Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2014 - V ZB 137/12

bei uns veröffentlicht am08.01.2014
vorgehend
Amtsgericht Hannover, 43 XIV 55/12, 22.03.2012
Landgericht Hannover, 8 T 22/12, 02.07.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 137/12
vom
8. Januar 2014
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Richtlinie 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2

a) Bei Bestehen eines unbefristeten Einreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
aF muss nach § 11 Abs. 1 AufenthG nF nachträglich von Amts wegen einzelfallbezogen
über eine Befristung befunden werden, sofern an ein Einreiseverbot
anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen; ohne eine solche nachträgliche
Entscheidung darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (Umsetzung
von EuGH, Urteil vom 19. September 2013
- C-297/12 zu Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG).

b) Jedenfalls in Übergangsfällen darf Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet
werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung
über die erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die
Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum
verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie
2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen.
BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12 - LG Hannover
AG Hannover
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Czub und Dr. Roth, die
Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 2. Juli 2012 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 22. März 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Landeshauptstadt Hannover auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene, ein albanischer Staatsangehöriger, war am 8. April 2009 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Albanien abgeschoben worden. Nachdem er im Juli 2011 erfolglos versucht hatte, nach Italien einzureisen, und danach zu einem unbekannten Zeitpunkt erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, wurde er am 3. März 2012 von der Polizei in Gewahrsam genommen. Er war im Besitz eines gültigen albanischen Reisepasses. Mit Bescheid vom 9. März 2012 wurde der Betroffene - gestützt auf die Annahme einer unerlaubten Einreise - unter Androhung einer zwangsweisen Abschiebung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen am 22. März 2012 Sicherungshaft zum Zwecke der Abschiebung angeordnet. Gegen die Haftanordnung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Nach der am 27. März 2012 vollzogenen Abschiebung nach Albanien hat er seinen Antrag dahin umgestellt, es möge die Verletzung seiner Rechte durch die erstinstanzliche Haftanordnung festgestellt werden. Das Landgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung beantragt, durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

3
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu Recht angeordnet worden. Insbesondere sei der Betroffene aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Dem stehe nicht entgegen , dass der Betroffene mit einem gültigen biometrischen Reisepass eingereist sei. Aufgrund der früheren Abschiebung habe nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes ein Einreiseverbot bestanden, das nach Satz 3 der Bestimmung nur auf Antrag hätte befristet werden können. Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Richtlinie 2008/115/EG), weil die erste Abschiebung am 8. April 2009 und damit vor der erst am 24. Dezember 2010 abgelaufenen Umsetzungsfrist des Art. 20 Abs. 1 der Richt- linie 2008/115/EG durchgeführt worden sei. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG lägen vor.

III.

4
Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 184/10, juris Rn. 6) ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Hat - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG entschieden, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren zwar allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist jedoch inzident auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4; Beschluss vom 28. April 2011, aaO, Rn. 7 mwN). Den gestellten Antrag legt der Senat im Lichte der Rechtsbeschwerdebegründung entsprechend aus.

IV.

5
Das Rechtsmittel ist begründet. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung hätte nicht angeordnet werden dürfen. Jedenfalls aufgrund der übergangsrechtlichen Besonderheiten des Falles war der Betroffene nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies folgt aus den europarechtlichen Vorgaben von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG, wie sie von dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) - allerdings erst nach Erlass der Beschwerdeentscheidung - durch Auslegung konkretisiert worden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12, Rn. 35 ff.).
6
1. Noch zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass den Betroffenen infolge der ersten - am 8. April 2009 durchgeführten - Abschiebung kraft Gesetzes zunächst ein - nicht an eine Einzelfallprüfung anknüpfendes - unbefristetes Einreiseverbot traf (§ 11 Abs. 1 AufenthG aF). Der Gesetzgeber durfte die nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 bestehende Umsetzungsfrist ausschöpfen.
7
2. Verkannt hat es jedoch die Tragweite, die der Richtlinie 2008/115/EG bei der Anwendung des nationalen Rechts bei Entscheidungen zukommt, die zwar an ein vor Ablauf der Umsetzungsfrist kraft Gesetzes entstandenes unbefristetes Einreiseverbot anknüpfen, jedoch erst - wie hier die Haftanordnung - nach Ablauf der Frist getroffen werden.
8
a) Die Richtlinie 2008/115/EG enthält keine Übergangsbestimmung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt daraus, dass die Richtlinie unmittelbar auch auf „die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts“ anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Rechtslage entstanden ist (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, Filev u.a., C-297/12, Rn. 40; vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. März 2012, O'Brien, C-393/10 = EuZW 2012, 267, 269 Rn. 25). Mit Blick auf die Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG führt dies dazu, dass bei einem Betroffenen, der nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes einem unbefristeten Einreiseverbot unterlag, nachträglich über eine Befristung befunden werden muss, sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen. Ohne eine solche nachträgliche einzelfallbezogene Entscheidung, auf die der Betroffene abgesehen von den Ausnahmetatbeständen des § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG nF ein subjektives Recht hat (BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11), darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 40 f.). Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die die Befristung von einem entsprechenden Antrag des Betroffenen abhängig macht, und dass dies selbst dann gilt, wenn der Betroffene auf die Möglichkeit der Antragstellung hingewiesen wird (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 27 ff.). Über die Frage der (nachträglichen) Befristung ist daher antragsunabhängig zu befinden (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte nicht nur gebunden; sie haben ihm auch bei der Anwendung des nationalen Rechts im Wege der Auslegung und Rechtsfortbildung soweit wie möglich Rechnung zu tragen (ausführlich dazu BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ, 179, 27, 33 ff. mwN auch zur Rspr. des EuGH).
9
b) Vor diesem Hintergrund scheitert eine antragsunabhängige nachträgliche Befristung des ursprünglich kraft Gesetzes entstandenen Einreiseverbots nicht daran , dass der Betroffene keinen Antrag auf eine nachträgliche Befristung gestellt hat. Die innerstaatliche Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG nF lässt eine richtlinienkonforme Rechtsanwendung zu.
10
aa) Der Wortlaut der Bestimmung stellt kein Hindernis für die gebotene europarechtskonforme Rechtsanwendung dar. Nach der Formulierung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist das Einreiseverbot „auf Antrag“ zu befristen. Dass dies „nur“ auf Antrag geschehen darf, ist der sprachlichen Fassung der Norm nicht zuentnehmen (vgl. auch § 22 Nr. 2 VwVfG) und entspricht auch nicht der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33: Befristung in Ausnahmefällen von Amts wegen). Davon abgesehen markiert der Gesetzeswortlaut zwar eine Grenze für die Auslegung. Das steht jedoch einer davon abweichenden Inhaltsbestimmung nicht entgegen, sofern die Voraussetzungen für eine (Rechts-) Analogie bzw. für eine teleologischen Reduktion vorliegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 34 f.). Nichts anderes gilt, wenn verfassungs - oder europarechtliche Vorgaben eine bestimmte Deutung gebieten. Die Grenze zulässiger Auslegung / Rechtsfortbildung ist erst dann überschritten, wenn der Norm - entgegen einer eindeutigen und widerspruchsfreien Entscheidung des Gesetzgebers - ein bestimmter Sinngehalt beigelegt wird (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008, aaO, S. 34 f.). Der Richter darf eine Vorschrift nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfGE 82, 6, 12). So verhält es sich hier jedoch nicht.
11
bb) Das mit der Neufassung verfolgte gesetzgeberische Anliegen bestand vor allem darin, die Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG richtlinienkonform anzupassen. Hierzu sollte u.a. an dem bisherigen Modell der antragsgebundenen Befristung festgehalten werden (BT-Drucks. 17/5470, S. 21), das - entgegen im Gesetzgebungsverfahren vereinzelt geäußerter Kritik (vgl. BT-Drucks. 17/6497, S. 12) - für richtlinienkonform erachtet wurde (vgl. auch BT-Ausschussdrucks. 17 [4] 282 I, wonach das Antragserfordernis nach der Rechtsprechung des EuGH zur nationalen Verfahrensautonomie deshalb nicht den nationalen Umsetzungsspielraum überschreite, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass dadurch die Wirksamkeit der Befristungsregelung untergraben werde). Auf der Grundlage der nunmehr mit Bindungswirkung ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zu Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG beruht diese Rechtsauffassung auf einer Fehleinschätzung der europarechtlichen Vorgaben. Somit steht die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich einer antragsgebundenen Befristung nicht lediglich in Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen, sondern zur konkret geäußerten - von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen - Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber auch dann am Antragserfordernis festgehalten hätte, wenn bereits damals klar gewesen wäre, dass dies nicht in Einklang mit der Richtlinie steht. Bei einer solchen Sachlage begegnet die richtlinienkonforme Umsetzung in nationales Recht keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 36 f.; Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, 162 f.; Roth in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., § 14 Rn. 53b).
12
cc) Soweit das Bundesverwaltungsgericht auch mit Blick auf die Neufassung des § 11 Abs. 1 AufenthG bislang grundsätzlich am Antragserfordernis festgehalten und lediglich die Anforderungen hieran abgemildert hat (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14/12, InfAuslR 2013, 141-143 Rn. 11; vgl. aber BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33), nötigt dies schon deshalb nicht zu einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG, weil sich die maßgebende Rechtslage mit der nunmehr ergangenen - sämtliche Gerichte der Bundesrepublik Deutschland bindenden - Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 (C-297/12) wesentlich geändert hat. Das schließt eine Verpflichtung zur Vorlage jedenfalls aus (vgl. nur Senat, Urteil vom 30. September 2005 - V ZR 275/04, BGHZ 164, 190, 196 mwN).
13
3. Auf dieser Grundlage darf jedenfalls in Übergangsfällen der vorliegenden Art die Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung über die ursprünglich nicht erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen (zu Letzterem VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). Dabei ist es aus haftrechtlicher Sicht unerheblich, ob die erforderliche nachträgliche Befristung im Rahmen der für die Haftanordnung notwendigen Rückkehrentscheidung (dazu etwa Senat Beschluss vom 14. März 2013 - V ZB 135/12, NVwZ 2013, 1027, 1028 Rn. 7) oder durch einen eigenständigen Verwaltungsakt getroffen worden ist (zur gesetzlichen Systematik vgl. BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11 mwN). Für die haftrechtliche Prüfung kommt es nur darauf an, ob hierüber befunden worden ist oder nicht.
14
Dem steht nicht entgegen, dass der Haftrichter grundsätzlich nicht zuprüfen hat, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 728 Rn. 23 mwN); die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hier tritt jedoch die Besonderheit hinzu, dass erst seit der Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 und damit erst nach Erlass des Ausreisebescheids Klarheit darüber hergestellt wurde, dass das ursprünglich kraft Gesetzes bestehende Einreiseverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG aF nunmehr stets und unabhängig von einer Antragstellung auch einer nachträglichen einzelfallbezogenen Konkretisierung bedarf. Bei dieser Sachlage darf die grundsätzlich bestehende Funktionsteilung zwischen den Verwaltungs- und den Zivilgerichten nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (zu diesem Gesichtspunkt vgl. auch Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 12/10, juris Rn. 8). Jedenfalls im Zusammenhang mit Rückkehrentscheidungen, die auf eine unerlaubte Einreise gestützt werden, wäre es unverhältnismäßig, wenn auch in solchen Übergangsfällen das Fehlen einer Entscheidung über eine nachträgliche Befristung hingenommen würde. Eine gegenteilige Sichtweise würde auch der Bedeutung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 GG; vgl. BVerfGE 105, 239, 248; BVerfGK 7, 87, 98; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010, aaO), den Anforderungen , die von Verfassungs wegen an ein faires Verfahren zu stellen sind (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG), und dem Erfordernis einer effektiven Umsetzung europarechtlicher Vorgaben (vgl. dazu auch Schmidt-Räntsch in Riesenhuber, aaO, § 23 Rn.75) nicht gerecht.
15
4. Da die nach allem notwendige Entscheidung über eine nachträgliche Befristung nicht getroffen worden ist - insbesondere enthält der auf eine unerlaubte Einrei- se abhebende Bescheid vom 9. März 2012 keine solche Entscheidung - war die Haftanordnung rechtswidrig.

V.

16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann Czub Roth Brückner Kazele
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 22.03.2012 - 43 XIV 55/12 (B) -
LG Hannover, Entscheidung vom 02.07.2012 - 8 T 22/12 -

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 158/11 Verkündet am: 28. Oktober 2015 Ermel, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BG

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Okt. 2015 - VIII ZR 13/12

bei uns veröffentlicht am 28.10.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 13/12 Verkündet am: 28. Oktober 2015 Ring, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Sept. 2015 - V ZB 194/14

bei uns veröffentlicht am 16.09.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB194/14 vom 16. September 2015 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: nein AufenthG § 11 Abs. 1 Satz 3 a) Das Fehlen der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Auf

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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 218/09
vom
29. April 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
In Abschiebungshaftsachen muss aus den Verfahrensakten zu ersehen sein, dass
der Haftanordnung ein vollständiger Antrag der zuständigen Behörde zugrunde liegt.
BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09 - LG Berlin
AG Tiergarten
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2010 durch die Richter
Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann
und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 16. November 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Oktober 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Im Übrigen findet keine Auslagenerstattung statt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland ohne Pass und Visum mit Hilfe einer Schleuserorganisation in das Bundesgebiet ein. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 wies er sich mit einem gefälschten französischen Identitätspapier aus und wurde festgenommen. Der Betroffene äußerte in seiner polizeilichen Vernehmung, dass er einen Asylantrag stellen wolle. Die Beteiligte zu 2 verfügte die Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland.
2
Bei dem Amtsgericht gingen nach dem Inhalt der Verfahrensakten per Telefax die ersten beiden Seiten des Formularantrags der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung ein; die dritte Seite mit der Darstellung des Sachverhalts, der Antragsbegründung und der Unterschrift fehlte. Das Amtsgericht ordnete am 19. Oktober 2009 nach Anhörung des Betroffenen die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 18. Dezember 2009 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei dem ein am 19. Oktober 2009 gestellter Asylantrag registriert ist, richtete ein Übernahmeersuchen an die griechischen Behörden.
3
Die gegen die Haftanordnung gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der Betroffene die fehlende Vorlage der "Ausländerakten" gerügt, auf seinen zwischenzeitlich gestellten Asylantrag hingewiesen, eine inhaltlich unzureichende Anhörung durch den Haftrichter und ferner geltend gemacht hat, dass die Zurückschiebung nach Griechenland vor dem Hintergrund der verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht innerhalb des angeordneten Haftzeitraums durchgeführt werden könne, hat das Beschwerdegericht ohne erneute Anhörung des Betroffenen nach Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit Beschluss vom 16. November 2009 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung erreichen will, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, der Asylantrag stehe nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG der Anordnung der Sicherungshaft nicht entgegen. Der im Rahmen der Vernehmung formlos gestellte Antrag des aus einem sicheren Drittstaat eingereisten Betroffenen habe noch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG zur Folge. Der förmliche Asylantrag sei erst aus der Haft heraus gestellt worden.
5
Angesichts des kurzen Zeitraums zwischen Festnahme und Anhörung des Betroffenen habe das Amtsgericht nicht auf den Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 zurückgreifen müssen. Ausländerakten seien im Übrigen noch nicht angelegt gewesen. Zudem sei ein etwaiger Verfahrensfehler durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs im Beschwerdeverfahren geheilt worden.
6
Zwar lägen wegen des Asylantrags die Voraussetzungen des in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannten Haftgrundes nicht mehr vor. Die Sicherungshaft könne jedoch auf den begründeten Verdacht gestützt werden, der Betroffene werde sich der Abschiebung entziehen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Die Haftfristen seien gewahrt, die Inhaftierung sei nicht unverhältnismäßig. Da die Personalien des Betroffenen feststünden, sei nicht ersichtlich, dass die Abschiebung nicht innerhalb der Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG durchgeführt werden könne. Der Haftrichter sei an die Entscheidung der Beteiligten zu 2, den Betroffenen nach Griechenland zurückzuschieben, gebunden.
7
Schließlich sei der Betroffene nicht nach Ablauf von vier Wochen seit Stellung des Asylantrags aus der Haft zu entlassen. Denn diese Frist gelte nach § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 AsylVfG nicht, weil das BAMF ein Übernahmeersuchen an einen zur Übernahme verpflichteten Staat gestellt habe.
8
Von der mündlichen Anhörung habe abgesehen werden können, weil hiervon neue Erkenntnisse nicht zu erwarten gewesen seien und die wesentlichen Feststellungen anhand des Verwaltungsvorgangs hätten getroffen werden können.

III.

9
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). An der Statthaftigkeit des Rechtsmittels ändert die zwischenzeitliche Erledigung der Hauptsache nichts. Die Regelung in § 62 FamFG, nach der das Beschwerdegericht auf Antrag ausspricht, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn er an der Feststellung - wie hier - ein berechtigtes Interesse hat, gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 9). Denn unter dem Blickwinkel effektiven Rechtsschutzes ist es unerheblich, in welchem Stadium des Verfahrens sich die angegriffene Entscheidung in der Hauptsache erledigt (vgl. BVerfGK 6, 303, 311).
10
Mit dem auf Feststellung gerichteten Antrag greift der Betroffene einen Beschluss an, der eine freiheitsentziehende Maßnahme anordnet; damit bleibt die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG zulassungsfrei (Senat, aaO, Rdn. 10).
11
2. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist begründet. Sowohl die Entscheidung des Amtsgerichts, die ebenfalls Gegenstand rechtlicher Nachprüfung durch den Senat ist (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 14), als auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist fehlerhaft und hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
12
a) Im Zeitpunkt der Haftanordnung lag nach dem Inhalt der Verfahrensakten ein rechtswirksamer Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG) nicht vor. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist jedoch Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat , Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, juris, Rdn. 7).
13
aa) Ob es im Hinblick auf die Sollvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 4 FamFG zwingend eines unterschriebenen Antrags auf Freiheitsentziehung bedarf , kann allerdings ebenso offen bleiben wie die Frage, ob der von dem Vertreter der Beteiligten zu 2 bei der Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht mündlich gestellte Haftantrag rechtswirksam war (vgl. hierzu BKBahrenfuss /Rüntz, FamFG, § 25 Rdn. 9; Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 25 Rdn. 19; Prütting/Helms/Ahn-Roth, FamFG [2009], § 23 Rdn. 10, § 25 Rdn. 13; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann, aaO, § 25 Rdn. 30 f.). Denn der Antrag war jedenfalls mangels vollständiger Begründung unzulässig.
14
bb) Die Begründung des Haftantrags ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwingend; ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Bassenge/Roth/Gottwald, FamFG, 12. Aufl., § 417 Rdn. 5; BK-Bahrenfuss/Grotkopp, aaO, § 417 Rdn. 4, 6; Keidel/Budde, aaO, § 417 Rdn. 3; Prütting/Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 6). Für Abschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht , zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG). Durch diese Angaben soll dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung und ggf. für weitere Ermittlungen zugänglich gemacht werden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23. Juni 2008, BT-Drs. 16/9733 S. 299).
15
cc) Danach war der dem Amtsgericht nach dem Inhalt der Verfahrensakten vorliegende schriftliche Antrag der Beteiligten zu 2 unzureichend begründet.
16
(1) Aus dem per Telefax übersandten Antragsfragment und den zusätzlich überreichten Unterlagen ergaben sich die Identität des Betroffenen, die unerlaubte Einreise über den Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 und das Fehlen eines festen Wohnsitzes im Bundesgebiet. Hieraus konnte der Haftrichter zu den Voraussetzungen der Haft, zu ihrer Verhältnismäßigkeit sowie zu der Erforderlichkeit der Haftdauer keine Anhaltspunkte für eine Überprüfung und weitere Aufklärung des Sachverhalts entnehmen. Über die fehlende Antragsbegründung können die Angaben des Betroffenen in seiner Anhörung nicht hinweghelfen.
17
(2) Daran ändert das Vorbringen der Beteiligten zu 2 nichts, dass anhand des in ihrem Verwaltungsvorgang enthaltenen Telefax-Sendeberichts und auf Grund der Angaben des Betroffenen von einem vollständigen Zugang des Haftantrags auszugehen sei. Sinn und Zweck der Antragsbegründung (s. dazu die Ausführungen unter 2. a) bb) a.E.) erfordern es, dass ihr Vorliegen bei der Anhörung des Betroffenen aus den Verfahrensakten ersichtlich ist. Diese müssen entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung ergeben. Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich. Das wirkt zu Lasten der antragstellenden Behörde.
18
(3) Da hier aus den Verfahrensakten, die der Senat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen hat (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092; Jansen /Briesemeister, FGG, 3. Aufl., § 27 Rdn. 90; Keidel/Meyer-Holz, aaO, § 74 Rdn. 27), nicht ersichtlich ist, dass ein vollständiger Haftantrag vorlag oder gestellt wurde, ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass er fehlte.
19
dd) Durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit dem vollständigen Haftantrag in der Beschwerdeinstanz konnte der Verstoß gegen § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG nicht geheilt werden (vgl. hierzu KG InfAuslR 2009, 356, 357; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 23). Denn bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine Verfahrensgarantie , deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 24; Prütting/ Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 10).
20
ee) Wegen des Verstoßes gegen diese Verfahrensgarantie hat die Entscheidung des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
21
b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer auf Rechtsfehler beschränkten Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt ebenfalls nicht stand.
22
aa) Da ihm der Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 vorlag, fehlte es allerdings nicht mehr an dem Antrag der zuständigen Behörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG).
23
(1) Die Beteiligte zu 2 war für die Stellung des Haftantrags sachlich und örtlich zuständig. Sie ist die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde. Ihr sind nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG die an der Grenze - zu der auch die internationalen Flughäfen gehören - durchzuführenden Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung von Haft übertragen (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 13).
24
(2) Im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung lag der Haftantrag der Beteiligten zu 2 dem Beschwerdegericht im Original vor. Aus der Seite 3 des Antrags ergeben sich die für die Haftanordnung nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG erforderlichen Darlegungen. Darauf hat die Beteiligte zu 2 in ihrer Beschwerdeerwiderung Bezug genommen.
25
bb) Mit Erfolg macht der Betroffene jedoch geltend, das Beschwerdegericht habe ihn nach Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG anhören müssen. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Anhörung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG) lagen nicht vor. Der Betroffene hatte nämlich zuvor keine Gelegenheit, zu einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Haft und damit zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn verhängten Freiheitsentziehung zu äußern und persönlich zu den Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, auf die es für die Entscheidung über die Freiheitsentzie- hung ankommt, insbesondere zu den von § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG geforderten Grundlagen. Nach dem Protokoll der Anhörung am 19. Oktober 2010 ist nämlich davon auszugehen, dass dem Betroffenen bei dem Amtsgericht lediglich der fragmentarisch vorhandene Haftantrag übersetzt worden ist.
26
cc) Wegen dieses Verstoßes gegen das Gebot rechtlichen Gehörs hat auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 12 m.w.N.).

IV.

27
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffen zu verpflichten.

28
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. Klein Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Tiergarten, Entscheidung vom 19.10.2009 - 381 XIV 198/09 B -
LG Berlin, Entscheidung vom 16.11.2009 - 84 T 441/09 B -
6
1. Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 und vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, Rn. 10, juris) Rechtsbeschwerde ist gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegt.

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge);
2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

4
1. Mit der nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthaften und auch im Übrigen grundsätzlich zulässigen (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde kann der Betroffene allein die rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung erreichen. Soweit er mit seinem Antrag gesondert auch die Überprüfung der Haftanordnung durch das Amtsgericht erstrebt, ist das Rechtsmittel unzulässig. Zwar hat der Senat entschieden, dass bei Erledigung der Hauptsache nach Erlass der Beschwerdeentscheidung neben dieser Entscheidung auch die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung Gegenstand des dann auf § 62 FamFG gestützten Rechtsbeschwerdeverfahrens sein kann (Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 154; Beschl. v. 17. Juni 2010, V ZB 13/10, Rn. 22). Das gilt aber nicht, wenn - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG entschieden hat. Im Rechtsbeschwerdeverfahren geht es dann allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist inzident allerdings auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 200/05 Verkündet am:
26. November 2008
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
EG Art. 10, 249 Abs. 3; Richtlinie 1999/44/EG Art. 3; BGB §§ 346 bis 348, § 439 Abs. 4,
§ 474 Abs. 1 Satz 1

a) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte
Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten über eine
Gesetzesauslegung im engeren Sinne hinaus auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich
ist, richtlinienkonform fortzubilden.

b) Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte
Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus; eine
solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung
ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung
zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft
ist.

c) § 439 Abs. 4 BGB ist unter Beachtung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der
Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung
in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) einschränkend anzuwenden
: Die in § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346
bis 348 BGB) gelten in diesen Fällen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst, führen
hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Herausgabe der
gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache.
BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Wiechers
und Dr. Wolst, die Richterin Dr. Hessel sowie den Richter Dr. Achilles

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23. August 2005 wird zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Klageantrags zu I 2 in dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, 7. Zivilkammer, vom 22. April 2005 zurückgewiesen worden ist. Auf die Berufung des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Umfang der Aufhebung des Berufungsurteils und im Kostenpunkt dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen am Vorstand der Beklagten, zu unterlassen, Verbrauchern im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren, die als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände zur Verfügung gestellt werden, Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu stellen. Die Kosten der Revision einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden der Beklagten auferlegt. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger ein Viertel und die Beklagte drei Viertel zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger ist ein Verbraucherverband, der in die gemäß § 4 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) beim Bundesverwaltungsamt geführte Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen ist. Die Beklagte betreibt ein Versandhandelsunternehmen.
2
Im Sommer 2002 bestellte die Käuferin B. für ihren privaten Gebrauch bei der Beklagten ein sogenanntes "Herd-Set" zum Preis von 524,90 €. Die Ware wurde im August 2002 geliefert. Im Januar 2004 stellte die Käuferin fest, dass sich an der Innenseite des zu dem "Herd-Set" gehörenden Backofens die Emailleschicht abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen vereinbarungsgemäß noch im Januar 2004 aus. Das ursprünglich gelieferte Gerät gab die Käuferin an die Beklagte zurück. Für dessen Nutzung verlangte die Beklagte eine Vergütung , die die Käuferin an die Beklagte zahlte.
3
Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung durch die Käuferin verlangt der Kläger Rückzahlung der Vergütung in Höhe von 67,86 € nebst Zinsen. Daneben hat er, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Verbrauchern im Falle der Ersatzlieferung Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu stellen.
4
Das Landgericht (LG Nürnberg-Fürth, NJW 2005, 2558) hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG Nürnberg, NJW 2005, 3000) hat die Berufung der Beklagten und hinsichtlich des vorbezeichneten Unterlassungsantrags auch die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision für beide Parteien zugelassen.
Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Abweisung der Zahlungsklage. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Unterlassungsanspruch weiter.
5
Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 16. August 2006 (NJW 2006, 3200) ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG um eine Vorabentscheidung ersucht. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) entschieden.

Entscheidungsgründe:

6
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, die des Klägers ist begründet.

A.

7
Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
8
Die Zahlung einer Nutzungsentschädigung sei ohne Rechtsgrund erfolgt und könne daher nach § 812 Abs. 1 BGB zurückgefordert werden. Aus der Verweisung des § 439 Abs. 4 BGB auf § 346 Abs. 1 BGB könne die Beklagte keinen Anspruch auf Nutzungsentschädigung herleiten. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB enthalte keine Rechtsfolgenverweisung auf § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB (Herausgabe von tatsächlich gezogenen Nutzungen). Die Begründung des Gesetzgebers für eine Verpflichtung des Käufers, im Falle der Ersatzlieferung eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, überzeuge nicht. Es sei nicht gerechtfertigt, im Falle einer Ersatzlieferung alle aus dem Rücktritt resultierenden Rechtsfol- gen anzuwenden. Zwar habe der Käufer bei der Ersatzlieferung dadurch einen Vorteil, dass er anstelle der ursprünglichen Sache nun eine neue ungebrauchte Sache mit einer neuen Gewährleistungsfrist erhalte und grundsätzlich mit einer längeren Lebensdauer der Ware rechnen könne. Dem Verkäufer bleibe als Nachteil eine unverkäufliche, weil mangelbehaftete Sache; allerdings behalte er den vollen Kaufpreis und damit den eigentlichen Gewinn. Im Falle des Rücktritts stelle sich die Situation für den Verkäufer deutlich ungünstiger dar. Er müsse nicht nur die mangelhafte Ware behalten, sondern zusätzlich noch den im Kaufpreis enthaltenen Gewinn herausgeben. Demgegenüber erhalte der Käufer den vollen Kaufpreis zurück und könne sich von seinem Vertragspartner lösen. Nur in diesem Fall sei es interessengerecht, wenn der Käufer eine Nutzungsentschädigung zahle.
9
Auch wenn der Beklagten somit im Falle der Ersatzlieferung kein Anspruch auf Nutzungsentschädigung zustehe, sei der auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG gestützte Unterlassungsantrag unbegründet, weil das Verhalten der Beklagten nicht gegen eine Vorschrift verstoße, die dem Schutz der Verbraucher diene. Die Erwähnung von § 439 BGB in § 475 BGB lasse die erstgenannte Bestimmung nicht generell zu einer verbraucherschützenden Vorschrift werden. Denn in § 475 BGB werde als spezielle Regelung über den Verbrauchsgüterkauf nur die grundsätzliche Unabdingbarkeit des § 439 BGB festgeschrieben. Würde jede Abweichung von den Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB, soweit diese die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umsetzten, dem § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG unterfallen, hätte dies die nicht beabsichtigte Folge, dass aus jedem Rechtsstreit, in dem ein Unternehmer bei einem Verbrauchsgüterkauf unterliege , ein allgemeiner, vom Kläger durchzusetzender Unterlassungsanspruch herrührte. Ohnehin sei dem § 439 BGB ein Verbot, eine Nutzungsentschädigung verlangen zu dürfen, nicht zu entnehmen. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB biete lediglich keine Anspruchsgrundlage für ein derartiges Verlangen, enthalte aber kein diesbezügliches Verbot.

B.

10
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
11
I. Revision der Beklagten
12
Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Käuferin gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung eines Betrages von 67,86 € nebst Zinsen hat, den der Kläger aufgrund der Ermächtigung durch die Käuferin im eigenen Namen geltend machen kann.
13
Die von der Käuferin geleistete Zahlung für die Nutzung des zunächst gelieferten mangelhaften Herdes ist ohne Rechtsgrund erfolgt. Der Beklagten steht ein Anspruch auf Wertersatz dafür, dass die Käuferin die anfangs gelieferte Ware in der Zeit von August 2002 bis Januar 2004 nutzen konnte, nicht zu. Ein derartiger Anspruch ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aus § 439 Abs. 4 BGB in Verbindung mit § 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 100 BGB.
14
1. Zwar kann nach dem Wortlaut des § 439 Abs. 4 BGB der Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache "nach Maßgabe der §§ 346 bis 348" verlangen. Neben der Rückgabe der empfangenen Leistung selbst sieht § 346 Abs. 1 BGB im Falle des Rücktritts die Pflicht zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen vor, zu denen auch die Gebrauchsvorteile nach § 100 BGB gehören. Für diese Vorteile hat der Rückgewährschuldner nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB dem Rückgewährgläubiger Wertersatz zu leisten. Dies gilt nach dem Wortlaut der Vorschriften auch dann, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – um einen Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) handelt.
15
2. Diese – im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sehr umstrittene (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 10 ff. m.w.N.) – Vorschrift steht aber nicht im Einklang mit Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171, S. 12; im Folgenden: Richtlinie). Nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie hat der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie bestimmt , dass der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen kann, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. In Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie heißt es, dass die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung innerhalb angemessener Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen müsse. Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie umfasst der Begriff "unentgeltlich" in den Absätzen 2 und 3 die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten.
16
Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Beschluss vom 16. August 2006 (aaO) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: "Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie dahin auszule- gen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung von dem Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des zunächst gelieferten vertragswidrigen Verbrauchsgutes verlangen kann?"
17
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat die Frage mit Urteil vom 17. April 2008 (aaO) wie folgt beantwortet: "Art. 3 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen."
18
Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Dem Wortlaut und den einschlägigen Vorarbeiten der Richtlinie zufolge habe der Gemeinschaftsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollen (Rdnr. 33). Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen. Das bedeute, dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des Verbrauchsguts ausgeschlossen sei (Rdnr. 34). Diese Auslegung werde dadurch bestätigt, dass nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung auch ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen habe (Rdnr. 35). Der 15. Erwägungsgrund betreffe nur den in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehenen Fall der Vertragsauflösung mit gegenseitiger Herausgabe der erlangten Vorteile und könne somit nicht als allgemeiner Grundsatz verstanden werden (Rdnr. 39). Der Verbraucher werde durch die Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhalte lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen (Rdnr. 41). Die finanziellen Interessen des Verkäufers seien durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und durch die ihm in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit geschützt, die Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich diese Abhilfe wegen unzumutbarer Kosten als unverhältnismäßig erweist (Rdnr. 42).
19
3. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 249 Abs. 3 EG und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 10. April 1984 – Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Rdnr. 26, 28 – von Colson und Kamann/ Nordrhein-Westfalen; Urteil vom 5. Oktober 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I S. 8835, Rdnr. 113 – Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.).
20
a) Allerdings lässt sich dieses Gebot richtlinienkonformer Auslegung im vorliegenden Fall nicht im Wege einer (einschränkenden) Gesetzesauslegung im engeren Sinne umsetzen, also einer Rechtsfindung innerhalb des Gesetzeswortlauts (vgl. Canaris in: Festschrift für Bydlinski, 2002, S. 47, 81; Gebauer in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 3 Rdnr. 38), deren Grenze durch den möglichen Wortsinn gebildet wird (vgl. La- renz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 343; Staudinger /Coing/Honsell, Einleitung zum BGB [2005], unter VIII 4). Dem steht der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen, weil § 439 Abs. 4 BGB für den Fall der Ersatzlieferung uneingeschränkt auf die §§ 346 bis 348 BGB Bezug nimmt. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dadurch allein die Rückgabe der mangelhaften Sache selbst geregelt und nicht dem Verkäufer auch ein Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zugebilligt werden soll. Denn dann wäre zumindest die Verweisung auf § 347 BGB sinnlos, weil diese Vorschrift ausschließlich die Frage der Nutzungen (und Verwendungen ) regelt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 14).
21
b) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne. Der Gerichtshof ist bei der Verwendung des Begriffs "Auslegung" nicht von der im deutschen Rechtskreis – anders als in anderen europäischen Rechtsordnungen – üblichen Unterscheidung zwischen Auslegung (im engeren Sinne) und Rechtsfortbildung ausgegangen. Auch die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften formulierte Einschränkung, nach der die richtlinienkonforme Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen darf (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I S. 6057, Rdnr. 110 – Adeneler u.a./Ellinikos Organismos Galaktos), bezieht sich nicht auf die Wortlautgrenze. Der Begriff des Contra-legemJudizierens ist vielmehr funktionell zu verstehen; er bezeichnet den Bereich, in dem eine richterliche Rechtsfindung nach nationalen Methoden unzulässig ist (Canaris, aaO, S. 91). Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung fordert deshalb auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden (Canaris, aaO, S. 81 f.; Gebauer, aaO; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 358; Her- resthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006, S. 317 f.; Baldus/Becker, ZEuP 1997, 873, 883; aA Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 256; Ehricke, ZIP 2004, 1025, 1029 f.). Daraus folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion (zum Begriff Larenz, aaO, S. 391) des § 439 Abs. 4 BGB auf einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.
22
aa) Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. BGHZ 149, 165, 174; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 – IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, unter II 3 b aa (1), jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung ist erfüllt.
23
In der Begründung des Koalitionsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz heißt es in der Einzelbegründung zu § 439 Abs. 4 BGB (BT-Drs. 14/6040, S. 232 f.): "Ebenso wie bisher § 480 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 467 Satz 1 steht dem Verkäufer ein Rückgewähranspruch nach den Vorschriften über den Rücktritt zu. Deshalb muss der Käufer, dem der Verkäufer eine neue Sache zu liefern und der die zunächst gelieferte fehlerhafte Sache zurückzugeben hat, gemäß §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 1 RE auch die Nutzungen , also gemäß § 100 auch die Gebrauchsvorteile, herausgeben. Das rechtfertigt sich daraus, dass der Käufer mit der Nachlieferung eine neue Sache erhält und nicht einzusehen ist, dass er die zurückzugebende Sache in dem Zeitraum davor unentgeltlich nutzen können soll und so noch Vorteile aus der Mangelhaftigkeit ziehen können soll. (…) Mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist eine derartige Verpflichtung des Verbrauchers (Käufers) vereinbar. Zwar bestimmt deren Artikel 3 Abs. 2 ausdrücklich den Anspruch des Verbrauchers auf eine „unentgeltliche“ Herstellung des vertragsgemäßen Zustands. (…) Der vertragsgemäße Zustand wird indes durch die Lieferung der neuen Ersatzsache hergestellt. (…) Zu den Kosten kann aber nicht die Herausgabe von Nutzungen der vom Verbraucher benutzten mangelhaften Sache gezählt werden.
(…) Des Weiteren werden dem Verbraucher auch nicht Kosten, auch nicht solche der Rückgabe der gebrauchten, mangelhaften Sache auferlegt. Es geht vielmehr um die Herausgabe der Vorteile, die der Verbraucher (Käufer) aus dem Gebrauch der Sache gezogen hat, (…) Schließlich wird diese Wertung durch den Erwägungsgrund (15) der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bestätigt. (…)"
24
Daraus ergibt sich, dass die Absicht des Gesetzgebers einerseits dahin ging, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen. Andererseits sollte aber – was die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung belegen – auch eine Regelung geschaffen werden, die mit der Richtlinie vereinbar ist. Die explizit vertretene Auffassung, dass die Regelung über den Nutzungsersatz den Anforderungen der Richtlinie genüge, ist jedoch fehlerhaft, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nunmehr mit Bindungswirkung festgestellt hat.
25
Damit erweist sich das Gesetz als planwidrig unvollständig. Es liegt eine verdeckte Regelungslücke (vgl. Larenz, aaO, S. 377) vor, weil die Verweisung in § 439 Abs. 4 BGB keine Einschränkung für den Anwendungsbereich der Richtlinie enthält und deshalb mit dieser nicht im Einklang steht. Dass diese Unvollständigkeit des Gesetzes planwidrig ist, ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, auch und gerade hinsichtlich des Nutzungsersatzes eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit steht die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich des Nutzungsersatzes nicht lediglich im Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen (so aber Schmidt, ZGS 2006, 408, 410). Vielmehr besteht ein Widerspruch zur konkret geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber § 439 Abs. 4 BGB in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die Vor- schrift nicht im Einklang mit der Richtlinie steht. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber nunmehr eine Gesetzesänderung in die Wege geleitet hat, die der im Streitfall ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Rechnung tragen und eine richtlinienkonforme Umsetzung der Richtlinie gewährleisten soll (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15. Oktober 2008, BT-Drs. 16/10607, S. 4, 5 f.). Danach soll § 474 Abs. 2 BGB dahingehend neu gefasst werden, dass § 439 Abs. 4 BGB auf einen Verbrauchsgüterkauf mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind.
26
bb) Die bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bestehende verdeckte Regelungslücke ist durch eine einschränkende Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen. Die Vorschrift ist in solchen Fällen einschränkend dahingehend anzuwenden , dass die in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst eingreifen, hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache führen (so auch Gebauer , AnwBl 2007, 314, 319; Theisen, GPR 2007, 276, 281 f.; Witt, NJW 2006, 3322, 3325). Diese Einschränkung ist nach dem Gebot richtlinienkonformer Rechtsfortbildung erforderlich, weil eine Verpflichtung des Käufers zur Zahlung von Nutzungsersatz mit Art. 3 der Richtlinie nicht vereinbar ist. Anders lässt sich der dargestellte Widerspruch zwischen den gesetzgeberischen Zielen – einerseits Begründung eines Anspruchs auf Nutzungsersatz, andererseits Richtlinienkonformität –, der eine planwidrige Regelungslücke begründet, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung nicht lösen.
27
Die Regelungslücke besteht zwar nur im Hinblick auf den im Verhältnis zu § 13 BGB engeren Verbraucherbegriff des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richt- linie. Die Ausfüllung der Lücke im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ist jedoch auf alle Konstellationen des Verbrauchsgüterkaufs und damit des Verbraucherbegriffs gemäß § 13 BGB zu erstrecken, weil insoweit der Einheitlichkeitswille des nationalen Gesetzgebers in Bezug auf den Verbraucherbegriff zu berücksichtigen ist (vgl. Herresthal, NJW 2008, 2475, 2477, unter Hinweis auf BT-Drs. 14/3195, S. 32).
28
Hingegen bleibt es in Fällen, in denen kein Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, bei der uneingeschränkten Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB. Eine Ausdehnung der teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB auch auf solche Fälle widerspräche dem Wortlaut und dem eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 15 m.w.N.). Da solche Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie liegen, ergibt sich insoweit aus der fehlenden Richtlinienkonformität auch keine planwidrige Regelungslücke.
29
cc) Die teleologische Reduktion führt nicht zur faktischen Derogation des § 439 Abs. 4 BGB, denn die Regelung bleibt in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs hinsichtlich der Verweisung auf die Rücktrittsvorschriften über die Rückgewähr der mangelhaften Sache und in den übrigen Fällen insgesamt anwendbar. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung auch die vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein kann (so Herresthal, Rechtsfortbildung, aaO, S. 321 ff.; aA Canaris, aaO, S. 94; Gebauer, aaO, Rdnr. 51).
30
dd) Die Rechtsfortbildung verletzt (entgegen Hummel, EuZW 2007, 268, 272) auch nicht die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Befugnis der Gerichte zur Fortbildung des Rechts anerkannt; aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt kein Verbot für die Gerichte , vorhandene Lücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen (BVerfGE 82, 6, 11 f.; 111, 54, 82, jeweils m.w.N.).
31
Zwar dürfen die Gerichte eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern. Durch die hier vorgenommene Rechtsfortbildung wird jedoch der erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht beiseite geschoben. Vielmehr wird aus der in der Gesetzesbegründung niedergelegten Regelungsabsicht des Gesetzgebers entnommen , dass eine Lücke besteht und in welcher Weise sie geschlossen werden soll (vgl. BVerfGE 82, aaO). Denn aus den Gesetzesmaterialen ist – wie bereits dargelegt – die konkrete Absicht des Gesetzgebers erkennbar, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit liegt eine der richtlinienkonformen teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB entgegenstehende Wertungsentscheidung des Gesetzgebers nicht vor (vgl. auch Herresthal, NJW 2008, aaO; aA Fischinger, EuZW 2008, 312, 313).
32
ee) Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls (entgegen Schmidt, aaO, S. 409) nicht gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung.
33
Das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) bedeutet in erster Linie Vertrauensschutz für den Bürger. Durfte die betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen des Vertragspartners und den Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, liegt ein Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vor (vgl. BVerfGE 72, 175, 196; 84, 212, 227; BGHZ 132, 119, 130). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die teleologische Re- duktion des § 439 Abs. 4 BGB sich im Rahmen vorhersehbarer Entwicklung hält. Eine uneingeschränkte Anwendung der Vorschrift konnte nicht als gesichert angesehen werden, weil § 439 Abs. 4 BGB von Anfang an in hohem Maße umstritten war (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 10 f. m.w.N.) und auch die Richtlinienkonformität der Vorschrift von zahlreichen Stimmen im Schrifttum verneint wurde (aaO, Tz. 20 m.w.N.).
34
ff) Der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung lässt sich schließlich nicht entgegenhalten, sie laufe auf eine horizontale Direktwirkung der Richtlinie hinaus , die dieser nicht zukomme (so Habersack/Mayer, aaO, S. 257; Schulze, GPR 2008, 128, 131; vgl. auch Franzen, JZ 2003, 321, 327).
35
Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften auch eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung , mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1986 – Rs. 152/84, Slg. 1986, S. 723, Rdnr. 48 – Marshall/Southampton and South-West Hampshire Area Health Authority; Urteil vom 5. Oktober 2004, aaO, Rdnr. 108 f. – Pfeiffer u. a./ Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.; Urteil vom 7. Juni 2007 – Rs. C-80/06, Slg. 2007, I S. 4473, Rdnr. 20 – Carp Snc di L. Moleri e.V. Corsi/Ecorad Srl.). Um eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie geht es hier jedoch nicht, auch nicht in Form einer (lediglich) negativen Anwendung der Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten (dafür aber Kreße, ZGS 2007, 215, 216; ablehnend zu einem solchen Rechtsinstitut von Danwitz, JZ 2007, 697, 702 ff.). Der Senat beschränkt sich vielmehr auf eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion, die – wie ausgeführt – im Rahmen des vom nationalen Recht eingeräumten Beurteilungsspielraums möglich und notwendig ist.
36
II. Revision des Klägers
37
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch des Klägers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG verneint. Der Kläger kann gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG von der Beklagten verlangen, dass diese es unterlässt, im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB Verbrauchern für die Nutzung der mangelhaften Sache Beträge in Rechnung zu stellen.
38
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG kann im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze ). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt.
39
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich bei der Bestimmung des § 439 BGB um eine Vorschrift, die dem Schutz des Verbrauchers dient. Dies ergibt sich bereits aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG. Danach sind Verbraucherschutzgesetze insbesondere die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs , die für Verbrauchsgüterkäufe gelten. Dass § 439 BGB auch auf einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar ist, bedarf keiner näheren Erörterung. Die Vorschrift des § 439 BGB wäre nur dann nicht als Verbraucherschutzgesetz anzusehen, wenn der Verbraucherschutz in der Norm nur untergeordnete Bedeutung hätte oder nur eine zufällige Nebenwirkung der Regelung wäre (BT-Drs. 14/2658, S. 53 zur insofern unverändert übernommenen Vorgängerregelung in § 22 AGBG). Dies ist indes nicht der Fall.
40
Die Vorschrift über die Nacherfüllung in § 439 BGB dient auch dem Verbraucherschutz. Sie bezweckt, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie umzuset- zen (BT-Drs. 14/6040, S. 230). Deren verbraucherschützender Charakter kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Richtlinie nach ihrem Art. 10 in den Anhang der "Liste der Richtlinien nach Art. 1" der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166, S. 51) als verbraucherschützende Richtlinie aufgenommen worden ist. Die Richtlinie über Unterlassungsklagen wiederum ist durch die Vorgängerregelung zu § 2 UKlaG, § 22 AGBG, in deutsches Recht umgesetzt worden (vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 52).
41
Dass § 439 BGB seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich auf den Verbrauchsgüterkauf Bezug nimmt, vielmehr in seinem Anwendungsbereich nicht auf Verbrauchsgüterkäufe beschränkt ist, ist unerheblich. Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat sich dafür entschieden, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht in einem separaten Verbrauchsgüterkaufgesetz in nationales Recht umzusetzen, sondern die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Kauf (§§ 433 ff. BGB) nach den Vorgaben der Richtlinie auszugestalten und nur einige wenige Bestimmungen in ihrem Anwendungsbereich auf den Verbrauchsgüterkauf zu beschränken (§§ 476 bis 479 BGB). Dass § 439 Abs. 4 BGB (auch) dem Schutz der Verbraucher dient, erhellt schon daraus, dass nach § 475 Abs. 1 BGB eine von § 439 BGB zu Lasten des Verbrauchers abweichende Vereinbarung unzulässig ist.
42
2. Verlangt die Beklagte im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB von Verbrauchern Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache, handelt sie damit der Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB zuwider. § 439 Abs. 4 BGB ist – wie bereits ausgeführt – im Falle des Verbrauchsgüterkaufs einschränkend dahingehend anzuwenden, dass dem Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, kein Anspruch auf Wertersatz für Nutzungen gegen den Käufer zusteht. Da auch eine andere Anspruchsgrundlage für ein derartiges Begehren des Verkäufers nicht ersichtlich ist, hat die Ersatzlieferung nach § 439 Abs. 4 BGB im Falle des Verbrauchsgüterkaufs in der Weise zu erfolgen, dass der Verkäufer eine mangelfreie Sache liefert und vom Käufer lediglich Rückgewähr der mangelhaften Sache fordern kann. Verlangt der Verkäufer in einem solchen Fall darüber hinaus Wertersatz für Nutzungen, macht er – der Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB zuwider – einen Anspruch geltend, der ihm nicht zusteht.
43
3. Schließlich liegt die Inanspruchnahme der Beklagten auf Unterlassung auch im Interesse des Verbraucherschutzes, weil der dargelegte Verstoß die Kollektivinteressen der Verbraucher berührt. Er reicht seinem Gewicht und seiner Bedeutung nach über den Einzelfall hinaus, weil anzunehmen ist, dass Verkäufer in einer Vielzahl von Fällen von Verbrauchern die Zahlung einer Nutzungsentschädigung verlangen. Dies lässt eine generelle Klärung der Frage geboten erscheinen (vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 53).

C.

44
Nach alledem ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufzuheben, soweit die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des mit der Revision allein noch verfolgten Unterlassungsantrages (ursprünglicher Klageantrag zu I 2) zurückgewiesen worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat insoweit in der Sache selbst zu entscheiden, da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da der Kläger von der Beklagten verlangen kann, dass diese es unterlässt, im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB Verbrauchern Beträge für die Nutzung der mangelhaften Sache in Rechnung zu stellen, ist das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte entsprechend zu verurteilen. Ball Wiechers Dr. Wolst Dr. Hessel Dr. Achilles
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 01.02.2005 - 7 O 10714/04 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 23.08.2005 - 3 U 991/05 -

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt. Dies gilt nicht, wenn die Behörde auf Grund von Rechtsvorschriften

1.
von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden muss;
2.
nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 200/05 Verkündet am:
26. November 2008
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
EG Art. 10, 249 Abs. 3; Richtlinie 1999/44/EG Art. 3; BGB §§ 346 bis 348, § 439 Abs. 4,
§ 474 Abs. 1 Satz 1

a) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte
Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten über eine
Gesetzesauslegung im engeren Sinne hinaus auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich
ist, richtlinienkonform fortzubilden.

b) Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte
Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus; eine
solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung
ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung
zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft
ist.

c) § 439 Abs. 4 BGB ist unter Beachtung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der
Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung
in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) einschränkend anzuwenden
: Die in § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346
bis 348 BGB) gelten in diesen Fällen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst, führen
hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Herausgabe der
gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache.
BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Wiechers
und Dr. Wolst, die Richterin Dr. Hessel sowie den Richter Dr. Achilles

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23. August 2005 wird zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Klageantrags zu I 2 in dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, 7. Zivilkammer, vom 22. April 2005 zurückgewiesen worden ist. Auf die Berufung des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Umfang der Aufhebung des Berufungsurteils und im Kostenpunkt dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen am Vorstand der Beklagten, zu unterlassen, Verbrauchern im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren, die als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände zur Verfügung gestellt werden, Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu stellen. Die Kosten der Revision einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden der Beklagten auferlegt. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger ein Viertel und die Beklagte drei Viertel zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger ist ein Verbraucherverband, der in die gemäß § 4 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) beim Bundesverwaltungsamt geführte Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen ist. Die Beklagte betreibt ein Versandhandelsunternehmen.
2
Im Sommer 2002 bestellte die Käuferin B. für ihren privaten Gebrauch bei der Beklagten ein sogenanntes "Herd-Set" zum Preis von 524,90 €. Die Ware wurde im August 2002 geliefert. Im Januar 2004 stellte die Käuferin fest, dass sich an der Innenseite des zu dem "Herd-Set" gehörenden Backofens die Emailleschicht abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen vereinbarungsgemäß noch im Januar 2004 aus. Das ursprünglich gelieferte Gerät gab die Käuferin an die Beklagte zurück. Für dessen Nutzung verlangte die Beklagte eine Vergütung , die die Käuferin an die Beklagte zahlte.
3
Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung durch die Käuferin verlangt der Kläger Rückzahlung der Vergütung in Höhe von 67,86 € nebst Zinsen. Daneben hat er, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Verbrauchern im Falle der Ersatzlieferung Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu stellen.
4
Das Landgericht (LG Nürnberg-Fürth, NJW 2005, 2558) hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG Nürnberg, NJW 2005, 3000) hat die Berufung der Beklagten und hinsichtlich des vorbezeichneten Unterlassungsantrags auch die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision für beide Parteien zugelassen.
Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Abweisung der Zahlungsklage. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Unterlassungsanspruch weiter.
5
Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 16. August 2006 (NJW 2006, 3200) ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG um eine Vorabentscheidung ersucht. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) entschieden.

Entscheidungsgründe:

6
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, die des Klägers ist begründet.

A.

7
Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
8
Die Zahlung einer Nutzungsentschädigung sei ohne Rechtsgrund erfolgt und könne daher nach § 812 Abs. 1 BGB zurückgefordert werden. Aus der Verweisung des § 439 Abs. 4 BGB auf § 346 Abs. 1 BGB könne die Beklagte keinen Anspruch auf Nutzungsentschädigung herleiten. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB enthalte keine Rechtsfolgenverweisung auf § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB (Herausgabe von tatsächlich gezogenen Nutzungen). Die Begründung des Gesetzgebers für eine Verpflichtung des Käufers, im Falle der Ersatzlieferung eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, überzeuge nicht. Es sei nicht gerechtfertigt, im Falle einer Ersatzlieferung alle aus dem Rücktritt resultierenden Rechtsfol- gen anzuwenden. Zwar habe der Käufer bei der Ersatzlieferung dadurch einen Vorteil, dass er anstelle der ursprünglichen Sache nun eine neue ungebrauchte Sache mit einer neuen Gewährleistungsfrist erhalte und grundsätzlich mit einer längeren Lebensdauer der Ware rechnen könne. Dem Verkäufer bleibe als Nachteil eine unverkäufliche, weil mangelbehaftete Sache; allerdings behalte er den vollen Kaufpreis und damit den eigentlichen Gewinn. Im Falle des Rücktritts stelle sich die Situation für den Verkäufer deutlich ungünstiger dar. Er müsse nicht nur die mangelhafte Ware behalten, sondern zusätzlich noch den im Kaufpreis enthaltenen Gewinn herausgeben. Demgegenüber erhalte der Käufer den vollen Kaufpreis zurück und könne sich von seinem Vertragspartner lösen. Nur in diesem Fall sei es interessengerecht, wenn der Käufer eine Nutzungsentschädigung zahle.
9
Auch wenn der Beklagten somit im Falle der Ersatzlieferung kein Anspruch auf Nutzungsentschädigung zustehe, sei der auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG gestützte Unterlassungsantrag unbegründet, weil das Verhalten der Beklagten nicht gegen eine Vorschrift verstoße, die dem Schutz der Verbraucher diene. Die Erwähnung von § 439 BGB in § 475 BGB lasse die erstgenannte Bestimmung nicht generell zu einer verbraucherschützenden Vorschrift werden. Denn in § 475 BGB werde als spezielle Regelung über den Verbrauchsgüterkauf nur die grundsätzliche Unabdingbarkeit des § 439 BGB festgeschrieben. Würde jede Abweichung von den Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB, soweit diese die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umsetzten, dem § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG unterfallen, hätte dies die nicht beabsichtigte Folge, dass aus jedem Rechtsstreit, in dem ein Unternehmer bei einem Verbrauchsgüterkauf unterliege , ein allgemeiner, vom Kläger durchzusetzender Unterlassungsanspruch herrührte. Ohnehin sei dem § 439 BGB ein Verbot, eine Nutzungsentschädigung verlangen zu dürfen, nicht zu entnehmen. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB biete lediglich keine Anspruchsgrundlage für ein derartiges Verlangen, enthalte aber kein diesbezügliches Verbot.

B.

10
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
11
I. Revision der Beklagten
12
Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Käuferin gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung eines Betrages von 67,86 € nebst Zinsen hat, den der Kläger aufgrund der Ermächtigung durch die Käuferin im eigenen Namen geltend machen kann.
13
Die von der Käuferin geleistete Zahlung für die Nutzung des zunächst gelieferten mangelhaften Herdes ist ohne Rechtsgrund erfolgt. Der Beklagten steht ein Anspruch auf Wertersatz dafür, dass die Käuferin die anfangs gelieferte Ware in der Zeit von August 2002 bis Januar 2004 nutzen konnte, nicht zu. Ein derartiger Anspruch ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aus § 439 Abs. 4 BGB in Verbindung mit § 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 100 BGB.
14
1. Zwar kann nach dem Wortlaut des § 439 Abs. 4 BGB der Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache "nach Maßgabe der §§ 346 bis 348" verlangen. Neben der Rückgabe der empfangenen Leistung selbst sieht § 346 Abs. 1 BGB im Falle des Rücktritts die Pflicht zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen vor, zu denen auch die Gebrauchsvorteile nach § 100 BGB gehören. Für diese Vorteile hat der Rückgewährschuldner nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB dem Rückgewährgläubiger Wertersatz zu leisten. Dies gilt nach dem Wortlaut der Vorschriften auch dann, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – um einen Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) handelt.
15
2. Diese – im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sehr umstrittene (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 10 ff. m.w.N.) – Vorschrift steht aber nicht im Einklang mit Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171, S. 12; im Folgenden: Richtlinie). Nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie hat der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie bestimmt , dass der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen kann, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. In Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie heißt es, dass die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung innerhalb angemessener Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen müsse. Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie umfasst der Begriff "unentgeltlich" in den Absätzen 2 und 3 die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten.
16
Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Beschluss vom 16. August 2006 (aaO) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: "Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie dahin auszule- gen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung von dem Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des zunächst gelieferten vertragswidrigen Verbrauchsgutes verlangen kann?"
17
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat die Frage mit Urteil vom 17. April 2008 (aaO) wie folgt beantwortet: "Art. 3 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen."
18
Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Dem Wortlaut und den einschlägigen Vorarbeiten der Richtlinie zufolge habe der Gemeinschaftsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollen (Rdnr. 33). Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen. Das bedeute, dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des Verbrauchsguts ausgeschlossen sei (Rdnr. 34). Diese Auslegung werde dadurch bestätigt, dass nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung auch ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen habe (Rdnr. 35). Der 15. Erwägungsgrund betreffe nur den in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehenen Fall der Vertragsauflösung mit gegenseitiger Herausgabe der erlangten Vorteile und könne somit nicht als allgemeiner Grundsatz verstanden werden (Rdnr. 39). Der Verbraucher werde durch die Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhalte lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen (Rdnr. 41). Die finanziellen Interessen des Verkäufers seien durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und durch die ihm in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit geschützt, die Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich diese Abhilfe wegen unzumutbarer Kosten als unverhältnismäßig erweist (Rdnr. 42).
19
3. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 249 Abs. 3 EG und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 10. April 1984 – Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Rdnr. 26, 28 – von Colson und Kamann/ Nordrhein-Westfalen; Urteil vom 5. Oktober 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I S. 8835, Rdnr. 113 – Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.).
20
a) Allerdings lässt sich dieses Gebot richtlinienkonformer Auslegung im vorliegenden Fall nicht im Wege einer (einschränkenden) Gesetzesauslegung im engeren Sinne umsetzen, also einer Rechtsfindung innerhalb des Gesetzeswortlauts (vgl. Canaris in: Festschrift für Bydlinski, 2002, S. 47, 81; Gebauer in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 3 Rdnr. 38), deren Grenze durch den möglichen Wortsinn gebildet wird (vgl. La- renz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 343; Staudinger /Coing/Honsell, Einleitung zum BGB [2005], unter VIII 4). Dem steht der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen, weil § 439 Abs. 4 BGB für den Fall der Ersatzlieferung uneingeschränkt auf die §§ 346 bis 348 BGB Bezug nimmt. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dadurch allein die Rückgabe der mangelhaften Sache selbst geregelt und nicht dem Verkäufer auch ein Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zugebilligt werden soll. Denn dann wäre zumindest die Verweisung auf § 347 BGB sinnlos, weil diese Vorschrift ausschließlich die Frage der Nutzungen (und Verwendungen ) regelt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 14).
21
b) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne. Der Gerichtshof ist bei der Verwendung des Begriffs "Auslegung" nicht von der im deutschen Rechtskreis – anders als in anderen europäischen Rechtsordnungen – üblichen Unterscheidung zwischen Auslegung (im engeren Sinne) und Rechtsfortbildung ausgegangen. Auch die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften formulierte Einschränkung, nach der die richtlinienkonforme Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen darf (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I S. 6057, Rdnr. 110 – Adeneler u.a./Ellinikos Organismos Galaktos), bezieht sich nicht auf die Wortlautgrenze. Der Begriff des Contra-legemJudizierens ist vielmehr funktionell zu verstehen; er bezeichnet den Bereich, in dem eine richterliche Rechtsfindung nach nationalen Methoden unzulässig ist (Canaris, aaO, S. 91). Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung fordert deshalb auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden (Canaris, aaO, S. 81 f.; Gebauer, aaO; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 358; Her- resthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006, S. 317 f.; Baldus/Becker, ZEuP 1997, 873, 883; aA Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 256; Ehricke, ZIP 2004, 1025, 1029 f.). Daraus folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion (zum Begriff Larenz, aaO, S. 391) des § 439 Abs. 4 BGB auf einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.
22
aa) Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. BGHZ 149, 165, 174; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 – IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, unter II 3 b aa (1), jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung ist erfüllt.
23
In der Begründung des Koalitionsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz heißt es in der Einzelbegründung zu § 439 Abs. 4 BGB (BT-Drs. 14/6040, S. 232 f.): "Ebenso wie bisher § 480 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 467 Satz 1 steht dem Verkäufer ein Rückgewähranspruch nach den Vorschriften über den Rücktritt zu. Deshalb muss der Käufer, dem der Verkäufer eine neue Sache zu liefern und der die zunächst gelieferte fehlerhafte Sache zurückzugeben hat, gemäß §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 1 RE auch die Nutzungen , also gemäß § 100 auch die Gebrauchsvorteile, herausgeben. Das rechtfertigt sich daraus, dass der Käufer mit der Nachlieferung eine neue Sache erhält und nicht einzusehen ist, dass er die zurückzugebende Sache in dem Zeitraum davor unentgeltlich nutzen können soll und so noch Vorteile aus der Mangelhaftigkeit ziehen können soll. (…) Mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist eine derartige Verpflichtung des Verbrauchers (Käufers) vereinbar. Zwar bestimmt deren Artikel 3 Abs. 2 ausdrücklich den Anspruch des Verbrauchers auf eine „unentgeltliche“ Herstellung des vertragsgemäßen Zustands. (…) Der vertragsgemäße Zustand wird indes durch die Lieferung der neuen Ersatzsache hergestellt. (…) Zu den Kosten kann aber nicht die Herausgabe von Nutzungen der vom Verbraucher benutzten mangelhaften Sache gezählt werden.
(…) Des Weiteren werden dem Verbraucher auch nicht Kosten, auch nicht solche der Rückgabe der gebrauchten, mangelhaften Sache auferlegt. Es geht vielmehr um die Herausgabe der Vorteile, die der Verbraucher (Käufer) aus dem Gebrauch der Sache gezogen hat, (…) Schließlich wird diese Wertung durch den Erwägungsgrund (15) der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bestätigt. (…)"
24
Daraus ergibt sich, dass die Absicht des Gesetzgebers einerseits dahin ging, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen. Andererseits sollte aber – was die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung belegen – auch eine Regelung geschaffen werden, die mit der Richtlinie vereinbar ist. Die explizit vertretene Auffassung, dass die Regelung über den Nutzungsersatz den Anforderungen der Richtlinie genüge, ist jedoch fehlerhaft, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nunmehr mit Bindungswirkung festgestellt hat.
25
Damit erweist sich das Gesetz als planwidrig unvollständig. Es liegt eine verdeckte Regelungslücke (vgl. Larenz, aaO, S. 377) vor, weil die Verweisung in § 439 Abs. 4 BGB keine Einschränkung für den Anwendungsbereich der Richtlinie enthält und deshalb mit dieser nicht im Einklang steht. Dass diese Unvollständigkeit des Gesetzes planwidrig ist, ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, auch und gerade hinsichtlich des Nutzungsersatzes eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit steht die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich des Nutzungsersatzes nicht lediglich im Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen (so aber Schmidt, ZGS 2006, 408, 410). Vielmehr besteht ein Widerspruch zur konkret geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber § 439 Abs. 4 BGB in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die Vor- schrift nicht im Einklang mit der Richtlinie steht. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber nunmehr eine Gesetzesänderung in die Wege geleitet hat, die der im Streitfall ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Rechnung tragen und eine richtlinienkonforme Umsetzung der Richtlinie gewährleisten soll (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15. Oktober 2008, BT-Drs. 16/10607, S. 4, 5 f.). Danach soll § 474 Abs. 2 BGB dahingehend neu gefasst werden, dass § 439 Abs. 4 BGB auf einen Verbrauchsgüterkauf mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind.
26
bb) Die bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bestehende verdeckte Regelungslücke ist durch eine einschränkende Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen. Die Vorschrift ist in solchen Fällen einschränkend dahingehend anzuwenden , dass die in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst eingreifen, hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache führen (so auch Gebauer , AnwBl 2007, 314, 319; Theisen, GPR 2007, 276, 281 f.; Witt, NJW 2006, 3322, 3325). Diese Einschränkung ist nach dem Gebot richtlinienkonformer Rechtsfortbildung erforderlich, weil eine Verpflichtung des Käufers zur Zahlung von Nutzungsersatz mit Art. 3 der Richtlinie nicht vereinbar ist. Anders lässt sich der dargestellte Widerspruch zwischen den gesetzgeberischen Zielen – einerseits Begründung eines Anspruchs auf Nutzungsersatz, andererseits Richtlinienkonformität –, der eine planwidrige Regelungslücke begründet, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung nicht lösen.
27
Die Regelungslücke besteht zwar nur im Hinblick auf den im Verhältnis zu § 13 BGB engeren Verbraucherbegriff des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richt- linie. Die Ausfüllung der Lücke im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ist jedoch auf alle Konstellationen des Verbrauchsgüterkaufs und damit des Verbraucherbegriffs gemäß § 13 BGB zu erstrecken, weil insoweit der Einheitlichkeitswille des nationalen Gesetzgebers in Bezug auf den Verbraucherbegriff zu berücksichtigen ist (vgl. Herresthal, NJW 2008, 2475, 2477, unter Hinweis auf BT-Drs. 14/3195, S. 32).
28
Hingegen bleibt es in Fällen, in denen kein Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, bei der uneingeschränkten Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB. Eine Ausdehnung der teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB auch auf solche Fälle widerspräche dem Wortlaut und dem eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 15 m.w.N.). Da solche Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie liegen, ergibt sich insoweit aus der fehlenden Richtlinienkonformität auch keine planwidrige Regelungslücke.
29
cc) Die teleologische Reduktion führt nicht zur faktischen Derogation des § 439 Abs. 4 BGB, denn die Regelung bleibt in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs hinsichtlich der Verweisung auf die Rücktrittsvorschriften über die Rückgewähr der mangelhaften Sache und in den übrigen Fällen insgesamt anwendbar. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung auch die vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein kann (so Herresthal, Rechtsfortbildung, aaO, S. 321 ff.; aA Canaris, aaO, S. 94; Gebauer, aaO, Rdnr. 51).
30
dd) Die Rechtsfortbildung verletzt (entgegen Hummel, EuZW 2007, 268, 272) auch nicht die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Befugnis der Gerichte zur Fortbildung des Rechts anerkannt; aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt kein Verbot für die Gerichte , vorhandene Lücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen (BVerfGE 82, 6, 11 f.; 111, 54, 82, jeweils m.w.N.).
31
Zwar dürfen die Gerichte eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern. Durch die hier vorgenommene Rechtsfortbildung wird jedoch der erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht beiseite geschoben. Vielmehr wird aus der in der Gesetzesbegründung niedergelegten Regelungsabsicht des Gesetzgebers entnommen , dass eine Lücke besteht und in welcher Weise sie geschlossen werden soll (vgl. BVerfGE 82, aaO). Denn aus den Gesetzesmaterialen ist – wie bereits dargelegt – die konkrete Absicht des Gesetzgebers erkennbar, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit liegt eine der richtlinienkonformen teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB entgegenstehende Wertungsentscheidung des Gesetzgebers nicht vor (vgl. auch Herresthal, NJW 2008, aaO; aA Fischinger, EuZW 2008, 312, 313).
32
ee) Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls (entgegen Schmidt, aaO, S. 409) nicht gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung.
33
Das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) bedeutet in erster Linie Vertrauensschutz für den Bürger. Durfte die betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen des Vertragspartners und den Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, liegt ein Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vor (vgl. BVerfGE 72, 175, 196; 84, 212, 227; BGHZ 132, 119, 130). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die teleologische Re- duktion des § 439 Abs. 4 BGB sich im Rahmen vorhersehbarer Entwicklung hält. Eine uneingeschränkte Anwendung der Vorschrift konnte nicht als gesichert angesehen werden, weil § 439 Abs. 4 BGB von Anfang an in hohem Maße umstritten war (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 10 f. m.w.N.) und auch die Richtlinienkonformität der Vorschrift von zahlreichen Stimmen im Schrifttum verneint wurde (aaO, Tz. 20 m.w.N.).
34
ff) Der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung lässt sich schließlich nicht entgegenhalten, sie laufe auf eine horizontale Direktwirkung der Richtlinie hinaus , die dieser nicht zukomme (so Habersack/Mayer, aaO, S. 257; Schulze, GPR 2008, 128, 131; vgl. auch Franzen, JZ 2003, 321, 327).
35
Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften auch eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung , mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1986 – Rs. 152/84, Slg. 1986, S. 723, Rdnr. 48 – Marshall/Southampton and South-West Hampshire Area Health Authority; Urteil vom 5. Oktober 2004, aaO, Rdnr. 108 f. – Pfeiffer u. a./ Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.; Urteil vom 7. Juni 2007 – Rs. C-80/06, Slg. 2007, I S. 4473, Rdnr. 20 – Carp Snc di L. Moleri e.V. Corsi/Ecorad Srl.). Um eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie geht es hier jedoch nicht, auch nicht in Form einer (lediglich) negativen Anwendung der Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten (dafür aber Kreße, ZGS 2007, 215, 216; ablehnend zu einem solchen Rechtsinstitut von Danwitz, JZ 2007, 697, 702 ff.). Der Senat beschränkt sich vielmehr auf eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion, die – wie ausgeführt – im Rahmen des vom nationalen Recht eingeräumten Beurteilungsspielraums möglich und notwendig ist.
36
II. Revision des Klägers
37
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch des Klägers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG verneint. Der Kläger kann gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG von der Beklagten verlangen, dass diese es unterlässt, im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB Verbrauchern für die Nutzung der mangelhaften Sache Beträge in Rechnung zu stellen.
38
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG kann im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze ). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt.
39
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich bei der Bestimmung des § 439 BGB um eine Vorschrift, die dem Schutz des Verbrauchers dient. Dies ergibt sich bereits aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG. Danach sind Verbraucherschutzgesetze insbesondere die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs , die für Verbrauchsgüterkäufe gelten. Dass § 439 BGB auch auf einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar ist, bedarf keiner näheren Erörterung. Die Vorschrift des § 439 BGB wäre nur dann nicht als Verbraucherschutzgesetz anzusehen, wenn der Verbraucherschutz in der Norm nur untergeordnete Bedeutung hätte oder nur eine zufällige Nebenwirkung der Regelung wäre (BT-Drs. 14/2658, S. 53 zur insofern unverändert übernommenen Vorgängerregelung in § 22 AGBG). Dies ist indes nicht der Fall.
40
Die Vorschrift über die Nacherfüllung in § 439 BGB dient auch dem Verbraucherschutz. Sie bezweckt, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie umzuset- zen (BT-Drs. 14/6040, S. 230). Deren verbraucherschützender Charakter kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Richtlinie nach ihrem Art. 10 in den Anhang der "Liste der Richtlinien nach Art. 1" der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166, S. 51) als verbraucherschützende Richtlinie aufgenommen worden ist. Die Richtlinie über Unterlassungsklagen wiederum ist durch die Vorgängerregelung zu § 2 UKlaG, § 22 AGBG, in deutsches Recht umgesetzt worden (vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 52).
41
Dass § 439 BGB seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich auf den Verbrauchsgüterkauf Bezug nimmt, vielmehr in seinem Anwendungsbereich nicht auf Verbrauchsgüterkäufe beschränkt ist, ist unerheblich. Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat sich dafür entschieden, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht in einem separaten Verbrauchsgüterkaufgesetz in nationales Recht umzusetzen, sondern die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Kauf (§§ 433 ff. BGB) nach den Vorgaben der Richtlinie auszugestalten und nur einige wenige Bestimmungen in ihrem Anwendungsbereich auf den Verbrauchsgüterkauf zu beschränken (§§ 476 bis 479 BGB). Dass § 439 Abs. 4 BGB (auch) dem Schutz der Verbraucher dient, erhellt schon daraus, dass nach § 475 Abs. 1 BGB eine von § 439 BGB zu Lasten des Verbrauchers abweichende Vereinbarung unzulässig ist.
42
2. Verlangt die Beklagte im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB von Verbrauchern Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache, handelt sie damit der Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB zuwider. § 439 Abs. 4 BGB ist – wie bereits ausgeführt – im Falle des Verbrauchsgüterkaufs einschränkend dahingehend anzuwenden, dass dem Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, kein Anspruch auf Wertersatz für Nutzungen gegen den Käufer zusteht. Da auch eine andere Anspruchsgrundlage für ein derartiges Begehren des Verkäufers nicht ersichtlich ist, hat die Ersatzlieferung nach § 439 Abs. 4 BGB im Falle des Verbrauchsgüterkaufs in der Weise zu erfolgen, dass der Verkäufer eine mangelfreie Sache liefert und vom Käufer lediglich Rückgewähr der mangelhaften Sache fordern kann. Verlangt der Verkäufer in einem solchen Fall darüber hinaus Wertersatz für Nutzungen, macht er – der Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB zuwider – einen Anspruch geltend, der ihm nicht zusteht.
43
3. Schließlich liegt die Inanspruchnahme der Beklagten auf Unterlassung auch im Interesse des Verbraucherschutzes, weil der dargelegte Verstoß die Kollektivinteressen der Verbraucher berührt. Er reicht seinem Gewicht und seiner Bedeutung nach über den Einzelfall hinaus, weil anzunehmen ist, dass Verkäufer in einer Vielzahl von Fällen von Verbrauchern die Zahlung einer Nutzungsentschädigung verlangen. Dies lässt eine generelle Klärung der Frage geboten erscheinen (vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 53).

C.

44
Nach alledem ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufzuheben, soweit die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des mit der Revision allein noch verfolgten Unterlassungsantrages (ursprünglicher Klageantrag zu I 2) zurückgewiesen worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat insoweit in der Sache selbst zu entscheiden, da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da der Kläger von der Beklagten verlangen kann, dass diese es unterlässt, im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB Verbrauchern Beträge für die Nutzung der mangelhaften Sache in Rechnung zu stellen, ist das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte entsprechend zu verurteilen. Ball Wiechers Dr. Wolst Dr. Hessel Dr. Achilles
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 01.02.2005 - 7 O 10714/04 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 23.08.2005 - 3 U 991/05 -

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 200/05 Verkündet am:
26. November 2008
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
EG Art. 10, 249 Abs. 3; Richtlinie 1999/44/EG Art. 3; BGB §§ 346 bis 348, § 439 Abs. 4,
§ 474 Abs. 1 Satz 1

a) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte
Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten über eine
Gesetzesauslegung im engeren Sinne hinaus auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich
ist, richtlinienkonform fortzubilden.

b) Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte
Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus; eine
solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung
ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung
zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft
ist.

c) § 439 Abs. 4 BGB ist unter Beachtung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der
Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung
in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) einschränkend anzuwenden
: Die in § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346
bis 348 BGB) gelten in diesen Fällen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst, führen
hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Herausgabe der
gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache.
BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Wiechers
und Dr. Wolst, die Richterin Dr. Hessel sowie den Richter Dr. Achilles

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23. August 2005 wird zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Klageantrags zu I 2 in dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, 7. Zivilkammer, vom 22. April 2005 zurückgewiesen worden ist. Auf die Berufung des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Umfang der Aufhebung des Berufungsurteils und im Kostenpunkt dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen am Vorstand der Beklagten, zu unterlassen, Verbrauchern im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren, die als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände zur Verfügung gestellt werden, Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu stellen. Die Kosten der Revision einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden der Beklagten auferlegt. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger ein Viertel und die Beklagte drei Viertel zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger ist ein Verbraucherverband, der in die gemäß § 4 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) beim Bundesverwaltungsamt geführte Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen ist. Die Beklagte betreibt ein Versandhandelsunternehmen.
2
Im Sommer 2002 bestellte die Käuferin B. für ihren privaten Gebrauch bei der Beklagten ein sogenanntes "Herd-Set" zum Preis von 524,90 €. Die Ware wurde im August 2002 geliefert. Im Januar 2004 stellte die Käuferin fest, dass sich an der Innenseite des zu dem "Herd-Set" gehörenden Backofens die Emailleschicht abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen vereinbarungsgemäß noch im Januar 2004 aus. Das ursprünglich gelieferte Gerät gab die Käuferin an die Beklagte zurück. Für dessen Nutzung verlangte die Beklagte eine Vergütung , die die Käuferin an die Beklagte zahlte.
3
Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung durch die Käuferin verlangt der Kläger Rückzahlung der Vergütung in Höhe von 67,86 € nebst Zinsen. Daneben hat er, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Verbrauchern im Falle der Ersatzlieferung Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu stellen.
4
Das Landgericht (LG Nürnberg-Fürth, NJW 2005, 2558) hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG Nürnberg, NJW 2005, 3000) hat die Berufung der Beklagten und hinsichtlich des vorbezeichneten Unterlassungsantrags auch die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision für beide Parteien zugelassen.
Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Abweisung der Zahlungsklage. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Unterlassungsanspruch weiter.
5
Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 16. August 2006 (NJW 2006, 3200) ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG um eine Vorabentscheidung ersucht. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) entschieden.

Entscheidungsgründe:

6
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, die des Klägers ist begründet.

A.

7
Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
8
Die Zahlung einer Nutzungsentschädigung sei ohne Rechtsgrund erfolgt und könne daher nach § 812 Abs. 1 BGB zurückgefordert werden. Aus der Verweisung des § 439 Abs. 4 BGB auf § 346 Abs. 1 BGB könne die Beklagte keinen Anspruch auf Nutzungsentschädigung herleiten. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB enthalte keine Rechtsfolgenverweisung auf § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB (Herausgabe von tatsächlich gezogenen Nutzungen). Die Begründung des Gesetzgebers für eine Verpflichtung des Käufers, im Falle der Ersatzlieferung eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, überzeuge nicht. Es sei nicht gerechtfertigt, im Falle einer Ersatzlieferung alle aus dem Rücktritt resultierenden Rechtsfol- gen anzuwenden. Zwar habe der Käufer bei der Ersatzlieferung dadurch einen Vorteil, dass er anstelle der ursprünglichen Sache nun eine neue ungebrauchte Sache mit einer neuen Gewährleistungsfrist erhalte und grundsätzlich mit einer längeren Lebensdauer der Ware rechnen könne. Dem Verkäufer bleibe als Nachteil eine unverkäufliche, weil mangelbehaftete Sache; allerdings behalte er den vollen Kaufpreis und damit den eigentlichen Gewinn. Im Falle des Rücktritts stelle sich die Situation für den Verkäufer deutlich ungünstiger dar. Er müsse nicht nur die mangelhafte Ware behalten, sondern zusätzlich noch den im Kaufpreis enthaltenen Gewinn herausgeben. Demgegenüber erhalte der Käufer den vollen Kaufpreis zurück und könne sich von seinem Vertragspartner lösen. Nur in diesem Fall sei es interessengerecht, wenn der Käufer eine Nutzungsentschädigung zahle.
9
Auch wenn der Beklagten somit im Falle der Ersatzlieferung kein Anspruch auf Nutzungsentschädigung zustehe, sei der auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG gestützte Unterlassungsantrag unbegründet, weil das Verhalten der Beklagten nicht gegen eine Vorschrift verstoße, die dem Schutz der Verbraucher diene. Die Erwähnung von § 439 BGB in § 475 BGB lasse die erstgenannte Bestimmung nicht generell zu einer verbraucherschützenden Vorschrift werden. Denn in § 475 BGB werde als spezielle Regelung über den Verbrauchsgüterkauf nur die grundsätzliche Unabdingbarkeit des § 439 BGB festgeschrieben. Würde jede Abweichung von den Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB, soweit diese die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umsetzten, dem § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG unterfallen, hätte dies die nicht beabsichtigte Folge, dass aus jedem Rechtsstreit, in dem ein Unternehmer bei einem Verbrauchsgüterkauf unterliege , ein allgemeiner, vom Kläger durchzusetzender Unterlassungsanspruch herrührte. Ohnehin sei dem § 439 BGB ein Verbot, eine Nutzungsentschädigung verlangen zu dürfen, nicht zu entnehmen. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB biete lediglich keine Anspruchsgrundlage für ein derartiges Verlangen, enthalte aber kein diesbezügliches Verbot.

B.

10
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
11
I. Revision der Beklagten
12
Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Käuferin gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung eines Betrages von 67,86 € nebst Zinsen hat, den der Kläger aufgrund der Ermächtigung durch die Käuferin im eigenen Namen geltend machen kann.
13
Die von der Käuferin geleistete Zahlung für die Nutzung des zunächst gelieferten mangelhaften Herdes ist ohne Rechtsgrund erfolgt. Der Beklagten steht ein Anspruch auf Wertersatz dafür, dass die Käuferin die anfangs gelieferte Ware in der Zeit von August 2002 bis Januar 2004 nutzen konnte, nicht zu. Ein derartiger Anspruch ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aus § 439 Abs. 4 BGB in Verbindung mit § 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 100 BGB.
14
1. Zwar kann nach dem Wortlaut des § 439 Abs. 4 BGB der Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache "nach Maßgabe der §§ 346 bis 348" verlangen. Neben der Rückgabe der empfangenen Leistung selbst sieht § 346 Abs. 1 BGB im Falle des Rücktritts die Pflicht zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen vor, zu denen auch die Gebrauchsvorteile nach § 100 BGB gehören. Für diese Vorteile hat der Rückgewährschuldner nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB dem Rückgewährgläubiger Wertersatz zu leisten. Dies gilt nach dem Wortlaut der Vorschriften auch dann, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – um einen Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) handelt.
15
2. Diese – im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sehr umstrittene (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 10 ff. m.w.N.) – Vorschrift steht aber nicht im Einklang mit Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171, S. 12; im Folgenden: Richtlinie). Nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie hat der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie bestimmt , dass der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen kann, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. In Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie heißt es, dass die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung innerhalb angemessener Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen müsse. Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie umfasst der Begriff "unentgeltlich" in den Absätzen 2 und 3 die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten.
16
Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Beschluss vom 16. August 2006 (aaO) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: "Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie dahin auszule- gen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung von dem Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des zunächst gelieferten vertragswidrigen Verbrauchsgutes verlangen kann?"
17
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat die Frage mit Urteil vom 17. April 2008 (aaO) wie folgt beantwortet: "Art. 3 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen."
18
Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Dem Wortlaut und den einschlägigen Vorarbeiten der Richtlinie zufolge habe der Gemeinschaftsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollen (Rdnr. 33). Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen. Das bedeute, dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des Verbrauchsguts ausgeschlossen sei (Rdnr. 34). Diese Auslegung werde dadurch bestätigt, dass nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung auch ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen habe (Rdnr. 35). Der 15. Erwägungsgrund betreffe nur den in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehenen Fall der Vertragsauflösung mit gegenseitiger Herausgabe der erlangten Vorteile und könne somit nicht als allgemeiner Grundsatz verstanden werden (Rdnr. 39). Der Verbraucher werde durch die Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhalte lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen (Rdnr. 41). Die finanziellen Interessen des Verkäufers seien durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und durch die ihm in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit geschützt, die Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich diese Abhilfe wegen unzumutbarer Kosten als unverhältnismäßig erweist (Rdnr. 42).
19
3. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 249 Abs. 3 EG und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 10. April 1984 – Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Rdnr. 26, 28 – von Colson und Kamann/ Nordrhein-Westfalen; Urteil vom 5. Oktober 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I S. 8835, Rdnr. 113 – Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.).
20
a) Allerdings lässt sich dieses Gebot richtlinienkonformer Auslegung im vorliegenden Fall nicht im Wege einer (einschränkenden) Gesetzesauslegung im engeren Sinne umsetzen, also einer Rechtsfindung innerhalb des Gesetzeswortlauts (vgl. Canaris in: Festschrift für Bydlinski, 2002, S. 47, 81; Gebauer in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 3 Rdnr. 38), deren Grenze durch den möglichen Wortsinn gebildet wird (vgl. La- renz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 343; Staudinger /Coing/Honsell, Einleitung zum BGB [2005], unter VIII 4). Dem steht der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen, weil § 439 Abs. 4 BGB für den Fall der Ersatzlieferung uneingeschränkt auf die §§ 346 bis 348 BGB Bezug nimmt. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dadurch allein die Rückgabe der mangelhaften Sache selbst geregelt und nicht dem Verkäufer auch ein Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zugebilligt werden soll. Denn dann wäre zumindest die Verweisung auf § 347 BGB sinnlos, weil diese Vorschrift ausschließlich die Frage der Nutzungen (und Verwendungen ) regelt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 14).
21
b) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne. Der Gerichtshof ist bei der Verwendung des Begriffs "Auslegung" nicht von der im deutschen Rechtskreis – anders als in anderen europäischen Rechtsordnungen – üblichen Unterscheidung zwischen Auslegung (im engeren Sinne) und Rechtsfortbildung ausgegangen. Auch die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften formulierte Einschränkung, nach der die richtlinienkonforme Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen darf (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I S. 6057, Rdnr. 110 – Adeneler u.a./Ellinikos Organismos Galaktos), bezieht sich nicht auf die Wortlautgrenze. Der Begriff des Contra-legemJudizierens ist vielmehr funktionell zu verstehen; er bezeichnet den Bereich, in dem eine richterliche Rechtsfindung nach nationalen Methoden unzulässig ist (Canaris, aaO, S. 91). Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung fordert deshalb auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden (Canaris, aaO, S. 81 f.; Gebauer, aaO; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 358; Her- resthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006, S. 317 f.; Baldus/Becker, ZEuP 1997, 873, 883; aA Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 256; Ehricke, ZIP 2004, 1025, 1029 f.). Daraus folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion (zum Begriff Larenz, aaO, S. 391) des § 439 Abs. 4 BGB auf einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.
22
aa) Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. BGHZ 149, 165, 174; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 – IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, unter II 3 b aa (1), jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung ist erfüllt.
23
In der Begründung des Koalitionsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz heißt es in der Einzelbegründung zu § 439 Abs. 4 BGB (BT-Drs. 14/6040, S. 232 f.): "Ebenso wie bisher § 480 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 467 Satz 1 steht dem Verkäufer ein Rückgewähranspruch nach den Vorschriften über den Rücktritt zu. Deshalb muss der Käufer, dem der Verkäufer eine neue Sache zu liefern und der die zunächst gelieferte fehlerhafte Sache zurückzugeben hat, gemäß §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 1 RE auch die Nutzungen , also gemäß § 100 auch die Gebrauchsvorteile, herausgeben. Das rechtfertigt sich daraus, dass der Käufer mit der Nachlieferung eine neue Sache erhält und nicht einzusehen ist, dass er die zurückzugebende Sache in dem Zeitraum davor unentgeltlich nutzen können soll und so noch Vorteile aus der Mangelhaftigkeit ziehen können soll. (…) Mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist eine derartige Verpflichtung des Verbrauchers (Käufers) vereinbar. Zwar bestimmt deren Artikel 3 Abs. 2 ausdrücklich den Anspruch des Verbrauchers auf eine „unentgeltliche“ Herstellung des vertragsgemäßen Zustands. (…) Der vertragsgemäße Zustand wird indes durch die Lieferung der neuen Ersatzsache hergestellt. (…) Zu den Kosten kann aber nicht die Herausgabe von Nutzungen der vom Verbraucher benutzten mangelhaften Sache gezählt werden.
(…) Des Weiteren werden dem Verbraucher auch nicht Kosten, auch nicht solche der Rückgabe der gebrauchten, mangelhaften Sache auferlegt. Es geht vielmehr um die Herausgabe der Vorteile, die der Verbraucher (Käufer) aus dem Gebrauch der Sache gezogen hat, (…) Schließlich wird diese Wertung durch den Erwägungsgrund (15) der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bestätigt. (…)"
24
Daraus ergibt sich, dass die Absicht des Gesetzgebers einerseits dahin ging, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen. Andererseits sollte aber – was die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung belegen – auch eine Regelung geschaffen werden, die mit der Richtlinie vereinbar ist. Die explizit vertretene Auffassung, dass die Regelung über den Nutzungsersatz den Anforderungen der Richtlinie genüge, ist jedoch fehlerhaft, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nunmehr mit Bindungswirkung festgestellt hat.
25
Damit erweist sich das Gesetz als planwidrig unvollständig. Es liegt eine verdeckte Regelungslücke (vgl. Larenz, aaO, S. 377) vor, weil die Verweisung in § 439 Abs. 4 BGB keine Einschränkung für den Anwendungsbereich der Richtlinie enthält und deshalb mit dieser nicht im Einklang steht. Dass diese Unvollständigkeit des Gesetzes planwidrig ist, ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, auch und gerade hinsichtlich des Nutzungsersatzes eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit steht die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich des Nutzungsersatzes nicht lediglich im Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen (so aber Schmidt, ZGS 2006, 408, 410). Vielmehr besteht ein Widerspruch zur konkret geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber § 439 Abs. 4 BGB in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die Vor- schrift nicht im Einklang mit der Richtlinie steht. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber nunmehr eine Gesetzesänderung in die Wege geleitet hat, die der im Streitfall ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Rechnung tragen und eine richtlinienkonforme Umsetzung der Richtlinie gewährleisten soll (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15. Oktober 2008, BT-Drs. 16/10607, S. 4, 5 f.). Danach soll § 474 Abs. 2 BGB dahingehend neu gefasst werden, dass § 439 Abs. 4 BGB auf einen Verbrauchsgüterkauf mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind.
26
bb) Die bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bestehende verdeckte Regelungslücke ist durch eine einschränkende Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen. Die Vorschrift ist in solchen Fällen einschränkend dahingehend anzuwenden , dass die in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst eingreifen, hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache führen (so auch Gebauer , AnwBl 2007, 314, 319; Theisen, GPR 2007, 276, 281 f.; Witt, NJW 2006, 3322, 3325). Diese Einschränkung ist nach dem Gebot richtlinienkonformer Rechtsfortbildung erforderlich, weil eine Verpflichtung des Käufers zur Zahlung von Nutzungsersatz mit Art. 3 der Richtlinie nicht vereinbar ist. Anders lässt sich der dargestellte Widerspruch zwischen den gesetzgeberischen Zielen – einerseits Begründung eines Anspruchs auf Nutzungsersatz, andererseits Richtlinienkonformität –, der eine planwidrige Regelungslücke begründet, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung nicht lösen.
27
Die Regelungslücke besteht zwar nur im Hinblick auf den im Verhältnis zu § 13 BGB engeren Verbraucherbegriff des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richt- linie. Die Ausfüllung der Lücke im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ist jedoch auf alle Konstellationen des Verbrauchsgüterkaufs und damit des Verbraucherbegriffs gemäß § 13 BGB zu erstrecken, weil insoweit der Einheitlichkeitswille des nationalen Gesetzgebers in Bezug auf den Verbraucherbegriff zu berücksichtigen ist (vgl. Herresthal, NJW 2008, 2475, 2477, unter Hinweis auf BT-Drs. 14/3195, S. 32).
28
Hingegen bleibt es in Fällen, in denen kein Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, bei der uneingeschränkten Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB. Eine Ausdehnung der teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB auch auf solche Fälle widerspräche dem Wortlaut und dem eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 15 m.w.N.). Da solche Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie liegen, ergibt sich insoweit aus der fehlenden Richtlinienkonformität auch keine planwidrige Regelungslücke.
29
cc) Die teleologische Reduktion führt nicht zur faktischen Derogation des § 439 Abs. 4 BGB, denn die Regelung bleibt in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs hinsichtlich der Verweisung auf die Rücktrittsvorschriften über die Rückgewähr der mangelhaften Sache und in den übrigen Fällen insgesamt anwendbar. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung auch die vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein kann (so Herresthal, Rechtsfortbildung, aaO, S. 321 ff.; aA Canaris, aaO, S. 94; Gebauer, aaO, Rdnr. 51).
30
dd) Die Rechtsfortbildung verletzt (entgegen Hummel, EuZW 2007, 268, 272) auch nicht die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Befugnis der Gerichte zur Fortbildung des Rechts anerkannt; aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt kein Verbot für die Gerichte , vorhandene Lücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen (BVerfGE 82, 6, 11 f.; 111, 54, 82, jeweils m.w.N.).
31
Zwar dürfen die Gerichte eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern. Durch die hier vorgenommene Rechtsfortbildung wird jedoch der erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht beiseite geschoben. Vielmehr wird aus der in der Gesetzesbegründung niedergelegten Regelungsabsicht des Gesetzgebers entnommen , dass eine Lücke besteht und in welcher Weise sie geschlossen werden soll (vgl. BVerfGE 82, aaO). Denn aus den Gesetzesmaterialen ist – wie bereits dargelegt – die konkrete Absicht des Gesetzgebers erkennbar, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit liegt eine der richtlinienkonformen teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB entgegenstehende Wertungsentscheidung des Gesetzgebers nicht vor (vgl. auch Herresthal, NJW 2008, aaO; aA Fischinger, EuZW 2008, 312, 313).
32
ee) Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls (entgegen Schmidt, aaO, S. 409) nicht gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung.
33
Das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) bedeutet in erster Linie Vertrauensschutz für den Bürger. Durfte die betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen des Vertragspartners und den Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, liegt ein Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vor (vgl. BVerfGE 72, 175, 196; 84, 212, 227; BGHZ 132, 119, 130). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die teleologische Re- duktion des § 439 Abs. 4 BGB sich im Rahmen vorhersehbarer Entwicklung hält. Eine uneingeschränkte Anwendung der Vorschrift konnte nicht als gesichert angesehen werden, weil § 439 Abs. 4 BGB von Anfang an in hohem Maße umstritten war (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 10 f. m.w.N.) und auch die Richtlinienkonformität der Vorschrift von zahlreichen Stimmen im Schrifttum verneint wurde (aaO, Tz. 20 m.w.N.).
34
ff) Der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung lässt sich schließlich nicht entgegenhalten, sie laufe auf eine horizontale Direktwirkung der Richtlinie hinaus , die dieser nicht zukomme (so Habersack/Mayer, aaO, S. 257; Schulze, GPR 2008, 128, 131; vgl. auch Franzen, JZ 2003, 321, 327).
35
Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften auch eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung , mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1986 – Rs. 152/84, Slg. 1986, S. 723, Rdnr. 48 – Marshall/Southampton and South-West Hampshire Area Health Authority; Urteil vom 5. Oktober 2004, aaO, Rdnr. 108 f. – Pfeiffer u. a./ Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.; Urteil vom 7. Juni 2007 – Rs. C-80/06, Slg. 2007, I S. 4473, Rdnr. 20 – Carp Snc di L. Moleri e.V. Corsi/Ecorad Srl.). Um eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie geht es hier jedoch nicht, auch nicht in Form einer (lediglich) negativen Anwendung der Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten (dafür aber Kreße, ZGS 2007, 215, 216; ablehnend zu einem solchen Rechtsinstitut von Danwitz, JZ 2007, 697, 702 ff.). Der Senat beschränkt sich vielmehr auf eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion, die – wie ausgeführt – im Rahmen des vom nationalen Recht eingeräumten Beurteilungsspielraums möglich und notwendig ist.
36
II. Revision des Klägers
37
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch des Klägers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG verneint. Der Kläger kann gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG von der Beklagten verlangen, dass diese es unterlässt, im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB Verbrauchern für die Nutzung der mangelhaften Sache Beträge in Rechnung zu stellen.
38
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG kann im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze ). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt.
39
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich bei der Bestimmung des § 439 BGB um eine Vorschrift, die dem Schutz des Verbrauchers dient. Dies ergibt sich bereits aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG. Danach sind Verbraucherschutzgesetze insbesondere die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs , die für Verbrauchsgüterkäufe gelten. Dass § 439 BGB auch auf einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar ist, bedarf keiner näheren Erörterung. Die Vorschrift des § 439 BGB wäre nur dann nicht als Verbraucherschutzgesetz anzusehen, wenn der Verbraucherschutz in der Norm nur untergeordnete Bedeutung hätte oder nur eine zufällige Nebenwirkung der Regelung wäre (BT-Drs. 14/2658, S. 53 zur insofern unverändert übernommenen Vorgängerregelung in § 22 AGBG). Dies ist indes nicht der Fall.
40
Die Vorschrift über die Nacherfüllung in § 439 BGB dient auch dem Verbraucherschutz. Sie bezweckt, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie umzuset- zen (BT-Drs. 14/6040, S. 230). Deren verbraucherschützender Charakter kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Richtlinie nach ihrem Art. 10 in den Anhang der "Liste der Richtlinien nach Art. 1" der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166, S. 51) als verbraucherschützende Richtlinie aufgenommen worden ist. Die Richtlinie über Unterlassungsklagen wiederum ist durch die Vorgängerregelung zu § 2 UKlaG, § 22 AGBG, in deutsches Recht umgesetzt worden (vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 52).
41
Dass § 439 BGB seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich auf den Verbrauchsgüterkauf Bezug nimmt, vielmehr in seinem Anwendungsbereich nicht auf Verbrauchsgüterkäufe beschränkt ist, ist unerheblich. Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat sich dafür entschieden, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht in einem separaten Verbrauchsgüterkaufgesetz in nationales Recht umzusetzen, sondern die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Kauf (§§ 433 ff. BGB) nach den Vorgaben der Richtlinie auszugestalten und nur einige wenige Bestimmungen in ihrem Anwendungsbereich auf den Verbrauchsgüterkauf zu beschränken (§§ 476 bis 479 BGB). Dass § 439 Abs. 4 BGB (auch) dem Schutz der Verbraucher dient, erhellt schon daraus, dass nach § 475 Abs. 1 BGB eine von § 439 BGB zu Lasten des Verbrauchers abweichende Vereinbarung unzulässig ist.
42
2. Verlangt die Beklagte im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB von Verbrauchern Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache, handelt sie damit der Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB zuwider. § 439 Abs. 4 BGB ist – wie bereits ausgeführt – im Falle des Verbrauchsgüterkaufs einschränkend dahingehend anzuwenden, dass dem Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, kein Anspruch auf Wertersatz für Nutzungen gegen den Käufer zusteht. Da auch eine andere Anspruchsgrundlage für ein derartiges Begehren des Verkäufers nicht ersichtlich ist, hat die Ersatzlieferung nach § 439 Abs. 4 BGB im Falle des Verbrauchsgüterkaufs in der Weise zu erfolgen, dass der Verkäufer eine mangelfreie Sache liefert und vom Käufer lediglich Rückgewähr der mangelhaften Sache fordern kann. Verlangt der Verkäufer in einem solchen Fall darüber hinaus Wertersatz für Nutzungen, macht er – der Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB zuwider – einen Anspruch geltend, der ihm nicht zusteht.
43
3. Schließlich liegt die Inanspruchnahme der Beklagten auf Unterlassung auch im Interesse des Verbraucherschutzes, weil der dargelegte Verstoß die Kollektivinteressen der Verbraucher berührt. Er reicht seinem Gewicht und seiner Bedeutung nach über den Einzelfall hinaus, weil anzunehmen ist, dass Verkäufer in einer Vielzahl von Fällen von Verbrauchern die Zahlung einer Nutzungsentschädigung verlangen. Dies lässt eine generelle Klärung der Frage geboten erscheinen (vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 53).

C.

44
Nach alledem ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufzuheben, soweit die Berufung des Klägers gegen die Abweisung des mit der Revision allein noch verfolgten Unterlassungsantrages (ursprünglicher Klageantrag zu I 2) zurückgewiesen worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat insoweit in der Sache selbst zu entscheiden, da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da der Kläger von der Beklagten verlangen kann, dass diese es unterlässt, im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB Verbrauchern Beträge für die Nutzung der mangelhaften Sache in Rechnung zu stellen, ist das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte entsprechend zu verurteilen. Ball Wiechers Dr. Wolst Dr. Hessel Dr. Achilles
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 01.02.2005 - 7 O 10714/04 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 23.08.2005 - 3 U 991/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 70/08 Verkündet am:
21. Dezember 2011
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort genannte
Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und
den Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst (im Anschluss an EuGH, Urteil
vom 16. Juni 2011 - Rechtssachen C-65/09 und C-87/09, NJW 2011, 2269 - Gebr.
Weber GmbH/Jürgen Wittmer und Ingrid Putz/Medianess Electronics GmbH).

b) Das in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB dem Verkäufer eingeräumte Recht, die einzig mögliche
Form der Abhilfe wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, ist
mit Art. 3 der Richtlinie nicht vereinbar (EuGH, aaO). Die hierdurch auftretende Regelungslücke
ist bis zu einer gesetzlichen Neuregelung durch eine teleologische Reduktion
des § 439 Abs. 3 BGB für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1
BGB) zu schließen. Die Vorschrift ist beim Verbrauchsgüterkauf einschränkend dahingehend
anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn
nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung
zu Recht verweigert.

c) In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt
der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das
Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus
der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen
Betrags zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert
der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichti-
gen. Zugleich ist zu gewährleisten, dass durch die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung
des Verkäufers das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten
nicht ausgehöhlt wird.
BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08 - OLG Frankfurt in Kassel
LG Kassel
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Dezember 2011 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin
Dr. Milger, den Richter Dr. Schneider, die Richterin Dr. Fetzer und den Richter
Dr. Bünger

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2008 wird als unzulässig verworfen, soweit die Beklagte erstinstanzlich zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Im Übrigen wird auf die Revision der Beklagten das vorgenannte Urteil des Oberlandesgerichts im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben , als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 326,90 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Insoweit wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 24. November 2006 zurückgewiesen. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen. Die Kosten der ersten beiden Rechtszüge haben der Kläger zu 74 % und die Beklagte zu 26 % zu tragen. Von den Kostendes Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union tragen der Kläger 72 % und die Beklagte 28 %. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger kaufte bei der Beklagten, die einen Baustoffhandel betreibt, am 24. Januar 2005 45,36 m2 polierte Bodenfliesen eines italienischen Herstel- lers zum Preis von 1.191,61 € ohne und 1.382,27 € mit 16 % Mehrwertsteuer. Er ließ rund 33 m2 der Fliesen im Flur, im Bad, in der Küche und auf dem Treppenpodest seines Hauses verlegen. Danach zeigten sich auf der Oberfläche Schattierungen, die mit bloßem Auge zu erkennen sind. Der Kläger erhob deswegen Mängelrüge, die die Beklagte nach Rücksprache mit dem Hersteller am 26. Juli 2005 zurückwies. In einem vom Kläger eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass es sich bei den bemängelten Schattierungen um feine Mikroschleifspuren handele, die nicht beseitigt werden könnten, so dass Abhilfe nur durch einen kompletten Austausch der Fliesen möglich sei. Die Kosten dafür bezifferte der Sachverständige mit 5.026,35 € ohne und 5.830,57 € einschließlich 16 % Mehrwertsteuer.
2
Nach vergeblicher Leistungsaufforderung mit Fristsetzung hat der Kläger die Beklagte in dem vorliegenden Rechtsstreit auf Lieferung mangelfreier Flie- sen und auf Zahlung von 5.830,57 € (Ein- und Ausbaukosten) nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte aus dem - vom Kläger nicht geltend gemachten - Gesichtspunkt der Minderung zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Lieferung von 45,36 m2 mangel- freier Fliesen und zur Zahlung von 2.122,37 € nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 2.122,37 € nebst Zinsen.

Entscheidungsgründe:

3
Die Revision hat, soweit sie zulässig ist, überwiegend Erfolg.

A.

4
Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, OLGR 2008, 325 ff. = ZGS 2008, 315 ff.) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
5
Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Lieferung mangelfreier Fliesen aus § 434, § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 Fall 2 BGB. Die ihm von der Beklagten verkauften und gelieferten Fliesen seien mangelhaft (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen wiesen sie einen herstellungsbedingten Polierfehler auf, der - wie sich im Rahmen eines Augenscheins bestätigt habe - in der Fläche betrachtet insbesondere bei Tageslichteinfall störende und sofort ins Auge springende Schlierstreifen hervorrufe. Eine Beseitigung dieses Mangels (§ 439 Abs. 1 Fall 1 BGB) sei technisch nicht möglich. Die von der Beklagten gemäß § 439 Abs. 3 BGB erhobene Einrede, dass die vom Kläger verlangte Lieferung mangelfreier Fliesen unverhältnismäßige Kosten verursache, sei unbegründet. Bei der Frage, ob die allein in Betracht kommende Nacherfüllung durch Lieferung mangelfreier Fliesen wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit (§ 439 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BGB) verweigert werden dürfe, sei das Interesse des Klägers an der Durchführung der Nacherfüllung gegen das Interesse der Beklagten abzuwägen, nicht mit den dafür anfallenden Kosten belastet zu werden. Dabei seien zwar nicht die für den Einbau neuer Fliesen anfallenden Kosten zu berücksichtigen, wohl aber der für ihre Lieferung (rund 1.200 € einschließlich Transport) und für die Beseitigung der mangelhaften Fliesen - also deren Ausbau und Entsorgung - entstehende Kostenaufwand (rund 2.100 €). Dies ergebe sich aus der gebotenen Auslegung des § 439 Abs. 1 Fall 2 BGB.
6
Allerdings spreche der Wortlaut dieser Bestimmung, wonach die "Lieferung einer mangelfreien Sache" geschuldet sei, dagegen, Aus- oder Einbaukosten zu den vom Verkäufer zu tragenden Nacherfüllungskosten zu zählen. Auch erscheine es zunächst fernliegend anzunehmen, dass der Nacherfüllungsanspruch als modifizierter Erfüllungsanspruch dem Verkäufer zusätzlich zu dessen ursprünglichen kaufvertraglichen Pflichten zur Übereignung und Übergabe der Kaufsache bisher nicht geschuldete Handlungspflichten auferlege. Andererseits sei aber aus der Pflicht des Verkäufers, dem Käufer Eigentum und Besitz - nur - an der mangelfreien Kaufsache zu verschaffen, im Umkehrschluss zu folgern, dass der Käufer nicht verpflichtet sei, sowohl die geschuldete mangelfreie als auch die gelieferte mangelhafte Sache zu behalten. Daraus ergebe sich eine vertragliche Verpflichtung des Verkäufers, die mangelhafte Sache zurückzunehmen. Wenn die mangelhafte Sache - wie hier - vom Käufer zweckentsprechend eingebaut worden sei, erstrecke sich diese Verpflichtung - und damit auch die Nacherfüllung - auf den der Rücknahme notwendigerweise vorgelagerten Ausbau der Kaufsache.
7
Den Gesetzesmaterialien lasse sich zudem entnehmen, dass § 439 BGB der Umsetzung von Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter diene. Bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung sei zu beachten, dass in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie nicht wie in § 439 Abs. 1 BGB von "Nacherfüllung", sondern von "Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes" die Rede sei und dass die Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" mit den Worten "Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3" um- schrieben sei. Danach treffe den Verkäufer mehr als nur die Pflicht zur Übergabe und Übereignung einer mangelfreien Kaufsache. Vielmehr schulde er die "Herstellung" eines vertragsgemäßen "Zustands". Dieser sei dadurch gekennzeichnet , dass die Kaufsache inzwischen bestimmungsgemäß verarbeitet worden sei. Auch der Begriff "Ersatzlieferung" spreche dafür, dass der Verkäufer mehr schulde als nur "Lieferung". Wer eine Sache "ersetze", müsse nicht nur die neue Sache übergeben, sondern auch die alte wegnehmen, weil er sonst "hinzusetze". Für ein über die bloße Lieferung hinausgehendes Verständnis des Begriffs "Ersatzlieferung" spreche auch Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie, wonach die Ersatzlieferung "ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher" erfolgen müsse, wobei "die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte", zu berücksichtigen seien.
8
Im Rahmen der Abwägung des Interesses des Klägers an der Durchführung der Nacherfüllung mit dem gegenläufigen Interesse der Beklagten daran, nicht mit unverhältnismäßig hohen Nacherfüllungskosten belastet zu werden, könne angesichts des Umstandes, dass die Beeinträchtigung durch die fehlerhaften Fliesen erheblich sei und die Nacherfüllung neben der Lieferung mangelfreier Fliesen nach der nicht angegriffenen Berechnung des gerichtlichen Sachverständigen Ausbaukosten von 2.122,37 € einschließlich 19 % Mehrwertsteuer verursache, nicht festgestellt werden, dass die Nacherfüllung mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre.
9
Aus dem Vorstehenden folge, dass der Kläger nicht nur Lieferung mangelfreier Fliesen verlangen könne, sondern gegen die Beklagte auch einen An- spruch auf Zahlung von 2.122,37 € habe. Zwar sehe § 439 Abs. 1 und 2 BGB selbst keinen Zahlungsanspruch vor, sondern verpflichte den Verkäufer nur zur Durchführung der Nacherfüllung auf eigene Kosten. Der Zahlungsanspruch fol- ge jedoch aus § 434, § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit § 280 Abs. 3, § 281 Abs. 1 und 2 BGB. Indem die Beklagte vorgerichtlich jegliche Ansprüche des Klägers zurückgewiesen habe, habe sie ihre Pflicht zur Nacherfüllung schuldhaft verletzt (§ 281 Abs. 1 BGB) und die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 281 Abs. 2 BGB), so dass es einer Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht bedurft habe.
10
Weitergehende Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Lieferung mangelhafter Fliesen (§ 434, § 437 Nr. 3, § 440, § 280 Abs. 1, § 281 Abs. 1 BGB) stünden dem Kläger mangels Verschuldens der Beklagten nicht zu.

B.

11
Diese Beurteilung hält - soweit die Revision eröffnet ist - rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

I.

12
Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen richtet. In dieser Höhe ist die Beklagte durch das Berufungsurteil nicht beschwert, da sie bereits in erster Instanz zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen verurteilt worden ist und dagegen keine (Anschluss-)Berufung eingelegt hat.

II.

13
Soweit die Beklagte zur Zahlung von mehr als 273,10 € (nebst Zinsen), nämlich von weiteren 1.849,27 € (nebst Zinsen) verurteilt worden ist, ist die - zulässige - Revision überwiegend begründet.
14
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger im Rahmen der von ihm begehrten Nacherfüllung durch Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) von der beklagten Verkäuferin grundsätzlich auch verlangen kann, dass diese die mangelhaften Fliesen ausbaut und entsorgt. Ebenfalls zu Recht hat es der Beklagten verwehrt, die Ersatzlieferung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1, Satz 3 Halbsatz 2 BGB wegen Unverhältnismäßigkeit der durch den Ausbau der mangelhaften Fliesen entstehenden Kosten zu verweigern. Verkannt hat das Berufungsgericht jedoch, dass der Nacherfüllungsanspruch des Klägers bezüglich des Ausbaus der vertragswidrigen Kaufsache aufgrund der gebotenen europarechtskonformen Rechtsfortbildung des § 439 Abs. 3 BGB auf eine Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrages beschränkt ist.
15
2. Die Reichweite der den Verkäufer bei der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 BGB treffenden Pflichten ist - ebenso wie die der dem Verkäufer nach § 439 Abs. 3 BGB zustehenden Einrede der Unverhältnismäßigkeit - im Einklang mit dem Inhalt des Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171 S. 12; im Folgenden: Richtlinie), deren Umsetzung die genannten nationalen Vorschriften dienen (BT-Drucks. 14/6040, S. 230, 232), zu bestimmen.
16
a) Der Senat hat daher mit seinem Beschluss vom 14. Januar 2009 (VIII ZR 70/08, NJW 2009, 1660 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Gerichtshof der Europäischen Union, im Folgenden: Gerichtshof ) folgende Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG (jetzt: Art. 267 AEUV) vorgelegt: "Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, wonach der Verkäufer im Falle der Vertragswidrigkeit des gelieferten Verbrauchsgutes die vom Verbraucher verlangte Art der Abhilfe auch dann verweigern kann, wenn sie ihm Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unzumutbar (absolut unverhältnismäßig) wären ? Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Unterabs. 3 der vorbezeichneten Richtlinie dahin auszulegen , dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung die Kosten des Ausbaus des vertragswidrigen Verbrauchsgutes aus einer Sache, in die der Verbraucher das Verbrauchsgut gemäß dessen Art und Verwendungszweck eingebaut hat, tragen muss?"
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b) Der Gerichtshof hat - nach der Verbindung dieser Sache mit einem weiteren Vorlageverfahren - mit Urteil vom 16. Juni 2011 (Rechtssachen C-65/09 und C-87/09, NJW 2011, 2269 ff. - Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer und Ingrid Putz/Medianess Electronics GmbH) die Fragen wie folgt beantwortet: "Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines vertragswidrigen Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom Verbraucher gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung hergestellt wird, der Verkäufer verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsgutes aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass er ausschließt, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe zu verweigern, weil sie ihm wegen der Verpflichtung, den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte , wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unverhältnismäßig wären. Art. 3 Abs. 3 schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird."
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Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
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Nach dem Wortlaut und den einschlägigen Vorarbeiten zur Richtlinie habe der Unionsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollen. Die dem Verkäufer in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen (Rn. 46). Wenn der Verbraucher im Fall der Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut vom Verkäufer nicht verlangen könnte, dass dieser den Ausbau des Verbrauchsguts aus der Sache, in die es gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut worden ist, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in dieselbe Sache oder die entsprechenden Kosten übernehme, würde die Ersatzlieferung für ihn zu zusätzlichen finanziellen Lasten führen, die er bei ordnungsgemäßer Erfüllung nicht hätte tragen müssen (Rn. 47).
20
Zudem seien Nachbesserung und Ersatzlieferung nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie nicht nur unentgeltlich, sondern auch ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher vorzunehmen (Rn. 52). Der Umstand, dass der Verkäufer das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ausbaue und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut nicht einbaue, stelle zweifellos eine erhebliche Unan- nehmlichkeit für den Verbraucher dar (Rn. 53). Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Begriff "Ersatzlieferung", dessen genaue Bedeutung in den einzelnen Sprachfassungen der Richtlinie unterschiedlich sei, sich - selbst in der deutschen Fassung - nicht auf die bloße Lieferung eines Ersatzes beschränke (Rn. 54).
21
Die beschriebene Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie entspreche zudem der im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie genannten Zielsetzung, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten (Rn. 55), und führe auch nicht zu ungerechten Ergebnissen, weil der Verkäufer die ihm obliegenden Leistungen nicht ordnungsgemäß erbracht habe und daher die Folgen der Schlechterfüllung tragen müsse (Rn. 56). Sie sei unabhängig davon, ob der Verkäufer nach dem Kaufvertrag zum Einbau des gelieferten Verbrauchsguts verpflichtet gewesen sei. Die dem Verbraucher in Art. 3 der Richtlinie verliehenen Rechte seien nicht auf den Umfang der in dem Kaufvertrag vorgesehenen Ansprüche begrenzt, sondern dienten der Herstellung der Situation, die vorgelegen hätte, wenn der Verkäufer von vornherein ein vertragsgemäßes Verbrauchsgut geliefert hätte (Rn. 59 f.). Die finanziellen Interessen des Verkäufers seien durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und durch die ihm in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit geschützt, die Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich diese Abhilfe wegen unzumutbarer Kosten als unverhältnismäßig erweise (Rn. 58).
22
Hinsichtlich des Verweigerungsrechts des Verkäufers sei festzustellen, dass die offene Fassung des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie, wonach der Verbraucher unentgeltliche Nachbesserung oder Ersatzlieferung nur verlangen könne, sofern diese nicht unmöglich oder unverhältnismäßig sei, zwar an sich auch Fälle der absoluten Unmöglichkeit erfassen könne. Jedoch definiere Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie den Begriff "unverhältnismäßig" aus- schließlich in Beziehung zu der alternativen Abhilfemöglichkeit und begrenze ihn daher auf Fälle der relativen Unmöglichkeit (Rn. 68). Diese Einschränkung werde durch den elften Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt. Danach seien Abhilfen unverhältnismäßig, die im Vergleich zu anderen Abhilfemaßnahmen unzumutbare Kosten verursachten, wobei zur Beantwortung der Frage, ob es sich um unzumutbare Kosten handele, entscheidend sein solle, ob die Kosten der einen Abhilfemöglichkeit deutlich höher seien als die Kosten der anderen Abhilfe (Rn. 69). Die Begrenzung des Verweigerungsrechts des Verkäufers auf die Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit rechtfertige sich dadurch, dass die gegenüber der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands subsidiären Mittel der Auflösung des Vertrags oder der Minderung des Kaufpreises nicht dasselbe Verbraucherschutzniveau gewährleisteten (Rn. 72). Der Verkäufer könne daher die einzig mögliche Art der Abhilfe, durch die sich der vertragsgemäße Zustand des Verbrauchsguts herstellen lasse, nicht wegen Unverhältnismäßigkeit der hierfür erforderlichen Kosten verweigern (Rn. 71).
23
Hingegen schließe es Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie nicht aus, den Anspruch des Verbrauchers auf Kostenerstattung für den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts auf einen Betrag zu beschränken, der dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen sei (Rn. 74, 76). Im Rahmen der von Art. 3 der Richtlinie verfolgten Zielsetzung eines gerechten Interessenausgleichs zwischen dem Verbraucher und dem Verkäufer dürften auch vom Verkäufer angeführte wirtschaftliche Überlegungen berücksichtigt werden, sofern hierdurch das Recht des Verbrauchers auf Erstattung der Ein- und Ausbaukosten in der Praxis nicht ausgehöhlt werde (Rn. 75 f.). Allerdings sei dem Verbraucher im Falle einer Herabsetzung des Anspruchs auf Erstattung der Ein- und Ausbaukosten die Möglichkeit zu gewähren , eine Minderung oder eine Vertragsauflösung zu verlangen, da eine Beteili- gung an der Kostentragung für ihn eine erhebliche Unannehmlichkeit darstelle (Rn. 77).
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3. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums , den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. nur EuGH, Slg. 1984, 1891 Rn. 26, 28 - von Colson und Kamann/Nordrhein-Westfalen; Slg. 2004, I-8835 Rn. 113 - Pfeiffer u.a./ Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.).
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4. Vor diesem Hintergrund ist zunächst § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort genannte Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache - hier der von der Beklagten gelieferten mangelhaften Bodenfliesen - umfasst (vgl. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243; Förster, ZIP 2011, 1493, 1500 f.; Staudinger, DAR 2011, 502, 503; Purnhagen, EuzW 2011, 626, 627, 629; i.E. auch OLG Karlsruhe, OLGR 2004, 465; OLG Köln, NJW-RR 2006, 677; OLG Stuttgart, Urteil vom 8. November 2007 - 19 U 52/07, n.v.; LG Itzehoe, Urteil vom 27. April 2007 - 9 S 85/06, juris; AnwK/Büdenbender, 2005, § 439 Rn. 27; Bamberger/Roth/Faust, BGB, 2. Aufl., § 439 Rn. 32; Lorenz, ZGS 2004, 408, 410 f.; ders., NJW 2005, 1889, 1895; MünchKommBGB /Westermann, 5. Aufl., § 439 Rn. 13; jurisPK-BGB/Pammler, 5. Aufl., § 439 Rn. 54; Schneider/Katerndahl, NJW 2007, 2215, 2216; Schneider, ZGS 2008, 177 f.; Witt, ZGS 2008, 369, 370).
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a) Diese Auslegung ist noch vom Wortlaut des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB gedeckt (vgl. etwa Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243; Greiner/Benedix, ZGS 2011, 489, 493 [letztere geben allerdings einer analogen Anwendung des § 439 Abs. 2 BGB in Form eines Kostenerstattungsanspruchs den Vorzug]; aA Kaiser, JZ 2011, 978, 980). Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird "liefern" zwar verstanden als "bringen" oder "übergeben" einer (bestellten) Sache (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 6. Band, 1885, S. 996 f.; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 4. Band, 1982, S. 484). Auch im nationalen Kaufrecht ist unter "Lieferung" grundsätzlich nur die Handlung zu verstehen, die der Verkäufer vorzunehmen hat, um seine Übergabe- und Übereignungspflicht aus § 433 Abs. 1 BGB zu erfüllen (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2008 - VIII ZR 211/07, NJW 2008, 2837 Rn. 18; Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 439 Rn. 4; Palandt/ Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 434 Rn. 53 c). Dies schließt es jedoch nicht aus, den in § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB verwendeten Begriff der Lieferung einer mangelfreien Sache weiter zu fassen. Denn dieser Begriff ist ausfüllungsfähig und eröffnet einen gewissen Wertungsspielraum (Staudinger, aaO). Der Gesetzgeber hat die Bestimmung des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB zur Umsetzung des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie geschaffen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 230). Dabei hat er nicht nur in der Gesetzesbegründung mehrfach den Begriff der Lieferung einer mangelfreien Sache mit der in der deutschen Fassung der Richtlinie verwendeten Wortwahl "Ersatzlieferung" gleichgesetzt (BT-Drucks. 14/6040, S. 232), die - wie vom Gerichtshof ausgeführt (EuGH, aaO Rn. 54) - auch die Deutung zulässt, dass das vertragswidrige Verbrauchsgut durch die als Ersatz gelieferte Sache auszutauschen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch den in § 439 Abs. 4 BGB enthaltenen Verweis auf § 346 Abs. 1 Alt. 1 BGB, wonach der Verkäufer seinerseits die Rückgewähr der mangelhaften Sache verlangen kann, zum Ausdruck gebracht, dass dem Begriff der "Lieferung einer mangel- freien Sache" in § 439 Abs. 1 BGB ein gewisses (Aus-)Tauschelement innewohnt (vgl. Lorenz, NJW 2009, 1633, 1634 f.).
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b) Die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB führt - anders als die Revisionserwiderung meint - nicht dazu, dass dem Käufer im Rahmen des Nacherfüllungsverlangens ein Wahlrecht dahin zusteht, ob er dem Verkäufer den Aus- und Einbau gestattet oder diese Arbeiten selbst durchführt und den Verkäufer nur auf Kostenerstattung in Anspruch nimmt. Der Gerichtshof hat dem Käufer ein solches Wahlrecht gerade nicht eingeräumt, sondern lediglich dem Verkäufer die Verpflichtung auferlegt, entweder selbst die notwendigen Aus- und Einbauarbeiten vorzunehmen oder - in angemessener Höhe - die hierfür anfallenden Kosten zu tragen.
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5. Im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB lässt sich das Gebot richtlinienkonformer Interpretation hingegen nicht im Wege einer einfachen Gesetzesauslegung im engeren Sinne umsetzen. Denn dem steht der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen.
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§ 439 Abs. 3 Satz 1 BGB erlaubt dem Verkäufer, die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung zu verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Die genannte Regelung enthält keine Anhaltspunktedafür, dass sie sich auf die Fälle beschränkt, in denen beide Formen der Nacherfüllung möglich sind und lediglich eine Abhilfevariante im Verhältnis zu der anderen unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht (relative Unverhältnismäßigkeit). Vielmehr ergibt sich aus den Bestimmungen des § 439 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BGB und des § 440 Satz 1 BGB eindeutig, dass nach der Konzeption des Gesetzes beide Formen der Nacherfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit verweigert werden können und damit der Begriff der Unverhältnismäßigkeit absolut zu verstehen ist. § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB beschränkt den Anspruch des Käufers für den Fall, dass der Verkäufer die eine Form der Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigert, zunächst auf die andere Art der Nacherfüllung, sieht aber weiter vor, dass das "Recht des Verkäufers, auch diese unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zu verweigern", unberührt bleibt. Auf diese Regelung nimmt § 440 Satz 1 BGB Bezug, der den Käufer unter anderem dann vom Erfordernis einer Fristsetzung vor der Geltendmachung von Rücktritt oder Schadensersatz befreit, "wenn der Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 3 [BGB] verweigert".
30
6. Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne. Er erfordert auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden (Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 21 mwN). Daraus folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB auf einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.
31
a) Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 22 mwN). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
32
aa) Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Einrede der Unverhältnismäßigkeit zwar so ausgestalten wollte, dass sie mit der Richtlinie vereinbar ist, er hierbei jedoch Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie so verstanden hat, dass dieser auch die absolute Unverhältnismäßigkeit erfasse (vgl. auch Staudinger, aaO). In der Begründung des Koalitionsentwurfs heißt es in der Einzelbegründung zu § 439 Abs. 3 BGB (BT-Drucks. 14/6040, S. 232) unter anderem: "Zu Satz 1 Die Nacherfüllung (einschließlich der damit verbundenen Aufwendungen im Sinne des Absatzes 2) kann im Einzelfall den Verkäufer unangemes- sen belasten. (…). Sie kann dem Verkäufer auch unmöglich sein. Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sieht deshalb vor, dass der Verbraucher (Käufer) Nachbesserung oder Ersatzlieferung nur verlangen kann, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. (…) Liegt Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 RE nicht vor, kann die Nacherfüllung doch mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein. Dann kommt nach den allgemeinen Vorschriften ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 RE in Betracht, das aber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, die wertungsmäßig der Unmöglichkeit in § 275 Abs. 1 RE nahe kommen, in Betracht kommt. § 439 Abs. 3 Satz 1 RE stellt eine besondere Ausprägung dieses allgemeinen Rechtsgedankens im Kaufrecht und eine gegenüber § 275 Abs. 2 RE niedrigere Schwelle für die Begründung einer Einrede des Verkäufers dar. (…) Voraussetzung ist, dass der Verkäufer für die Nacherfüllung in der vom Käufer gewählten Art Aufwendungen machen muss, die unverhältnismäßig sind. Es handelt sich dabei um einen Gesichtspunkt, der über den Verbraucherkauf hinaus Bedeutung hat. Denn die Interessenlage des Käufers gebietet es nicht, ihm den Nacherfüllungsanspruch auch dann zu geben, wenn sie vom Verkäufer unverhältnismäßige Anstrengungen erfordert. Der Käufer wird hier auf seine Ansprüche auf Rücktritt und Minderung (sowie ggf. Schadensersatz) verwiesen. Verweigern kann der Verkäufer "die vom Käufer gewählte Nacherfüllung". Das heißt, das Verweigerungsrecht des Verkäufers bezieht sich selbstverständlich auf die von dem Käufer begehrte Art der Nacherfüllung (Nachbesserung oder Ersatzlieferung). Verlangt der Käufer zum Beispiel Nachbesserung und sind die Aufwendungen des Verkäufers hierfür als unverhältnismäßig zu beurteilen, (…) so ist damit keine Entscheidung über die Frage getroffen, ob der Käufer stattdessen Ersatzlieferung verlangen kann oder ob auch insoweit eine auf § 439 Abs. 3 Satz 1 RE gestützte Einrede des Verkäufers besteht. Klargestellt wird dies noch durch § 439 Abs. 3 Satz 3 RE. (…) Zu Satz 3 [§ 439 Abs. 3 ] Satz 3 [RE] enthält die bereits oben angesprochene Klarstellung des Verhältnisses der beiden Arten der Nacherfüllung zueinander. Die in § 439 Abs. 3 Satz 1 RE vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung bezieht sich allein auf die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung. Ist sie zu Recht von dem Verkäufer verweigert worden, so hat dies nicht einen Ausschluss des Nacherfüllungsanspruchs des Käufers insgesamt zur Folge. Vielmehr beschränkt sich der Nacherfüllungsanspruch dann auf die andere Art der Nacherfüllung, wenn der Verkäufer nicht auch sie verweigern kann. Erst dann kann der Käufer zurücktreten oder mindern, ggf. Schadensersatz (…) verlangen."
33
bb) Das der Fassung des § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB zugrunde liegende Verständnis, dass Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie auch die absolute Unverhältnismäßigkeit erfasse, ist jedoch fehlerhaft, wie der Gerichtshof nunmehr mit Bindungswirkung festgestellt hat. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie erlaubt es nur, den Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts auf einen angemessenen Betrag zu beschränken, nicht jedoch, den Anspruch des Verbrauchers auf Ersatzlieferung als einzig mögliche Art der Abhilfe wegen Unverhältnismäßigkeit der Ein- und Ausbaukosten völlig auszuschließen. Die gesetzliche Regelung in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB steht folglich in Widerspruch zu dem mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts verfolgten Grundanliegen, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bis zum Ablauf des 31. Dezember 2001 ordnungsgemäß umzusetzen (vgl. hierzu auch BT-Drucks. 14/6040, S. 1).
34
cc) Damit erweist sich das Gesetz als planwidrig unvollständig (Staudinger , aaO; differenzierend Kaiser, aaO S. 980 f., 986; aA Greiner/Benedix, aaO, S. 495 f.). Es liegt eine verdeckte Regelungslücke vor, weil der Wortlaut des § 439 Abs. 3 BGB, der ein Verweigerungsrecht bei absoluter Unverhältnismäßigkeit einschließt, keine Einschränkung für den Anwendungsbereich der Richtlinie enthält und deshalb mit dieser nicht im Einklang steht. Diese Unvollstän- digkeit des Gesetzes ist deswegen planwidrig, weil hinsichtlich der Einrede der Unverhältnismäßigkeit ein Widerspruch zur konkret geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers besteht (vgl. Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 25). Dass der Gesetzgeber sich - anders als bei der Schaffung des § 439 Abs. 4 BGB - nicht explizit mit der Frage der Richtlinienkonformität des § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB auseinandergesetzt, sondern diese stillschweigend vorausgesetzt hat, ändert an der Planwidrigkeit der nunmehr aufgetretenen Regelungslücke nichts (aA Lorenz, NJW 2011, 2241, 2244; Greiner/Benedix, aaO S. 496). Maßgebend ist, dass das ausdrücklich angestrebte Ziel einer richtlinienkonformen Umsetzung durch die Regelung des § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB nicht erreicht worden ist und ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die Vorschrift nicht richtlinienkonform ist.
35
b) Die bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bestehende verdeckte Regelungslücke ist durch eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen. Die Vorschrift ist in solchen Fällen einschränkend dahingehend anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert. In den zuletzt genannten Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers , die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrags zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Zugleich ist zu gewährleisten, dass durch die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des Verkäufers das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten nicht ausgehöhlt wird (EuGH, aaO Rn. 76).
36
c) Die hier vorgenommene Einschränkung des § 439 Abs. 3 BGB ist nach dem Gebot richtlinienkonformer Rechtsfortbildung erforderlich, weil ein Recht des Verkäufers, die einzig mögliche Form der Abhilfe wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, mit Art. 3 der Richtlinie nicht vereinbar ist. Sie belässt dem Verkäufer andererseits in Form einer Einrede die auch nach der Richtlinie zulässige Beschränkung des Ersatzes für die Kosten des Ausbaus des vertragswidrigen Verbrauchsguts und des Einbaus des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts auf einen angemessenen Betrag unter Benennung der für dessen Ermittlung maßgeblichen Umstände. Anders lässt sich der Widerspruch zwischen den gesetzgeberischen Zielen - einerseits Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit im Interesse des Verkäufers, andererseits Richtlinienkonformität - im Wege richterlicher Rechtsfortbildung nicht lösen.
37
Zwar sind insbesondere seit Erlass der Entscheidung des Gerichtshofs am 16. Juni 2011 in der Literatur anderslautende Vorschläge für eine Rechtsfortbildung zur Herstellung der Richtlinienkonformität gemacht worden. Diese setzen jedoch entweder die Vorgaben des Gerichtshofs nicht hinreichend um oder überschreiten die Grenzen des Gestaltungsspielraums, der den Gerichten im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung zusteht (vgl. hierzu Palandt/ Sprau, aaO, Einl. Rn. 56). Die Ausfüllung einer Regelungslücke durch die Gerichte muss in möglichst enger Anlehnung an das geltende Recht vorgenommen werden (BVerfGE 37, 67, 81). Darüber hinausgehende Änderungen des geltenden Rechts sind dem Gesetzgeber vorbehalten.
38
aa) Nach dem Vorschlag von Faust (JuS 2011, 744, 747 f.), dem sich die Revision inhaltlich anschließt, soll der Verkäufer den Aus- und Einbau nach § 439 Abs. 3 BGB verweigern dürfen, sofern sich nicht der Verbraucher zur Beteiligung an den Kosten bereit erklärt. Dieser Ansatz erscheint jedoch insofern problematisch, als er dem Verkäufer die Möglichkeit einer völligen Verweigerung des im Rahmen der Ersatzlieferung nach § 439 Abs. 1 Fall 2 BGB geschuldeten Aus- und Einbaus bis zur Abgabe einer Erklärung des Verbrauchers eröffnet. Dies ist unvereinbar mit der Vorgabe des Gerichtshofs, die Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers dürfe nicht dazu führen, dass die dem Verbraucher zustehenden Rechte in der Praxis ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, aaO Rn. 76).
39
bb) Förster (aaO S. 1500) schlägt vor, § 439 Abs. 3 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Verkäufer die Ersatzlieferung als einzig mögliche Art der Nacherfüllung nicht verweigern, sondern nur unter Berücksichtigung von § 439 Abs. 3 Satz 2 BGB der Höhe nach angemessen herabsetzen darf. Diese Einschränkung des § 439 Abs. 3 BGB ist zur Erfüllung der europarechtlichen Vorgaben ebenfalls nicht ausreichend. Zum einen setzt sie nur die Aussagen des Gerichtshofs zum fehlenden Verweigerungsrecht bei der Ersatzlieferung um, während der Gerichtshof seine Ausführungen auf beide Arten der Nacherfüllung bezogen hat, also dem Verkäufer ein Verweigerungsrecht wegen unverhältnismäßiger Kosten auch dann abspricht, wenn die einzig mögliche Form der Abhilfe nicht in einer Ersatzlieferung, sondern in einer Nachbesserung besteht (EuGH, aaO Rn. 71). Zum anderen berücksichtigt die vorgeschlagene Fassung des § 439 Abs. 3 BGB nicht, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers hinsichtlich einer Art der Abhilfe auch in den Fällen nicht gegeben ist, in denen die andere Art der Nacherfüllung zwar möglich ist, aber ihrerseits vom Verkäufer wegen relativer Unverhältnismäßigkeit verweigert wird. Problematisch an dem Vorschlag ist letztlich auch, dass er eine Beschränkung hinsichtlich der Ersatzlieferung insgesamt und nicht nur bezüglich der Erstattung der dabei entstehenden Aus- und Einbaukosten vorsieht. Es ist jedoch praktisch nicht durch- führbar, die tatsächliche Vornahme des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Sache auf einen angemessen Umfang zu begrenzen (vgl. auch Ayad/Schnell, BB 2011, 1938, 1939).
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cc) Ein anderer Lösungsansatz besteht darin, die Anwendung des § 439 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BGB für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs ganz auszuschließen (Purnhagen, aaO S. 629 f.; Staudinger, aaO S. 506; Lorenz, NJW 2011, 2241, 2244). Hierbei fehlt es jedoch an einer überzeugenden rechtlichen Konstruktion, die es dem Verkäufer gleichwohl ermöglicht, den Ersatz der Ein- und Ausbaukosten auf einen angemessenen Betrag zu begrenzen. Eine solche ist jedoch erforderlich, um dem vom deutschen Gesetzgeber mit der Schaffung des § 439 Abs. 3 BGB verfolgten Ziel einer Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers (vgl. BT-Drucks. 16/6040, S. 232) in dem europarechtlich (noch) zulässigen Umfang Rechnung zu tragen.
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(1) Teilweise wird versucht, eine Begrenzung der Kostentragungspflicht des Verkäufers dadurch zu erreichen, dass dieser im Hinblick auf den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der als Ersatz gelieferten Kaufsache von vornherein nicht zu deren Vornahme, sondern nur zur Erstattung der dafür erforderlichen Kosten verpflichtet sein soll und diese angemessen reduziert werden können (vgl. Pfeiffer, LMK 2011, 321439 sowie den Alternativvorschlag von Faust, aaO). Dieser Ansatz übersieht jedoch, dass die Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 1 BGB nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers auch dazu dienen soll, dem Verkäufer die "Möglichkeit zur zweiten Andienung" einzuräumen (BT-Drucks. 16/6040, S. 220; vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. Februar 2005 - VIII ZR 100/04, BGHZ 162, 219, 227 f.). Mit dem hierdurch zum Ausdruck kommenden Ziel, bereits im Rahmen des § 439 Abs. 1 BGB auch den Interessen des Verkäufers Rechnung zu tragen, wäre es nur schwer zu vereinbaren , wenn der Verkäufer im Rahmen der Ersatzlieferung den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der als Ersatz gelieferten Sache nicht selbst vornehmen dürfte, sondern von vornherein dem Käufer die hierfür erforderlichen Kosten schuldete. Denn der Verkäufer wird in vielen Fällen den Aus- und Einbau günstiger bewerkstelligen können als der Käufer (vgl. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243).
42
(2) Ein anderer Vorschlag geht davon aus, dass der Verkäufer zur Vornahme des Aus- und Einbaus verpflichtet sei; komme er dem nicht nach, habe der Käufer einen verschuldensunabhängigen Anspruch aus § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB auf Erstattung der hierfür erforderlichen Kosten, wobei die Höhe auf einen angemessenen Betrag reduziert werden könne (Purnhagen, aaO S. 629). Diese Konstruktion trägt jedoch dem gesetzgeberischen Ziel, auch die Verkäuferinteressen zu schützen, in der Praxis ebenfalls nicht hinreichend Rechnung. Es wurde bereits ausgeführt, dass eine Beschränkung der Pflicht des Verkäufers , den Aus- und Einbau tatsächlich vorzunehmen, auf einen angemessenen Umfang faktisch nicht durchführbar ist. Da der Verkäufer den Käufer rechtlich aber nicht zwingen kann, anstelle der Vornahme der Nacherfüllung (inklusive Aus- und Einbau) Schadensersatz wegen deren Nichterfüllung zu verlangen, bliebe die allein mögliche Begrenzung des Kostenerstattungsanspruchs auf einen angemessenen Betrag für ihn praktisch wertlos. Denn ein wirtschaftlich denkender Käufer würde in den Fällen, in denen der Ausbau der mangelhaften und der Einbau der als Ersatz gelieferten Kaufsache unverhältnismäßige Kosten verursacht, nicht - den bezüglich der Aus- und Einbaukosten auf eine angemessene Höhe begrenzten - Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Nacherfüllung verlangen, sondern den Verkäufer stets auf Erfüllung seiner Ersatzlieferungspflicht (inklusive uneingeschränktem Aus- und Einbau) in Anspruch nehmen.
43
dd) Einen anderen Weg gehen Kaiser und Greiner/Benedix, die sich in diesem Zusammenhang für eine europarechtskonforme Auslegung der Kostentragungsregelung des § 439 Abs. 2 BGB dahin aussprechen, dass den Käufer gegen Kostenerstattung eine Mitwirkungsobliegenheit zum Ausbau der mangelhaften und Einbau der neuen Sache trifft (Kaiser, aaO S. 985 ff.; Greiner /Benedix, aaO S. 493). Die Rechte des Käufers sollen sich von vornherein auf einen auf die angemessenen Kosten begrenzten Erstattungsanspruch beschränken (Kaiser, aaO S. 987). Damit wird aber - zumindest faktisch - die dem Verkäufer vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich eingeräumte "Möglichkeit zur zweiten Andienung" (vgl. BT-Drucks. 16/6040, S. 220) beschnitten. Dies wird vermieden, wenn man die Kostenerstattungspflicht als Folge einer Einrede aus dem teleologisch reduzierten § 439 Abs. 3 BGB ausgestaltet.
44
d) Die dargestellte Regelungslücke besteht aus europarechtlicherSicht zwar nur im Hinblick auf den im Verhältnis zu § 13 BGB engeren Verbraucherbegriff des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie. Die Ausfüllung der Lücke im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ist jedoch auf alle Konstellationen des Verbrauchsgüterkaufs und damit des Verbraucherbegriffs gemäß § 13 BGB zu erstrecken, weil insoweit der Einheitlichkeitswille des nationalen Gesetzgebers in Bezug auf den Verbraucherbegriff zu berücksichtigen ist (vgl. Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 27 mwN).
45
e) Die vom Senat für den Verbrauchsgüterkauf vorgenommene teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB führt schon deswegen nicht zudessen faktischer Derogation, weil die Regelung in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs hinsichtlich der relativen Unverhältnismäßigkeit anwendbar bleibt (aA Kaiser, aaO S. 986). Es bedarf deshalb hier ebenfalls keiner Erörterung, ob im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung auch die vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein kann (vgl. Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 29 mwN).
46
f) Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls nicht gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung.
47
Das Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) bedeutet in erster Linie Vertrauensschutz für den Bürger. Durfte die betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen des Vertragspartners und den Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, liegt ein Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vor (Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 33 mwN). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB sich im Rahmen vorhersehbarer Entwicklung hält. Eine uneingeschränkte Anwendung der Vorschrift konnte nicht als gesichert angesehen werden, weil ihre Richtlinienkonformität von zahlreichen Stimmen im Schrifttum zumindest problematisiert wurde (vgl. Bamberger/Roth/Faust, aaO Rn. 40 f.; Doehner, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund der Verbrauchsgüterkauf -Richtlinie, 2004, S. 242 ff.; Glöckner, JZ 2007, 652, 663; Kirsten, ZGS 2005, 66, 67 f.; Leible in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., Kap. 10 Rn. 89; Pfeiffer, ZGS 2002, 217, 218 f.; Staudinger/ Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, § 439 Rn. 41 f.;Thürmann, NJW 2006, 3457, 3460; Unberath, ZEuP 2005, 5, 19 ff.; Unberath/Cziupka, JZ 2009, 313, 315 f.).
48
7. Soweit der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juni 2006 (aaO Rn. 77) ausgeführt hat, der Verbraucher müsse in Fällen der Herabsetzung des Anspruchs auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten die Möglichkeit haben, eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder die Vertragsauflösung zu verlangen, da die Nacherfüllung für ihn infolge der Herabsetzung mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden ist, enthält das nationale Recht in § 440 Satz 1 3. Alt. BGB eine entsprechende Regelung. Danach bedarf es der für die Geltendmachung von Rücktritt (und Schadensersatz statt der Leistung) im Regelfall notwendigen Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist. Die Vorschrift, die über § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB auch auf die Minderung Anwendung findet, dient ausweislich der Materialien der Umsetzung des in Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 der Richtlinie erfassten Konstellation, dass eine Abhilfe mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den Verbraucher verbunden ist (BT-Drucks. 14/6040, S. 233).
49
8. Der - auf eine angemessene Höhe begrenzte - Anspruch des Klägers auf Erstattung der für den Ausbau der mangelhaften Fliesen entstehenden Kosten setzt entgegen der Ansicht der Revision auch nicht voraus, dass der Kläger den Austausch bereits vorgenommen hat und die Kosten schon entstanden sind. Der Kläger kann vielmehr den Anspruch bereits vor Durchführung des Ausbaus in Form eines abrechenbaren Vorschusses geltend machen (so auch Kaiser, aaO S. 984 f.). Dies ergibt sich aus dem in der Richtlinie enthaltenen Unentgeltlichkeitsgebot.
50
Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie stellt klar, dass sich der Begriff der Unentgeltlichkeit auf alle für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts notwendigen Kosten erstreckt, insbesondere auf Versand-, Arbeits - und Materialkosten. Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, soll den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen (EuGH, NJW 2008, 1433 Rn. 34 - Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände ). Der Verbraucher kann daher für Kosten, die ihm im Rahmen der Nacherfüllung entstehen, aber vom Verkäufer zu ersetzen sind, auch einen Vorschuss verlangen (Senatsurteil vom 13. April 2011 - VIII ZR 220/10, NJW 2011, 2278 Rn. 37, zum Abdruck in BGHZ vorgesehen).
51
9. Die von der Revision erhobene Rüge, das Berufungsgericht sei verfahrensfehlerhaft zu der Ansicht gelangt, den Kläger treffe mangels Erkennbarkeit der Mangelhaftigkeit der Fliesen vor deren Verlegung kein Mitverschulden bezüglich der Höhe der durch den Ausbau entstehenden Kosten, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 ZPO abgesehen.

III.

52
Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts, soweit die Revision eröffnet ist, keinen Bestand haben; es ist insoweit aufzuheben. Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil keine weiteren Feststellungen erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
53
1. Die Beklagte hat als Verkäuferin der mangelhaften Bodenfliesen das Recht, den Kläger hinsichtlich des allein noch in Rede stehenden Ausbaus der mangelhaften Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrags zu verweisen. Von diesem Leistungsverweigerungsrecht hat die Beklagte im Ergebnis Gebrauch gemacht. Sie hat in ihrem letzten Schriftsatz und auch in der mündlichen Revisionsverhandlung deutlich gemacht, dass sie den Ausbau der gelieferten Bodenfliesen davon abhängig macht, dass der Kläger ihr den die angemessenen Ausbaukosten übersteigenden Geldbetrag zuschießt oder jedenfalls eine verbindliche Erklärung über eine entsprechende Kostenbeteiligung abgibt. Ein solch umfassendes Leistungsverweigerungsrecht steht der Beklagten jedoch - wie oben ausgeführt (unter II 6 c aa) - nicht zu, weil es mit der Forderung des Gerichtshofs nicht in Einklang zu bringen ist, die Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers dürfe nicht dazu führen, dass die dem Verbraucher zustehenden Rechte in der Praxis ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, aaO Rn. 76). Das von der Beklagten geltend gemachte Leistungsverweigerungsrecht umfasst aber auch - sozusagen als Minus - die Erklärung, die Beklagte sei im Hinblick auf den hiermit verbundenen unangemessenen Kostenaufwand zu einem Ausbau der Bodenfliesen auf eigene Rechnung nicht bereit , sondern verweise den Kläger insoweit auf das Recht, die Erstattung eines angemessenen Kostenbetrags zu verlangen.
54
b) Die Bemessung dieses Betrags kann der Senat selbst vornehmen. Zwar obliegt in erster Linie dem Tatrichter die Beurteilung, welcher Betrag von einem Verkäufer geschuldet ist, wenn er den Käufer hinsichtlich der bei der Nacherfüllung anfallenden Aus- und Einbaukosten auf eine Kostenbeteiligung verweist. Da vorliegend jedoch weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen , kann der Senat den Anspruch des Klägers auf Erstattung der für den Ausbau und die Entsorgung der mangelhaften Bodenfliesen entstehenden Kosten abschließend bemessen. Der Anspruch ist auf insgesamt 600 € zu begrenzen. Dieser Betrag erscheint dem Senat unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit (optischer Mangel der Fliesen ohne Funktionsbeeinträchtigung ) und des Werts der mangelfreien Sache (circa 1.200 €) angemessen. Der Senat sieht davon ab, Grenz- oder Richtwerte für die Bestimmung der angemessenen Höhe einer Beteiligung des Verkäufers an den Aus- und Einbaukosten in Fällen der Ersatzlieferung zu entwickeln; die durch die Entscheidung des Gerichtshofs aufgedeckte Gesetzeslücke durch eine generelle Regelung zu schließen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
55
Entgegen der Auffassung der Revision ist der Betrag nicht deshalb weiter herabzusetzen, weil der Anspruch des Klägers auf Erstattung der für den Einbau der neuen Fliesen entstehenden Kosten vorliegend bereits rechtskräftig aberkannt wurde. Die Reduzierung der Gesamtkosten für den Aus- und Einbau auf eine angemessene Höhe hat nicht durch verhältnismäßige Herabsetzung der Ausbaukosten einerseits und der Einbaukosten andererseits zu erfolgen. Vielmehr geht es darum, die den Verkäufer treffende Pflicht, sich an den Ausund Einbaukosten zu beteiligen, im Ergebnis auf einen angemessenen Betrag zu reduzieren. Sind - wie vorliegend - Einbaukosten nicht geschuldet, stellt sich daher allein die Frage, inwieweit eine Beteiligung des Verkäufers an den Ausbaukosten der Höhe nach angemessen ist.
56
Da dem Kläger bereits rechtskräftig ein Betrag von 273,10 € - wenn auch unter dem nicht einschlägigen Gesichtspunkt der Minderung - zugesprochen worden ist, hat er Anspruch auf Zahlung weiterer 326,90 €.
57
Das dem Kläger wegen einer Herabsetzung des Ersatzes für Aus- und Einbaukosten zustehende Recht auf Rücktritt vom Kaufvertrag oder Minderung des Kaufpreises hat er nicht in Anspruch genommen.
58
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit das Berufungsgericht der Zahlungsklage über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag von 273,10 € hinaus in Höhe von mehr als weiteren 326,90 € - jeweils nebst Zinsen - stattge- geben hat. Die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil ist insoweit zurückzuweisen. Ball Dr. Milger Dr. Schneider Dr. Fetzer Dr. Bünger
Vorinstanzen:
LG Kassel, Entscheidung vom 24.11.2006 - 4 O 1248/06 -
OLG Frankfurt in Kassel, Entscheidung vom 14.02.2008 - 15 U 5/07 -

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt die Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung.

2

Der Kläger ist 1988 in Stuttgart geboren und war zuletzt im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Sein Vater besitzt die türkische, seine Mutter die kroatische Staatsangehörigkeit. Der Kläger erreichte nach mehrfachen Schulwechseln 2006 den Hauptschulabschluss. Danach bemühte er sich weder um einen Ausbildungsplatz noch um eine Arbeitsstelle, sondern lebte von finanziellen Zuwendungen seiner Eltern. Seit seinem 15. Lebensjahr konsumiert er regelmäßig Marihuana.

3

Durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 5. März 2008 wurde er wegen Mordes und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt; gleichzeitig wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Kläger hatte im August 2007 aus Eifersucht zusammen mit zwei von ihm angestifteten Mittätern den angeblichen Ex-Freund seiner Freundin auf besonders grausame Weise ermordet. Das Landgericht ging in seinem Urteil von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Klägers im Tatzeitpunkt aus. Für die Annahme einer akuten psychotischen Störung spreche, dass der Kläger nach der Tat wieder lachen konnte und wie befreit wirkte. Er habe keinerlei Reue gezeigt. Bei ihm lägen erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel vor, die in seiner leichten Erregbarkeit und Aggressivität zum Ausdruck kämen. Dem Führungsbericht vom Januar 2009 ist zu entnehmen, dass eine Auseinandersetzung mit der Straftat und deren Aufarbeitung bislang nicht stattgefunden hat; von einer Verantwortungsübernahme sei der Kläger noch weit entfernt.

4

Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Kläger mit Bescheid vom 25. Mai 2009 aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Die dagegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Zurückweisung der Berufung darauf gestützt, dass die Ausweisung mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht zu beanstanden sei. Bislang habe sich der Kläger nicht grundlegend mit der von ihm begangenen Tat und seiner gesamten Lebenssituation auseinander gesetzt. Beim ihm liege eine ausgeprägte therapiebedürftige Persönlichkeitsstörung vor; einer Therapie habe sich der Kläger aber bislang nicht geöffnet. Das komme auch in seiner in der mündlichen Verhandlung bestätigten Entscheidung zum Ausdruck, sich baldmöglichst in die Türkei abschieben lassen zu wollen. Daher gehe vom Kläger nach wie vor eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben anderer Mitmenschen aus.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger die Klage gegen die Ausweisung und Abschiebungsandrohung zurückgenommen. Er begehrt nur noch die Verpflichtung des Beklagten, die Wirkungen der Ausweisung auf sieben Jahre ab Ausreise zu befristen.

6

Der Beklagte erachtet wegen der unverändert hohen Gefahr, dass der Kläger erneut ein Gewalt- und Tötungsdelikt begeht, eine Frist von zwölf Jahren auch im Hinblick auf seine Bindungen an das Bundesgebiet für angemessen.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt. Er ist der Auffassung, die Wirkungen einer Ausweisung seien nur auf Antrag zu befristen. Eine generelle Verpflichtung, eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisung zu treffen, lasse sich weder der Rückführungsrichtlinie noch dem Aufenthaltsgesetz entnehmen.

Entscheidungsgründe

8

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; die angegriffenen Urteile sind gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in diesem Umfang für wirkungslos zu erklären. Im Übrigen hat die Revision des Klägers nur teilweise Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es keine Verpflichtungsentscheidung zur Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. enthält. Da das Berufungsgericht alle dafür notwendigen tatsächlichen Feststellungen im Zusammenhang mit der Ausweisung getroffen hat, kann der Senat - bezogen auf den Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

9

1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Befristungsbegehrens ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 16. April 2012 (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - Rn. 12 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.

10

2. Der Verpflichtungsantrag, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf sieben Jahre zu befristen, ist nur teilweise begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

11

2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 (BGBl I S. 2258) haben Ausländer - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 32 f.). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.). Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Dabei geht die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Die erforderlichen punktuellen gesetzlichen Anpassungen erfolgten innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17). Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, von Amts wegen mit einer Rückkehrentscheidung einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Das hat der Senat im Urteil vom 10. Juli 2012 (BVerwG 1 C 19.11 a.a.O. Rn. 30 ff.) näher dargelegt; darauf wird Bezug genommen.

12

Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen. Damit wird dem Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht. Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30 und vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39 f.).

13

2.2 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von zehn Jahren für angemessen.

14

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliegen, geht der Senat davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal 10 Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Leitet sich diese regelmäßige Höchstdauer für die Befristung von 10 Jahren aus dem Umstand ab, dass mit zunehmender Zeit die Fähigkeit zur Vorhersage zukünftiger persönlicher Entwicklungen abnimmt, bedeutet ihr Ablauf nicht, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

15

Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen. Fehlt - wie hier - die behördliche Befristungsentscheidung, ist sie vom Gericht durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 f.).

16

Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG enthaltene Fristgrenze von fünf Jahren ohne Bedeutung, da von dem Kläger im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Das ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die es zu den Ausweisungsvoraussetzungen getroffen hat. Wegen des hohen Gewichts der erheblich gefährdeten Rechtsgüter von Leib und Leben erachtet der Senat trotz der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von zehn Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in seiner Person Rechnung tragen zu können. Angesichts seines Alters, des sich durch äußerste Brutalität auszeichnenden (Nach-)Tatverhaltens, das eine erschreckende Gleichgültigkeit und Gefühlskälte offenbart, der fehlenden Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie des familiären Umfelds, das wenig stabilisierenden Einfluss verspricht, ist nicht zu erwarten, dass er die maßgebliche Gefahrenschwelle vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf einen Antrag des Klägers hin auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen haben wird, ob sich aus der Entwicklung des Klägers seit der Berufungsverhandlung am 16. April 2012 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

17

3. Die Frage, ob die Befristung der Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann auch im vorliegenden Fall offen bleiben (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45). Selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die Wirkungen der Ausweisung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung vor seiner Abschiebung aus dem Bundesgebiet durchzusetzen vermag, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

18

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung sowie die Abschiebungsandrohung gerichteten, im Revisionsverfahren zurückgenommenen Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Beklagte auch nach Inkrafttreten des § 11 AufenthG n.F. nicht über die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung entschieden hat und der Kläger mit seinem Antrag insoweit nur zu einem geringen Teil unterlegen ist, hat er 4/5 und der Beklagte 1/5 der Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Der Gemeinsame Senat entscheidet, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will.

(2) Sind nach den Gerichtsverfassungs- oder Verfahrensgesetzen der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate eines obersten Gerichtshofs anzurufen, so entscheidet der Gemeinsame Senat erst, wenn der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen wollen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 275/04 Verkündet am:
30. September 2005
Wilms,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Der Widerruf eines Prozessvergleichs kann wirksam sowohl dem Gericht als auch
der anderen Vergleichspartei gegenüber erklärt werden, wenn die Parteien keine
hiervon abweichende Vereinbarung getroffen haben; dies gilt jedenfalls für Prozessvergleiche
, die seit dem 1. Januar 2002 geschlossen wurden.
BGH, Urt. v. 30. September 2005 - V ZR 275/04 - OLG Naumburg
LG Halle
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. September 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den
Richter Dr. Klein, die Richterin Dr. Stresemann sowie die Richter Dr. Czub und
Dr. Roth

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 16. November 2004 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Parteien streiten um die prozessbeendigende Wirkung eines vor dem Landgericht im September 2003 geschlossenen Vergleichs, in dem es unter Nr. 4 heißt: „Den Parteien bleibt vorbehalten, den Vergleich bis zum 23. September 2003 zu widerrufen“. Mit bei dem Landgericht an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz hat das beklagte Land den Widerruf des Vergleichs erklärt. Eine beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin erst nach Ablauf der Widerrufsfrist zugestellt worden. Auf Antrag der Klägerin hat das Landgericht festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich beendet worden sei. Das Oberlandesgericht hat demgegenüber die Unwirksamkeit des Prozessvergleichs ausgesprochen. Hiergegen richtet sich die von dem Oberlandesgericht zugelassene Revision, mit der die Klägerin die Wie-
derherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt. Das beklagte Land beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat das beklagte Land den Vergleich durch die bei dem Landgericht innerhalb der Widerrufsfrist eingegangene Erklärung wirksam widerrufen. Unter Widerrufsvorbehalt geschlossene Prozessvergleiche seien - sofern die Parteien keine abweichende Vereinbarung getroffen hätten - sowohl dem Gericht als auch dem Vertragspartner gegenüber widerruflich. Der Prozessvergleich habe Doppelcharakter. Neben seinem materiellrechtlichen Inhalt komme ihm eine verfahrensbeendigende und titelschaffende Funktion zu, sodass er auch Prozesshandlung sei. Da prozessbeendigende Wirkung nur dem materiellrechtlich und prozessual wirksam zustande gekommenen Vergleich zukomme, liege ein wirksamer Widerruf auch dann vor, wenn die Prozesshandlung „Vergleich“ dem Gericht gegenüber widerrufen werde. Als Adressat der Widerrufserklärung komme das Gericht in Betracht, weil vor und gegenüber ihm prozessual gehandelt werde. Dies verdeutliche § 278 Abs. 6 ZPO, der die Möglichkeit biete, einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag (auch) durch Schriftsatz an das Gericht anzunehmen. Für die vergleichbare Vorschrift des § 106 Satz 2 VwGO gehe auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass bei Fehlen einer abweichenden Vereinbarung der Widerruf dem Gericht gegenüber zu erklären sei.

II.


Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das beklagte Land hat den Vergleich wirksam durch die dem Gericht gegenüber abgegebene Erklärung widerrufen. Dem Berufungsgericht ist darin beizutreten, dass der Widerruf eines Prozessvergleichs sowohl dem Gericht als auch der anderen Vergleichspartei gegenüber wirksam erklärt werden kann, wenn der Vergleich keine abweichende Vereinbarung über den Widerrufsadressaten enthält; dies gilt jedenfalls für Prozessvergleiche, die seit dem 1. Januar 2002 geschlossen wurden.
1. Für die Beantwortung der Frage, wem gegenüber der in einem Prozessvergleich vorbehaltene Widerruf zu erklären ist, kommt es vorrangig auf eine in dem Vergleich getroffene Bestimmung an (BGH, Urt. v. 15. Januar 1980, I ZR 60/78, NJW 1980, 1753, 1754; Urt. v. 22. Juni 2005, VIII ZR 214/04, Umdruck S. 7, zur Veröffentlichung bestimmt; BAG NJW 1998, 2844, 2845; BVerwGE 92, 29, 30). Eine Vereinbarung der Parteien über den Widerrufsadressaten hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Revision verweist auf keine Umstände, aus der sich eine ihr günstige Abrede im Sinne einer ausschließlichen Empfangszuständigkeit des Vergleichspartners ergeben könnte.
2. Umstritten ist, wem gegenüber der Widerruf eines Prozessvergleichs zu erklären ist, wenn die Parteien hierüber keine Regelung getroffen haben.

a) Im Anschuss an das Reichsgericht (RGZ 161, 253, 255) hat der Bundesgerichtshof in älteren Entscheidungen die Auffassung vertreten, der Vorbehalt des Widerrufs gehöre zum sachlich-rechtlichen Teil eines Prozessvergleichs, sodass bei Fehlen einer Vereinbarung über die Empfangszuständigkeit der Wi-
derruf als empfangsbedürftige Willenserklärung nach § 130 BGB wirksam nur dem Vergleichspartner gegenüber erklärt werden könne (BGH, Urt. v. 19. Januar 1955, IV ZR 160/54 – LM BGB § 130 BGB Nr. 2 S. 2; Urt. v. 20. Februar 1958, II ZR 257/56, ZZP 71, 454, 455; offen gelassen nunmehr vom VIII. Zivilsenat, vgl. Urt. v. 22. Juni 2005, VIII ZR 214/04, Umdruck S. 7, zur Veröffentlichung bestimmt); jedoch hat er eigens darauf hingewiesen, dass die Annahme einer Empfangszuständigkeit des Gerichts durch stillschweigende Vereinbarung möglich sei (BGH, Urt. v. 20. Februar 1958, aaO). Dieser Hinweis hat in der Praxis vielfach zu der Annahme derartiger stillschweigender Vereinbarungen geführt (etwa OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 255, 256; OLG Köln NJW 1990, 1369; OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 123; vgl. auch BGH, Urt. v. 22. Juni 2005, VIII ZR 214/04, Umdruck S. 7 ff.; BAG AP ZPO § 794 Nr. 1; BSGE 24, 4, 6). Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit bei der Bestimmung des Widerrufsadressaten hat die Kommentarliteratur zu der Empfehlung bewogen, der Widerruf möge vorsorglich dem Gegner und dem Gericht gegenüber erklärt werden (vgl. etwa Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 794 Rdn. 10a m.w.N.). Auch fehlt es nicht an Stimmen im Schrifttum, die einer Empfangszuständigkeit sowohl des Gerichts als auch des Gegners den Vorzug einräumen (so etwa Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 794 Rdn. 85 f. m.w.N.; MünchKomm-ZPO/Wolfsteiner, 2. Aufl., § 794 Rdn. 61; Wieczorek /Schütze/Paulus, ZPO, 3. Aufl., § 794 Rdn. 39).

b) Im Bereich des Verwaltungsprozessrechts hat sich ein Wechsel in der Rechtsprechung vollzogen. Hatte sich das Bundesverwaltungsgericht zunächst ebenfalls der Auffassung des Reichsgerichts angeschlossen (BVerwGE 10, 110, 111), steht es nunmehr auf dem Standpunkt, ein Prozessvergleich könne nur dem Gericht gegenüber wirksam widerrufen werden (BVerwGE 92, 29, 30 ff.). Von einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bun-
des hat das Bundesverwaltungsgericht – die Entscheidung stammt aus dem Jahr 1993 – mit der Erwägung abgesehen, die Zivilprozessordnung enthalte keine der Neufassung des § 106 VwGO vergleichbare Regelung und damit keine gesetzliche Grundlage für eine Empfangszuständigkeit des Gerichts (BVerwG NJW 1993, 2193, 2194 – insoweit in BVerwGE 92, 29 ff. nicht abgedruckt). Mit dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) ist die Zivilprozessordnung inzwischen nach dem Vorbild des § 106 Satz 2 VwGO durch Einfügung der Regelung des § 278 Abs. 6 ZPO umgestaltet worden (vgl. MünchKomm -ZPO/Prütting, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 278 Rdn. 37). Danach können Prozessvergleiche seit dem 1. Januar 2002 auch dadurch geschlossen werden , dass die Parteien einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag durch Schriftsatz annehmen, wobei die Annahme dem Gericht gegenüber zu erklären ist.
3. Vor diesem Hintergrund entscheidet der Senat dahin, dass der Widerruf, jedenfalls nach neuem Recht, wirksam sowohl dem Gericht als auch dem Vergleichspartner gegenüber erklärt werden kann, sofern die Parteien keine hiervon abweichende Vereinbarung getroffen haben. Das folgt nicht nur aus der Rechtsnatur des Prozessvergleichs, sondern zudem aus systematischen und teleologischen Erwägungen.

a) Der Prozessvergleich ist ein Vertrag, der eine Doppelnatur aufweist (BGHZ 16, 388, 390; 28, 171, 172; 41, 310, 311; 79, 71, 74; 80, 389, 392; 128, 320; 323; 142, 84, 88; BGH, Urt. v. 15. Januar 1980, I ZR 60/78, NJW 1980, 1753, 1754; Urt. v. 22. Juni 2005, VIII ZR 214/04, Umdruck S. 7, zur Veröffentlichung bestimmt). Er ist Prozesshandlung, weil er den Rechtsstreit beendet, und privatrechtliches Rechtsgeschäft, weil er sachlichrechtlich die Ansprüche und Verbindlichkeiten der Parteien regelt (vgl. BGH, Urt. v. 15. Januar 1980, I ZR 60/78, aaO; Urt. v. 16. November 1979, I ZR 3/78, NJW 1980, 1752, 1753). Je-
doch stehen Prozesshandlung und Rechtsgeschäft nicht getrennt nebeneinander. Vielmehr bildet der Prozessvergleich eine Einheit, die eine gegenseitige Abhängigkeit der prozessualen Wirkungen und der materiellrechtlichen Regelungen bewirkt (vgl. BGHZ 79, 71, 74 f.). Daher ist ein Prozessvergleich nur wirksam, wenn sowohl die materiellrechtlichen Voraussetzungen für einen Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind, die an eine wirksame Prozesshandlung zu stellen sind. Fehlt es auch nur an einer dieser Voraussetzungen , liegt ein wirksamer Prozessvergleich nicht vor; die prozessbeendigende Wirkung tritt nicht ein.
Auf dieser Grundlage erweist es sich zunächst als zutreffend, wenn der Vergleichspartner – bezogen auf die materiellrechtliche Komponente des Prozessvergleichs – als Adressat der Widerrufserklärung angesehen wird (§ 130 BGB). Nur ist damit nichts gegen eine Empfangszuständigkeit auch des Gerichts unter dem Blickwinkel des Widerrufs der bei Abschluss des Vergleichs ebenfalls abgegebenen – auf die Beendigung des Prozesses gerichteten – Prozesshandlung gewonnen. So wenig § 130 BGB von prozessrechtlichen Erwägungen überlagert wird, so wenig vermag die genannte Vorschrift des bürgerlichen Rechts die nach Prozessrecht bestehende Zuständigkeit des Gerichts zur Entgegennahme von Prozesshandlungen - einschließlich ihres Widerrufs - zu verdrängen (vgl. auch MünchKomm-ZPO/Wolfsteiner, 2. Aufl., § 794 ZPO Rdn. 61). Es widerspricht der Zuordnung des Prozessvergleichs zum materiellen und prozessualen Recht, bei der Bestimmung des Widerrufsadressaten die bei einem unter Widerrufsvorbehalt geschlossenen Vergleich gegebene Widerruflichkeit der Prozesshandlung auszublenden und nur das materielle Recht in den Blick zu nehmen (ähnlich Stein/ Jonas/Münzberg, aaO, Rdn. 86). Für den fristgerechten Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs folgt daraus, dass die dem Gericht gegenüber widerrufene Pro-
zesshandlung – als solche ist eine an das Gericht gerichtete Widerrufserklärung ohne weiteres zu verstehen – den Eintritt der prozessbeendigenden Wirkung des Vergleichs ebenso hindert wie der dem Vergleichspartner nach § 130 BGB erklärte Widerruf. Dies gilt jedenfalls, seit mit dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (aaO) die Möglichkeit des Abschlusses eines Prozessvergleiches bei Abwesenheit der Parteien eingeführt worden ist. Nach § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO kann ein Vergleich nunmehr auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien einen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz dem Gericht gegenüber annehmen. Dann aber entspricht es nicht nur der Rechtsnatur des Prozessvergleichs , sondern zudem der Systematik des Gesetzes, dass der Widerruf auch dem Gericht gegenüber erklärt werden kann. Zwar wird für einen Widerrufsvorbehalt in einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag nur selten Anlass bestehen. Das ändert aber nichts daran, dass die Neuregelung einen wesentlichen Anhalt für die Auslegung bietet.
bb) Gründe der Rechtssicherheit untermauern die vom Senat zugrunde gelegte Lösung. Die Frage, ob und mit welchem Inhalt eine stillschweigende Abrede über den Widerrufsadressaten anzunehmen ist, ist selbst für Rechtskundige nicht immer einfach und schon gar nicht zweifelsfrei zu beantworten. Angesichts der daraus resultierenden Unsicherheiten mag es anwaltlicher Vorsicht entsprechen, den Widerruf vorsorglich sowohl dem Gericht als auch dem Gegner zu erklären. Den Parteien – insbesondere den nicht durch einen Anwalt vertretenen – ein solches Vorgehen ansinnen zu wollen, überspannte jedoch die Anforderungen an dasjenige, was von einer auf Wahrung ihrer prozessualen Belange bedachten Partei zumutbarer Weise erwartet werden kann. Bei der Bestimmung des Widerrufsadressaten ist daher darauf Bedacht zu nehmen, dass auch eine nicht anwaltlich vertretene Partei ohne komplizierte rechtliche Überlegungen den Widerruf erreichen kann (so BAG AP ZPO § 794 Nr. 1). Auch das spricht dafür, eine
Empfangszuständigkeit für Widerrufserklärungen sowohl bei Gericht als auch bei der anderen Vergleichspartei zu bejahen. Schutzwürdige Belange des Widerrufsgegners werden dadurch nicht berührt. Dieser hat es in der Hand, auf die Vereinbarung einer bestimmten Empfangszuständigkeit zu drängen, wenn eine solche für ihn von besonderer Bedeutung ist. Sieht er hiervon ab, erweckt er in aller Regel den Eindruck der Gleichgültigkeit zu dieser Frage (Stein/Jonas/ Münzberg, aaO, Rdn. 86).
4. Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den Großen Senat nach § 132 Abs. 3 u. 4 GVG oder an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG liegen schon deshalb nicht vor, weil die eine ausschließliche Empfangszuständigkeit des Gegners bejahenden Entscheidungen (oben II.2.a.) sämtlich vor Umgestaltung der zivilprozessualen Vorschriften über den Prozessvergleich ergangen sind. Die maßgebende Rechtslage hat sich mit der Einfügung von § 278 Abs. 6 ZPO wesentlich geändert. Das schließt eine Verpflichtung zur Vorlage aus (vgl. BVerwG NJW 1993, 2193, 2194). Soweit der Senat entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht von einer ausschließlichen Empfangszuständigkeit des Gerichts ausgeht, scheitert eine Vorlageverpflichtung am Fehlen einer entscheidungserheblichen Divergenz (vgl. GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 356 f.; Senat, BGHZ 158, 295, 310).
Krüger Klein Stresemann Czub Roth
7
a) Bei einer beabsichtigten Abschiebung sind die Vollstreckungsvoraussetzungen darzulegen (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG), wozu nach § 59 AufenthG die Abschiebungsandrohung gehört. Fehlt es an einer für die Vollstreckung erforderlichen Voraussetzung, darf auch eine kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) vollziehbare Ausreisepflicht nicht ohne weiteres mit einer Abschiebung durchgesetzt werden. Das hat der Senat bereits für § 59 AufenthG aF entschieden (Senat, Beschluss vom 30. Juli 2012 - V ZB 245/11, juris Rn. 9). Für die am 26. November 2011 in Kraft getretene Neufassung der Vorschrift gilt nichts anderes. Zu der Neuregelung hat sich der Gesetzgeber mit Blick auf die Richtlinie 2008/115/EG (im Folgenden: Rückführungsrichtlinie) veranlasst gesehen, die in Art. 6 eine „Rückkehrentscheidung“ verlangt. Dass diese in Fällen, in denen die Ausreisepflicht nicht bereits durch Verwaltungsakt statuiert worden ist, durch die Androhung der Abschiebung begründet werden soll, geht aus den Gesetzesmaterialien klar hervor (BT-Drucks. 17/5470, S. 24; vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2012, § 59 AufenthG Rn. 2a). Ausführungen zu einer Abschiebungsandrohung enthält der Haftantrag nicht; es werden auch keine Ausnahmetatbestände nach § 59 Abs. 1 Satz 3 AufenthG dargelegt.
23
aa) Richtig ist zwar der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass für Entscheidungen, ob Zurückschiebungen von Asylsuchenden durch Grenzbehörden (§ 18 Abs. 3 AsylVfG) oder Ausländerbehörden (§ 19 Abs. 3 AsylVfG) oder Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes (§ 34a AsylVfG) rechtmäßig sind und ob von den Betroffenen wegen der durch einen sofortigen Vollzug drohenden Nachteile vorläufiger Rechtsschutz beansprucht und nach den Umständen gewährt werden kann, die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Der Haftrichter ist nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu befinden (BGHZ 78, 145, 147; Senat, BGHZ 98, 109, 112).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

8
Das Beschwerdegericht hat nicht berücksichtigt, dass es dem Haftrichter bei der nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG erforderlichen Prognose, ob eine Ab- schiebung in den kommenden drei Monaten durchführbar erscheint, in Bezug auf mögliche Abschiebungshindernisse verwehrt ist, nur auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu verweisen. Zwar ist die Entscheidung, ob die Abschiebung des Betroffenen zu Recht betrieben wird, den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungsund den Zivilgerichten darf sich aber nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken und einen effektiven Rechtsschutz verhindern. Ist über die Fortdauer der Abschiebungshaft eines Ausländers zu entscheiden, der - wie hier der Betroffene vor Erlass der Beschwerdeentscheidung - zur Verhinderung der Abschiebung einstweiligen Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten beantragt hat, setzt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG voraus, dass der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklärt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 24).

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.