Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 22. Feb. 2017 - 11 S 447/17
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 3. Februar 2017 - 10 K 7668/16 - geändert, soweit er die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz ablehnt.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Antragsteller bis zum 15. März 2017 auszusetzen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
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Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 22. Feb. 2017 - 11 S 447/17
Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 22. Feb. 2017 - 11 S 447/17
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 22. Feb. 2017 - 11 S 447/17 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 4. Oktober 2007 - 5 K 2874/07 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig zu unterlassen, solange er kein (amts-)ärztliches Gutachten darüber eingeholt hat, ob auf Grund einer Abschiebung des Antragstellers die Gefahr besteht, dass sich sein Gesundheitszustand infolge ernsthafter suizidaler Handlungen wesentlich verschlechtert, und mit welchen Vorkehrungen eine solche Gefahr abgewendet oder gemindert werden kann.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt
Gründe
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Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 1. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Die Antragstellerin, eine ghanaische Staatsangehörige, begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der ihre Abschiebung bis zur Hauptsache-Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgesetzt werden soll. Sie macht geltend, angesichts ihrer zahlreichen Krankheiten auf physischem und psychischem Gebiet sei ihre Ausreise aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unmöglich. Im Fall einer Abschiebung bestehe eine konkrete akute Suizidgefahr.
- 2
Die Antragstellerin leidet u.a. an erheblichen urologischen Beschwerden und an einer starken Gehbehinderung infolge eines Mitte 2009 erlittenen Verkehrsunfalls. Ferner besteht ausweislich von Attesten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie eine deutliche paranoide Symptomatik mit akustischen Halluzinationen; die Antragstellerin werde von Stimmen zum Suizid aufgefordert.
- 3
Ein Asylantrag der im Jahr 2007 eingereisten Antragstellerin blieb ohne Erfolg, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse infolge der Erkrankungen wurden im Ergebnis verneint. Eine von der Antragsgegnerin veranlasste Untersuchung der Antragstellerin auf Flugreisefähigkeit, durchgeführt von einer Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Flugmedizin, kam im Juli 2014 zum Ergebnis, dass die Antragstellerin bei Einsatz von Rollstühlen als Transporthilfsmittel flugreisefähig sei; bei einer früheren Untersuchung auf Reisefähigkeit durch dieselbe Ärztin habe "eine Psychose … nicht nachvollzogen werden" können. Gegen die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG läuft derzeit das Widerspruchsverfahren. Die Antragsgegnerin beabsichtigte, die Antragstellerin am 2. Oktober 2014 auf dem Luftweg nach Ghana abzuschieben und hatte zu diesem Zweck einen Flug gebucht.
- 4
Mit Beschluss vom 1. Oktober 2014 untersagte das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung, die Antragstellerin abzuschieben, bevor nicht durch amts- oder fachärztliches Gutachten bestätigt worden ist, dass aufgrund der Abschiebung nicht die Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin infolge ernsthafter suizidaler Handlungen wesentlich verschlechtert. Die hinreichend substantiierten Ausführungen des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Y... gäben ausreichende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer weitergehenden Untersuchung.
- 5
Mit ihrer Beschwerde trägt die Antragsgegnerin vor, das Verwaltungsgericht habe sie zu Unrecht für verpflichtet gehalten, ein Gutachten einzuholen. Die Suizidgefahr bei der Antragstellerin werde nicht in Abrede gestellt. Die Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts verlange nur, dass die Antragsgegnerin alles zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren Erforderliche und Zumutbare unternehme; zu weiterer Vorsorge sei sie nicht verpflichtet. Sie sichere zu, dass bei einer erneut geplanten Abschiebung eine suizidale Gefährdung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Abschiebung dadurch ausgeschlossen werden könne, dass die Antragstellerin während der Abschiebung ärztlich begleitet und im Zielland in ärztliche Betreuung übergeben werde.
- 6
Die Antragstellerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Ihre Suizidgefahr sei unabhängig von der Abschiebungsandrohung Folge der seit langem bestehenden Krankheit. Es reiche nicht aus, die Suizidgefahr bei der Abschiebung zu verhindern; es müsse auch verhindert werden, dass es aufgrund der Abschiebung zu einem Suizid komme.
II.
- 7
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.
- 8
1. Die rechtzeitig eingelegte und begründete Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, auch wenn ein von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO geforderter bestimmter Antrag nicht förmlich gestellt wurde. Es ist nicht zwingend erforderlich, einen Beschwerdeantrag ausdrücklich zu stellen; es reicht für die Erfüllung des Antragserfordernisses aus, wenn sich das Ziel der Beschwerde hinreichend deutlich aus ihrer Begründung ergibt (vgl. Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 146 Rn. 68 f. m.w.N.). Das ist hier der Fall. Zwar deutet der erste Teil der Beschwerdebegründung zunächst darauf hin, dass sich die Antragsgegnerin – anders als gegen die vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung, die Antragstellerin zunächst untersuchen zu lassen – nicht gegen eine Verpflichtung wehren würde, die Antragstellerin in ärztlicher Begleitung abzuschieben. Da sie aber anschließend zusichert, im Fall einer erneut geplanten Abschiebung durch ärztliche Begleitung während der Abschiebung und Übergabe in ärztliche Betreuung im Zielland dafür Sorge zu tragen, dass eine suizidale Gefährdung der Antragstellerin im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Abschiebung ausgeschlossen werden könne, wird erkennbar, dass die Beschwerde auf die vollständige Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zielt.
- 9
2. Die Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts untersagt der Antragsgegnerin, die Antragstellerin abzuschieben, bevor ein amts- oder fachärztliches Gutachten eingeholt ist "zur Bestätigung, dass aufgrund der Abschiebung nicht die Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin infolge ernsthafter suizidaler Handlungen wesentlich verschlechtert". Das Attest von Dr. Y... vom 19. September 2014 sei in Zusammenschau mit dem vorangegangenen Attest vom 15. Mai 2014 hinreichend substantiiert, um Anlass für die als erforderlich angesehene fach- oder amtsärztliche Untersuchung zu geben.
- 10
a) Die Antragsgegnerin hält eine solche Verpflichtung für unzulässig, da sie nach der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts nur gehalten sei, im Falle einer Abschiebung alles zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren Erforderliche und Zumutbare zu unternehmen; hier sei dies die ärztliche Begleitung der Antragstellerin während der Abschiebung und ihre Übergabe in ärztliche Betreuung im Zielland. Zu weiterer Vorsorge sei sie nicht verpflichtet.
- 11
Dieses Vorbringen ist für sich genommen hier schon deshalb nicht geeignet, den Beschluss des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, da die Antragsgegnerin vorprozessual jedenfalls eine erhebliche psychische Erkrankung der Antragstellerin ausdrücklich verneint hatte (vgl. die Einschätzung von Frau Dr. D... vom 8. Januar 2013; Ausl.-Akte S. 295; Bescheid vom 29. Juli 2014, S. 2 oben) und in der Stellungnahme zum Eilantrag (wenn auch vor Kenntnis der Antragsbegründung) gegenüber dem Verwaltungsgericht nur von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen sprach, die aber wegen des negativen Bundesamtsbescheides nicht zu prüfen seien. Bei dieser Sachlage wäre eine gerichtliche Anordnung, die Antragstellerin bei einer Abschiebung ärztlich begleiten zu lassen und im Zielstaat in ärztliche Obhut zu übergeben, für die Antragsgegnerin belastender gewesen und für den Fall, dass die Antragstellerin nach fachärztlicher Einschätzung auch ohne solche Vorkehrungen als reisefähig eingestuft würde, auch nicht gerechtfertigt.
- 12
b) Allerdings stellt die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung die Suizidgefahr der Antragstellerin ausdrücklich nicht (mehr) in Frage und sichert für den Fall einer Abschiebung eine ärztliche Begleitung der Antragstellerin während der Abschiebung und die Übergabe in ärztliche Betreuung im Zielland zu. Auch dies rechtfertigt hier nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben.
- 13
Die in der Beschwerdebegründung erklärte Anerkennung der bei der Antragstellerin bestehenden Suizidgefahr und die darin gegebene Zusicherung sind allerdings als neue Umstände berücksichtigungsfähig, da sie innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingetreten bzw. erklärt worden sind (vgl. Guckelberger in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 146 Rn. 81 ff.). Die Zusicherung einer begleiteten Abschiebung einschließlich der Übergabe in ärztliche Behandlung im Zielland reicht im vorliegenden Fall jedoch nicht aus, das mögliche Spektrum eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses abzudecken; nur auf ein solches kann sich die Antragstellerin wegen der Bindungswirkung der negativen Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (§ 42 Satz 1 AsylVfG) gegenüber der Antragsgegnerin berufen.
- 14
aa) Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung kann im Hinblick auf die gesundheitliche Situation eines ausreisepflichtigen Ausländers dann bestehen, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Auch eine konkrete, ernstliche Suizidgefährdung mit Krankheitswert kann zu einem solchen Abschiebungshindernis führen. Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 6.2.2008, 11 S 2439/07, InfAuslR 2008, 213, 214 = juris, Rn. 7 f. m.w.N.; OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.6.2011, 2 M 38/11, InfAuslR 2011, 390 f. = juris Rn. 5).
- 15
bb) Die Vorkehrungen, die die Antragsgegnerin für den Fall einer erneut beabsichtigten Abschiebung der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung zugesagt hat (vgl. zur Forderung nach Konkretisierung der vorgesehenen Maßnahmen OVG Münster, Beschl. v. 15.10.2010, 18 A 2088/10, juris Rn. 8), sind jedoch allenfalls geeignet, einen Suizid während des Transports und unmittelbar daran anschließend zu verhüten. Ob sogar hierfür zunächst eine fachärztliche Begutachtung erforderlich wäre, etwa weil erst aufgrund einer solchen Begutachtung sachgerecht beurteilt werden könne, welche Vorkehrungen auch für den Transport und die Sicherstellung der Anschlussversorgung geeignet sind (so VGH Mannheim, Beschl. v. 6.2.2008, a.a.O., S. 216 = juris Rn. 13; ähnlich OVG Münster, Beschl. v. 9.5.2007, 19 B 352/07, NVwZ-RR 2008, 284 = juris Rn. 7; VGH München, Beschl. v. 23.10.2007, 24 CE 07.484, juris Rn. 21; OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.6.2011, a.a.O., S. 392 = juris Rn. 5 a.E.), mag zweifelhaft sein; in der Rechtsprechung des Beschwerdegerichts wurde, soweit ersichtlich, eine solche Forderung bislang kaum einmal erhoben (angedeutet in OVG Hamburg, Beschl. v. 3.4.2003, 2 Bs 39/03).
- 16
Dies bedarf hier aber keiner Entscheidung, da die vom Verwaltungsgericht als erforderlich angesehene amts- oder fachärztliche Begutachtung der Antragstellerin trotz der von der Antragsgegnerin zugesagten Maßnahmen jedenfalls zu dem Zweck erforderlich ist herauszufinden, ob eine akute Suizidgefahr im Zeitraum zwischen der Ankündigung der Abschiebung und deren Durchführung besteht und ob bzw. wie dieser ggf. wirksam begegnet werden kann. Denn die Ausländerbehörde, die die Abschiebung eines Ausländers beabsichtigt, hat auch darauf zu achten, dass sich die krankheitsbedingte Suizidgefahr nicht in dem Zeitraum zwischen der Ankündigung und der Durchführung der Abschiebung realisiert (OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.6.2011, a.a.O.; OVG Münster, Beschl. v. 15.10. 2010, a.a.O., Rn. 8; VGH Mannheim, Beschl. v. 6.2.2008, a.a.O., S. 216 = juris Rn. 13).
- 17
cc) Zu einer solchen amts- oder fachärztlichen Abklärung besteht, worauf das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf den Beschluss des VGH Mannheim vom 6. Februar 2008 (a.a.O.) zutreffend hinweist, dann Anlass, wenn substantiiert vorgetragene oder sonst bekannt gewordene Anhaltspunkte für eine Suizidgefahr infolge einer psychischen Erkrankung vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat solche Anhaltspunkte den Attesten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Y... vom 15. Mai und 19. September 2014 entnommen. Dem ist die Antragsgegnerin, die die darin attestierte Suizidgefahr ausdrücklich nicht in Frage stellt, nicht entgegen getreten. Das Beschwerdegericht sieht daher im Grundsatz keinen Anlass, in eine Prüfung einzutreten, ob der Bewertung der Atteste durch das Verwaltungsgericht zu folgen ist. Da das Attest vom 19. September 2014 auch davon spricht, dass eine Abschiebung das Leben der Antragstellerin akut in Gefahr bringe, weil von ihr gehörte Stimmen sie zum Suizid aufforderten, kann nicht schon aufgrund des Attests die Realisierung eines Suizids in dem Zeitraum zwischen der Ankündigung und der Durchführung einer Abschiebung ausgeschlossen werden. Die erst nach Erstellung des letzten Attests gegebene Zusage der Antragsgegnerin, die Antragstellerin nur in ärztlicher Begleitung abzuschieben und sie im Zielland in ärztliche Obhut zu übergeben, reicht somit nicht aus, den möglichen Risiken effektiv entgegenzuwirken.
- 18
dd) Soweit die Antragsgegnerin unter Hinweis auf den Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Januar 2007 (3 Bs 47/05, juris) geltend macht, "nach der gängigen hamburgischen Rechtsprechung" sei bei Suizidgefahr nur geboten, "dass die Antragsgegnerin im Fall der Abschiebung alles zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren Erforderliche und Zumutbare unternimmt," zu weiterer Vorsorge sei sie nicht verpflichtet, so vermag auch das ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. So soll die Untersuchung der Antragstellerin gerade erst klären, ob bei der Antragstellerin aufgrund der Abschiebung die Gefahr der wesentlichen Verschlechterung der Gesundheit infolge ernsthafter suizidaler Handlungen besteht. Wenn das nicht der Fall sein sollte oder durch zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann, sind (ggf. weitere) Maßnahmen seitens der Antragsgegnerin nicht erforderlich.
- 19
Auch kann der Rechtsprechung des Beschwerdegerichts nicht entnommen werden, im Fall einer krankheitsbedingten Suizidgefahr sei es stets ausreichend, den Ausländer in ärztlicher Begleitung abzuschieben und ihm im Zielland, ggf. versorgt mit einem Medikamentenvorrat für einige Monate, in ärztliche Obhut zu übergeben. Zwar finden sich verschiedentlich Formulierungen in Beschlüssen, die in diese Richtung gedeutet werden können, doch wird darin häufig schon die Glaubhaftigkeit oder Plausibilität der geltend gemachten Erkrankung einschließlich daraus resultierender Suizidgefahr verneint. Häufig werden in den Beschlüssen auch nur die Transportfähigkeit sowie die Sicherstellung einer Anschlussversorgung thematisiert und durch die auch im vorliegenden Fall zugesagten Rahmenbedingungen einer Abschiebung als gesichert angesehen. Das zeigt z.B. die Formulierung (OVG Hamburg, Beschl. v. 27.6.2003, 3 Bs 421/02):
- 20
"Durch diese Maßnahmen wird einer etwaigen Gefahr, dass sich die Antragstellerin aus einem spontanen Affekt heraus oder als Mittel, die Abschiebung im letzten Moment doch noch zu verhindern, etwas antut, … wirksam begegnet. Wenn die Antragstellerin im Heimatland in ärztliche Obhut übergeben und dort – soweit geboten – ärztlich behandelt wird, erhält sie den durch ärztliche Hilfe erreichbaren Schutz vor Selbsttötung. Dadurch wird einer etwaigen Gefahr, dass die Antragstellerin nach einer gewissen Zeit ihre Lage im Heimatland als völlig aussichtslos empfindet und ihrem Leben ein Ende setzt, in hinreichendem Maße vorgebeugt."
- 21
In der von der Antragsgegnerin erwähnten Entscheidung (OVG Hamburg, Beschl. v. 3.1.2007, 3 Bs 47/05, juris Rn. 11), in der es nicht um die Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung, sondern um die Sicherung des Aufenthalts bis zur Hauptsache-Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ging, verneinte das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf die geltend gemachte Suizidgefahr im Fall einer Abschiebung die Erforderlichkeit eines weiteren Aufenthalts im Sinn von § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG; diesem Umstand könne ggf. durch Aussetzung der Abschiebung oder durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung begegnet werden. Bei bestehender Suizidgefahr sei es "regelmäßig" ausreichend, wenn sichergestellt sei, dass die gesamte Abschiebung unter ärztlicher Kontrolle bzw. Begleitung erfolge und der Ausländer in seinem Heimatland in fachärztliche Obhut gelange.
- 22
In der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts finden sich aber auch Fälle, in denen anerkannt wurde, dass aufgrund der Schwere der (psychischen) Erkrankung eine Reisefähigkeit auch in ärztlicher Begleitung nicht gegeben sein kann (vgl. Beschl. v. 21.8.2006, 3 Bf 118/03; Beschl. v. 6.9.2009, 3 Bf 182/09; Beschl. v. 12.1.2011, 4 Bs 284/10). In einem Beschluss vom 3. April 2003 (2 Bs 39/03) wurde konzediert, dass eine Aussetzung der Abschiebung dann nicht geboten sei, wenn sich Gefahren für Leben und Gesundheit durch Vorkehrungen bei der tatsächlichen Gestaltung der Abschiebung wirksam abwenden ließen; ob und ggf. auf welche Weise dies bei der dortigen Antragstellerin der Fall sei, könne indes ohne Zuziehung ärztlicher Fachkunde nicht beurteilt werden. Schließlich liegen Entscheidungen mit Fallgestaltungen vor, in denen die Antragsgegnerin zur Verhinderung eines Suizids zeitlich weit vor dem eigentlichen Abschiebungsvorgang einsetzende umfangreiche Maßnahmen ergriffen hatte (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 11.10.2012, 4 Bs 219/12; Beschl. v. 9.9.2005, 1 Bs 276/05).
III.
- 23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 4. Oktober 2007 - 5 K 2874/07 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig zu unterlassen, solange er kein (amts-)ärztliches Gutachten darüber eingeholt hat, ob auf Grund einer Abschiebung des Antragstellers die Gefahr besteht, dass sich sein Gesundheitszustand infolge ernsthafter suizidaler Handlungen wesentlich verschlechtert, und mit welchen Vorkehrungen eine solche Gefahr abgewendet oder gemindert werden kann.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt
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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 16. Februar 2016 – 4 B 51/16 – MD geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Antragstellerin vorläufig zu unterlassen, solange die Antragsgegnerin kein (fach-)ärztliches Gutachten darüber eingeholt hat, ob auf Grund einer Abschiebung der Antragstellerin die Gefahr besteht, dass sich ihr Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert oder suizidale Handlungen drohen, und mit welchen Vorkehrungen eine solche Gefahr abgewendet oder gemindert werden kann.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € (zweitausendfünfhundert EURO) festgesetzt.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin C., B-Stadt, bewilligt.
Gründe
I.
- 1
Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis 3 Monate nach Rechtskraft einer Entscheidung im asylrechtlichen Klageverfahren (4 A 281/15) von einer Abschiebung der Antragstellerin abzusehen. Es hat angenommen, das Rechtsschutzziel der Antragstellerin bestehe darin, eine Abschiebung zu verhindern, bis über die aufgrund der vorgetragenen psychischen Erkrankung bestehenden Abschiebungshindernisse entschieden sei. Dieses Ziel werde am effektivsten durch eine Aussetzung der Abschiebung bis 3 Monate nach einer rechtskräftigen Entscheidung im Asylverfahren erreicht. Die Antragstellerin habe ein rechtliches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis glaubhaft gemacht. Die bei der Antragsgegnerin beschäftigte Amtsärztin schließe suizidale Handlungen im Zusammenhang mit der Rückführung nach Mazedonien nicht aus. Sie halte aktuelle Schübe der Depression für möglich und schätze ein, dass es zu "Verhaltensauffälligkeiten" wegen der Rückführung kommen könne. Die Amtsärztin habe es zudem in ihren Stellungnahmen mehrfach abgelehnt, die amtsärztliche Verantwortung zu übernehmen. Sie weise ferner darauf hin, dass während der Rückführung Sanitäter anwesend und danach die psychiatrische Behandlung "dringend sichergestellt" sein müsse. Sie gehe zwar von einer generellen Reisefähigkeit aus, Belege dafür benenne sie aber nicht, sondern führe nur Tatsachen an, die gegen eine Reisefähigkeit sprächen. Insbesondere der Hinweis auf die Notwendigkeit einer psychiatrischen Betreuung unmittelbar nach Rückkehr spreche für ein Abschiebungshindernis. Auch wenn der Flug noch von einem Sanitäter begleitet werden könne, seien Vorkehrungen für die Sicherheit der Antragstellerin unmittelbar nach der Ankunft nicht ersichtlich und wegen der bisher attestierten Unwirksamkeit der Medikamente auch nur schwer vorstellbar, so dass die bloße Mitgabe von Medikamenten nicht ausreichen werde. Zudem liege die Einschätzung über die generelle Reisefähigkeit bereits ein Jahr zurück und sei von der Amtsärztin so nicht wiederholt worden. Deshalb sei zumindest offen, ob durch die Abschiebung die nach den vorliegenden übereinstimmenden ärztlichen Stellungnahmen bestehende mittelschwere Depression sich wesentlich verschlimmern werde und aufgrund dessen eine erhebliche Selbsttötungsgefahr bei der Abschiebung bestehe. Es bestehe daher für die Antragsgegnerin Anlass zu weiterer Sachaufklärung. Die Antragstellerin sei dabei zur Mitwirkung verpflichtet.
II.
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A. Die Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt im Wesentlichen ohne Erfolg.
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Die von ihr dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung nur hinsichtlich der Dauer der Sicherungsanordnung. Die Antragsgegnerin rügt hingegen ohne Erfolg, dass die Antragstellerin kein rechtliches Abschiebungshindernis in Gestalt einer Reiseunfähigkeit und damit auch keinen Anordnungsanspruch nach § 123 VwGO glaubhaft gemacht habe.
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 01.12.2014 – 2 M 119/14 –, juris, RdNr. 7, m.w.N.) kann eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des "Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht. Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
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2. Es entspricht ferner der bisherigen Rechtsprechung des Senats (a.a.O., RdNr. 8, unter Bezugnahme auf VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, InfAuslR 2008, 213 [214], RdNr. 9), dass die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde, wenn ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend macht oder sich sonst konkrete Hinweise darauf ergeben, verpflichtet ist, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte.
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Die Antragsgegnerin vermag hiergegen nicht mit dem Einwand durchzudringen, es sei nicht Aufgabe der Ausländerbehörde, das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen darzulegen und zu beweisen, vielmehr obliege es gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO dem Ausländer, eine geltend gemachte Reiseunfähigkeit glaubhaft zu machen. Ungeachtet der durch § 123 Abs. 3 VwGO begründeten entsprechenden Geltung des § 920 Abs. 2 ZPO gilt auch im einstweiligen Anordnungsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123 RdNr. 95, m.w.N.). Art. 19 Abs. 4 GG garantiert über das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, hinaus die Effektivität des Rechtsschutzes; das gilt auch für den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz gemäß § 123 VwGO. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist – erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs – einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen. Je schwerer die sich aus der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen, je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtspositionen zurückgestellt werden. Entscheidend ist, dass die Prüfung eingehend genug ist, um den Antragsteller vor erheblichen und unzumutbaren, anders weder abwendbaren noch reparablen Nachteilen effektiv zu schützen (zum Ganzen: BVerfG, Beschl. v. 11.07.2014 – 2 BvR 1006/14 –, NVwZ 2014, 1572, RdNr. 9; Beschl. v. 12.09.2011 – 2 BvR 1206/11 –, NJW 2011, 3706 [3707 f.], RdNr. 15, m.w.N.). Da bei der Frage der Reisefähigkeit das Grundrecht des Betroffenen auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) tangiert wird und sich die möglichen Folgen, die bei einer trotz Reiseunfähigkeit durchgeführten Abschiebung entstehen, häufig nicht oder nur schwer rückgängig machen lassen, ist der Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht erst dann geboten, wenn die Reiseunfähigkeit des Ausländers positiv feststeht, sondern bereits dann, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Ausländer wegen einer (psychischen) Erkrankung nicht reisefähig ist.
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Der Amtsermittlungsgrundsatz trifft zwar im gerichtlichen Verfahren gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO in erster Linie das Gericht, es kann aber die Beteiligten dabei heranziehen. Ferner lässt § 86 VwGO die für das Verwaltungsverfahren geltende Amtsermittlungspflicht der Behörde nach § 24 VwVfG unberührt. Zwar ist die Behörde in aller Regel nicht mehr verpflichtet, sondern nur befugt, parallel zum Gerichtsverfahren weitere Ermittlungen anzustellen, da die Pflicht nach § 24 VwVfG mit dem Verwaltungsverfahren endet (vgl. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 24 RdNr. 60). Von einem beendeten Verwaltungsverfahren kann aber nicht die Rede sein, solange die Ausländerbehörde – wie hier – über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Abschiebung noch nicht entschieden hat. Zudem kann das Gericht verpflichtet sein, wegen der Eilbedürftigkeit des Falls von weiteren eigenen Ermittlungen abzusehen (vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 123 RdNr. 92). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn – wie hier – eine Abschiebung bevorsteht und eine Aufklärung des Sachverhalts bis dahin nicht möglich ist.
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Ohne Erfolg wendet die Antragsgegnerin weiter ein, das Verwaltungsgericht lege ihr eine unerfüllbare Ermittlungspflicht auf. Sie muss die Reisefähigkeit der Antragstellerin nicht selbst feststellen, sondern kann, wenn die bei ihr tätige Amtsärztin nicht in der Lage sein sollte, eine zuverlässige Aussage über die Reisefähigkeit der Antragstellerin zu treffen, gemäß § 26 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA einen Facharzt als Sachverständigen heranziehen.
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3. In Anwendung der oben dargelegten Grundsätze hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin Tatsachen glaubhaft gemacht hat, die zwar eine Reiseunfähigkeit der Antragstellerin wegen der in Rede stehenden psychischen Erkrankung nicht belegen, die aber erhebliche Zweifel an der Reisefähigkeit begründen, so dass insoweit weiterer Aufklärungsbedarf besteht.
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Die Antragstellerin wurde am 29.09.2014 im (…)-Krankenhaus A-Stadt – Gesundheitszentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik – stationär behandelt.
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Nach der psychologischen Kurzstellungnahme einer Psychologin und einer Traumapädagogin der (…) GmbH vom 10.12.2014 war die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt dringend behandlungsbedürftig. Im Hinblick auf die beobachtbaren Symptome könne von einer schweren Depression mit psychotischen Symptomen ausgegangen werden. Weiterhin gebe es deutliche Hinweise, die auf eine posttraumatische Belastungsstörung hinweisen. Aus psychologischer Sicht wäre die Rückkehr ins Heimatland mit einer ernsthaften gesundheitlichen Gefährdung verbunden, weil der Abbruch der laufenden psychotherapeutischen Behandlung eine Destabilisierung der Klientin nach sich ziehen und die Konfrontation mit dem Umfeld der Trauma auslösenden Ereignisse die Genesung unmöglich machen würde.
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Nach dem Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. Z. vom 15.01.2016 befindet sich die Antragstellerin wegen einer mittelschweren Depression in seiner Behandlung. Sie sei auf Medikamente eingestellt und besuche außerdem eine Psychotherapie. Die Behandlung sei noch nicht abgeschlossen.
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Nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 16.01.2015 leidet die Antragstellerin an einer Depression, die nach eigenen Angaben im Heimatland nicht behandelt worden sei. Weiterhin sei dem Attest des behandelnden Arztes zu entnehmen, dass der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe. Aus amtsärztlicher Sicht bestehe generell eine Reisefähigkeit. Die Begleitung während der Reise durch einen Sanitäter sei jedoch erforderlich, da durch die emotionale Belastung im Zusammenhang mit der Rückführung ins Heimatland suizidale Handlungen nicht auszuschließen seien. Amtsärztlich werde keine Verantwortung übernommen. Im Heimatland sei die Fortführung der fachärztlichen psychiatrischen Behandlung und der medikamentösen Therapie sicherzustellen.
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Der Bericht der Amtsärztin vom 12.11.2015 enthält die Diagnose "Vd. Posttraumatische Belastungsstörung, Angststörung, Depression mit psychotischen Symptomen" und eine Aussage zum Schweregrad der Erkrankung (mittelgradige Episode). Die Amtsärztin führt in diesem Bericht einerseits aus, dass ein Flug in Begleitung möglich sei. Andererseits gibt sie an, die Antragstellerin sei so ungeeignet, dass sie andere Reisende in Gefahr bringen könne, weil ein akuter Schub der Depression nicht auszuschließen und Panikattacken möglich seien, und insoweit wegen möglicher Verhaltensauffälligkeiten amtsärztlich keine Verantwortung übernommen werde. Die Frage, ob die Antragstellerin auf dem Boden am Flughafen oder im Flugzeug Medikamente benötigt, kann nach ihrer Einschätzung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die fachärztliche psychiatrische Weiterbehandlung im Heimatland müsse dringend sichergestellt sein.
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Nach der Stellungnahme der Amtsärztin vom 13.11.2015 hat die bestehende Medikation bisher zu keinem wesentlichen Behandlungserfolg geführt, so dass eine Umstellung der Medikamente erfolgen solle. Aktuell bestünden bei der Betroffenen depressive Symptome mit akustischen Halluzinationen, Angstzustände und Schlafstörungen. Die Vorstellung bei einem Facharzt für Psychiatrie sei medizinisch indiziert.
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Bei einer Gesamtschau dieser von der Antragstellerin vorgelegten Stellungnahmen und Bescheinigungen lässt sich keine belastbare Aussage darüber treffen, ob sich die diagnostizierte Erkrankung der Antragstellerin bei einer zwangsweisen Rückführung in ihr Heimatland wesentlich verschlechtern würde. Erst wenn die Reisefähigkeit der Antragstellerin geklärt ist, stellt sich die Frage, inwieweit im Heimatland Vorkehrungen für eine Weiterbehandlung der Antragstellerin zu treffen sind.
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4. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus den am 17.03.2016 in Kraft getretenen Regelungen des § 60a Abs. 2 c und d AufenthG. Unabhängig davon, dass der Antragsgegner in seiner Beschwerde nicht dargelegt hat, inwieweit diese Neuregelungen auf den vorliegenden Fall Anwendung finden, lassen sie den vom Verwaltungsgericht festgestellten Anordnungsanspruch nicht entfallen.
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4.1. Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird nunmehr vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
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Die Antragstellerin hat die von ihr geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, allerdings nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG belegt und damit die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nicht widerlegt. Eine ärztliche Bescheinigung ist grundsätzlich nur dann als qualifiziert anzusehen, wenn die in § 60a Abs. 2c AufenthG genannten Merkmale und Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/7538, S. 19).
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Das von der Antragstellerin vorgelegte ärztliche Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. Z. vom 15.01.2016 entspricht nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG. Sie enthält insbesondere nicht die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist und die Methode der Tatsachenerhebung. Es enthält auch keine Aussage zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben.
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4.2. Ist eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht und die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit damit nicht widerlegt, kommt zwar eine Aussetzung der Abschiebung in der Regel nicht in Betracht. Eine Ermittlungspflicht der Ausländerbehörde besteht in diesem Fall grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt aber dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Dies folgt aus § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG. Danach darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, wenn der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG verletzt, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Ist Letzteres der Fall, ist die Ausländerbehörde nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und in Anwendung des § 24 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA eine (erneute) ärztliche Untersuchung anzuordnen, die hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet und diese sich im Fall einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Eine solche Auslegung ist wegen des in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit verfassungsrechtlich geboten. Nur wenn der Ausländer einer Anordnung zur Durchführung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, ist die Behörde entsprechend § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen.
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Anderweitige tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwere psychische Erkrankung der Antragstellerin, die sich durch eine Abschiebung verschlechtern kann, liegen hier – wie oben dargelegt – wegen der bereits vorhandenen (amts-)ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen bei der gebotenen Gesamtschau vor.
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5. Der Senat hält es allerdings – anders als das Verwaltungsgericht – nicht für sachgerecht, die Verpflichtung der Antragsgegnerin, von einer Abschiebung der Antragstellerin abzusehen, von der Rechtskraft der Entscheidung im Asylverfahren (4 A 281/15 MD), in welchem (auch) zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu prüfen sind, abhängig zu machen. Er hält es vielmehr für ausreichend, aber auch geboten, dass die einstweilige Anordnung (nur) so lange Gültigkeit hat, bis ein (fach-)ärztliches Gutachten vorliegt, in dem festgestellt wird, dass sich die Erkrankung der Antragstellerin durch eine zwangsweisen Rückführung in ihr Heimatland nicht wesentlich verschlechtert und auch keine suizidalen Handlungen drohen.
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B. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Da die Beschwerde im Wesentlichen ohne Erfolg geblieben ist, legt der Senat der Antragsgegnerin die Verfahrenskosten insgesamt auf.
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D. Der Antragstellerin ist auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.
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Aus der vorliegenden Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen ergibt sich, dass die Antragstellerin nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bleiben gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 119 Satz 2 ZPO im zweiten Rechtszug ungeprüft, weil die Antragsgegnerin das Rechtsmittel eingelegt hat.
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Die Entscheidung über die Beiordnung folgt aus § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.