 - AuAS 2009, 267) führt sogar ausdrücklich aus, dass - sollte der in Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG für Unionsbürger geregelte Ausweisungsschutz nicht auf assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige zu übertragen sein - sich die Frage stellt, ob Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG gleichwohl weiterhin anzuwenden ist oder stattdessen die Verfahrensgarantien des Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG Anwendung finden, die das „Vier-Augen-Prinzip“ abgelöst haben (BVerwG, a.a.O., Rn. 26). Hätte der Gerichtshof dem im Verfahren „Ziebell“ nicht eingehaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ - und sei es auch mit Blick auf besondere oder allgemeine unionsrechtliche Verfahrensgarantien, die Standstillklauseln oder das Assoziationsabkommen an sich - noch irgendeine rechtliche Relevanz zu Gunsten des Klägers beigemessen, so hätte es nahegelegen, unabhängig von der konkreten Vorlagefrage hierzu Ausführungen zu machen. Die Tatsache, dass der Gerichtshof die Aufhebung der Richtlinie insgesamt besonders hervorhebt, und der Umstand, dass er den Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige mit einer Rechtsposition nach dem ARB 1/80 zudem ausdrücklich auf einen anderen unionsrechtlichen Bezugsrahmen im geltenden Recht stützt, belegen, dass die Richtlinie 64/221/EWG nach Auffassung des Gerichtshofs in Gänze nicht mehr zur Konkretisierung des formellen und materiellen Ausweisungsschutzes des Klägers herangezogen werden kann. Hätte der Gerichtshof den Inhalten der Richtlinie 64/221/EWG noch irgendeine Bedeutung beigemessen, so hätte es sich im Übrigen auch aufgedrängt, für das materielle Ausweisungsrecht - etwa in Anknüpfung an die Rechtssachen „Cetinkaya“ (Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - Rn. 44 ff.) oder „Polat“ (Urteil vom 04.10.2007 -Rs. C-349/06 - Rn. 30 ff.) - den dort erwähnten Art. 3 der Richtlinie 64/221/ EWG ausdrücklich weiterhin fruchtbar zu machen. Diesen Weg hat der Gerichthof in der Rechtssache „Ziebell“ jedoch ebenfalls nicht beschritten. An dieser Sicht vermag – entgegen der Auffassung des Klägers – auch der Umstand nichts zu ändern, dass für die Anwendung des am 21.06.1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits geschlossenen Abkommen über die Freizügigkeit (ABl. 2002 L 114, S. 6) die Richtlinie 64/221/EWG nach wie vor vorübergehend Bedeutung hat (vgl. Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I).
36 
2. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob sich die Verfahrensgarantien für einen assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, der sich gegen seine Ausweisung wendet, nunmehr ebenfalls aus der Richtlinie 2003/109/EG (Art. 10, Art. 12 Abs. 4), aus Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG oder aus den auch im Unionsrecht allgemeinen anerkannten Grundsätzen eines effektiven Rechtsschutzes ergeben. Denn die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens ist in keinem dieser Fälle geboten.
37 
a) Art 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG sieht vor, dass einem langfristig Aufenthaltsberechtigten in dem betroffenen Mitgliedstaat der Rechtsweg gegen seine Ausweisung offen steht. Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie normiert, dass der langfristig Aufenthaltsberechtigte Rechtsbehelfe u.a. gegen den Entzug seiner Rechtsstellung einlegen kann. Welche Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, bestimmt sich jedoch allein nach dem nationalen Recht. Ein Vorverfahren als einzuräumender Rechtsbehelf ist nach der Richtlinie nicht vorgeschrieben.
38 
b) Auch soweit man für die einem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen einzuräumenden Verfahrensgarantien Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG heranziehen wollte, folgt hieraus nichts anderes. Die Erwägungen zu den Besonderheiten der Unionsbürgerschaft haben den Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ im Anschluss an die Ausführungen des Generalanwalts bewogen, den Schutz der Unionsbürger vor Ausweisung, wie in Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehen, nicht im Rahmen der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf die Garantien gegen die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger zu übertragen (vgl. im Einzelnen Rn. 60 ff. und Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - Rs. C-371/08 - Rn. 42 ff.). Selbst wenn man der Auffassung wäre, die Spezifika der Unionsbürgerschaft (vgl. zu deren Begriff und Inhalt auch Bergmann , Handlexikon der Europäischen Union, 4. Aufl. 2012, Stichwort „Unionsbürgerschaft“) stünden lediglich der Anwendung des materiellen Ausweisungsrechts der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige entgegen und nicht der Übertragung der im gleichen Kapitel enthaltenen Verfahrensgarantien nach Art. 30 f., leidet die Ausweisungsverfügung nicht an einem Verfahrensfehler. Der Gerichtshof hat sich im Urteil „Ziebell“ nicht dazu geäußert, ob diese Bestimmungen insoweit analogiefähig sind bzw. ihnen jedenfalls allgemein geltende Grundsätze zu entnehmen sind (vgl. auch Art. 15 der Richtlinie 2004/38/EG), die in Anknüpfung allein an die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Notwendigkeit deren verfahrensrechtlichen Schutzes ihre Berechtigung haben, oder ob auch diesen ein spezifisch unionsbürgerbezogener Inhalt zukommt. Für letzteres könnte etwa Art. 31 Abs. 3 S. 2 dieser Richtlinie angeführt werden, wonach das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 nicht unverhältnismäßig ist; auch die Bezugnahme in Art. 31 Abs. 2, letzter Spiegelstrich auf Art. 28 Abs. 3 könnte dafür sprechen. Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, denn die Verfahrensgarantien nach Art. 30 f. der Richtlinie 2004/38/EG schreiben die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bei der Ausweisung von Unionsbürgern nicht vor (diese Frage lediglich ansprechend BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.10.2011 - 2 BvR 1969/09 - juris Rn. 40), so dass der Kläger selbst bei ihrer Anwendbarkeit kein für ihn günstigeres Ergebnis herleiten könnte.
39 
Nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Aus dieser Bestimmung folgt aber nicht die Verpflichtung des Mitgliedstaates, außer dem gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Ausweisungsverfügung (zusätzlich) ein behördliches Rechtsbehelfsverfahren vorzuhalten und in diesem auch die Überprüfung der Zweckmäßigkeit einer Ausweisung zu ermöglichen. Wie sich schon aus dem Wortlaut ergibt („..und gegebenenfalls bei einer Behörde…“), trägt diese Bestimmung lediglich dem - heterogenen - System des Rechtsschutzes der Mitgliedstaaten Rechnung und lässt deren Berechtigung unberührt, ein Rechtsbehelfsverfahren auch noch bei einer Behörde zu eröffnen. Ein solches ist jedoch in Baden-Württemberg nicht mehr vorgesehen. Erlässt das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt - wie dies für die Ausweisung eines in Strafhaft befindlichen Ausländers zutrifft (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AAZuVO) -, so ist hiergegen unabhängig von dem zugrundeliegenden Rechtsgebiet im Anwendungsbereich des seit 22.10.2008 geltenden § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO (GBl. 2008, 343) i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO das Vorverfahren nicht statthaft. Aufgrund vergleichbarer, wenn auch regelungstechnisch teilweise von einem anderen Ansatz ausgehender Landesgesetze entspricht es einer bundesweit anzutreffenden Rechtspraxis, ein Widerspruchsverfahren vor Erhebung einer Klage nicht mehr vorzuschreiben (vgl. z.B. auch Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO, § 16a HessAGVwGO, § 8a NdsAGVwGO). Dass die Unionsbürgerrichtlinie nicht dazu zwingt, ein dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgeschaltetes Widerspruchsverfahren zu schaffen, folgt im Übrigen eindeutig aus ihrer Entstehungsgeschichte.
40 
Der Vorschlag der Kommission für die Unionsbürgerrichtlinie (KOM 2001/0257/endgültig, ABl. C 270 E vom 25.09.2001, S. 150) sah ursprünglich vor, dass u.a. bei der Ausweisung der Betreffende bei den Behörden oder den Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen kann; ist der behördliche Weg vorgesehen, entscheidet die Behörde außer bei Dringlichkeit erst nach Stellungnahme der zuständigen Stelle des Aufnahmemitgliedstaates, vor dem es dem Betreffenden möglich sein muss, auf seinen Antrag hin seine Verteidigung vorzubringen. Diese Stelle darf nicht die Behörde sein, die befugt ist, die Ausweisungsentscheidung zu treffen (vgl. im Einzelnen den - hier verkürzt wiedergegebenen - Wortlaut des Entwurfs zu Art. 29 Abs. 1 und 2). In der Begründung des Vorschlags zu Art. 29 heißt es ausdrücklich:
41 
„Ein lückenloser Rechtsschutz schließt nicht aus, dass ein Mitgliedstaat vorsieht, dass ein Rechtsbehelf bei einer Behörde eingelegt werden kann. In diesem Fall müssen die in Art. 9 der Richtlinie 63/221/EWG genannten Objektivitätsgarantien gegeben sein, insbesondere die vorherige Stellungnahme einer anderen Behörde, als die, die die Einreiseverweigerung oder die Ausweisung verfügen soll, sowie Garantie in Bezug auf die Rechte der Verteidigung.“
42 
In dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 vom 05.12.2003 (ABl. C 54 E vom 02.03.2004, S. 12) hat Art. 31 Abs. 1 bereits - mit Zustimmung der Kommission - die Fassung, wie sie in der Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 enthalten ist (a.a.O., S. 26). Schon in dem geänderten Vorschlag der Kommission vom 15.04.2003 (KOM(2003) 199 endgültig) erhielt der Entwurf zu Art. 29 Abs. 1 die Fassung, dass „….der Betroffene bei den Gerichten und gegebenenfalls bei den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen“ kann. Durch diese Abänderung sollte klargestellt werden,
43 
„dass der Rechtsbehelf stets bei einem Gericht eingelegt werden muss und ein Rechtsbehelf bei einer Behörde nur dann ebenfalls zulässig ist, wenn der Aufnahmemitgliedstaats dies vorsieht (zum Beispiel bevor ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann).“
44 
Diese Begründung der Kommission im geänderten Vorschlag vom 15.04.2003 (a.a.O., S. 10) zu Art. 29 Abs. 1 hat sich der „Gemeinsame Standpunkt“ vom 05.12.2003 zu Eigen gemacht (a.a.O., S 27) und ferner Art. 29 Abs. 2 des Kommissionsentwurfs mit dem dort enthaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ komplett gestrichen. Dieser ist mit Blick auf die von den Mitgliedstaaten stets vorzusehende Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts und der dort zu gewährenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung und der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung über die Ausweisung beruht, für überflüssig erachtet worden (vgl. die Begründung des Rates, a.a.O., S. 29, 32).
45 
Das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene „Vier-Augen-Prinzip“, das defizitäre gerichtliche Kontrollmechanismen und eine in den Mitgliedstaaten zum Teil vorherrschende geringe Kontrolldichte der gerichtlichen Entscheidungen kompensieren sollte, wurde somit in Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG durch eine Verbesserung des gerichtlichen Rechtsschutzes ersetzt (vgl. zur bewussten Abkehr von den in Art. 8 f der Richtlinie 64/221/ EWG vorgesehenen Verfahrensregelungen auch Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/38/EG). Der in Deutschland dem Kläger zur Verfügung stehende gerichtliche Rechtsschutz erfüllt die Vorgaben des Art. 31 der Richtlinie.
46 
Es bleibt daher der Verfahrensautonomie des Mitgliedstaats überlassen, ob er bei einer Ausweisung eines Unionsbürgers zusätzlich zum gerichtlichen Rechtsschutz noch ein Widerspruchsverfahren vorsieht. Dass die in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltene Formulierung „..und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen zu können“ bei diesem Verständnis nur noch eine unionsrechtliche Selbstverständlichkeit wiedergibt, erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
47 
c) Auch die allgemeine unionsrechtliche Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs fordert nicht die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens. Selbst wenn man entgegen den Ausführungen oben unter 1.) der Auffassung wäre, der Gerichtshof habe sich im Urteil „Ziebell“ hierzu nicht der Sache nach geäußert, ist dies eindeutig.
48 
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshof hat ein türkischer Arbeitnehmer, der die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzt, einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, um diese Rechte wirksam geltend machen zu können (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn.67). Es entspricht einem allgemein anerkannten unionsrechtlichen Grundsatz, der sich aus der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten ergibt und der in Art. 6 und 13 EMRK verankert ist, dass bei einem Eingriff in die Rechte des Betroffenen (hier: Eingriff in die Freizügigkeit des Arbeitnehmers) durch eine Behörde des Mitgliedstaats der Betroffene das Recht hat, seine Rechte vor Gericht geltend zu machen; den Mitgliedstaaten obliegt es, eine effektive richterliche Kontrolle der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des innerstaatlichen Rechts sicherzustellen, das der Verwirklichung der eingeräumten Rechte dient (vgl. schon EuGH, Urteil vom 03.12.1992 - Rs. C-97/91 Rn.14, vom 15.10.1987 - Rs. C-222/86 Rn. 12 ff. und vom 15.05.1986 - Rs. C-222/84 Rn. 17 ff.). Zum Effektivitätsgrundsatz gehört, dass die gerichtliche Kontrolle die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung umfasst (EuGH, Urteil vom 15.10.1987 - Rs. C-222/84 Rn.15). Auch dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH, Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-279/09 Rn. 28, vom 15.04.2008 - Rs. C-268/06 Rn. 46, vom 13.03.2007 - Rs. C-432/05 Rn. 43 und vom 16.12.1976 - 33/76 Rn.5). Ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, ist unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen sowie des Ablaufs und der Besonderheiten dieses Verfahrens zu prüfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2002 - Rs. C-473/00 Rn. 37 und vom 14.12.1995 - Rs. C-312/93 Rn.14).
49 
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Grundsätze ist es nicht geboten, ein behördliches Vorverfahren mit einer diesem immanenten Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorzuschalten, das die Vorgaben des effektiven Rechtschutzes in jeder Hinsicht erfüllt. Auch Art. 19 Abs. 4 GG fordert dies übrigens gerade nicht (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 24.04.1985 - 2 BvF 2/83 u.a. - juris Rn. 105 m.w.N.). Ein Anspruch des Einzelnen auf ein „Maximum“ an Verfahrensrechten und den unveränderten Fortbestand einer einmal eingeräumten verfahrensrechtlichen Möglichkeit besteht nicht - zumal wenn diese wie das „Vier-Augen-Prinzip“ aus einer bestimmten historischen Situation als Kompensation für eine früher weit verbreitete zu geringe gerichtliche Kontrolldichte erfolgte.
50 
d) Aus dem in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und dem „Recht auf gute Verwaltung“ nach Art. 41 GRCh (vgl. zu den dort eingeräumten Rechten Jarass, GRCh-Kommentar, 2010, Art. 41 Rn. 21 ff.) ergibt sich für den Kläger ebenfalls kein Recht auf Durchführung eines Vorverfahrens.
51 
3. Ein Widerspruchsverfahren ist ferner nicht mit Blick auf die assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln nach Art. 7 ARB 2/76, Art. 13 ARB 1/80 oder Art. 41 Abs. 1 ZP einzuräumen. Selbst wenn man die Ansicht nicht teilen würde, schon aus dem Urteil „Ziebell“ ergebe sich hinreichend deutlich, der Gerichtshof halte das Fehlen eines Vorverfahrens auch unter dem Aspekt der Stillhalteklauseln nicht für problematisch, lässt sich feststellen, dass dessen Abschaffung keinen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln darstellt.
52 
a) Der Kläger kann sich als im Bundesgebiet geborener Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers auf Art. 13 ARB 1/80 berufen. Nach dieser am 01.12.1980 in Kraft getretenen Regelung dürfen die Mitgliedstaaten für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß ist, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Diese Stillhalteklausel, die unmittelbar wirkt (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62, vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 58 f. und vom 20.09.1990 - Rs. C-192/89 Rn. 26), verbietet allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in dem entsprechenden Mitgliedstaat galten (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62), wobei den Mitgliedstaaten auch untersagt ist, nach dem Stichtag eingeführte günstigere Regelungen wieder zurückzunehmen, selbst wenn der nunmehr geltende Zustand nicht strenger ist als der am Stichtag geltende (siehe zu dieser „zeitlichen Meistbegünstigungsklausel“ EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 49 ff ). Die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 verfolgt das Ziel, günstigere Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu schaffen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 und vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 72 ff.). Normadressat ist ausschließlich der einzelne Mitgliedstaat mit Blick auf dessen nationales Recht, nicht die Europäische Union als Vertragspartner des Assoziationsabkommens EWG/Türkei. Deren Befugnisse werden durch diese Stillhalteklausel nicht beschränkt. Vom Wortlaut her schützt das Unterlassungsgebot der Standstillklausel zwar ausschließlich den unveränderten Zugang zum Arbeitsmarkt, es entfaltet gleichwohl mittelbare aufenthaltsrechtliche Wirkungen, soweit ausländerrechtliche Maßnahmen zur Beeinträchtigung des Arbeitsmarktzugangs führen, die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels erschwert wird (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62 ff. und vom 29.04.2010 - Rs. C-92/09 Rn. 44 ff.) oder der Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet beendet werden soll (vgl. auch Renner, 9. Aufl., 2011, § 4 Rn. 197). Bei der Bestimmung, wann eine Maßnahme eine „neue Beschränkung“ darstellt, orientiert sich der Gerichtshof gleichermaßen an den mit Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 ZP verfolgten Zielen und erstreckt die Tragweite der Stillhalteverpflichtung auf sämtliche neuen Hindernisse für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die eine Verschärfung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Bedingungen darstellen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 ff.), wobei eine solche materieller und/oder verfahrensrechtlicher Art sein kann (EuGH, Urteil vom 21.07.2011 - Rs. C-186/10 Rn. 22, vom 29.04.2010 - Rs. C-92/07 Rn. 49, vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 64 und vom 20.09.2007 - Rs. C-16/05 Rn. 69). Nach diesen Grundsätzen stellt die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens keine „neue Beschränkung“ dar.
53 
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von Art. 13 ARB 1/80 war nach dem damals geltenden § 68 VwGO und dem baden-württembergischen Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22.03.1960 (GBl. 1960, 94) in der Fassung des Gesetzes vom 12.12.1979 (GBl. 1979, 549) auch bei der Ausweisung eines türkischen Staatsangehöriger ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Die in der vorliegenden Fallkonstellation nunmehr vorgesehene Zuständigkeit einer Mittelbehörde für den Erlass der Ausweisungsverfügung (§ 6 Nr. 1 AAZuVO) und das gesetzlich deswegen angeordnete Entfallen des Vorverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO BW vom 14.10.2008; vgl. auch die Vorgängervorschrift § 6a AGVwGO BW vom 01.07.1999) ist keine Änderung, die geeignet wäre, die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu erschweren oder die einem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten materiellen Rechte zu beeinträchtigen. Unabhängig davon, ob das Widerspruchsverfahrens nur als Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens angesehen wird (vgl. hierzu Bader, u.a. VwGO, 5. Aufl. 2011, Vor §§ 68 ff. Rn. 49), oder ob es auch als Teil des Prozessrechts begriffen wird (i.S.e. Doppelcharakters Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, Vorb § 68 Rn. 14), ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dessen Wegfall zu einer merklichen Verschlechterung der Rechtsposition türkischer Staatsangehöriger führt. Eine rechtliche Beeinträchtigung des Betroffenen durch die Abschaffung des Vorverfahrens wird im Übrigen auch nicht in anderen rechtlichen Konstellationen außerhalb des Aufenthaltsrechts angenommen.
54 
Grund für den letztlich allein rechtspolitisch gewählten Weg eines weitgehenden Ausschluss des Vorverfahrens in Baden-Württemberg war die Erkenntnis gewesen, dass entsprechend einer evaluierten Verwaltungspraxis jedenfalls in den Fällen, in denen das Regierungspräsidium die Ausgangsentscheidung getroffen hat, die Sach- und Rechtslage vor der ersten Verwaltungsentscheidung so umfassend geprüft wird, dass sich während des Vorverfahrens regelmäßig keine neuen Aspekte ergeben. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens in den Fällen der Ausgangszuständigkeit der Mittelbehörden dient nicht nur deren Entlastung, sondern vor allem auch der Verfahrensbeschleunigung (vgl. näher die Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf der Landesregierung, LT Drs. 12/3862 vom 16.03.1999 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 22.04.1999, LT Drs. 12/3976). Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens kann daher allenfalls als ambivalent begriffen werden. Die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens kommt in besonderem Maße dem Interesse des von einer Ausweisung betroffenen Ausländers entgegen, eine möglichst rasche gerichtliche Klärung zu erhalten. Zwar können etwa Mängel in der Ausweisungsentscheidung leichter behoben werden, wenn die Verwaltung „einen zweiten Blick“ hierauf wirft. Der Ausländer wird jedoch nicht belastet, wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht. Vielmehr verbessert dies unter Umständen sogar seine Erfolgschancen bei Gericht. Als Kläger kann er auch all das bei Gericht geltend machen, was er in einem Widerspruchsverfahren vortragen könnte; das Verwaltungsgericht unterzieht die Ausweisung einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle, die insbesondere auch eine volle Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit einschließt. Lediglich die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung kann durch das Verwaltungsgericht nicht geprüft werden, was aber bei einer Gesamtbetrachtung der Wirkungen der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens nicht negativ ins Gewicht fällt. Im Übrigen kam es nach den Angaben des Vertreters des Beklagten zu Zeiten des noch bestehenden Widerspruchsverfahrens jedenfalls auf dem Gebiet des Ausländer- bzw. Aufenthaltsrechts praktisch nicht vor, dass allein aus Zweckmäßigkeitserwägungen von einer Ausweisung Abstand genommen wurde - gerade in den Fällen der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger und den hohen Anforderungen des Art. 14 ARB 1/80 spielte dieser Gesichtspunkt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Rolle, da er insoweit ausschließlich Rechtsvoraussetzungen und Rechtsgrenzen formuliert. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass das Unionsrecht wie auch das Assoziationsrecht für Beschränkungen der Freizügigkeit nicht zwingend eine Ermessensentscheidung verlange. Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung, die das deutsche System von Ist- und Regelausweisung aber nicht zulasse. Nicht erforderlich sei eine behördliche Wahl zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten, ein Handlungsermessen der Ausländerbehörde. Die Ausweisung unterliege hinsichtlich der qualifizierten Gefahrenschwelle und des Verhältnismäßigkeitsprinzips voller gerichtlicher Kontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Lediglich deshalb, weil das nationale Recht neben der Ist- und Regelausweisung nur die Ermessensausweisung kennt, ist im Rahmen dieses Instrumentariums dann, wenn die Eingriffsschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht ist, gleichwohl eine Ermessensentscheidung zu treffen. National-rechtlich ist die Frage einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit in einem weiteren Behördenverfahren gleichfalls weder in § 10 AuslG 1965 noch in den späteren Änderungen im Ausweisungsrecht vorgegeben.
55 
Abgesehen davon bedeutet die Stillhalteverpflichtung auch nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens- und -prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (EuGH, Urteil vom 18.10.2011 -Rs. C-128/09 - Rn. 52). Lässt eine Änderung des Verfahrens aber - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor, zumal wenn man gebührend in Rechnung stellt, dass im Widerspruchsverfahren auch formelle wie materielle Fehler der Ausgangsbehörde zu Lasten des Betroffenen behoben werden können (Bader, VwGO, a.a.O., § 68 Rn. 4, 7, 10; § 79 Rn. 2 ff.).
56 
b) Geht man davon aus, dass der Kläger seine Eigenschaft als Arbeitnehmer nicht verloren hat und hält daher auch den am 20.12.1976 in Kraft getretenen Art. 7 ARB 2/76 für anwendbar, so gilt nichts anderes (vgl. zur Anwendbarkeit von Art. 7 ARB 2/76 neben Art. 13 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 20.09.1990 -Rs. C-192/89 Rn. 18 ff.). Nach dieser Bestimmung dürfen die Mitgliedstaaten der Union und die Türkei für Arbeitnehmer, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Mit Art. 7 ARB 2/76 wird gegenüber Art. 13 ARB 1/80 insoweit nur der zeitliche Bezugspunkt für neue Beschränkungen verändert, ohne dass diese jedoch inhaltlich anders zu bestimmen wären.
57 
c) Ein Verstoß gegen die seit 01.01.1973 geltende Stillhalteklausel nach 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963 zur Gründung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger zu keinem Zeitpunkt selbstständig erwerbstätig war.
58 
4. Eine Fortgeltung des „Vier-Augen-Prinzips“ nach der Richtlinie 64/221/ EWG folgt auch nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens.
59 
Die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme vom 15.12.2006 (JURM(2006)12099) in der Rechtssache „Polat“ (C-349/06) die Auffassung vertreten, bei der Auslegung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen des Assoziationsabkommens oder darauf gestützter Rechtsakte wie Art. 14 ARB 1/80 sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Union) seinerzeit verwirklicht worden sei. Hieraus folge, dass die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und der aufgrund dessen erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben könne. Der Inhalt völkerrechtlicher Verträge könne sich nämlich nicht automatisch durch eine spätere Änderung der Rechtslage eines Vertragspartners ändern. Das Wesen des Völkerrechts bestehe gerade darin, dass sich die souveränen Vertragsparteien nur selbst verpflichten können, heteronome Normsetzung komme in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Eine solche heteronome Normsetzung läge aber vor, wenn sich die Änderung der internen Rechtslage der Gemeinschaft unmittelbar auf die Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger, die durch völkerrechtlichen Regelungen festgelegt sei, auswirken könnte (vgl. im Einzelnen die Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 Rn. 57 ff., beziehbar unter www.migrationsrecht.net). Diese Ausführungen sind nahezu wortgleich auch in der Stellungnahme enthalten, die die Kommission am 02.12.2008 in der Rechtssache „Ziebell“ abgegeben hat (JURM(08)12077 - Rn. 32 ff.)
60 
Diese Auffassung beruht jedoch allein auf einer eigenen Interpretation des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ vom 02.06.2005 (Rs. C-136/03 - Rn.61 bis 64) durch die Kommission (vgl. insoweit Rn. 57 der Stellungnahme im Verfahren C-349/06 und Rn. 33 der Äußerung in der Rechtssache C-371/08: „Die Kommission versteht diese Rechtsprechung wie folgt:“). Der Gerichtshof hat diese Interpretation allerdings weder im Urteil „Polat“ noch in späteren Entscheidungen aufgegriffen. Aus dem Urteil in der Rechtssache „Ziebell“ und dem dort eingeschlagenen Lösungsweg (siehe hierzu oben 1.) ergibt sich sogar mit aller Deutlichkeit, dass der Gerichtshof, der für sich die Kompetenz zur Auslegung des Assoziationsrechts in Anspruch nimmt, diese Auffassung nicht teilt. Die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 14.04.2011 im Verfahren „Ziebell“ (vgl. insb. Rn. 57) lassen ebenfalls ersehen, dass auch von dieser Seite dem dogmatischen Ansatz der Kommission insoweit keine Bedeutung beigemessen wird. Die von der Kommission befürwortete Auslegung des Urteils in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ überzeugt den Senat auch deshalb nicht, weil die Ansicht der Kommission zu dem Ergebnis führen könnte, dass in dieser Regelungsmaterie unter Umständen notwendig werdende Änderungen des Unionsrechts zum Nachteil von Unionsbürgern überhaupt nicht mehr oder nur noch um den Preis einer Diskriminierung möglich wären.
61 
Im Übrigen heißt es in der Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 ebenso wie in derjenigen vom 02.12.2008, dass „in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklicht werden sollte, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft seinerzeit verwirklicht worden sei.“ Dieses Schutzniveau für die türkischen Staatsangehörigen wird jedoch durch die Abschaffung des „Vier-Augen-Prinzips“ bei gleichzeitig verbessertem Rechtsschutz gewahrt.
62 
Nach alledem liegt im Fall des Klägers durch die Nichtbeachtung des „Vier-Augen-Prinzips“ kein unheilbarer Verfahrensfehler vor.
II.
63 
Da der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 genießt, kann gem. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthalt nur beendet werden, wenn dieses aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist.
64 
1. Nach der ständigen und mittlerweile gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs ist in diesem Zusammenhang zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Begrifflichkeiten auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. zuletzt Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 52, insbesondere auch Rn. 67 m.w.N.). Allerdings scheidet ein Rückgriff auf die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 wegen der grundsätzlich unterschiedlichen durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers aus (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 73).
65 
Der Europäische Gerichtshof ist hiernach der Auffassung, dass der Ausweisungsschutz nach der Aufhebung der bisher für seine Rechtsprechung zum Ausweisungsschutz von assoziationsrechtlich geschützten türkischen Staatsangehörigen sinngemäß bzw. analog (vgl. hierzu nunmehr EuGH, Urteil vom 08.12.2010 - Rs. C-317/08 Rn. 58) berücksichtigten Richtlinie 64/221 entsprechend den Grundsätzen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach Art. 12 der Richtlinie 2003/109, der sog. Daueraufenthaltsrichtlinie zu bestimmen ist. Diejenigen Drittstaatsangehörigen, die die Rechtsstellung eines Daueraufenthaltsberechtigten genießen, können hiernach nur dann ausgewiesen werden, wenn sie eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen (Urteil vom 08.12.2011 – Rs C-371/08 Rn. 79). Wie sich unschwer aus den weiteren Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil in der Sache Ziebell ablesen lässt (vgl. Rn. 80 ff.), folgt hieraus aber kein andersartiges Schutzniveau, als es bis zum Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union galt (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74 ; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81 ; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86 ; vom 19.01.1999 - Rs C-348/96 ). Soweit der Gerichtshof die Tatsache anspricht, dass Herr Ziebell sich mehr als zehn Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält (vgl. Rn. 79, auch Rn. 46), wird damit kein eigenständiges erhöhtes materielles Schutzniveau eingeführt, sondern lediglich eine dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegende Tatsache wiedergegeben. Diese Schlussfolgerung ist auch deshalb unausweichlich, weil der Daueraufenthaltsrichtlinie, anders als der Unionsbürgerrichtlinie eine Zehnjahresschwelle fremd ist. Vielmehr setzt der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur einen fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und darüber hinaus nach Art. 7 der Richtlinie die ausdrückliche Verleihung der Rechtsstellung voraus.
66 
Kann ein assoziationsrechtlich geschützter türkischer Staatsangehöriger nur dann ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, so steht dem auch entgegen, dass die Ausweisungsverfügung auf wirtschaftliche Überlegungen gestützt wird.
67 
Weiter haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 80).
68 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Ausnahmen und Abweichungen von der Grundfreiheit der Arbeitnehmer eng auszulegen, wobei deren Umfang nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (vgl. Rn. 81 mit dem Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
69 
Somit dürfen Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. Rn. 82 wiederum mit Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 57 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).
70 
Eine Ausweisung darf daher nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder zum Zweck der Generalprävention, um andere Ausländer vor der Begehung von Straftaten abzuschrecken, angeordnet werden (Rn. 83 Urteil vom 22.12.2010, Bozkurt, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
71 
Der Gerichtshof betont im Urteil vom 08.12.2011 (Rn. 85) zudem ausdrücklich, dass die nationalen Gerichte und Behörden anhand der gegenwärtigen Situation des Betroffenen die Notwendigkeit des beabsichtigten Eingriffs in dessen Aufenthaltsrecht zum Schutz des vom Aufnahmemitgliedstaat verfolgten berechtigten Ziels gegen alle tatsächlich vorliegenden Integrationsfaktoren abwägen müssen, die die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats ermöglichen. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob das Verhalten des türkischen Staatsangehörigen gegenwärtig eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Sämtliche konkreten Umstände sind angemessen zu berücksichtigen, die für seine Situation kennzeichnend sind, wie namentlich besonders enge Bindungen des betroffenen Ausländers zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in deren Hoheitsgebiet er geboren oder auch nur aufgewachsen ist.
72 
Demzufolge sind für die Feststellung der Gegenwärtigkeit der konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auch alle nach der letzten Behördenentscheidung eingetretenen Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse darstellen soll (Rn. 84; vgl. u. a. Urteil vom 11.11.2004 - Rs C-467/02 Rn. 47).
73 
Wenn der Gerichtshof schließlich in der konkreten Antwort auf die Vorlagefrage (Rn. 86) noch davon spricht, dass die jeweilige Maßnahme für die Wahrung des Grundinteresses „unerlässlich“ sein muss, ohne dass dieses in den vorangegangenen Ausführungen näher angesprochen und erörtert worden wäre, so kann dies nicht dahingehend verstanden werden, dass die Ausweisungsentscheidung gewissermaßen die „ultima ratio“ sein muss und dem Mitgliedstaat keinerlei Handlungsalternative mehr offen stehen darf. Denn bei einem solchen Verständnis ginge der Schutz der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen weiter als der von Unionsbürgern, was mit Art. 59 ZP nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr wird mit dieser Formel mit anderen Worten nur der in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelte Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie insbesondere nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. etwa Urteil vom 26.11.2002 - Rs C-100/01 Rn. 43; vom 30.11.1995 - Rs C-55/94, Rn. 37; vom 28.10.1975 - Rs 36/75 ), wobei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen ist.
74 
Der vom Gerichtshof entwickelte Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich auf „ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss“. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann eine Ausweisung rechtfertigen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erwarten lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs C-482 und 493/01 ). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, was eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59). Wenn der Umstand, dass eine oder mehrere frühere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, für sich genommen ohne Bedeutung für die Rechtfertigung einer Ausweisung ist, die einem türkischen Staatsangehörigen Rechte nimmt, die er unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB 1/80 ableitet (vgl. auch Urteil vom 04.10.2007 - C-349/06 Rn. 36), so muss das Gleiche erst recht für eine Maßnahme gelten, die im Wesentlichen nur auf die Dauer der Inhaftierung des Betroffenen gestützt wird.
75 
Der Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes gesellschaftliches „Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
76 
Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Dieser Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartige weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in der dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit unter dem strikten Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit steht, lassen ein solches Verständnis nicht zu. Es wäre auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unions- bzw. assoziationsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet (so schon Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
77 
Dem restriktiven, vom Verhältnismäßigkeitsprinzip und „effet utile“ geprägten Verständnis des Gerichtshofs liegt abgesehen davon die Vorstellung einer die gesamte Union in den Blick nehmenden Sichtweise zugrunde. Alle Mitgliedstaaten haben nämlich auch eine Verantwortung für die gesamte Union (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Mit dieser wäre es schwerlich vereinbar, dass ein Mitgliedstaat ein zunächst einmal genuin auf seinem Territorium aufgetretenes und entstandenes Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch die Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs für sich so aus der Welt schafft, dass er sich des Verursachers dieses Risiko gewissermaßen zu Lasten aller anderen Mitgliedstaaten räumlich entledigt. Denn zunächst einmal bewirkt die Beendigung der Freizügigkeit und die Außer-Landes-Schaffung des früheren Straftäters durch einen EU-Mitgliedstaat im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten nichts und hätte keine Auswirkungen auf dessen Freizügigkeit in allen anderen Mitgliedstaaten. Allerdings wäre es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, wenn der Betreffende dort gerade auch für diesen Mitgliedstaat eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellte, seinerseits die Freizügigkeit zu beschränken. Dennoch widerspricht diese Art von „Gefahrenexport“ zu Lasten anderer Mitgliedstaaten dem Geist des EU-Vertrags. Auch wenn diese Überlegungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei nicht unmittelbar tragfähig sind, weil diese keine Freizügigkeit innerhalb der Union gewährleistet, so ändert dies angesichts des vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung praktizierten Übernahme der unionsrechtlichen Grundsätze nichts an der Gültigkeit der Annahme, dass ein „gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ auch nach Assoziationsrecht einer tragfähigen Grundlage entbehrt.
78 
Andererseits ist nach Auffassung des Senats das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise mehr dafür spricht, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird.
79 
2. Ausgehend hiervon erweist sich die angegriffene Ausweisungsverfügung als ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
80 
Aufgrund der langjährigen kriminellen Karriere, nach dem im letzten Strafverfahren erstellten Gutachten Dr. W... vom 11.11.2009 sowie der vom Senat eingeholten Stellungnahme der JVA Heilbronn vom 23.01.2012 (Frau G...), in der im Einzelnen dargestellt wird, dass der Kläger kaum Interesse an der Aufarbeitung seiner Vergangenheit an den Tag gelegt hat, besteht für den Senat kein Zweifel, das vom Kläger nach wie vor eine erhebliche konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher und schwerer Straftaten ausgeht, wodurch das für eine Ausweisung erforderliche Grundinteresse der Gesellschaft unmittelbar berührt ist. Es ist namentlich nach der Stellungnahme der JVA Heilbronn nichts dafür ersichtlich, dass sich beim Kläger etwas Grundsätzliches gebessert haben könnte. Es fehlt hiernach jeder greifbare und glaubhafte, geschweige denn Erfolg versprechende Ansatz dafür, dass der Kläger bereit sein könnte, sich seiner kriminellen Vergangenheit zu stellen und hieran aktiv zu arbeiten. Im Gegenteil: Aus der Stellungnahme wird hinreichend deutlich, dass der Kläger - von guten Arbeitsleistungen abgesehen -sich einer Aufarbeitung der grundlegenden Problematik konsequent verweigert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die vom Beklagten angesprochene und verneinte Frage, ob ihm eine Resozialisierung im dem Land, in dem er geboren und überwiegend aufgewachsen ist, um deren Erfolg willen ermöglicht werden muss, nicht. Der Senat ist sich mit dem Regierungspräsidium Stuttgart der Tatsache bewusst, dass der Kläger, der nie wirklich längere Zeit in der Türkei gelebt hat, mit ganz erheblichen Problemen im Falle der Rückkehr konfrontiert sein wird. Andererseits geht der Senat davon aus, dass er mit Rücksicht auf seinen mehrjährigen Aufenthalt in der Türkei im Kindesalter über die nötige Sprachkompetenz verfügt, um in der Türkei eine neue Basis für sein Leben finden zu können. Angesichts des von ihm ausgehenden erheblichen Gefährdungspotential für bedeutende Rechtsgüter erweist sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er - nicht zuletzt bedingt durch seine häufige Straffälligkeit - zu keinem Zeitpunkt über eine gesicherte und gewachsene eigenständige wirtschaftliche Grundlage verfügt hat, die Ausweisung als verhältnismäßig: Sie stellt namentlich keinen unzulässigen Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschützte Privatleben dar. Der Umstand, dass im Bundesgebiet noch nahe Angehörige des immerhin bereits knapp 26 Jahre alten Klägers leben, gebietet keine andere Sicht der Dinge.
81 
Auch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine neuen Aspekte ergeben. Vielmehr wurde die Stellungnahme vom 23.01.2012 bestätigt. Insbesondere konnte der Kläger keine plausible Erklärung dafür geben, weshalb er die verschiedenen Angebote im Strafvollzug zur Aufarbeitung seiner Taten nicht wahrgenommen hatte.
III.
82 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist schon keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
83 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 - juris) in diesem Zusammenhang u.a. ausgeführt:
84 
„Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
85 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
86 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
87 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).“
88 
Ergänzend und vertiefend ist noch auszuführen: Gegen die Annahme, die Ausweisung sei keine Rückkehrentscheidung, kann auch nicht die Legaldefinition des „illegalen Aufenthalts“ in Art. 3 Nr. 2 RFRL eingewandt werden. Zwar erweckt der pauschale und undifferenzierte Verweis auf Art. 5 SDK auf den ersten Blick den Eindruck, es könnten auch Fälle gemeint sein, in denen materielle Einreise- bzw. Aufenthaltsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sind und somit auch in einem solchen Fall ein illegaler Aufenthalt vorläge. Dagegen sprechen aber bereits das in Art. 6 Abs. 6 RFRL vorausgesetzte Verständnis des „legalen Aufenthalts“ und der dort vorgenommenen ausdrücklichen Abgrenzung zur „Rückkehrentscheidung“. Entscheidend für ein Verständnis im Sinne eines allein formell zu verstehenden illegalen Aufenthalts spricht die Begründung des Kommissionsentwurfs (vgl. KOM/2005/ 0391endg vom 1.9.2005). Hiernach ist der Befund eindeutig. Unter I 3 Ziffer 12 wird ausdrücklich ausgeführt, dass Regelungsgegenstand der Richtlinie nicht die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung/Sicherheit sei. Unter I 4 wird zu „Kapitel II“ weiter dargelegt, die Vorschriften der Richtlinie seien auf jede Art von illegalem Aufenthalt anwendbar (z.B. Ablauf eines Visums, Ablauf eines Aufenthaltstitels, Widerruf oder Rücknahme eines Aufenthaltstitels, endgültige Ablehnung eines Asylantrags, Aberkennung des Flüchtlingsstatus, illegale Einreise). Nicht Gegenstand seien die Gründe und Verfahren für die Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts. Für dieses Verständnis spricht auch die in Anspruch genommene Rechtsgrundlage des Art. 63 Abs. 3 lit. b) EG. Im Übrigen entspricht der im Gesetzgebungsverfahren neu eingefügte Verweis auf Art. 5 SDK sachlich dem früheren Verweis auf Art. 5 SDÜ, der auch materielle Regelungen enthielt. Demzufolge stellen auch Widerruf, Rücknahme oder nachträgliche Befristung keine Rückkehrentscheidung dar.
89 
Ausgehend hiervon war der Beklagte unionsrechtlich nicht gehalten, von vornherein von Amts wegen eine Befristung der Ausweisung auszusprechen.
90 
Eine Befristung war auch nicht aus sonstigen Gründen der Verhältnismäßigkeit auszusprechen, namentlich um dem Kläger eine Rückkehrperspektive zu eröffnen. Zum einen bestünde eine solche im Falle des ledigen Klägers nach Erlöschen des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts ohnehin nicht. Zum anderen besteht gegenwärtig keine tatsächlich ausreichend gesicherte Grundlage für eine solche Entscheidung, da eine sachgerechte Prognose, dass überhaupt und ggf. wann der Ausweisungsanlass entfallen sein wird, nicht angestellt werden kann. Es wäre unauflöslich widersprüchlich, im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen der (hohen) Ausweisungsvoraussetzungen anzunehmen und gleichzeitig eine sachgerechte Prognose anstellen zu wollen, dass diese mit hinreichender Sicherheit bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt entfallen sein werden. Daher hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch fehlerfrei vorsorglich eine Befristung abgelehnt. Wenn die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG für den Fall einer auf einer strafgerichtlichen Verurteilung beruhenden Ausweisung eine Überschreitung der Fünfjahresfrist zulässt, ohne dass dieses von bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig gemacht wird, so ist dem die Option immanent, ausnahmsweise von der Setzung einer Frist abzusehen, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine Frist sachgerecht und willkürfrei überhaupt nicht bestimmt werden kann. Zur Klarstellung weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass diese nationale Vorgabe, da es sich bei der Ausweisung schon keine Rückkehrentscheidung handelt, keine Umsetzung des Unionsrechts darstellt, weshalb insoweit auch keine Entscheidung von Amts wegen getroffen werden muss (anders für eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung nunmehr BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11).
91 
Wollte man entgegen der hier vertretenen Auffassung die Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie qualifizieren, so hätte der nationale Gesetzgeber hier von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht und die formellen wie materiellen Befristungsvorgaben des Art. 11 Abs. 2 RFRL ohne Verstoß gegen Unionsrecht nicht in nationales Recht umgesetzt. Die Tatsache, dass er gleichwohl das nationale Recht insoweit gegenüber der früheren Rechtslage modifiziert und auch dem Grundsatz nach bei strafgerichtlichen Verurteilungen eine Fünfjahresfrist vorgegeben hätte, die im Einzelfall überschritten werden darf, stellt kein unzulässiges teilweises Gebrauchmachen von der Opt-Out-Klausel dar, sondern nur die Wahrnehmung eines eigenständigen nationalen Gestaltungsspielraums (a.A. wohl OVGNW, Urteil vom 13.12.2011 - 12 B 19.11 - juris).
92 
Abgesehen davon könnte, wenn wie hier eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RFRL vorliegt – nicht anders als im nationalen Recht – im Ausnahmefall die Bestimmung einer Frist vorläufig unterbleiben, sofern, wie bereits oben ausgeführt, eine solche gegenwärtig nicht bestimmt werden kann. Der Beklagte hätte daher, wie dargelegt, zu Recht von einer Bestimmung abgesehen, wenn man die vom Senat nicht geteilten Auffassung verträte, dass hier Art. 11 Abs. 2 RFRL uneingeschränkt anzuwenden wäre.
IV.
93 
Die vom Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 und 5 AufenthG. Bereits aus deren Begründung ergibt sich hinreichend deutlich, dass sie nur für den Fall des Eintritts der Unanfechtbarkeit Geltung beanspruchen soll. Im Übrigen hat der Beklagte dies in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich klargestellt.
94 
Im Zusammenhang mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung war auch im Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben keine Entscheidung über die Befristung eines mit einer späteren Abschiebung einhergehenden Einreiseverbots zu treffen.
95 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11) hierzu ausgeführt:
96 
„Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
97 
Zur Klarstellung seiner Ausführungen im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 – juris Rn. 83) weist der Senat auch darauf hin, dass die oben (vgl. III.) dargestellte Einschränkung hinsichtlich strafgerichtlicher Verurteilungen auch in Bezug auf die nach einer Ausweisung ergehende Rückkehrentscheidung und das mit ihr einhergehende Einreiseverbot selbst gilt, weil die Bundesrepublik Deutschland nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AufenthG nicht nur hinsichtlich der Folgewirkungen der Ausweisung, sondern auch hinsichtlich derer einer späteren Abschiebung insoweit von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hat, die allgemein alle Fälle einer aufgrund bzw. infolge einer strafgerichtlichen Entscheidung eintretenden Rückehrpflicht betrifft.
98 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
99 
Die Revision wird zugelassen, weil die unter III. und IV. aufgeworfenen Fragen der Anwendung und Auslegung der Rückführungsrichtlinie Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
100 
Beschluss vom 10. Februar 2012
101 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
102 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
27 
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.06.2010 zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
I.
28 
Die mit Bescheid vom 25.06.2010 verfügte Ausweisung leidet nicht deshalb an einem unheilbaren Verfahrensfehler, weil das nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vom 25.02.1964 (ABl. 56 vom 04.04.1964, S. 850) vorgesehene „Vier-Augen-Prinzip“ nicht beachtet wurde. Wie sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08.12.2011 in der Rechtssache C-371/08 - hinreichend ersehen lässt, entfaltet diese zum 30.04.2006 aufgehobene Bestimmung keine Wirkungen mehr für den verfahrensrechtlichen Ausweisungsschutz assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger (1.). Auch aus geltenden unionsrechtlichen Verfahrensgarantien folgt nicht die Notwendigkeit, ein Vorverfahren durchzuführen (2.). Die Stillhalteklauseln gebieten keine andere Betrachtung (3.). Die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens ergibt sich schließlich nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens (4.).
29 
1. Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG war bei einer ausländerrechtlichen Entscheidung über die Ausweisung ein weiteres Verwaltungsverfahren durchzuführen, sofern nicht ausnahmsweise ein dringender Fall vorlag und sofern nicht im gerichtlichen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsprüfung vorgesehen war. Diese für Angehörige der Mitgliedstaaten (vgl. zum personellen Anwendungsbereich Art. 1 dieser Richtlinie) geltende Regelung erstreckte der Europäische Gerichtshof auf die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger (Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 65 ff.). Fehlte es an der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, so war die Ausweisung unheilbar rechtswidrig (BVerwG, Urteil vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - Rn. 12 ff., BVerwGE 124, 217, vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - Rn. 14 ff., BVerwGE 124, 243 und vom 09.08.2007 - 1 C 47.06 - Rn. 23 ff., BVerwGE 129, 162).
30 
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EGV (später Art. 39, 40, 41 EG und nunmehr Art. 45 ff. AEUV) geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer zu übertragen sind, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen. Dies beruht auf den Erwägungen, dass in Art. 12 des Assoziierungsabkommens die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des „Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft“ leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen, dass Art. 36 ZP die Fristen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (nunmehr und im Folgenden: Union) und der Türkei festlegt, dass der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln vorsieht und dass der Beschluss 1/80 bezweckt, im sozialen Bereich die Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu verbessern (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 04.10.2007- Rs. C-349/06 Rn. 29, vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn. 61 ff., vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 Rn. 42 ff. und vom 10.02.2000 - Rs. C-340/97 Rn. 42 f.). In der Rechtssache „Dörr und Ünal“ (Rn. 65 ff.) heißt es, es sei nach diesen Erwägungen geboten, die in Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG niedergelegten Grundsätze als auf türkische Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragbar anzusehen, und weiter:
31 
„….Um effektiv zu sein, müssen die individuellen Rechte von den türkischen Arbeitnehmern vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Damit die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleistet ist, ist es unabdingbar, diesen Arbeitnehmern die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, und es muss ihnen somit ermöglicht werden, sich auf die in den Artikeln 8 und 9 der Richtlinie 64/221 vorgesehenen Garantien zu berufen. Diese Garantien sind nämlich, wie der Generalanwalt …ausführt, untrennbar mit den Rechten verbunden, auf die sie sich beziehen.“
32 
In der Entscheidung „Ziebell“ knüpft der Gerichtshof an die Ausführungen im Urteil „Dörr und Ünal“ an und legt dar (Rn. 58), dass
33 
„…die Grundsätze, die im Rahmen der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Bestimmungen des EG-Vertrags gelten, so weit wie möglich auf türkische Staatsangehörige übertragen werden, die Rechte aufgrund der Assoziation EWG-Türkei besitzen. Wie der Gerichtshof entschieden hat, muss eine solche Analogie nicht nur für die genannten Artikel des Vertrags gelten, sondern auch für die auf der Grundlage dieser Artikel erlassenen sekundärrechtlichen Vorschriften, mit denen die Artikel durchgeführt und konkretisiert werden sollen (vgl. zur Richtlinie 64/221 u.a. Urteil Dörr und Ünal)“.
34 
Durch den Terminus „Analogie“, der etwa auch in der französischen und englischen Fassung des Urteils verwendet wird, ist klargestellt, dass die Inhalte des - für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten - maßgeblichen Sekundärrechts nicht deshalb auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige angewandt werden, weil diese allgemeine Rechtsgrundsätze sind, die ggfs. auch losgelöst von der Wirksamkeit der jeweiligen Regelung noch Geltung beanspruchen können, sondern dass es sich um eine entsprechende Übertragung geltenden Rechts handelt. Eine Vorschrift kann jedoch nur solange analog angewandt werden, wie sie selbst Gültigkeit beansprucht. Mit der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG entfällt deshalb - wie der Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ darlegt - die Grundlage für ihre entsprechende Anwendung.
35 
Dass aufgrund dieser Aufhebung nicht mehr „traditionell auf die in der Richtlinie 64/221/EWG festgeschriebenen Grundsätze abgestellt“ werden kann (Rn. 76) und der Richtlinie insgesamt, d.h. in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht, keine Bedeutung mehr zukommt, ist nach den Ausführungen im Urteil „Ziebell“ (insb. Rn. 77 ff.) und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt hinreichend geklärt. Dem Europäischen Gerichtshof war aufgrund des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 und der beigefügten Akten bekannt, dass auf die dort streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 06.03.2007 das „Vier-Augen-Prinzip“ des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr angewandt, vielmehr gegen die Ausweisungsentscheidung direkt Klage erhoben worden ist. Das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.08.2009 (1 C 25.08 - AuAS 2009, 267) führt sogar ausdrücklich aus, dass - sollte der in Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG für Unionsbürger geregelte Ausweisungsschutz nicht auf assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige zu übertragen sein - sich die Frage stellt, ob Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG gleichwohl weiterhin anzuwenden ist oder stattdessen die Verfahrensgarantien des Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG Anwendung finden, die das „Vier-Augen-Prinzip“ abgelöst haben (BVerwG, a.a.O., Rn. 26). Hätte der Gerichtshof dem im Verfahren „Ziebell“ nicht eingehaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ - und sei es auch mit Blick auf besondere oder allgemeine unionsrechtliche Verfahrensgarantien, die Standstillklauseln oder das Assoziationsabkommen an sich - noch irgendeine rechtliche Relevanz zu Gunsten des Klägers beigemessen, so hätte es nahegelegen, unabhängig von der konkreten Vorlagefrage hierzu Ausführungen zu machen. Die Tatsache, dass der Gerichtshof die Aufhebung der Richtlinie insgesamt besonders hervorhebt, und der Umstand, dass er den Ausweisungsschutz für türkische Staatsangehörige mit einer Rechtsposition nach dem ARB 1/80 zudem ausdrücklich auf einen anderen unionsrechtlichen Bezugsrahmen im geltenden Recht stützt, belegen, dass die Richtlinie 64/221/EWG nach Auffassung des Gerichtshofs in Gänze nicht mehr zur Konkretisierung des formellen und materiellen Ausweisungsschutzes des Klägers herangezogen werden kann. Hätte der Gerichtshof den Inhalten der Richtlinie 64/221/EWG noch irgendeine Bedeutung beigemessen, so hätte es sich im Übrigen auch aufgedrängt, für das materielle Ausweisungsrecht - etwa in Anknüpfung an die Rechtssachen „Cetinkaya“ (Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - Rn. 44 ff.) oder „Polat“ (Urteil vom 04.10.2007 -Rs. C-349/06 - Rn. 30 ff.) - den dort erwähnten Art. 3 der Richtlinie 64/221/ EWG ausdrücklich weiterhin fruchtbar zu machen. Diesen Weg hat der Gerichthof in der Rechtssache „Ziebell“ jedoch ebenfalls nicht beschritten. An dieser Sicht vermag – entgegen der Auffassung des Klägers – auch der Umstand nichts zu ändern, dass für die Anwendung des am 21.06.1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits geschlossenen Abkommen über die Freizügigkeit (ABl. 2002 L 114, S. 6) die Richtlinie 64/221/EWG nach wie vor vorübergehend Bedeutung hat (vgl. Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I).
36 
2. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob sich die Verfahrensgarantien für einen assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, der sich gegen seine Ausweisung wendet, nunmehr ebenfalls aus der Richtlinie 2003/109/EG (Art. 10, Art. 12 Abs. 4), aus Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG oder aus den auch im Unionsrecht allgemeinen anerkannten Grundsätzen eines effektiven Rechtsschutzes ergeben. Denn die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens ist in keinem dieser Fälle geboten.
37 
a) Art 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG sieht vor, dass einem langfristig Aufenthaltsberechtigten in dem betroffenen Mitgliedstaat der Rechtsweg gegen seine Ausweisung offen steht. Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie normiert, dass der langfristig Aufenthaltsberechtigte Rechtsbehelfe u.a. gegen den Entzug seiner Rechtsstellung einlegen kann. Welche Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, bestimmt sich jedoch allein nach dem nationalen Recht. Ein Vorverfahren als einzuräumender Rechtsbehelf ist nach der Richtlinie nicht vorgeschrieben.
38 
b) Auch soweit man für die einem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen einzuräumenden Verfahrensgarantien Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG heranziehen wollte, folgt hieraus nichts anderes. Die Erwägungen zu den Besonderheiten der Unionsbürgerschaft haben den Gerichtshof in der Rechtssache „Ziebell“ im Anschluss an die Ausführungen des Generalanwalts bewogen, den Schutz der Unionsbürger vor Ausweisung, wie in Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehen, nicht im Rahmen der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf die Garantien gegen die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger zu übertragen (vgl. im Einzelnen Rn. 60 ff. und Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - Rs. C-371/08 - Rn. 42 ff.). Selbst wenn man der Auffassung wäre, die Spezifika der Unionsbürgerschaft (vgl. zu deren Begriff und Inhalt auch Bergmann , Handlexikon der Europäischen Union, 4. Aufl. 2012, Stichwort „Unionsbürgerschaft“) stünden lediglich der Anwendung des materiellen Ausweisungsrechts der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige entgegen und nicht der Übertragung der im gleichen Kapitel enthaltenen Verfahrensgarantien nach Art. 30 f., leidet die Ausweisungsverfügung nicht an einem Verfahrensfehler. Der Gerichtshof hat sich im Urteil „Ziebell“ nicht dazu geäußert, ob diese Bestimmungen insoweit analogiefähig sind bzw. ihnen jedenfalls allgemein geltende Grundsätze zu entnehmen sind (vgl. auch Art. 15 der Richtlinie 2004/38/EG), die in Anknüpfung allein an die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Notwendigkeit deren verfahrensrechtlichen Schutzes ihre Berechtigung haben, oder ob auch diesen ein spezifisch unionsbürgerbezogener Inhalt zukommt. Für letzteres könnte etwa Art. 31 Abs. 3 S. 2 dieser Richtlinie angeführt werden, wonach das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 nicht unverhältnismäßig ist; auch die Bezugnahme in Art. 31 Abs. 2, letzter Spiegelstrich auf Art. 28 Abs. 3 könnte dafür sprechen. Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, denn die Verfahrensgarantien nach Art. 30 f. der Richtlinie 2004/38/EG schreiben die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bei der Ausweisung von Unionsbürgern nicht vor (diese Frage lediglich ansprechend BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.10.2011 - 2 BvR 1969/09 - juris Rn. 40), so dass der Kläger selbst bei ihrer Anwendbarkeit kein für ihn günstigeres Ergebnis herleiten könnte.
39 
Nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Aus dieser Bestimmung folgt aber nicht die Verpflichtung des Mitgliedstaates, außer dem gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Ausweisungsverfügung (zusätzlich) ein behördliches Rechtsbehelfsverfahren vorzuhalten und in diesem auch die Überprüfung der Zweckmäßigkeit einer Ausweisung zu ermöglichen. Wie sich schon aus dem Wortlaut ergibt („..und gegebenenfalls bei einer Behörde…“), trägt diese Bestimmung lediglich dem - heterogenen - System des Rechtsschutzes der Mitgliedstaaten Rechnung und lässt deren Berechtigung unberührt, ein Rechtsbehelfsverfahren auch noch bei einer Behörde zu eröffnen. Ein solches ist jedoch in Baden-Württemberg nicht mehr vorgesehen. Erlässt das Regierungspräsidium den Verwaltungsakt - wie dies für die Ausweisung eines in Strafhaft befindlichen Ausländers zutrifft (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AAZuVO) -, so ist hiergegen unabhängig von dem zugrundeliegenden Rechtsgebiet im Anwendungsbereich des seit 22.10.2008 geltenden § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO (GBl. 2008, 343) i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO das Vorverfahren nicht statthaft. Aufgrund vergleichbarer, wenn auch regelungstechnisch teilweise von einem anderen Ansatz ausgehender Landesgesetze entspricht es einer bundesweit anzutreffenden Rechtspraxis, ein Widerspruchsverfahren vor Erhebung einer Klage nicht mehr vorzuschreiben (vgl. z.B. auch Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO, § 16a HessAGVwGO, § 8a NdsAGVwGO). Dass die Unionsbürgerrichtlinie nicht dazu zwingt, ein dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgeschaltetes Widerspruchsverfahren zu schaffen, folgt im Übrigen eindeutig aus ihrer Entstehungsgeschichte.
40 
Der Vorschlag der Kommission für die Unionsbürgerrichtlinie (KOM 2001/0257/endgültig, ABl. C 270 E vom 25.09.2001, S. 150) sah ursprünglich vor, dass u.a. bei der Ausweisung der Betreffende bei den Behörden oder den Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen kann; ist der behördliche Weg vorgesehen, entscheidet die Behörde außer bei Dringlichkeit erst nach Stellungnahme der zuständigen Stelle des Aufnahmemitgliedstaates, vor dem es dem Betreffenden möglich sein muss, auf seinen Antrag hin seine Verteidigung vorzubringen. Diese Stelle darf nicht die Behörde sein, die befugt ist, die Ausweisungsentscheidung zu treffen (vgl. im Einzelnen den - hier verkürzt wiedergegebenen - Wortlaut des Entwurfs zu Art. 29 Abs. 1 und 2). In der Begründung des Vorschlags zu Art. 29 heißt es ausdrücklich:
41 
„Ein lückenloser Rechtsschutz schließt nicht aus, dass ein Mitgliedstaat vorsieht, dass ein Rechtsbehelf bei einer Behörde eingelegt werden kann. In diesem Fall müssen die in Art. 9 der Richtlinie 63/221/EWG genannten Objektivitätsgarantien gegeben sein, insbesondere die vorherige Stellungnahme einer anderen Behörde, als die, die die Einreiseverweigerung oder die Ausweisung verfügen soll, sowie Garantie in Bezug auf die Rechte der Verteidigung.“
42 
In dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 vom 05.12.2003 (ABl. C 54 E vom 02.03.2004, S. 12) hat Art. 31 Abs. 1 bereits - mit Zustimmung der Kommission - die Fassung, wie sie in der Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 enthalten ist (a.a.O., S. 26). Schon in dem geänderten Vorschlag der Kommission vom 15.04.2003 (KOM(2003) 199 endgültig) erhielt der Entwurf zu Art. 29 Abs. 1 die Fassung, dass „….der Betroffene bei den Gerichten und gegebenenfalls bei den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen“ kann. Durch diese Abänderung sollte klargestellt werden,
43 
„dass der Rechtsbehelf stets bei einem Gericht eingelegt werden muss und ein Rechtsbehelf bei einer Behörde nur dann ebenfalls zulässig ist, wenn der Aufnahmemitgliedstaats dies vorsieht (zum Beispiel bevor ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann).“
44 
Diese Begründung der Kommission im geänderten Vorschlag vom 15.04.2003 (a.a.O., S. 10) zu Art. 29 Abs. 1 hat sich der „Gemeinsame Standpunkt“ vom 05.12.2003 zu Eigen gemacht (a.a.O., S 27) und ferner Art. 29 Abs. 2 des Kommissionsentwurfs mit dem dort enthaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ komplett gestrichen. Dieser ist mit Blick auf die von den Mitgliedstaaten stets vorzusehende Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts und der dort zu gewährenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung und der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung über die Ausweisung beruht, für überflüssig erachtet worden (vgl. die Begründung des Rates, a.a.O., S. 29, 32).
45 
Das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene „Vier-Augen-Prinzip“, das defizitäre gerichtliche Kontrollmechanismen und eine in den Mitgliedstaaten zum Teil vorherrschende geringe Kontrolldichte der gerichtlichen Entscheidungen kompensieren sollte, wurde somit in Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG durch eine Verbesserung des gerichtlichen Rechtsschutzes ersetzt (vgl. zur bewussten Abkehr von den in Art. 8 f der Richtlinie 64/221/ EWG vorgesehenen Verfahrensregelungen auch Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/38/EG). Der in Deutschland dem Kläger zur Verfügung stehende gerichtliche Rechtsschutz erfüllt die Vorgaben des Art. 31 der Richtlinie.
46 
Es bleibt daher der Verfahrensautonomie des Mitgliedstaats überlassen, ob er bei einer Ausweisung eines Unionsbürgers zusätzlich zum gerichtlichen Rechtsschutz noch ein Widerspruchsverfahren vorsieht. Dass die in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltene Formulierung „..und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einen Rechtsbehelf einlegen zu können“ bei diesem Verständnis nur noch eine unionsrechtliche Selbstverständlichkeit wiedergibt, erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
47 
c) Auch die allgemeine unionsrechtliche Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs fordert nicht die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens. Selbst wenn man entgegen den Ausführungen oben unter 1.) der Auffassung wäre, der Gerichtshof habe sich im Urteil „Ziebell“ hierzu nicht der Sache nach geäußert, ist dies eindeutig.
48 
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshof hat ein türkischer Arbeitnehmer, der die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzt, einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, um diese Rechte wirksam geltend machen zu können (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 02.06.2005 - Rs. C-136/03 Rn.67). Es entspricht einem allgemein anerkannten unionsrechtlichen Grundsatz, der sich aus der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten ergibt und der in Art. 6 und 13 EMRK verankert ist, dass bei einem Eingriff in die Rechte des Betroffenen (hier: Eingriff in die Freizügigkeit des Arbeitnehmers) durch eine Behörde des Mitgliedstaats der Betroffene das Recht hat, seine Rechte vor Gericht geltend zu machen; den Mitgliedstaaten obliegt es, eine effektive richterliche Kontrolle der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des innerstaatlichen Rechts sicherzustellen, das der Verwirklichung der eingeräumten Rechte dient (vgl. schon EuGH, Urteil vom 03.12.1992 - Rs. C-97/91 Rn.14, vom 15.10.1987 - Rs. C-222/86 Rn. 12 ff. und vom 15.05.1986 - Rs. C-222/84 Rn. 17 ff.). Zum Effektivitätsgrundsatz gehört, dass die gerichtliche Kontrolle die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung umfasst (EuGH, Urteil vom 15.10.1987 - Rs. C-222/84 Rn.15). Auch dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH, Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-279/09 Rn. 28, vom 15.04.2008 - Rs. C-268/06 Rn. 46, vom 13.03.2007 - Rs. C-432/05 Rn. 43 und vom 16.12.1976 - 33/76 Rn.5). Ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, ist unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen sowie des Ablaufs und der Besonderheiten dieses Verfahrens zu prüfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2002 - Rs. C-473/00 Rn. 37 und vom 14.12.1995 - Rs. C-312/93 Rn.14).
49 
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Grundsätze ist es nicht geboten, ein behördliches Vorverfahren mit einer diesem immanenten Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorzuschalten, das die Vorgaben des effektiven Rechtschutzes in jeder Hinsicht erfüllt. Auch Art. 19 Abs. 4 GG fordert dies übrigens gerade nicht (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 24.04.1985 - 2 BvF 2/83 u.a. - juris Rn. 105 m.w.N.). Ein Anspruch des Einzelnen auf ein „Maximum“ an Verfahrensrechten und den unveränderten Fortbestand einer einmal eingeräumten verfahrensrechtlichen Möglichkeit besteht nicht - zumal wenn diese wie das „Vier-Augen-Prinzip“ aus einer bestimmten historischen Situation als Kompensation für eine früher weit verbreitete zu geringe gerichtliche Kontrolldichte erfolgte.
50 
d) Aus dem in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und dem „Recht auf gute Verwaltung“ nach Art. 41 GRCh (vgl. zu den dort eingeräumten Rechten Jarass, GRCh-Kommentar, 2010, Art. 41 Rn. 21 ff.) ergibt sich für den Kläger ebenfalls kein Recht auf Durchführung eines Vorverfahrens.
51 
3. Ein Widerspruchsverfahren ist ferner nicht mit Blick auf die assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln nach Art. 7 ARB 2/76, Art. 13 ARB 1/80 oder Art. 41 Abs. 1 ZP einzuräumen. Selbst wenn man die Ansicht nicht teilen würde, schon aus dem Urteil „Ziebell“ ergebe sich hinreichend deutlich, der Gerichtshof halte das Fehlen eines Vorverfahrens auch unter dem Aspekt der Stillhalteklauseln nicht für problematisch, lässt sich feststellen, dass dessen Abschaffung keinen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln darstellt.
52 
a) Der Kläger kann sich als im Bundesgebiet geborener Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers auf Art. 13 ARB 1/80 berufen. Nach dieser am 01.12.1980 in Kraft getretenen Regelung dürfen die Mitgliedstaaten für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß ist, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Diese Stillhalteklausel, die unmittelbar wirkt (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62, vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 58 f. und vom 20.09.1990 - Rs. C-192/89 Rn. 26), verbietet allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in dem entsprechenden Mitgliedstaat galten (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62), wobei den Mitgliedstaaten auch untersagt ist, nach dem Stichtag eingeführte günstigere Regelungen wieder zurückzunehmen, selbst wenn der nunmehr geltende Zustand nicht strenger ist als der am Stichtag geltende (siehe zu dieser „zeitlichen Meistbegünstigungsklausel“ EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 49 ff ). Die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 verfolgt das Ziel, günstigere Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu schaffen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 und vom 21.10.2003 - Rs. C-317/01 Rn. 72 ff.). Normadressat ist ausschließlich der einzelne Mitgliedstaat mit Blick auf dessen nationales Recht, nicht die Europäische Union als Vertragspartner des Assoziationsabkommens EWG/Türkei. Deren Befugnisse werden durch diese Stillhalteklausel nicht beschränkt. Vom Wortlaut her schützt das Unterlassungsgebot der Standstillklausel zwar ausschließlich den unveränderten Zugang zum Arbeitsmarkt, es entfaltet gleichwohl mittelbare aufenthaltsrechtliche Wirkungen, soweit ausländerrechtliche Maßnahmen zur Beeinträchtigung des Arbeitsmarktzugangs führen, die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels erschwert wird (EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 62 ff. und vom 29.04.2010 - Rs. C-92/09 Rn. 44 ff.) oder der Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet beendet werden soll (vgl. auch Renner, 9. Aufl., 2011, § 4 Rn. 197). Bei der Bestimmung, wann eine Maßnahme eine „neue Beschränkung“ darstellt, orientiert sich der Gerichtshof gleichermaßen an den mit Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 ZP verfolgten Zielen und erstreckt die Tragweite der Stillhalteverpflichtung auf sämtliche neuen Hindernisse für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die eine Verschärfung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Bedingungen darstellen (EuGH, Urteil vom 09.12.2010 - Rs. C-300/09 Rn. 52 ff.), wobei eine solche materieller und/oder verfahrensrechtlicher Art sein kann (EuGH, Urteil vom 21.07.2011 - Rs. C-186/10 Rn. 22, vom 29.04.2010 - Rs. C-92/07 Rn. 49, vom 17.09.2009 - Rs. C-242/06 Rn. 64 und vom 20.09.2007 - Rs. C-16/05 Rn. 69). Nach diesen Grundsätzen stellt die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens keine „neue Beschränkung“ dar.
53 
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von Art. 13 ARB 1/80 war nach dem damals geltenden § 68 VwGO und dem baden-württembergischen Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22.03.1960 (GBl. 1960, 94) in der Fassung des Gesetzes vom 12.12.1979 (GBl. 1979, 549) auch bei der Ausweisung eines türkischen Staatsangehöriger ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Die in der vorliegenden Fallkonstellation nunmehr vorgesehene Zuständigkeit einer Mittelbehörde für den Erlass der Ausweisungsverfügung (§ 6 Nr. 1 AAZuVO) und das gesetzlich deswegen angeordnete Entfallen des Vorverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 1 AGVwGO BW vom 14.10.2008; vgl. auch die Vorgängervorschrift § 6a AGVwGO BW vom 01.07.1999) ist keine Änderung, die geeignet wäre, die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu erschweren oder die einem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten materiellen Rechte zu beeinträchtigen. Unabhängig davon, ob das Widerspruchsverfahrens nur als Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens angesehen wird (vgl. hierzu Bader, u.a. VwGO, 5. Aufl. 2011, Vor §§ 68 ff. Rn. 49), oder ob es auch als Teil des Prozessrechts begriffen wird (i.S.e. Doppelcharakters Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, Vorb § 68 Rn. 14), ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dessen Wegfall zu einer merklichen Verschlechterung der Rechtsposition türkischer Staatsangehöriger führt. Eine rechtliche Beeinträchtigung des Betroffenen durch die Abschaffung des Vorverfahrens wird im Übrigen auch nicht in anderen rechtlichen Konstellationen außerhalb des Aufenthaltsrechts angenommen.
54 
Grund für den letztlich allein rechtspolitisch gewählten Weg eines weitgehenden Ausschluss des Vorverfahrens in Baden-Württemberg war die Erkenntnis gewesen, dass entsprechend einer evaluierten Verwaltungspraxis jedenfalls in den Fällen, in denen das Regierungspräsidium die Ausgangsentscheidung getroffen hat, die Sach- und Rechtslage vor der ersten Verwaltungsentscheidung so umfassend geprüft wird, dass sich während des Vorverfahrens regelmäßig keine neuen Aspekte ergeben. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens in den Fällen der Ausgangszuständigkeit der Mittelbehörden dient nicht nur deren Entlastung, sondern vor allem auch der Verfahrensbeschleunigung (vgl. näher die Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf der Landesregierung, LT Drs. 12/3862 vom 16.03.1999 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 22.04.1999, LT Drs. 12/3976). Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens kann daher allenfalls als ambivalent begriffen werden. Die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens kommt in besonderem Maße dem Interesse des von einer Ausweisung betroffenen Ausländers entgegen, eine möglichst rasche gerichtliche Klärung zu erhalten. Zwar können etwa Mängel in der Ausweisungsentscheidung leichter behoben werden, wenn die Verwaltung „einen zweiten Blick“ hierauf wirft. Der Ausländer wird jedoch nicht belastet, wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht. Vielmehr verbessert dies unter Umständen sogar seine Erfolgschancen bei Gericht. Als Kläger kann er auch all das bei Gericht geltend machen, was er in einem Widerspruchsverfahren vortragen könnte; das Verwaltungsgericht unterzieht die Ausweisung einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle, die insbesondere auch eine volle Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit einschließt. Lediglich die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung kann durch das Verwaltungsgericht nicht geprüft werden, was aber bei einer Gesamtbetrachtung der Wirkungen der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens nicht negativ ins Gewicht fällt. Im Übrigen kam es nach den Angaben des Vertreters des Beklagten zu Zeiten des noch bestehenden Widerspruchsverfahrens jedenfalls auf dem Gebiet des Ausländer- bzw. Aufenthaltsrechts praktisch nicht vor, dass allein aus Zweckmäßigkeitserwägungen von einer Ausweisung Abstand genommen wurde - gerade in den Fällen der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger und den hohen Anforderungen des Art. 14 ARB 1/80 spielte dieser Gesichtspunkt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Rolle, da er insoweit ausschließlich Rechtsvoraussetzungen und Rechtsgrenzen formuliert. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass das Unionsrecht wie auch das Assoziationsrecht für Beschränkungen der Freizügigkeit nicht zwingend eine Ermessensentscheidung verlange. Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung, die das deutsche System von Ist- und Regelausweisung aber nicht zulasse. Nicht erforderlich sei eine behördliche Wahl zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten, ein Handlungsermessen der Ausländerbehörde. Die Ausweisung unterliege hinsichtlich der qualifizierten Gefahrenschwelle und des Verhältnismäßigkeitsprinzips voller gerichtlicher Kontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Lediglich deshalb, weil das nationale Recht neben der Ist- und Regelausweisung nur die Ermessensausweisung kennt, ist im Rahmen dieses Instrumentariums dann, wenn die Eingriffsschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht ist, gleichwohl eine Ermessensentscheidung zu treffen. National-rechtlich ist die Frage einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit in einem weiteren Behördenverfahren gleichfalls weder in § 10 AuslG 1965 noch in den späteren Änderungen im Ausweisungsrecht vorgegeben.
55 
Abgesehen davon bedeutet die Stillhalteverpflichtung auch nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens- und -prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (EuGH, Urteil vom 18.10.2011 -Rs. C-128/09 - Rn. 52). Lässt eine Änderung des Verfahrens aber - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor, zumal wenn man gebührend in Rechnung stellt, dass im Widerspruchsverfahren auch formelle wie materielle Fehler der Ausgangsbehörde zu Lasten des Betroffenen behoben werden können (Bader, VwGO, a.a.O., § 68 Rn. 4, 7, 10; § 79 Rn. 2 ff.).
56 
b) Geht man davon aus, dass der Kläger seine Eigenschaft als Arbeitnehmer nicht verloren hat und hält daher auch den am 20.12.1976 in Kraft getretenen Art. 7 ARB 2/76 für anwendbar, so gilt nichts anderes (vgl. zur Anwendbarkeit von Art. 7 ARB 2/76 neben Art. 13 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 20.09.1990 -Rs. C-192/89 Rn. 18 ff.). Nach dieser Bestimmung dürfen die Mitgliedstaaten der Union und die Türkei für Arbeitnehmer, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Mit Art. 7 ARB 2/76 wird gegenüber Art. 13 ARB 1/80 insoweit nur der zeitliche Bezugspunkt für neue Beschränkungen verändert, ohne dass diese jedoch inhaltlich anders zu bestimmen wären.
57 
c) Ein Verstoß gegen die seit 01.01.1973 geltende Stillhalteklausel nach 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963 zur Gründung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger zu keinem Zeitpunkt selbstständig erwerbstätig war.
58 
4. Eine Fortgeltung des „Vier-Augen-Prinzips“ nach der Richtlinie 64/221/ EWG folgt auch nicht aus dem völkerrechtlichen Charakter des Assoziationsabkommens.
59 
Die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme vom 15.12.2006 (JURM(2006)12099) in der Rechtssache „Polat“ (C-349/06) die Auffassung vertreten, bei der Auslegung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen des Assoziationsabkommens oder darauf gestützter Rechtsakte wie Art. 14 ARB 1/80 sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Union) seinerzeit verwirklicht worden sei. Hieraus folge, dass die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und der aufgrund dessen erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben könne. Der Inhalt völkerrechtlicher Verträge könne sich nämlich nicht automatisch durch eine spätere Änderung der Rechtslage eines Vertragspartners ändern. Das Wesen des Völkerrechts bestehe gerade darin, dass sich die souveränen Vertragsparteien nur selbst verpflichten können, heteronome Normsetzung komme in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Eine solche heteronome Normsetzung läge aber vor, wenn sich die Änderung der internen Rechtslage der Gemeinschaft unmittelbar auf die Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger, die durch völkerrechtlichen Regelungen festgelegt sei, auswirken könnte (vgl. im Einzelnen die Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 Rn. 57 ff., beziehbar unter www.migrationsrecht.net). Diese Ausführungen sind nahezu wortgleich auch in der Stellungnahme enthalten, die die Kommission am 02.12.2008 in der Rechtssache „Ziebell“ abgegeben hat (JURM(08)12077 - Rn. 32 ff.)
60 
Diese Auffassung beruht jedoch allein auf einer eigenen Interpretation des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ vom 02.06.2005 (Rs. C-136/03 - Rn.61 bis 64) durch die Kommission (vgl. insoweit Rn. 57 der Stellungnahme im Verfahren C-349/06 und Rn. 33 der Äußerung in der Rechtssache C-371/08: „Die Kommission versteht diese Rechtsprechung wie folgt:“). Der Gerichtshof hat diese Interpretation allerdings weder im Urteil „Polat“ noch in späteren Entscheidungen aufgegriffen. Aus dem Urteil in der Rechtssache „Ziebell“ und dem dort eingeschlagenen Lösungsweg (siehe hierzu oben 1.) ergibt sich sogar mit aller Deutlichkeit, dass der Gerichtshof, der für sich die Kompetenz zur Auslegung des Assoziationsrechts in Anspruch nimmt, diese Auffassung nicht teilt. Die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 14.04.2011 im Verfahren „Ziebell“ (vgl. insb. Rn. 57) lassen ebenfalls ersehen, dass auch von dieser Seite dem dogmatischen Ansatz der Kommission insoweit keine Bedeutung beigemessen wird. Die von der Kommission befürwortete Auslegung des Urteils in der Rechtssache „Dörr und Ünal“ überzeugt den Senat auch deshalb nicht, weil die Ansicht der Kommission zu dem Ergebnis führen könnte, dass in dieser Regelungsmaterie unter Umständen notwendig werdende Änderungen des Unionsrechts zum Nachteil von Unionsbürgern überhaupt nicht mehr oder nur noch um den Preis einer Diskriminierung möglich wären.
61 
Im Übrigen heißt es in der Stellungnahme der Kommission vom 15.12.2006 ebenso wie in derjenigen vom 02.12.2008, dass „in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklicht werden sollte, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft seinerzeit verwirklicht worden sei.“ Dieses Schutzniveau für die türkischen Staatsangehörigen wird jedoch durch die Abschaffung des „Vier-Augen-Prinzips“ bei gleichzeitig verbessertem Rechtsschutz gewahrt.
62 
Nach alledem liegt im Fall des Klägers durch die Nichtbeachtung des „Vier-Augen-Prinzips“ kein unheilbarer Verfahrensfehler vor.
II.
63 
Da der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 genießt, kann gem. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthalt nur beendet werden, wenn dieses aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist.
64 
1. Nach der ständigen und mittlerweile gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs ist in diesem Zusammenhang zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Begrifflichkeiten auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. zuletzt Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 52, insbesondere auch Rn. 67 m.w.N.). Allerdings scheidet ein Rückgriff auf die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 wegen der grundsätzlich unterschiedlichen durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers aus (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 73).
65 
Der Europäische Gerichtshof ist hiernach der Auffassung, dass der Ausweisungsschutz nach der Aufhebung der bisher für seine Rechtsprechung zum Ausweisungsschutz von assoziationsrechtlich geschützten türkischen Staatsangehörigen sinngemäß bzw. analog (vgl. hierzu nunmehr EuGH, Urteil vom 08.12.2010 - Rs. C-317/08 Rn. 58) berücksichtigten Richtlinie 64/221 entsprechend den Grundsätzen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach Art. 12 der Richtlinie 2003/109, der sog. Daueraufenthaltsrichtlinie zu bestimmen ist. Diejenigen Drittstaatsangehörigen, die die Rechtsstellung eines Daueraufenthaltsberechtigten genießen, können hiernach nur dann ausgewiesen werden, wenn sie eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen (Urteil vom 08.12.2011 – Rs C-371/08 Rn. 79). Wie sich unschwer aus den weiteren Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil in der Sache Ziebell ablesen lässt (vgl. Rn. 80 ff.), folgt hieraus aber kein andersartiges Schutzniveau, als es bis zum Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union galt (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74 ; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81 ; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86 ; vom 19.01.1999 - Rs C-348/96 ). Soweit der Gerichtshof die Tatsache anspricht, dass Herr Ziebell sich mehr als zehn Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält (vgl. Rn. 79, auch Rn. 46), wird damit kein eigenständiges erhöhtes materielles Schutzniveau eingeführt, sondern lediglich eine dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegende Tatsache wiedergegeben. Diese Schlussfolgerung ist auch deshalb unausweichlich, weil der Daueraufenthaltsrichtlinie, anders als der Unionsbürgerrichtlinie eine Zehnjahresschwelle fremd ist. Vielmehr setzt der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur einen fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und darüber hinaus nach Art. 7 der Richtlinie die ausdrückliche Verleihung der Rechtsstellung voraus.
66 
Kann ein assoziationsrechtlich geschützter türkischer Staatsangehöriger nur dann ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, so steht dem auch entgegen, dass die Ausweisungsverfügung auf wirtschaftliche Überlegungen gestützt wird.
67 
Weiter haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08 Rn. 80).
68 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Ausnahmen und Abweichungen von der Grundfreiheit der Arbeitnehmer eng auszulegen, wobei deren Umfang nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (vgl. Rn. 81 mit dem Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
69 
Somit dürfen Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. Rn. 82 wiederum mit Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs C-303/08 Rn. 57 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).
70 
Eine Ausweisung darf daher nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder zum Zweck der Generalprävention, um andere Ausländer vor der Begehung von Straftaten abzuschrecken, angeordnet werden (Rn. 83 Urteil vom 22.12.2010, Bozkurt, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
71 
Der Gerichtshof betont im Urteil vom 08.12.2011 (Rn. 85) zudem ausdrücklich, dass die nationalen Gerichte und Behörden anhand der gegenwärtigen Situation des Betroffenen die Notwendigkeit des beabsichtigten Eingriffs in dessen Aufenthaltsrecht zum Schutz des vom Aufnahmemitgliedstaat verfolgten berechtigten Ziels gegen alle tatsächlich vorliegenden Integrationsfaktoren abwägen müssen, die die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats ermöglichen. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob das Verhalten des türkischen Staatsangehörigen gegenwärtig eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Sämtliche konkreten Umstände sind angemessen zu berücksichtigen, die für seine Situation kennzeichnend sind, wie namentlich besonders enge Bindungen des betroffenen Ausländers zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in deren Hoheitsgebiet er geboren oder auch nur aufgewachsen ist.
72 
Demzufolge sind für die Feststellung der Gegenwärtigkeit der konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auch alle nach der letzten Behördenentscheidung eingetretenen Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse darstellen soll (Rn. 84; vgl. u. a. Urteil vom 11.11.2004 - Rs C-467/02 Rn. 47).
73 
Wenn der Gerichtshof schließlich in der konkreten Antwort auf die Vorlagefrage (Rn. 86) noch davon spricht, dass die jeweilige Maßnahme für die Wahrung des Grundinteresses „unerlässlich“ sein muss, ohne dass dieses in den vorangegangenen Ausführungen näher angesprochen und erörtert worden wäre, so kann dies nicht dahingehend verstanden werden, dass die Ausweisungsentscheidung gewissermaßen die „ultima ratio“ sein muss und dem Mitgliedstaat keinerlei Handlungsalternative mehr offen stehen darf. Denn bei einem solchen Verständnis ginge der Schutz der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen weiter als der von Unionsbürgern, was mit Art. 59 ZP nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr wird mit dieser Formel mit anderen Worten nur der in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelte Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie insbesondere nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. etwa Urteil vom 26.11.2002 - Rs C-100/01 Rn. 43; vom 30.11.1995 - Rs C-55/94, Rn. 37; vom 28.10.1975 - Rs 36/75 ), wobei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen ist.
74 
Der vom Gerichtshof entwickelte Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich auf „ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss“. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann eine Ausweisung rechtfertigen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erwarten lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs C-482 und 493/01 ). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, was eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59). Wenn der Umstand, dass eine oder mehrere frühere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, für sich genommen ohne Bedeutung für die Rechtfertigung einer Ausweisung ist, die einem türkischen Staatsangehörigen Rechte nimmt, die er unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB 1/80 ableitet (vgl. auch Urteil vom 04.10.2007 - C-349/06 Rn. 36), so muss das Gleiche erst recht für eine Maßnahme gelten, die im Wesentlichen nur auf die Dauer der Inhaftierung des Betroffenen gestützt wird.
75 
Der Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes gesellschaftliches „Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
76 
Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Dieser Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartige weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in der dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit unter dem strikten Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit steht, lassen ein solches Verständnis nicht zu. Es wäre auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unions- bzw. assoziationsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet (so schon Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
77 
Dem restriktiven, vom Verhältnismäßigkeitsprinzip und „effet utile“ geprägten Verständnis des Gerichtshofs liegt abgesehen davon die Vorstellung einer die gesamte Union in den Blick nehmenden Sichtweise zugrunde. Alle Mitgliedstaaten haben nämlich auch eine Verantwortung für die gesamte Union (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Mit dieser wäre es schwerlich vereinbar, dass ein Mitgliedstaat ein zunächst einmal genuin auf seinem Territorium aufgetretenes und entstandenes Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch die Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs für sich so aus der Welt schafft, dass er sich des Verursachers dieses Risiko gewissermaßen zu Lasten aller anderen Mitgliedstaaten räumlich entledigt. Denn zunächst einmal bewirkt die Beendigung der Freizügigkeit und die Außer-Landes-Schaffung des früheren Straftäters durch einen EU-Mitgliedstaat im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten nichts und hätte keine Auswirkungen auf dessen Freizügigkeit in allen anderen Mitgliedstaaten. Allerdings wäre es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, wenn der Betreffende dort gerade auch für diesen Mitgliedstaat eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellte, seinerseits die Freizügigkeit zu beschränken. Dennoch widerspricht diese Art von „Gefahrenexport“ zu Lasten anderer Mitgliedstaaten dem Geist des EU-Vertrags. Auch wenn diese Überlegungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei nicht unmittelbar tragfähig sind, weil diese keine Freizügigkeit innerhalb der Union gewährleistet, so ändert dies angesichts des vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung praktizierten Übernahme der unionsrechtlichen Grundsätze nichts an der Gültigkeit der Annahme, dass ein „gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ auch nach Assoziationsrecht einer tragfähigen Grundlage entbehrt.
78 
Andererseits ist nach Auffassung des Senats das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise mehr dafür spricht, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird.
79 
2. Ausgehend hiervon erweist sich die angegriffene Ausweisungsverfügung als ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
80 
Aufgrund der langjährigen kriminellen Karriere, nach dem im letzten Strafverfahren erstellten Gutachten Dr. W... vom 11.11.2009 sowie der vom Senat eingeholten Stellungnahme der JVA Heilbronn vom 23.01.2012 (Frau G...), in der im Einzelnen dargestellt wird, dass der Kläger kaum Interesse an der Aufarbeitung seiner Vergangenheit an den Tag gelegt hat, besteht für den Senat kein Zweifel, das vom Kläger nach wie vor eine erhebliche konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher und schwerer Straftaten ausgeht, wodurch das für eine Ausweisung erforderliche Grundinteresse der Gesellschaft unmittelbar berührt ist. Es ist namentlich nach der Stellungnahme der JVA Heilbronn nichts dafür ersichtlich, dass sich beim Kläger etwas Grundsätzliches gebessert haben könnte. Es fehlt hiernach jeder greifbare und glaubhafte, geschweige denn Erfolg versprechende Ansatz dafür, dass der Kläger bereit sein könnte, sich seiner kriminellen Vergangenheit zu stellen und hieran aktiv zu arbeiten. Im Gegenteil: Aus der Stellungnahme wird hinreichend deutlich, dass der Kläger - von guten Arbeitsleistungen abgesehen -sich einer Aufarbeitung der grundlegenden Problematik konsequent verweigert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die vom Beklagten angesprochene und verneinte Frage, ob ihm eine Resozialisierung im dem Land, in dem er geboren und überwiegend aufgewachsen ist, um deren Erfolg willen ermöglicht werden muss, nicht. Der Senat ist sich mit dem Regierungspräsidium Stuttgart der Tatsache bewusst, dass der Kläger, der nie wirklich längere Zeit in der Türkei gelebt hat, mit ganz erheblichen Problemen im Falle der Rückkehr konfrontiert sein wird. Andererseits geht der Senat davon aus, dass er mit Rücksicht auf seinen mehrjährigen Aufenthalt in der Türkei im Kindesalter über die nötige Sprachkompetenz verfügt, um in der Türkei eine neue Basis für sein Leben finden zu können. Angesichts des von ihm ausgehenden erheblichen Gefährdungspotential für bedeutende Rechtsgüter erweist sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er - nicht zuletzt bedingt durch seine häufige Straffälligkeit - zu keinem Zeitpunkt über eine gesicherte und gewachsene eigenständige wirtschaftliche Grundlage verfügt hat, die Ausweisung als verhältnismäßig: Sie stellt namentlich keinen unzulässigen Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschützte Privatleben dar. Der Umstand, dass im Bundesgebiet noch nahe Angehörige des immerhin bereits knapp 26 Jahre alten Klägers leben, gebietet keine andere Sicht der Dinge.
81 
Auch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine neuen Aspekte ergeben. Vielmehr wurde die Stellungnahme vom 23.01.2012 bestätigt. Insbesondere konnte der Kläger keine plausible Erklärung dafür geben, weshalb er die verschiedenen Angebote im Strafvollzug zur Aufarbeitung seiner Taten nicht wahrgenommen hatte.
III.
82 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist schon keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
83 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 - juris) in diesem Zusammenhang u.a. ausgeführt:
84 
„Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
85 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
86 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
87 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).“
88 
Ergänzend und vertiefend ist noch auszuführen: Gegen die Annahme, die Ausweisung sei keine Rückkehrentscheidung, kann auch nicht die Legaldefinition des „illegalen Aufenthalts“ in Art. 3 Nr. 2 RFRL eingewandt werden. Zwar erweckt der pauschale und undifferenzierte Verweis auf Art. 5 SDK auf den ersten Blick den Eindruck, es könnten auch Fälle gemeint sein, in denen materielle Einreise- bzw. Aufenthaltsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sind und somit auch in einem solchen Fall ein illegaler Aufenthalt vorläge. Dagegen sprechen aber bereits das in Art. 6 Abs. 6 RFRL vorausgesetzte Verständnis des „legalen Aufenthalts“ und der dort vorgenommenen ausdrücklichen Abgrenzung zur „Rückkehrentscheidung“. Entscheidend für ein Verständnis im Sinne eines allein formell zu verstehenden illegalen Aufenthalts spricht die Begründung des Kommissionsentwurfs (vgl. KOM/2005/ 0391endg vom 1.9.2005). Hiernach ist der Befund eindeutig. Unter I 3 Ziffer 12 wird ausdrücklich ausgeführt, dass Regelungsgegenstand der Richtlinie nicht die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung/Sicherheit sei. Unter I 4 wird zu „Kapitel II“ weiter dargelegt, die Vorschriften der Richtlinie seien auf jede Art von illegalem Aufenthalt anwendbar (z.B. Ablauf eines Visums, Ablauf eines Aufenthaltstitels, Widerruf oder Rücknahme eines Aufenthaltstitels, endgültige Ablehnung eines Asylantrags, Aberkennung des Flüchtlingsstatus, illegale Einreise). Nicht Gegenstand seien die Gründe und Verfahren für die Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts. Für dieses Verständnis spricht auch die in Anspruch genommene Rechtsgrundlage des Art. 63 Abs. 3 lit. b) EG. Im Übrigen entspricht der im Gesetzgebungsverfahren neu eingefügte Verweis auf Art. 5 SDK sachlich dem früheren Verweis auf Art. 5 SDÜ, der auch materielle Regelungen enthielt. Demzufolge stellen auch Widerruf, Rücknahme oder nachträgliche Befristung keine Rückkehrentscheidung dar.
89 
Ausgehend hiervon war der Beklagte unionsrechtlich nicht gehalten, von vornherein von Amts wegen eine Befristung der Ausweisung auszusprechen.
90 
Eine Befristung war auch nicht aus sonstigen Gründen der Verhältnismäßigkeit auszusprechen, namentlich um dem Kläger eine Rückkehrperspektive zu eröffnen. Zum einen bestünde eine solche im Falle des ledigen Klägers nach Erlöschen des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts ohnehin nicht. Zum anderen besteht gegenwärtig keine tatsächlich ausreichend gesicherte Grundlage für eine solche Entscheidung, da eine sachgerechte Prognose, dass überhaupt und ggf. wann der Ausweisungsanlass entfallen sein wird, nicht angestellt werden kann. Es wäre unauflöslich widersprüchlich, im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen der (hohen) Ausweisungsvoraussetzungen anzunehmen und gleichzeitig eine sachgerechte Prognose anstellen zu wollen, dass diese mit hinreichender Sicherheit bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt entfallen sein werden. Daher hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch fehlerfrei vorsorglich eine Befristung abgelehnt. Wenn die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG für den Fall einer auf einer strafgerichtlichen Verurteilung beruhenden Ausweisung eine Überschreitung der Fünfjahresfrist zulässt, ohne dass dieses von bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig gemacht wird, so ist dem die Option immanent, ausnahmsweise von der Setzung einer Frist abzusehen, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine Frist sachgerecht und willkürfrei überhaupt nicht bestimmt werden kann. Zur Klarstellung weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass diese nationale Vorgabe, da es sich bei der Ausweisung schon keine Rückkehrentscheidung handelt, keine Umsetzung des Unionsrechts darstellt, weshalb insoweit auch keine Entscheidung von Amts wegen getroffen werden muss (anders für eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung nunmehr BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11).
91 
Wollte man entgegen der hier vertretenen Auffassung die Ausweisung als Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie qualifizieren, so hätte der nationale Gesetzgeber hier von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht und die formellen wie materiellen Befristungsvorgaben des Art. 11 Abs. 2 RFRL ohne Verstoß gegen Unionsrecht nicht in nationales Recht umgesetzt. Die Tatsache, dass er gleichwohl das nationale Recht insoweit gegenüber der früheren Rechtslage modifiziert und auch dem Grundsatz nach bei strafgerichtlichen Verurteilungen eine Fünfjahresfrist vorgegeben hätte, die im Einzelfall überschritten werden darf, stellt kein unzulässiges teilweises Gebrauchmachen von der Opt-Out-Klausel dar, sondern nur die Wahrnehmung eines eigenständigen nationalen Gestaltungsspielraums (a.A. wohl OVGNW, Urteil vom 13.12.2011 - 12 B 19.11 - juris).
92 
Abgesehen davon könnte, wenn wie hier eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RFRL vorliegt – nicht anders als im nationalen Recht – im Ausnahmefall die Bestimmung einer Frist vorläufig unterbleiben, sofern, wie bereits oben ausgeführt, eine solche gegenwärtig nicht bestimmt werden kann. Der Beklagte hätte daher, wie dargelegt, zu Recht von einer Bestimmung abgesehen, wenn man die vom Senat nicht geteilten Auffassung verträte, dass hier Art. 11 Abs. 2 RFRL uneingeschränkt anzuwenden wäre.
IV.
93 
Die vom Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 und 5 AufenthG. Bereits aus deren Begründung ergibt sich hinreichend deutlich, dass sie nur für den Fall des Eintritts der Unanfechtbarkeit Geltung beanspruchen soll. Im Übrigen hat der Beklagte dies in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich klargestellt.
94 
Im Zusammenhang mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung war auch im Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben keine Entscheidung über die Befristung eines mit einer späteren Abschiebung einhergehenden Einreiseverbots zu treffen.
95 
Der Senat hat im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11) hierzu ausgeführt:
96 
„Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
97 
Zur Klarstellung seiner Ausführungen im Urteil vom 07.12.2011 (11 S 897/11 – juris Rn. 83) weist der Senat auch darauf hin, dass die oben (vgl. III.) dargestellte Einschränkung hinsichtlich strafgerichtlicher Verurteilungen auch in Bezug auf die nach einer Ausweisung ergehende Rückkehrentscheidung und das mit ihr einhergehende Einreiseverbot selbst gilt, weil die Bundesrepublik Deutschland nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AufenthG nicht nur hinsichtlich der Folgewirkungen der Ausweisung, sondern auch hinsichtlich derer einer späteren Abschiebung insoweit von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hat, die allgemein alle Fälle einer aufgrund bzw. infolge einer strafgerichtlichen Entscheidung eintretenden Rückehrpflicht betrifft.
98 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
99 
Die Revision wird zugelassen, weil die unter III. und IV. aufgeworfenen Fragen der Anwendung und Auslegung der Rückführungsrichtlinie Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
100 
Beschluss vom 10. Februar 2012
101 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
102 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. September 2013 - 12 K 2316/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
Die Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe und der Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18.09.2013 ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Rechtsverfolgung des Klägers keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren. Erforderlich ist zudem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen erfolgt nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nicht erforderlich, dass der Prozesserfolg (annähernd) gewiss ist. Vielmehr besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht schon dann, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen, der Prozessausgang also offen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 07.04.2000 - 1 BvR 81/00 - NJW 2000, 1938, vom 13.07.2005 - 1 BvR 1041/05 - NVwZ 2005, 1418 und vom 14.06.2006 - 2 BvR 626/06 - InfAuslR 2006, 377). Weder dürfen Beweiswürdigungen vorweggenommen noch sollen schwierige Rechtsfragen geklärt werden, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können. Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern (BVerfG, Beschlüsse vom 05.02.2003 - 1 BvR 1526/02 - NJW 2003, 1857 und vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976).
Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags durch das Verwaltungsgericht auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens keine Bedenken.
Nach rein nationalem Recht bestehen auch aus Sicht des Senats keine Bedenken gegen die Befristung auf drei Jahre. Zwar ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Kläger Vater von zwei 2006 und 2009 geborenen deutschen Kindern ist. Allerdings kann dies nicht dazu führen, dass ein ausgewiesener Ausländer unabhängig von der Intensität und Schwere der Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung grundsätzlich nicht abgeschoben werden darf und/oder vom Einreiseverbot – weitgehend – zu verschonen ist. Angesichts der von der Behörde zutreffend dargestellten Schwere der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftaten und insbesondere der Tatsache, dass der Kläger selbst nach der erfolgten Ausweisung weiterhin erhebliche Delikte begangen hat, scheidet die vom Kläger begehrte Frist aus. In Anbetracht der erst nach Ausweisung begründeten familiären Lebensgemeinschaft, die ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten, insbesondere auch Gewaltdelikten abgehalten hat, ist die Behörde deutlich unterhalb Regelfrist geblieben. Die Frist begegnet insoweit keinen Bedenken. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt einen Aufenthaltstitel innehatte und bereits aufgrund des negativen Ausgangs seines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig war.
Auch ein Verstoß gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht gegeben. Die Ausweisung als solche ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG (vgl. Urteil des Senats vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris). Diese Frage war von dem in dem Verfahren C-297/12 vorlegenden Gericht nicht problematisiert worden, weshalb der EuGH diese Auslegung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht nicht infrage gestellt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2013 - C-297/12) und daher keine Veranlassung besteht, die Senatsrechtsprechung zu ändern.
Aber auch wenn man unterstellen wollte, dass die Ausweisung eine Rückkehrentscheidung ist, ist ein Verstoß der Befristungsentscheidung gegen die Rückführungsrichtlinie hier nicht erkennbar. Die hier zugrunde liegende, nicht streitgegenständliche Ausweisungsentscheidung ist seit dem 21.01.2003 bestandskräftig. Sie kann damit als solche nicht mehr später ergangenem Recht unterworfen werden. Etwas anderes gilt im vorliegenden Fall nicht für das aus dieser Entscheidung folgende Einreiseverbot. Zwar betreffen Regelungen zur Dauer des Einreiseverbots zukünftige Auswirkungen eines noch andauernden Sachverhalts. Anders als in den vom EuGH in dem Urteil vom 19.09.2013 (C-297/12) entschiedenen Fällen bestand hier bei Ablauf der Umsetzungsfrist aber noch kein – unbefristet – fortdauerndes Einreiseverbot, da dieses erst mit der Ausreise entstehen kann. Der Kläger hat im vorliegenden Fall das Bundesgebiet aufgrund der Ausweisung und Abschiebungsandrohung noch nicht verlassen. Ein Ablauf der Frist des Einreiseverbots kommt damit nach der Rückführungsrichtlinie nicht in Betracht. Nach der Definition in Art. 3 Nr. 6 der Rückführungsrichtlinie wird mit dem Einreiseverbot die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt. Eine Geltung des Einreiseverbots setzt denknotwendig eine - freiwillige oder zwangsweise durchgeführte - Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten voraus. Solange ein – länger als fünf Jahre bzw. unbefristetes – Einreiseverbot mangels der hierfür erforderlichen Ausreise nicht eingetreten ist, kann es auch nicht durch die Änderung der Rechtslage entfallen. Eine Befristung, die nicht an die Ausreise anknüpft, widerspricht dem Sinn und Zweck des Einreiseverbots, da andernfalls auf die Betroffenen kein Druck ausgeübt würde, ihrer Ausreisepflicht nachzukommen.
Die Kläger in dem vom EuGH entschiedenen Fall waren bereits zuletzt 1995 bzw. 2004 unbefristet abgeschoben worden, so dass bei Ablauf der Umsetzungsfrist die Zeit von fünf Jahren bereits abgelaufen und das mit der Ausreise in Lauf gesetzte Einreiseverbot nach der Entscheidung des EuGH damit bereits beendet war. Die Festsetzung einer längeren Frist zu Lasten der dortigen Kläger nach Umsetzung der Richtlinie kam damit nach der Entscheidung des EuGH nicht mehr in Frage. So liegt der Fall, wie dargelegt, hier schon wegen des Fehlens der Ausreise nicht.
Aber selbst wenn man nicht nur davon ausgehen wollte, dass Ausweisungen Rückkehrentscheidungen sind, sondern auch dass zudem bestandskräftig verfügte Rückkehrentscheidungen von der Richtlinie hinsichtlich des Erfordernisses einer gleichzeitigen Befristungsentscheidung erfasst würden, mit der Folge, dass diese nach Ablauf der Umsetzungspflicht regelmäßig als auf fünf Jahre nach Ausreise befristet anzusehen und Verschlechterungen – jedenfalls allein aufgrund der mit Umsetzung der Richtlinie eingetretenen neuen Rechtslage - ausgeschlossen wären, könnte dies schon deshalb keine Rechtswidrigkeit der angegriffenen Befristungsentscheidung begründen, weil der Kläger hiervon ausgehend durch die hier vorgenommene Befristung auf drei Jahre nach Ausreise insoweit besser gestellt würde.
10 
Auch dass diese Bemessung den Grundsätzen der Richtlinie widersprechen könnte, ist Anbetracht des Erwägungsgrunds Nr. 14 nicht ersichtlich. Danach sollte die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen durch die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, europäischen Zuschnitt erhalten. Die Dauer des Einreiseverbots sollte in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden und im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten. In diesem Zusammenhang sollte der Umstand, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen bereits Gegenstand von mehr als einer Rückkehrentscheidung oder - wie hier - Abschiebungsanordnung gewesen oder während eines Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist sind, besonders berücksichtigt werden.
11 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen, weil infolge der Zurückweisung der Beschwerde nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz nur eine Festgebühr angefallen ist. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
12 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Die vor dem 1. Januar 2005 getroffenen sonstigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere zeitliche und räumliche Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen, Verbote und Beschränkungen der politischen Betätigung sowie Ausweisungen, Abschiebungsandrohungen, Aussetzungen der Abschiebung und Abschiebungen einschließlich ihrer Rechtsfolgen und der Befristung ihrer Wirkungen sowie begünstigende Maßnahmen, die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren und Befreiungen von der Passpflicht, Entscheidungen über Kosten und Gebühren, bleiben wirksam. Ebenso bleiben Maßnahmen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit Sicherheitsleistungen wirksam, auch wenn sie sich ganz oder teilweise auf Zeiträume nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beziehen. Entsprechendes gilt für die kraft Gesetzes eingetretenen Wirkungen der Antragstellung nach § 69 des Ausländergesetzes.

(2) Auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 wird die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 angerechnet.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel, der Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner 1999 verfügten Ausweisung auf den heutigen Zeitpunkt.
Der 1981 in ... geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Nach der Trennung der Eltern im Juli 1986 wuchs er zusammen mit seiner 1984 geborenen Schwester bei seiner Mutter auf, die seit 1998 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Er ist mit einer in ... lebenden Deutschen verlobt.
Der Kläger besuchte für zwei Jahre die Grundschule und im Anschluss daran verschiedene Förderschulen. Seit der Mitte der 6. Klasse hat er überhaupt keine Schule mehr besucht. Einen Schulabschluss hat er nicht erlangt. Als Jugendlicher war er wiederholt stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht.
Ab August 1999 war der Kläger für ein halbes Jahr als Helfer in der Landschaftspflege bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt. Im Anschluss daran arbeitete er acht Monate für die Spedition S. in .... Wegen Unstimmigkeiten mit dem Arbeitgeber beendete er dieses Arbeitsverhältnis. Nach einem Jahr als ungelernter Arbeiter bei einer Dachdeckerei kehrte er zur Spedition S. zurück. Dort arbeitete er bis Ende 2002 als Möbelpacker. Danach lebte er - unterbrochen von einer einmonatigen Beschäftigung bei der Fa. H. W. GmbH im Dezember 2004 - bis zu seiner Festnahme am 11.04.2005 von Arbeitslosenunterstützung.
Bereits im Alter von 10 Jahren begann der Kläger damit, Haschisch zu rauchen. Sein Cannabiskonsum steigerte sich stetig. Im Alter von 14 Jahren kam er auch in Kontakt mit anderen Drogen wie Speed, LSD und Ecstasy. 1996 begann er zudem damit, Kokain zu konsumieren. Sein anfänglich seltener Kokainkonsum steigerte sich kontinuierlich. Ab 2002 nahm er wöchentlich und in dem Zeitraum vor seiner letzten Verhaftung im April 2005 täglich Kokain zu sich. Nach einem kalten Entzug in der Untersuchungshaft nahm er Kontakt mit der Drogenberatung auf. Trotz Therapiebereitschaft konnte der Kläger keine Therapie antreten, weil die Staatsanwaltschaft ... es mit Bescheid vom 29.03.2007 - 1 VRs 11 Js 1640/05 - abgelehnt hatte, die weitere Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückzustellen.
Ein Aufenthaltstitel wurde dem Kläger nie erteilt oder ausgestellt. Ein am 17.11.1999 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG wurde nicht beschieden.
Strafrechtlich trat der Kläger als Jugendlicher insbesondere mit einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten in Erscheinung. Zuletzt wurde er als Jugendlicher mit Urteil des Amtsgerichts ... - Bezirksjugendschöffengericht II - vom 08.10.1998 - 12 Ls 34 Js 2490/98 AK 115/98 - wegen Diebstahls in drei Fällen sowie versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung vorangegangener Urteile des Amtsgerichts ... - Jugendschöffengericht - vom 20.03.1997 und vom 27.11.1997 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Kläger war in dieser Sache seit dem 26.01.1998 in Untersuchungshaft. Die Vollstreckung der Restjugendstrafe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 30.06.1999 gemäß § 88 JGG mit Wirkung ab dem 20.07.1999 zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 16.03.1999, bezüglich der Abschiebungsandrohung ergänzt durch Verfügung vom 10.08.1999, wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle. Besonderen Ausweisungsschutz genieße er nicht, da ihm bisher noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Es liege auch kein atypischer Sachverhalt vor, der es rechtfertige, von der Regelausweisung abzusehen. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Auch die Anforderungen des § 12 AufenthG/EWG seien erfüllt.
Den gegen diese Verfügung eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 zurück.
10 
Mit Urteil vom 16.08.1999 - 12 K 1791/99 - hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.03. und vom 10.08.1999 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 auf. Es führte aus, die Ausweisung genüge nicht den erhöhten Anforderungen, die bei der Ausweisung eines Unionsbürgers und faktischen Inländers zu beachten seien. Sie verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG/EWG, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung von einer lediglich geringen Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
11 
Mit Urteil vom 17.08.2000 - Ls 23 Js 7950/99 Hw. AK 72/00 Hw. - verurteilte das Amtsgericht ... den Kläger wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Kläger hatte am 08.02.1999 als Heranwachsender im Alter von 18 Jahren in der Vollzugsanstalt ... zusammen mit drei Mittätern einen Mithäftling zusammengeschlagen. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen war Anlass der Tat, dass einer der Mittäter drei Tage zuvor von dem Geschädigten und einem weiteren Jugendstrafgefangenen zum Oralverkehr gezwungen worden war.
12 
Nach Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 16.08.1999 schlossen der Kläger und der Beklagte am 20.02.2002 vor dem erkennenden Senat einen Vergleich (11 S 253/01): Der Kläger nahm die Klage gegen die Ausweisungsverfügung zurück. Der Beklagte verpflichtete sich, der Erteilung einer Duldung und deren Verlängerung für jeweils drei Monate bis längstens 20.02.2004 zuzustimmen. Diese Zustimmung galt nur unter der Bedingung, dass der Kläger nicht erneut straffällig werde, keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG erfülle und sein Arbeitsverhältnis nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen beende. Ferner verpflichtete sich der Beklagte, bei ordnungsgemäßem und beanstandungsfreiem Ablauf der Duldungszeit auf Antrag des Klägers die Wirkungen der Ausweisung auf den 20.02.2004 zu befristen.
13 
In der Folgezeit wurde der Kläger erneut straffällig:
14 
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 02.12.2002 - 5 Cs 12 Js 9542/02 - wurde gegen ihn eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Diebstahls verhängt. Der Kläger hatte in den Geschäftsräumen der Volksbank Geldscheine im Wert von 100 EUR an sich genommen, die eine andere Bankkundin am Automaten angefordert, aber versehentlich nicht entnommen hatte.
15 
- Mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.10.2005 - 1 KLs 11 Js 1640/05 - wurde er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Haschisch, Marihuana, Kokain) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. In dem Zeitraum vom 04.06.2004 bis 22.03.2005 beging der Kläger zusammen mit einem Mittäter, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war, aufgrund eines zuvor gefassten Tatentschlusses 17 Einbrüche in Autohäuser, Kfz-Werkstätten und TÜV-Niederlassungen in den Landkreisen ..., ... und .... In allen Fällen stiegen der Kläger und sein Mittäter in die Räumlichkeiten ein oder brachen Fenster oder Türen auf, suchten in den Räumen gezielt nach Bargeld, nach dem Tresor oder sonstigen Wertsachenbehältnissen und entwendeten diese entweder ganz oder öffneten den Tresor mittels eines Winkelschleifers vor Ort. Neben dem entwendeten Bargeld nahmen sie in zahlreichen Fällen Wertgegenstände wie Notebooks, Digitalkameras und Mobiltelefone an sich, um diese für sich zu behalten oder später gegen Geld abzusetzen. Der Gesamtwert des entwendeten Bargelds sowie der Vermögensgegenstände belief sich auf ca. 70.000,-- EUR. Der Kläger gab seinen Beuteanteil im Wesentlichen für den Kauf von Drogen aus. Hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hielt es die Strafkammer aufgrund des lediglich geringfügig überschrittenen Grenzwerts zur nicht geringen Menge und der Abhängigkeit des Klägers für angemessen, insoweit nur die Mindeststrafe zu verhängen. Die Kammer stimmte der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu. Die beantragte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt wurde vom Landgericht ... - Strafvollstreckungskammer - mit Beschluss vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 - als unbegründet verworfen: Zwar habe der Kläger im Strafvollzug eine gewisse Nachreifung erfahren. Doch bestehe derzeit keine ausreichende Chance dahin, dass er in Zukunft keine weiteren Straftaten begehen werde. Insbesondere die nicht aufgearbeitete Drogenproblematik wirke sich als ungünstiger destabilisierender Faktor aus.
16 
Bereits am 09.08.2004 hatte der Kläger die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung beantragt.
17 
Mit Bescheid vom 26.07.2006, zugestellt am 27.07.2006, befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe - ohne den Kläger zuvor anzuhören - die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf vier Jahre nach der Ausreise und verfügte ferner, dass die Befristung unter der Bedingung erfolge, dass der Kläger im Befristungszeitraum nicht erneut straffällig werde und polizeiliche Führungszeugnisse, lückenlose Wohnsitznachweise sowie einen Nachweis über die erfolgreiche Durchführung einer Drogentherapie vorlege. Rechtsgrundlage für die Befristung sei § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Die Dauer der Sperrwirkung orientiere sich daran, wann der Ausweisungszweck voraussichtlich erfüllt sein werde. Art. 6 GG gebiete keine kürzere Befristung. Bei der Fristbemessung sei die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - VwV Befristung - berücksichtigt worden. Diese sehe bei EU-Bürgern einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und fünf Jahren zuzüglich des festgesetzten Strafmaßes vor, wobei das Freizügigkeitsrecht des EU-Bürgers angemessen zu berücksichtigen sei. Der Ausweisung habe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zugrunde gelegen. Die Festsetzung der Wiedereinreisefrist am unteren Ende des zeitlichen Rahmens komme nicht in Betracht, weil der Kläger inzwischen erneut zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden sei. Die Befristung der Sperrwirkung auf vier Jahre nach Ausreise erscheine damit unter Würdigung aller Umstände als geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig.
18 
Am 28.08.2006 (Montag) hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 26.07.2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu befristen. Er äußert Zweifel daran, ob die Ausweisung überhaupt noch wirksam sei. Aufgrund der Nichtdurchführung eines Vorverfahrens und des damit vorliegenden Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sei die Verfügung rechtswidrig. Die vom Beklagten aufgestellten Bedingungen seien mit § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nicht vereinbar und führten ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der Verfügung. Es sei davon auszugehen, dass seine Ausweisung aufgrund der geänderten Rechtslage, insbesondere Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie -, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Betracht komme und die Sperrfrist von vier Jahren deshalb unverhältnismäßig sei. Auch gemessen an Art. 8 EMRK sei die Sperrfrist unverhältnismäßig. Er sei faktischer Inländer und spreche nur sehr rudimentär italienisch. Abgesehen von einem kurzen Urlaubsaufenthalt sei er nie in Italien gewesen. Nachdem seine in ... lebende Großmutter vor mehreren Jahren verstorben sei, bestünden nicht einmal familiäre Bande nach Italien. Zudem sei er mit einer Deutschen verlobt und beabsichtige, diese zu heiraten.
19 
Mit Urteil vom 16.04.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für eine formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 26.07.2006 aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 9 der RL 64/221/EG sei schon deshalb nichts ersichtlich, weil diese Richtlinie mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei. Die Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Die Ausweisung, die nach wie vor wirksam sei, habe zum Entfallen der Freizügigkeitsberechtigung des Klägers geführt. Entsprechend Nr. 1.5 der - über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfaltenden - VwV Befristung stehe Unionsbürgern ein Anspruch auf sofortige Befristung zu, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Befristungsantrag keine Gründe mehr vorlägen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigten. Im Fall des Klägers seien solche Gründe indes unverändert gegeben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er nach seiner Entlassung aus der Haft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten, schwere Straftaten eingeschlossen, begehen werde. Da gegen den Kläger Haftstrafen von zusammen sechs Jahren und drei Monaten verhängt worden seien, lägen auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG vor. Auch die Dauer der Sperrfrist sowie die im Bescheid vom 26.07.2006 formulierten Bedingungen seien nicht zu beanstanden.
20 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Bezüglich der Frage, ob er einen Anspruch auf sofortige Befristung der Wirkung der Ausweisung habe, sei auf das aktuell maßgebliche Recht, d.h. auf das FreizügG/EU in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007, abzustellen. Danach habe er einen Rechtsanspruch auf Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt. Weder der Beklagte noch das Erstgericht hätten eine aktualisierte Prüfung vorgenommen, ob die Sperrfrist von vier Jahren für einen in Deutschland geborenen Unionsbürger, einen faktischen Inländer, der alle familiären und sonstigen Bindungen in Deutschland habe und mit einer in Waldshut lebenden deutschen Frau verlobt sei, noch angemessen sei. Der Beklagte habe einseitig die Straftaten in den Vordergrund seiner Ermessensentscheidung gestellt und damit das Abwägungsmaterial falsch zusammengestellt. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Klägers, insbesondere dessen Stellung als faktischer Inländer, seien nicht ausreichend gewürdigt worden. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU und Art. 8 EMRK geböten eine Befristung auf Null.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 auf den 23. Juli 2008 zu befristen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er erwidert, maßgeblicher Gesichtspunkt für die Dauer der Befristung sei die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr. Dass zum jetzigen Zeitpunkt nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung nicht mehr verfügt werden könnte, könne bei der Bestimmung des Befristungszeitpunkts nicht die entscheidende Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Ausweisung sei die RL 2004/38/EG noch nicht in Kraft gewesen und die Bundesrepublik habe noch keine zwingenden Ausweisungsgründe definiert. Die VwV Befristung vom 25.01.2002 werde bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt. Die Neuregelungen des § 5 FreizügG/EU (gemeint: § 6 FreizügG/EU) hätten erheblichen Einfluss auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens. Bei Durchschnittsfällen ohne weitere negative Aspekte sei es kaum möglich, den Ablauf der Frist auf einen deutlich späteren Zeitpunkt festzusetzen. Beim Kläger handele es sich aber gerade nicht um einen Durchschnittsfall. Er sei wiederholt straffällig geworden, sein gesamter Lebensweg sei durch fehlende Konstanz und Stabilität gekennzeichnet und auch die Justiz gehe von einer ungünstigen Sozialprognose aus.
26 
Ausweislich des unter dem 10.07.2008 vorgelegten Vollzugsberichts der Justizvollzugsanstalt ... wurde der Vollzugsplan vom 19.12.2007, der die Gewährung von Vollzugslockerungen vorgesehen hatte, mit Verfügung vom 25.02.2008 widerrufen, nachdem der Kläger die Abgabe einer Urinkontrolle verweigert habe. Mit Schreiben vom 20.04.2008 habe der Kläger mitgeteilt, auf Lockerungen bzw. eine Verlegung in den offenen Vollzug zu verzichten. Ansonsten sei der Vollzug, bis auf einen Verstoß gegen das Rauchverbot am 07.02.2008, unauffällig verlaufen.
27 
Der Kläger ist in der Berufungsverhandlung angehört worden und hat ergänzend angegeben: Er kenne seine Verlobte seit 15 Jahren; seit 5 ½ Jahren seien sie verlobt. Sie besuche ihn regelmäßig in der Haft; nach seiner Haftentlassung wollten sie heiraten. Er wolle nicht nach ... zurückkehren, sondern in ..., wo er einen Arbeitsplatz in einer Pizzeria in Aussicht habe, eine Wohnung suchen. Seine Verlobte sei bereit, nach ... umzuziehen. Im Vollzug habe er in der Schneiderei gearbeitet. Daneben habe er einen Deutschkurs belegt. Einen Italienischkurs habe er nach fünf Monaten aufgegeben, weil er damals damit gerechnet habe, eine Drogentherapie antreten zu dürfen. Als Kind sei er zwei- oder dreimal mit seinen Großeltern bei der Urgroßmutter in ... gewesen, die inzwischen verstorben sei. Zu Verwandten väterlicherseits habe er überhaupt keinen Kontakt. Eine längerfristige Ausreise nach Italien könne er sich nicht vorstellen. Seine Verlobte sei nicht bereit, ihn zu begleiten. Der Vorwurf, er habe die Abgabe einer Urinprobe verweigert, sei unzutreffend. Er habe zu dem fraglichen Zeitpunkt kein Wasser lassen können und eine Nachholung der Urinkontrolle sei ihm verwehrt worden. Nach seiner Haftentlassung wolle er eine ambulante Drogentherapie durchführen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten, der unteren Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
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3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
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Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
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(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel, der Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner 1999 verfügten Ausweisung auf den heutigen Zeitpunkt.
Der 1981 in ... geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Nach der Trennung der Eltern im Juli 1986 wuchs er zusammen mit seiner 1984 geborenen Schwester bei seiner Mutter auf, die seit 1998 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Er ist mit einer in ... lebenden Deutschen verlobt.
Der Kläger besuchte für zwei Jahre die Grundschule und im Anschluss daran verschiedene Förderschulen. Seit der Mitte der 6. Klasse hat er überhaupt keine Schule mehr besucht. Einen Schulabschluss hat er nicht erlangt. Als Jugendlicher war er wiederholt stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht.
Ab August 1999 war der Kläger für ein halbes Jahr als Helfer in der Landschaftspflege bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt. Im Anschluss daran arbeitete er acht Monate für die Spedition S. in .... Wegen Unstimmigkeiten mit dem Arbeitgeber beendete er dieses Arbeitsverhältnis. Nach einem Jahr als ungelernter Arbeiter bei einer Dachdeckerei kehrte er zur Spedition S. zurück. Dort arbeitete er bis Ende 2002 als Möbelpacker. Danach lebte er - unterbrochen von einer einmonatigen Beschäftigung bei der Fa. H. W. GmbH im Dezember 2004 - bis zu seiner Festnahme am 11.04.2005 von Arbeitslosenunterstützung.
Bereits im Alter von 10 Jahren begann der Kläger damit, Haschisch zu rauchen. Sein Cannabiskonsum steigerte sich stetig. Im Alter von 14 Jahren kam er auch in Kontakt mit anderen Drogen wie Speed, LSD und Ecstasy. 1996 begann er zudem damit, Kokain zu konsumieren. Sein anfänglich seltener Kokainkonsum steigerte sich kontinuierlich. Ab 2002 nahm er wöchentlich und in dem Zeitraum vor seiner letzten Verhaftung im April 2005 täglich Kokain zu sich. Nach einem kalten Entzug in der Untersuchungshaft nahm er Kontakt mit der Drogenberatung auf. Trotz Therapiebereitschaft konnte der Kläger keine Therapie antreten, weil die Staatsanwaltschaft ... es mit Bescheid vom 29.03.2007 - 1 VRs 11 Js 1640/05 - abgelehnt hatte, die weitere Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückzustellen.
Ein Aufenthaltstitel wurde dem Kläger nie erteilt oder ausgestellt. Ein am 17.11.1999 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG wurde nicht beschieden.
Strafrechtlich trat der Kläger als Jugendlicher insbesondere mit einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten in Erscheinung. Zuletzt wurde er als Jugendlicher mit Urteil des Amtsgerichts ... - Bezirksjugendschöffengericht II - vom 08.10.1998 - 12 Ls 34 Js 2490/98 AK 115/98 - wegen Diebstahls in drei Fällen sowie versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung vorangegangener Urteile des Amtsgerichts ... - Jugendschöffengericht - vom 20.03.1997 und vom 27.11.1997 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Kläger war in dieser Sache seit dem 26.01.1998 in Untersuchungshaft. Die Vollstreckung der Restjugendstrafe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 30.06.1999 gemäß § 88 JGG mit Wirkung ab dem 20.07.1999 zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 16.03.1999, bezüglich der Abschiebungsandrohung ergänzt durch Verfügung vom 10.08.1999, wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle. Besonderen Ausweisungsschutz genieße er nicht, da ihm bisher noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Es liege auch kein atypischer Sachverhalt vor, der es rechtfertige, von der Regelausweisung abzusehen. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Auch die Anforderungen des § 12 AufenthG/EWG seien erfüllt.
Den gegen diese Verfügung eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 zurück.
10 
Mit Urteil vom 16.08.1999 - 12 K 1791/99 - hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.03. und vom 10.08.1999 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 auf. Es führte aus, die Ausweisung genüge nicht den erhöhten Anforderungen, die bei der Ausweisung eines Unionsbürgers und faktischen Inländers zu beachten seien. Sie verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG/EWG, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung von einer lediglich geringen Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
11 
Mit Urteil vom 17.08.2000 - Ls 23 Js 7950/99 Hw. AK 72/00 Hw. - verurteilte das Amtsgericht ... den Kläger wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Kläger hatte am 08.02.1999 als Heranwachsender im Alter von 18 Jahren in der Vollzugsanstalt ... zusammen mit drei Mittätern einen Mithäftling zusammengeschlagen. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen war Anlass der Tat, dass einer der Mittäter drei Tage zuvor von dem Geschädigten und einem weiteren Jugendstrafgefangenen zum Oralverkehr gezwungen worden war.
12 
Nach Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 16.08.1999 schlossen der Kläger und der Beklagte am 20.02.2002 vor dem erkennenden Senat einen Vergleich (11 S 253/01): Der Kläger nahm die Klage gegen die Ausweisungsverfügung zurück. Der Beklagte verpflichtete sich, der Erteilung einer Duldung und deren Verlängerung für jeweils drei Monate bis längstens 20.02.2004 zuzustimmen. Diese Zustimmung galt nur unter der Bedingung, dass der Kläger nicht erneut straffällig werde, keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG erfülle und sein Arbeitsverhältnis nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen beende. Ferner verpflichtete sich der Beklagte, bei ordnungsgemäßem und beanstandungsfreiem Ablauf der Duldungszeit auf Antrag des Klägers die Wirkungen der Ausweisung auf den 20.02.2004 zu befristen.
13 
In der Folgezeit wurde der Kläger erneut straffällig:
14 
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 02.12.2002 - 5 Cs 12 Js 9542/02 - wurde gegen ihn eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Diebstahls verhängt. Der Kläger hatte in den Geschäftsräumen der Volksbank Geldscheine im Wert von 100 EUR an sich genommen, die eine andere Bankkundin am Automaten angefordert, aber versehentlich nicht entnommen hatte.
15 
- Mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.10.2005 - 1 KLs 11 Js 1640/05 - wurde er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Haschisch, Marihuana, Kokain) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. In dem Zeitraum vom 04.06.2004 bis 22.03.2005 beging der Kläger zusammen mit einem Mittäter, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war, aufgrund eines zuvor gefassten Tatentschlusses 17 Einbrüche in Autohäuser, Kfz-Werkstätten und TÜV-Niederlassungen in den Landkreisen ..., ... und .... In allen Fällen stiegen der Kläger und sein Mittäter in die Räumlichkeiten ein oder brachen Fenster oder Türen auf, suchten in den Räumen gezielt nach Bargeld, nach dem Tresor oder sonstigen Wertsachenbehältnissen und entwendeten diese entweder ganz oder öffneten den Tresor mittels eines Winkelschleifers vor Ort. Neben dem entwendeten Bargeld nahmen sie in zahlreichen Fällen Wertgegenstände wie Notebooks, Digitalkameras und Mobiltelefone an sich, um diese für sich zu behalten oder später gegen Geld abzusetzen. Der Gesamtwert des entwendeten Bargelds sowie der Vermögensgegenstände belief sich auf ca. 70.000,-- EUR. Der Kläger gab seinen Beuteanteil im Wesentlichen für den Kauf von Drogen aus. Hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hielt es die Strafkammer aufgrund des lediglich geringfügig überschrittenen Grenzwerts zur nicht geringen Menge und der Abhängigkeit des Klägers für angemessen, insoweit nur die Mindeststrafe zu verhängen. Die Kammer stimmte der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu. Die beantragte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt wurde vom Landgericht ... - Strafvollstreckungskammer - mit Beschluss vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 - als unbegründet verworfen: Zwar habe der Kläger im Strafvollzug eine gewisse Nachreifung erfahren. Doch bestehe derzeit keine ausreichende Chance dahin, dass er in Zukunft keine weiteren Straftaten begehen werde. Insbesondere die nicht aufgearbeitete Drogenproblematik wirke sich als ungünstiger destabilisierender Faktor aus.
16 
Bereits am 09.08.2004 hatte der Kläger die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung beantragt.
17 
Mit Bescheid vom 26.07.2006, zugestellt am 27.07.2006, befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe - ohne den Kläger zuvor anzuhören - die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf vier Jahre nach der Ausreise und verfügte ferner, dass die Befristung unter der Bedingung erfolge, dass der Kläger im Befristungszeitraum nicht erneut straffällig werde und polizeiliche Führungszeugnisse, lückenlose Wohnsitznachweise sowie einen Nachweis über die erfolgreiche Durchführung einer Drogentherapie vorlege. Rechtsgrundlage für die Befristung sei § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Die Dauer der Sperrwirkung orientiere sich daran, wann der Ausweisungszweck voraussichtlich erfüllt sein werde. Art. 6 GG gebiete keine kürzere Befristung. Bei der Fristbemessung sei die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - VwV Befristung - berücksichtigt worden. Diese sehe bei EU-Bürgern einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und fünf Jahren zuzüglich des festgesetzten Strafmaßes vor, wobei das Freizügigkeitsrecht des EU-Bürgers angemessen zu berücksichtigen sei. Der Ausweisung habe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zugrunde gelegen. Die Festsetzung der Wiedereinreisefrist am unteren Ende des zeitlichen Rahmens komme nicht in Betracht, weil der Kläger inzwischen erneut zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden sei. Die Befristung der Sperrwirkung auf vier Jahre nach Ausreise erscheine damit unter Würdigung aller Umstände als geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig.
18 
Am 28.08.2006 (Montag) hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 26.07.2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu befristen. Er äußert Zweifel daran, ob die Ausweisung überhaupt noch wirksam sei. Aufgrund der Nichtdurchführung eines Vorverfahrens und des damit vorliegenden Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sei die Verfügung rechtswidrig. Die vom Beklagten aufgestellten Bedingungen seien mit § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nicht vereinbar und führten ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der Verfügung. Es sei davon auszugehen, dass seine Ausweisung aufgrund der geänderten Rechtslage, insbesondere Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie -, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Betracht komme und die Sperrfrist von vier Jahren deshalb unverhältnismäßig sei. Auch gemessen an Art. 8 EMRK sei die Sperrfrist unverhältnismäßig. Er sei faktischer Inländer und spreche nur sehr rudimentär italienisch. Abgesehen von einem kurzen Urlaubsaufenthalt sei er nie in Italien gewesen. Nachdem seine in ... lebende Großmutter vor mehreren Jahren verstorben sei, bestünden nicht einmal familiäre Bande nach Italien. Zudem sei er mit einer Deutschen verlobt und beabsichtige, diese zu heiraten.
19 
Mit Urteil vom 16.04.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für eine formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 26.07.2006 aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 9 der RL 64/221/EG sei schon deshalb nichts ersichtlich, weil diese Richtlinie mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei. Die Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Die Ausweisung, die nach wie vor wirksam sei, habe zum Entfallen der Freizügigkeitsberechtigung des Klägers geführt. Entsprechend Nr. 1.5 der - über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfaltenden - VwV Befristung stehe Unionsbürgern ein Anspruch auf sofortige Befristung zu, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Befristungsantrag keine Gründe mehr vorlägen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigten. Im Fall des Klägers seien solche Gründe indes unverändert gegeben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er nach seiner Entlassung aus der Haft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten, schwere Straftaten eingeschlossen, begehen werde. Da gegen den Kläger Haftstrafen von zusammen sechs Jahren und drei Monaten verhängt worden seien, lägen auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG vor. Auch die Dauer der Sperrfrist sowie die im Bescheid vom 26.07.2006 formulierten Bedingungen seien nicht zu beanstanden.
20 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Bezüglich der Frage, ob er einen Anspruch auf sofortige Befristung der Wirkung der Ausweisung habe, sei auf das aktuell maßgebliche Recht, d.h. auf das FreizügG/EU in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007, abzustellen. Danach habe er einen Rechtsanspruch auf Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt. Weder der Beklagte noch das Erstgericht hätten eine aktualisierte Prüfung vorgenommen, ob die Sperrfrist von vier Jahren für einen in Deutschland geborenen Unionsbürger, einen faktischen Inländer, der alle familiären und sonstigen Bindungen in Deutschland habe und mit einer in Waldshut lebenden deutschen Frau verlobt sei, noch angemessen sei. Der Beklagte habe einseitig die Straftaten in den Vordergrund seiner Ermessensentscheidung gestellt und damit das Abwägungsmaterial falsch zusammengestellt. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Klägers, insbesondere dessen Stellung als faktischer Inländer, seien nicht ausreichend gewürdigt worden. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU und Art. 8 EMRK geböten eine Befristung auf Null.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 auf den 23. Juli 2008 zu befristen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er erwidert, maßgeblicher Gesichtspunkt für die Dauer der Befristung sei die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr. Dass zum jetzigen Zeitpunkt nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung nicht mehr verfügt werden könnte, könne bei der Bestimmung des Befristungszeitpunkts nicht die entscheidende Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Ausweisung sei die RL 2004/38/EG noch nicht in Kraft gewesen und die Bundesrepublik habe noch keine zwingenden Ausweisungsgründe definiert. Die VwV Befristung vom 25.01.2002 werde bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt. Die Neuregelungen des § 5 FreizügG/EU (gemeint: § 6 FreizügG/EU) hätten erheblichen Einfluss auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens. Bei Durchschnittsfällen ohne weitere negative Aspekte sei es kaum möglich, den Ablauf der Frist auf einen deutlich späteren Zeitpunkt festzusetzen. Beim Kläger handele es sich aber gerade nicht um einen Durchschnittsfall. Er sei wiederholt straffällig geworden, sein gesamter Lebensweg sei durch fehlende Konstanz und Stabilität gekennzeichnet und auch die Justiz gehe von einer ungünstigen Sozialprognose aus.
26 
Ausweislich des unter dem 10.07.2008 vorgelegten Vollzugsberichts der Justizvollzugsanstalt ... wurde der Vollzugsplan vom 19.12.2007, der die Gewährung von Vollzugslockerungen vorgesehen hatte, mit Verfügung vom 25.02.2008 widerrufen, nachdem der Kläger die Abgabe einer Urinkontrolle verweigert habe. Mit Schreiben vom 20.04.2008 habe der Kläger mitgeteilt, auf Lockerungen bzw. eine Verlegung in den offenen Vollzug zu verzichten. Ansonsten sei der Vollzug, bis auf einen Verstoß gegen das Rauchverbot am 07.02.2008, unauffällig verlaufen.
27 
Der Kläger ist in der Berufungsverhandlung angehört worden und hat ergänzend angegeben: Er kenne seine Verlobte seit 15 Jahren; seit 5 ½ Jahren seien sie verlobt. Sie besuche ihn regelmäßig in der Haft; nach seiner Haftentlassung wollten sie heiraten. Er wolle nicht nach ... zurückkehren, sondern in ..., wo er einen Arbeitsplatz in einer Pizzeria in Aussicht habe, eine Wohnung suchen. Seine Verlobte sei bereit, nach ... umzuziehen. Im Vollzug habe er in der Schneiderei gearbeitet. Daneben habe er einen Deutschkurs belegt. Einen Italienischkurs habe er nach fünf Monaten aufgegeben, weil er damals damit gerechnet habe, eine Drogentherapie antreten zu dürfen. Als Kind sei er zwei- oder dreimal mit seinen Großeltern bei der Urgroßmutter in ... gewesen, die inzwischen verstorben sei. Zu Verwandten väterlicherseits habe er überhaupt keinen Kontakt. Eine längerfristige Ausreise nach Italien könne er sich nicht vorstellen. Seine Verlobte sei nicht bereit, ihn zu begleiten. Der Vorwurf, er habe die Abgabe einer Urinprobe verweigert, sei unzutreffend. Er habe zu dem fraglichen Zeitpunkt kein Wasser lassen können und eine Nachholung der Urinkontrolle sei ihm verwehrt worden. Nach seiner Haftentlassung wolle er eine ambulante Drogentherapie durchführen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten, der unteren Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
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In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. April 2011 - 8 K 219/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das beklagte Land verpflichtet wird, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von vier Jahren und sechs Monaten ab dem 27. Juli 2012 zu befristen. Der Bescheid vom 27. Juli 2012 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am ...1985 in Skopje/Mazedonien geboren und mazedonischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Roma. Seine Eltern hielten sich mit ihm erstmals ab dem 28.08.1989 in der Bundesrepublik Deutschland auf und führten erfolglos ein Asylverfahren durch. Nachdem sie zwischendurch unbekannten Aufenthalts waren, reisten der Kläger und seine Eltern sowie sein am 15.01.1991 in Mazedonien geborener Bruder im Oktober 1992 erneut ein und stellten Asyl- bzw. Asylfolgeanträge, welche abgelehnt wurden. Im Dezember 1994 verließ die Familie das Bundesgebiet. Nach der Wiedereinreise am 30.11.1998 gestellte Asylfolgeanträge wurden mit - seit 19.06.1999 bestandskräftigem - Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.12.1998 abgelehnt.
In der Folge erhielt der Kläger zunächst Duldungen. Die Ehe seiner Eltern wurde 1999 geschieden. Sein Vater ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, seine Mutter und sein Bruder erhielten Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen.
Der Kläger hat die Hauptschule abgeschlossen und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Nach Ausbildung zum Bäcker in den Jahren 2004 bis 2006 war er bis zu einer Inhaftierung im Juni 2009 als Bäcker angestellt.
Am 24.11.2003 erkannte der Kläger die Vaterschaft für den am 15.11.2003 in Ostfildern geborenen deutschen Staatsangehörigen A.R. an. Daraufhin wurde ihm am 07.06.2004 eine - zunächst bis 06.09.2004 befristete - Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn erteilt, zum 28.06.2004 meldete er sich unter der Adresse seines Sohnes und dessen Mutter Annett R. an. In der Folge wurde die Aufenthaltserlaubnis mehrmals verlängert, zuletzt mit Geltung bis zum 02.09.2008.
Am 23.07.2008 beantragte der Kläger die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass er bereits zum 29.06.2006 zu seinem Vater gezogen war und damit die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn und dessen Mutter beendet hatte, beschränkte er auf Vorschlag der Ausländerbehörde am 02.06.2009 seinen Antrag auf eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Seit 1999 ist der Kläger immer wieder im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln und wegen Straftaten wie Diebstahl, Erschleichen von Leistungen, Körperverletzung u.a. aufgefallen. Das Bundeszentralregister enthält (Stand: 06.08.2012) noch Eintragungen ab dem Jahr 2005:
- Verurteilung vom 22.07.2005 durch das Amtsgericht Esslingen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 31.05.2007 durch das Amtsgericht Stuttgart wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 13.09.2007 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 10.06.2008 durch das Amtsgericht Stuttgart wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten; die Vollstreckung der Strafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt, die Aussetzung später aber widerrufen; die Strafvollstreckung ist erledigt seit dem 24.09.2009;
- Verurteilung vom 02.02.2009 durch das Amtsgericht Waiblingen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 11.02.2009 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen;
- Verurteilung vom 13.02.2009 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen Erschleichens von Leistungen mit geringwertigem Schaden in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;
- nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durch Beschluss des Amtsgericht Waiblingen vom 23.04.2009 von einer Geldstrafe von 125 Tagessätzen (unter Einbeziehung der Entscheidungen des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 13.02.2009 und vom 11.02.2009 sowie des Amtsgerichts Waiblingen vom 02.02.2009);
- Verurteilung vom 15.10.2009 durch das Amtsgericht Stuttgart wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten; die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt;
- nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 10.02.2010 von einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen (unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Waiblingen vom 02.02.2009, des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 13.02.2009 und vom 11.02.2009 und des Amtsgerichts Stuttgart vom 15.10.2009); die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt; die Strafaussetzung später aber widerrufen;
- Verurteilung vom 26.02.2010 durch das Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten.
Vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009 verbüßte der Kläger die im Urteil des Amtsgericht Stuttgart vom 10.06.2008 verhängte Freiheitsstrafe, vom 18.08.2010 bis zum 26.11.2010 die im Urteil des Amtsgericht Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 festgesetzte Strafe.
10 
Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Kläger mit Schreiben vom 10.11.2010 darauf hin, dass seine Ausweisung und Abschiebung geprüft werde. Er erklärte dazu mit Schreiben vom 20.12.2010: Er wolle sein Leben wieder in den Griff bekommen und sei deshalb auch auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Er bitte um eine nochmalige Chance.
11 
Die frühere Lebensgefährtin des Klägers schilderte auf Anfrage des Regierungspräsidiums in einem Schreiben vom 21.11.2010, der Kläger habe seinen Sohn vor etwa drei Jahren das letzte Mal gesehen. Er habe noch nie Interesse an einem Kontakt zu seinem Sohn gehabt. Sie vermute, dass er diesen nur benutzt habe, um eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu haben. Mit einem Umgang des Klägers mit seinem Sohn sei sie nicht einverstanden, weil ein Kontakt für ihren Sohn eher schädlich wäre. Der Kläger habe insgesamt nur etwa ein halbes Jahr lang Unterhalt für seinen Sohn gezahlt; danach habe sie keinerlei Unterstützung mehr von ihm erhalten.
12 
Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 wurde der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziff. 2) und er wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 10.02.2011 zu verlassen; für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Nr. 1 AufenthG für eine Regelausweisung lägen vor, weil der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, welche nicht zur Bewährung ausgesetzt worden sei, verurteilt worden sei. Er genieße keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Insbesondere sei er nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Selbst wenn dem Kläger der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zur Seite stehen würde, würde dies die Ausweisung nicht hindern. Er könnte dann zwar nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche lägen aber vor, weil die von ihm begangenen zahlreichen Straftaten allein wegen deren Häufigkeit schwer wögen. Dies gelte auch - sozusagen isoliert betrachtet - für die letzte Verurteilung, bei welcher die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden sei. In seinem Fall bestehe auch eine konkrete Wiederholungsgefahr ähnlich gelagerter schwerer Straftaten. Dabei sei zunächst die hohe Zahl der Verurteilungen sowie der eingestellten Strafverfahren auffallend. Sämtliche Vorverurteilungen hätten ihm nicht zur Warnung dienen können. Die Rückfallgeschwindigkeit sei hoch. Beispielsweise sei er nur wenige Wochen nach der Verurteilung am 15.10.2009 erneut straffällig geworden. Die zuletzt abgeurteilte Straftat habe er innerhalb einer Bewährungszeit begangen. Selbst eine drohende Strafvollstreckung habe ihn nicht von einer weiteren kriminellen Handlung abhalten können. Er sei vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009 inhaftiert gewesen und nur drei Monate später erneut straffällig geworden. Eine echte Einsicht und Reue sei nicht erkennbar. Hinzutrete, dass er offensichtlich ein ungelöstes Drogenproblem habe. Ihm könne heute keinesfalls eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Aus all diesen Gründen habe das herausragende öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem dem Kläger zur Seite stehenden - hilfsweise unterstellten - Schutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ein deutliches Übergewicht. Im Übrigen sei in der Rechtsprechung geklärt, dass nach einer strafgerichtlichen Verurteilung generalpräventive Ausweisungsgründe schwer wögen, wenn sehr häufiges straffälliges Verhalten vorliege und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von ähnlichen Straftaten abzuhalten. Davon sei hier auszugehen. Für den Fall des Vorliegens des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei außerdem über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden. Eine Ermessensentscheidung müsste unabhängig davon ohnehin getroffen werden, weil die Ausweisung in das Grundrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG und in das Achtungsgebot aus Art. 8 EMRK eingreife. Dabei seien die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger habe sich insgesamt etwas mehr als zwölf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten. Seit Juni 2004 sei sein Aufenthalt rechtmäßig. Die von ihm begangenen Straftaten ließen jedoch eine hohe Missachtung der Rechtsordnung erkennen, die eine hohe und konkrete Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten begründe. Damit habe das herausragende öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zur Dauer seines Aufenthalts deutliches Übergewicht. Der Kläger habe zwar erfolgreich eine Ausbildung zum Bäcker abgeschlossen und auch als solcher gearbeitet, doch weitere Integrationsleistungen wie Aufbau einer eigenen Existenzgrundlage, eigener Wohnraum oder ähnliches seien nicht erkennbar. Ganz entscheidend gegen eine abgeschlossene Integration sprächen die ausgesprochen häufigen Straftaten. Er habe sich auch nicht derart lange in der Bundesrepublik aufgehalten, dass von einer Verwurzelung in Deutschland und einer damit einhergehenden Entwurzelung in seinem Heimatstaat auszugehen sei, zumal er als Kind insgesamt etwa neun Jahre im heutigen Mazedonien gelebt habe und die Kindeszeit prägend sei. Dabei werde nicht übersehen, dass er sicherlich nach erfolgter Abschiebung in Mazedonien zunächst Schwierigkeiten haben werde, sich an die dortigen Lebensverhältnisse zu gewöhnen; doch seien diese Schwierigkeiten nicht unüberwindbar. Insbesondere sei davon auszugehen, dass er seine Muttersprache noch beherrsche. Persönliche schutzwürdige Bindungen im Bundesgebiet lägen zwar vor, denn seine Eltern, ein Bruder sowie sein Sohn lebten hier. Seit März 2006 lebe er mit seinem Vater in Stuttgart zusammen. Diese hinderten jedoch eine Ausweisung hier nicht. Bezüglich des Verhältnisses zu seinem Sohn sei zu berücksichtigen, dass er zu diesem seit drei Jahren keinen Kontakt mehr gehabt und lediglich für die Dauer von sechs Monaten Unterhalt geleistet habe. Ein Sorgerecht besitze er nicht. Die Ausweisung stehe auch im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verstoße nicht gegen Art. 8 EMRK. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei abzulehnen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 AufenthG.
13 
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 21.01.2011 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage; das beklagte Land trat der Klage entgegen.
14 
Anträge des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren wurden vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 11.02.2011 - 8 K 222/11 - abgelehnt; die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Senatsbeschlüssen vom 15.03.2011 - 11 S 547/11 - und - 11 S 548/11 - zurückgewiesen. Mit weiterem Senatsbeschluss vom 15.03.2011 - 11 S 549/11 - wurde die Beschwerde des Klägers gegen die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.02.2011 - 8 K 219/11 - erfolgte Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zurückgewiesen.
15 
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011 - 8 K 219/11 -wurde die Klage des Klägers abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Zur Begründung wird auf die vorangegangenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Senats in den Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren verwiesen.
16 
Auf einen entsprechenden Antrag des Klägers hin wurde diesem mit Beschluss des Amtsgerichts Esslingen - Familiengericht - vom 06.05.2011 betreuter Umgang mit seinem Sohn eingeräumt, bestimmt, dass zur Anbahnung des Umgangs am 29.06.2011 beim örtlichen Kinderschutzbund ein Eltern-Erstgespräch und dass ab Mitte Juli alle 14 Tage ein vom Kinderschutzbund betreuter Umgang für zwei Stunden stattfinde. Die Beschwerde der Mutter des Kindes gegen diesen Beschluss wurde vom Oberlandesgerichts Stuttgart am 19.08.2011 zurückgewiesen. Mit Schreiben an das Regierungspräsidium vom 05.10.2011 teilte der Kinderschutzbund Esslingen mit, dass der Kläger zum Eltern-Erstgespräch gekommen sei, weitere Gespräche hätten nicht stattgefunden.
17 
Gegen das am 29.04.2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011 hat der Kläger am 27.05.2011 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Mit Senatsbeschluss vom 16.08.2011 - 11 S 1656/11 -, zugestellt am 29.08.2011, ist die Berufung zugelassen worden, soweit mit dem Urteil die Klage des Klägers gegen die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 verfügte Ausweisung abgewiesen worden ist. Im Übrigen ist der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden. Mit am 22. und 23.09.2012 eingegangenen Schriftsätzen hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet.
18 
Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29.03.2011 die in dessen Gesamtstrafenbeschluss vom 10.02.2010 gewährte Aussetzung der Freiheitstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen zur Bewährung widerrufen worden war, wurde der Kläger am 27.09.2011 in Haft genommen.
19 
Zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Erschleichens von Leistungen (am 03.04.2010 und am 05.02.2011) wurden von der Staatsanwaltschaft Stuttgart nach § 154 StPO, ein weiteres Verfahren wegen Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Wohnungseinbruchdiebstahls u.a. (am 07.08.2011 und am 08.08.2011) nach §§ 153b ff. StPO eingestellt. Ein Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010, mit welchem der Kläger wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war, wurde nach Rücknahme der zunächst sowohl vom Kläger als auch von der Staatsanwaltschaft Heilbronn eingelegten Berufungen am 09.10.2012 rechtskräftig.
20 
Ein am 24.11.2011 gestellter Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der bevorstehenden Abschiebung nach § 123 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.11.2011 - 8 K 4179/11 - abgelehnt; die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Senatsbeschluss vom 08.12.2011 - 11 S 3155/11 - zurückgewiesen.
21 
Am 15.12.2011 wurde der Kläger aus der Haft nach Mazedonien abgeschoben. Nach seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 26.06.2012 - mit gefälschten bulgarischen Papieren - wurde er wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung u.a. festgenommen. Mit - seit dem 31.08.2012 rechtskräftigem -Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 wurde er wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Abschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt ohne Pass in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Tateinheit mit Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Bis zum 06.09.2012 verbüßte er die Reststrafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 10.02.2010, am 07.09.2012 begann der Vollzug der vom Amtsgericht Rosenheim verhängten viermonatigen Freiheitsstrafe.
22 
Bereits mit Bescheid vom 27.07.2012 ergänzte das Regierungspräsidium Stuttgart die Ausweisung vom 03.01.2011 dahingehend, dass deren Wirkungen auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung befristet wurden, wobei der Bezugspunkt für die Berechnung der Frist eine zukünftige Ausreise bzw. Abschiebung nach der Wiedereinreise sei (Ziff. 1). Zudem wurden die Wirkungen der bereits durchgeführten Abschiebung auf den 01.08.2012 befristet (Ziff. 2). Zur Begründung wurde unter anderem dargelegt: Der Kläger sei seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen, weshalb er am 15.12.2011 abgeschoben worden sei. Am 26.06.2012 sei er wieder eingereist. Die ursprünglich beabsichtigte Eheschließung sei bislang nicht realisiert worden. Soweit das Verhältnis zu seinem heute achtjährigen deutschen Kind betroffen sei, habe das Familiengericht Esslingen am 06.05.2011 die Durchführung eines betreuten Umgangs angeordnet. Ein Umgang zwischen Vater und Kind habe aber - auch wegen des Widerstands der Kindesmutter - nicht stattgefunden. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 AufenthG für eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der durchgeführten Abschiebung lägen vor. Zwar fordere diese nationale Vorschrift, dass eine Befristung nur auf Antrag erfolge, welcher bis heute nicht gestellt worden sei, doch gehe das Bundesverwaltungsgericht inzwischen davon aus, dass ein solcher nicht erforderlich sei. Da die Abschiebung aus der Haft erfolgt sei, habe der Kläger zumindest nach der Inhaftierung ab dem 27.09.2011 auch keine Möglichkeit mehr gehabt, die Abschiebung zu vermeiden. Dieser Gesichtspunkt rechtfertige die kurze Frist bezüglich der Wirkungen der Abschiebung bis zum 01.08.2012. Soweit dagegen die Ausweisung betroffen sei, müsse bei dieser eine Prognose darüber getroffen werden, wann der spezialpräventive Ausweisungszweck voraussichtlich erreicht sei, also keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Gleichfalls sei insbesondere der generalpräventive Ausweisungszweck zu würdigen. Auch die Befristungsentscheidung sei insoweit eine ordnungsrechtliche Maßnahme. Dieser ordnungsrechtliche Gesichtspunkt müsse mit dem privaten Interesse des Klägers an einer baldigen erlaubten Wiedereinreisemöglichkeit nach erfolgter Abschiebung abgewogen werden. Dabei seien insbesondere neu eingetretene positive oder negative Umstände zu beachten. Das Regierungspräsidium orientiere sich an Art. 11 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie (RFRL), nach welcher die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werde und grundsätzlich nicht fünf Jahre überschreite. Sie könne jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstelle. Die vom Regierungspräsidium in Ziffer 1 des Bescheids verfügte Frist betrage mit der erzwungenen Abwesenheit vom Bundesgebiet vom 15.12.2011 bis zum 27.06.2012 ziemlich genau die fünf Jahre, die in Art. 11 Abs. 2 RFRL genannt seien. Diese Orientierung sei hier insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil sich das Regierungspräsidium im Fall des Klägers in einem „unauflösbaren Dilemma“ befinde. Denn nach wie vor bestehe eine aktuelle hohe und konkrete Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten und der Zeitpunkt, ab welchem diese Wiederholungsgefahr nicht mehr vorliege, könne nur schwer prognostiziert und bestimmt werden. Besonders zu berücksichtigen sei der Umstand, dass der Kläger ausgesprochen häufig und selbst nach erfolgter Ausweisung straffällig geworden sei. Auch handle es sich bei der anlässlich der Wiedereinreise begangenen unerlaubten Einreise sowie der Urkundenfälschung um nicht unerhebliche Straftaten. Daraus sei ersichtlich, dass mit der Frist von vier Jahren und sechs Monaten nach zukünftiger Ausreise sogar ein gewisses Risiko in Kauf genommen werde. Deshalb fordere das Achtungsgebot aus Art. 8 EMRK nicht, die Frist kürzer zu bestimmen.
23 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger unter anderem vor: Bei der Ausweisung sei die Beziehung zu seinem Sohn nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zwar sei zutreffend, dass er aufgrund seiner Abschiebung nach Mazedonien das Umgangsrecht mit seinem deutschen Kind zunächst nicht optimal habe wahrnehmen können. Er wolle aber den Kontakt zu diesem herstellen. Auch beabsichtige er weiter, seine Verlobte zu heiraten. Die Eheschließung sei vom beklagten Land vor seiner Abschiebung im Dezember 2011 allein dadurch verhindert worden, dass keine Duldung erteilt worden sei. In Mazedonien habe er ausschließlich von dem Geld gelebt, welches sein Vater und sein Bruder ihm geschickt hätten. Er habe dort keinen festen Wohnsitz gehabt; er sei nur "notdürftig" bei seiner Tante und bei seinem Onkel untergekommen. Später habe er keinerlei finanzielle Unterstützung mehr erhalten. Er wolle jetzt mit seinem Sohn in Deutschland zusammenleben. Mit der vom Regierungspräsidium im Bescheid vom 27.07.2012 verfügten Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung sei er daher nicht einverstanden, vielmehr begehre er hilfsweise eine Befristung "auf null Tage".
24 
Der Kläger beantragt zuletzt,
25 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011 - 8 K 219/11 - zu ändern und die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 verfügte Ausweisung in der Fassung des Bescheids vom 27.07.2012 aufzuheben,
26 
hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG angeführten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
27 
Das beklagte Land beantragt,
28 
die Berufung zurückzuweisen
29 
Es verweist zur Begründung auf die Bescheide vom 03.01.2011 und vom 27.07.2012. Das Kindeswohl gebiete es hier nicht, trotz der im Falle des Klägers gegebenen hohen Gefahr der Wiederholung von Straftaten von einer Ausweisung abzusehen. Bei der Ausübung des Ermessens seien alle denkbaren Gesichtspunkte und Umstände wie Dauer des Aufenthalts usw. in den Blick genommen, eingestellt und gewürdigt worden.
30 
In einem am 25.07.2012 durchgeführten Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin ist der Kläger angehört worden. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
31 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Ausweisungsverfahren (insgesamt zwei Hefte), die ausländerrechtlichen Akten der Landeshauptstadt Stuttgart (vier Hefte) und die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart bezüglich des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 8 K 222/11 - und bezüglich des Klageverfahrens - 8 K 219/11 - vor. Diese sind ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg über das Berufungsverfahren - 11 S 2307/11 - sowie über die Beschwerdeverfahren - 11 S 547/11, 11 S 548/11, 11 S 549/11 und 11 S 3155/11 - Gegenstand der Entscheidung; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
32 
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
33 
Die - nach teilweiser Zulassung durch den Senat - statthafte Berufung des Klägers richtet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011, soweit damit (auch) seine Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 abgewiesen worden ist. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründet worden (vgl. § 124a Abs. 6 und Abs. 3 VwGO). Aufgrund der im Berufungsverfahren - mit dem hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrag - erfolgten, zulässigen Einbeziehung der unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 verfügten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist diese ebenfalls Gegenstand des Verfahrens. Darin liegt insbesondere keine Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). Abgesehen davon hat das beklagte Land in diesem Ergänzungsbescheid explizit darauf hingewiesen, dass die Befristungsentscheidung in dem anhängigen Berufungsverfahren wegen Ausweisung rechtlich überprüft werde, und sich in der Folge sachlich darauf eingelassen. Sollte von einer Klageänderung auszugehen sein, wäre diese daher wegen Einwilligung des beklagten Landes als zulässig anzusehen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 VwGO).
34 
Die Berufung ist aber nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Umfang begründet. Die Klage des Klägers gegen die Ausweisung ist vom Verwaltungsgericht zu Recht abgewiesen worden (dazu unter I.). Denn diese Verfügung - in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 -ist auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156 und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sein - hilfsweise - gestellter Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" hat zu einem geringen Teil Erfolg (II.). Die unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 erfolgte Befristung auf vier Jahre und sechs Monate ist insoweit rechtswidrig als der Beginn der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. Er hat aber keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
35 
Die Ausweisung ist rechtsfehlerfrei. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 1 AufenthG liegen vor (1.). Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG (2.). Die Entscheidung des Regierungspräsidiums, den Kläger auszuweisen, ist verhältnismäßig und lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (3.). Auch verstößt die Ausweisung nicht gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (4.).
36 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 54 Nr. 1 AufenthG. Diese Regelung ist hier uneingeschränkt anwendbar. Insbesondere folgt nicht etwa allein aus dem Umstand, dass der Kläger Vater eines deutschen Staatsangehörigen - des am 15.11.2003 geborenen A.R. - ist, dass besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten wären (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09 InfAuslR 2011, 268 und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11 InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -NVwZ-RR 2012, 412).
37 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 1 AufenthG sind unstreitig erfüllt. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das ist hier allein schon wegen der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten der Fall. Inzwischen ist zudem das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010, mit welchem er wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war, rechtskräftig. Außerdem erfolgte mit dem Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 - wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung u.a. - eine weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.
38 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu.
39 
Auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann er sich nicht berufen, weil er bereits seit dem 03.09.2008 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Sein Antrag auf Verlängerung der zuvor bestehenden Aufenthaltserlaubnis ist unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart 03.01.2011 abgelehnt worden; diese Entscheidung ist inzwischen bestandskräftig. Die zunächst gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG (in der damals geltenden Fassung, welche § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG n.F. entspricht) eingetretene Fiktionswirkung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats jedenfalls bereits beendet. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können, wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.).
40 
Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger lebt nicht mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft. Zwar kann regelmäßiger Umgang mit einem deutschen Kind für die Annahme dieses Ausweisungsschutzes ausreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 - NVwZ 2009, 387 ff.). Einen solchen hat der Kläger mit seinem Sohn jedoch seit vielen Jahren nicht mehr.
41 
3. Danach ist der Kläger gemäß § 54 Nr. 1 AufenthG "in der Regel auszuweisen". Selbst wenn man - mit dem Regierungspräsidium - zugunsten des Klägers annimmt, dass wegen der zumindest noch bis zur Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 bestehenden Bindungen in bzw. an Deutschland mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK von einer Ausnahme vom Regelfall auszugehen ist und daher die Ausweisung im Ermessen steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116), erweist sich diese als rechtmäßig. Die Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums im Bescheid vom 03.01.2011, welche in der Folge mehrmals, unter anderem im Bescheid über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung vom 27.07.2012, ergänzt und aktualisiert worden sind, lassen sich rechtlich nicht beanstanden.
42 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien Menschenrechte (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03 InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 juris).
43 
Nach diesen Grundsätzen ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig. Sie ist in Ansehung der von diesem ausgehenden Gefahr der Begehung erneuter Straftaten (a) trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein Privatleben als gerechtfertigt bzw. als verhältnismäßig zu beurteilen (b) und auch im Übrigen ermessensfehlerfrei erfolgt (c).
44 
a) Zunächst ist das Regierungspräsidium in den Bescheiden vom 03.01.2011 und vom 27.07.2012 zu Recht davon ausgegangen, dass weiterhin die erhebliche Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger besteht, welche ein öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründet.
45 
Der Kläger hat sich über einen langen Zeitraum hinweg unter anderem wegen Betäubungsmitteldelikten immer wieder strafbar gemacht. Ausweislich der vom Senat zum Verfahren eingeholten Auskunft des Bundesamts für Justiz aus dem Zentralregister enthielt dieses am 06.08.2012 insgesamt neun Eintragungen über strafgerichtliche Verurteilungen. Die älteste betrifft das Urteil des Amtsgerichts Esslingen vom 22.07.2005 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Danach folgen Verurteilungen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 31.05.2007, unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen vom 13.09.2007, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 10.06.2008, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 02.02.2009, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 11.02.2009, Erschleichens von Leistungen mit geringwertigem Schaden in drei Fällen vom 13.02.2009, gefährlicher Körperverletzung vom 15.10.2009 und wegen Diebstahls vom 26.02.2010.
46 
In Anbetracht dieser im Zeitraum zwischen Juli 2005 und Februar 2010 erfolgten Verurteilungen kann hier offen bleiben, ob - und gegebenenfalls inwieweit - frühere strafgerichtliche Entscheidungen, die nicht im Bundeszentral-, sondern lediglich im Erziehungsregister eingetragen sind, bei der Ausweisung zu berücksichtigen wären (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 23.09.2009 - 1 B 16.09 - InfAuslR 2009, 447; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.05.2009 - 13 S 116/09 - VBlBW 2010, 77; Saarl. OVG, Urteil vom 12.10.2011 - 1 A 246/11 -juris). Denn bereits die im Bundeszentralregister aufgeführten strafgerichtlichen Entscheidungen begründen die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an einer Ausweisung des Klägers.
47 
Zwar handelt es sich bei den zugrundeliegenden Straftaten nicht um außerordentlich gravierende Delikte. Bei der gefährlichen Körperverletzung ist das Amtsgericht von einem minder schweren Fall ausgegangen. Die Hartnäckigkeit, mit der der Kläger allein zwischen 2005 und Februar 2010 immer wieder straffällig geworden ist, belegt aber eine besonders hohe Wiederholungsgefahr. Zu den angeführten und im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten kommt zudem noch eine Vielzahl von nach §§ 153b ff. StPO bzw. §§ 31a, 37, 38 BtMG eingestellten Verfahren, zuletzt wegen Erschleichens von Leistungen (am 03.04.2010 und am 05.02.2011) und wegen Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Wohnungseinbruchdiebstahls (am 07.08.2011 und am 08.08.2011). Mit - erst seit dem 09.10.2012 rechtskräftigem - Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 wurde der Kläger zudem wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009, vom 18.08.2010 bis zum 26.11.2010 und zuletzt vom 27.09.2011 bis zu seiner Abschiebung nach Mazedonien am 15.12.2011 verbüßte er Freiheitsstrafen. Weder diese Freiheitsstrafen noch andere Vorverurteilungen, laufende Ermittlungsverfahren oder der drohende Widerruf von Aussetzungen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen zur Bewährung hielten ihn von der Begehung weiterer Straftaten ab. Auch die möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen waren ihm offensichtlich keine Warnung. Selbst nach Bekanntgabe des Bescheids vom 03.01.2011, mit welchem der Kläger nicht nur ausgewiesen, sondern auch sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht worden war, wurden gegen ihn die angeführten weiteren Ermittlungsverfahren - wegen einer am 05.02.2011 begangenen "Beförderungserschleichung" und wegen des Verdachts des Wohnungseinbruchdiebstahls, der Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs u.a. am 07. bzw. 08.08.2011 - eingeleitet. Die "Rückfallgeschwindigkeit" war danach außerordentlich hoch. In den Jahren 2009 bis 2011 gelang es dem Kläger letztlich nur in Zeiten, in welchen er sich in Haft befand, mehrere Monate lang strafrechtlich unauffällig zu bleiben.
48 
Vor diesem Hintergrund war bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung und ist auch weiter jederzeit mit der Begehung erneuter Straftaten zu rechnen. Davon gehen auch die Strafgerichte aus. Bereits im Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010, mit welchem der Kläger wegen des Diebstahls von drei Flaschen Parfum zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde, wurde die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, weil dem Kläger keine positive Sozialprognose gestellt werden könne. Im Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29.03.2011 - mit welchem die Aussetzung der im Beschluss vom 10.02.2010 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen widerrufen wurde - wird dargelegt, die Freiheitsstrafe sei zur Einwirkung auf den Kläger und zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich. Auch in den erst nach Wiedereinreise des Klägers ergangenen bzw. rechtskräftig gewordenen Urteilen des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 und des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 wurde keine Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung gewährt.
49 
Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einstellung des Klägers inzwischen maßgeblich geändert haben könnte und die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten gesunken wäre, bestehen nicht. Der Kläger hat sich weder mit seinen Straftaten auseinandergesetzt noch mit seinem (früheren) Drogenkonsum. Ernsthafte Reue oder Einsicht sind weder vorgetragen noch erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, dass allein die erfolgte Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 zu einer solchen Zäsur geführt haben könnte, dass die Wiederholungsgefahr jetzt anders zu beurteilen wäre. Dagegen spricht schon der Umstand, dass er inzwischen weitere Straftaten begangen hat. Er ist am 26.06.2012 unerlaubt und mit gefälschten bulgarischen Personalpapieren wieder nach Deutschland eingereist, weshalb er mit dem bereits angeführten Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde. Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Wunsch des Klägers, Kontakt zu seinem Sohn zu bekommen und zu halten sowie die Beziehung zu seiner Verlobten wieder aufzunehmen, ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten würde. Schließlich hatten in der Vergangenheit weder die Beziehung zu seiner Verlobten noch die Vaterschaft entsprechende Auswirkungen.
50 
Bei dieser Sachlage - vor allem in Anbetracht von Anzahl sowie Art und Gewicht der vom Kläger begangenen Straftaten, seines früheren Drogenkonsums, der außerordentlich hohen "Rückfallgeschwindigkeit", der bislang gezeigten Uneinsichtigkeit und der bis heute fehlenden Tataufarbeitung - ist auch der Senat der Überzeugung, dass vom Kläger weiter eine erhebliche Gefahr der Begehung von diversen Straftaten, darunter Eigentums-, Betäubungsmittel- und auch Gewaltdelikten ausgeht. Das Regierungspräsidium hat daher zu Recht ein erhebliches öffentliches Interesse an seiner Ausweisung angenommen.
51 
b) Mit Blick auf das danach vom Kläger immer noch ausgehende Gefahrenpotential stellt die Ausweisung hier trotz seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland und seiner in dieser Zeit gewachsenen persönlichen Bindungen eine verhältnismäßige und insbesondere mit Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG vereinbare Maßnahme dar.
52 
Allerdings hat die Ausweisung gravierende Folgen für den Kläger. Dieser besitzt zwar nach rechtskräftiger Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Ziffer 2 des Bescheids vom 03.01.2011 ohnehin kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr. Die Ausweisung führt aber - ebenso wie eine Zurück- oder Abschiebung - gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258 - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011) zu einer Wiedereinreisesperre sowie einem Aufenthaltsverbot und sie steht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - in der Regel - der Erteilung eines neuen Titels entgegen (vgl. zum ganzen Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, Vor §§ 53-56 Rn 1 ff.). Die entsprechenden, durch die am 15.12.2011 erfolgte Abschiebung des Klägers nach Mazedonien ebenfalls nach § 11 Satz 1 und 2 AufenthG eingetretenen Wirkungen sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 bereits auf den 01.08.2012 befristet worden und damit beendet. Hingegen ist die Frist bezüglich der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monaten festgesetzt worden (Ziffer 1 des Bescheids, vgl. zum Beginn der Frist unten II.). Dies bedeutet für den Kläger, dass er - jedenfalls bei unveränderter Sachlage - in den nächsten Jahren nicht mehr ohne Weiteres nach Deutschland einreisen und sich hier aufhalten kann. Die Ausweisung hat daher noch weitgehendere Folgen für seine familiären und sozialen Bindungen zu in Deutschland lebenden Personen - insbesondere zu Eltern und Bruder, zu seiner Verlobten und zu seinem am 15.11.2003 geborenen Sohn - als es allein der fehlende Aufenthaltstitel und die erfolgte Abschiebung haben.
53 
Der Kläger hat sich bereits - wenn auch nicht ununterbrochen - von 1989 bis 1994 und erneut von 1998 bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 in Deutschland aufgehalten. Vom 07.06.2004 bis zum 02.09.2008 war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, im Anschluss galt sein Aufenthalt bis zur Ablehnung seines Verlängerungsantrags mit Bescheid vom 03.01.2011 als erlaubt. Er hat eine Lehre als Bäcker abschlossen und war bis Juni 2009 als Bäcker tätig. Die Eltern des Klägers und sein Bruder leben in Deutschland. Zuletzt wohnte er bei seinem Vater. Der Kläger ist - oder war jedenfalls - außerdem mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt; beide wollten noch vor der Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 heiraten. Nach der Abschiebung bestand offensichtlich kein enger Kontakt mehr; der Kläger hat aber im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 erläutert, dass er vor allem deshalb Ende Juni 2012 erneut eingereist sei, um die Beziehung wieder aufzunehmen. Seinen Sohn hat der Kläger zwar nach seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit der Mutter des Sohnes offensichtlich jahrelang nicht mehr gesehen; er hat aber kurz vor seiner erneuten Inhaftierung am 27.09.2011 ein (betreutes) Umgangsrecht erstritten, zu dessen Anbahnung beim Kinderschutzbund bereits ein Eltern-Erstgespräch stattgefunden hatte. Im Erörterungstermin am 25.07.2012 hat er dargelegt, dass ihm an einer Beziehung zu seinem Sohn gelegen sei. Er habe die Mutter angeschrieben und gebeten, einen normalen Kontakt zu ermöglichen.
54 
Da der Kläger danach nicht in einer familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn lebt und er auch seit Jahren keinen unmittelbaren Kontakt zu seinem Sohn mehr hatte, kann er sich nicht mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen und auch nicht auf das in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Familienlebens (vgl. dazu ausführlich Senatsbeschluss vom 16.08.2011 im Verfahren auf Zulassung der Berufung - 11 S 1656/11 - m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; EGMR, Urteil vom 11.07.2000 - 29192/95 InfAuslR 2000, 473). Die Ausweisung greift aber in sein Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK und in sein durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Da der Kläger inzwischen über kein Aufenthaltsrecht mehr verfügt und bereits abgeschoben wurde, kann seinen Bindungen nicht mehr dasselbe Gewicht beigemessen werden wie zu Zeiten, in denen er sich rechtmäßig hier aufgehalten hat. Selbst wenn man insoweit aber zu seinen Gunsten auf den Zeitpunkt der Ausweisung abstellen würde, ist der Eingriff in sein Privatleben hier auch in Ansehung der früheren Bindungen in Deutschland und der für ihn mit einem Leben in Mazedonien verbundenen Schwierigkeiten wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als - mit Blick auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG - verfassungsrechtlich gerechtfertigt bzw. als gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und insbesondere als verhältnismäßig anzusehen.
55 
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger offensichtlich nur in den ersten drei bis vier Lebensjahren näheren Kontakt zu seinem Kind A.R. hatte. Im Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 06.05.2011, mit welchem ihm ein betreuter Umgang eingeräumt wurde, wird ausgeführt, dass die Mutter des Kindes und der Kläger sich getrennt hätten, als A.R. drei Jahre alt gewesen sei. Eine kurze Zeit danach habe die Kindsmutter noch die Eltern des Klägers und den Kläger besucht. Danach hätten keinerlei Kontakte mehr stattgefunden. Der Kläger habe auch nach eigenen Angaben seinen Sohn nicht mehr besucht, keinen telefonischen Kontakt zu ihm gehabt, ihm keine Karten geschickt und auch keine Geschenke gemacht. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen hat der Kläger zudem viele Jahre keinen - oder zu wenig - Unterhalt geleistet. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Mutter des Kindes schon früher gegen einen Umgang des Klägers mit A.R. gewesen sein und diesen verhindert haben sollte, fällt doch auf, dass der Kläger sich erstmals nach Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und Ausweisung im Bescheid vom 03.01.2011 ernsthaft um einen Umgang mit seinem Sohn bemüht hat. Im dem danach von ihm angestrengten gerichtlichen Verfahren wegen Umgangs wurde davon ausgegangen, dass der Sohn den Kläger erst kennenlernen müsse; er sei "neugierig" auf ihn. Tatsächlich ist es dann offensichtlich nicht mehr zu einem Treffen gekommen.
56 
Soweit sich der Kläger auf sein Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen beruft, kann offen bleiben, ob diese Beziehung noch besteht. Allerdings hat er nach seiner Abschiebung im Dezember 2011 offensichtlich kaum mehr Kontakt zu seiner Verlobten gehabt; insbesondere ist es nicht zu der zunächst für Februar 2012 angekündigten Heirat gekommen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass beide weiterhin die Absicht haben, einander zu heiraten, steht dies einer Ausweisung hier in Ansehung der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ebenso wenig entgegen wie die Beziehung des Klägers zu seinen Eltern, seinem Bruder und zu in Deutschland lebenden Freunden und Bekannten.
57 
Dem Kläger ist ein Leben in Mazedonien auch zuzumuten. Er lebte nicht seit seiner Geburt, sondern erst seit November 1998 - also seit seinem 14. Lebensjahr - bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 durchgehend in Deutschland. Obwohl er sich mit seinen Eltern bereits zuvor - mit Unterbrechungen vom 28.08.1989 bis November 1994 - in Deutschland aufgehalten hat, hat er jedenfalls einen wesentlichen Teil seiner Kindheit noch im heutigen Mazedonien verbracht. Von Dezember 2011 bis zu seiner unerlaubten Wiedereinreise am 26.06.2012 hat er sich wieder dort aufgehalten. Er hat in Mazedonien Verwandte. Zwar hat er vorgetragen, er habe nicht mehr länger bei seiner Tante wohnen dürften, bei der er nach seiner Abschiebung zunächst drei Monate lang gelebt habe. Er habe dann ohne Papiere, welche man ihm beim Versuch einer Ausreise nach Serbien abgenommen habe, und in ständiger Angst vor willkürlichen Verhaftungen wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma "auf der Straße leben" müssen. Tatsächlich haben Roma in Mazedonien mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch kann zwangsweise zurückgeführten mazedonischen Straftätern oder Asylbewerbern für die Dauer von einem Jahr der Pass entzogen werden. Dies kann unter anderem zur Verweigerung einer Ausreise des Betreffenden aus Mazedonien führen (vgl. AA an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 06.08.2012). Ohne Papiere kann es außerdem zu Problemen beim Zugang zu Sozialhilfe- und Gesundheitsfürsorgeleistungen kommen (vgl. a.i. Mazedonien-Report 2012). Im Falle des 27-jährigen Klägers ist aber nicht zu erwarten, dass er ein Leben unterhalb des Existenzminimums führen müsste. Zudem könnte er sich gegebenenfalls zumindest vorübergehend von seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern und seinem Bruder unterstützen lassen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere nicht vom Bestehen eines Abschiebungsverbots auszugehen.
58 
c) Die Ausweisung ist ermessensfehlerfrei erfolgt.
59 
Das Regierungspräsidium hat die im Bescheid vom 03.01.2011 angeführten Ermessenserwägungen in mehreren Schriftsätzen, im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 und im Bescheid vom 27.07.2012 ergänzt und alle nach Erlass der Ausweisungsverfügung eingetretenen Tatsachen und Umstände, insbesondere auch das dem Kläger eingeräumte Umgangsrecht mit seinem Sohn und das Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen berücksichtigt. Bei der umfassenden Abwägung wurden alle für die Ausweisungsentscheidung relevanten Umstände eingestellt und rechtsfehlerfrei abgewogen.
60 
Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 03.01.2011, im Falle des Klägers liege keine "abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse" vor, begründen hier keinen Ermessensfehler. Allerdings kann diese - mehrfach verwendete - Formulierung Anlass zu Missverständnissen sein. Schließlich ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK unter anderem bei Ausländern eröffnet, die - wie der Kläger jedenfalls früher - wegen ihres langjährigen (rechtmäßigen) Aufenthalts in Deutschland und einer erfolgreichen Schul- sowie Berufsausbildung als "verwurzelt" anzusehen sind. Allein der Umstand, dass der Betreffende Straftaten begangen hat, bedeutet nicht, dass er sich nicht mehr auf den Schutz des Privatlebens berufen könnte. Vielmehr sind die Straftaten gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten (vgl. dazu Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.). Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid aber auch ausgegangen.
61 
Ein Ermessensfehler folgt hier auch nicht daraus, dass das Regierungspräsidium im Bescheid vom 03.01.2011 zudem darauf verwiesen hat, dass bei sehr häufigem straffälligen Verhalten ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, durch die Ausweisung andere Ausländer von ähnlichen Straftaten abzuhalten. Denn es durfte die Ausweisung des Klägers ergänzend auch mit dem Aspekt der Generalprävention begründen. Dabei kommt es hier nicht auf die Frage an, ob eine Ausweisung von in Deutschland "nachhaltig verwurzelten“ Ausländern noch (allein) tragend generalpräventiv begründet werden kann (einschränkend Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - InfAuslR 2011, 293; a.A. im Revisionsverfahren bezüglich dieses Urteils: BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Denn jedenfalls ist hier der Aspekt der Abschreckung anderer potentieller Straftäter vom Regierungspräsidium lediglich ergänzend - neben der bestehenden großen Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger - herangezogen worden. Dies lässt sich nicht beanstanden.
62 
4. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der Abschiebung im Dezember 2011 - 11 S 3155/11 - weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Regelung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG der Ausweisung hier nicht entgegensteht. Danach darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Diese Vorschrift dient der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses und nicht dem Schutz des Betreffenden vor einer Ausweisung oder Abschiebung (vgl. im Einzelnen Senatsbeschluss vom 08.12.2011 - 11 S 3155/11 - AuAS 2012, 38). Auf die Frage, ob sich der Kläger gegenüber seiner Ausweisung mit Erfolg auf das Fehlen eines nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmens berufen könnte, kommt es hier schon deshalb nicht an, weil derzeit keine entsprechenden Verfahren mehr offen sind. Soweit strafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht eingestellt worden sind, haben sie zu Anklagen geführt, über welche inzwischen in allen Fällen rechtskräftig entschieden worden ist.
II.
63 
Der Hilfsantrag des Klägers, mit welchem dieser die Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf sofort begehrt, hat lediglich teilweise Erfolg. Die vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach (erneuter) Ausreise bzw. Abschiebung ist insoweit rechtswidrig, als danach die Frist erst mit einer erneuten Ausreise oder Abschiebung und nicht bereits mit dem Erlass des Bescheids zu laufen beginnt. Der Kläger hat einen Anspruch auf entsprechende Änderung der Befristungsentscheidung; er hat jedoch keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung oder gar auf die von ihm begehrte Fristsetzung "auf sofort".
64 
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG - in der hier maßgeblichen Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 - darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (Satz 1). Ihm wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt (Satz 2). Die in den Sätzen 1 und 2 (des § 11 Abs. 1 AufenthG) bezeichneten Wirkungen werden gemäß Satz 3 auf Antrag befristet. Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Satz 4). Bei der Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt mit der Ausreise (Satz 6). Nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.
65 
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) hat - infolge der Änderung von § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - ein Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannte Wirkungen befristet. Dabei genügt für den nach dem Wortlaut des § 11 Absatz 1 Satz 3 AufenthG erforderlichen Antrag jede Willensbekundung des Antragstellers, mit welcher sich dieser gegen eine Ausweisung wendet. Der Betreffende kann dann gegebenenfalls zugleich mit Anfechtung der Ausweisung - hilfsweise - seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung gerichtlich durchsetzen (so schon BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat es über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung zu verpflichten (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, a.a.O., m.w.N.).
66 
Zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit folgt der Senat unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung (vgl. zum Antragserfordernis Senatsurteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170; vgl. auch Urteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412) dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach ist auch hier davon auszugehen, dass es für die an sich nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erforderliche Stellung eines Antrags auf Befristung genügt, dass sich der Kläger gegen die Ausweisung selbst gewandt hat.
67 
2. Die im vorliegenden Fall mit Blick auf das angeführte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2012 (- 1 C 19.11 - juris) vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 erfolgte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung ist lediglich hinsichtlich des Fristbeginns rechtswidrig.
68 
Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, m.w.N.).
69 
Nach diesen Grundsätzen lässt sich die vom Regierungspräsidium verfügte Frist im Grundsatz rechtlich nicht beanstanden. Auch der Senat erachtet eine Frist von vier Jahren und sechs Monaten - allerdings gerechnet ab dem 27.07.2012 - als angemessen.
70 
Dabei kann hier letztlich offen bleiben, ob bei der Bemessung der Frist zwingend die Zeiten "anzurechnen" sind, die der Kläger bereits nach seiner Abschiebung am 15.12.2011 bis zu seiner Wiedereinreise am 27.06.2012 außerhalb des Bundesgebiets verbracht hat. Zwar wäre dann insgesamt die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren um 12 Tage überschritten; von dieser kann hier aber abgewichen werden.
71 
Entgegen der Auffassung des Regierungspräsidiums kann die Zulässigkeit einer Überschreitung der Frist von fünf Jahren im Fall des Klägers allerdings nicht damit begründet werden, dass von diesem eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. AufenthG, vgl., auch Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie -, ABl EU Nr. L 348 vom 24.12.2008 S. 98). Denn eine solche kann wohl nur bei gravierenderen Straftaten angenommen werden. Die Grenze von fünf Jahren ist hier aber jedenfalls deshalb nicht zwingend, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 1. Alt. AufenthG). Eine andere Beurteilung folgt nicht aus der Rückführungsrichtlinie. Nach deren Art. 11 Abs. 1 gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher. Gemäß Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Zum einen stellt eine Ausweisung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170 und vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, jew. m.w.N.) aber keine Rückkehrentscheidung in diesem Sinne dar, so dass die Rückführungsrichtlinie schon deshalb insoweit nicht anzuwenden ist. Zum anderen bestimmt Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten beschließen können, diese unter anderem nicht auf solche Drittstaatsangehörigen anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind. Von dieser "opt-out-Möglichkeit" hat der Gesetzgeber bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit Gebrauch gemacht. In der Begründung zum Entwurf des Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 (Bundestags-Drucks. 17/2740, S. 4, 21) wird zur Änderung von § 11 AufenthG ausgeführt: "Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b – gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt – und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrundeliegen schwerwiegender Straftaten."
72 
Insbesondere in Anbetracht der hohen Wiederholungsgefahr, der "Rückfallgeschwindigkeit" und der erneuten Straffälligkeit des Klägers erachtet der Senat die Frist von vier Jahren und sechs Monaten ab dem 27.07.2012 auch unter Berücksichtigung des nach seiner Abschiebung bereits außerhalb des Bundesgebiets verbrachen Zeitraums und im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet für erforderlich, aber auch ausreichend. Es bleibt dem Kläger unbenommen, bei einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Sachlage, etwa seiner persönlichen Verhältnisse, einen Antrag auf weitergehende Befristung zu stellen.
73 
Die Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums ist jedoch rechtswidrig, soweit der Lauf der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG bestimmt zwar ausdrücklich, dass die Frist (erst) mit der Ausreise beginnt - wobei darunter sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Ausreise fallen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.01.2012 - 1 C 1.11 - InfAuslR 2012, 173). Eine solche liegt hier aber schon in der am 15.12.2011 durchgeführten Abschiebung des Klägers nach Mazedonien. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass diese aufgrund der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der mit dieser verbundenen Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 03.01.2011 erfolgte und keinen Vollzug der Ausweisung bzw. einer von dieser abhängigen Abschiebungsandrohung darstellte. Denn der Kläger ist damit jedenfalls unter Geltung der Ausweisungsentscheidung vom 03.01.2011 ausgereist im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG. Die Ausweisung entfaltete zu diesem Zeitpunkt bereits die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG. Dann kann der Beginn der Frist auch nach (unerlaubter) Wiedereinreise nicht mehr von einer vorhergehenden - zweiten - Ausreise abhängig gemacht werden (vgl. auch Renner, a.a.O., § 11 Rn. 25; Hamb.OVG, Beschluss vom 15.08.1991 - Bs VII 67/91 -InfAuslR 1992, 250). Es ist Sache des beklagten Landes, durch einen zeitnahen Vollzug der Ausreisepflicht das mit der Ausweisung verbundene Einreiseverbot effektiv durchzusetzen.
74 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag teilweise Erfolg hat, handelt es sich um ein geringfügiges Obsiegen, so dass ihm trotzdem die Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
75 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
76 
Beschluss vom 6. November 2012
77 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 20. April 2011 – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
78 
Gründe
79 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 03.01.2011 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (vgl. Ziff. 2) und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung (Ziff. 3). Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -juris).
80 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
32 
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
33 
Die - nach teilweiser Zulassung durch den Senat - statthafte Berufung des Klägers richtet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.04.2011, soweit damit (auch) seine Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.01.2011 abgewiesen worden ist. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründet worden (vgl. § 124a Abs. 6 und Abs. 3 VwGO). Aufgrund der im Berufungsverfahren - mit dem hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrag - erfolgten, zulässigen Einbeziehung der unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 verfügten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist diese ebenfalls Gegenstand des Verfahrens. Darin liegt insbesondere keine Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris). Abgesehen davon hat das beklagte Land in diesem Ergänzungsbescheid explizit darauf hingewiesen, dass die Befristungsentscheidung in dem anhängigen Berufungsverfahren wegen Ausweisung rechtlich überprüft werde, und sich in der Folge sachlich darauf eingelassen. Sollte von einer Klageänderung auszugehen sein, wäre diese daher wegen Einwilligung des beklagten Landes als zulässig anzusehen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 VwGO).
34 
Die Berufung ist aber nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Umfang begründet. Die Klage des Klägers gegen die Ausweisung ist vom Verwaltungsgericht zu Recht abgewiesen worden (dazu unter I.). Denn diese Verfügung - in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 -ist auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156 und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sein - hilfsweise - gestellter Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" hat zu einem geringen Teil Erfolg (II.). Die unter Ziffer 1 des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 erfolgte Befristung auf vier Jahre und sechs Monate ist insoweit rechtswidrig als der Beginn der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. Er hat aber keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
35 
Die Ausweisung ist rechtsfehlerfrei. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 1 AufenthG liegen vor (1.). Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG (2.). Die Entscheidung des Regierungspräsidiums, den Kläger auszuweisen, ist verhältnismäßig und lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (3.). Auch verstößt die Ausweisung nicht gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (4.).
36 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 54 Nr. 1 AufenthG. Diese Regelung ist hier uneingeschränkt anwendbar. Insbesondere folgt nicht etwa allein aus dem Umstand, dass der Kläger Vater eines deutschen Staatsangehörigen - des am 15.11.2003 geborenen A.R. - ist, dass besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten wären (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09 InfAuslR 2011, 268 und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11 InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -NVwZ-RR 2012, 412).
37 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 1 AufenthG sind unstreitig erfüllt. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das ist hier allein schon wegen der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten der Fall. Inzwischen ist zudem das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010, mit welchem er wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war, rechtskräftig. Außerdem erfolgte mit dem Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 - wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung u.a. - eine weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.
38 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu.
39 
Auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann er sich nicht berufen, weil er bereits seit dem 03.09.2008 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Sein Antrag auf Verlängerung der zuvor bestehenden Aufenthaltserlaubnis ist unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart 03.01.2011 abgelehnt worden; diese Entscheidung ist inzwischen bestandskräftig. Die zunächst gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG (in der damals geltenden Fassung, welche § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG n.F. entspricht) eingetretene Fiktionswirkung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats jedenfalls bereits beendet. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können, wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.).
40 
Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger lebt nicht mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft. Zwar kann regelmäßiger Umgang mit einem deutschen Kind für die Annahme dieses Ausweisungsschutzes ausreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 - NVwZ 2009, 387 ff.). Einen solchen hat der Kläger mit seinem Sohn jedoch seit vielen Jahren nicht mehr.
41 
3. Danach ist der Kläger gemäß § 54 Nr. 1 AufenthG "in der Regel auszuweisen". Selbst wenn man - mit dem Regierungspräsidium - zugunsten des Klägers annimmt, dass wegen der zumindest noch bis zur Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 bestehenden Bindungen in bzw. an Deutschland mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK von einer Ausnahme vom Regelfall auszugehen ist und daher die Ausweisung im Ermessen steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116), erweist sich diese als rechtmäßig. Die Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums im Bescheid vom 03.01.2011, welche in der Folge mehrmals, unter anderem im Bescheid über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung vom 27.07.2012, ergänzt und aktualisiert worden sind, lassen sich rechtlich nicht beanstanden.
42 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien Menschenrechte (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03 InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 juris).
43 
Nach diesen Grundsätzen ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig. Sie ist in Ansehung der von diesem ausgehenden Gefahr der Begehung erneuter Straftaten (a) trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein Privatleben als gerechtfertigt bzw. als verhältnismäßig zu beurteilen (b) und auch im Übrigen ermessensfehlerfrei erfolgt (c).
44 
a) Zunächst ist das Regierungspräsidium in den Bescheiden vom 03.01.2011 und vom 27.07.2012 zu Recht davon ausgegangen, dass weiterhin die erhebliche Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger besteht, welche ein öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründet.
45 
Der Kläger hat sich über einen langen Zeitraum hinweg unter anderem wegen Betäubungsmitteldelikten immer wieder strafbar gemacht. Ausweislich der vom Senat zum Verfahren eingeholten Auskunft des Bundesamts für Justiz aus dem Zentralregister enthielt dieses am 06.08.2012 insgesamt neun Eintragungen über strafgerichtliche Verurteilungen. Die älteste betrifft das Urteil des Amtsgerichts Esslingen vom 22.07.2005 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Danach folgen Verurteilungen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 31.05.2007, unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen vom 13.09.2007, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 10.06.2008, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 02.02.2009, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 11.02.2009, Erschleichens von Leistungen mit geringwertigem Schaden in drei Fällen vom 13.02.2009, gefährlicher Körperverletzung vom 15.10.2009 und wegen Diebstahls vom 26.02.2010.
46 
In Anbetracht dieser im Zeitraum zwischen Juli 2005 und Februar 2010 erfolgten Verurteilungen kann hier offen bleiben, ob - und gegebenenfalls inwieweit - frühere strafgerichtliche Entscheidungen, die nicht im Bundeszentral-, sondern lediglich im Erziehungsregister eingetragen sind, bei der Ausweisung zu berücksichtigen wären (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 23.09.2009 - 1 B 16.09 - InfAuslR 2009, 447; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.05.2009 - 13 S 116/09 - VBlBW 2010, 77; Saarl. OVG, Urteil vom 12.10.2011 - 1 A 246/11 -juris). Denn bereits die im Bundeszentralregister aufgeführten strafgerichtlichen Entscheidungen begründen die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an einer Ausweisung des Klägers.
47 
Zwar handelt es sich bei den zugrundeliegenden Straftaten nicht um außerordentlich gravierende Delikte. Bei der gefährlichen Körperverletzung ist das Amtsgericht von einem minder schweren Fall ausgegangen. Die Hartnäckigkeit, mit der der Kläger allein zwischen 2005 und Februar 2010 immer wieder straffällig geworden ist, belegt aber eine besonders hohe Wiederholungsgefahr. Zu den angeführten und im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten kommt zudem noch eine Vielzahl von nach §§ 153b ff. StPO bzw. §§ 31a, 37, 38 BtMG eingestellten Verfahren, zuletzt wegen Erschleichens von Leistungen (am 03.04.2010 und am 05.02.2011) und wegen Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Wohnungseinbruchdiebstahls (am 07.08.2011 und am 08.08.2011). Mit - erst seit dem 09.10.2012 rechtskräftigem - Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 wurde der Kläger zudem wegen Urkundenfälschung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Vom 28.06.2009 bis zum 24.09.2009, vom 18.08.2010 bis zum 26.11.2010 und zuletzt vom 27.09.2011 bis zu seiner Abschiebung nach Mazedonien am 15.12.2011 verbüßte er Freiheitsstrafen. Weder diese Freiheitsstrafen noch andere Vorverurteilungen, laufende Ermittlungsverfahren oder der drohende Widerruf von Aussetzungen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen zur Bewährung hielten ihn von der Begehung weiterer Straftaten ab. Auch die möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen waren ihm offensichtlich keine Warnung. Selbst nach Bekanntgabe des Bescheids vom 03.01.2011, mit welchem der Kläger nicht nur ausgewiesen, sondern auch sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht worden war, wurden gegen ihn die angeführten weiteren Ermittlungsverfahren - wegen einer am 05.02.2011 begangenen "Beförderungserschleichung" und wegen des Verdachts des Wohnungseinbruchdiebstahls, der Unterschlagung eines Kraftfahrzeugs u.a. am 07. bzw. 08.08.2011 - eingeleitet. Die "Rückfallgeschwindigkeit" war danach außerordentlich hoch. In den Jahren 2009 bis 2011 gelang es dem Kläger letztlich nur in Zeiten, in welchen er sich in Haft befand, mehrere Monate lang strafrechtlich unauffällig zu bleiben.
48 
Vor diesem Hintergrund war bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung und ist auch weiter jederzeit mit der Begehung erneuter Straftaten zu rechnen. Davon gehen auch die Strafgerichte aus. Bereits im Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 26.02.2010, mit welchem der Kläger wegen des Diebstahls von drei Flaschen Parfum zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde, wurde die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, weil dem Kläger keine positive Sozialprognose gestellt werden könne. Im Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29.03.2011 - mit welchem die Aussetzung der im Beschluss vom 10.02.2010 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen widerrufen wurde - wird dargelegt, die Freiheitsstrafe sei zur Einwirkung auf den Kläger und zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich. Auch in den erst nach Wiedereinreise des Klägers ergangenen bzw. rechtskräftig gewordenen Urteilen des Amtsgerichts Heilbronn vom 22.07.2010 und des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 wurde keine Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung gewährt.
49 
Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einstellung des Klägers inzwischen maßgeblich geändert haben könnte und die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten gesunken wäre, bestehen nicht. Der Kläger hat sich weder mit seinen Straftaten auseinandergesetzt noch mit seinem (früheren) Drogenkonsum. Ernsthafte Reue oder Einsicht sind weder vorgetragen noch erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, dass allein die erfolgte Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 zu einer solchen Zäsur geführt haben könnte, dass die Wiederholungsgefahr jetzt anders zu beurteilen wäre. Dagegen spricht schon der Umstand, dass er inzwischen weitere Straftaten begangen hat. Er ist am 26.06.2012 unerlaubt und mit gefälschten bulgarischen Personalpapieren wieder nach Deutschland eingereist, weshalb er mit dem bereits angeführten Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 23.08.2012 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde. Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Wunsch des Klägers, Kontakt zu seinem Sohn zu bekommen und zu halten sowie die Beziehung zu seiner Verlobten wieder aufzunehmen, ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten würde. Schließlich hatten in der Vergangenheit weder die Beziehung zu seiner Verlobten noch die Vaterschaft entsprechende Auswirkungen.
50 
Bei dieser Sachlage - vor allem in Anbetracht von Anzahl sowie Art und Gewicht der vom Kläger begangenen Straftaten, seines früheren Drogenkonsums, der außerordentlich hohen "Rückfallgeschwindigkeit", der bislang gezeigten Uneinsichtigkeit und der bis heute fehlenden Tataufarbeitung - ist auch der Senat der Überzeugung, dass vom Kläger weiter eine erhebliche Gefahr der Begehung von diversen Straftaten, darunter Eigentums-, Betäubungsmittel- und auch Gewaltdelikten ausgeht. Das Regierungspräsidium hat daher zu Recht ein erhebliches öffentliches Interesse an seiner Ausweisung angenommen.
51 
b) Mit Blick auf das danach vom Kläger immer noch ausgehende Gefahrenpotential stellt die Ausweisung hier trotz seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland und seiner in dieser Zeit gewachsenen persönlichen Bindungen eine verhältnismäßige und insbesondere mit Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG vereinbare Maßnahme dar.
52 
Allerdings hat die Ausweisung gravierende Folgen für den Kläger. Dieser besitzt zwar nach rechtskräftiger Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Ziffer 2 des Bescheids vom 03.01.2011 ohnehin kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr. Die Ausweisung führt aber - ebenso wie eine Zurück- oder Abschiebung - gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258 - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011) zu einer Wiedereinreisesperre sowie einem Aufenthaltsverbot und sie steht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - in der Regel - der Erteilung eines neuen Titels entgegen (vgl. zum ganzen Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, Vor §§ 53-56 Rn 1 ff.). Die entsprechenden, durch die am 15.12.2011 erfolgte Abschiebung des Klägers nach Mazedonien ebenfalls nach § 11 Satz 1 und 2 AufenthG eingetretenen Wirkungen sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.07.2012 bereits auf den 01.08.2012 befristet worden und damit beendet. Hingegen ist die Frist bezüglich der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monaten festgesetzt worden (Ziffer 1 des Bescheids, vgl. zum Beginn der Frist unten II.). Dies bedeutet für den Kläger, dass er - jedenfalls bei unveränderter Sachlage - in den nächsten Jahren nicht mehr ohne Weiteres nach Deutschland einreisen und sich hier aufhalten kann. Die Ausweisung hat daher noch weitgehendere Folgen für seine familiären und sozialen Bindungen zu in Deutschland lebenden Personen - insbesondere zu Eltern und Bruder, zu seiner Verlobten und zu seinem am 15.11.2003 geborenen Sohn - als es allein der fehlende Aufenthaltstitel und die erfolgte Abschiebung haben.
53 
Der Kläger hat sich bereits - wenn auch nicht ununterbrochen - von 1989 bis 1994 und erneut von 1998 bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 in Deutschland aufgehalten. Vom 07.06.2004 bis zum 02.09.2008 war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, im Anschluss galt sein Aufenthalt bis zur Ablehnung seines Verlängerungsantrags mit Bescheid vom 03.01.2011 als erlaubt. Er hat eine Lehre als Bäcker abschlossen und war bis Juni 2009 als Bäcker tätig. Die Eltern des Klägers und sein Bruder leben in Deutschland. Zuletzt wohnte er bei seinem Vater. Der Kläger ist - oder war jedenfalls - außerdem mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt; beide wollten noch vor der Abschiebung des Klägers im Dezember 2011 heiraten. Nach der Abschiebung bestand offensichtlich kein enger Kontakt mehr; der Kläger hat aber im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 erläutert, dass er vor allem deshalb Ende Juni 2012 erneut eingereist sei, um die Beziehung wieder aufzunehmen. Seinen Sohn hat der Kläger zwar nach seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit der Mutter des Sohnes offensichtlich jahrelang nicht mehr gesehen; er hat aber kurz vor seiner erneuten Inhaftierung am 27.09.2011 ein (betreutes) Umgangsrecht erstritten, zu dessen Anbahnung beim Kinderschutzbund bereits ein Eltern-Erstgespräch stattgefunden hatte. Im Erörterungstermin am 25.07.2012 hat er dargelegt, dass ihm an einer Beziehung zu seinem Sohn gelegen sei. Er habe die Mutter angeschrieben und gebeten, einen normalen Kontakt zu ermöglichen.
54 
Da der Kläger danach nicht in einer familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn lebt und er auch seit Jahren keinen unmittelbaren Kontakt zu seinem Sohn mehr hatte, kann er sich nicht mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen und auch nicht auf das in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Familienlebens (vgl. dazu ausführlich Senatsbeschluss vom 16.08.2011 im Verfahren auf Zulassung der Berufung - 11 S 1656/11 - m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; EGMR, Urteil vom 11.07.2000 - 29192/95 InfAuslR 2000, 473). Die Ausweisung greift aber in sein Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK und in sein durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Da der Kläger inzwischen über kein Aufenthaltsrecht mehr verfügt und bereits abgeschoben wurde, kann seinen Bindungen nicht mehr dasselbe Gewicht beigemessen werden wie zu Zeiten, in denen er sich rechtmäßig hier aufgehalten hat. Selbst wenn man insoweit aber zu seinen Gunsten auf den Zeitpunkt der Ausweisung abstellen würde, ist der Eingriff in sein Privatleben hier auch in Ansehung der früheren Bindungen in Deutschland und der für ihn mit einem Leben in Mazedonien verbundenen Schwierigkeiten wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als - mit Blick auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG - verfassungsrechtlich gerechtfertigt bzw. als gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und insbesondere als verhältnismäßig anzusehen.
55 
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger offensichtlich nur in den ersten drei bis vier Lebensjahren näheren Kontakt zu seinem Kind A.R. hatte. Im Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 06.05.2011, mit welchem ihm ein betreuter Umgang eingeräumt wurde, wird ausgeführt, dass die Mutter des Kindes und der Kläger sich getrennt hätten, als A.R. drei Jahre alt gewesen sei. Eine kurze Zeit danach habe die Kindsmutter noch die Eltern des Klägers und den Kläger besucht. Danach hätten keinerlei Kontakte mehr stattgefunden. Der Kläger habe auch nach eigenen Angaben seinen Sohn nicht mehr besucht, keinen telefonischen Kontakt zu ihm gehabt, ihm keine Karten geschickt und auch keine Geschenke gemacht. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen hat der Kläger zudem viele Jahre keinen - oder zu wenig - Unterhalt geleistet. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Mutter des Kindes schon früher gegen einen Umgang des Klägers mit A.R. gewesen sein und diesen verhindert haben sollte, fällt doch auf, dass der Kläger sich erstmals nach Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und Ausweisung im Bescheid vom 03.01.2011 ernsthaft um einen Umgang mit seinem Sohn bemüht hat. Im dem danach von ihm angestrengten gerichtlichen Verfahren wegen Umgangs wurde davon ausgegangen, dass der Sohn den Kläger erst kennenlernen müsse; er sei "neugierig" auf ihn. Tatsächlich ist es dann offensichtlich nicht mehr zu einem Treffen gekommen.
56 
Soweit sich der Kläger auf sein Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen beruft, kann offen bleiben, ob diese Beziehung noch besteht. Allerdings hat er nach seiner Abschiebung im Dezember 2011 offensichtlich kaum mehr Kontakt zu seiner Verlobten gehabt; insbesondere ist es nicht zu der zunächst für Februar 2012 angekündigten Heirat gekommen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass beide weiterhin die Absicht haben, einander zu heiraten, steht dies einer Ausweisung hier in Ansehung der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ebenso wenig entgegen wie die Beziehung des Klägers zu seinen Eltern, seinem Bruder und zu in Deutschland lebenden Freunden und Bekannten.
57 
Dem Kläger ist ein Leben in Mazedonien auch zuzumuten. Er lebte nicht seit seiner Geburt, sondern erst seit November 1998 - also seit seinem 14. Lebensjahr - bis zu seiner Abschiebung am 15.12.2011 durchgehend in Deutschland. Obwohl er sich mit seinen Eltern bereits zuvor - mit Unterbrechungen vom 28.08.1989 bis November 1994 - in Deutschland aufgehalten hat, hat er jedenfalls einen wesentlichen Teil seiner Kindheit noch im heutigen Mazedonien verbracht. Von Dezember 2011 bis zu seiner unerlaubten Wiedereinreise am 26.06.2012 hat er sich wieder dort aufgehalten. Er hat in Mazedonien Verwandte. Zwar hat er vorgetragen, er habe nicht mehr länger bei seiner Tante wohnen dürften, bei der er nach seiner Abschiebung zunächst drei Monate lang gelebt habe. Er habe dann ohne Papiere, welche man ihm beim Versuch einer Ausreise nach Serbien abgenommen habe, und in ständiger Angst vor willkürlichen Verhaftungen wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma "auf der Straße leben" müssen. Tatsächlich haben Roma in Mazedonien mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch kann zwangsweise zurückgeführten mazedonischen Straftätern oder Asylbewerbern für die Dauer von einem Jahr der Pass entzogen werden. Dies kann unter anderem zur Verweigerung einer Ausreise des Betreffenden aus Mazedonien führen (vgl. AA an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 06.08.2012). Ohne Papiere kann es außerdem zu Problemen beim Zugang zu Sozialhilfe- und Gesundheitsfürsorgeleistungen kommen (vgl. a.i. Mazedonien-Report 2012). Im Falle des 27-jährigen Klägers ist aber nicht zu erwarten, dass er ein Leben unterhalb des Existenzminimums führen müsste. Zudem könnte er sich gegebenenfalls zumindest vorübergehend von seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern und seinem Bruder unterstützen lassen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere nicht vom Bestehen eines Abschiebungsverbots auszugehen.
58 
c) Die Ausweisung ist ermessensfehlerfrei erfolgt.
59 
Das Regierungspräsidium hat die im Bescheid vom 03.01.2011 angeführten Ermessenserwägungen in mehreren Schriftsätzen, im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin am 25.07.2012 und im Bescheid vom 27.07.2012 ergänzt und alle nach Erlass der Ausweisungsverfügung eingetretenen Tatsachen und Umstände, insbesondere auch das dem Kläger eingeräumte Umgangsrecht mit seinem Sohn und das Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen berücksichtigt. Bei der umfassenden Abwägung wurden alle für die Ausweisungsentscheidung relevanten Umstände eingestellt und rechtsfehlerfrei abgewogen.
60 
Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 03.01.2011, im Falle des Klägers liege keine "abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse" vor, begründen hier keinen Ermessensfehler. Allerdings kann diese - mehrfach verwendete - Formulierung Anlass zu Missverständnissen sein. Schließlich ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK unter anderem bei Ausländern eröffnet, die - wie der Kläger jedenfalls früher - wegen ihres langjährigen (rechtmäßigen) Aufenthalts in Deutschland und einer erfolgreichen Schul- sowie Berufsausbildung als "verwurzelt" anzusehen sind. Allein der Umstand, dass der Betreffende Straftaten begangen hat, bedeutet nicht, dass er sich nicht mehr auf den Schutz des Privatlebens berufen könnte. Vielmehr sind die Straftaten gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten (vgl. dazu Senatsurteil vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - InfAuslR 2012, 1, m.w.N.). Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid aber auch ausgegangen.
61 
Ein Ermessensfehler folgt hier auch nicht daraus, dass das Regierungspräsidium im Bescheid vom 03.01.2011 zudem darauf verwiesen hat, dass bei sehr häufigem straffälligen Verhalten ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, durch die Ausweisung andere Ausländer von ähnlichen Straftaten abzuhalten. Denn es durfte die Ausweisung des Klägers ergänzend auch mit dem Aspekt der Generalprävention begründen. Dabei kommt es hier nicht auf die Frage an, ob eine Ausweisung von in Deutschland "nachhaltig verwurzelten“ Ausländern noch (allein) tragend generalpräventiv begründet werden kann (einschränkend Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - InfAuslR 2011, 293; a.A. im Revisionsverfahren bezüglich dieses Urteils: BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Denn jedenfalls ist hier der Aspekt der Abschreckung anderer potentieller Straftäter vom Regierungspräsidium lediglich ergänzend - neben der bestehenden großen Gefahr der Begehung erneuter Straftaten durch den Kläger - herangezogen worden. Dies lässt sich nicht beanstanden.
62 
4. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der Abschiebung im Dezember 2011 - 11 S 3155/11 - weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Regelung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG der Ausweisung hier nicht entgegensteht. Danach darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Diese Vorschrift dient der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses und nicht dem Schutz des Betreffenden vor einer Ausweisung oder Abschiebung (vgl. im Einzelnen Senatsbeschluss vom 08.12.2011 - 11 S 3155/11 - AuAS 2012, 38). Auf die Frage, ob sich der Kläger gegenüber seiner Ausweisung mit Erfolg auf das Fehlen eines nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmens berufen könnte, kommt es hier schon deshalb nicht an, weil derzeit keine entsprechenden Verfahren mehr offen sind. Soweit strafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht eingestellt worden sind, haben sie zu Anklagen geführt, über welche inzwischen in allen Fällen rechtskräftig entschieden worden ist.
II.
63 
Der Hilfsantrag des Klägers, mit welchem dieser die Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf sofort begehrt, hat lediglich teilweise Erfolg. Die vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach (erneuter) Ausreise bzw. Abschiebung ist insoweit rechtswidrig, als danach die Frist erst mit einer erneuten Ausreise oder Abschiebung und nicht bereits mit dem Erlass des Bescheids zu laufen beginnt. Der Kläger hat einen Anspruch auf entsprechende Änderung der Befristungsentscheidung; er hat jedoch keinen Anspruch auf eine weitergehende Befristung oder gar auf die von ihm begehrte Fristsetzung "auf sofort".
64 
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG - in der hier maßgeblichen Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 - darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (Satz 1). Ihm wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt (Satz 2). Die in den Sätzen 1 und 2 (des § 11 Abs. 1 AufenthG) bezeichneten Wirkungen werden gemäß Satz 3 auf Antrag befristet. Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Satz 4). Bei der Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt mit der Ausreise (Satz 6). Nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.
65 
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) hat - infolge der Änderung von § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - ein Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannte Wirkungen befristet. Dabei genügt für den nach dem Wortlaut des § 11 Absatz 1 Satz 3 AufenthG erforderlichen Antrag jede Willensbekundung des Antragstellers, mit welcher sich dieser gegen eine Ausweisung wendet. Der Betreffende kann dann gegebenenfalls zugleich mit Anfechtung der Ausweisung - hilfsweise - seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung gerichtlich durchsetzen (so schon BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255). Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat es über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung zu verpflichten (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, a.a.O., m.w.N.).
66 
Zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit folgt der Senat unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung (vgl. zum Antragserfordernis Senatsurteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170; vgl. auch Urteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412) dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach ist auch hier davon auszugehen, dass es für die an sich nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erforderliche Stellung eines Antrags auf Befristung genügt, dass sich der Kläger gegen die Ausweisung selbst gewandt hat.
67 
2. Die im vorliegenden Fall mit Blick auf das angeführte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2012 (- 1 C 19.11 - juris) vom Regierungspräsidium unter Ziffer 1 des Bescheids vom 27.07.2012 erfolgte Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre und sechs Monate nach erfolgter Ausreise oder erneuter Abschiebung ist lediglich hinsichtlich des Fristbeginns rechtswidrig.
68 
Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, m.w.N.).
69 
Nach diesen Grundsätzen lässt sich die vom Regierungspräsidium verfügte Frist im Grundsatz rechtlich nicht beanstanden. Auch der Senat erachtet eine Frist von vier Jahren und sechs Monaten - allerdings gerechnet ab dem 27.07.2012 - als angemessen.
70 
Dabei kann hier letztlich offen bleiben, ob bei der Bemessung der Frist zwingend die Zeiten "anzurechnen" sind, die der Kläger bereits nach seiner Abschiebung am 15.12.2011 bis zu seiner Wiedereinreise am 27.06.2012 außerhalb des Bundesgebiets verbracht hat. Zwar wäre dann insgesamt die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren um 12 Tage überschritten; von dieser kann hier aber abgewichen werden.
71 
Entgegen der Auffassung des Regierungspräsidiums kann die Zulässigkeit einer Überschreitung der Frist von fünf Jahren im Fall des Klägers allerdings nicht damit begründet werden, dass von diesem eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. AufenthG, vgl., auch Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie -, ABl EU Nr. L 348 vom 24.12.2008 S. 98). Denn eine solche kann wohl nur bei gravierenderen Straftaten angenommen werden. Die Grenze von fünf Jahren ist hier aber jedenfalls deshalb nicht zwingend, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (§ 11 Abs. 1 Satz 4, 1. Alt. AufenthG). Eine andere Beurteilung folgt nicht aus der Rückführungsrichtlinie. Nach deren Art. 11 Abs. 1 gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher. Gemäß Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Zum einen stellt eine Ausweisung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - DVBl. 2012, 1170 und vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, jew. m.w.N.) aber keine Rückkehrentscheidung in diesem Sinne dar, so dass die Rückführungsrichtlinie schon deshalb insoweit nicht anzuwenden ist. Zum anderen bestimmt Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten beschließen können, diese unter anderem nicht auf solche Drittstaatsangehörigen anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind. Von dieser "opt-out-Möglichkeit" hat der Gesetzgeber bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit Gebrauch gemacht. In der Begründung zum Entwurf des Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 (Bundestags-Drucks. 17/2740, S. 4, 21) wird zur Änderung von § 11 AufenthG ausgeführt: "Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b – gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt – und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrundeliegen schwerwiegender Straftaten."
72 
Insbesondere in Anbetracht der hohen Wiederholungsgefahr, der "Rückfallgeschwindigkeit" und der erneuten Straffälligkeit des Klägers erachtet der Senat die Frist von vier Jahren und sechs Monaten ab dem 27.07.2012 auch unter Berücksichtigung des nach seiner Abschiebung bereits außerhalb des Bundesgebiets verbrachen Zeitraums und im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet für erforderlich, aber auch ausreichend. Es bleibt dem Kläger unbenommen, bei einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Sachlage, etwa seiner persönlichen Verhältnisse, einen Antrag auf weitergehende Befristung zu stellen.
73 
Die Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums ist jedoch rechtswidrig, soweit der Lauf der Frist danach eine erneute Ausreise oder Abschiebung des Klägers voraussetzt. § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG bestimmt zwar ausdrücklich, dass die Frist (erst) mit der Ausreise beginnt - wobei darunter sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Ausreise fallen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.01.2012 - 1 C 1.11 - InfAuslR 2012, 173). Eine solche liegt hier aber schon in der am 15.12.2011 durchgeführten Abschiebung des Klägers nach Mazedonien. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass diese aufgrund der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der mit dieser verbundenen Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 03.01.2011 erfolgte und keinen Vollzug der Ausweisung bzw. einer von dieser abhängigen Abschiebungsandrohung darstellte. Denn der Kläger ist damit jedenfalls unter Geltung der Ausweisungsentscheidung vom 03.01.2011 ausgereist im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG. Die Ausweisung entfaltete zu diesem Zeitpunkt bereits die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG. Dann kann der Beginn der Frist auch nach (unerlaubter) Wiedereinreise nicht mehr von einer vorhergehenden - zweiten - Ausreise abhängig gemacht werden (vgl. auch Renner, a.a.O., § 11 Rn. 25; Hamb.OVG, Beschluss vom 15.08.1991 - Bs VII 67/91 -InfAuslR 1992, 250). Es ist Sache des beklagten Landes, durch einen zeitnahen Vollzug der Ausreisepflicht das mit der Ausweisung verbundene Einreiseverbot effektiv durchzusetzen.
74 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag teilweise Erfolg hat, handelt es sich um ein geringfügiges Obsiegen, so dass ihm trotzdem die Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
75 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
76 
Beschluss vom 6. November 2012
77 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 20. April 2011 – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
78 
Gründe
79 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 03.01.2011 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (vgl. Ziff. 2) und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung (Ziff. 3). Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -juris).
80 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.05.2013 - 11 K 563/12 - geändert.

Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 24.02.2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage gegen die Verfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.01.2012 und vom 24.02.2014 abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Das beklagte Land wendet sich mit seiner Berufung gegen die Aufhebung der Verfügung, mit der das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger ausgewiesen und die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG abgelehnt hat, durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Der Kläger, der der Berufung entgegentritt, begehrt hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten zur Befristung der Ausweisung auf Null.
Der am ...1964 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist ledig und kinderlos. Sein Vater ist inzwischen verstorben, die Mutter wohnt noch in der Türkei.
Der Kläger besuchte die 5-jährige Primärschule und das Gymnasium. Ab 1988 studierte er an der Universität A... Soziologie. Im Jahre 1989 wurde er in der Türkei unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der Revolutionären Linken inhaftiert. Nach etwa einem Jahr wurde er während des laufenden Strafverfahrens zunächst entlassen und setzte sein Studium fort. Zwei Jahre später wurde er zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, worauf er sich weitere etwa drei Jahre in Haft befand, bis er aufgrund einer Amnestie der türkischen Regierung entlassen wurde. Als er erfuhr, dass er erneut wegen Strafverfolgung gesucht wurde, nämlich aufgrund des Inhalts seiner Verteidigungsrede im vorherigen Strafverfahren, befürchtete er, auch den Rest der Freiheitsstrafe von 15 Jahren verbüßen zu müssen, und floh unter Verwendung eines falschen Passes Ende 1995 nach Deutschland.
Am 20.11.1995 stellte er einen Asylantrag, der vom Bundesamt abgelehnt wurde. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11.05.2000 - 5 K 10696/96 - wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (1990) hinsichtlich der Türkei vorliegen.
Der Kläger erhielt am 29.09.2000 eine Aufenthaltsbefugnis, die bis zum 19.09.2006 verlängert wurde. Nachdem er die Verlängerung beantragt hatte, erhielt er zunächst Fiktionsbescheinigungen.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 09.10.2008 wurde die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen. Mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18.02.2009 - A 11 K 4050/08 - wurde dieser Widerrufsbescheid aufgehoben.
Die von den türkischen Behörden im Jahre 2008 beantragte Auslieferung des Klägers unterblieb, weil das Bundesministerium der Justiz dieser nicht zugestimmt hatte.
Der Kläger ist rechtskräftig wegen Urkundenfälschung, mehreren Verstößen gegen das Asylverfahrensgesetz sowie Beleidigung in zwei Fällen und versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden. Zuletzt wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009 - 18 KLs 6 Js 39617/08 - wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot nach dem Vereinsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten auf Bewährung verurteilt. Nach den dortigen Feststellungen hat der Kläger das über die DHKP-C verhängte Organisationsverbot gekannt und sich spätestens ab Juli 2006 bis 21.03.2007 als Aktivist dieser Vereinigung betätigt. Aufgrund seiner langjährigen Affinität zur „Revolutionären Linken" und der festgestellten Nähebeziehung des Klägers zum Gebietsverantwortlichen Süd der DHKP-C in Deutschland und seiner engen Verbindung zum DHKP-C Aktivisten E... G..., für den er in seiner Wohnung wichtige Unterlagen verwahrt und der ersichtlich beim Druck und Vertrieb der „Yürüyüs" eine entscheidende Rolle gespielt hat, erschien es dem Landgericht ausgeschlossen, dass der Kläger das DHKP-C-Verbot nicht gekannt hat oder dass ihm die Eigenschaft der „Yürüyüs" als Publikationsorgan der verbotenen Organisation verborgen geblieben ist, deren Vertrieb er vereinsbezogen unterstützt hat. Zugunsten des Klägers wurde davon ausgegangen, dass er persönlich die gewalttätige Komponente der Ideologie der DHKP-C nicht befürwortet und die Organisation in den letzten Jahren nicht durch Gewalttaten in Deutschland aufgefallen ist.
Der Kläger arbeitete - meist geringfügig oder untervollschichtig - für verschiedene Unternehmen im Reinigungsgewerbe. Zuletzt wurde ihm am 17.01.2007 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG befristet bis zum 16.01.2010 erteilt. Auf seine Vorsprache bei der zuständigen Ausländerbehörde erhielt der Kläger am 15.01.2010 eine Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, die letztmalig am 19.07.2011 bis zum 23.01.2012 verlängert wurde.
10 
Mit Schreiben des Beklagten vom 31.10.2011 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Ablehnung seines Antrags und zur beabsichtigten Ausweisung angehört.
11 
Mit Bescheid vom 20.01.2012, zugestellt am 23.01.2012, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt (Ziffer 2). Weiterhin wurde er verpflichtet, sich einmal wöchentlich bei dem Polizeirevier 8 in S...-... zu melden; sein Aufenthalt wurde auf das Stadtgebiet S... beschränkt (Ziffer 3). Der sofortige Vollzug der Verfügungen zu Ziffer 1 und 3 wurde angeordnet.
12 
Die Ausweisungsentscheidung wurde auf § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG gestützt. Die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 seien nicht gegeben, weil der Kläger nicht Arbeitnehmer in diesem Sinne sei, weshalb ihm eine Privilegierung nach § 14 ARB 1/80 nicht zu Gute komme. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG lägen vor, weil der Kläger die DHKP-C, eine terroristische Organisation, unterstütze. Auch die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG lägen vor. Der Ausweisung des Klägers stehe auch nicht der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG entgegen, weil die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten sei. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK stünden der Ausweisung schon deshalb nicht entgegen, weil der Kläger in keiner familiären Gemeinschaft lebe. Nach dem Grundsatz der Herabstufung sei über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden gewesen. Die danach vorzunehmende Abwägung gehe zu Lasten des Klägers aus. Die Ausweisung des Klägers verfolge general- und spezialpräventive Zwecke. Auch wenn er aufgrund seines Abschiebeschutzes zu dulden sei, sei der Erlass der Ausweisungsverfügung auf der Grundlage des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG bereits deshalb erforderlich und sinnvoll, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Der Erteilung eines Aufenthaltstitels stehe bereits die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG entgegen. Darüber hinaus sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 5 Abs. 4 AufenthG zwingend zu versagen, da die Ausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG erfüllt seien. Auch lägen keine Anhaltspunkte für eine tätige Reue nach § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vor. Die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen nach § 54a AufenthG sei aus Gründen der inneren Sicherheit erforderlich.
13 
Mit dem am 22.02.2012 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Eilantrag - 11 K 582/12 - beantragte der Kläger, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung vom 20.01.2012 wiederherzustellen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23.05.2012 wurde diesem Antrag hinsichtlich der Ziffern 1 und 3 entsprochen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Beklagten wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28.01.2013 - 11 S 1187/12 - zurückgewiesen.
14 
Der Kläger hat am 21.02.2012 „Anfechtungsklage gegen die Ausweisung“ erhoben, beantragt, den Bescheid vom 20.01.2012 aufzuheben und im Wesentlichen geltend gemacht, ihm würden Sachverhalte vorgehalten, die lange zurücklägen. Im Übrigen habe er immer bestritten und bestreite dies unverändert, zu irgendeinem Zeitpunkt die DHKP-C tatsächlich unterstützt zu haben. Er habe immer die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland respektiert und beachtet.
15 
Das beklagte Land ist der Klage entgegengetreten.
16 
Mit Urteil vom 17.05.2013 - 11 K 563/12 - hat das Verwaltungsgericht den angegriffenen Bescheid insgesamt aufgehoben. Ob der Beklagte zu Recht davon ausgegangen sei, dass dem Kläger kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen mit der Türkei zukomme, könne dahinstehen, weil jedenfalls die tatbestandlichen Voraussetzungen der vom Beklagten geltend gemachten Ausweisungsgründe gemäß § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG nicht vorlägen. Zudem habe der Beklagte von dem ihm eingeräumten Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht. Habe die Ausweisung keinen Bestand, erwiesen sich die unter Ziffer 2 und 3 des Bescheids vom 20.01.2012 getroffenen Regelungen ebenfalls als rechtswidrig.
17 
Das beklagte Land hat gegen dieses ihm am 24.05.2013 zugestellte Urteil am 07.06.2013 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Dazu hat es u.a. ausgeführt, dass es an seinen generalpräventiven Ermessenserwägungen (vgl. Ausweisungsverfügung S. 46) nicht festhalte und die Ausweisung des Klägers allein tragend auf spezialpräventive Gründe stütze. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.12.2011 (1 C 14.10) hat es die entsprechenden Ausführungen in seinem Bescheid ersetzt.
18 
Mit Beschluss vom 22.10.2013, dem Beklagten zugestellt am 28.10.2013, hat der Senat die Berufung des Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassen.
19 
Das beklagte Land hat die zugelassene Berufung am 25.11.2013 begründet und im Wesentlichen geltend gemacht, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger durch sein Verhalten die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG erfüllt. Er habe seit 1998 bis in die Gegenwart die Terrororganisation DHKP-C in qualifizierter Weise unterstützt, er sei DHKP-C-Funktionär und er gefährde die Sicherheit und die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, da
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- er 1998 und 2001 bei Polizeikontrollen zahlreiche DHKP-C-Publikationen und DHKP-C-Propagandamaterial mit sich geführt,
- 2002 an einer DHKP-C-Schulung teilgenommen habe,
- zumindest im Jahr 2006 zusammen mit dem hohen DHKP-C-Funktionär A... D... Y... für die Terrororganisation tätig gewesen sei und den A... D... Y... auch beherbergt habe und
- 2006 und 2007 am entgeltlichen Vertrieb der DHKP-C-Zeitschrift „Yürüyüs" auch überregional und ins benachbarte Ausland umfassend beteiligt gewesen sei,
- bei Durchsuchungen seiner Wohnung 2006 und 2007 sowie einer Polizeikontrolle 2007 wiederum zahlreiche Exemplare der „Yürüyüs", Lieferscheine, Adressen und Quittungen, ein Block Eintrittskarten für das DHKP-C-Europatreffen April 2007 und zwei DHKP-C-Propaganda-CD's zum DHKP-C-Todesfasten bei ihm vorgefunden worden seien,
- er regelmäßiger Besucher des DHKP-C-Tarnvereins „Anatolisches Kunst- und Kulturhaus e.V." in S... gewesen sei und an dessen Veranstaltungen teilgenommen habe und
- mit DHKP-C-Aktivisten wie E... D... und E... G... für die Terrororganisation tätig gewesen sowie
- an den DHKP-C-Parteiveranstaltungen am 10.04.2010 in Wuppertal, am 16.04.2011 in Lüttich/Belgien und am 18.12.2011 in Stuttgart teilgenommen habe.
21 
Diese Aktivitäten seien zudem vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Kläger bereits in der Türkei seit Ende der 80-er Jahre der Vorläuferorganisation Devrimci Sol angehört und diese unterstützt habe. Zu den Aktivitäten des Klägers im Einzelnen werde auf die Ausweisungsverfügung, das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und die Begründung des Zulassungsantrags verwiesen. Die dort genannten nachgewiesenen Tatsachen rechtfertigten die Schlussfolgerung, dass der Kläger die DHKP-C in qualifizierter Weise unterstütze und ihr durch strukturelle Einbindung als Funktionär angehöre. Der Kläger sei bis in die Gegenwart einvernehmlich als Funktionär mit eigenem Verantwortungsbereich in die Strukturen der DHKP-C eingebunden gewesen und fördere damit den inneren Zusammenhalt und die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele und damit deren Gefährlichkeit nicht nur in der Türkei, sondern durch Stärkung der hier befindlichen DHKP-C-Rückfront auch in der Bundesrepublik Deutschland. Dies alles sei dem Kläger nicht nur ohne weiteres erkennbar gewesen, sondern er habe auch angesichts seiner langjährigen Einbindung in die DHKP-C und ihre Vorläuferorganisation Devrimci Sol diese Terrororganisation wissentlich und willentlich unterstützt und gehöre ihr ebenso wissentlich und willentlich in gehobener Funktion an, so dass neben dem objektiven auch der subjektive Tatbestand der Art. 21 und 24 QRL i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt sei.
22 
Hinzu kämen weitere Tatsachen und Erkenntnisse aus dem strafgerichtlichen Verfahren und dem darauf beruhenden Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 -) betreffend den DHKP-C-Aktivisten und -Funktionär E... D..., die durch die dortigen Beweismittel belegt seien. So werde nach dem Strafurteil beispielhaft für eine DHKP-C-Massenschulung „eine in der Zeit vom 19. bis 30. August 2002 in Neuhausen-Schellbronn (Enzkreis) durchgeführte, als „Familientreffen" bezeichnete Veranstaltung" angeführt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 30). Weiter werde seine Mitwirkung am entgeltlichen Vertrieb der DHKP-C-Zeitschrift „Yürüyüs" zusammen mit dem DHKP-C-Funktionär A... D... Y... und den DHKP-C-Aktivisten E... D... und E... G... im Frühjahr/Sommer 2006 detailliert dargelegt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 38 und 94 ff.) und zudem darauf hingewiesen, dass es „gerichtsbekannt sei", dass es sich bei der „Yürüyüs" „um eine von der DHKP-C zur propagandistischen Verbreitung ihrer Zielsetzungen und Aktivitäten genutzte Publikation handelt", wobei das OLG Stuttgart „auch auf die überzeugenden Ausführungen im (dortigen) Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz" Bezug nehme (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 81). Zu Lasten des Klägers gingen auch die weiteren Feststellungen des Strafurteils, wonach neben E... D...-... am 28.11.2006 „- der ebenfalls im Gebiet S... für die DHKP-C agierende 'Aktivist'“ - auch der Kläger von der Polizei - schlafend in den Räumlichkeiten des Tarnvereins der Organisation in S... (S... ...) angetroffen worden sei und im Rahmen der damit einhergehenden Durchsuchungsmaßnahmen u.a. „ein USB-Stick und ein blaues Ringbuch“ aufgefunden und sichergestellt worden seien, welche „Aufzeichnungen über Abrechnungen aus dem Verkauf der Zeitschrift Yürüyüs, den Zeitraum Mai 2005 bis November 2006 betreffend" enthalten hätten, wobei im Ringbuch überdies (handschriftlich) Vermerke zu Spendengeldsammlungen in Süddeutschland eingetragen gewesen seien (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 39). Auch führe das Strafurteil aus, dass E... D... und O... zusammen mit dem seinerzeit (ebenfalls) im Gebiet S... für die DHKP-C tätigen Kläger und einer weiteren (männlichen) Person - in einem PKW von S... aus – in die Niederlande gefahren sei, nachdem der frühere Generalsekretär der DHKP-C, Dursun Karatas, dort am selben Tag (11. August 2008) verstorben gewesen sei (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 41). Von Bedeutung seien auch die Ausführungen in dem Strafurteil, „dass E... D... - u.a. zusammen mit A... T... - der Gruppierung um den (früheren) Verantwortlichen der DHKP-C im Gebiet S..., Ö... A..., angehörte" und dass „diese Einschätzung durch die nachweislichen Kontakte zwischen" E... D... „und A... T..." gestützt werde (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 99 f.). Zudem lege das Strafurteil dar, dass E... D... „auch in Unterredungen mit dem (früheren) Deutschlandverantwortlichen Ö... im November 2009 (andauernden) Kontakt mit 'A...' bestätigt und im Zuge der Berichterstattung über (vormalige organisationsinterne) Gegebenheiten im Gebiet S... ergänzende Ausführungen zu 'A...' gemacht habe, wobei aus dem Sinnzusammenhang deutlich werde, dass es sich um den Kläger handele (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 100). Wichtige Hinweise enthalte das Strafurteil auch insofern, als das Parteifest der DHKP-C in Wuppertal am 10.04.2010 erwähnt werde, „auf dem (u.a.) eine Verlautbarung der Partei bekannt gegeben wurde, in der (auch) die 'Fortsetzung des Kampfes für Sozialismus und Revolution durch die DHKP-C' thematisiert wurde" (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 45). Dies gelte entsprechend für die gerichtlichen Ausführungen zu dem am 16.04.2011 „aus Anlass des Parteigründungstags veranstalteten Jahrestreffen der DHKP-C in Lüttich/Belgien" und die am 18.12.2011 „in Stuttgart durchgeführte(n) 'Gedenkveranstaltung der DHKP-C' zum Jahrestag der 'Gefängniserstürmung' in der Türkei" (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 45; zur Bedeutung des jährlichen Parteifestes zum Gründungstag und Gedenken an die „Gefallenen der Revolution" sowie als kommerzielle Veranstaltung vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 24 f.). In dem Strafurteil wurden weiterhin neben den bis 2012 von der DHKP-C verübten Attentaten auch die DHKP-C-Anschläge seit 2012 bis in die Gegenwart sowie eine von der Terrororganisation durchgeführte interne „Bestrafungsaktion" an einer DHKP-C-Zugehörigen am 25.10.2012 angeführt. Weiter werde durch das Strafurteil der konspirative politisch-terroristische Charakter der DHKP-C-Schulung vom 19.08.2002 bis 30.08.2002 in Neuhausen, an welcher der Kläger teilgenommen habe, nachdrücklich bestätigt. Zudem belege das Strafurteil auch die bewusste und gewollte umfassende und eigenverantwortliche Beteiligung des Klägers am entgeltlichen Vertrieb in Deutschland und Europa der von der DHKP-C zur massenhaften Propagierung und Weiterverbreitung ihrer Ideologie und Aktivitäten genutzten Zeitschrift „Yürüyüs" in Zusammenarbeit mit dem hohen DHKP-C-Funktionär ...-... D... Y... und weiteren DHKP-C-Aktivisten und -Funktionären. Durch die Zugehörigkeit des Klägers zu der Gruppierung um den früheren Gebietsleiter für S... Ö... A... werde zum Ausdruck gebracht, dass seinerzeit eine strukturierte und gehobene Eingliederung des Klägers in die DHKP-C bestanden habe. Die Wichtigkeit des Klägers belege auch die Tatsache, dass der DHKP-C-Aktivist E... D... in Unterredungen mit dem früheren DHKP-C-Deutschlandverantwortlichen Ö... im November 2009 über die andauernde Verbindung zu dem Kläger berichtet und ergänzende Ausführungen zu ihm gemacht habe.
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Mit Schriftsatz vom 03.03.2014 hat das beklagte Land seine Berufungsbegründung ergänzt und weitere Tatsachen und Erkenntnisse zur qualifizierten Unterstützung und Funktionärsstellung des Klägers in das Verfahren eingebracht. Diese gingen insbesondere aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 (6 OJs 1/11) betreffend den DHKP-C-Aktivisten und -Funktionär E... D... und aus der auszugsweise beigefügten Anklageschrift des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 28.01.2014 - 2 BJs 37/11.7, 2 StE 1/14-7 - hervor und seien durch die dort erlangten Beweismittel belegt. So ergebe sich im Hinblick auf eine frühzeitige Einbindung des Klägers in das organisationsinterne Geldbeschaffungssystem bzw. den Vertrieb von Publikationen und die Befassung des Klägers mit dem Finanzwesen der DHKP-C als wichtige innerorganisatorischer Aufgabe aus einer organisationsinternen Notiz der DHKP-C-„Rückfront" in Deutschland (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013, a.a.O., S. 4) vom 15.12.2002, dass er bei Spendengeldsammlungen - organisationsintern konspirativ mit den Begriffen „Kampagne(n)"/„Kassette(n)" umschrieben - eingesetzt worden sei. Aus den in der OLG-Entscheidung zitierten organisationsinternen DHKP-C-Berichten vom 15.02.2002 und vom 01.02.2003 gehe hervor, dass er bereits Anfang 2002 und 2003 durch Spendengeldsammlungen zur Finanzierung der DHKP-C und deren „Rückfront" im Bundesgebiet eingebunden gewesen sei, was seinen Aktivisten- und Funktionärsrang bestätige. Hinzukomme, dass auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung bzw. Durchführung kommerzieller Veranstaltungen der DHKP-C und bereits durchgeführter oder noch durchzuführender Maßnahmen wie z. B. Reservierung von Flugtickets, Versand von Einladungen, Kauf/Versand von (Flug-)Tickets im Hinblick auf anstehende (Bühnen- bzw. Saal-) „Abende" (der „Yorum-Leute" bzw. „Kubat", „Haluk Levent") vom Kläger die Rede sei. Er sei danach im Zeitraum von Anfang 2002 bis Anfang 2003 im Gebiet S... zusätzlich mit der Vorbereitung und Durchführung kommerzieller DHKP-C-Veranstaltungen betraut gewesen, wobei die von ihm geleistete Arbeit zur Finanzierung der Terrororganisation offenbar erfolgreich verlaufen sei, da die relativ hohe Geldsumme alleine im Stadtgebiet S... in Höhe von 6043 Euro erzielt worden sei und die gute Atmosphäre sowie der gut laufende Ticketverkauf in seinem Gebiet organisationsintern gelobt worden seien. Außerdem werde der Verkauf von Tickets für der DHKP-C zuzurechnende kommerzielle Veranstaltungen zusätzlich durch die Tatsache untermauert, dass er auch einen Block Eintrittskarten für das Europatreffen der DHKP-C im April 2007 bei einer Polizeikontrolle am 21.03.2007 in Verkaufsabsicht bei sich getragen habe.
24 
Zudem habe der Kläger im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit auch Delegationen der Organisation angehört, die zu Veranstaltungen im (europäischen) Ausland entsandt worden seien, wie aus einem organisationsinternen Bericht vom 15.12.2002 hervorgehe. So habe der Kläger einer DHKP-C-Delegation angehört, die von S... aus nach Kopenhagen entsandt worden sei, wobei es sich dort wohl um eine Großveranstaltung gehandelt habe. Dieses Agieren bestätige die Einbindung des Klägers in das organisationsinterne Weisungssystem, da seine Entsendung in einer DHKP-C-Delegation von insgesamt 35 Personen nach Kopenhagen naturgemäß aufgrund einer Anordnung ihm übergeordneter DHKP-C-Führungsmitglieder stattgefunden haben müsse. Dass er weisungsgebunden für die Terrororganisation tätig gewesen sei, stehe seinem eigenen Funktionärsstatus nicht entgegen.
25 
Mit Verfügung vom 24.02.2014 hat das Regierungspräsidium die Wirkungen der Ausweisung auf 10 Jahre nach erfolgter Ausreise befristet (Ziffer 1). Hierzu hat es in Ziffer 2 bestimmt, dass, sollte der Kläger vor Fristablauf unerlaubt wieder in das Bundesgebiet einreisen, der Lauf der Frist nach Ziffer 1 während seines Aufenthalts gehemmt werde mit der Folge, dass sich das Fristende um die Zeitdauer des unerlaubten Aufenthalts verschiebe.
26 
Das beklagte Land beantragt,
27 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.05.2013 - 11 K 563/12 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
28 
Der Kläger beantragt,
29 
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise: die Wirkungen der Ausweisung auf Null zu befristen.
30 
Er erwidert auf die ihm am 02.12.2013 zugestellte Berufungsbegründung im Wesentlichen, dass es unzutreffend sei, dass er seit 1998 bis in die Gegenwart die DHKP-C in qualifizierter Weise unterstützt habe oder gar Funktionär dieser Organisation sei. Er habe eingeräumt, vor vielen Jahren an untergeordneter Stelle an der Verbreitung der in der Türkei frei erhältlichen Zeitung „Yürüyüs" beteiligt gewesen zu sein. Ansonsten werde ihm lediglich der Besuch politischer Veranstaltungen sowie die Bekanntschaft bestimmter Personen vorgehalten. Nichts anderes ergebe sich aus den Gründen des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.6.2013 gegen Herrn E... D... Die vom Beklagten mitgeteilten Tatsachen ließen auch nicht die Schlussfolgerung zu, dass er die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG erfülle.
31 
Gegen die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage gegen Ziff. 2 der Verfügung bestünden keine Bedenken. Die Meldeauflage in Ziff. 3 der Verfügung sei mit Art. 33 QRL nicht vereinbar.
32 
Zur beantragten Befristung trägt der Kläger vor, aufgrund seiner Flüchtlingsanerkennung sowie der besonderen Umstände des Einzelfalles sei die Wirkung der Ausweisung „auf Null" zu befristen. Das Bundesverwaltungsgericht habe mehrfach entschieden, dass in Ausnahmefällen die Befristung der Sperrwirkung auch ohne vorherige Ausreise möglich sei. So müsse die Sperrwirkung mit sofortiger Wirkung und ohne Ausreise beendet werden, wenn die Gründe für die Freizügigkeitsbeschränkungen nicht mehr vorlägen. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG könne im Einzelfall die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung nach § 11 Absatz 1 Satz 2 AufenthG gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet sei. Der gleiche Rechtsgedanke gebiete bei einem Flüchtling, der in sein Verfolgerland nicht zurückkehren und somit auch nicht ausreisen könne, eine verkürzte Befristung, da er ansonsten lebenslänglich an die Aufenthaltsbeschränkung gebunden wäre.
33 
In den mündlichen Verhandlungen vom 06.03.2014 und vom 14.05.2014 wurde der Kläger befragt. Insoweit wird auf die Niederschriften verwiesen. In der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 erhielt der Beklagte Schriftsatzfrist zur Ergänzung und Aktualisierung seiner Ermessenserwägungen, worauf das Regierungspräsidium mit Schriftsatz vom 20.03.2014 zunächst nochmals darauf hinwies, dass die Ausweisung des Klägers aus rein spezialpräventiven Gründen erfolgt sei (vgl. RPS-Schriftsatz vom 19.07.2013, S. 17 ff., und vom 10.02.2014, S. 1), und auf die Ausweisungsverfügung sowie seine bisherigen Schriftsätze Bezug nahm, mit denen weitere sicherheitsrelevante Erkenntnisse über den Kläger ausdrücklich in das laufende Verfahren eingebracht worden seien. Zudem seien im Verlauf der mündlichen Verhandlung am 06.03.2014 zusätzliche Erkenntnisse über den Kläger bekannt geworden, da sich aus den vom Senat beigezogenen Gefangenenpersonalakten ergeben habe, dass der Kläger in der JVA R... Ende 2000 selbst an einem Hungerstreik teilgenommen habe, der maßgeblich von der DHKP-C gesteuert worden sei, und er außerdem nach den Auszügen des Vereinsregisters des Anatolischen Kunst- und Kulturhauses als einer von drei Versammlungsleitern das Protokoll über die satzungsändernde Versammlung im Jahr 2007 unterschrieben habe. Diese neuen Erkenntnisse würden ebenfalls in das hiesige Verfahren einbezogen und der Ausweisung zugrunde gelegt. An der Verwirklichung der Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG werde nicht festgehalten. Auch könne nach den vorliegenden Fakten zu den beruflichen Tätigkeiten davon ausgegangen werden, dass der Kläger keine Rechtsposition nach Art. 6 ARB 1/80 besitze (vgl. Ausweisungsverfügung S. 4 ff. und 16 ff.). Aber selbst wenn er Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte, stünde Art. 14 ARB 1/80 seiner Ausweisung nicht entgegen. In Anbetracht dieser Sachlage und der Bezugnahme in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2013 auf den Schriftsatz vom 03.03.2014 letzter Absatz Ziffer 4 (vgl. Niederschrift S. 5 und 6) ergänzte das Regierungspräsidium seine Ermessenserwägungen. Hinsichtlich des Inhalts dieser Ergänzung wird Bezug auf den Schriftsatz vom 20.03.2014 genommen. Das Regierungspräsidium hat nicht mehr daran festgehalten, dass die Ausweisung erforderlich sei, um die Überwachungsmaßnahmen des § 54a AufenthG auszulösen. Sie sei jedoch weiterhin bereits deshalb sinnvoll, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Diese zwingenden gesetzlichen Rechtsfolgen entsprächen eher als diejenigen der §§ 12 und 61 AufenthG dem Charakter der schwerwiegenden Ausweisungsgründe des § 54 Nr. 5 AufenthG. Art. 33 QRL 2011/95/EU stehe der Verhängung von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen gemäß § 54a AufenthG gegenüber Personen mit internationalem Schutz nicht entgegen. Aber selbst wenn § 54a AufenthG aufgrund des Art. 33 QRL nicht zur Anwendung gelangen könnte, bestünde doch eine wesentliche Funktion der Ausweisung darin, ein mögliches Recht aus Art. 6 ARB 1/80 zu beseitigen. Weiterhin wäre die Ausweisung auch dann nicht unverhältnismäßig, wenn das Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG dauernden Bestand hätte, da die Frage, welches Gewicht den Gefahrenlagen zukomme, maßgeblich von den Ausweisungsgründen abhänge. Schließlich ergebe sich selbst bei Außerachtlassung der Veranstaltungsteilnahme vom 18.12.2011 aus der Teilnahme des Klägers an der DHKP-C-Parteiveranstaltung vom 16.04.2011 ein vergleichbarer Gegenwartsbezug.
34 
In Erwiderung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, von seiner Person gehe keine "schwerwiegende" Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von Art. 11 Abs. 2 S. 2 RFRL aus. Hieran ändere auch nichts die Tatsache, dass er in der Justizvollzugsanstalt R... Ende 2000 an einem dreitägigen Hungerstreik wegen der Haftbedingungen für politische Gefangene in der Türkei teilgenommen habe. Er habe sich für den Hungerstreik aus einer persönlichen Entscheidung heraus entschlossen und sich aus humanitärer Solidarität gegenüber den politischen Gefangenen aus unterschiedlichen politischen Gruppierungen in der Türkei an dem Hungerstreik beteiligt. Auch seine Unterschrift unter einem Protokoll über die satzungsändernde Versammlung im Jahr 2007 hinsichtlich des anatolischen Kunst- und Kulturhauses ergebe insofern keine weiteren Anhaltspunkte. Der betreffende Verein sei niemals verboten worden.
35 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Klageakte und Berufungsakte, den Akten zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (VG Stuttgart 11 K 582/12 und den Beschwerdeakten des Senats 11 S 1187/12), den Verwaltungsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart, den Akten des Bundesamts (E 2048283-163, 5263257-163), den Gefangenen-Personalakten der JVA R... (00/02252/0), den Ermittlungsakten der StA München (6 Js 39617/08) und den Strafakten des Landgerichts Stuttgart (18 KLs 6 Js 39617/08). Weiterhin wurden in das Verfahren eingeführt die Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15.07.2010 - 6 - 2 StE 8/07 - a - und vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 -, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.02.2012 - 3 StR 243/11 -, die Bundesverfassungsschutzberichte 2010, 2011, 2012, die Verfassungsschutzberichte Nordrhein-Westfalen 2010, 2011, 2012, die Verfassungsschutzberichte Baden-Württemberg 2010, 2011, 2012 und die Search Results aus der Global Terrorism Database zu den Anschlägen der DHKP-C, Dev Sol und Dev Genc vom 21.04.1992 bis 11.12.2012 sowie der Auszug aus dem Vereinsregister zur Registernummer VR 7184 des Amtsgerichts Stuttgart - Registergericht - vom 05.03.2014. Die beigezogenen Akten und die in das Verfahren eingeführten Urteile und sonstigen Erkenntnismittel waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
36 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des beklagten Landes hat Erfolg.
A.
37 
Soweit sich die Berufung des Beklagten gegen die Aufhebung der Ziffer 2 ihrer Verfügung vom 20.01.2012 richtet, hat sie bereits deswegen Erfolg, weil - soweit die Ziffer 2 der Verfügung überhaupt Gegenstand des Klageverfahrens war (I.) - die erhobene Anfechtungsklage insoweit unzulässig ist (II.).
I.
38 
Der Kläger hat am 21.02.2012 „Anfechtungsklage wegen Ausweisung“ erhoben, ohne den angegriffenen Bescheid vorzulegen. Die Begründung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Sachverhaltswiedergabe und die Würdigung, dass die Verfügung rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze. Der schriftsätzliche Klageantrag war gerichtet auf die Aufhebung der Verfügung vom 20.01.2012. Die hierzu vorgelegte Vollmacht war wegen „Ausweisung“ erteilt worden. Späteres Klagevorbringen befasst sich ausschließlich mit den angeschuldigten Aktivitäten für die DHKP-C. Hiervon ausgehend, ist nicht erkennbar, dass die erhobene Klage auch die Ziffer 2 der Verfügung erfassen sollte. Der Kläger hat auch nicht dazu vorgetragen, dass ihm von der Wirkung der Ausweisung abgesehen der abgelehnte Aufenthaltstitel zustünde und hätte erteilt werden müssen. Unerheblich ist, ob der Kläger die Ablehnung der Verlängerung ausdrücklich - anders als die Ausweisung - hinnehmen wollte oder diese weitere Entscheidung in der Verfügung aus den Augen verloren bzw. ihre selbständige Bedeutung verkannt hat. War das Klagebegehren damit - aus welchen Gründen auch immer - lediglich auf die Aufhebung der Ausweisung gerichtet, kann die Anfechtungsklage auch im Wege der sachdienlichen Auslegung nicht zugleich als Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten Verlängerung behandelt werden. Denn nach § 88 VwGO ist das Gericht nicht an die Formulierung des Klageantrags gebunden, wohl aber an das Klagebegehren, das sich aus dem gesamten Klagevorbringen ergibt.
II.
39 
Geht man ungeachtet dessen zugunsten des Klägers davon aus, dass der auf Aufhebung der Verfügung gerichtete Antrag auch die Ziffer 2 der Verfügung betroffen hatte, wäre das Klageziel vom Verwaltungsgericht falsch bestimmt worden. Denn dieses hatte den Klageantrag nicht nur in der mündlichen Verhandlung und dementsprechend im Tatbestand ausschließlich als Anfechtungsantrag aufgenommen, sondern auch, wie sich aus der bloßen Aufhebung der Ziffer 2 ergibt, nicht im Sinne eines rechtlich gebotenen Verpflichtungsbegehrens beschieden. Denn es hat offenbar in der Annahme, dass der Kläger durch den mit Klageerhebung angekündigten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten Aufhebungsantrag ein solches Klageziel festgelegt hat, auch zu Ziffer 2 der Verfügung ein Aufhebungsurteil erlassen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40 
Soweit das wahre Klageziel damit teilweise verkannt worden sein sollte, weil der Kläger trotz des als Anfechtungsantrag schriftsätzlich formulierten und protokollierten Klageantrags hinsichtlich der Ziffer 2 eigentlich ein Verpflichtungsbegehren verfolgen wollte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1966 - VIII C 30.66 - juris), stellt das Urteil kein Teilurteil dar, sondern leidet an einem Verfahrensfehler, weil das Gericht gem. § 88 VwGO an das Klagebegehren gebunden war. Wurde der Verpflichtungsanspruch dabei rechtsirrtümlich nicht beschieden, weil er nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht rechtshängig war, liegt kein Übergehen im Sinne des § 120 VwGO vor, so dass dieser Verfahrensfehler mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen innerhalb der gegebenen Frist geltend zu machen gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - und Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - jeweils juris). Mit Ablauf der Frist des hierfür gegebenen Rechtsmittels endet die Rechtshängigkeit in Bezug auf das rechtsirrtümlich nicht beschiedene Begehren (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - a.a.O.). Übergeht ein Gericht einen gestellten Antrag versehentlich, so erlischt die Rechtshängigkeit insoweit mit Ablauf der Ergänzungsantragsfrist des § 120 Abs. 2 VwGO. Im Ergebnis wäre die Rechtsfolge hier in beiden Fällen die gleiche, weil die Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO längst abgelaufen ist und der Kläger die Entscheidung weder mit dem Zulassungsbegehren angegriffen hat, das beklagte Land auch zur Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG zu verpflichten, noch, nachdem auf den Antrag des Beklagten die Berufung zugelassen worden war, innerhalb eines Monats (§ 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO) nach der am 02.12.2013 erfolgten Zustellung der Berufungsbegründung Anschlussberufung eingelegt hat. Damit ist auch dann, wenn das Klageziel des Klägers ursprünglich ein Verpflichtungsbegehren auf Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG umfasst hat, dieses jedenfalls nicht mehr anhängig und damit nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Es bleibt hinsichtlich der Ziffer 2 der Verfügung damit im Berufungsverfahren, in dem allein der Beklagte Berufungsführer ist und deshalb eine Klageänderung mit dem Ziel der Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zugunsten des Klägers nach Ablauf der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2006 - VII ZR 73/04 - juris zu § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO), bei der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten und beschiedenen isolierten Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der beantragten Verlängerung. Diese Klage ist unzulässig.
41 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich (nur) durch eine Verpflichtungsklage ("Versagungsgegenklage") zu erstreiten ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Die Rechtsprechung erkennt dabei an, dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so überhaupt oder besser abgewendet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 09.03.1982 - 9 B 360.82 - DÖV 1982, S. 744 und Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171). In derartigen Fällen besteht ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine (isolierte) Anfechtungsklage. Dazu zählt etwa die isolierte Anfechtung der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn die beklagte Ausländerbehörde zwischenzeitlich nicht mehr zuständig ist, oder die isolierte Anfechtung der Einstellung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt wegen angeblichen Nichtbetreibens des Verfahrens (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - m.w.N., juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.08.2009 - 1 C 30.08 - BVerwGE 134, 335 und vom 05.09.2013 - 10 C 1.13 - juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die Ausnahmefälle zutreffend zusammengefasst dahin umschrieben werden können, dass eine isolierte Anfechtung stets dann nicht am Vorrang der Verpflichtungsklage scheitert, wenn sich das Verpflichtungsbegehren erledigt hat oder der Kläger jedenfalls den Verwaltungsakt nicht mehr erstrebt, die Ablehnung aber eine selbständige Beschwer enthält. Es sei aber in jedem Fall zu beachten, dass die Zulassung einer isolierten Anfechtung nicht zu einer Umgehung von spezifisch für die Verpflichtungsklage geltendem Verfahrensrecht führen dürfe wie beispielsweise der Unanwendbarkeit des § 113 Abs. 3 VwGO und zudem zu berücksichtigen sei, dass die Beschränkung auf eine isolierte Anfechtung - bei Abweisung der Klage - zu einem endgültigen Rechtsverlust ohne gerichtliche Sachprüfung führen kann. Das ergebe sich notwendig daraus, dass eine isolierte Anfechtung nur Sinn hat und den Vorrang der Verpflichtungsklage wahre, wenn auch die gerichtliche Prüfung auf die geltend gemachten isolierten Anfechtungsgründe beschränkt bleibe. Die noch weitergehende allgemeine Zulassung der isolierten Anfechtungsklage anstelle der Verpflichtungsklage, die zugleich mit einer Vollprüfung auch aller materiellen Anspruchsvoraussetzungen verbunden sein solle, widerspräche dem gesetzlichen Rechtsschutzsystem und wäre im Hinblick auf die Wiedereröffnung des Rechtswegs - nach einer Stattgabe der Klage, die das Verpflichtungsbegehren praktisch in die Verwaltung zurückverweise - mit dem Grundsatz der Prozessökonomie schwerlich zu vereinbaren (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - juris).
42 
Nach diesen Grundsätzen ist die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 2 der Verfügung unzulässig. Hier konnte die Klage nicht auf isoliert geltend gemachte Anfechtungsgründe beschränkt werden. Eine Aufhebung wäre vielmehr nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn alle Voraussetzungen für die Titelerteilung geprüft und bejaht worden wären, was prozessual zur Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung hätte führen müssen. Die vorliegende Aufhebung stellt damit eine unzulässige Zurückverweisung an die Verwaltung dar. Vor diesem Hintergrund könnte auch eine selbständige Beschwer der Ablehnungsentscheidung die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage nicht begründen. Zudem kann eine solche nicht in der hierdurch bedingten Beendigung der Fiktionswirkung gesehen werden. Hieraus lässt sich, entgegen der Ansicht des Klägers, kein schützenswertes Interesse an der isolierten Aufhebung einer Ablehnungsentscheidung ableiten. Vielmehr spricht schon die gesetzliche Begrenzung der Fiktionswirkung auf die Zeit bis zur Entscheidung der Ausgangsbehörde, die auch im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht verlängert wird, dagegen, deren Wegfall nach Abschluss des Verfahrens als eigenständige Beschwer einer Ablehnungsentscheidung anzusehen. Die Fiktionswirkung vermittelt auch bis zu diesem Zeitpunkt eine nur vorläufige und rein verfahrensrechtliche Position (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris), die die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO bis zum Ergehen des Bescheids erübrigt und die sicherstellt, dass der Antragsteller durch die verspätete Entscheidung über seinen Antrag nicht schlechter gestellt, wird, als wenn die Behörde alsbald entschieden hätte (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris). Diese Funktion der Fiktionswirkung schließt aber nicht nur die Verfestigung des Aufenthalts aufgrund dieser verfahrensrechtlichen Position aus, sondern auch ein rechtlich schützenswertes Interesse daran, eine endgültige Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens des Anspruchs auf den erstrebten Aufenthaltstitel hinauszuzögern, um diese lediglich den status quo während des Verwaltungsverfahrens sichernde Position möglichst lange aufrecht zu erhalten. Vielmehr besteht bei Verfahren zur Klärung des Aufenthaltsstatus - ebenso wie bei sonstigen Statusverfahren - das schützenswerte private Interesse allein an einer zügigen abschließenden Klärung und der Beendigung eines Schwebezustands.
B.
43 
Die Berufung des Beklagten ist auch bezüglich der Aufhebung von Ziffer 1 und Ziffer 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.01.2012 begründet. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung (I.), der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung (II.) sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten kürzeren Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf Null (C.) ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
I.
44 
Die unter Ziffer 1 des Bescheids vom 20.01.2012 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig.
45 
Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 54 Nr. 5, 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 55 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Nach dieser Vorschrift liegt ein Ausweisungsgrund vor, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Dabei gilt sowohl für das Tatbestandsmerkmal "Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt" als auch für das Vorliegen von Indiztatsachen, die den Schluss auf eine Zugehörigkeit des Ausländers zu der Vereinigung oder ihre Unterstützung rechtfertigen, der normale Beweismaßstab der vollen gerichtlichen Überzeugung. Der reduzierte Beweismaßstab, wonach diese Tatsachen eine entsprechende Schlussfolgerung lediglich rechtfertigen, nicht aber zur vollen gerichtlichen Überzeugung beweisen müssen, bezieht sich nur auf die Frage, ob der betroffene Ausländer der Vereinigung tatsächlich angehört oder sie individuell unterstützt (hat) (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris).
46 
1. Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus in diesem Sinne, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da § 54 Nr. 5 AufenthG der präventiven Gefahrenabwehr dient und die Eingriffsmöglichkeiten des Aufenthaltsrechts auch die Vorfeldunterstützung durch so genannte Sympathiewerbung erfasst (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 a.a.O.).
47 
Die DHKP-C ist eine Vereinigung in diesem Sinne. Die DHKP-C ist eine Nachfolgeorganisation der 1970 gegründeten THKP-C, aus der im Jahre 1978 die Devrimci Sol (deutsch: Revolutionäre Linke, kurz: Dev Sol) entstand, die darauf ausgerichtet war, in der Türkei durch Anwendung revolutionärer Gewalt einen politischen Umsturz herbeizuführen und eine Gesellschaftsordnung nach marxistisch-leninistischem Muster zu errichten. Im Jahre 1980 wurde die Dev Sol in der Türkei verboten. Mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 27.01.1983 wurde die Dev Sol nebst zugehöriger Teilorganisationen auch in Deutschland bestandskräftig verboten. Die DHKP-C wurde am 13.08.1998 in das Verbot einbezogen. Nach der ab 1992 infolge innerorganisatorischer Meinungsverschiedenheiten und persönlicher Auseinandersetzungen einsetzenden (Auf-)Spaltung der Dev Sol in zwei konkurrierende und sich gegenseitig bekämpfende Gruppierungen (sog. „Karatas-/Yagan-Flügel“) konstituierten sich die Anhänger des „Karatas-Flügels“ auf einem vom 30.03.1994 bis 09.05.1994 abgehaltenen Parteigründungskongress in Damaskus zur DHKP-C als Zusammenschluss der Revolutionären Volksbefreiungspartei (DHKP) und der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKC). Es wurden ein Parteiprogramm und Satzungen für die DHKP bzw. DHKC sowie Grundsatzbeschlüsse, in denen die Leitlinien der DHKP-C verbindlich festgelegt wurden, verabschiedet. Als Gründungstag wurde das Datum der (Partei-)Kongresseröffnung (30.03.1994) festgelegt (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Ihre Zielsetzung ist die Herbeiführung einer Weltrevolution und der Sturz des Imperialismus, wobei nach der Parteiprogrammatik der DHKP-C Aktivitäten und bewaffneter Kampf nicht nur in der Türkei, sondern grundsätzlich auch in anderen Staaten zu erfolgen haben (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
48 
Außerhalb der Türkei hat sich die DHKP-C insbesondere in zahlreichen westeuropäischen Ländern sowie in Südosteuropa, organisationsintern als „Rückfront“ bezeichnet, strukturell verfestigt. Die an der „Rückfront“ in Europa für die DHKP-C Agierenden sind den Führungsorganen unterstellt, die sich ebenfalls überwiegend im europäischen Ausland aufhalten, und in die hierarchischen Strukturen der (Gesamt-)Organisation eingebunden sind. Ziel und Aufgabe der in den genannten Staaten errichteten Organisationseinheiten ist es, die Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes in der Türkei zu fördern. Die „Rückfront“ der DHKP-C ist für die Verwirklichung der Zielsetzungen dieser Vereinigung von herausragender, zentraler Bedeutung und unverzichtbar. Innerhalb der „Rückfront“ ist Deutschland aufgrund der hohen Anzahl der hier lebenden türkischstämmigen Personen, deren finanzieller Möglichkeiten und des daraus resultierenden Potentials zur personellen und materiellen Unterstützung von Aktivitäten der DHKP-C in der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet dieser Organisation. Diese ist bestrebt, die im Bundesgebiet ansässigen Personen mit türkischem Migrationshintergrund zur aktiven Mitarbeit in der DHKP-C, mindestens aber zur finanziellen Förderung ihrer Partei- und Frontarbeit zu veranlassen. Im Jahre 2008 waren der DHKP-C bundesweit etwa 650 Personen zuzurechnen, die sich in unterschiedlicher Weise und Funktion an der Rückfront für diese Organisation betätigten (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Diese Zahl ist stabil und weiterhin gültig (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
49 
Die DHKP-C führt ihren bewaffneten Kampf auch unter Einsatz terroristischer Anschläge und Attentate. Unter Zugrundelegung der Einträge und des unten dargestellten Diagramms aus der Global Terrorism Database des National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism, einem Center of Excellence of the U.S. Department of Homeland Security, University of Maryland waren die terroristischen Aktivitäten der Dev Sol und ihrer Nachfolgeorganisation der DHKP-C in der Türkei in den Jahren von 1988 bis 1995 besonders hoch. 1995 übten sie auch terroristische Anschläge in Wien und in Köln aus und 1996 auch in den in den Niederlanden. Seit 1999 agiert die DHKP-C in Europa gewaltfrei. Auch in der Türkei ebbten bis 2003 zunächst die Aktivitäten ab. Jedoch kam es dort weiterhin bis 2001 zu ein bis drei terroristischen Anschlägen pro Jahr.
50 
2001 wurden drei Anschläge auf die Istanbuler Polizei verübt. Beim letzten am 10.09.2001 handelte es sich um einen Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in Istanbul(-Taksim) durch das Frontmitglied U. Bülbül, bei dem zwei Polizeibeamte und ein Tourist getötet sowie mehrere Personen verletzt wurden.
51 
Am 20.05.2003 explodierte in einem Café in Ankara-Cankaya eine Bombe, welche Sengülül Akkurt bei der Vorbereitung einer so genannten Aufopferungsaktion in einem Gürtel an ihrem Körper befestigt hatte, um einen Anschlag auf das türkische Justizministerium durchzuführen. Bevor die Selbstmordattentäterin ihr Ziel erreicht hatte, kam es zur vorzeitigen Detonation der Sprengvorrichtung. Die 26-jährige Akkurt wurde dabei getötet. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden.
52 
Am 03.06.2003 verübte eine sogenannte Aufopferungseinheit der DHKP-C mittels einer ferngezündeten (Splitter-)Bombe in Istanbul einen Anschlag auf einen (Service-)Bus der türkischen Justizbehörden, in dem sich Richter und Staatsanwälte des Staatssicherheitsgerichts befanden. Durch die Explosion mit Schrapnell- und Druckwirkung wurden insgesamt sieben Fahrzeuginsassen leicht verletzt. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden an mehreren Kraftfahrzeugen. Der Explosionsort befand sich an einer stark frequentierten Küstenstraße, auf der zum Tatzeitpunkt sehr dichter Verkehr herrschte.
53 
Am 29.04.2009 kam es in der Rechtsfakultät der Bilkent Universität Ankara zu einem versuchten Selbstmordanschlag auf den ehemaligen türkischen Justizminister H. Sami Türk. Dieser blieb unverletzt, da es der 25-jährigen Attentäterin, Didem A., die vier Kilogramm TNT sowie eine Pistole nebst Munition mit sich führte, nicht gelang, den Sprengsatz zur Explosion zu bringen bzw. von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...).
54 
Bei diesen auch in dem genannten Register aufgenommenen Anschlägen der DHKP-C handelt es sich um dieser mit Sicherheit zurechenbare terroristische Anschläge. Es gab im Jahre 2003 und auch in den nachfolgenden Jahren bis 2007 weitere Aktionen, die dieser Organisation zugerechnet werden, wie sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - in Sachen E... D... (rechtskräftig seit dem 22.01.2014) ergibt. Maßgeblich ist aber, dass diese Organisation nie - und damit auch nicht in den Jahren 2004 bis 2008 - von dem Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele abgerückt ist, was auch in der erneuten Zunahme auch terroristischer Anschläge ab 2012 deutlichen Ausdruck findet.
55 
Das Oberlandesgerichts Stuttgart hat in seinem Urteil vom 18.06.2013 (6 OJs 1/11) ausgeführt:
56 
„Nachdem im Sommer 2011 die frühere Europaverantwortliche der DHKP-C, Gülaferit Ünsal („Gülsen“), in Griechenland festgenommen und drei Monate später in der Wohnung eines - bei der Herstellung einer unkonventionellen Spreng-/Brandvorrichtung (USBV) zu Tode gekommenen - „DHKP-C-Aktivisten“ in Thessaloniki von Sicherheitskräften ein umfangreiches Waffen-/Sprengstofflager sichergestellt worden war, wurde im Mai 2012 organisationsintern (in der Zeitschrift Devrimci Sol - hierzu mehr bei C. II. 3. -) zu einer intensivierten Fortsetzung des bewaffneten Kampfs aufgerufen. Ab Mitte Juni 2012 kam es daraufhin in der Türkei im Zuge einer „Anschlagsoffensive“ zu - in dichter Folge verübten - Anschlägen, Selbstmordattentaten durch „Kämpfer“ der DHKP-C sowie einer (organisationsinternen) „Bestrafungsaktion“. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Vorgänge:
57 
- Am 12. Juni 2012 verübten zwei Angehörige der DHKP-C einen Sprengstoffanschlag auf eine Istanbuler Polizeidienststelle; einer der (beiden) Täter (Erdal Dalgic) wurde verletzt festgenommen und verstarb kurze Zeit später;
- am 15. Juni 2012 schoss ein Organisationsmitglied in Istanbul - (u. a.) in der Absicht, den Tod Dalgics zu „rächen“ - auf einen Polizeibeamten (M... S. Y...); dieser erlitt mehrere Schussverletzungen, darüber hinaus wurde bei dem Vorgang eine weitere Person (durch einen Querschläger) getroffen und (leicht) verletzt;
- am 16. Juni 2012 überfielen bewaffnete „Kämpfer“ der DHKP-C in Istanbul auf offener Straße ein „Polizeiteam“; ein Polizeibeamter (Z... Y...) wurde erschossen; ein weiterer Polizist sowie ein Zivilist erlitten jeweils Verletzungen;
- am 20. Juli 2012 erschossen der Kommandant einer Kampfeinheit, Hasan S. Gönen, und die ihn begleitende Sultan Isikli in Istanbul bei einer Fahrzeugkontrolle zwei (Polizei-)Beamte; Gönen konnte (schwer verletzt) festgenommen werden und verstarb tags darauf;
- am 11. September 2012 verübte Ibrahim Cuhadar, ein „Selbstmordkämpfer“ der DHKC, ein Attentat auf eine Polizeiwache in Istanbul (-Gazi); neben dem Attentäter wurde ein Polizist getötet; sieben weitere Personen erlitten Verletzungen;
- am 25. Oktober 2012 verletzten „Kämpfer“ der DHKP-C das (frühere) Organisationsmitglied A... A..., die des Verrats bezichtigt worden war, mittels eines Kopfschusses im Rahmen einer Bestrafungsaktion;
- am 8. Dezember 2012 kam es durch zwei „Kämpferinnen“ der Organisation zu einem, mittels Handgranaten durchgeführten, Anschlag auf ein Polizeirevier in Istanbul; zwei Polizeibeamte wurden verletzt; eine Täterin (N... A...) konnte festgenommen werden;
- am 11. Dezember 2012 töteten Mitglieder der DHKP-C in Istanbul einen uniformierten Polizeibeamten. Im Zuge der Ausführung dieses Anschlags wurden überdies drei Passanten verletzt, die versucht hatten, die Tatausführung zu verhindern;
- am 1. Februar 2013 verübte Ecevit (Alisan) Sanli, ein vormals unter dem Decknamen „Yücel“ als Gebietsverantwortlicher der DHKP-C in Berlin agierender „Märtyrerkämpfer“, einen Selbstmordanschlag auf das Gebäude der US-Botschaft in Ankara. Neben dem Attentäter wurde ein türkischer Sicherheitsbeamter (Mustafa Akarsu) getötet; zwei weitere Personen wurden verletzt;
- am 19. März 2013 führten „Kämpfer“ der Organisation Anschläge auf das türkische Justizministerium sowie die (General-) Zentrale der AK-Partei in Ankara aus und brachten im Zuge dessen neben zwei Handgranaten auch eine Panzerfaust („LAW/LAV“) zur Explosion. Eine Person wurde leicht verletzt“.
58 
Die hier genannten terroristischen Anschläge und Selbstmordattentate vom 12.06., 11.09., 08.12. und 11.12.2012 werden ebenfalls in der GT-Datenbank aufgeführt, aus der für die Folgejahre 2013 und 2014 noch keine Daten abrufbar sind.
59 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse war die DHKP-C (sowie ihre Vorgängerorganisation Dev Sol) als eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG anzusehen und ist dies auch weiterhin, weil sie seit Gründung ihrer Vorgängerorganisation der Dev Sol im Jahr 1978 ihre Ziele jedenfalls auch mit terroristischen Mitteln verfolgt. Dies steht für den Senat in Übereinstimmung mit der strafrechtlichen Beurteilung des Bundesgerichtshofs fest, wonach es sich um eine Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris), handelt.
60 
Diese Einschätzung wird auch dadurch bestätigt, dass die DHKP-C bereits seit 2002 in der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste terroristischer Organisationen (Ratsbeschluss 2002/460/EG vom 17.06.2002) aufgeführt wird (vgl. zuletzt Ziff. 2.23 des Anhangs zum Beschluss 2014/72/GASP des Rates vom 10.02.2014).
61 
2. Der Kläger ist seit vielen Jahren Anhänger der DHKP-C und fördert diese, nachdem er bereits für die Dev Sol tätig war, zumindest als ein in dieser Organisation seit ihrer Gründung verwurzelter Aktivist.
62 
a) Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen DHKP-C - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (siehe BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris jeweils m.w.N.).
63 
b) Nach diesen Maßstäben sind hier die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere der strafgerichtlichen Urteile, liegen jedenfalls Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger, der schon 1989 für die 1978 gegründete Dev Sol aktiv war, seit seiner Einreise ins Bundesgebiet Ende 1995 die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation unterstützt (siehe zum reduzierten Beweismaß für das Unterstützen der Vereinigung durch den Ausländer BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris Rn. 15). Es spricht sogar viel dafür, dass der Kläger seit ihrer Gründung im Frühjahr 1994 in Damaskus Mitglied der DHKP-C und damit Mitglied einer Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist, worauf es jedoch nicht entscheidend ankommt.
64 
Hintergrund für seine Ausreise aus der Türkei im Jahre 1995 und sein Asylgesuch im Bundesgebiet war u.a., dass der Kläger am 31.08.1993 zusammen mit E... Ö... in der Türkei vor Gericht gestanden hatte. Sie hatten dort ihre linken Hände erhoben und gerufen: „Die Strafe kann uns nicht erschüttern, wir sind im Recht und werden gewinnen, Kurdistan wird dem Faschismus zum Grabe“ (bestätigt durch die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 24.03.2000 an das Verwaltungsgericht Stuttgart im Verfahren A 5 K 10696/96). Deshalb war er nach seinen Angaben zu einem Jahr Haft verurteilt worden, die er nicht angetreten hat.
65 
Nach den Erkenntnissen in den Behördenakten wurde er 1998 in Begleitung des M... B..., des damaligen Vereinsvorsitzenden des Anatolischen Kunst- und Kulturhauses, mit DHKP-C-Zeitschriften angetroffen.
66 
Ab 04.12.2000 trat der Kläger ausweislich der Gefangenenakte in der JVA R... in Hungerstreik. Der Kläger hat hierzu in seiner schriftlichen Erklärung vom 01.12.2000 angegeben, dass er in Hungerstreik trete, um den Bau der Typ-F-Gefängnisse zu stoppen und aus Solidarität mit 12 Gefangenen, die 1996 bei einem Hungerstreik gestorben, und 10 politischen Gefangenen, die 1999 in der JVA Ankara zu Tode gefoltert worden seien. In der Türkei seien mehr als 1000 Gefangene in Hungerstreik getreten, in diesem Jahr seien mehrere Gefängnisse beteiligt; um diese zu unterstützen, trete er ab 04.12.2000 in Hungerstreik. Die Aktion hatte in der Türkei am 20.10.2000 unter Beteiligung der DHKP-C, TKP(ML) und TKIP begonnen.
67 
2001 wurde bei ihm nach den Erkenntnissen in den Behördenakten zahlreiches Propagandamaterial für die DHKP-C aufgefunden. Dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009 liegen folgende Feststellungen zugrunde, die sich der Senat zu eigen macht:
68 
„Der Kläger hat z.B. den ihm übergeordneten DHKP-C-Funktionär A... Y...-... - Gebietsverantwortlicher für Süddeutschland mit den Decknamen „Emmi", „Kamil" und „Rüstern" - als Besucher aufgenommen, den Kontakt zwischen diesem führenden DHKP-C-Funktionär und anderen Anhängern der Organisation gehalten und den E... G..., einen wichtigen Aktivisten der verbotenen Vereinigung, im Interesse der DHKP-C-Organisation beim regionalen, aber auch beim überregionalen Vertrieb der Zeitung „Yürüyüs", auch in Bezug auf das nähere europäischen Ausland unterstützt. Der Kläger vereinbarte mit A... Y..., mit dem er jedenfalls seit 05.07.2006 per Mobiltelefon in Verbindung stand, Treffen in der S... ... x in S... im dortigen Anatolischen Kultur- und Kunsthaus, von A... Y... wurde er über sein Mobiltelefon zu verschiedenen Veranstaltungen bzw. Versammlungen eingeladen, wurde von ihm beauftragt, andere Personen zu Treffen und Versammlungen hinzuziehen und erhielt überdies weitere Anweisungen und Hinweise auf von diesem für wichtig erachtete Medienereignisse. Im Übrigen kündigte A... Y... per Handy auch seinen Besuch beim Kläger an. Mehrmals - mindestens 3 mal - holte der Kläger - abwechselnd mit anderen Aktivisten der Vereinigung - zwischen August 2006 und 19. März 2007 bei der Offsetdruckerei ... in ... bei ..., ...-...-... x, jeweils mindestens 150 Exemplare (insgesamt also wenigstens 450 Stück) der DHKP-C-Wochenzeitschrift „Yürüyüs" ab, um sie im Interesse der verbotenen Vereinigung der Weiterverbreitung im regionalen Bereich zuzuführen oder sie selbst zu verteilen. Die Druckerei ... hatte im fraglichen Zeitraum bis zur Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 die Ausgaben 63 bis 95 (also insgesamt 33 Ausgaben) der weiterhin wöchentlich erscheinenden Zeitschrift nach der Kontaktierung und Auftragsvergabe durch A... Y... gemeinsam mit E... G... im Mai 2006 ab August 2006 in einer Auflage von jeweils ca. 2500 bis etwa 2700 Stück gedruckt. A... Y... trat bei der Auftragsvergabe als der eigentliche Verhandlungspartner auf, während E... G... seiner besseren Kenntnisse der deutschen Sprache wegen dabei im Wesentlichen nur als Dolmetscher fungierte. Anfangs 2300 Exemplare, gegen Ende nur noch 2230 Exemplare einer jeden Ausgabe wurden jeweils direkt von der Druckerei ... anhand eines dieser zur Verfügung stehenden Verteilers überregional - auch in das nähere europäische Ausland - verschickt. Es gab jeweils auch Ausschussware, die in den erwähnten ca. 2500 bis rund 2700 Auflage freilich nicht enthalten war und nicht berechnet wurde. Mindestens 150 Exemplare einer jeden Auflage (gelegentlich auch bis zu 390 Stück) wurden jeweils von wechselnden DHKP-C-Aktivisten, davon zu etwa 50 % durch E... G... selbst, der nach der Erteilung des Auftrags der Ansprechpartner des Betreibers der Druckerei, des Zeugen ..., auf Seiten seiner Auftraggeber war, und in mindestens drei Fällen auch durch den Kläger abgeholt. Dieses Abholen der wenigstens 150 Exemplare erfolgte jeweils zum Zwecke der Weiterverbreitung im regionalen Bereich und auf einen Anruf des Zeugen ... bei der ihm von jenem DHKP-C-Aktivisten genannten Telefonnummer des E... G... hin, der sich bei diesen Telefonaten stets selbst am Apparat meldete. In der Wohnung des Klägers in S..., ... ..., hielt dieser aus den für die Verteilung im regionalen Bereich bestimmten Mengen der Zeitschrift am 28.11.2006 insgesamt 60 Exemplare zur Weiterverbreitung in Interesse der DHKP-C vorrätig, nämlich 2 Pakete zu je 30 Stück der Ausgabe 78 vom 12.11.2006, am 19.03.2007, ebenfalls in dieser Wohnung, 7 Exemplare der Ausgabe vom 4. März 2007 und am 21.03.2007 in seinem Rucksack im Fahrzeug Renault, amtliches Kennzeichen ...-... ..., das kurz zuvor von E... G... unweit der Offsetdruckerei ... abgestellt worden war, um den Zeugen ... aufzusuchen, 23 Exemplare der Auflage 95 von Mitte März 2007. Der Kläger wurde am 21.03.2007 in dem beschriebenen Fahrzeug auf dem Beifahrersitz auf E... G... wartend von der Polizei angetroffen und führte dabei auch einen Block Eintrittskarten für das Europatreffen der DHKP-C im April 2007 zur Verbreitung im Interesse des verbotenen Vereins mit sich. Überdies bewahrte der Kläger am 28.11.2006 in seiner Wohnung in Stuttgart für den E... G..., für den er unter seinem Sofa auch für diesen bestimmte Gerichts- und Anwaltsschreiben verwahrte, 10 vom 01.08.2006 datierende Lieferscheine der Druckerei ..., über die Lieferung von insgesamt 2300 Exemplare der DHKP-C Wochenzeitschrift „Yürüyüs" an überregionale Empfänger, auch im benachbarten europäischen Ausland, Adressaufkleber mit entsprechenden Anschriften und Originalquittungen über Druckkosten des auf den Lieferscheinen jeweils als Auftraggeber des Druckauftrags genannten Yurtdisi Büros V... E..., ... ... ... ... in ... ... R...-... / Niederlande auf. Tatsächlich waren die Druckkosten freilich jeweils von E... G... beim Zeugen ... in bar bezahlt worden. Die letzten 5 Ausgaben waren allerdings zur Zeit der Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 noch unbezahlt. Weitere vom Kläger am 28.11.2006 verwahrte Notizen betrafen „Yürüyüs" - Ausgaben aus der Zeit vor Beginn der Druckaufnahme durch die Fa. ... im August 2006.“
69 
Der Kläger hat die einzelnen Tatsachenfeststellungen in diesem Urteil des Landgerichts, gegen das er Rechtsmittel nicht eingelegt hat, im angegriffenen Bescheid und auch in den Schriftsätzen des Beklagten - mit Ausnahme der Teilnahme an der Veranstaltung am 18.12.2011 in Stuttgart - nicht substantiiert bestritten. Soweit er im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung geltend macht, er habe nur wenige Exemplare der Wochenzeitung Yürüyüs selbst verteilt, der weit überwiegende Teil sei von Dritten bei ihm abgeholt und weiterverteilt worden, führt dies zu keiner günstigeren Beurteilung dieser Unterstützungshandlung, sondern bestätigt, dass er hierarchisch zwar gemeinsam mit E... G... dem A... Y... als für den Druck und die Verbreitung in der Region Verantwortlichen untergeordnet gewesen ist, aber, wie sich bereits aus dem persönlichen Kontakt zu diesem und auch unmittelbar zur Druckerei ergibt, in diese Organisationsstruktur deutlich über den reinen „Zeitungsausträgern“ hinaus eingebunden war. A... Y... war damals bis zu seiner Festnahme Ende November 2006 der für die „Region Süd“ verantwortliche (Führungs-)Funktionär und Rechtsberater der DHKP-C (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11). Der Kläger kannte diesen bereits aus der Türkei, wo er nach seinen Angaben sein Rechtsanwalt gewesen war.
70 
Weiterhin war er am 14.01.2007, wie sich aus in den Gerichtsakten befindlichen Kopien des Vereinsregisters ergibt, einer der Leiter der satzungsändernden Versammlung des Vereins „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“, eines Tarnvereins der DHKP-C, zu dessen neuen Sekretär E... D... am 03.06.2007 gewählt wurde (vgl. hierzu unten). Auch fuhr er mit Funktionären noch am Tag des Todes von Dursun Karatas am 11.08.2008 in die Niederlande.
71 
Zutreffend hat das Regierungspräsidium mit Schriftsätzen vom 03.03.2014 und 20.03.2014 auf der Grundlage der Feststellungen der ins Verfahren eingeführten Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - (Verurteilung von E... D...) und vom 15.07.2010 - 6 - 2 StE 8/07 - a - (Verurteilung von A... D. Y... und E... G...) zudem dargelegt, dass der Kläger im Zeitraum von 2002 bis 2007 in vielfältiger Weise nicht nur in den Vertrieb von Publikationen, sondern auch - u.a. zusammen mit Y... und G... - in den Vertrieb von Tickets für Veranstaltungen der DHKP-C und in die Sammlung von Spendengeldern involviert und damit maßgeblich an der Geldbeschaffung als eine der wichtigsten Aufgaben der Rückfront dieser terroristischen Vereinigung beteiligt war. Er nahm im Jahr 2002 nicht nur an einer politischen Schulung der DHKP-C im August 2002 in Neuhausen-Schellbronn, sondern auch als Mitglied einer Delegation der DHKP-C an einer Großveranstaltung in Kopenhagen teil.
72 
Schließlich hat der Kläger auch noch nach seiner Verurteilung jedenfalls an den beiden Kundgebungen der DHKP-C am 10.04.2010 in Wuppertal mit mehreren hundert Teilnehmern und am 16.04.2011 in Lüttich teilgenommen. Hierbei hat es sich jeweils um traditionelle Parteifeste zum Jahrestag ihrer Gründung gehandelt, wobei die lediglich von etwa 200 Personen besuchte Veranstaltung in Lüttich nur Mitgliedern zugänglich gewesen sein soll (vgl. Bundesverfassungsschutzberichte 2010, S. 310 und 2011, S. 349; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2010, S. 166; Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 30.04.2013). Darauf, ob er auch die Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 zum Jahrestag der Gefängniserstürmung am 19.12.2000, die nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 als - vorhersehbare - Folge des am 20.10.2000 aufgenommenen Hungerstreiks türkischer Gefangener maßgeblicher Grund für seine damalige Beteiligung an dieser Aktion in der JVA R... gewesen ist, besucht hat, kommt es nicht an. Nachdem er erklärt hat, er würde sich jederzeit in einer solchen Situation wieder solidarisch zeigen und im Übrigen weiterhin an zahlreichen Demonstrationen in S... teilnehmen, insbesondere kurdischer und PKK-naher Organisationen, ist davon auszugehen, dass er, soweit er ausgerechnet an dieser Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 nicht teilgenommen hat, aus persönlichen Gründen verhindert gewesen ist. Jedenfalls hat er selbst nicht behauptet, dass er die Kontakte zur DHKP-C abgebrochen habe und nun auch keine Veranstaltungen dieser Organisation mehr besuchen werde.
73 
Eine Distanzierung von seinen Unterstützungshandlungen für die DHKP-C und eine Abkehr von seinen früheren Aktivitäten ist auch sonst in keiner Weise erkennbar. Aus dem Umstand, dass der Kläger sich von zurückliegenden Aktivitäten nicht distanziert, sondern sie ohne erkennbare Unterbrechung fortgeführt hat, folgt, dass auch die in der Vergangenheit liegenden Tätigkeiten auf die gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers im Sinne von § 54 Nr. 5 Halbs. 2 AufenthG schließen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - juris).
74 
Der Kläger wehrt sich gegen die in der Begründung der angegriffenen Verfügung und den Schriftsätzen des Beklagten genannten sowie gegen die weiteren in die Verhandlung eingeführten Tatsachen, denen er nicht im Einzelnen entgegentritt, im Wesentlichen mit dem Vorbringen, dass er kein Mitglied der DHKP-C sei, sondern lediglich ein politisch denkender Mensch und jedenfalls nicht bewusst etwas Verbotenes - insbesondere seien die Versammlungen genehmigt und der Kulturverein zu keinem Zeitpunkt verboten worden - getan habe. Hierauf kommt es aber nicht an.
75 
Daran, dass der Kläger die DHKP-C in Kenntnis von deren Zielen, Programmatik und Methoden unterstützt hat, kann nach Ansicht des Senats aufgrund seiner langjährigen Beteiligung und vor dem Hintergrund seiner Unterstützung bereits der Vorgängerorganisation Dev-Sol und - noch in der Türkei - der Jugendorganisation Dev-Genc sowie seines mit hieran anknüpfender politischer Verfolgung begründeten Asylgesuchs kein ernsthafter Zweifel bestehen. Hierbei ist hervorzuheben, dass der Kläger, der in der Türkei Soziologie studiert hat, sich bereits als Student politisch engagiert hat. Bereits seit dieser Zeit steht er in Verbindung zu A... Y..., der nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 in der Türkei sein Rechtsanwalt war. Weiterhin hat er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 Karatas bereits aus Zeiten seiner türkischen Haft gekannt und mit diesem jedenfalls damals in brieflichen Kontakt gestanden. Auch hat er zusammen mit dem wegen seiner Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilten E... D... eines der „Vereinsblätter“ vertrieben und dem Tarnverein „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“ angehört, dessen Vorstand dieses DHKP-C-Mitglied seit 2007 nach der unter Mitwirkung des Klägers erfolgten Satzungsänderung angehörte.
76 
Nach Ansicht des Senats ist dementsprechend davon auszugehen, dass der Kläger - entgegen seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 - sowohl die Ziele der DHKP-C als auch deren terroristischen Aktionen zu deren Erreichung kannte bzw. kennt. In der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 hat er schließlich selbst erklärt, dass er Sympathisant dieser Organisation sei und deren Meinung und Ideologie teile. Ob er persönlich die gewalttätige Komponente der Ideologie der DHKP-C ausdrücklich befürwortet, ist nicht ausschlaggebend. Es fällt aber auf, dass er sich auch insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 nicht von dieser Organisation distanziert, sondern vielmehr die Ansicht vertreten hat, die DHKP-C beeinträchtige Deutschland nicht, da sie außerhalb der Türkei Gewalt grundsätzlich ablehne.
77 
Der Kläger hat mit den oben dargestellten jahrelangen kontinuierlichen Tätigkeiten diese Organisation mitgetragen. Dass er seit seiner Einreise ins Bundesgebiet die Bestrebungen dieser verbotenen Vereinigung bzw. ihrer Vorgängerorganisation unabhängig von einer Mitgliedschaft jedenfalls fördern und deren Strukturen, die ihm einschließlich der Tarnorganisationen bekannt waren, erhalten wollte, steht für den Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des Landgerichts Stuttgart fest. Für die Unterstützung der DHKP-C im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist es insoweit nicht maßgeblich, welcher Hierarchieebene innerhalb der Struktur dieser Vereinigung der Kläger angehört hat. Der Senat schließt sich im Übrigen der Beurteilung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris) an, wonach in Ansehung der Struktur der Vereinigung Anhaltspunkte dafür, hinsichtlich der Qualifizierung der DHKP-C als terroristische Vereinigung zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre und mit Anschlägen befasster Kader einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren, nicht gegeben sind. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der DHKP-C dieser anschließt und in ihr betätigt, deshalb nicht als Mitglied oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre oder den mit den Anschlägen der Organisation befassten Kadern angehört.
78 
Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die Unterstützung jedes Einzelnen gerade für den Erhalt und die Handlungsfähigkeit einer relativ kleinen Organisation (ca. 650, davon 65 in Baden-Württemberg hauptsächlich im Großraum S... und in der R...-N...-Region, vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126) von besonderer Bedeutung ist und die fördernde Tätigkeit jedes in diese Eingebundenen eine unmittelbare Nähe nicht nur zu den Zielen, sondern auch zu den terroristischen Aktionen zur Durchsetzung dieser Ziele hat. Dementsprechend kam und kommt auch dem Kläger, der nach dem Dargelegten jedenfalls Aufgaben für die aus lediglich etwa 65 Mitgliedern bestehenden baden-württembergischen Organisationseinheit der DHKP-C eigenständig u.a. in Zusammenarbeit mit einem inzwischen verurteilten Mitglied (G...) und in - zum Teil auch unmittelbarer - Abstimmung mit inzwischen verurteilten maßgeblichen Funktionären (Y... und D...) auf Gebietsebene wahrgenommen hat, Verantwortung für die terroristischen Aktionen der DHKP-C und deren Opfer zu.
79 
Schließlich fehlt dieser Unterstützung der DHKP-C auch nicht deswegen, weil diese Organisation nur relativ wenige Mitglieder im Bundesgebiet hat, das in § 54 Nr. 5 AufenthG vorausgesetzte Gewicht. Maßgeblich ist, dass sie, wie dargelegt, entschlossen und fähig war und ist, Terroranschläge in nicht unerheblichem Umfang und Ausmaß durchzuführen (vgl. dazu oben) und die Organisation im Bundesgebiet eine Rückfront für diese derzeit auf die Türkei konzentrierten Anschläge bildet, ohne deren Rückzugsräume und finanzielle Unterstützung die DHKP-C kaum fortbestehen könnte (vgl. oben). Schließlich ist die Rückfront auch nicht aufgrund der erfolgten Verurteilungen von Funktionären und Mitgliedern nachhaltig geschwächt. Insoweit macht sich der Senat die Einschätzung des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen und des Verfassungsschutzberichts des Bundes jeweils über das Jahr 2012 zu eigen, wonach die sich im Jahr 2012 häufenden Anschläge der Organisation in der Türkei - insbesondere die tödlichen Schüsse auf Polizeibeamte - zu einem Motivationsschub bei den Anhängern in Europa geführt haben und es der DHKP-C vermehrt gelinge, ihre Anhänger zu mobilisieren und neue, vor allem junge Unterstützer zu rekrutieren. Gleichzeitig schaffe sie es, strukturelle Schwächen zu beseitigen (Bund, S. 358). Die DHKP-C sei weiterhin in der Lage, zumindest auf niedrigem Niveau Aktivitäten zu entfalten, wozu auch weiterhin von Deutschland aus unterstützte terroristische Aktionen gegen Ziele in der Türkei gehören können (NRW, S. 90).
80 
Nicht entscheidend ist schließlich, ob die Organisation im Bundesgebiet in den letzten Jahren durch Gewalttaten aufgefallen ist und ob bzw. in welchem Umfang sie in den Jahren 2004 bis 2008 Terrorakte durchgeführt hat, da sie zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat, was insbesondere auch in der aktuellen „Anschlagoffensive“ 2012 (vgl. oben) sichtbar wird, und weil der Kläger, wie dargelegt, durchgehend in die Organisation eingebunden war und ist.
81 
3. Als anerkannter Flüchtling darf der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 5 und Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die auch eine Ausweisung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 bis 5 AufenthG besonderen Schutz genießender Ausländer rechtfertigen können, in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 vor.
82 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2013, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Qualität und jahrelangen Dauer der Aktivitäten, die jederzeit ihre Fortsetzung finden können, liegt ein solcher Fall nicht vor.
83 
Im Ergebnis sind damit die Voraussetzungen geben, bei deren Vorliegen über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden ist (§ 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
84 
4. Die Ausweisung des Klägers ist nicht am Maßstab von Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu messen, da der Kläger eine assoziationsrechtliche Rechtsposition nicht erworben hat. Ausgehend von dem durch den Kläger vorgelegten Versicherungsverlauf vom 03.02.2014 und der Auskunft der AOK Ludwigsburg vom 12.02.2014 konnten seine Beschäftigungszeiten ihm - ungeachtet der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen einer Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt und einer ordnungsgemäßen Beschäftigung vorgelegen haben - bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung am 20.01.2012 keine Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vermitteln. Der Erwerb des Rechts aus dem 2. Spiegelstrich Art. 6 ARB 1/80 scheitert an der Beschäftigungslücke in der Zeit vom 17.06.2008 bis 14.08.2008. Ab September 2009 erfolgten regelmäßig vor Ablauf von drei Jahren Arbeitgeberwechsel. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung war er nicht beschäftigt.
85 
Aber selbst wenn der Maßstab des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hier zur Anwendung käme, stünde er der Ausweisung nicht entgegen, weil sie aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt ist. Nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt der Abschnitt 1 des Beschlusses (nur) vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Bei der Prüfung des daraus für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige abzuleitenden besonderen Ausweisungsschutzes ist nach der ständigen Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08, Ziebell - InfAuslR 2012, 43, m.w.N.). Allerdings sind die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie wegen der grundsätzlichen Unterschiede der durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers zu der eines Assoziationsberechtigten nicht anzuwenden. Vielmehr ist der Ausweisungsschutz - nach Aufhebung der bisher insoweit sinngemäß bzw. analog auch auf assoziationsrechtlich geschützte türkische Staatsangehörige angewandten Richtlinie 64/221/EWG - nach Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG vom 25.11.2003 (Daueraufenthaltsrichtlinie) zu bestimmen (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 08.12.2011, a.a.O.; Senatsurteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris).
86 
Gemäß Art. 12 Daueraufenthaltsrichtlinie darf ein langfristig Aufenthaltsberechtigter nur ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt (Abs. 1). Außerdem darf die Ausweisungsverfügung nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen (Abs. 2). Schließlich haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Abs. 3). Die entsprechende Anwendung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welchen eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung zukommt, bedeutet für diese der Sache nach einen Ausweisungsschutz, der dem bislang geltenden entspricht (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 26.10.2012 - 11 S 278/12 - juris, m.w.N.).
87 
Dieser Schutz steht der Ausweisung hier nicht entgegen. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass der Kläger eine ausländische terroristische Vereinigung im Bundesgebiet aktiv unterstützt hat und auch weiterhin als überzeugter Anhänger im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt. Damit stellt er aber eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit dar. Die Ausweisung beruht auch nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen.
88 
Somit liegen nach nationalem Recht sowie auch nach ARB 1/80 die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ermessensausweisung vor.
89 
5. Die Ausübung dieses Ermessens ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht insbesondere auch den Anforderungen von Art. 14 ARB 1/80 bzw. Art. 12 Abs. 3 der Daueraufenthaltsrichtlinie.
90 
Die Behörde ist von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dies gilt sowohl für die Gefährlichkeit der Organisation und Art, Umfang und Bedeutung der Unterstützungshandlungen des Klägers als auch hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse (vgl. unten). Ihre Einschätzung, dass der Kläger die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation und damit eine terroristische Organisation bereits seit 1998 nachhaltig und in subjektiv zurechenbarer Weise unterstützt und in diese eingebunden war, ist, wie dargelegt, auch im heutigen Zeitpunkt weiterhin zutreffend, wobei es auch nach Ansicht des Senats nicht darauf ankommt, ob der Kläger auch die Veranstaltung in Stuttgart oder nur die Veranstaltungen in Wuppertal und Lüttich besucht hat (vgl. oben).
91 
Die Verfügung weist auch im Übrigen mit den im Zulassungsantrag und im letzten Schriftsatz des Regierungspräsidiums vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen keine Ermessensfehler auf. Die Änderungen und Ergänzungen sind hier einzubeziehen. Denn sie entsprechen den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen an die Änderung der Begründung eines Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren.
92 
In seiner Entscheidung vom 13.12.2011 (1 C 14.10 - juris) hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden dürfe. Daraus folge, dass die Behörde klar und eindeutig zu erkennen geben müsse, mit welcher "neuen" Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibe, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen könnten. Insbesondere müsse sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung beträfen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidige. Stütze die Behörde ihre Entscheidung während des gerichtlichen Verfahrens auf neue Ermessenserwägungen, habe das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass auch der Betroffene hinreichend Gelegenheit erhalte, seine Rechtsverteidigung hierauf einzustellen.
93 
Diese Anforderungen sind hier eingehalten worden. Das Regierungspräsidium hat zunächst bereits im Zulassungsantrag die Begründung der angegriffenen Verfügung geändert und deutlich gemacht, dass sie diese nur noch auf den spezialpräventiven Zweck stützt. Es hat dabei eindeutig zu erkennen gegeben, mit welchem Text sie die Verfügung ergänzt und welche ursprüngliche Passage dafür entfällt. Es hat noch im letzten Schriftsatz erklärt, dass es an dieser Änderung festhält. Zusätzlich hat es die Verfügung mit einem eindeutig benannten Einschub dahingehend ergänzt, dass es, auch soweit der Kläger ein Recht aus Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte, seine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen für gerechtfertigt halte und das öffentliche Sicherheitsinteresse weiterhin gegenüber den schutzwürdigen Interessen des Klägers auch hiervon ausgehend als überwiegend ansehe. Weiterhin hat es eine Ergänzung dahingehend vorgenommen, dass es die Ausweisungsverfügung bereits deshalb als sinnvoll erachte, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Schließlich hat die Behörde die Ausführungen zu § 54 Nr. 5a AufenthG gestrichen. Der Kläger hatte Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
94 
Die danach im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden. Bereits in der ursprünglichen Begründung der Ermessensentscheidung ist ausgeführt, aufgrund seines gesamten und mangels Distanzierung auch gegenwärtigen Verhaltens, der Häufigkeit und Kontinuität seiner Unterstützungs- und Mitgliedschaftshandlungen und seiner gefestigten Befürwortung der militant-extremistischen Ziele der DHKP-C gehe vom Kläger eine konkrete Gefahr aus, die ein großes öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründe, das gegenüber den privaten Interessen des Klägers höher zu gewichten sei. Dieser halte sich seit November 1995 im Bundesgebiet auf, sei während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik zunächst zehn Jahre lang keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen, sondern habe staatliche Sozialleistungen in Anspruch genommen. Erst ab Ende 2005 habe er mit geringfügigen und unqualifizierten Gelegenheitsarbeiten einen - bis 2010 allerdings lediglich geringen - Teil seines Lebensunterhaltes selbst bestritten. Er habe zwar zwei im Bundesgebiet lebende Brüder, aber die meisten Familienmitglieder lebten noch in der Türkei. Es sei kein Interesse etwa an deutscher Tradition oder Kultur und es sei kein Aufbau von allgemein sozialen und gesellschaftlichen Kontakten zu deutschen Staatsangehörigen erkennbar, vielmehr fielen umgekehrt die zahlreichen intensiven Verbindungen zu - gleichgesinnten - Landsleuten deutlich ins Gewicht. Dies gelte vor allem auch in politischer Hinsicht, da sein gesamtes Verhalten zeige, dass es ihm offenbar in erster Linie darum gehe, seine Zugehörigkeit zur DHKP-C und deren Mitglieder und Unterstützer auch auf deutschem Staatsgebiet zu bewahren.
95 
In nicht zu beanstandender Weise davon ausgehend, dass der Kläger - in dem von der Beklagten-Vertreterin erklärten Sinne - als Funktionär der DHKP-C anzusehen ist, d.h., diese qualifiziert unterstützt, indem er konkrete, ihm zugewiesene Funktionen wahrnimmt und hierdurch in diese eingebunden ist, ist das Regierungspräsidium rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die erheblichen Sicherheitsinteressen an der Ausweisung die gegenläufigen privaten Interessen des trotz langjährigen Aufenthalts nur in Ansätzen in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integrierten Klägers überwiegen. Mit der Zulassungsbegründung hat die Behörde dargelegt, dass sie an dieser Einschätzung festhält, auch wenn der Kläger aufgrund der bekannten beruflichen Tätigkeiten einen Anspruch nach Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte. Die so ergänzten bzw. geänderten Ermessenserwägungen tragen auch den Anforderungen des Art. 12 Abs. 3 Daueraufenthaltsrichtlinie ausreichend Rechnung.
96 
Weiterhin hat die Behörde die Flüchtlingseigenschaft und die Folge, dass der Kläger auf derzeit nicht absehbare Zeit zu dulden sein wird, berücksichtigt, und die Ausweisung hiervon unabhängig u.a. wegen der beabsichtigten Beschränkungen ausgesprochen. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, nachdem sie jedenfalls nicht mehr davon ausgeht, dass diese Beschränkungen ohne Ausweisung überhaupt nicht möglich gewesen wären.
97 
Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger, wie von dem Beklagten angenommen, nicht nur den Tatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG, sondern auch den des § 54 Nr. 5a AufenthG verwirklicht hat. Denn insoweit handelt es sich lediglich um eine im Hinblick auf das Ermessen nicht maßgebliche Würdigung ein- und desgleichen zutreffend zugrunde gelegten Sachverhalts unter zwei verschiedene Normen. Zudem hat das Regierungspräsidium mit der entsprechenden Streichung ihre Verfügung nicht mehr auf diese Norm gestützt.
98 
6. Der dargestellte nationale Maßstab der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ als tatbestandliche Voraussetzung der Ausweisung wird hier nicht durch die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig nationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004 (ABl. L 304, S. 12) bzw. die Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie (- QRL - ABl. L 337, S. 9) modifiziert.
99 
Auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung sind diese Grundsätze trotz der dem Kläger zuerkannten Flüchtlingseigenschaft und des ihm daraufhin ursprünglich erteilten Titels ausnahmsweise nicht anwendbar. Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger bereits vor Inkrafttreten der ursprünglichen Qualifikationsrichtlinie erfolgte. Art. 21 und Art. 24 QRL enthalten - etwa im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 1 QRL - keine Sonderregelungen, aus denen geschlossen werden könnte, dass deren Anwendbarkeit bei Altanerkennungen ausgeschlossen wäre (Urteil des Senats vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - juris, unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 - juris Rn. 21 f. und vom 01.03.2012 - 10 C 10.11 - juris Rn. 11 ff.). Nach deutschem Recht ist die Ausweisung auch, soweit sie zum Erlöschen eines statusbedingten Titels im Sinne der Richtlinie (Art. 24 QRL) führt, eine Entscheidung im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL (a). Im hier vorliegenden besonderen Fall ist aber die bereits bestandskräftig gewordene und auch ausweisungsunabhängig erfolgte Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG die in Bezug auf Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL maßgebliche Entscheidung (b).
100 
a) Art. 24 Abs. 1 QRL regelt den sich aus der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Absatz 1) ergebenden Anspruch auf einen Aufenthaltstitel und die Voraussetzungen, unter denen trotz der Zuerkennung internationalen Schutzes der Titel verweigert werden darf. Art. 21 QRL regelt in Absatz 2 die Voraussetzungen für die Zurückweisung eines Flüchtlings und macht in Absatz 3 deutlich, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen auch ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel oder ein bereits erteilter und fortbestehender Aufenthaltstitel keinen weitergehenden Schutz bietet.
101 
Entscheidungen im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL sind damit - bezogen auf eine Person, der, wie dem Kläger, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde - alle Maßnahmen, die dieser entweder den statusbedingten Aufenthaltstitel entziehen und/oder deren Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung dieses Aufenthaltstitels ablehnen.
102 
Das Bundesverwaltungsgericht hat für den Fall der Ablehnung der Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG entschieden, dass die Voraussetzungen des insoweit allein in Betracht kommenden (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG an Art. 21, 24 QRL gemessen werden müssen (BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - Rn. 24). Nicht entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. auch Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 - juris), ob auch eine Ausweisung eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ist und die sich hieraus ergebenden erhöhten Anforderungen damit auch bei einer Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, die - anders als die Ablehnung - nicht auf die Gründe des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG beschränkt ist, zu stellen sind.
103 
Der Senat hat bereits ausgeführt (vgl. zuletzt Vorlage-Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), dass eine Ausweisung, die einen aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilten Aufenthaltstitel zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 oder Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL entsprechen muss. Hieran ist festzuhalten.
104 
Die Ausweisung beendet grundsätzlich nicht nur einen bestimmten, sondern alle bereits erteilten Titel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Sie trifft dabei - anders als die Rücknahme und die Ablehnung der Neuerteilung oder Verlängerung - keine unmittelbare Entscheidung über das Bestehen von Titelerteilungsansprüchen (auch nicht auf die erneute Erteilung der erloschenen Aufenthaltstitel). Dem entspricht es, dass auch der besondere Ausweisungsschutz nach nationalem Recht grundsätzlich nicht an das Bestehen oder Nichtbestehen von Titelerteilungsansprüchen anknüpft. In Bezug auf solche Ansprüche entfaltet die Ausweisung aber gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG u.a. ein in der Regel zu befristendes Titelerteilungsverbot, die sog. Sperrwirkung. Die Sperrwirkung wird durch gleichzeitige oder nachfolgende hierauf gestützte Ablehnungsentscheidungen titelbezogen umgesetzt und konkretisiert.
105 
Dieses deutsche Institut der Ausweisung als solches kennt die Qualifikationsrichtlinie, die auch mit Art. 21, 24 QRL nicht tatbestandlich an einzelne nationale Bestimmungen anknüpft, nicht. Aus Art. 21, 24 QRL lässt sich dementsprechend zwar kein unmittelbarer Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 AufenthG - weder anknüpfend an einen Titel noch an einen Status - entnehmen. Es wird insoweit grundsätzlich vom Gesetzgeber zu entscheiden sein, ob er den Schutz der Art. 21, 24 QRL im nationalen Recht als besonderen, an den Status oder den Titelbesitz anknüpfenden Ausweisungsschutz für Ausländer, denen internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt ist, ausgestaltet, mit der Folge, dass hierdurch auch mittelbar bereits erteilte schutzunabhängige nationale Titel vor dem Erlöschen und Ansprüche auf Erteilung von schutzunabhängigen nationalen Titeln vor dem Eingreifen der Sperrwirkung geschützt werden. Ein solcher besonderer über die Vorgaben der Art. 21, 24 QRL hinausgehender Ausweisungsschutz ist dabei nicht die einzig mögliche Umsetzung. Alternativ wäre denkbar, dass der Gesetzgeber den zur Aufnahme des Flüchtlings zu erteilenden nationalen Titel von den Wirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch Änderung dieser Bestimmungen, durch Änderung des § 25 AufenthG oder auch durch Normierung dieser Titel außerhalb des Aufenthaltsgesetzes ausnimmt (vgl. zur Aufenthaltsgestattung des Schutzsuchenden vgl. § 67 AsylVfG, §§ 56 Abs. 4, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sowie Art. 9 RL 2013/32/EU). Bisher hat der nationale Gesetzgeber die sich aus Art. 21, 24 QRL ergebenden Anforderungen aber nicht umgesetzt, was zur Folge hat, dass Art. 21, 24 QRL unmittelbar Anwendung finden und die Ausweisung damit jedenfalls soweit sie die dort genannten Wirkungen bezüglich des zur Aufnahme als Flüchtling (zum Begriff vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) bzw. aufgrund der Zuerkennung von internationalem Schutz erteilten Titels entfaltet, an deren Vorgaben zu messen ist.
106 
Daher finden nach Ansicht des Senats auch auf eine Ausweisung, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht wie die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt, die Regelungen der Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 2 QRL über die Aufhebung bzw. Beendigung von Aufenthaltstiteln Anwendung (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Dabei kann es im vorliegenden Fall weiterhin offen bleiben, an welchem Maßstab eine Ausweisung zu messen ist, die die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG nicht ersatzlos zum Erlöschen bringt, weil gleichzeitig eine auf mindestens drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG erteilt wird, so dass im Ergebnis nur eine „Herabstufung“ erfolgt (offen gelassen im Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris und im Beschluss des Senats vom 15.08.2013 - 11 S 1711/12 - für den Fall des Verstoßes der ersatzlosen Rücknahme einer Niederlassungserlaubnis gegen Art. 6 ARB 1/80).
107 
b) aa) Weiterhin ist die Ausweisung grundsätzlich immer dann eine an Art. 21, 24 QRL zu messende Beendigung eines statusbedingten Aufenthaltstitels eines Flüchtlings, wenn sie ein befristetes Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 2 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt. Allerdings wird eine solche Ausweisung meist verbunden mit einer in die Zukunft gerichteten Ablehnung der - erneuten - Erteilung bzw. Verlängerung dieses befristeten Titels. Diese Ablehnung ist, ebenfalls eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL. Wenn eine solche Ausweisung hinsichtlich der - vorzeitigen - Beendigung des befristeten Aufenthaltstitels den Anforderungen der Qualifikationsrichtlinie gerecht wird, ergibt sich regelmäßig schon hieraus die Rechtmäßigkeit der anspruchsverneinenden Ablehnungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 25 Abs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch in unionsrechtlicher Hinsicht. Damit wird sich die Prüfung auf die Vereinbarkeit der titelvernichtenden Ausweisung mit den Vorgaben der Richtlinie konzentrieren.
108 
Anders ist dies dann, wenn eine Ausweisung erst ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist. Dann ist zunächst diese Ablehnung an den Vorgaben der Art. 21, 24 QRL zu messen. Behält diese Bestand, weil Rechtsbehelfe nicht eingelegt werden oder erfolglos bleiben, greift eine nachfolgende Ausweisung in keinen entsprechenden Titel mehr ein. Ist der Anspruch auf Erteilung eines Titels gemäß §§ 25 Abs. 2, 26 Abs. 3 AufenthG bereits ausweisungsunabhängig (zurückgenommen oder) abgelehnt, geht schließlich auch das - zu befristende - Titelerteilungsverbot insoweit ins Leere.
109 
Dem Fall, dass eine Ausweisung gegenüber einem anerkannten Flüchtling ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des bereits abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist, ist der Fall gleichzusetzen, in dem eine Ausweisung nach Ablauf der Geltungsdauer des befristeten Aufenthaltstitels zwar gleichzeitig mit einer - zumindest auch - ausweisungsunabhängigen Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung des befristeten Titels als weitere Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ergeht, letztere aber bereits bestandskräftig ist (vgl. zur Prüfung von Art. 8 EMRK in einer entsprechenden Konstellation vgl. BayVGH, Beschluss vom 24.02.2011 - 10 ZB 10.243 - juris). Dann ist die Ausweisung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung ebenfalls nicht mehr an der Qualifikationsrichtlinie zu messen.
110 
bb) Nach diesen Grundsätzen ist die hier allein maßgebliche Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL die Ablehnungsentscheidung in Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung mit der Folge, dass im vorliegenden Fall nicht auch die Ausweisungsverfügung an den Anforderungen der Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL zu messen ist.
111 
Der Kläger war nach Ablauf seiner letzten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht mehr im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Dieser galt zwar nach rechtzeitiger Stellung des Verlängerungsantrags als fortbestehend. Die Fortgeltung endete aber bereits mit dem Wirksamwerden der auch auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützten Ablehnung (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Für diese Ablehnungsentscheidung waren die Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL einschlägig. Ob die Ablehnungsentscheidung, die nach nationalem Recht aufgrund des Vorliegens des Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG zwingend erfolgen musste, diesen Anforderungen gerecht wird, ist hier nicht zu prüfen, weil die Klage, wie dargelegt, insoweit bereits unzulässig war und diese Entscheidung damit bestandskräftig ist. Zur Nichtigkeit würde nach dem insoweit maßgeblichen nationalen Verfahrensrecht ein solcher nicht offensichtlicher Verstoß gegen höherrangige Regelungen nicht führen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Nicht zu entscheiden ist hier, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Ablehnungsverfügung im Falle ihres Verstoßes gegen Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL wiederaufgegriffen werden müsste (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Die bloße grundsätzlich bestehende Möglichkeit des Wiederaufgreifens erfordert weder die Inzidentprüfung einer bestandskräftigen Verfügung noch lässt sie eine Abweichung von der durch diese geschaffenen Sachlage zu.
112 
Somit hat der Kläger schon aufgrund dieser Entscheidung keinen fortbestehenden Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG mehr inne, so dass die Ausweisung in diesen Titel nicht mehr eingreifen kann. Auch hinsichtlich der Sperrwirkung ist in solchen Fällen die Ablehnungsentscheidung (oder ggf. Rücknahme) in Bezug auf den abgelehnten Titel jedenfalls dann, wenn die Ablehnung - wie hier - nicht nur wegen der Sperrwirkung der Ausweisung, sondern zusätzlich selbständig tragend wegen des Vorliegens des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG erfolgt ist, die bezogen auf Art. 21, 24 QRL maßgebliche Entscheidung. Denn mit bestandskräftiger Ablehnung der Erteilung des Aufenthaltstitels steht auch bindend fest, dass ein Anspruch auf diesen Titel nicht besteht. Die Bestandskraft dieser Ablehnungsentscheidung wird weder von der hier mit der Berufung angegriffenen Kassation der Ausweisungsverfügung noch von deren Befristung berührt.
113 
7. Unabhängig davon ist die Ausweisung schließlich aber auch dann rechtmäßig, wenn sie im vorliegenden Fall - neben der hier nicht streitgegenständlichen Ablehnungsentscheidung ebenfalls - an Art. 21, 24 QRL zu messen ist.
114 
Dabei kommt es hier auf die dem Europäischen Gerichtshof vom Senat (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) vorgelegte streitige Frage nicht an, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels, die sich aus Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL ergeben, geringer sind, als die aus Art. 24 Abs. 1 QRL (so BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris; a.A. zuletzt Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), so dass weder eine weitere Vorlage noch eine Aussetzung des Verfahrens angezeigt war. Vom Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts ausgehend, ist es für eine Maßnahme im Sinne der Art. 21 Abs. 3 QRL und auch eine Ablehnung eines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL jedenfalls ausreichend, dass die niedrigen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL erfüllt sind; dementsprechend können auch an eine Ausweisung, wenn sie an diesen Vorschriften zu messen ist, nicht die nach diesem Ansatz höheren Anforderungen des Art. 24 QRL gestellt werden. Nach Überzeugung des Senats sind hier aber die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht aus Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL herleitet, erfüllt.
115 
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts es - mit Blick auf die in Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL enthaltene erhöhte Gefahrenschwelle - gebietet, bei anerkannten Flüchtlingen den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen nur in Fällen vorliegen, in denen der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Anders als das nationale Aufenthaltsrecht, das in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel auch in Fällen des § 54 Nr. 5 AufenthG als gegeben ansehe, enthalte das Unionsrecht insoweit keine Regelvermutung, sondern verlange eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Dabei reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG für sich genommen noch nicht aus; vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Schwerwiegende Gründe lägen regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Betreffende sich für die Organisation etwa durch Teilnahme an deren Aktivitäten oder durch einzelne finanzielle Zuwendungen einsetze. Vielmehr müssten bei einer am Gewicht des Ausschlussgrundes ausgerichteten Wertung die vom Ausländer ausgehenden Gefahren so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das sei typischerweise erst dann der Fall, wenn der Flüchtling eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, in qualifizierter Weise, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als Funktionär, unterstütze. Das könne sich daraus ergeben, dass er durch eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder -bereitschaft für die Ziele der Organisation eintrete oder dass er durch seine strukturelle Einbindung in die Organisation, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, deren Gefährdungspotential mittrage. Welche Art der Einbindung des Ausländers in die Organisation erforderlich und ausreichend sei, um in seiner Person die erhöhte Gefahrenschwelle zu erreichen, lasse sich nicht abstrakt beantworten, sondern hänge von einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles ab, u.a. auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und Gewaltbereitschaft bestimmt werde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris).
116 
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die DHKP-C verfolgt, wie dargelegt, die Herbeiführung einer Weltrevolution und den Sturz des Imperialismus. Die DHKP-C strebt eine kommunistische Gesellschaftsordnung an, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Darüber hinaus gefährdet sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126). Die Organisation versteht es als „heilige Pflicht", gegen die „Tyrannei und Ausbeutung" in der Türkei zu kämpfen. Zur Erreichung ihrer Ziele führt sie den bewaffneten Kampf. Angriffsziele sind nicht nur der türkische Staat und dessen Organe, sondern auch weitere „Feinde des Volkes", zu denen die DHKP-C in erster Linie den „US-Imperialismus" zählt (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 127 f.). Ebenso wie diese Zielsetzung sind auch ihre Aktivitäten und ihr bewaffneter Kampf, der auch mit Mitteln terroristischer Anschläge geführt wird (vgl. oben), nicht - grundsätzlich - auf die Türkei beschränkt. Am 12.02.1999 verfügte Dursun Karatas zwar einen Gewaltverzicht der DHKP-C für Westeuropa. In Deutschland waren seitdem auch keine gewaltsamen Aktionen mehr festzustellen. Der Organisation der DHKP-C in Deutschland kommt aber weiterhin eine bedeutende Rolle als „Rückfront“ zu, die insbesondere für finanzielle Förderung zur Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes der DHKP-C in der Türkei erforderlich ist (vgl. oben), die zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat (vgl. oben).
117 
Die hohe Gewaltbereitschaft zeigt sich vor allem im Einsatz von eindeutig terroristischen (Selbstmord-)Anschlägen mit Sprengsätzen, Handgranaten u.ä., aber auch in der Bewaffnung mit und dem Gebrauch von Schusswaffen. Dass der Einsatz dieser Mittel derzeit auf die Türkei beschränkt ist, ändert an dem hohem Grad der Gewaltbereitschaft und Gefährlichkeit nichts, da der Verzicht auf Gewalt in anderen europäischen Ländern und insbesondere auch in Deutschland erkennbar aus taktischen Gründen erfolgt ist, um hier die Rückfront möglichst von strafrechtlicher Verfolgung ungestört aufzubauen und wirken zu lassen. Der Grad der Gefährlichkeit ist, wie ebenfalls bereits dargelegt, auch nicht deswegen als niedriger anzusehen, weil es sich um eine Organisation mit einer eher geringen Mitgliederzahl handelt. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese Organisation sich auch in der Struktur von großen Organisationen, wie beispielsweise der PKK, u.a. dadurch unterscheidet, dass eine klare Unterscheidung in herausgehobene Funktionäre und mit Anschlägen befasste Kader und sonstige Angehörige nicht geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris und s. oben). Jedem einzelnen ihrer Anhänger, der, wie der Kläger, durch arbeitsteilige Aufgabenwahrnehmung in diese und in deren Kontrolle eingebunden ist, kommt insoweit regelmäßig unmittelbare Bedeutung für die Förderung und den Erhalt der nach Überzeugung des Senats hochgradig gefährlichen Organisation zu. Dementsprechend verhalten sich nicht nur die Funktionäre, sondern auch die „einfachen“ Anhänger der DHKP-C ausgesprochen konspirativ (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128).
118 
Ihre aktuelle Gefährlichkeit und Gewaltbereitschaft hat die Organisation mit der „Anschlagoffensive“ ab Mitte 2012 demonstriert (vgl. oben), die ebenfalls belegt, dass auch die Festnahmen und Verurteilungen einzelner auch überregional verantwortlicher Funktionäre und die Sicherstellungen von Waffen und Sprengstoff den Gefährdungsgrad der Organisation bisher nicht nachhaltig beeinträchtigen konnten.
119 
Zur Führung in der Bundesrepublik zählen neben dem Deutschlandverantwortlichen und dessen Vertretern mehrere Regions- und Gebietsverantwortliche sowie weitere, mit Sonderaufgaben betraute Funktionäre, etwa die Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit. Als örtliche oder regionale Basis dienen DHKP-C-nahe Tarn-Vereine. Die Tätigkeitsschwerpunkte in Baden-Württemberg liegen im Großraum S... sowie in der R...-N...-Region (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128), wo auch der Kläger, wie dargelegt, nach Überzeugung des Senats als Aktivist strukturell in die Organisation der DHKP-C, deren Gefährdungspotential er auch weiterhin mitträgt, eingebunden war und ist. Er hat die DHKP-C durch die oben dargestellten Tätigkeiten jahrelang planmäßig in Abstimmung und Zusammenarbeit mit anderen Anhängern, Mitgliedern und Funktionären unterstützt und damit, insbesondere durch Verbreitung ihrer Ideologie und Beschaffung von finanziellen Mitteln, maßgeblich dazu beigetragen, dass die DHKP-C, deren Aktionen die Rückfront durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf ihrer Schriften, durch Einnahmen aus Spendengeldsammlungen und aus Musik- und anderen Veranstaltungen finanziert, in der Türkei Terroranschläge in erheblichem Umfang und Ausmaß durchführen konnte (vgl. dazu oben).
120 
Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, die das Bundesverwaltungsgericht zu Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und 1 QRL aufgestellt hat, hier gegeben.
121 
Nach der Ansicht des Senats liegen hier ohne weiteres "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 QRL vor und rechtfertigen die Ausweisung auch unionsrechtlich (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Ob daneben auch die nach Ansicht des Senats im Vergleich zu Art. 24 Abs. 1 QRL strengeren Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 QRL (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) erfüllt sind, ist hiervon ausgehend aber unerheblich, weil die Ausweisung weder eine Entscheidung über die Zurückweisung darstellt noch den - nach deutschem Recht titelunabhängigen - Schutz davor (vgl. § 60 Abs. 1 AufenthG) entzieht.
122 
8. In die übrigen, sich aus der Richtlinie ergebenden Rechte des international Schutzberechtigten, von denen der Anspruch auf den befristeten Aufenthaltstitel nur eines ist (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris), greift eine Ausweisung hier nicht ein.
123 
Dies gilt unabhängig davon, dass im deutschen Recht zum Teil, insbesondere im Bereich der Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, bestimmte durch die Richtlinie garantierte Rechte über den Aufenthaltstitel vermittelt werden (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 a.a.O.). Denn soweit die dem Statusinhaber in der Qualifikationsrichtlinie gewährten Rechte weder vom Fortbestehen des aufgrund des Status ausgestellten Aufenthaltstitels abhängig sind bzw. gemacht werden können, hat der Eingriff in den - Anspruch auf einen - Aufenthaltstitel auf diese ohnehin keinen Einfluss. Insoweit können dem Ausländer, dem internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt worden ist, die hierauf beruhenden Rechte nur mit der Zuerkennung als solcher entzogen werden.
124 
Es kann offenbleiben, ob und inwieweit einzelne Rechte noch nach der erfolgten Aufnahme durch Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Flüchtlingseigenschaft (vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) vom Fortbestand des vermittelten Aufenthaltsstatus bzw. von der Verlängerung des Aufenthaltstitels abhängig gemacht werden können und ob das nationale Recht die Voraussetzungen hierfür erfüllt (vgl. Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Denn im hier vorliegenden Fall hat, wie dargelegt, schon die bestandskräftige Ablehnung und nicht erst die streitgegenständliche Ausweisung zum Verlust des Titels und damit ggf. auch hiervon abhängiger Rechte geführt.
II.
125 
Die Anordnung der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54a AufenthG durch Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids sind ebenfalls rechtmäßig.
126 
Nach § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den eine vollziehbare Ausweisungsverfügung u.a. nach § 54 Nr. 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Nach Absatz 2 der Vorschrift ist sein Aufenthalt auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit diese keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Gesetz eingefügten Vorschriften (BT-Drucks. 15/3479 S. 9) dienen der Gefahrenabwehr. Sie sollen die von den nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG ausgewiesenen Ausländern ausgehende Gefahr einer Weiterführung von Handlungen im Vorfeld des Terrorismus eindämmen, gerade auch in Fällen, in denen mit einer baldigen Aufenthaltsbeendigung nicht zu rechnen ist (BR, Plenarprotokoll 802 vom 09.07.2004, S. 338 ff.). Die Ausländerbehörde hat die Möglichkeit, die gesetzliche Ausgestaltung der Überwachungsmaßnahmen je nach dem Gewicht der konkreten Gefahr zu modifizieren; dabei hat sie den mit einer Meldepflicht und einer Aufenthaltsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriff unter Wahrung des Gebots der Verhältnismäßigkeit zu beschränken und - insbesondere bei länger andauernder Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung - unter Kontrolle zu halten (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
127 
Der angegriffene Bescheid konkretisiert die gesetzlichen Verhaltenspflichten durch die Regelung, ohne von der gesetzlich im Normalfall vorgesehenen Meldehäufigkeit oder von der Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde abzuweichen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass vom Kläger eine geringere Gefahr ausgeht als von anderen Ausländern, die auf der Grundlage von § 54 Nr. 5 AufenthG ausgewiesen werden, so dass die gesetzlichen Verhaltenspflichten des § 54a Abs. 1 und 2 AufenthG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abzuschwächen wären, sind weder festgestellt noch vorgetragen. Nach nationalem Recht sind die Auflagen damit nicht zu beanstanden.
128 
Den auf der Grundlage von § 54a AufenthG verfügten Auflagen steht auch nicht der Anspruch des anerkannten Flüchtlings auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit innerhalb des jeweiligen Hoheitsgebiets nach Art. 33 QRL entgegen. Zwar gilt Art. 33 QRL unabhängig von der aufenthaltsrechtlichen Aufnahme im Mitgliedstaat und lässt eine Anknüpfung an den Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht zu (vgl. auch oben zu Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Ein anderes Verständnis lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zusammenhang mit Art. 26 GFK herleiten (so aber Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 939). Der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 33 QRL setzt eindeutig ausschließlich die Zuerkennung des internationalen Schutzstatus und nicht auch die erfolgte Aufnahme im Wege der Erteilung des Aufenthaltstitels voraus. Auch aus der englischen und französischen Fassung (Begünstigte des Status bzw. die, den Status genießen) ergibt sich nichts anderes. In der englischen Fassung lautet die Regelung:
129 
"Member States shall allow freedom of movement within their territory to beneficiaries of refugee or subsidiary protection status, under the same conditions and restrictions as those provided for other third country nationals legally resident in their territories."
Die französische Fassung lautet: "Les États membres permettent aux personnes bénéficiant du statut de réfugié ou du statut conféré par la protection subsidiaire de circuler librement à l'intérieur de leur territoire, dans les mêmes conditions et avec les mêmes restrictions que celles qui sont prévues pour les ressortissants d'autres pays tiers résidant légalement sur leur territoire."
130 
Dem entspricht es, dass die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Rechte, von denen der Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach Art. 24 QRL nur einer ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris), auch im Übrigen grundsätzlich nur an die Zuerkennung des jeweiligen Status anknüpfen (vgl. die unter Kapitel VII „Inhalt des nationalen Schutzes“ getroffenen Bestimmungen - Art. 22 ff., sowie die Erwägungsgründe 38 ff.). Das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit wird im jeweiligen Aufenthaltsstaat garantiert. Dabei fordert das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit nicht die Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, sondern, wie beim Zugang zu Wohnraum (Art. 32), mit Drittausländern, die sich rechtmäßig im jeweiligen Hoheitsgebiet aufhalten.
131 
Etwas anderes lässt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm nicht herleiten. Nach Art. 30 des Entwurfs der Kommission sollten Personen, die internationalen Schutz genießen, unbeschränkte Freizügigkeit in den jeweiligen Mitgliedstaaten erhalten (Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen, Schutz benötigen KOM(2001) 510 endgültig vom 12.9.2001: „Member States shall not limit the freedom of movement within their territory of persons enjoying international protection“). Der Kreis der Berechtigten wurde im Laufe des Normgebungsverfahrens nicht eingeschränkt. Allerdings wurde der Umfang der Freizügigkeit, die ihnen zu gewähren ist, aufgrund von Forderungen einzelner Mitgliedstaaten nach Ergänzung von Ausnahmen (z.B. aus Gründen der nationalen Sicherheit, öffentlichen Ordnung, Strafverfahren) eingeschränkt (EL/E/IRL/I/UK – Deutschland hatte einen Prüfungsvorbehalt geltend gemacht, vgl. Council doc. No. 10596/02, p. 36 und Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1198). Auch wenn die Gestaltung dieser Einschränkung mit Blick auf Art. 26 GFK erfolgt sein dürfte (vgl. Hailbronner, a.a.O.), der in der deutschen Fassung bestimmt, dass jeder vertragsschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewähren wird, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden (vgl. dazu unten), ergibt sich hieraus nicht, dass auch der Kreis der Berechtigten auf diejenigen anerkannten Schutzberechtigten, die sich rechtmäßig im Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, beschränkt werden sollte, und sich ausgewiesene Schutzberechtigte deshalb nicht darauf berufen können (so aber Marx a.a.O.). Denn zwar wird auch anerkannten Schutzberechtigten mit der erfolgten Einschränkung nicht mehr - wie zunächst vorgesehen - uneingeschränkte Freizügigkeit (wie den jeweiligen Staatsangehörigen), sondern nur noch in dem Umfang, wie diese auch anderen Drittstaatsangehörigen zusteht, die sich rechtmäßig im jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, gewährt. Die in Art. 26 GFK enthaltene Einschränkung auf sich „rechtmäßig“ im Hoheitsgebiet aufhaltende Schutzberechtigte wurde aber nicht übernommen. Offenbleiben kann damit, ob die nicht verbindliche deutsche Übersetzung der Genfer Flüchtlingskonvention überhaupt korrekt ist (vgl. die verbindliche englische und französische Fassung: Each Contracting State shall accord to refugees lawfully in its territory the Right … und Tout Etat Contractant accordera aux réfugiés se trouvant régulièrement sur son territoire le droit …) bzw. welche Bedeutung der Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts in dieser Bestimmung hat (vgl. zu diesem Begriff in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GFK vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 1.03 - juris) und insbesondere, ob damit ein rechtmäßiger, über den gewährten Schutz vor Zurückweisung hinausgehender Aufenthaltsstatus gemeint ist.
132 
Im Bereich der Freizügigkeit muss damit ein Ausländer, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist, auch wenn er ausgewiesen und/oder ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 3 QRL versagt werden kann bzw., wie im Falle des Klägers, versagt worden ist, einem sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer gleichgestellt werden.
133 
Für die Frage, welche sich mit oder ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer dabei als Vergleichsgruppe heranzuziehen sind, erscheint eine Auslegung unter der Berücksichtigung der in Art. 26 GFK naheliegend. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 15.01.2008 - 1 C 17.07 - juris) hat zu Art. 26 GFK entschieden, dass diese Vorschrift die Anwendung der Bestimmungen erlaubt, die allgemein für Ausländer unter den „gleichen Umständen“ gelten. Der Begriff der „gleichen Umstände“ wird in Art. 6 GFK näher definiert. Danach sind Differenzierungen, die sich „auf die Dauer und die Bedingungen des vorübergehenden oder dauernden Aufenthalts beziehen“, zulässig, wenn sie die betroffenen Personen auch erfüllen müssten, falls sie nicht Flüchtlinge wären, wenn sie also auch für andere Ausländer gelten würden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus geschlossen, dass etwa zwischen Ausländern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht und solchen, die nur einen befristeten Aufenthaltstitel haben, differenziert werden darf, aber auch nach den Aufenthaltszwecken, für die Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2008 a.a.O.).
134 
Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat in seiner Entscheidung offen gelassen, ob sich aus Art. 32 QRL 2004 (jetzt Art. 33 QRL 2011) engere Vorgaben für das Erfordernis der Ausländergleichbehandlung ergeben als aus Art. 26 GFK, aber darauf hingewiesen, dass Art. 33 QRL als Vergleichsgruppe der Gleichbehandlung die anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Aufnahmestaat aufhalten, wählt und keine Präzisierung wie Art. 6 GFK enthält. Der Senat kann ebenfalls offenlassen, ob die Einschränkung der Freizügigkeit in Art. 33 QRL mit der in Art. 26 GFK gleichbedeutend ist. Denn im vorliegenden Fall findet die Aufenthalts- und Meldeauflage ihre Grundlage in der in Art. 33 QRL vorgesehenen Einschränkung, auch wenn die Vergleichsgruppe alle sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörige sind, unabhängig von dem ihrem Aufenthalt jeweils zugrunde liegenden Zweck. Vor dem Hintergrund, dass sich allein aus dem Schutzstatus nach der Qualifikationsrichtlinie grundsätzlich kein Anspruch auf ein Daueraufenthaltsrecht ergibt, scheidet demgegenüber eine Gleichstellung mit Inhabern einer Niederlassungserlaubnis oder eines Daueraufenthalts-EU aus.
135 
Ausgehend von dieser Vergleichsgruppe sind die verfügten Auflagen rechtmäßig. Zwar können sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Drittausländer den hier verfügten Beschränkungen nicht auf der Grundlage des § 54a AufenthG unterworfen werden. Absatz 1 der Regelung sieht Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkungen für Ausländer, gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5, 5a oder Nr. 5b oder eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, zwingend vor (Satz 1). Ist ein Ausländer auf Grund anderer Ausweisungsgründe vollziehbar ausreisepflichtig, kann eine entsprechende Meldepflicht angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist (Satz 2). Auch die Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde gemäß Absatz 2 erfasst ausschließlich Ausländer im Sinne des Satzes 1 (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar, AuslR, Stand: 01.09.2013, § 54a Rn. 5; a.A. Hailbronner, a.a.O., § 54a Rn. 11). Aus dem systematischen Zusammenhang von Satz 1 und 2 des Absatzes 1 lässt sich bereits entnehmen, dass auch im Falle des Satzes 1 grundsätzlich eine vollziehbare Ausreisepflicht vorliegen muss, so dass auch ein Ausländer, der sich trotz vollziehbarer Ausweisung aufgrund eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht auf dieser Grundlage entsprechenden Beschränkungen unterworfen werden kann.
136 
Entsprechendes gilt für die gesetzliche Beschränkung des Aufenthalts vollziehbar Ausreisepflichtiger gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf das Gebiet des Landes. Auch sie enthält keine Grundlage für die räumliche Beschränkung sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltender Ausländer.
137 
Dagegen sieht aber § 12 AufenthG allgemein Nebenbestimmungen - auch unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltszweck - für Visa, Aufenthaltserlaubnisse oder im Falle des erlaubnisfreien Aufenthalts vor (für Niederlassungserlaubnisse bedarf es einer speziellen gesetzlichen Regelung vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 12 Abs. 2 AufenthG können das Visum und die Aufenthaltserlaubnis mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können - auch nachträglich - mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Auch der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann nach Absatz 4 der Bestimmung zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden. Eine solche Auflage muss ihre Rechtfertigung im Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden; sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen. In diesem Rahmen darf die Ausländerbehörde durch Auflagen öffentliche Interessen schützen, die durch die Anwesenheit des Ausländers nachteilig berührt werden können (BVerwG, Urteil vom 15.12.1981 - 1 C 145.80 - juris zu § 7 Abs. 4 AuslG), insbesondere Beschränkungen verfügen, die die Verhinderung von Straftaten und/oder verfassungsgefährdendem Verhalten im Sinne des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG bezwecken (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar a.a.O., AuslR, § 12 Rn. 12). Damit kann grundsätzlich gemäß § 12 Abs. 2 und 4 AufenthG - z.B. als gegenüber der Ausweisung milderes Mittel oder einziges Mittel, weil von einer Ausweisung aufgrund besonderer Umstände abgesehen wird oder abgesehen werden muss - eine fortbestehende Aufenthaltserlaubnis, unabhängig davon zu welchem Zweck sie erteilt worden ist, sowie ein erlaubnisfreier Aufenthalt auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt werden. Entsprechendes gilt für die Verhängung von der Überwachung dienenden Meldeauflagen, ohne die die räumliche Aufenthaltsbeschränkung in solchen Fällen nicht sicherzustellen ist (vgl. dagegen zur Unvereinbarkeit von Wohnsitzauflagen zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten mit Art. 28 Abs. 1 und 32 QRL vgl. OVG NRW, Urteil vom 21.11.2013 - 18 A 1291/13 - juris m.w.N.).
138 
Wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, steht auch Art. 26 GFK bei sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Flüchtlingen entsprechenden Auflagen nicht entgegen. Eine räumliche Beschränkung ihres Aufenthaltstitels auf dieser Grundlage verstößt schließlich auch nicht gegen das Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16.09.1963 (BGBl. 1968 II S. 423, 1109). Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Protokolls hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. Der Aufenthalt wäre aber nur insoweit rechtmäßig im Sinne des Art. 2 Abs. 1 des Protokolls, als sich der Ausländer in den Grenzen aufhält, die sein Aufenthaltstitel vorsieht, der den rechtmäßigen Aufenthalt räumlich beschränkt (BVerwG, Urteil vom 19.03.1996 - 1 C 34.93 - juris).
139 
Für den Senat besteht nach diesem Maßstab kein Zweifel daran, dass gegenüber jedem sich im Bundesgebiet mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis oder erlaubnisfrei aufhaltenden (Dritt-)Ausländer bei dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt auf der Grundlage des § 12 AufenthG die unter Ziff. 3 verfügten Beschränkungen hätten erlassen werden können. Im Hinblick darauf, dass der Kläger einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund durch die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verwirklicht hat, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sein Verhalten seit seiner Ausweisung grundlegend geändert hat oder in Zukunft ändern wird, erscheinen Beschränkungen seiner Freizügigkeit, um ihm weitere Aktivitäten zugunsten der DHKP-C zumindest zu erschweren, notwendig, geeignet und ihm Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers auch verhältnismäßig. Somit sind diese Beschränkungen auch mit Art. 33 QRL vereinbar.
140 
Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, dass derartige Beschränkungen gegenüber nicht vollziehbar Ausreisepflichtigen auf der Grundlage von § 12 AufenthG im Ermessen der Behörde stehen und auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG nicht - in einem Mindestumfang - zwingend vorgegeben sind. Denn der nach Art. 33 QRL vorzunehmende Vergleich dürfte ohnehin nur auf die grundsätzliche Zulässigkeit der Verhängung der beabsichtigten bzw. erfolgten Beschränkung auch gegenüber anderen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländern bei Zugrundelegung des gleichen Sachverhalts zielen. Unabhängig davon schließt es die gesetzgeberische Bewertung der Tatbestände der § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG als Regelausweisungsgründe und zwingende Versagungsgründe - auch in Bezug auf humanitäre Aufenthaltstitel - aus, bei deren Erfüllung von Beschränkungen, wie sie § 54a AufenthG vorsieht, ganz abzusehen, wenn im Einzelfall weder eine Ausweisung erfolgen noch der befristete Titel widerrufen oder zurückgenommen werden kann und deswegen eine Aufenthaltsbeendigung vorerst ausscheidet. Art und Umfang der Beschränkungen stehen auch nach § 54a AufenthG unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit, der vom Beklagten beachtet worden ist.
141 
Auch im Übrigen begegnen diese Auflagen keinen rechtlichen Bedenken. Das Regierungspräsidium hat die angegriffene Verfügung in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 insbesondere insoweit geändert, dass die Auflagen nun erst mit Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung wirksam werden sollen (vgl. im Übrigen Urteil des Senats vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - juris).
C.
142 
Schließlich ist auch die vom Beklagten mit Verfügung vom 24.02.2014 getroffene Befristungsentscheidung, die der Senat aufgrund des Hilfsantrags des Klägers, mit dem er die Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung auf Null begehrt, zu prüfen hat, überwiegend nicht zu beanstanden.
143 
Dieser Hilfsantrag des Klägers ist zulässig. Denn in der Anfechtung der Ausweisung war bereits erstinstanzlich zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 39 und vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 24; Beschluss vom 14.03.2013 - 1 B 17.12 - NVwZ-RR 2013, S. 574 Rn. 9 ff.). Nachdem das Verwaltungsgericht die Ausweisungsverfügung auf den Hauptantrag des Klägers hin aufgehoben hatte, hatte es über diesen Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden. In diesen Fällen fällt der Hilfsantrag im Berufungsverfahren an, wenn - wie hier - die Berufung zur Abweisung des Hauptantrags führt.
I.
144 
Nachdem der Beklagte während des Berufungsverfahrens eine Befristung für die Dauer von zehn Jahren ausgesprochen hat, ist vom Senat insoweit zunächst zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist, insbesondere, wie vom Kläger beantragt, auf Null hat. Dies ist nicht der Fall.
145 
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
146 
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf eine Dauer unter zehn Jahren. Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht bereits daran, dass der Kläger derzeit noch keinen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung hätte. Zwar knüpft in Fällen, wie dem vorliegenden, in dem die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG) ebenso ungewiss ist, wie die der freiwilligen Ausreise, der Fristbeginn nicht an ein gewisses bzw. von den Beteiligten herbeiführbares Ereignis an. Eine in dieser Weise bedingte Befristung verfehlt ihre eigentliche Aufgabe. Weder verschafft sie dem Ausgewiesenen eine zeitliche Perspektive noch trägt sie zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der zu folgen sich der Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung gehalten sieht, ist die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aber einheitlich so auszulegen, dass auch die Wirkungen der Ausweisung bereits mit Erlass der Ausweisungsverfügung zu befristen sind.
147 
Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre grundsätzlich überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn es besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus (§ 54 Nr. 5 AufenthG) und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Das Bundesverwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung durch die dem Kläger erteilte Duldung möglicherweise weit in die Zukunft verschoben ist, so dass die Fristbestimmung auf typisierende Annahmen zurückgreifen muss. Danach ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger keinerlei Neigung zeigt, von seiner Unterstützung der DHKP-C, die bereits auf das Jahr 1989 zurückgeht, abzusehen, so dass mit einer grundlegenden Änderung seines Verhaltens auch in ferner Zukunft nicht ernsthaft gerechnet werden kann.
148 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist - wohl ausgehend von der aktuellen Situation - an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, messen lassen. Dieses normative Korrektiv biete der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 a.a.O. jeweils Rn. 42 m.w.N.). Dabei seien insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
149 
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung muss hierzu die nach der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermittelte Frist zunächst wohl auch immer dann unmittelbar in einem zweiten Schritt relativiert werden, wenn, wie hier, noch ungewiss ist, ob überhaupt und ggf. bei Vorliegen welcher persönlichen Verhältnisse die gesetzte Frist, die auch nachträglich verkürzt werden kann, in Lauf gesetzt wird. Auch nach diesen Grundsätzen ist hier allerdings die Frist von 10 Jahren nicht zu verkürzen. Im vorliegenden Fall ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar durch Erwerbstätigkeit seinen Unterhalt sichert, aber eine besondere berufliche Integration liegt dem nicht zugrunde. Er ist als Reinigungskraft für häufig wechselnde (Leih-)Arbeitgeber tätig. Er ist erst im Alter von 31 Jahren nach Deutschland gekommen, verfügt über keine starken familiären Bindungen in Deutschland und es ist auch eine Verwurzelung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht zu erkennen. Sein politisches Denken ist maßgeblich auf die Türkei ausgerichtet und sein soziales Umfeld bilden gleichgesinnte Landsleute. Die Festsetzung einer Sperrfrist von zehn Jahren ist damit auch unter Zugrundelegung der vom Bundesverwaltungsgericht (vgl. oben) entwickelten Kriterien verhältnismäßig.
150 
Der Senat verkennt nicht, dass sich aus dem oben Dargelegten auch ergibt, dass die Wirkungen der Ausweisung (weitgehendes Titelerteilungsverbot, Verfestigungssperre, Ausreisepflicht), die nicht erst mit der Ausreise des Klägers eintreten, sondern bereits mit Wirksamkeit oder Vollziehbarkeit der Verfügung, trotz der Befristung auf 10 Jahre letztlich unbefristet fortwirken. Dies beruht aber unabhängig davon, welche Frist festgesetzt wird, auf der Art der Bedingtheit des Fristbeginns (vgl. oben) in Fällen, wie dem vorliegenden, und führt nicht dazu, dass diese oder alle Wirkungen der Ausweisung unabhängig von einer Ausreise oder gar auf Null zu befristen sind. Denn nach dem eindeutigen und damit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG beginnt die nach Satz 3 bis 5 festzusetzende Frist mit Ausreise.
151 
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht hiervon abweichend einen Anspruch auf eine Befristung auf Null in Ausnahmefällen angenommen (vgl. zuletzt BVerwG, Urteile vom 06.03.2014 - 1 C 2.13 - und - 1 C 5.13 - juris, m.w.N.). Es handelte sich dabei aber um Fallgestaltungen, in denen aufgrund von Änderungen der Sachlage grundsätzlich ein Widerruf der bestandskräftigen Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit mit sofortiger Wirkung in Betracht gekommen wäre (vgl. § 51 Abs. 5 und § 49 Abs. 1 LVwVfG). Da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 49 LVwVfG auch schon vor Ausreise grundsätzlich oder jedenfalls dann ausscheidet, wenn es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - und vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris zu nach § 11 AufenthG), muss in solchen Fällen nun statt eines Widerrufs eine gesetzlich nicht vorgesehene Befristung auf Null erfolgen. Aus dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich nach Ansicht des Senats aber nichts dafür herleiten, dass ein (Hilfs-)Anspruch auf Befristung ohne Ausreise oder sogar auf Null bereits bei der erstmaligen Befristung gleichzeitig mit Erlass einer rechtmäßigen Verfügung bestehen könnte. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich nichts anderes, da der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von dem Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung der Frist maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten und insoweit auch einen nachträglich entstandenen Anspruch auf Befristung auf Null geltend machen kann.
152 
Im Übrigen gibt es derzeit auch keine Gründe dafür, dem Kläger die Verfestigung seines Aufenthalts bereits ab einem früheren Zeitpunkt wieder zu ermöglichen. Zudem sind die Auflagen und Beschränkungen, wie dargelegt, unabhängig hiervon unter Kontrolle zu halten und ggf. zu beschränken.
II.
153 
Allerdings gibt es für die von der Behörde unter Ziffer 2 der Befristungsentscheidung angeordnete Hemmung dieser Frist im Falle einer erneuten unerlaubten Einreise vor Fristablauf derzeit keine Rechtsgrundlage.
154 
Auch wenn in der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums des Innern zum Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Stand: 07.04.2014, Zu Nummer 8) zum dort vorgesehenen Absatz 8 der Neuregelung des § 11 AufenthG, der eine Unterbrechung des Fristablaufs durch eine unerlaubte Einreise vorsieht, ausgeführt wird, die Regelung stelle klar, dass der Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach einer unerlaubten Wiedereinreise nicht im Bundesgebiet abgewartet werden könne, entspricht dies nicht der jetzigen Rechtslage, da § 11 AufenthG in der derzeitigen Fassung keinen Hinweis auf einen solche Unterbrechung der Frist enthält, so dass die Frist nach der ersten maßgeblichen Ausreise oder Abschiebung allein durch den anschließenden Zeitablauf endet (vgl. Urteil des Senats vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 - juris Rn. 73 m.w.N), ohne dass es auf danach eintretende Ereignisse ankommt.
155 
Es besteht derzeit aber auch keine Rechtsgrundlage für die behördliche Bestimmung einer Fristhemmung oder -unterbrechung für die von ihr festzusetzende Frist. Dass es sich bei den Ausführungen unter Ziffer 2 der Befristungsregelung nicht um einen unverbindlichen - die Rechtslage verkennenden - Hinweis handelt, folgt zum einen daraus, dass diese Bestimmung eigenständiger Teil des Tenors der Verfügung ist und nicht ein lediglich ergänzender Text in Ziffer 1 der Verfügung. Zum anderen ist die Hemmung des Fristablaufs in der Verfügung auch selbständig begründet:
156 
„Der präventive Ausweisungszweck wird bis zu dem oben bestimmten Fristablauf nicht erreicht, wenn eine unerlaubte Einreise vor Fristablauf erfolgt. Einmal ist die unerlaubte Einreise und der unerlaubte Aufenthalt entgegen dem Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Straftat gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Zum anderen geht die Wirkung der Ausweisung, die u. a. gerade durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot gekennzeichnet ist, ins Leere, wenn sich Herr T... trotz des Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet aufhält. Dies rechtfertigt die Hemmung des Fristlaufes in der Zeit eines unerlaubten Aufenthaltes. Die Frist läuft damit erst dann weiter, wenn Herr T... das Land wieder verlassen hat. Insoweit soll die Regelung dazu beitragen, dass der präventive Ausweisungszweck nicht gefährdet wird. Zudem soll eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt vermieden werden. Auch an diesem Regelungszweck besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, wie die Strafvorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG unterstreicht.“
157 
Diese Begründung für die Anordnung der Fristhemmung im konkreten Fall lässt klar erkennen, dass es sich bei der Ziffer 2 der Verfügung auch nach der Vorstellung der Behörde um eine verbindliche, von ihr getroffene Regelung und nicht um eine sich - ihrer Meinung nach - bereits aus dem Gesetz ergebende regelmäßige Folge handelt.
158 
Die Bestimmung der Hemmung des Fristablaufs steht zwar - anders als die Bestimmung des Neubeginns (früher: Unterbrechung) - nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, dass die Frist mit der Ausreise beginnt. Denn sie berührt den Fristbeginn nicht, sondern modifiziert ausschließlich den im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Ablauf der von der Behörde zu setzenden Frist. Dennoch ist die Regelung zur Hemmung aber derzeit nicht im Rahmen und als Teil der Bestimmung der Fristdauer möglich, sondern bedarf einer gesetzlichen Grundlage, an der es im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlt. Auch dies entnimmt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung nach § 11 AufenthG, der er - wie dargelegt - aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung folgt. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nur betont, dass es sich bei der Befristung um eine gerichtlich vollständig überprüfbare Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sondern es hat selbst in Fallkonstellationen, in denen besonders gefahrbringende Gewohnheiten oder persönliche Eigenschaften vorlagen, dem jeweiligen Kläger einen Anspruch auf unbedingte Befristung jeweils unter zehn Jahren zugesprochen, ohne bei der Festsetzung dieser Fristdauer eine solch naheliegende Bestimmung zum Fristablauf wie die Hemmung im Falle der unerlaubten Einreise bis zur erneuten Ausreise überhaupt in Betracht zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
159 
Daraus, dass diese Bestimmung zur Hemmung des Fristablaufs damit nicht hätte ergehen dürfen, folgt nicht, dass die Befristungsverfügung insgesamt aufzuheben, und das beklagte Land zur erneuten Befristung auf zehn Jahre ohne die vorgesehene Hemmung zu verpflichten wäre, da das gleiche Ergebnis hier schon mit der Aufhebung der Verfügung zu Ziffer 2 in einfacherer Weise erreicht wird.
D.
160 
Der Senat misst diesem geringfügigen Obsiegen des Klägers keine Bedeutung für die Kostenfolge zu. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
E.
161 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
162 
Beschluss vom 14. Mai 2014
163 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt (§§ 39 Abs. 1, 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
164 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
36 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des beklagten Landes hat Erfolg.
A.
37 
Soweit sich die Berufung des Beklagten gegen die Aufhebung der Ziffer 2 ihrer Verfügung vom 20.01.2012 richtet, hat sie bereits deswegen Erfolg, weil - soweit die Ziffer 2 der Verfügung überhaupt Gegenstand des Klageverfahrens war (I.) - die erhobene Anfechtungsklage insoweit unzulässig ist (II.).
I.
38 
Der Kläger hat am 21.02.2012 „Anfechtungsklage wegen Ausweisung“ erhoben, ohne den angegriffenen Bescheid vorzulegen. Die Begründung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Sachverhaltswiedergabe und die Würdigung, dass die Verfügung rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze. Der schriftsätzliche Klageantrag war gerichtet auf die Aufhebung der Verfügung vom 20.01.2012. Die hierzu vorgelegte Vollmacht war wegen „Ausweisung“ erteilt worden. Späteres Klagevorbringen befasst sich ausschließlich mit den angeschuldigten Aktivitäten für die DHKP-C. Hiervon ausgehend, ist nicht erkennbar, dass die erhobene Klage auch die Ziffer 2 der Verfügung erfassen sollte. Der Kläger hat auch nicht dazu vorgetragen, dass ihm von der Wirkung der Ausweisung abgesehen der abgelehnte Aufenthaltstitel zustünde und hätte erteilt werden müssen. Unerheblich ist, ob der Kläger die Ablehnung der Verlängerung ausdrücklich - anders als die Ausweisung - hinnehmen wollte oder diese weitere Entscheidung in der Verfügung aus den Augen verloren bzw. ihre selbständige Bedeutung verkannt hat. War das Klagebegehren damit - aus welchen Gründen auch immer - lediglich auf die Aufhebung der Ausweisung gerichtet, kann die Anfechtungsklage auch im Wege der sachdienlichen Auslegung nicht zugleich als Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten Verlängerung behandelt werden. Denn nach § 88 VwGO ist das Gericht nicht an die Formulierung des Klageantrags gebunden, wohl aber an das Klagebegehren, das sich aus dem gesamten Klagevorbringen ergibt.
II.
39 
Geht man ungeachtet dessen zugunsten des Klägers davon aus, dass der auf Aufhebung der Verfügung gerichtete Antrag auch die Ziffer 2 der Verfügung betroffen hatte, wäre das Klageziel vom Verwaltungsgericht falsch bestimmt worden. Denn dieses hatte den Klageantrag nicht nur in der mündlichen Verhandlung und dementsprechend im Tatbestand ausschließlich als Anfechtungsantrag aufgenommen, sondern auch, wie sich aus der bloßen Aufhebung der Ziffer 2 ergibt, nicht im Sinne eines rechtlich gebotenen Verpflichtungsbegehrens beschieden. Denn es hat offenbar in der Annahme, dass der Kläger durch den mit Klageerhebung angekündigten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten Aufhebungsantrag ein solches Klageziel festgelegt hat, auch zu Ziffer 2 der Verfügung ein Aufhebungsurteil erlassen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40 
Soweit das wahre Klageziel damit teilweise verkannt worden sein sollte, weil der Kläger trotz des als Anfechtungsantrag schriftsätzlich formulierten und protokollierten Klageantrags hinsichtlich der Ziffer 2 eigentlich ein Verpflichtungsbegehren verfolgen wollte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1966 - VIII C 30.66 - juris), stellt das Urteil kein Teilurteil dar, sondern leidet an einem Verfahrensfehler, weil das Gericht gem. § 88 VwGO an das Klagebegehren gebunden war. Wurde der Verpflichtungsanspruch dabei rechtsirrtümlich nicht beschieden, weil er nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht rechtshängig war, liegt kein Übergehen im Sinne des § 120 VwGO vor, so dass dieser Verfahrensfehler mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen innerhalb der gegebenen Frist geltend zu machen gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - und Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - jeweils juris). Mit Ablauf der Frist des hierfür gegebenen Rechtsmittels endet die Rechtshängigkeit in Bezug auf das rechtsirrtümlich nicht beschiedene Begehren (BVerwG, Beschluss vom 22.02.1994 - 9 B 510.93 - a.a.O.). Übergeht ein Gericht einen gestellten Antrag versehentlich, so erlischt die Rechtshängigkeit insoweit mit Ablauf der Ergänzungsantragsfrist des § 120 Abs. 2 VwGO. Im Ergebnis wäre die Rechtsfolge hier in beiden Fällen die gleiche, weil die Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO längst abgelaufen ist und der Kläger die Entscheidung weder mit dem Zulassungsbegehren angegriffen hat, das beklagte Land auch zur Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG zu verpflichten, noch, nachdem auf den Antrag des Beklagten die Berufung zugelassen worden war, innerhalb eines Monats (§ 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO) nach der am 02.12.2013 erfolgten Zustellung der Berufungsbegründung Anschlussberufung eingelegt hat. Damit ist auch dann, wenn das Klageziel des Klägers ursprünglich ein Verpflichtungsbegehren auf Verlängerung des Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG umfasst hat, dieses jedenfalls nicht mehr anhängig und damit nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Es bleibt hinsichtlich der Ziffer 2 der Verfügung damit im Berufungsverfahren, in dem allein der Beklagte Berufungsführer ist und deshalb eine Klageänderung mit dem Ziel der Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zugunsten des Klägers nach Ablauf der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2006 - VII ZR 73/04 - juris zu § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO), bei der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten und beschiedenen isolierten Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der beantragten Verlängerung. Diese Klage ist unzulässig.
41 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich (nur) durch eine Verpflichtungsklage ("Versagungsgegenklage") zu erstreiten ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Die Rechtsprechung erkennt dabei an, dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so überhaupt oder besser abgewendet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 09.03.1982 - 9 B 360.82 - DÖV 1982, S. 744 und Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171). In derartigen Fällen besteht ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine (isolierte) Anfechtungsklage. Dazu zählt etwa die isolierte Anfechtung der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn die beklagte Ausländerbehörde zwischenzeitlich nicht mehr zuständig ist, oder die isolierte Anfechtung der Einstellung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt wegen angeblichen Nichtbetreibens des Verfahrens (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - m.w.N., juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.08.2009 - 1 C 30.08 - BVerwGE 134, 335 und vom 05.09.2013 - 10 C 1.13 - juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die Ausnahmefälle zutreffend zusammengefasst dahin umschrieben werden können, dass eine isolierte Anfechtung stets dann nicht am Vorrang der Verpflichtungsklage scheitert, wenn sich das Verpflichtungsbegehren erledigt hat oder der Kläger jedenfalls den Verwaltungsakt nicht mehr erstrebt, die Ablehnung aber eine selbständige Beschwer enthält. Es sei aber in jedem Fall zu beachten, dass die Zulassung einer isolierten Anfechtung nicht zu einer Umgehung von spezifisch für die Verpflichtungsklage geltendem Verfahrensrecht führen dürfe wie beispielsweise der Unanwendbarkeit des § 113 Abs. 3 VwGO und zudem zu berücksichtigen sei, dass die Beschränkung auf eine isolierte Anfechtung - bei Abweisung der Klage - zu einem endgültigen Rechtsverlust ohne gerichtliche Sachprüfung führen kann. Das ergebe sich notwendig daraus, dass eine isolierte Anfechtung nur Sinn hat und den Vorrang der Verpflichtungsklage wahre, wenn auch die gerichtliche Prüfung auf die geltend gemachten isolierten Anfechtungsgründe beschränkt bleibe. Die noch weitergehende allgemeine Zulassung der isolierten Anfechtungsklage anstelle der Verpflichtungsklage, die zugleich mit einer Vollprüfung auch aller materiellen Anspruchsvoraussetzungen verbunden sein solle, widerspräche dem gesetzlichen Rechtsschutzsystem und wäre im Hinblick auf die Wiedereröffnung des Rechtswegs - nach einer Stattgabe der Klage, die das Verpflichtungsbegehren praktisch in die Verwaltung zurückverweise - mit dem Grundsatz der Prozessökonomie schwerlich zu vereinbaren (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 10.06 - juris).
42 
Nach diesen Grundsätzen ist die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 2 der Verfügung unzulässig. Hier konnte die Klage nicht auf isoliert geltend gemachte Anfechtungsgründe beschränkt werden. Eine Aufhebung wäre vielmehr nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn alle Voraussetzungen für die Titelerteilung geprüft und bejaht worden wären, was prozessual zur Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung hätte führen müssen. Die vorliegende Aufhebung stellt damit eine unzulässige Zurückverweisung an die Verwaltung dar. Vor diesem Hintergrund könnte auch eine selbständige Beschwer der Ablehnungsentscheidung die Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage nicht begründen. Zudem kann eine solche nicht in der hierdurch bedingten Beendigung der Fiktionswirkung gesehen werden. Hieraus lässt sich, entgegen der Ansicht des Klägers, kein schützenswertes Interesse an der isolierten Aufhebung einer Ablehnungsentscheidung ableiten. Vielmehr spricht schon die gesetzliche Begrenzung der Fiktionswirkung auf die Zeit bis zur Entscheidung der Ausgangsbehörde, die auch im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht verlängert wird, dagegen, deren Wegfall nach Abschluss des Verfahrens als eigenständige Beschwer einer Ablehnungsentscheidung anzusehen. Die Fiktionswirkung vermittelt auch bis zu diesem Zeitpunkt eine nur vorläufige und rein verfahrensrechtliche Position (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris), die die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO bis zum Ergehen des Bescheids erübrigt und die sicherstellt, dass der Antragsteller durch die verspätete Entscheidung über seinen Antrag nicht schlechter gestellt, wird, als wenn die Behörde alsbald entschieden hätte (BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 6.09 - juris). Diese Funktion der Fiktionswirkung schließt aber nicht nur die Verfestigung des Aufenthalts aufgrund dieser verfahrensrechtlichen Position aus, sondern auch ein rechtlich schützenswertes Interesse daran, eine endgültige Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens des Anspruchs auf den erstrebten Aufenthaltstitel hinauszuzögern, um diese lediglich den status quo während des Verwaltungsverfahrens sichernde Position möglichst lange aufrecht zu erhalten. Vielmehr besteht bei Verfahren zur Klärung des Aufenthaltsstatus - ebenso wie bei sonstigen Statusverfahren - das schützenswerte private Interesse allein an einer zügigen abschließenden Klärung und der Beendigung eines Schwebezustands.
B.
43 
Die Berufung des Beklagten ist auch bezüglich der Aufhebung von Ziffer 1 und Ziffer 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.01.2012 begründet. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung (I.), der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung (II.) sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten kürzeren Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf Null (C.) ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
I.
44 
Die unter Ziffer 1 des Bescheids vom 20.01.2012 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig.
45 
Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 54 Nr. 5, 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 55 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Nach dieser Vorschrift liegt ein Ausweisungsgrund vor, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Dabei gilt sowohl für das Tatbestandsmerkmal "Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt" als auch für das Vorliegen von Indiztatsachen, die den Schluss auf eine Zugehörigkeit des Ausländers zu der Vereinigung oder ihre Unterstützung rechtfertigen, der normale Beweismaßstab der vollen gerichtlichen Überzeugung. Der reduzierte Beweismaßstab, wonach diese Tatsachen eine entsprechende Schlussfolgerung lediglich rechtfertigen, nicht aber zur vollen gerichtlichen Überzeugung beweisen müssen, bezieht sich nur auf die Frage, ob der betroffene Ausländer der Vereinigung tatsächlich angehört oder sie individuell unterstützt (hat) (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris).
46 
1. Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus in diesem Sinne, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da § 54 Nr. 5 AufenthG der präventiven Gefahrenabwehr dient und die Eingriffsmöglichkeiten des Aufenthaltsrechts auch die Vorfeldunterstützung durch so genannte Sympathiewerbung erfasst (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 a.a.O.).
47 
Die DHKP-C ist eine Vereinigung in diesem Sinne. Die DHKP-C ist eine Nachfolgeorganisation der 1970 gegründeten THKP-C, aus der im Jahre 1978 die Devrimci Sol (deutsch: Revolutionäre Linke, kurz: Dev Sol) entstand, die darauf ausgerichtet war, in der Türkei durch Anwendung revolutionärer Gewalt einen politischen Umsturz herbeizuführen und eine Gesellschaftsordnung nach marxistisch-leninistischem Muster zu errichten. Im Jahre 1980 wurde die Dev Sol in der Türkei verboten. Mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 27.01.1983 wurde die Dev Sol nebst zugehöriger Teilorganisationen auch in Deutschland bestandskräftig verboten. Die DHKP-C wurde am 13.08.1998 in das Verbot einbezogen. Nach der ab 1992 infolge innerorganisatorischer Meinungsverschiedenheiten und persönlicher Auseinandersetzungen einsetzenden (Auf-)Spaltung der Dev Sol in zwei konkurrierende und sich gegenseitig bekämpfende Gruppierungen (sog. „Karatas-/Yagan-Flügel“) konstituierten sich die Anhänger des „Karatas-Flügels“ auf einem vom 30.03.1994 bis 09.05.1994 abgehaltenen Parteigründungskongress in Damaskus zur DHKP-C als Zusammenschluss der Revolutionären Volksbefreiungspartei (DHKP) und der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKC). Es wurden ein Parteiprogramm und Satzungen für die DHKP bzw. DHKC sowie Grundsatzbeschlüsse, in denen die Leitlinien der DHKP-C verbindlich festgelegt wurden, verabschiedet. Als Gründungstag wurde das Datum der (Partei-)Kongresseröffnung (30.03.1994) festgelegt (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Ihre Zielsetzung ist die Herbeiführung einer Weltrevolution und der Sturz des Imperialismus, wobei nach der Parteiprogrammatik der DHKP-C Aktivitäten und bewaffneter Kampf nicht nur in der Türkei, sondern grundsätzlich auch in anderen Staaten zu erfolgen haben (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
48 
Außerhalb der Türkei hat sich die DHKP-C insbesondere in zahlreichen westeuropäischen Ländern sowie in Südosteuropa, organisationsintern als „Rückfront“ bezeichnet, strukturell verfestigt. Die an der „Rückfront“ in Europa für die DHKP-C Agierenden sind den Führungsorganen unterstellt, die sich ebenfalls überwiegend im europäischen Ausland aufhalten, und in die hierarchischen Strukturen der (Gesamt-)Organisation eingebunden sind. Ziel und Aufgabe der in den genannten Staaten errichteten Organisationseinheiten ist es, die Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes in der Türkei zu fördern. Die „Rückfront“ der DHKP-C ist für die Verwirklichung der Zielsetzungen dieser Vereinigung von herausragender, zentraler Bedeutung und unverzichtbar. Innerhalb der „Rückfront“ ist Deutschland aufgrund der hohen Anzahl der hier lebenden türkischstämmigen Personen, deren finanzieller Möglichkeiten und des daraus resultierenden Potentials zur personellen und materiellen Unterstützung von Aktivitäten der DHKP-C in der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet dieser Organisation. Diese ist bestrebt, die im Bundesgebiet ansässigen Personen mit türkischem Migrationshintergrund zur aktiven Mitarbeit in der DHKP-C, mindestens aber zur finanziellen Förderung ihrer Partei- und Frontarbeit zu veranlassen. Im Jahre 2008 waren der DHKP-C bundesweit etwa 650 Personen zuzurechnen, die sich in unterschiedlicher Weise und Funktion an der Rückfront für diese Organisation betätigten (vgl. Urteil des OLG Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...). Diese Zahl ist stabil und weiterhin gültig (Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012, S. 352).
49 
Die DHKP-C führt ihren bewaffneten Kampf auch unter Einsatz terroristischer Anschläge und Attentate. Unter Zugrundelegung der Einträge und des unten dargestellten Diagramms aus der Global Terrorism Database des National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism, einem Center of Excellence of the U.S. Department of Homeland Security, University of Maryland waren die terroristischen Aktivitäten der Dev Sol und ihrer Nachfolgeorganisation der DHKP-C in der Türkei in den Jahren von 1988 bis 1995 besonders hoch. 1995 übten sie auch terroristische Anschläge in Wien und in Köln aus und 1996 auch in den in den Niederlanden. Seit 1999 agiert die DHKP-C in Europa gewaltfrei. Auch in der Türkei ebbten bis 2003 zunächst die Aktivitäten ab. Jedoch kam es dort weiterhin bis 2001 zu ein bis drei terroristischen Anschlägen pro Jahr.
50 
2001 wurden drei Anschläge auf die Istanbuler Polizei verübt. Beim letzten am 10.09.2001 handelte es sich um einen Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in Istanbul(-Taksim) durch das Frontmitglied U. Bülbül, bei dem zwei Polizeibeamte und ein Tourist getötet sowie mehrere Personen verletzt wurden.
51 
Am 20.05.2003 explodierte in einem Café in Ankara-Cankaya eine Bombe, welche Sengülül Akkurt bei der Vorbereitung einer so genannten Aufopferungsaktion in einem Gürtel an ihrem Körper befestigt hatte, um einen Anschlag auf das türkische Justizministerium durchzuführen. Bevor die Selbstmordattentäterin ihr Ziel erreicht hatte, kam es zur vorzeitigen Detonation der Sprengvorrichtung. Die 26-jährige Akkurt wurde dabei getötet. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden.
52 
Am 03.06.2003 verübte eine sogenannte Aufopferungseinheit der DHKP-C mittels einer ferngezündeten (Splitter-)Bombe in Istanbul einen Anschlag auf einen (Service-)Bus der türkischen Justizbehörden, in dem sich Richter und Staatsanwälte des Staatssicherheitsgerichts befanden. Durch die Explosion mit Schrapnell- und Druckwirkung wurden insgesamt sieben Fahrzeuginsassen leicht verletzt. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden an mehreren Kraftfahrzeugen. Der Explosionsort befand sich an einer stark frequentierten Küstenstraße, auf der zum Tatzeitpunkt sehr dichter Verkehr herrschte.
53 
Am 29.04.2009 kam es in der Rechtsfakultät der Bilkent Universität Ankara zu einem versuchten Selbstmordanschlag auf den ehemaligen türkischen Justizminister H. Sami Türk. Dieser blieb unverletzt, da es der 25-jährigen Attentäterin, Didem A., die vier Kilogramm TNT sowie eine Pistole nebst Munition mit sich führte, nicht gelang, den Sprengsatz zur Explosion zu bringen bzw. von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - D...).
54 
Bei diesen auch in dem genannten Register aufgenommenen Anschlägen der DHKP-C handelt es sich um dieser mit Sicherheit zurechenbare terroristische Anschläge. Es gab im Jahre 2003 und auch in den nachfolgenden Jahren bis 2007 weitere Aktionen, die dieser Organisation zugerechnet werden, wie sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - in Sachen E... D... (rechtskräftig seit dem 22.01.2014) ergibt. Maßgeblich ist aber, dass diese Organisation nie - und damit auch nicht in den Jahren 2004 bis 2008 - von dem Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele abgerückt ist, was auch in der erneuten Zunahme auch terroristischer Anschläge ab 2012 deutlichen Ausdruck findet.
55 
Das Oberlandesgerichts Stuttgart hat in seinem Urteil vom 18.06.2013 (6 OJs 1/11) ausgeführt:
56 
„Nachdem im Sommer 2011 die frühere Europaverantwortliche der DHKP-C, Gülaferit Ünsal („Gülsen“), in Griechenland festgenommen und drei Monate später in der Wohnung eines - bei der Herstellung einer unkonventionellen Spreng-/Brandvorrichtung (USBV) zu Tode gekommenen - „DHKP-C-Aktivisten“ in Thessaloniki von Sicherheitskräften ein umfangreiches Waffen-/Sprengstofflager sichergestellt worden war, wurde im Mai 2012 organisationsintern (in der Zeitschrift Devrimci Sol - hierzu mehr bei C. II. 3. -) zu einer intensivierten Fortsetzung des bewaffneten Kampfs aufgerufen. Ab Mitte Juni 2012 kam es daraufhin in der Türkei im Zuge einer „Anschlagsoffensive“ zu - in dichter Folge verübten - Anschlägen, Selbstmordattentaten durch „Kämpfer“ der DHKP-C sowie einer (organisationsinternen) „Bestrafungsaktion“. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Vorgänge:
57 
- Am 12. Juni 2012 verübten zwei Angehörige der DHKP-C einen Sprengstoffanschlag auf eine Istanbuler Polizeidienststelle; einer der (beiden) Täter (Erdal Dalgic) wurde verletzt festgenommen und verstarb kurze Zeit später;
- am 15. Juni 2012 schoss ein Organisationsmitglied in Istanbul - (u. a.) in der Absicht, den Tod Dalgics zu „rächen“ - auf einen Polizeibeamten (M... S. Y...); dieser erlitt mehrere Schussverletzungen, darüber hinaus wurde bei dem Vorgang eine weitere Person (durch einen Querschläger) getroffen und (leicht) verletzt;
- am 16. Juni 2012 überfielen bewaffnete „Kämpfer“ der DHKP-C in Istanbul auf offener Straße ein „Polizeiteam“; ein Polizeibeamter (Z... Y...) wurde erschossen; ein weiterer Polizist sowie ein Zivilist erlitten jeweils Verletzungen;
- am 20. Juli 2012 erschossen der Kommandant einer Kampfeinheit, Hasan S. Gönen, und die ihn begleitende Sultan Isikli in Istanbul bei einer Fahrzeugkontrolle zwei (Polizei-)Beamte; Gönen konnte (schwer verletzt) festgenommen werden und verstarb tags darauf;
- am 11. September 2012 verübte Ibrahim Cuhadar, ein „Selbstmordkämpfer“ der DHKC, ein Attentat auf eine Polizeiwache in Istanbul (-Gazi); neben dem Attentäter wurde ein Polizist getötet; sieben weitere Personen erlitten Verletzungen;
- am 25. Oktober 2012 verletzten „Kämpfer“ der DHKP-C das (frühere) Organisationsmitglied A... A..., die des Verrats bezichtigt worden war, mittels eines Kopfschusses im Rahmen einer Bestrafungsaktion;
- am 8. Dezember 2012 kam es durch zwei „Kämpferinnen“ der Organisation zu einem, mittels Handgranaten durchgeführten, Anschlag auf ein Polizeirevier in Istanbul; zwei Polizeibeamte wurden verletzt; eine Täterin (N... A...) konnte festgenommen werden;
- am 11. Dezember 2012 töteten Mitglieder der DHKP-C in Istanbul einen uniformierten Polizeibeamten. Im Zuge der Ausführung dieses Anschlags wurden überdies drei Passanten verletzt, die versucht hatten, die Tatausführung zu verhindern;
- am 1. Februar 2013 verübte Ecevit (Alisan) Sanli, ein vormals unter dem Decknamen „Yücel“ als Gebietsverantwortlicher der DHKP-C in Berlin agierender „Märtyrerkämpfer“, einen Selbstmordanschlag auf das Gebäude der US-Botschaft in Ankara. Neben dem Attentäter wurde ein türkischer Sicherheitsbeamter (Mustafa Akarsu) getötet; zwei weitere Personen wurden verletzt;
- am 19. März 2013 führten „Kämpfer“ der Organisation Anschläge auf das türkische Justizministerium sowie die (General-) Zentrale der AK-Partei in Ankara aus und brachten im Zuge dessen neben zwei Handgranaten auch eine Panzerfaust („LAW/LAV“) zur Explosion. Eine Person wurde leicht verletzt“.
58 
Die hier genannten terroristischen Anschläge und Selbstmordattentate vom 12.06., 11.09., 08.12. und 11.12.2012 werden ebenfalls in der GT-Datenbank aufgeführt, aus der für die Folgejahre 2013 und 2014 noch keine Daten abrufbar sind.
59 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse war die DHKP-C (sowie ihre Vorgängerorganisation Dev Sol) als eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG anzusehen und ist dies auch weiterhin, weil sie seit Gründung ihrer Vorgängerorganisation der Dev Sol im Jahr 1978 ihre Ziele jedenfalls auch mit terroristischen Mitteln verfolgt. Dies steht für den Senat in Übereinstimmung mit der strafrechtlichen Beurteilung des Bundesgerichtshofs fest, wonach es sich um eine Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris), handelt.
60 
Diese Einschätzung wird auch dadurch bestätigt, dass die DHKP-C bereits seit 2002 in der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste terroristischer Organisationen (Ratsbeschluss 2002/460/EG vom 17.06.2002) aufgeführt wird (vgl. zuletzt Ziff. 2.23 des Anhangs zum Beschluss 2014/72/GASP des Rates vom 10.02.2014).
61 
2. Der Kläger ist seit vielen Jahren Anhänger der DHKP-C und fördert diese, nachdem er bereits für die Dev Sol tätig war, zumindest als ein in dieser Organisation seit ihrer Gründung verwurzelter Aktivist.
62 
a) Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen DHKP-C - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (siehe BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris und vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris jeweils m.w.N.).
63 
b) Nach diesen Maßstäben sind hier die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere der strafgerichtlichen Urteile, liegen jedenfalls Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger, der schon 1989 für die 1978 gegründete Dev Sol aktiv war, seit seiner Einreise ins Bundesgebiet Ende 1995 die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation unterstützt (siehe zum reduzierten Beweismaß für das Unterstützen der Vereinigung durch den Ausländer BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 - juris Rn. 15). Es spricht sogar viel dafür, dass der Kläger seit ihrer Gründung im Frühjahr 1994 in Damaskus Mitglied der DHKP-C und damit Mitglied einer Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist, worauf es jedoch nicht entscheidend ankommt.
64 
Hintergrund für seine Ausreise aus der Türkei im Jahre 1995 und sein Asylgesuch im Bundesgebiet war u.a., dass der Kläger am 31.08.1993 zusammen mit E... Ö... in der Türkei vor Gericht gestanden hatte. Sie hatten dort ihre linken Hände erhoben und gerufen: „Die Strafe kann uns nicht erschüttern, wir sind im Recht und werden gewinnen, Kurdistan wird dem Faschismus zum Grabe“ (bestätigt durch die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 24.03.2000 an das Verwaltungsgericht Stuttgart im Verfahren A 5 K 10696/96). Deshalb war er nach seinen Angaben zu einem Jahr Haft verurteilt worden, die er nicht angetreten hat.
65 
Nach den Erkenntnissen in den Behördenakten wurde er 1998 in Begleitung des M... B..., des damaligen Vereinsvorsitzenden des Anatolischen Kunst- und Kulturhauses, mit DHKP-C-Zeitschriften angetroffen.
66 
Ab 04.12.2000 trat der Kläger ausweislich der Gefangenenakte in der JVA R... in Hungerstreik. Der Kläger hat hierzu in seiner schriftlichen Erklärung vom 01.12.2000 angegeben, dass er in Hungerstreik trete, um den Bau der Typ-F-Gefängnisse zu stoppen und aus Solidarität mit 12 Gefangenen, die 1996 bei einem Hungerstreik gestorben, und 10 politischen Gefangenen, die 1999 in der JVA Ankara zu Tode gefoltert worden seien. In der Türkei seien mehr als 1000 Gefangene in Hungerstreik getreten, in diesem Jahr seien mehrere Gefängnisse beteiligt; um diese zu unterstützen, trete er ab 04.12.2000 in Hungerstreik. Die Aktion hatte in der Türkei am 20.10.2000 unter Beteiligung der DHKP-C, TKP(ML) und TKIP begonnen.
67 
2001 wurde bei ihm nach den Erkenntnissen in den Behördenakten zahlreiches Propagandamaterial für die DHKP-C aufgefunden. Dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 04.12.2009 liegen folgende Feststellungen zugrunde, die sich der Senat zu eigen macht:
68 
„Der Kläger hat z.B. den ihm übergeordneten DHKP-C-Funktionär A... Y...-... - Gebietsverantwortlicher für Süddeutschland mit den Decknamen „Emmi", „Kamil" und „Rüstern" - als Besucher aufgenommen, den Kontakt zwischen diesem führenden DHKP-C-Funktionär und anderen Anhängern der Organisation gehalten und den E... G..., einen wichtigen Aktivisten der verbotenen Vereinigung, im Interesse der DHKP-C-Organisation beim regionalen, aber auch beim überregionalen Vertrieb der Zeitung „Yürüyüs", auch in Bezug auf das nähere europäischen Ausland unterstützt. Der Kläger vereinbarte mit A... Y..., mit dem er jedenfalls seit 05.07.2006 per Mobiltelefon in Verbindung stand, Treffen in der S... ... x in S... im dortigen Anatolischen Kultur- und Kunsthaus, von A... Y... wurde er über sein Mobiltelefon zu verschiedenen Veranstaltungen bzw. Versammlungen eingeladen, wurde von ihm beauftragt, andere Personen zu Treffen und Versammlungen hinzuziehen und erhielt überdies weitere Anweisungen und Hinweise auf von diesem für wichtig erachtete Medienereignisse. Im Übrigen kündigte A... Y... per Handy auch seinen Besuch beim Kläger an. Mehrmals - mindestens 3 mal - holte der Kläger - abwechselnd mit anderen Aktivisten der Vereinigung - zwischen August 2006 und 19. März 2007 bei der Offsetdruckerei ... in ... bei ..., ...-...-... x, jeweils mindestens 150 Exemplare (insgesamt also wenigstens 450 Stück) der DHKP-C-Wochenzeitschrift „Yürüyüs" ab, um sie im Interesse der verbotenen Vereinigung der Weiterverbreitung im regionalen Bereich zuzuführen oder sie selbst zu verteilen. Die Druckerei ... hatte im fraglichen Zeitraum bis zur Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 die Ausgaben 63 bis 95 (also insgesamt 33 Ausgaben) der weiterhin wöchentlich erscheinenden Zeitschrift nach der Kontaktierung und Auftragsvergabe durch A... Y... gemeinsam mit E... G... im Mai 2006 ab August 2006 in einer Auflage von jeweils ca. 2500 bis etwa 2700 Stück gedruckt. A... Y... trat bei der Auftragsvergabe als der eigentliche Verhandlungspartner auf, während E... G... seiner besseren Kenntnisse der deutschen Sprache wegen dabei im Wesentlichen nur als Dolmetscher fungierte. Anfangs 2300 Exemplare, gegen Ende nur noch 2230 Exemplare einer jeden Ausgabe wurden jeweils direkt von der Druckerei ... anhand eines dieser zur Verfügung stehenden Verteilers überregional - auch in das nähere europäische Ausland - verschickt. Es gab jeweils auch Ausschussware, die in den erwähnten ca. 2500 bis rund 2700 Auflage freilich nicht enthalten war und nicht berechnet wurde. Mindestens 150 Exemplare einer jeden Auflage (gelegentlich auch bis zu 390 Stück) wurden jeweils von wechselnden DHKP-C-Aktivisten, davon zu etwa 50 % durch E... G... selbst, der nach der Erteilung des Auftrags der Ansprechpartner des Betreibers der Druckerei, des Zeugen ..., auf Seiten seiner Auftraggeber war, und in mindestens drei Fällen auch durch den Kläger abgeholt. Dieses Abholen der wenigstens 150 Exemplare erfolgte jeweils zum Zwecke der Weiterverbreitung im regionalen Bereich und auf einen Anruf des Zeugen ... bei der ihm von jenem DHKP-C-Aktivisten genannten Telefonnummer des E... G... hin, der sich bei diesen Telefonaten stets selbst am Apparat meldete. In der Wohnung des Klägers in S..., ... ..., hielt dieser aus den für die Verteilung im regionalen Bereich bestimmten Mengen der Zeitschrift am 28.11.2006 insgesamt 60 Exemplare zur Weiterverbreitung in Interesse der DHKP-C vorrätig, nämlich 2 Pakete zu je 30 Stück der Ausgabe 78 vom 12.11.2006, am 19.03.2007, ebenfalls in dieser Wohnung, 7 Exemplare der Ausgabe vom 4. März 2007 und am 21.03.2007 in seinem Rucksack im Fahrzeug Renault, amtliches Kennzeichen ...-... ..., das kurz zuvor von E... G... unweit der Offsetdruckerei ... abgestellt worden war, um den Zeugen ... aufzusuchen, 23 Exemplare der Auflage 95 von Mitte März 2007. Der Kläger wurde am 21.03.2007 in dem beschriebenen Fahrzeug auf dem Beifahrersitz auf E... G... wartend von der Polizei angetroffen und führte dabei auch einen Block Eintrittskarten für das Europatreffen der DHKP-C im April 2007 zur Verbreitung im Interesse des verbotenen Vereins mit sich. Überdies bewahrte der Kläger am 28.11.2006 in seiner Wohnung in Stuttgart für den E... G..., für den er unter seinem Sofa auch für diesen bestimmte Gerichts- und Anwaltsschreiben verwahrte, 10 vom 01.08.2006 datierende Lieferscheine der Druckerei ..., über die Lieferung von insgesamt 2300 Exemplare der DHKP-C Wochenzeitschrift „Yürüyüs" an überregionale Empfänger, auch im benachbarten europäischen Ausland, Adressaufkleber mit entsprechenden Anschriften und Originalquittungen über Druckkosten des auf den Lieferscheinen jeweils als Auftraggeber des Druckauftrags genannten Yurtdisi Büros V... E..., ... ... ... ... in ... ... R...-... / Niederlande auf. Tatsächlich waren die Druckkosten freilich jeweils von E... G... beim Zeugen ... in bar bezahlt worden. Die letzten 5 Ausgaben waren allerdings zur Zeit der Durchsuchung des Druckereigebäudes am 19.03.2007 noch unbezahlt. Weitere vom Kläger am 28.11.2006 verwahrte Notizen betrafen „Yürüyüs" - Ausgaben aus der Zeit vor Beginn der Druckaufnahme durch die Fa. ... im August 2006.“
69 
Der Kläger hat die einzelnen Tatsachenfeststellungen in diesem Urteil des Landgerichts, gegen das er Rechtsmittel nicht eingelegt hat, im angegriffenen Bescheid und auch in den Schriftsätzen des Beklagten - mit Ausnahme der Teilnahme an der Veranstaltung am 18.12.2011 in Stuttgart - nicht substantiiert bestritten. Soweit er im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung geltend macht, er habe nur wenige Exemplare der Wochenzeitung Yürüyüs selbst verteilt, der weit überwiegende Teil sei von Dritten bei ihm abgeholt und weiterverteilt worden, führt dies zu keiner günstigeren Beurteilung dieser Unterstützungshandlung, sondern bestätigt, dass er hierarchisch zwar gemeinsam mit E... G... dem A... Y... als für den Druck und die Verbreitung in der Region Verantwortlichen untergeordnet gewesen ist, aber, wie sich bereits aus dem persönlichen Kontakt zu diesem und auch unmittelbar zur Druckerei ergibt, in diese Organisationsstruktur deutlich über den reinen „Zeitungsausträgern“ hinaus eingebunden war. A... Y... war damals bis zu seiner Festnahme Ende November 2006 der für die „Region Süd“ verantwortliche (Führungs-)Funktionär und Rechtsberater der DHKP-C (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11). Der Kläger kannte diesen bereits aus der Türkei, wo er nach seinen Angaben sein Rechtsanwalt gewesen war.
70 
Weiterhin war er am 14.01.2007, wie sich aus in den Gerichtsakten befindlichen Kopien des Vereinsregisters ergibt, einer der Leiter der satzungsändernden Versammlung des Vereins „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“, eines Tarnvereins der DHKP-C, zu dessen neuen Sekretär E... D... am 03.06.2007 gewählt wurde (vgl. hierzu unten). Auch fuhr er mit Funktionären noch am Tag des Todes von Dursun Karatas am 11.08.2008 in die Niederlande.
71 
Zutreffend hat das Regierungspräsidium mit Schriftsätzen vom 03.03.2014 und 20.03.2014 auf der Grundlage der Feststellungen der ins Verfahren eingeführten Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18.06.2013 - 6 OJs 1/11 - (Verurteilung von E... D...) und vom 15.07.2010 - 6 - 2 StE 8/07 - a - (Verurteilung von A... D. Y... und E... G...) zudem dargelegt, dass der Kläger im Zeitraum von 2002 bis 2007 in vielfältiger Weise nicht nur in den Vertrieb von Publikationen, sondern auch - u.a. zusammen mit Y... und G... - in den Vertrieb von Tickets für Veranstaltungen der DHKP-C und in die Sammlung von Spendengeldern involviert und damit maßgeblich an der Geldbeschaffung als eine der wichtigsten Aufgaben der Rückfront dieser terroristischen Vereinigung beteiligt war. Er nahm im Jahr 2002 nicht nur an einer politischen Schulung der DHKP-C im August 2002 in Neuhausen-Schellbronn, sondern auch als Mitglied einer Delegation der DHKP-C an einer Großveranstaltung in Kopenhagen teil.
72 
Schließlich hat der Kläger auch noch nach seiner Verurteilung jedenfalls an den beiden Kundgebungen der DHKP-C am 10.04.2010 in Wuppertal mit mehreren hundert Teilnehmern und am 16.04.2011 in Lüttich teilgenommen. Hierbei hat es sich jeweils um traditionelle Parteifeste zum Jahrestag ihrer Gründung gehandelt, wobei die lediglich von etwa 200 Personen besuchte Veranstaltung in Lüttich nur Mitgliedern zugänglich gewesen sein soll (vgl. Bundesverfassungsschutzberichte 2010, S. 310 und 2011, S. 349; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2010, S. 166; Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 30.04.2013). Darauf, ob er auch die Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 zum Jahrestag der Gefängniserstürmung am 19.12.2000, die nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 als - vorhersehbare - Folge des am 20.10.2000 aufgenommenen Hungerstreiks türkischer Gefangener maßgeblicher Grund für seine damalige Beteiligung an dieser Aktion in der JVA R... gewesen ist, besucht hat, kommt es nicht an. Nachdem er erklärt hat, er würde sich jederzeit in einer solchen Situation wieder solidarisch zeigen und im Übrigen weiterhin an zahlreichen Demonstrationen in S... teilnehmen, insbesondere kurdischer und PKK-naher Organisationen, ist davon auszugehen, dass er, soweit er ausgerechnet an dieser Veranstaltung in Stuttgart am 18.12.2011 nicht teilgenommen hat, aus persönlichen Gründen verhindert gewesen ist. Jedenfalls hat er selbst nicht behauptet, dass er die Kontakte zur DHKP-C abgebrochen habe und nun auch keine Veranstaltungen dieser Organisation mehr besuchen werde.
73 
Eine Distanzierung von seinen Unterstützungshandlungen für die DHKP-C und eine Abkehr von seinen früheren Aktivitäten ist auch sonst in keiner Weise erkennbar. Aus dem Umstand, dass der Kläger sich von zurückliegenden Aktivitäten nicht distanziert, sondern sie ohne erkennbare Unterbrechung fortgeführt hat, folgt, dass auch die in der Vergangenheit liegenden Tätigkeiten auf die gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers im Sinne von § 54 Nr. 5 Halbs. 2 AufenthG schließen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - juris).
74 
Der Kläger wehrt sich gegen die in der Begründung der angegriffenen Verfügung und den Schriftsätzen des Beklagten genannten sowie gegen die weiteren in die Verhandlung eingeführten Tatsachen, denen er nicht im Einzelnen entgegentritt, im Wesentlichen mit dem Vorbringen, dass er kein Mitglied der DHKP-C sei, sondern lediglich ein politisch denkender Mensch und jedenfalls nicht bewusst etwas Verbotenes - insbesondere seien die Versammlungen genehmigt und der Kulturverein zu keinem Zeitpunkt verboten worden - getan habe. Hierauf kommt es aber nicht an.
75 
Daran, dass der Kläger die DHKP-C in Kenntnis von deren Zielen, Programmatik und Methoden unterstützt hat, kann nach Ansicht des Senats aufgrund seiner langjährigen Beteiligung und vor dem Hintergrund seiner Unterstützung bereits der Vorgängerorganisation Dev-Sol und - noch in der Türkei - der Jugendorganisation Dev-Genc sowie seines mit hieran anknüpfender politischer Verfolgung begründeten Asylgesuchs kein ernsthafter Zweifel bestehen. Hierbei ist hervorzuheben, dass der Kläger, der in der Türkei Soziologie studiert hat, sich bereits als Student politisch engagiert hat. Bereits seit dieser Zeit steht er in Verbindung zu A... Y..., der nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 in der Türkei sein Rechtsanwalt war. Weiterhin hat er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 Karatas bereits aus Zeiten seiner türkischen Haft gekannt und mit diesem jedenfalls damals in brieflichen Kontakt gestanden. Auch hat er zusammen mit dem wegen seiner Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilten E... D... eines der „Vereinsblätter“ vertrieben und dem Tarnverein „Anatolische Kultur und Kunsthaus e.V.“ angehört, dessen Vorstand dieses DHKP-C-Mitglied seit 2007 nach der unter Mitwirkung des Klägers erfolgten Satzungsänderung angehörte.
76 
Nach Ansicht des Senats ist dementsprechend davon auszugehen, dass der Kläger - entgegen seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 - sowohl die Ziele der DHKP-C als auch deren terroristischen Aktionen zu deren Erreichung kannte bzw. kennt. In der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 hat er schließlich selbst erklärt, dass er Sympathisant dieser Organisation sei und deren Meinung und Ideologie teile. Ob er persönlich die gewalttätige Komponente der Ideologie der DHKP-C ausdrücklich befürwortet, ist nicht ausschlaggebend. Es fällt aber auf, dass er sich auch insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2014 nicht von dieser Organisation distanziert, sondern vielmehr die Ansicht vertreten hat, die DHKP-C beeinträchtige Deutschland nicht, da sie außerhalb der Türkei Gewalt grundsätzlich ablehne.
77 
Der Kläger hat mit den oben dargestellten jahrelangen kontinuierlichen Tätigkeiten diese Organisation mitgetragen. Dass er seit seiner Einreise ins Bundesgebiet die Bestrebungen dieser verbotenen Vereinigung bzw. ihrer Vorgängerorganisation unabhängig von einer Mitgliedschaft jedenfalls fördern und deren Strukturen, die ihm einschließlich der Tarnorganisationen bekannt waren, erhalten wollte, steht für den Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des Landgerichts Stuttgart fest. Für die Unterstützung der DHKP-C im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist es insoweit nicht maßgeblich, welcher Hierarchieebene innerhalb der Struktur dieser Vereinigung der Kläger angehört hat. Der Senat schließt sich im Übrigen der Beurteilung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris) an, wonach in Ansehung der Struktur der Vereinigung Anhaltspunkte dafür, hinsichtlich der Qualifizierung der DHKP-C als terroristische Vereinigung zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre und mit Anschlägen befasster Kader einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren, nicht gegeben sind. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der DHKP-C dieser anschließt und in ihr betätigt, deshalb nicht als Mitglied oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre oder den mit den Anschlägen der Organisation befassten Kadern angehört.
78 
Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die Unterstützung jedes Einzelnen gerade für den Erhalt und die Handlungsfähigkeit einer relativ kleinen Organisation (ca. 650, davon 65 in Baden-Württemberg hauptsächlich im Großraum S... und in der R...-N...-Region, vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126) von besonderer Bedeutung ist und die fördernde Tätigkeit jedes in diese Eingebundenen eine unmittelbare Nähe nicht nur zu den Zielen, sondern auch zu den terroristischen Aktionen zur Durchsetzung dieser Ziele hat. Dementsprechend kam und kommt auch dem Kläger, der nach dem Dargelegten jedenfalls Aufgaben für die aus lediglich etwa 65 Mitgliedern bestehenden baden-württembergischen Organisationseinheit der DHKP-C eigenständig u.a. in Zusammenarbeit mit einem inzwischen verurteilten Mitglied (G...) und in - zum Teil auch unmittelbarer - Abstimmung mit inzwischen verurteilten maßgeblichen Funktionären (Y... und D...) auf Gebietsebene wahrgenommen hat, Verantwortung für die terroristischen Aktionen der DHKP-C und deren Opfer zu.
79 
Schließlich fehlt dieser Unterstützung der DHKP-C auch nicht deswegen, weil diese Organisation nur relativ wenige Mitglieder im Bundesgebiet hat, das in § 54 Nr. 5 AufenthG vorausgesetzte Gewicht. Maßgeblich ist, dass sie, wie dargelegt, entschlossen und fähig war und ist, Terroranschläge in nicht unerheblichem Umfang und Ausmaß durchzuführen (vgl. dazu oben) und die Organisation im Bundesgebiet eine Rückfront für diese derzeit auf die Türkei konzentrierten Anschläge bildet, ohne deren Rückzugsräume und finanzielle Unterstützung die DHKP-C kaum fortbestehen könnte (vgl. oben). Schließlich ist die Rückfront auch nicht aufgrund der erfolgten Verurteilungen von Funktionären und Mitgliedern nachhaltig geschwächt. Insoweit macht sich der Senat die Einschätzung des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen und des Verfassungsschutzberichts des Bundes jeweils über das Jahr 2012 zu eigen, wonach die sich im Jahr 2012 häufenden Anschläge der Organisation in der Türkei - insbesondere die tödlichen Schüsse auf Polizeibeamte - zu einem Motivationsschub bei den Anhängern in Europa geführt haben und es der DHKP-C vermehrt gelinge, ihre Anhänger zu mobilisieren und neue, vor allem junge Unterstützer zu rekrutieren. Gleichzeitig schaffe sie es, strukturelle Schwächen zu beseitigen (Bund, S. 358). Die DHKP-C sei weiterhin in der Lage, zumindest auf niedrigem Niveau Aktivitäten zu entfalten, wozu auch weiterhin von Deutschland aus unterstützte terroristische Aktionen gegen Ziele in der Türkei gehören können (NRW, S. 90).
80 
Nicht entscheidend ist schließlich, ob die Organisation im Bundesgebiet in den letzten Jahren durch Gewalttaten aufgefallen ist und ob bzw. in welchem Umfang sie in den Jahren 2004 bis 2008 Terrorakte durchgeführt hat, da sie zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat, was insbesondere auch in der aktuellen „Anschlagoffensive“ 2012 (vgl. oben) sichtbar wird, und weil der Kläger, wie dargelegt, durchgehend in die Organisation eingebunden war und ist.
81 
3. Als anerkannter Flüchtling darf der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 5 und Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die auch eine Ausweisung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 bis 5 AufenthG besonderen Schutz genießender Ausländer rechtfertigen können, in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 vor.
82 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2013, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Qualität und jahrelangen Dauer der Aktivitäten, die jederzeit ihre Fortsetzung finden können, liegt ein solcher Fall nicht vor.
83 
Im Ergebnis sind damit die Voraussetzungen geben, bei deren Vorliegen über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden ist (§ 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
84 
4. Die Ausweisung des Klägers ist nicht am Maßstab von Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu messen, da der Kläger eine assoziationsrechtliche Rechtsposition nicht erworben hat. Ausgehend von dem durch den Kläger vorgelegten Versicherungsverlauf vom 03.02.2014 und der Auskunft der AOK Ludwigsburg vom 12.02.2014 konnten seine Beschäftigungszeiten ihm - ungeachtet der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen einer Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt und einer ordnungsgemäßen Beschäftigung vorgelegen haben - bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung am 20.01.2012 keine Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vermitteln. Der Erwerb des Rechts aus dem 2. Spiegelstrich Art. 6 ARB 1/80 scheitert an der Beschäftigungslücke in der Zeit vom 17.06.2008 bis 14.08.2008. Ab September 2009 erfolgten regelmäßig vor Ablauf von drei Jahren Arbeitgeberwechsel. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung war er nicht beschäftigt.
85 
Aber selbst wenn der Maßstab des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hier zur Anwendung käme, stünde er der Ausweisung nicht entgegen, weil sie aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt ist. Nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt der Abschnitt 1 des Beschlusses (nur) vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Bei der Prüfung des daraus für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige abzuleitenden besonderen Ausweisungsschutzes ist nach der ständigen Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08, Ziebell - InfAuslR 2012, 43, m.w.N.). Allerdings sind die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie wegen der grundsätzlichen Unterschiede der durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers zu der eines Assoziationsberechtigten nicht anzuwenden. Vielmehr ist der Ausweisungsschutz - nach Aufhebung der bisher insoweit sinngemäß bzw. analog auch auf assoziationsrechtlich geschützte türkische Staatsangehörige angewandten Richtlinie 64/221/EWG - nach Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG vom 25.11.2003 (Daueraufenthaltsrichtlinie) zu bestimmen (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 08.12.2011, a.a.O.; Senatsurteile vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris, vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris).
86 
Gemäß Art. 12 Daueraufenthaltsrichtlinie darf ein langfristig Aufenthaltsberechtigter nur ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt (Abs. 1). Außerdem darf die Ausweisungsverfügung nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen (Abs. 2). Schließlich haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Abs. 3). Die entsprechende Anwendung dieser Regelung auf türkische Staatsangehörige, welchen eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung zukommt, bedeutet für diese der Sache nach einen Ausweisungsschutz, der dem bislang geltenden entspricht (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 26.10.2012 - 11 S 278/12 - juris, m.w.N.).
87 
Dieser Schutz steht der Ausweisung hier nicht entgegen. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass der Kläger eine ausländische terroristische Vereinigung im Bundesgebiet aktiv unterstützt hat und auch weiterhin als überzeugter Anhänger im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt. Damit stellt er aber eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit dar. Die Ausweisung beruht auch nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen.
88 
Somit liegen nach nationalem Recht sowie auch nach ARB 1/80 die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ermessensausweisung vor.
89 
5. Die Ausübung dieses Ermessens ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht insbesondere auch den Anforderungen von Art. 14 ARB 1/80 bzw. Art. 12 Abs. 3 der Daueraufenthaltsrichtlinie.
90 
Die Behörde ist von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dies gilt sowohl für die Gefährlichkeit der Organisation und Art, Umfang und Bedeutung der Unterstützungshandlungen des Klägers als auch hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse (vgl. unten). Ihre Einschätzung, dass der Kläger die DHKP-C bzw. ihre Vorgängerorganisation und damit eine terroristische Organisation bereits seit 1998 nachhaltig und in subjektiv zurechenbarer Weise unterstützt und in diese eingebunden war, ist, wie dargelegt, auch im heutigen Zeitpunkt weiterhin zutreffend, wobei es auch nach Ansicht des Senats nicht darauf ankommt, ob der Kläger auch die Veranstaltung in Stuttgart oder nur die Veranstaltungen in Wuppertal und Lüttich besucht hat (vgl. oben).
91 
Die Verfügung weist auch im Übrigen mit den im Zulassungsantrag und im letzten Schriftsatz des Regierungspräsidiums vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen keine Ermessensfehler auf. Die Änderungen und Ergänzungen sind hier einzubeziehen. Denn sie entsprechen den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen an die Änderung der Begründung eines Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren.
92 
In seiner Entscheidung vom 13.12.2011 (1 C 14.10 - juris) hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden dürfe. Daraus folge, dass die Behörde klar und eindeutig zu erkennen geben müsse, mit welcher "neuen" Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibe, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen könnten. Insbesondere müsse sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung beträfen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidige. Stütze die Behörde ihre Entscheidung während des gerichtlichen Verfahrens auf neue Ermessenserwägungen, habe das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass auch der Betroffene hinreichend Gelegenheit erhalte, seine Rechtsverteidigung hierauf einzustellen.
93 
Diese Anforderungen sind hier eingehalten worden. Das Regierungspräsidium hat zunächst bereits im Zulassungsantrag die Begründung der angegriffenen Verfügung geändert und deutlich gemacht, dass sie diese nur noch auf den spezialpräventiven Zweck stützt. Es hat dabei eindeutig zu erkennen gegeben, mit welchem Text sie die Verfügung ergänzt und welche ursprüngliche Passage dafür entfällt. Es hat noch im letzten Schriftsatz erklärt, dass es an dieser Änderung festhält. Zusätzlich hat es die Verfügung mit einem eindeutig benannten Einschub dahingehend ergänzt, dass es, auch soweit der Kläger ein Recht aus Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte, seine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen für gerechtfertigt halte und das öffentliche Sicherheitsinteresse weiterhin gegenüber den schutzwürdigen Interessen des Klägers auch hiervon ausgehend als überwiegend ansehe. Weiterhin hat es eine Ergänzung dahingehend vorgenommen, dass es die Ausweisungsverfügung bereits deshalb als sinnvoll erachte, um gemäß § 54a AufenthG die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum Einsatz zu bringen. Schließlich hat die Behörde die Ausführungen zu § 54 Nr. 5a AufenthG gestrichen. Der Kläger hatte Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
94 
Die danach im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden. Bereits in der ursprünglichen Begründung der Ermessensentscheidung ist ausgeführt, aufgrund seines gesamten und mangels Distanzierung auch gegenwärtigen Verhaltens, der Häufigkeit und Kontinuität seiner Unterstützungs- und Mitgliedschaftshandlungen und seiner gefestigten Befürwortung der militant-extremistischen Ziele der DHKP-C gehe vom Kläger eine konkrete Gefahr aus, die ein großes öffentliches Interesse an seiner Ausweisung begründe, das gegenüber den privaten Interessen des Klägers höher zu gewichten sei. Dieser halte sich seit November 1995 im Bundesgebiet auf, sei während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik zunächst zehn Jahre lang keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen, sondern habe staatliche Sozialleistungen in Anspruch genommen. Erst ab Ende 2005 habe er mit geringfügigen und unqualifizierten Gelegenheitsarbeiten einen - bis 2010 allerdings lediglich geringen - Teil seines Lebensunterhaltes selbst bestritten. Er habe zwar zwei im Bundesgebiet lebende Brüder, aber die meisten Familienmitglieder lebten noch in der Türkei. Es sei kein Interesse etwa an deutscher Tradition oder Kultur und es sei kein Aufbau von allgemein sozialen und gesellschaftlichen Kontakten zu deutschen Staatsangehörigen erkennbar, vielmehr fielen umgekehrt die zahlreichen intensiven Verbindungen zu - gleichgesinnten - Landsleuten deutlich ins Gewicht. Dies gelte vor allem auch in politischer Hinsicht, da sein gesamtes Verhalten zeige, dass es ihm offenbar in erster Linie darum gehe, seine Zugehörigkeit zur DHKP-C und deren Mitglieder und Unterstützer auch auf deutschem Staatsgebiet zu bewahren.
95 
In nicht zu beanstandender Weise davon ausgehend, dass der Kläger - in dem von der Beklagten-Vertreterin erklärten Sinne - als Funktionär der DHKP-C anzusehen ist, d.h., diese qualifiziert unterstützt, indem er konkrete, ihm zugewiesene Funktionen wahrnimmt und hierdurch in diese eingebunden ist, ist das Regierungspräsidium rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die erheblichen Sicherheitsinteressen an der Ausweisung die gegenläufigen privaten Interessen des trotz langjährigen Aufenthalts nur in Ansätzen in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integrierten Klägers überwiegen. Mit der Zulassungsbegründung hat die Behörde dargelegt, dass sie an dieser Einschätzung festhält, auch wenn der Kläger aufgrund der bekannten beruflichen Tätigkeiten einen Anspruch nach Art. 6 ARB 1/80 erworben haben sollte. Die so ergänzten bzw. geänderten Ermessenserwägungen tragen auch den Anforderungen des Art. 12 Abs. 3 Daueraufenthaltsrichtlinie ausreichend Rechnung.
96 
Weiterhin hat die Behörde die Flüchtlingseigenschaft und die Folge, dass der Kläger auf derzeit nicht absehbare Zeit zu dulden sein wird, berücksichtigt, und die Ausweisung hiervon unabhängig u.a. wegen der beabsichtigten Beschränkungen ausgesprochen. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, nachdem sie jedenfalls nicht mehr davon ausgeht, dass diese Beschränkungen ohne Ausweisung überhaupt nicht möglich gewesen wären.
97 
Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger, wie von dem Beklagten angenommen, nicht nur den Tatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG, sondern auch den des § 54 Nr. 5a AufenthG verwirklicht hat. Denn insoweit handelt es sich lediglich um eine im Hinblick auf das Ermessen nicht maßgebliche Würdigung ein- und desgleichen zutreffend zugrunde gelegten Sachverhalts unter zwei verschiedene Normen. Zudem hat das Regierungspräsidium mit der entsprechenden Streichung ihre Verfügung nicht mehr auf diese Norm gestützt.
98 
6. Der dargestellte nationale Maßstab der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ als tatbestandliche Voraussetzung der Ausweisung wird hier nicht durch die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig nationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004 (ABl. L 304, S. 12) bzw. die Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie (- QRL - ABl. L 337, S. 9) modifiziert.
99 
Auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung sind diese Grundsätze trotz der dem Kläger zuerkannten Flüchtlingseigenschaft und des ihm daraufhin ursprünglich erteilten Titels ausnahmsweise nicht anwendbar. Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger bereits vor Inkrafttreten der ursprünglichen Qualifikationsrichtlinie erfolgte. Art. 21 und Art. 24 QRL enthalten - etwa im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 1 QRL - keine Sonderregelungen, aus denen geschlossen werden könnte, dass deren Anwendbarkeit bei Altanerkennungen ausgeschlossen wäre (Urteil des Senats vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - juris, unter Hinweis auf BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 - juris Rn. 21 f. und vom 01.03.2012 - 10 C 10.11 - juris Rn. 11 ff.). Nach deutschem Recht ist die Ausweisung auch, soweit sie zum Erlöschen eines statusbedingten Titels im Sinne der Richtlinie (Art. 24 QRL) führt, eine Entscheidung im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL (a). Im hier vorliegenden besonderen Fall ist aber die bereits bestandskräftig gewordene und auch ausweisungsunabhängig erfolgte Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG die in Bezug auf Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL maßgebliche Entscheidung (b).
100 
a) Art. 24 Abs. 1 QRL regelt den sich aus der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Absatz 1) ergebenden Anspruch auf einen Aufenthaltstitel und die Voraussetzungen, unter denen trotz der Zuerkennung internationalen Schutzes der Titel verweigert werden darf. Art. 21 QRL regelt in Absatz 2 die Voraussetzungen für die Zurückweisung eines Flüchtlings und macht in Absatz 3 deutlich, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen auch ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel oder ein bereits erteilter und fortbestehender Aufenthaltstitel keinen weitergehenden Schutz bietet.
101 
Entscheidungen im Sinne von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 QRL sind damit - bezogen auf eine Person, der, wie dem Kläger, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde - alle Maßnahmen, die dieser entweder den statusbedingten Aufenthaltstitel entziehen und/oder deren Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung dieses Aufenthaltstitels ablehnen.
102 
Das Bundesverwaltungsgericht hat für den Fall der Ablehnung der Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 2 AufenthG entschieden, dass die Voraussetzungen des insoweit allein in Betracht kommenden (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG an Art. 21, 24 QRL gemessen werden müssen (BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - Rn. 24). Nicht entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. auch Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 - juris), ob auch eine Ausweisung eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ist und die sich hieraus ergebenden erhöhten Anforderungen damit auch bei einer Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, die - anders als die Ablehnung - nicht auf die Gründe des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG beschränkt ist, zu stellen sind.
103 
Der Senat hat bereits ausgeführt (vgl. zuletzt Vorlage-Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), dass eine Ausweisung, die einen aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilten Aufenthaltstitel zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 oder Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL entsprechen muss. Hieran ist festzuhalten.
104 
Die Ausweisung beendet grundsätzlich nicht nur einen bestimmten, sondern alle bereits erteilten Titel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Sie trifft dabei - anders als die Rücknahme und die Ablehnung der Neuerteilung oder Verlängerung - keine unmittelbare Entscheidung über das Bestehen von Titelerteilungsansprüchen (auch nicht auf die erneute Erteilung der erloschenen Aufenthaltstitel). Dem entspricht es, dass auch der besondere Ausweisungsschutz nach nationalem Recht grundsätzlich nicht an das Bestehen oder Nichtbestehen von Titelerteilungsansprüchen anknüpft. In Bezug auf solche Ansprüche entfaltet die Ausweisung aber gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG u.a. ein in der Regel zu befristendes Titelerteilungsverbot, die sog. Sperrwirkung. Die Sperrwirkung wird durch gleichzeitige oder nachfolgende hierauf gestützte Ablehnungsentscheidungen titelbezogen umgesetzt und konkretisiert.
105 
Dieses deutsche Institut der Ausweisung als solches kennt die Qualifikationsrichtlinie, die auch mit Art. 21, 24 QRL nicht tatbestandlich an einzelne nationale Bestimmungen anknüpft, nicht. Aus Art. 21, 24 QRL lässt sich dementsprechend zwar kein unmittelbarer Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 AufenthG - weder anknüpfend an einen Titel noch an einen Status - entnehmen. Es wird insoweit grundsätzlich vom Gesetzgeber zu entscheiden sein, ob er den Schutz der Art. 21, 24 QRL im nationalen Recht als besonderen, an den Status oder den Titelbesitz anknüpfenden Ausweisungsschutz für Ausländer, denen internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt ist, ausgestaltet, mit der Folge, dass hierdurch auch mittelbar bereits erteilte schutzunabhängige nationale Titel vor dem Erlöschen und Ansprüche auf Erteilung von schutzunabhängigen nationalen Titeln vor dem Eingreifen der Sperrwirkung geschützt werden. Ein solcher besonderer über die Vorgaben der Art. 21, 24 QRL hinausgehender Ausweisungsschutz ist dabei nicht die einzig mögliche Umsetzung. Alternativ wäre denkbar, dass der Gesetzgeber den zur Aufnahme des Flüchtlings zu erteilenden nationalen Titel von den Wirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch Änderung dieser Bestimmungen, durch Änderung des § 25 AufenthG oder auch durch Normierung dieser Titel außerhalb des Aufenthaltsgesetzes ausnimmt (vgl. zur Aufenthaltsgestattung des Schutzsuchenden vgl. § 67 AsylVfG, §§ 56 Abs. 4, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sowie Art. 9 RL 2013/32/EU). Bisher hat der nationale Gesetzgeber die sich aus Art. 21, 24 QRL ergebenden Anforderungen aber nicht umgesetzt, was zur Folge hat, dass Art. 21, 24 QRL unmittelbar Anwendung finden und die Ausweisung damit jedenfalls soweit sie die dort genannten Wirkungen bezüglich des zur Aufnahme als Flüchtling (zum Begriff vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) bzw. aufgrund der Zuerkennung von internationalem Schutz erteilten Titels entfaltet, an deren Vorgaben zu messen ist.
106 
Daher finden nach Ansicht des Senats auch auf eine Ausweisung, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht wie die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt, die Regelungen der Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 2 QRL über die Aufhebung bzw. Beendigung von Aufenthaltstiteln Anwendung (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Dabei kann es im vorliegenden Fall weiterhin offen bleiben, an welchem Maßstab eine Ausweisung zu messen ist, die die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG nicht ersatzlos zum Erlöschen bringt, weil gleichzeitig eine auf mindestens drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG erteilt wird, so dass im Ergebnis nur eine „Herabstufung“ erfolgt (offen gelassen im Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris und im Beschluss des Senats vom 15.08.2013 - 11 S 1711/12 - für den Fall des Verstoßes der ersatzlosen Rücknahme einer Niederlassungserlaubnis gegen Art. 6 ARB 1/80).
107 
b) aa) Weiterhin ist die Ausweisung grundsätzlich immer dann eine an Art. 21, 24 QRL zu messende Beendigung eines statusbedingten Aufenthaltstitels eines Flüchtlings, wenn sie ein befristetes Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 2 AufenthG ersatzlos zum Erlöschen bringt. Allerdings wird eine solche Ausweisung meist verbunden mit einer in die Zukunft gerichteten Ablehnung der - erneuten - Erteilung bzw. Verlängerung dieses befristeten Titels. Diese Ablehnung ist, ebenfalls eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL. Wenn eine solche Ausweisung hinsichtlich der - vorzeitigen - Beendigung des befristeten Aufenthaltstitels den Anforderungen der Qualifikationsrichtlinie gerecht wird, ergibt sich regelmäßig schon hieraus die Rechtmäßigkeit der anspruchsverneinenden Ablehnungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 25 Abs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch in unionsrechtlicher Hinsicht. Damit wird sich die Prüfung auf die Vereinbarkeit der titelvernichtenden Ausweisung mit den Vorgaben der Richtlinie konzentrieren.
108 
Anders ist dies dann, wenn eine Ausweisung erst ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist. Dann ist zunächst diese Ablehnung an den Vorgaben der Art. 21, 24 QRL zu messen. Behält diese Bestand, weil Rechtsbehelfe nicht eingelegt werden oder erfolglos bleiben, greift eine nachfolgende Ausweisung in keinen entsprechenden Titel mehr ein. Ist der Anspruch auf Erteilung eines Titels gemäß §§ 25 Abs. 2, 26 Abs. 3 AufenthG bereits ausweisungsunabhängig (zurückgenommen oder) abgelehnt, geht schließlich auch das - zu befristende - Titelerteilungsverbot insoweit ins Leere.
109 
Dem Fall, dass eine Ausweisung gegenüber einem anerkannten Flüchtling ergeht, nachdem aufgrund (einer Rücknahme oder) einer Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung des bereits abgelaufenen Titels bereits kein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 oder § 26 Abs. 3 AufenthG mehr besteht und der Anspruch hierauf verneint worden ist, ist der Fall gleichzusetzen, in dem eine Ausweisung nach Ablauf der Geltungsdauer des befristeten Aufenthaltstitels zwar gleichzeitig mit einer - zumindest auch - ausweisungsunabhängigen Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung des befristeten Titels als weitere Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL ergeht, letztere aber bereits bestandskräftig ist (vgl. zur Prüfung von Art. 8 EMRK in einer entsprechenden Konstellation vgl. BayVGH, Beschluss vom 24.02.2011 - 10 ZB 10.243 - juris). Dann ist die Ausweisung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung ebenfalls nicht mehr an der Qualifikationsrichtlinie zu messen.
110 
bb) Nach diesen Grundsätzen ist die hier allein maßgebliche Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL die Ablehnungsentscheidung in Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung mit der Folge, dass im vorliegenden Fall nicht auch die Ausweisungsverfügung an den Anforderungen der Art. 21 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 QRL zu messen ist.
111 
Der Kläger war nach Ablauf seiner letzten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht mehr im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Dieser galt zwar nach rechtzeitiger Stellung des Verlängerungsantrags als fortbestehend. Die Fortgeltung endete aber bereits mit dem Wirksamwerden der auch auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützten Ablehnung (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Für diese Ablehnungsentscheidung waren die Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL einschlägig. Ob die Ablehnungsentscheidung, die nach nationalem Recht aufgrund des Vorliegens des Versagungsgrunds des § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG zwingend erfolgen musste, diesen Anforderungen gerecht wird, ist hier nicht zu prüfen, weil die Klage, wie dargelegt, insoweit bereits unzulässig war und diese Entscheidung damit bestandskräftig ist. Zur Nichtigkeit würde nach dem insoweit maßgeblichen nationalen Verfahrensrecht ein solcher nicht offensichtlicher Verstoß gegen höherrangige Regelungen nicht führen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Nicht zu entscheiden ist hier, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Ablehnungsverfügung im Falle ihres Verstoßes gegen Art. 21 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 1 QRL wiederaufgegriffen werden müsste (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-249/11/Byankov - juris m.w.N.). Die bloße grundsätzlich bestehende Möglichkeit des Wiederaufgreifens erfordert weder die Inzidentprüfung einer bestandskräftigen Verfügung noch lässt sie eine Abweichung von der durch diese geschaffenen Sachlage zu.
112 
Somit hat der Kläger schon aufgrund dieser Entscheidung keinen fortbestehenden Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG mehr inne, so dass die Ausweisung in diesen Titel nicht mehr eingreifen kann. Auch hinsichtlich der Sperrwirkung ist in solchen Fällen die Ablehnungsentscheidung (oder ggf. Rücknahme) in Bezug auf den abgelehnten Titel jedenfalls dann, wenn die Ablehnung - wie hier - nicht nur wegen der Sperrwirkung der Ausweisung, sondern zusätzlich selbständig tragend wegen des Vorliegens des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG erfolgt ist, die bezogen auf Art. 21, 24 QRL maßgebliche Entscheidung. Denn mit bestandskräftiger Ablehnung der Erteilung des Aufenthaltstitels steht auch bindend fest, dass ein Anspruch auf diesen Titel nicht besteht. Die Bestandskraft dieser Ablehnungsentscheidung wird weder von der hier mit der Berufung angegriffenen Kassation der Ausweisungsverfügung noch von deren Befristung berührt.
113 
7. Unabhängig davon ist die Ausweisung schließlich aber auch dann rechtmäßig, wenn sie im vorliegenden Fall - neben der hier nicht streitgegenständlichen Ablehnungsentscheidung ebenfalls - an Art. 21, 24 QRL zu messen ist.
114 
Dabei kommt es hier auf die dem Europäischen Gerichtshof vom Senat (Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) vorgelegte streitige Frage nicht an, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels, die sich aus Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL ergeben, geringer sind, als die aus Art. 24 Abs. 1 QRL (so BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris; a.A. zuletzt Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris), so dass weder eine weitere Vorlage noch eine Aussetzung des Verfahrens angezeigt war. Vom Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts ausgehend, ist es für eine Maßnahme im Sinne der Art. 21 Abs. 3 QRL und auch eine Ablehnung eines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 QRL jedenfalls ausreichend, dass die niedrigen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 und 2 QRL erfüllt sind; dementsprechend können auch an eine Ausweisung, wenn sie an diesen Vorschriften zu messen ist, nicht die nach diesem Ansatz höheren Anforderungen des Art. 24 QRL gestellt werden. Nach Überzeugung des Senats sind hier aber die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht aus Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL herleitet, erfüllt.
115 
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts es - mit Blick auf die in Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 1 QRL enthaltene erhöhte Gefahrenschwelle - gebietet, bei anerkannten Flüchtlingen den Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen nur in Fällen vorliegen, in denen der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Anders als das nationale Aufenthaltsrecht, das in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel auch in Fällen des § 54 Nr. 5 AufenthG als gegeben ansehe, enthalte das Unionsrecht insoweit keine Regelvermutung, sondern verlange eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Dabei reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG für sich genommen noch nicht aus; vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Schwerwiegende Gründe lägen regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Betreffende sich für die Organisation etwa durch Teilnahme an deren Aktivitäten oder durch einzelne finanzielle Zuwendungen einsetze. Vielmehr müssten bei einer am Gewicht des Ausschlussgrundes ausgerichteten Wertung die vom Ausländer ausgehenden Gefahren so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das sei typischerweise erst dann der Fall, wenn der Flüchtling eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, in qualifizierter Weise, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als Funktionär, unterstütze. Das könne sich daraus ergeben, dass er durch eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder -bereitschaft für die Ziele der Organisation eintrete oder dass er durch seine strukturelle Einbindung in die Organisation, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, deren Gefährdungspotential mittrage. Welche Art der Einbindung des Ausländers in die Organisation erforderlich und ausreichend sei, um in seiner Person die erhöhte Gefahrenschwelle zu erreichen, lasse sich nicht abstrakt beantworten, sondern hänge von einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles ab, u.a. auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und Gewaltbereitschaft bestimmt werde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.05.2012 - 1 C 8.11 - juris).
116 
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die DHKP-C verfolgt, wie dargelegt, die Herbeiführung einer Weltrevolution und den Sturz des Imperialismus. Die DHKP-C strebt eine kommunistische Gesellschaftsordnung an, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Darüber hinaus gefährdet sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 126). Die Organisation versteht es als „heilige Pflicht", gegen die „Tyrannei und Ausbeutung" in der Türkei zu kämpfen. Zur Erreichung ihrer Ziele führt sie den bewaffneten Kampf. Angriffsziele sind nicht nur der türkische Staat und dessen Organe, sondern auch weitere „Feinde des Volkes", zu denen die DHKP-C in erster Linie den „US-Imperialismus" zählt (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 127 f.). Ebenso wie diese Zielsetzung sind auch ihre Aktivitäten und ihr bewaffneter Kampf, der auch mit Mitteln terroristischer Anschläge geführt wird (vgl. oben), nicht - grundsätzlich - auf die Türkei beschränkt. Am 12.02.1999 verfügte Dursun Karatas zwar einen Gewaltverzicht der DHKP-C für Westeuropa. In Deutschland waren seitdem auch keine gewaltsamen Aktionen mehr festzustellen. Der Organisation der DHKP-C in Deutschland kommt aber weiterhin eine bedeutende Rolle als „Rückfront“ zu, die insbesondere für finanzielle Förderung zur Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes der DHKP-C in der Türkei erforderlich ist (vgl. oben), die zu keinem Zeitpunkt vom Einsatz terroristischer Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele Abstand genommen hat (vgl. oben).
117 
Die hohe Gewaltbereitschaft zeigt sich vor allem im Einsatz von eindeutig terroristischen (Selbstmord-)Anschlägen mit Sprengsätzen, Handgranaten u.ä., aber auch in der Bewaffnung mit und dem Gebrauch von Schusswaffen. Dass der Einsatz dieser Mittel derzeit auf die Türkei beschränkt ist, ändert an dem hohem Grad der Gewaltbereitschaft und Gefährlichkeit nichts, da der Verzicht auf Gewalt in anderen europäischen Ländern und insbesondere auch in Deutschland erkennbar aus taktischen Gründen erfolgt ist, um hier die Rückfront möglichst von strafrechtlicher Verfolgung ungestört aufzubauen und wirken zu lassen. Der Grad der Gefährlichkeit ist, wie ebenfalls bereits dargelegt, auch nicht deswegen als niedriger anzusehen, weil es sich um eine Organisation mit einer eher geringen Mitgliederzahl handelt. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese Organisation sich auch in der Struktur von großen Organisationen, wie beispielsweise der PKK, u.a. dadurch unterscheidet, dass eine klare Unterscheidung in herausgehobene Funktionäre und mit Anschlägen befasste Kader und sonstige Angehörige nicht geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 214/10 - juris und s. oben). Jedem einzelnen ihrer Anhänger, der, wie der Kläger, durch arbeitsteilige Aufgabenwahrnehmung in diese und in deren Kontrolle eingebunden ist, kommt insoweit regelmäßig unmittelbare Bedeutung für die Förderung und den Erhalt der nach Überzeugung des Senats hochgradig gefährlichen Organisation zu. Dementsprechend verhalten sich nicht nur die Funktionäre, sondern auch die „einfachen“ Anhänger der DHKP-C ausgesprochen konspirativ (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128).
118 
Ihre aktuelle Gefährlichkeit und Gewaltbereitschaft hat die Organisation mit der „Anschlagoffensive“ ab Mitte 2012 demonstriert (vgl. oben), die ebenfalls belegt, dass auch die Festnahmen und Verurteilungen einzelner auch überregional verantwortlicher Funktionäre und die Sicherstellungen von Waffen und Sprengstoff den Gefährdungsgrad der Organisation bisher nicht nachhaltig beeinträchtigen konnten.
119 
Zur Führung in der Bundesrepublik zählen neben dem Deutschlandverantwortlichen und dessen Vertretern mehrere Regions- und Gebietsverantwortliche sowie weitere, mit Sonderaufgaben betraute Funktionäre, etwa die Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit. Als örtliche oder regionale Basis dienen DHKP-C-nahe Tarn-Vereine. Die Tätigkeitsschwerpunkte in Baden-Württemberg liegen im Großraum S... sowie in der R...-N...-Region (Landesverfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2012, S. 128), wo auch der Kläger, wie dargelegt, nach Überzeugung des Senats als Aktivist strukturell in die Organisation der DHKP-C, deren Gefährdungspotential er auch weiterhin mitträgt, eingebunden war und ist. Er hat die DHKP-C durch die oben dargestellten Tätigkeiten jahrelang planmäßig in Abstimmung und Zusammenarbeit mit anderen Anhängern, Mitgliedern und Funktionären unterstützt und damit, insbesondere durch Verbreitung ihrer Ideologie und Beschaffung von finanziellen Mitteln, maßgeblich dazu beigetragen, dass die DHKP-C, deren Aktionen die Rückfront durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf ihrer Schriften, durch Einnahmen aus Spendengeldsammlungen und aus Musik- und anderen Veranstaltungen finanziert, in der Türkei Terroranschläge in erheblichem Umfang und Ausmaß durchführen konnte (vgl. dazu oben).
120 
Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, die das Bundesverwaltungsgericht zu Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und 1 QRL aufgestellt hat, hier gegeben.
121 
Nach der Ansicht des Senats liegen hier ohne weiteres "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 QRL vor und rechtfertigen die Ausweisung auch unionsrechtlich (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris). Ob daneben auch die nach Ansicht des Senats im Vergleich zu Art. 24 Abs. 1 QRL strengeren Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 QRL (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 - juris) erfüllt sind, ist hiervon ausgehend aber unerheblich, weil die Ausweisung weder eine Entscheidung über die Zurückweisung darstellt noch den - nach deutschem Recht titelunabhängigen - Schutz davor (vgl. § 60 Abs. 1 AufenthG) entzieht.
122 
8. In die übrigen, sich aus der Richtlinie ergebenden Rechte des international Schutzberechtigten, von denen der Anspruch auf den befristeten Aufenthaltstitel nur eines ist (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris), greift eine Ausweisung hier nicht ein.
123 
Dies gilt unabhängig davon, dass im deutschen Recht zum Teil, insbesondere im Bereich der Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, bestimmte durch die Richtlinie garantierte Rechte über den Aufenthaltstitel vermittelt werden (vgl. Vorlage-Beschluss des Senats vom 27.05.2013 a.a.O.). Denn soweit die dem Statusinhaber in der Qualifikationsrichtlinie gewährten Rechte weder vom Fortbestehen des aufgrund des Status ausgestellten Aufenthaltstitels abhängig sind bzw. gemacht werden können, hat der Eingriff in den - Anspruch auf einen - Aufenthaltstitel auf diese ohnehin keinen Einfluss. Insoweit können dem Ausländer, dem internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) zuerkannt worden ist, die hierauf beruhenden Rechte nur mit der Zuerkennung als solcher entzogen werden.
124 
Es kann offenbleiben, ob und inwieweit einzelne Rechte noch nach der erfolgten Aufnahme durch Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Flüchtlingseigenschaft (vgl. Art. 12 Abs. 2 lit. b QRL) vom Fortbestand des vermittelten Aufenthaltsstatus bzw. von der Verlängerung des Aufenthaltstitels abhängig gemacht werden können und ob das nationale Recht die Voraussetzungen hierfür erfüllt (vgl. Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Denn im hier vorliegenden Fall hat, wie dargelegt, schon die bestandskräftige Ablehnung und nicht erst die streitgegenständliche Ausweisung zum Verlust des Titels und damit ggf. auch hiervon abhängiger Rechte geführt.
II.
125 
Die Anordnung der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54a AufenthG durch Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids sind ebenfalls rechtmäßig.
126 
Nach § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den eine vollziehbare Ausweisungsverfügung u.a. nach § 54 Nr. 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Nach Absatz 2 der Vorschrift ist sein Aufenthalt auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit diese keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Gesetz eingefügten Vorschriften (BT-Drucks. 15/3479 S. 9) dienen der Gefahrenabwehr. Sie sollen die von den nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG ausgewiesenen Ausländern ausgehende Gefahr einer Weiterführung von Handlungen im Vorfeld des Terrorismus eindämmen, gerade auch in Fällen, in denen mit einer baldigen Aufenthaltsbeendigung nicht zu rechnen ist (BR, Plenarprotokoll 802 vom 09.07.2004, S. 338 ff.). Die Ausländerbehörde hat die Möglichkeit, die gesetzliche Ausgestaltung der Überwachungsmaßnahmen je nach dem Gewicht der konkreten Gefahr zu modifizieren; dabei hat sie den mit einer Meldepflicht und einer Aufenthaltsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriff unter Wahrung des Gebots der Verhältnismäßigkeit zu beschränken und - insbesondere bei länger andauernder Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung - unter Kontrolle zu halten (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
127 
Der angegriffene Bescheid konkretisiert die gesetzlichen Verhaltenspflichten durch die Regelung, ohne von der gesetzlich im Normalfall vorgesehenen Meldehäufigkeit oder von der Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde abzuweichen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass vom Kläger eine geringere Gefahr ausgeht als von anderen Ausländern, die auf der Grundlage von § 54 Nr. 5 AufenthG ausgewiesen werden, so dass die gesetzlichen Verhaltenspflichten des § 54a Abs. 1 und 2 AufenthG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abzuschwächen wären, sind weder festgestellt noch vorgetragen. Nach nationalem Recht sind die Auflagen damit nicht zu beanstanden.
128 
Den auf der Grundlage von § 54a AufenthG verfügten Auflagen steht auch nicht der Anspruch des anerkannten Flüchtlings auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit innerhalb des jeweiligen Hoheitsgebiets nach Art. 33 QRL entgegen. Zwar gilt Art. 33 QRL unabhängig von der aufenthaltsrechtlichen Aufnahme im Mitgliedstaat und lässt eine Anknüpfung an den Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht zu (vgl. auch oben zu Erwägungsgrund 30 der QRL 2004 bzw. Erwägungsgrund 40 der QRL 2011). Ein anderes Verständnis lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zusammenhang mit Art. 26 GFK herleiten (so aber Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 939). Der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 33 QRL setzt eindeutig ausschließlich die Zuerkennung des internationalen Schutzstatus und nicht auch die erfolgte Aufnahme im Wege der Erteilung des Aufenthaltstitels voraus. Auch aus der englischen und französischen Fassung (Begünstigte des Status bzw. die, den Status genießen) ergibt sich nichts anderes. In der englischen Fassung lautet die Regelung:
129 
"Member States shall allow freedom of movement within their territory to beneficiaries of refugee or subsidiary protection status, under the same conditions and restrictions as those provided for other third country nationals legally resident in their territories."
Die französische Fassung lautet: "Les États membres permettent aux personnes bénéficiant du statut de réfugié ou du statut conféré par la protection subsidiaire de circuler librement à l'intérieur de leur territoire, dans les mêmes conditions et avec les mêmes restrictions que celles qui sont prévues pour les ressortissants d'autres pays tiers résidant légalement sur leur territoire."
130 
Dem entspricht es, dass die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Rechte, von denen der Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach Art. 24 QRL nur einer ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris), auch im Übrigen grundsätzlich nur an die Zuerkennung des jeweiligen Status anknüpfen (vgl. die unter Kapitel VII „Inhalt des nationalen Schutzes“ getroffenen Bestimmungen - Art. 22 ff., sowie die Erwägungsgründe 38 ff.). Das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit wird im jeweiligen Aufenthaltsstaat garantiert. Dabei fordert das Recht auf Gleichbehandlung im Bereich der Freizügigkeit nicht die Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen, sondern, wie beim Zugang zu Wohnraum (Art. 32), mit Drittausländern, die sich rechtmäßig im jeweiligen Hoheitsgebiet aufhalten.
131 
Etwas anderes lässt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm nicht herleiten. Nach Art. 30 des Entwurfs der Kommission sollten Personen, die internationalen Schutz genießen, unbeschränkte Freizügigkeit in den jeweiligen Mitgliedstaaten erhalten (Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen, Schutz benötigen KOM(2001) 510 endgültig vom 12.9.2001: „Member States shall not limit the freedom of movement within their territory of persons enjoying international protection“). Der Kreis der Berechtigten wurde im Laufe des Normgebungsverfahrens nicht eingeschränkt. Allerdings wurde der Umfang der Freizügigkeit, die ihnen zu gewähren ist, aufgrund von Forderungen einzelner Mitgliedstaaten nach Ergänzung von Ausnahmen (z.B. aus Gründen der nationalen Sicherheit, öffentlichen Ordnung, Strafverfahren) eingeschränkt (EL/E/IRL/I/UK – Deutschland hatte einen Prüfungsvorbehalt geltend gemacht, vgl. Council doc. No. 10596/02, p. 36 und Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1198). Auch wenn die Gestaltung dieser Einschränkung mit Blick auf Art. 26 GFK erfolgt sein dürfte (vgl. Hailbronner, a.a.O.), der in der deutschen Fassung bestimmt, dass jeder vertragsschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewähren wird, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden (vgl. dazu unten), ergibt sich hieraus nicht, dass auch der Kreis der Berechtigten auf diejenigen anerkannten Schutzberechtigten, die sich rechtmäßig im Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, beschränkt werden sollte, und sich ausgewiesene Schutzberechtigte deshalb nicht darauf berufen können (so aber Marx a.a.O.). Denn zwar wird auch anerkannten Schutzberechtigten mit der erfolgten Einschränkung nicht mehr - wie zunächst vorgesehen - uneingeschränkte Freizügigkeit (wie den jeweiligen Staatsangehörigen), sondern nur noch in dem Umfang, wie diese auch anderen Drittstaatsangehörigen zusteht, die sich rechtmäßig im jeweiligen Mitgliedstaat aufhalten, gewährt. Die in Art. 26 GFK enthaltene Einschränkung auf sich „rechtmäßig“ im Hoheitsgebiet aufhaltende Schutzberechtigte wurde aber nicht übernommen. Offenbleiben kann damit, ob die nicht verbindliche deutsche Übersetzung der Genfer Flüchtlingskonvention überhaupt korrekt ist (vgl. die verbindliche englische und französische Fassung: Each Contracting State shall accord to refugees lawfully in its territory the Right … und Tout Etat Contractant accordera aux réfugiés se trouvant régulièrement sur son territoire le droit …) bzw. welche Bedeutung der Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts in dieser Bestimmung hat (vgl. zu diesem Begriff in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GFK vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 1.03 - juris) und insbesondere, ob damit ein rechtmäßiger, über den gewährten Schutz vor Zurückweisung hinausgehender Aufenthaltsstatus gemeint ist.
132 
Im Bereich der Freizügigkeit muss damit ein Ausländer, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist, auch wenn er ausgewiesen und/oder ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 3 QRL versagt werden kann bzw., wie im Falle des Klägers, versagt worden ist, einem sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer gleichgestellt werden.
133 
Für die Frage, welche sich mit oder ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländer dabei als Vergleichsgruppe heranzuziehen sind, erscheint eine Auslegung unter der Berücksichtigung der in Art. 26 GFK naheliegend. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 15.01.2008 - 1 C 17.07 - juris) hat zu Art. 26 GFK entschieden, dass diese Vorschrift die Anwendung der Bestimmungen erlaubt, die allgemein für Ausländer unter den „gleichen Umständen“ gelten. Der Begriff der „gleichen Umstände“ wird in Art. 6 GFK näher definiert. Danach sind Differenzierungen, die sich „auf die Dauer und die Bedingungen des vorübergehenden oder dauernden Aufenthalts beziehen“, zulässig, wenn sie die betroffenen Personen auch erfüllen müssten, falls sie nicht Flüchtlinge wären, wenn sie also auch für andere Ausländer gelten würden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus geschlossen, dass etwa zwischen Ausländern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht und solchen, die nur einen befristeten Aufenthaltstitel haben, differenziert werden darf, aber auch nach den Aufenthaltszwecken, für die Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2008 a.a.O.).
134 
Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat in seiner Entscheidung offen gelassen, ob sich aus Art. 32 QRL 2004 (jetzt Art. 33 QRL 2011) engere Vorgaben für das Erfordernis der Ausländergleichbehandlung ergeben als aus Art. 26 GFK, aber darauf hingewiesen, dass Art. 33 QRL als Vergleichsgruppe der Gleichbehandlung die anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Aufnahmestaat aufhalten, wählt und keine Präzisierung wie Art. 6 GFK enthält. Der Senat kann ebenfalls offenlassen, ob die Einschränkung der Freizügigkeit in Art. 33 QRL mit der in Art. 26 GFK gleichbedeutend ist. Denn im vorliegenden Fall findet die Aufenthalts- und Meldeauflage ihre Grundlage in der in Art. 33 QRL vorgesehenen Einschränkung, auch wenn die Vergleichsgruppe alle sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörige sind, unabhängig von dem ihrem Aufenthalt jeweils zugrunde liegenden Zweck. Vor dem Hintergrund, dass sich allein aus dem Schutzstatus nach der Qualifikationsrichtlinie grundsätzlich kein Anspruch auf ein Daueraufenthaltsrecht ergibt, scheidet demgegenüber eine Gleichstellung mit Inhabern einer Niederlassungserlaubnis oder eines Daueraufenthalts-EU aus.
135 
Ausgehend von dieser Vergleichsgruppe sind die verfügten Auflagen rechtmäßig. Zwar können sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Drittausländer den hier verfügten Beschränkungen nicht auf der Grundlage des § 54a AufenthG unterworfen werden. Absatz 1 der Regelung sieht Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkungen für Ausländer, gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5, 5a oder Nr. 5b oder eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, zwingend vor (Satz 1). Ist ein Ausländer auf Grund anderer Ausweisungsgründe vollziehbar ausreisepflichtig, kann eine entsprechende Meldepflicht angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist (Satz 2). Auch die Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde gemäß Absatz 2 erfasst ausschließlich Ausländer im Sinne des Satzes 1 (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar, AuslR, Stand: 01.09.2013, § 54a Rn. 5; a.A. Hailbronner, a.a.O., § 54a Rn. 11). Aus dem systematischen Zusammenhang von Satz 1 und 2 des Absatzes 1 lässt sich bereits entnehmen, dass auch im Falle des Satzes 1 grundsätzlich eine vollziehbare Ausreisepflicht vorliegen muss, so dass auch ein Ausländer, der sich trotz vollziehbarer Ausweisung aufgrund eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht auf dieser Grundlage entsprechenden Beschränkungen unterworfen werden kann.
136 
Entsprechendes gilt für die gesetzliche Beschränkung des Aufenthalts vollziehbar Ausreisepflichtiger gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf das Gebiet des Landes. Auch sie enthält keine Grundlage für die räumliche Beschränkung sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltender Ausländer.
137 
Dagegen sieht aber § 12 AufenthG allgemein Nebenbestimmungen - auch unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltszweck - für Visa, Aufenthaltserlaubnisse oder im Falle des erlaubnisfreien Aufenthalts vor (für Niederlassungserlaubnisse bedarf es einer speziellen gesetzlichen Regelung vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 12 Abs. 2 AufenthG können das Visum und die Aufenthaltserlaubnis mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können - auch nachträglich - mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Auch der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann nach Absatz 4 der Bestimmung zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden. Eine solche Auflage muss ihre Rechtfertigung im Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden; sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen. In diesem Rahmen darf die Ausländerbehörde durch Auflagen öffentliche Interessen schützen, die durch die Anwesenheit des Ausländers nachteilig berührt werden können (BVerwG, Urteil vom 15.12.1981 - 1 C 145.80 - juris zu § 7 Abs. 4 AuslG), insbesondere Beschränkungen verfügen, die die Verhinderung von Straftaten und/oder verfassungsgefährdendem Verhalten im Sinne des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG bezwecken (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar a.a.O., AuslR, § 12 Rn. 12). Damit kann grundsätzlich gemäß § 12 Abs. 2 und 4 AufenthG - z.B. als gegenüber der Ausweisung milderes Mittel oder einziges Mittel, weil von einer Ausweisung aufgrund besonderer Umstände abgesehen wird oder abgesehen werden muss - eine fortbestehende Aufenthaltserlaubnis, unabhängig davon zu welchem Zweck sie erteilt worden ist, sowie ein erlaubnisfreier Aufenthalt auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt werden. Entsprechendes gilt für die Verhängung von der Überwachung dienenden Meldeauflagen, ohne die die räumliche Aufenthaltsbeschränkung in solchen Fällen nicht sicherzustellen ist (vgl. dagegen zur Unvereinbarkeit von Wohnsitzauflagen zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten mit Art. 28 Abs. 1 und 32 QRL vgl. OVG NRW, Urteil vom 21.11.2013 - 18 A 1291/13 - juris m.w.N.).
138 
Wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, steht auch Art. 26 GFK bei sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Flüchtlingen entsprechenden Auflagen nicht entgegen. Eine räumliche Beschränkung ihres Aufenthaltstitels auf dieser Grundlage verstößt schließlich auch nicht gegen das Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16.09.1963 (BGBl. 1968 II S. 423, 1109). Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Protokolls hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. Der Aufenthalt wäre aber nur insoweit rechtmäßig im Sinne des Art. 2 Abs. 1 des Protokolls, als sich der Ausländer in den Grenzen aufhält, die sein Aufenthaltstitel vorsieht, der den rechtmäßigen Aufenthalt räumlich beschränkt (BVerwG, Urteil vom 19.03.1996 - 1 C 34.93 - juris).
139 
Für den Senat besteht nach diesem Maßstab kein Zweifel daran, dass gegenüber jedem sich im Bundesgebiet mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis oder erlaubnisfrei aufhaltenden (Dritt-)Ausländer bei dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt auf der Grundlage des § 12 AufenthG die unter Ziff. 3 verfügten Beschränkungen hätten erlassen werden können. Im Hinblick darauf, dass der Kläger einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund durch die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verwirklicht hat, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sein Verhalten seit seiner Ausweisung grundlegend geändert hat oder in Zukunft ändern wird, erscheinen Beschränkungen seiner Freizügigkeit, um ihm weitere Aktivitäten zugunsten der DHKP-C zumindest zu erschweren, notwendig, geeignet und ihm Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers auch verhältnismäßig. Somit sind diese Beschränkungen auch mit Art. 33 QRL vereinbar.
140 
Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, dass derartige Beschränkungen gegenüber nicht vollziehbar Ausreisepflichtigen auf der Grundlage von § 12 AufenthG im Ermessen der Behörde stehen und auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG nicht - in einem Mindestumfang - zwingend vorgegeben sind. Denn der nach Art. 33 QRL vorzunehmende Vergleich dürfte ohnehin nur auf die grundsätzliche Zulässigkeit der Verhängung der beabsichtigten bzw. erfolgten Beschränkung auch gegenüber anderen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Drittausländern bei Zugrundelegung des gleichen Sachverhalts zielen. Unabhängig davon schließt es die gesetzgeberische Bewertung der Tatbestände der § 54 Nr. 5 bis 5b AufenthG als Regelausweisungsgründe und zwingende Versagungsgründe - auch in Bezug auf humanitäre Aufenthaltstitel - aus, bei deren Erfüllung von Beschränkungen, wie sie § 54a AufenthG vorsieht, ganz abzusehen, wenn im Einzelfall weder eine Ausweisung erfolgen noch der befristete Titel widerrufen oder zurückgenommen werden kann und deswegen eine Aufenthaltsbeendigung vorerst ausscheidet. Art und Umfang der Beschränkungen stehen auch nach § 54a AufenthG unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit, der vom Beklagten beachtet worden ist.
141 
Auch im Übrigen begegnen diese Auflagen keinen rechtlichen Bedenken. Das Regierungspräsidium hat die angegriffene Verfügung in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2014 insbesondere insoweit geändert, dass die Auflagen nun erst mit Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung wirksam werden sollen (vgl. im Übrigen Urteil des Senats vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - juris).
C.
142 
Schließlich ist auch die vom Beklagten mit Verfügung vom 24.02.2014 getroffene Befristungsentscheidung, die der Senat aufgrund des Hilfsantrags des Klägers, mit dem er die Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung auf Null begehrt, zu prüfen hat, überwiegend nicht zu beanstanden.
143 
Dieser Hilfsantrag des Klägers ist zulässig. Denn in der Anfechtung der Ausweisung war bereits erstinstanzlich zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 39 und vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 24; Beschluss vom 14.03.2013 - 1 B 17.12 - NVwZ-RR 2013, S. 574 Rn. 9 ff.). Nachdem das Verwaltungsgericht die Ausweisungsverfügung auf den Hauptantrag des Klägers hin aufgehoben hatte, hatte es über diesen Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden. In diesen Fällen fällt der Hilfsantrag im Berufungsverfahren an, wenn - wie hier - die Berufung zur Abweisung des Hauptantrags führt.
I.
144 
Nachdem der Beklagte während des Berufungsverfahrens eine Befristung für die Dauer von zehn Jahren ausgesprochen hat, ist vom Senat insoweit zunächst zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist, insbesondere, wie vom Kläger beantragt, auf Null hat. Dies ist nicht der Fall.
145 
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
146 
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf eine Dauer unter zehn Jahren. Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht bereits daran, dass der Kläger derzeit noch keinen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung hätte. Zwar knüpft in Fällen, wie dem vorliegenden, in dem die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG) ebenso ungewiss ist, wie die der freiwilligen Ausreise, der Fristbeginn nicht an ein gewisses bzw. von den Beteiligten herbeiführbares Ereignis an. Eine in dieser Weise bedingte Befristung verfehlt ihre eigentliche Aufgabe. Weder verschafft sie dem Ausgewiesenen eine zeitliche Perspektive noch trägt sie zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der zu folgen sich der Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung gehalten sieht, ist die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aber einheitlich so auszulegen, dass auch die Wirkungen der Ausweisung bereits mit Erlass der Ausweisungsverfügung zu befristen sind.
147 
Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre grundsätzlich überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn es besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus (§ 54 Nr. 5 AufenthG) und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Das Bundesverwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung durch die dem Kläger erteilte Duldung möglicherweise weit in die Zukunft verschoben ist, so dass die Fristbestimmung auf typisierende Annahmen zurückgreifen muss. Danach ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger keinerlei Neigung zeigt, von seiner Unterstützung der DHKP-C, die bereits auf das Jahr 1989 zurückgeht, abzusehen, so dass mit einer grundlegenden Änderung seines Verhaltens auch in ferner Zukunft nicht ernsthaft gerechnet werden kann.
148 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist - wohl ausgehend von der aktuellen Situation - an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, messen lassen. Dieses normative Korrektiv biete der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 a.a.O. jeweils Rn. 42 m.w.N.). Dabei seien insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
149 
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung muss hierzu die nach der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermittelte Frist zunächst wohl auch immer dann unmittelbar in einem zweiten Schritt relativiert werden, wenn, wie hier, noch ungewiss ist, ob überhaupt und ggf. bei Vorliegen welcher persönlichen Verhältnisse die gesetzte Frist, die auch nachträglich verkürzt werden kann, in Lauf gesetzt wird. Auch nach diesen Grundsätzen ist hier allerdings die Frist von 10 Jahren nicht zu verkürzen. Im vorliegenden Fall ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar durch Erwerbstätigkeit seinen Unterhalt sichert, aber eine besondere berufliche Integration liegt dem nicht zugrunde. Er ist als Reinigungskraft für häufig wechselnde (Leih-)Arbeitgeber tätig. Er ist erst im Alter von 31 Jahren nach Deutschland gekommen, verfügt über keine starken familiären Bindungen in Deutschland und es ist auch eine Verwurzelung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht zu erkennen. Sein politisches Denken ist maßgeblich auf die Türkei ausgerichtet und sein soziales Umfeld bilden gleichgesinnte Landsleute. Die Festsetzung einer Sperrfrist von zehn Jahren ist damit auch unter Zugrundelegung der vom Bundesverwaltungsgericht (vgl. oben) entwickelten Kriterien verhältnismäßig.
150 
Der Senat verkennt nicht, dass sich aus dem oben Dargelegten auch ergibt, dass die Wirkungen der Ausweisung (weitgehendes Titelerteilungsverbot, Verfestigungssperre, Ausreisepflicht), die nicht erst mit der Ausreise des Klägers eintreten, sondern bereits mit Wirksamkeit oder Vollziehbarkeit der Verfügung, trotz der Befristung auf 10 Jahre letztlich unbefristet fortwirken. Dies beruht aber unabhängig davon, welche Frist festgesetzt wird, auf der Art der Bedingtheit des Fristbeginns (vgl. oben) in Fällen, wie dem vorliegenden, und führt nicht dazu, dass diese oder alle Wirkungen der Ausweisung unabhängig von einer Ausreise oder gar auf Null zu befristen sind. Denn nach dem eindeutigen und damit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG beginnt die nach Satz 3 bis 5 festzusetzende Frist mit Ausreise.
151 
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht hiervon abweichend einen Anspruch auf eine Befristung auf Null in Ausnahmefällen angenommen (vgl. zuletzt BVerwG, Urteile vom 06.03.2014 - 1 C 2.13 - und - 1 C 5.13 - juris, m.w.N.). Es handelte sich dabei aber um Fallgestaltungen, in denen aufgrund von Änderungen der Sachlage grundsätzlich ein Widerruf der bestandskräftigen Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit mit sofortiger Wirkung in Betracht gekommen wäre (vgl. § 51 Abs. 5 und § 49 Abs. 1 LVwVfG). Da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 49 LVwVfG auch schon vor Ausreise grundsätzlich oder jedenfalls dann ausscheidet, wenn es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 04.09.2007 - 1 C 21.07 - und vom 22.10.2009 - 1 C 15.08 - juris zu nach § 11 AufenthG), muss in solchen Fällen nun statt eines Widerrufs eine gesetzlich nicht vorgesehene Befristung auf Null erfolgen. Aus dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich nach Ansicht des Senats aber nichts dafür herleiten, dass ein (Hilfs-)Anspruch auf Befristung ohne Ausreise oder sogar auf Null bereits bei der erstmaligen Befristung gleichzeitig mit Erlass einer rechtmäßigen Verfügung bestehen könnte. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich nichts anderes, da der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von dem Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung der Frist maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten und insoweit auch einen nachträglich entstandenen Anspruch auf Befristung auf Null geltend machen kann.
152 
Im Übrigen gibt es derzeit auch keine Gründe dafür, dem Kläger die Verfestigung seines Aufenthalts bereits ab einem früheren Zeitpunkt wieder zu ermöglichen. Zudem sind die Auflagen und Beschränkungen, wie dargelegt, unabhängig hiervon unter Kontrolle zu halten und ggf. zu beschränken.
II.
153 
Allerdings gibt es für die von der Behörde unter Ziffer 2 der Befristungsentscheidung angeordnete Hemmung dieser Frist im Falle einer erneuten unerlaubten Einreise vor Fristablauf derzeit keine Rechtsgrundlage.
154 
Auch wenn in der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums des Innern zum Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Stand: 07.04.2014, Zu Nummer 8) zum dort vorgesehenen Absatz 8 der Neuregelung des § 11 AufenthG, der eine Unterbrechung des Fristablaufs durch eine unerlaubte Einreise vorsieht, ausgeführt wird, die Regelung stelle klar, dass der Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach einer unerlaubten Wiedereinreise nicht im Bundesgebiet abgewartet werden könne, entspricht dies nicht der jetzigen Rechtslage, da § 11 AufenthG in der derzeitigen Fassung keinen Hinweis auf einen solche Unterbrechung der Frist enthält, so dass die Frist nach der ersten maßgeblichen Ausreise oder Abschiebung allein durch den anschließenden Zeitablauf endet (vgl. Urteil des Senats vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 - juris Rn. 73 m.w.N), ohne dass es auf danach eintretende Ereignisse ankommt.
155 
Es besteht derzeit aber auch keine Rechtsgrundlage für die behördliche Bestimmung einer Fristhemmung oder -unterbrechung für die von ihr festzusetzende Frist. Dass es sich bei den Ausführungen unter Ziffer 2 der Befristungsregelung nicht um einen unverbindlichen - die Rechtslage verkennenden - Hinweis handelt, folgt zum einen daraus, dass diese Bestimmung eigenständiger Teil des Tenors der Verfügung ist und nicht ein lediglich ergänzender Text in Ziffer 1 der Verfügung. Zum anderen ist die Hemmung des Fristablaufs in der Verfügung auch selbständig begründet:
156 
„Der präventive Ausweisungszweck wird bis zu dem oben bestimmten Fristablauf nicht erreicht, wenn eine unerlaubte Einreise vor Fristablauf erfolgt. Einmal ist die unerlaubte Einreise und der unerlaubte Aufenthalt entgegen dem Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Straftat gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Zum anderen geht die Wirkung der Ausweisung, die u. a. gerade durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot gekennzeichnet ist, ins Leere, wenn sich Herr T... trotz des Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet aufhält. Dies rechtfertigt die Hemmung des Fristlaufes in der Zeit eines unerlaubten Aufenthaltes. Die Frist läuft damit erst dann weiter, wenn Herr T... das Land wieder verlassen hat. Insoweit soll die Regelung dazu beitragen, dass der präventive Ausweisungszweck nicht gefährdet wird. Zudem soll eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt vermieden werden. Auch an diesem Regelungszweck besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, wie die Strafvorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG unterstreicht.“
157 
Diese Begründung für die Anordnung der Fristhemmung im konkreten Fall lässt klar erkennen, dass es sich bei der Ziffer 2 der Verfügung auch nach der Vorstellung der Behörde um eine verbindliche, von ihr getroffene Regelung und nicht um eine sich - ihrer Meinung nach - bereits aus dem Gesetz ergebende regelmäßige Folge handelt.
158 
Die Bestimmung der Hemmung des Fristablaufs steht zwar - anders als die Bestimmung des Neubeginns (früher: Unterbrechung) - nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, dass die Frist mit der Ausreise beginnt. Denn sie berührt den Fristbeginn nicht, sondern modifiziert ausschließlich den im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Ablauf der von der Behörde zu setzenden Frist. Dennoch ist die Regelung zur Hemmung aber derzeit nicht im Rahmen und als Teil der Bestimmung der Fristdauer möglich, sondern bedarf einer gesetzlichen Grundlage, an der es im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlt. Auch dies entnimmt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Befristung nach § 11 AufenthG, der er - wie dargelegt - aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung folgt. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nur betont, dass es sich bei der Befristung um eine gerichtlich vollständig überprüfbare Prognoseentscheidung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sondern es hat selbst in Fallkonstellationen, in denen besonders gefahrbringende Gewohnheiten oder persönliche Eigenschaften vorlagen, dem jeweiligen Kläger einen Anspruch auf unbedingte Befristung jeweils unter zehn Jahren zugesprochen, ohne bei der Festsetzung dieser Fristdauer eine solch naheliegende Bestimmung zum Fristablauf wie die Hemmung im Falle der unerlaubten Einreise bis zur erneuten Ausreise überhaupt in Betracht zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, vom 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - juris).
159 
Daraus, dass diese Bestimmung zur Hemmung des Fristablaufs damit nicht hätte ergehen dürfen, folgt nicht, dass die Befristungsverfügung insgesamt aufzuheben, und das beklagte Land zur erneuten Befristung auf zehn Jahre ohne die vorgesehene Hemmung zu verpflichten wäre, da das gleiche Ergebnis hier schon mit der Aufhebung der Verfügung zu Ziffer 2 in einfacherer Weise erreicht wird.
D.
160 
Der Senat misst diesem geringfügigen Obsiegen des Klägers keine Bedeutung für die Kostenfolge zu. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
E.
161 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
162 
Beschluss vom 14. Mai 2014
163 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt (§§ 39 Abs. 1, 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
164 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 137/12
vom
8. Januar 2014
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Richtlinie 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2

a) Bei Bestehen eines unbefristeten Einreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
aF muss nach § 11 Abs. 1 AufenthG nF nachträglich von Amts wegen einzelfallbezogen
über eine Befristung befunden werden, sofern an ein Einreiseverbot
anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen; ohne eine solche nachträgliche
Entscheidung darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (Umsetzung
von EuGH, Urteil vom 19. September 2013
- C-297/12 zu Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG).

b) Jedenfalls in Übergangsfällen darf Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet
werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung
über die erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die
Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum
verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie
2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen.
BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12 - LG Hannover
AG Hannover
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Czub und Dr. Roth, die
Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 2. Juli 2012 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 22. März 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Landeshauptstadt Hannover auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene, ein albanischer Staatsangehöriger, war am 8. April 2009 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Albanien abgeschoben worden. Nachdem er im Juli 2011 erfolglos versucht hatte, nach Italien einzureisen, und danach zu einem unbekannten Zeitpunkt erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, wurde er am 3. März 2012 von der Polizei in Gewahrsam genommen. Er war im Besitz eines gültigen albanischen Reisepasses. Mit Bescheid vom 9. März 2012 wurde der Betroffene - gestützt auf die Annahme einer unerlaubten Einreise - unter Androhung einer zwangsweisen Abschiebung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen am 22. März 2012 Sicherungshaft zum Zwecke der Abschiebung angeordnet. Gegen die Haftanordnung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Nach der am 27. März 2012 vollzogenen Abschiebung nach Albanien hat er seinen Antrag dahin umgestellt, es möge die Verletzung seiner Rechte durch die erstinstanzliche Haftanordnung festgestellt werden. Das Landgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung beantragt, durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

3
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu Recht angeordnet worden. Insbesondere sei der Betroffene aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Dem stehe nicht entgegen , dass der Betroffene mit einem gültigen biometrischen Reisepass eingereist sei. Aufgrund der früheren Abschiebung habe nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes ein Einreiseverbot bestanden, das nach Satz 3 der Bestimmung nur auf Antrag hätte befristet werden können. Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Richtlinie 2008/115/EG), weil die erste Abschiebung am 8. April 2009 und damit vor der erst am 24. Dezember 2010 abgelaufenen Umsetzungsfrist des Art. 20 Abs. 1 der Richt- linie 2008/115/EG durchgeführt worden sei. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG lägen vor.

III.

4
Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 184/10, juris Rn. 6) ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Hat - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG entschieden, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren zwar allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist jedoch inzident auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4; Beschluss vom 28. April 2011, aaO, Rn. 7 mwN). Den gestellten Antrag legt der Senat im Lichte der Rechtsbeschwerdebegründung entsprechend aus.

IV.

5
Das Rechtsmittel ist begründet. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung hätte nicht angeordnet werden dürfen. Jedenfalls aufgrund der übergangsrechtlichen Besonderheiten des Falles war der Betroffene nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies folgt aus den europarechtlichen Vorgaben von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG, wie sie von dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) - allerdings erst nach Erlass der Beschwerdeentscheidung - durch Auslegung konkretisiert worden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12, Rn. 35 ff.).
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1. Noch zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass den Betroffenen infolge der ersten - am 8. April 2009 durchgeführten - Abschiebung kraft Gesetzes zunächst ein - nicht an eine Einzelfallprüfung anknüpfendes - unbefristetes Einreiseverbot traf (§ 11 Abs. 1 AufenthG aF). Der Gesetzgeber durfte die nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 bestehende Umsetzungsfrist ausschöpfen.
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2. Verkannt hat es jedoch die Tragweite, die der Richtlinie 2008/115/EG bei der Anwendung des nationalen Rechts bei Entscheidungen zukommt, die zwar an ein vor Ablauf der Umsetzungsfrist kraft Gesetzes entstandenes unbefristetes Einreiseverbot anknüpfen, jedoch erst - wie hier die Haftanordnung - nach Ablauf der Frist getroffen werden.
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a) Die Richtlinie 2008/115/EG enthält keine Übergangsbestimmung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt daraus, dass die Richtlinie unmittelbar auch auf „die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts“ anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Rechtslage entstanden ist (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, Filev u.a., C-297/12, Rn. 40; vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. März 2012, O'Brien, C-393/10 = EuZW 2012, 267, 269 Rn. 25). Mit Blick auf die Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG führt dies dazu, dass bei einem Betroffenen, der nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes einem unbefristeten Einreiseverbot unterlag, nachträglich über eine Befristung befunden werden muss, sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen. Ohne eine solche nachträgliche einzelfallbezogene Entscheidung, auf die der Betroffene abgesehen von den Ausnahmetatbeständen des § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG nF ein subjektives Recht hat (BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11), darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 40 f.). Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die die Befristung von einem entsprechenden Antrag des Betroffenen abhängig macht, und dass dies selbst dann gilt, wenn der Betroffene auf die Möglichkeit der Antragstellung hingewiesen wird (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 27 ff.). Über die Frage der (nachträglichen) Befristung ist daher antragsunabhängig zu befinden (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte nicht nur gebunden; sie haben ihm auch bei der Anwendung des nationalen Rechts im Wege der Auslegung und Rechtsfortbildung soweit wie möglich Rechnung zu tragen (ausführlich dazu BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ, 179, 27, 33 ff. mwN auch zur Rspr. des EuGH).
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b) Vor diesem Hintergrund scheitert eine antragsunabhängige nachträgliche Befristung des ursprünglich kraft Gesetzes entstandenen Einreiseverbots nicht daran , dass der Betroffene keinen Antrag auf eine nachträgliche Befristung gestellt hat. Die innerstaatliche Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG nF lässt eine richtlinienkonforme Rechtsanwendung zu.
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aa) Der Wortlaut der Bestimmung stellt kein Hindernis für die gebotene europarechtskonforme Rechtsanwendung dar. Nach der Formulierung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist das Einreiseverbot „auf Antrag“ zu befristen. Dass dies „nur“ auf Antrag geschehen darf, ist der sprachlichen Fassung der Norm nicht zuentnehmen (vgl. auch § 22 Nr. 2 VwVfG) und entspricht auch nicht der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33: Befristung in Ausnahmefällen von Amts wegen). Davon abgesehen markiert der Gesetzeswortlaut zwar eine Grenze für die Auslegung. Das steht jedoch einer davon abweichenden Inhaltsbestimmung nicht entgegen, sofern die Voraussetzungen für eine (Rechts-) Analogie bzw. für eine teleologischen Reduktion vorliegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 34 f.). Nichts anderes gilt, wenn verfassungs - oder europarechtliche Vorgaben eine bestimmte Deutung gebieten. Die Grenze zulässiger Auslegung / Rechtsfortbildung ist erst dann überschritten, wenn der Norm - entgegen einer eindeutigen und widerspruchsfreien Entscheidung des Gesetzgebers - ein bestimmter Sinngehalt beigelegt wird (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008, aaO, S. 34 f.). Der Richter darf eine Vorschrift nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfGE 82, 6, 12). So verhält es sich hier jedoch nicht.
11
bb) Das mit der Neufassung verfolgte gesetzgeberische Anliegen bestand vor allem darin, die Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG richtlinienkonform anzupassen. Hierzu sollte u.a. an dem bisherigen Modell der antragsgebundenen Befristung festgehalten werden (BT-Drucks. 17/5470, S. 21), das - entgegen im Gesetzgebungsverfahren vereinzelt geäußerter Kritik (vgl. BT-Drucks. 17/6497, S. 12) - für richtlinienkonform erachtet wurde (vgl. auch BT-Ausschussdrucks. 17 [4] 282 I, wonach das Antragserfordernis nach der Rechtsprechung des EuGH zur nationalen Verfahrensautonomie deshalb nicht den nationalen Umsetzungsspielraum überschreite, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass dadurch die Wirksamkeit der Befristungsregelung untergraben werde). Auf der Grundlage der nunmehr mit Bindungswirkung ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zu Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG beruht diese Rechtsauffassung auf einer Fehleinschätzung der europarechtlichen Vorgaben. Somit steht die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich einer antragsgebundenen Befristung nicht lediglich in Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen, sondern zur konkret geäußerten - von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen - Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber auch dann am Antragserfordernis festgehalten hätte, wenn bereits damals klar gewesen wäre, dass dies nicht in Einklang mit der Richtlinie steht. Bei einer solchen Sachlage begegnet die richtlinienkonforme Umsetzung in nationales Recht keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 36 f.; Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, 162 f.; Roth in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., § 14 Rn. 53b).
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cc) Soweit das Bundesverwaltungsgericht auch mit Blick auf die Neufassung des § 11 Abs. 1 AufenthG bislang grundsätzlich am Antragserfordernis festgehalten und lediglich die Anforderungen hieran abgemildert hat (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14/12, InfAuslR 2013, 141-143 Rn. 11; vgl. aber BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33), nötigt dies schon deshalb nicht zu einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG, weil sich die maßgebende Rechtslage mit der nunmehr ergangenen - sämtliche Gerichte der Bundesrepublik Deutschland bindenden - Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 (C-297/12) wesentlich geändert hat. Das schließt eine Verpflichtung zur Vorlage jedenfalls aus (vgl. nur Senat, Urteil vom 30. September 2005 - V ZR 275/04, BGHZ 164, 190, 196 mwN).
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3. Auf dieser Grundlage darf jedenfalls in Übergangsfällen der vorliegenden Art die Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung über die ursprünglich nicht erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen (zu Letzterem VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). Dabei ist es aus haftrechtlicher Sicht unerheblich, ob die erforderliche nachträgliche Befristung im Rahmen der für die Haftanordnung notwendigen Rückkehrentscheidung (dazu etwa Senat Beschluss vom 14. März 2013 - V ZB 135/12, NVwZ 2013, 1027, 1028 Rn. 7) oder durch einen eigenständigen Verwaltungsakt getroffen worden ist (zur gesetzlichen Systematik vgl. BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11 mwN). Für die haftrechtliche Prüfung kommt es nur darauf an, ob hierüber befunden worden ist oder nicht.
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Dem steht nicht entgegen, dass der Haftrichter grundsätzlich nicht zuprüfen hat, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 728 Rn. 23 mwN); die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hier tritt jedoch die Besonderheit hinzu, dass erst seit der Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 und damit erst nach Erlass des Ausreisebescheids Klarheit darüber hergestellt wurde, dass das ursprünglich kraft Gesetzes bestehende Einreiseverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG aF nunmehr stets und unabhängig von einer Antragstellung auch einer nachträglichen einzelfallbezogenen Konkretisierung bedarf. Bei dieser Sachlage darf die grundsätzlich bestehende Funktionsteilung zwischen den Verwaltungs- und den Zivilgerichten nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (zu diesem Gesichtspunkt vgl. auch Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 12/10, juris Rn. 8). Jedenfalls im Zusammenhang mit Rückkehrentscheidungen, die auf eine unerlaubte Einreise gestützt werden, wäre es unverhältnismäßig, wenn auch in solchen Übergangsfällen das Fehlen einer Entscheidung über eine nachträgliche Befristung hingenommen würde. Eine gegenteilige Sichtweise würde auch der Bedeutung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 GG; vgl. BVerfGE 105, 239, 248; BVerfGK 7, 87, 98; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010, aaO), den Anforderungen , die von Verfassungs wegen an ein faires Verfahren zu stellen sind (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG), und dem Erfordernis einer effektiven Umsetzung europarechtlicher Vorgaben (vgl. dazu auch Schmidt-Räntsch in Riesenhuber, aaO, § 23 Rn.75) nicht gerecht.
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4. Da die nach allem notwendige Entscheidung über eine nachträgliche Befristung nicht getroffen worden ist - insbesondere enthält der auf eine unerlaubte Einrei- se abhebende Bescheid vom 9. März 2012 keine solche Entscheidung - war die Haftanordnung rechtswidrig.

V.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann Czub Roth Brückner Kazele
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 22.03.2012 - 43 XIV 55/12 (B) -
LG Hannover, Entscheidung vom 02.07.2012 - 8 T 22/12 -

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.